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Ein Liebesroman aus der Theater- und Adelswelt: Bevor die Schauspielerin Felicitas Wiburg das Theater verlässt, um zu heiraten, möchte der Theaterdirektor unbedingt das Stück "Die unmögliche Frau" von Georg Thorwest mit ihr auf die Bühne bringen. In der Zwischenzeit erfährt Felicitas, dass Luisa, die Schwester ihres adligen Verlobten, nichts von ihrer Heirat wissen darf, da sie keine Schauspielerin in der Familie duldet. Während Felicitas Probleme mit ihrer neuen Schwägerin und Rolle als Baronin hat, nähern sie und Thorwest sich langsam immer mehr an...
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Seitenzahl: 275
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Anny von Panhuys
Roman
Saga
Der Weg der Felicitas Wiburg
© 1932 Anny von Panhuys
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711570371
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
„Ja, nun machen Sie grosse Augen, Wiburg, aber Sie werden noch grössere machen, denn das Ding ist ganz famos. So lebenswahr und bis ins kleinste durchgearbeitet, dass man schon beim Lesen seine helle Freude daran hat; die Aufführung gibt einen Schlager ersten Ranges. Nehmen Sie das Manuskript mit nach Hause und schauen Sie hinein, Sie können mir dann bald mal erzählen, was Sie sich von der „Unmöglichen Frau“ versprechen. Die Rollen sollen bereitgelegt werden, ich denke bald mit den Proben zu beginnen.“
Felicitas nahm das Manuskript an sich und verabschiedete sich mit nochmaligem Dank.
Der Direktor sah noch ein Weilchen starr auf die Tür, hinter der sie verschwunden war, dann brummte er ärgerlich in sich hinein:
„Eine der berufensten Schauspielerinnen ist sie und wird nun niemals die Höhen ihrer Kunst, auf die sie ihr Talent weist, erreichen, weil es sich ein oller Baron in den grauen Kopf gesetzt hat, ihr durch ’ne Ehe den Weg nach oben zu versperren.“
Er klingelte seinem im Vorzimmer sitzenden Sekretär.
„Albert, schreiben Sie sogleich an Georg Thorwest, sein Schauspiel soll noch in dieser Spielzeit zur Aufführung gelangen.“
„Warum denn?“ erkundigte sich Albert, der zum Verdruss, aber auch oft zur Belustigung seines Vorgesetzten an einer fast krankhaften Fragewut litt.
Der Direktor schlug mit der Faust auf den Schreibtisch.
„Weil die Wiburg der Hafer sticht, weil sie durchaus heiraten will und am ersten Mai aus unserer Bühne ausscheidet, und gerade sie passt so vorzüglich für die Rolle.“
Albert blieb der breite, schmallippige Mund vor Erstaunen offen stehen.
„Felicitas Wiburg geht? Ach, du Grundgütiger, was sollen wir denn da machen?“ brachte er endlich hervor.
Der Direktor zuckte die Achseln.
„Ja, wer die Wiburg nicht hat spielen sehen, findet vielleicht die Larsen glänzend, aber unsereins —“ Er brummte: „Die verflixte Heiraterei!“ und ging mit trippelndem Schritt wieder ins Vorzimmer, wo er, ehe er sich an den ihm aufgetragenen Brief machte, erst einmal tüchtig über die Unzuverlässigkeit der Weiber im allgemeinen und die Unzuverlässigkeit der Felicitas Wiburg im besonderen nachdachte. Natürlich heiratet sie den Baron Usswald, der sie schon öfters von den Proben abgeholt hatte. Ein ganz feiner Mensch, aber der Altersunterschied war zu gross; der Baron konnte gut und gern ihr Vater sein.
Albert lächelte schlau. Natürlich der Titel und das Geld lockten die schöne Wiburg. Aber der Direktor tat ihm leid, denn mit der Wiburg verlor er seinen zugkräftigsten Kassenmagneten.
Felicitas verliess leichten, raschen Schrittes durch eine Seitentür das Palasttheater. Ihre Augen blickten glücklich in den hellen, frischen Märzvormittag und viele angenehme Gedanken durchzogen ihren Kopf. Gewiss, es war schwer, von der Bühne zu scheiden, aber schliesslich vertauschte sie eine unsichere mit einer sicheren Zukunft, und wenn sie für den Baron auch gerade keine wilde Leidenschaft empfand, so mochte ein ruhiges, liebes Gernhaben viel wertvollere Bürgschaft für eine gute Ehe sein.
Leidenschaft? Liebe?
Die beiden Worte, die sie oft auf der Bühne gesprochen, waren ihrem Dasein bisher fremd geblieben. Vielleicht hatte sie überhaupt nicht die Natur, einem Manne in Leidenschaft anzuhängen, die Menschenherzen waren ja so verschieden. Sie mochte Jörgen Usswald sehr, sehr gern und hatte in seiner Nähe immer ein schönes Gefühl von Geborgensein. Denn geborgen war sie bei ihm; die Stürme, die einst ihr kleines, trautes Elternhaus zerstört, die sie in die Schatten der Kulissen, wo die Statisten leben, gejagt, sie waren sicher machtlos, wenn Jörgen Usswalds breite Gestalt ihr Schutz und Schirm ward. Schliesslich kam es dabei ja eigentlich nicht einmal so sehr auf sie selbst an. Die Hauptsache war, dass sie nun eine alte drückende Schuld, die ihre Eltern hinterlassen, hatte bezahlen können, eine Schuld, die sie erst im Laufe langer, langer Jahre ganz allmählich zu tilgen vermocht hätte, wenn sie viel Geld verdient und keine Störung ihr Wirken ins Stocken gebracht oder gar ein Ziel gesetzt hätte. Zwar konnte niemand rechtlich von ihr die Bezahlung der Summe fordern, aber moralisch fühlte sie sich dazu verpflichtet, und als sie einst in einer Stunde, da ihr das Herz auf die Zunge trat, dem Baron davon erzählte, hatte er ihr zart und taktvoll seine Hilfe angeboten. Und als er sie dann bald darauf bat, seine Frau zu werden, hatte sie seine Hilfe gern und freudig angenommen. Sie war ja so glücklich in dem Bewusstsein: Nun durften Vater und Mutter ruhig schlafen, niemand konnte sie mehr einer ungetilgten Schuld zeihen.
Und die zweite Hauptsache war ihr junger Bruder Martin; dessen Zukunft lag nun sonnenklar vor ihr. Jörgen Usswald hatte ihr versprochen, er wolle für ihn sorgen wie für einen eigenen Sohn, wenn sie die Seine würde. Das Versprechen hatte vielleicht den Ausschlag gegeben, alle Bedenken in ihr restlos erstickt, weil sie immer in Angst gewesen war, Martin müsse vielleicht einmal in irgendeine Lebenssphäre, in die er nicht gehörte.
O, sie hing so mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele an dem Bruder, dem kleinen Idealisten mit dem Erfinderkopfe.
Zugegeben, sie verdiente jetzt genügend, um ihn bis zum Maturium eine gute Schule besuchen zu lassen und ihn dann auf eine Technische Hochschule zu senden, jedoch, wer konnte wissen, ob nicht irgendeine Krankheit, ein Zufall ihr plötzlich die weitere Schauspielerlaufbahn versperrte, ob ihr nicht gar der Tod eines Tages die Tür zur Zukunft mit seinen rauhen Knochenhänden zuwarf! Man kann auch jung sterben! Was aber wurde dann aus Martin, ihrem lieben Blondkopf, was wurde dann aus seiner Jugend, aus allem, was er hoffte und erstrebte?
Ingenieur wollte er werden, Maschinen wollte er bauen, die Wunder schafften und an die noch niemand vor ihm gedacht, obwohl sie einen Segen für die Menschheit bedeuteten. Mit ihrer Heirat schaffte sie ihm Boden unter die Füsse, darauf seine jungen Beine feststehen konnten. Und bei solcher Aussicht konnte es nicht schwer fallen, dem Ruhm Valet zu sagen und eine schöne, glückliche Häuslichkeit dafür einzutauschen, darin ihr ein guter, verehrter Gatte die Sorge für den halberwachsenen Bruder abnahm und er und sie dem verträumten Jungen gemeinsam das viel zu früh verlorene Elternhaus ersetzen würden.
Langsam wanderte Felicitas durch eine stille Westendstrasse ihrer Pension zu, wo sie wohnte, seit sie aus dem Dunkel des Bühnenlebens plötzlich mitten in die strahlendste Helle gerückt, vor den Augen des Publikums stand, seit sie ein Monatsgeld verdiente, das ihr ermöglichte, nicht nur für sich, sondern auch ausreichend für den Bruder zu sorgen. Der Vormund, ein biederer kleiner Kaufmann im Osten Berlins, war glücklich, die Obhut über den Jungen los zu sein, und erlaubte ihr gern, ihn zu einem Lehrer ins Haus zu geben.
Der Vormund! Felicitas musste lächeln, als sie seiner gedachte, und sie malte sich schon die Szene aus, wenn sie ihn nun in den nächsten Tagen aufsuchen würde, ihn von ihrer bevorstehenden Verheiratung zu benachrichtigen.
Vor der Tür des Hauses, darin sie wohnte, stand ein grosser, breitschultriger Herr; kaum erblickte er die schlanke Gestalt in dem hübschen, einfachen Kostüm von grauem Tuch, eilte er ihr entgegen. „Ich war schon oben bei dir, Felicitas, doch Fräulein Michels meinte, du müsstest jeden Augenblick kommen, da wollte ich dir entgegengehen, war nur nicht sicher, welche Richtung ich wählen sollte.“ Er nahm mit unendlicher Zartheit die ihm gereichte Mädchenhand. „Liebes, dass ich dich sehe!“
Baron Jörgen Usswald war nicht hübsch, aber er sah vornehm aus und das bereits stark ergraute Schläfenhaar gab seinem frischen und dunkelgefärbten Gesicht einen gewissen Reiz. Er hatte sehr gutmütige Augen und ein liebes Lächeln. Felicitas stellte das bei jedem Sehen von neuem fest und es waren wohl besonders diese Augen und das Lächeln, die ihr den ganzen Mann charakterisierten.
Sie schob ihren Arm in den seinen.
„Nun darf ich dich wohl bitten, mich wieder mit nach oben zu begleiten, damit wir in Ruhe über mancherlei Wichtiges reden können.“
Er machte keine Einwendungen, aber Felicitas war es, als hätte sie einen flüchtigen Schatten über sein Gesicht huschen sehen. Ach, Unsinn, sie hatte sich geirrt.
Oben angekommen, half ihm ein Hausmädchen beim Ablegen des Ueberziehers, dann geleitete ihn Felicitas in ihr Wohnzimmer. Sie warf die pelzumrandete Jacke über einen Sessel, schob den kleinen seidenen Uebergangshut mit dem weichen Parmaveilchentuff dazu, dann zog sie den Mann auf das alte Ripssofa, dessen Grün gar so schwermütig verblichen dreinschaute.
„Nun bin ich frei,“ lächelte sie den Baron an, „nun bin ich am ersten Mai frei, nach mancherlei kleinen Wortklaubereien hat Direktor Rellstab endlich meinen Vertrag gelöst.“
Jörgen Usswald nickte. „Das ist gut, weisst du, es tut mir weh, dich abends auf den Brettern zu sehen. Du bist eine wunderbare Schauspielerin, bist eine Künstlerin, deren eigenartiges Spiel ich mit dem keiner einzigen deiner berühmten Kolleginnen vergleichen möchte, aber ganz offen gesagt, ich spüre jedesmal, wenn du aus der Kulisse heraustrittst und die vielen, vielen Augen zu dir hinaufstarren, eine geradezu herzbeklemmende Eifersucht, und das, weisst du, Liebstes, das ertrug ich nicht länger.“
Sie fragte gedehnt: „So ist wohl nur das der Grund, dass du mir deinen Namen botest?“
Er sah an ihr vorbei.
„Nein, Liebes, nein, ich wollte dich für mich, wenn ich dich liebe, aber nun muss ich dir noch etwas sagen und ich möchte vorausschicken, es fällt mir schwer, weil — —“
Felicitas lachte. „O, du grosser, breiter Mensch fürchtest dich wohl gar vor mir? Sprich nur, denn sieh mal, wenn ich deine Frau werde, müssen wir uns doch auch in allen Dingen einig sein und ich denke, wir beide können einander alles sagen, ohne Bedenken, ohne Stocken.“
Jörgen Usswald sann, wie schon so oft vordem, dass er solch zartes, reines Empfinden niemals bei einer Schauspielerin gesucht. Aber wenn Felicitas Wiburg nicht so gewesen wäre, hätte er auch wohl niemals an eine Heirat mit ihr gedacht. Niemals! Baron Jörgen Usswald und eine Schauspielerin, das war ihm noch vor kurzem das Unwahrscheinlichste, was es gab, und nun wurde es Wahrheit. Eine Felicitas Wiburg lässt man entweder mit respektvoll abgezogenem Hut an sich vorbei ihre Strasse ziehen, oder man behandelt sie als Dame der Gesellschaftsklasse, der man selbst angehört. Ein Zwischending gab es einfach nicht.
Er seufzte und fand nicht den rechten Anfang, um ihr zu erklären, was ihm die Brust beengte.
Felicitas schüttelte den Kopf.
„Jörgen, man könnte fast meinen, du hättest mir irgendein schweres Geständnis zu machen, du siehst so verstört aus.“
Er rang sich zum Entschluss durch, denn er durfte nicht länger aufschieben, was gesagt werden musste, und er fürchtete sich doch davor, wie sie seine Worte aufnehmen würde.
Schon wollte er seine Lippen öffnen, da meinte sie beruhigenden Tones:
„Fällt dir’s so schwer, Jörgen, dann schweige doch bis auf ein anderes Mal, reden wir dafür jetzt von Dingen, die doch schliesslich auch einmal auf Erledigung drängen. Sage, Jörgen, hast du nun inzwischen deiner Schwester von mir gesprochen, ihr mitgeteilt, dass du mich von den Brettern weggelockt, damit ich dir in euer altes, graues Haus folgen soll?“
Er erschrak. Nun berührte Felicitas bereits das heikle Thema, über das er heute mit ihr reden wollte, und was zu tun ihm doch so schwer, so entsetzlich schwer wurde. Herrgott, er schämte sich wirklich, dass in seinem riesigen Körper zuweilen eine so kindische Angst vor Unannehmlichkeiten, Unbequemlichkeiten und Aufregungen spukte. Aber darin litt er von je, lieber machte er Umwege, schob Dinge tage- ja wochenlang hinaus, nur um momentan seinen Frieden zu haben. Er ärgerte sich oft selbst über diesen Charakterfehler, doch war er da, und wenn er selbst auch darunter litt, so sann er doch niemals darüber nach, denselben mit festem Willen zu bekämpfen.
Er zwang sich, zu lächeln, denn Felicitas wartete auf Antwort.
„Ob ich mit meiner Schwester von dir gesprochen habe? Nein, Liebes, nein, noch nicht. Ach, weisst du, ich kam in letzter Zeit so zu gar nichts, und meine Schwester war mit ihrem Manne wieder acht Tage bei der alten Gräfin Brattekow auf Mellechin, und ich deutete dir ja bereits an, in wie starkem Masse der Adelstick bei ihr entwickelt ist. Wenn sie von solchem Besuch wie diesem kommt, wo sie die Prinzessin Eckenstädt-Zarchhausen getroffen und die Fürstin Romst-Kallehnen und die Freifrau Zeisig, die auch irgend so’ne Zwetschenprinzessin von Geburt ist, dann kann kein vernünftiger Mensch mit ihr reden, dann faselt sie den ganzen Tag von ihren vornehmen ‚Freunden‘, nennt alles, was unterm Baron steht, ‚gemeine Leute‘ und ist völlig ungeniessbar.“
Felicitas lachte hell auf.
„Wie komisch du das alles sagst, aber du solltest nicht so stark übertreiben, denn sieh, Jörgen, was du da vorbringst, kann doch gar nicht stimmen, denn deine Schwester ist doch eine Bürgerliche und sie schlüge sich mit solchen Ansichten, wie du ihr zuschreibst, ins eigene Gesicht, ihr Mann heisst doch Vogel, schlichtweg Dr. Alfred Vogel, und somit führt sie doch den Namen Vogel ebenfalls.“
Jörgen Usswald erwiderte betont:
„Du irrst, Felicitas, sie hat herausgefunden, dass es den Namen Vogel zu häufig gibt und um Verwechselungen mit anderen Vögeln zu entgehen, bitte nur deshalb, folgt sie dem Beispiel vieler Künstlerinnen und süddeutschen Familien, die ihren Mädchennamen dem Namen ihres Gatten zufügen und nennt sich Frau Luisa Vogel von Usswald.“ Er sah Felicitas an. „Das klingt gleich anders, nicht wahr, und auf Visitenkarten macht sich die Geschichte auch ganz repräsentabel. Auf der Karte ihres Mannes steht: Dr. Alfred Vogel von Usswald, und beide fühlen sich sehr wohl dabei. Er lässt sich von seiner Frau ins Schlepptau nehmen und hat den Adelsrappel von ihr auch schon bekommen, doch ist er nicht so durchseucht davon wie sie, und wenn sie nicht in seiner Nähe ist, kann man mit ihm ein vernünftiges Bürgerwort reden.“
Felicitas hatte plötzlich erschreckte Augen.
„So ist das und so sehen deine Schwester und dein Schwager aus. Wie wird sich da aber Frau Vogel von Usswald mit mir abfinden, ich bin doch bürgerlich und dazu noch Schauspielerin.“ Sie sprang auf und ging ein paarmal schnell durchs Zimmer, um plötzlich vor dem Manne stehen zu bleiben.
„Weshalb hast du bisher nicht so deutlich gesprochen, sondern das Bild deiner nächsten Verwandten immer mehr oder weniger durch einen Schleier gezeigt, denn weisst du, Jörgen, Stolz habe ich auch, und wenn du meinst, ich würde deiner Schwester vielleicht als demütig Bittende nahen, dann irrtest du.“
Sie nahm seinen Kopf zwischen ihre schmalen, kühlen Hände.
„Ich bin dir von Herzen gut, Jörgen, aber klein und demütig werden, ohne dass ich etwas Böses getan habe, das liegt mir nicht, ich hatte mich auf unser Heim gefreut, deinetwegen, meinetwegen und um Martins willen, aber wenn mich deine Schwester vielleicht nur widerwillig willkommen heissen würde, dann ist’s tausendmal besser —“
Sie brach ab, ein bisher mühsam zurückgehaltenes Schluchzen riss ihr den Schluss vom Munde.
Um Martins willen! Das wars, was ihr jählings so entsetzlich wehe tat, denn wenn es ihr vielleicht auch nicht allzu schwer geworden wäre, auf einen Zukunftstraum zu verzichten, um Martins willen litt sie bittere Not. Wenn das Schicksal irgendwie ihre Karriere in Frage stellte, oder sie jung starb, dann war ihr blonder, ehrgeiziger Träumer hilflos, und der Vormund mit dem engen kleinen Krämerverstand nahm ihn vielleicht, sein Bestes im Sinne, vom Gymnasium fort und stopfte ihn in irgendein Handwerk hinein, das Gelegenheit zu raschem Verdienen bot.
Ein paar grosse, dicke Tränen liefen über ihr feines, schmales Gesicht.
Der Anblick überwältigte den Baron. So liebte ihn Felicitas, so sehr liebte sie ihn.
Er zog sie wieder neben sich auf das Sofa nieder und breitete mutig seinen Plan, mit dem er heute zu ihr hergekommen, vor ihr aus.
„Höre, Kind, was kümmert uns meine Schwester, sie ist zehn Jahre älter als ich, aber das ist kein Grund, dass ich sie wie eine Mutter um ihren Segen bitte. Ich bewohne ein Stockwerk in ihrem Hause, aber das verpflichtet mich zu nichts, sieh, was kümmern uns die Menschen, wir haben uns lieb, und nur darauf kommt es an. Wir heiraten einfach, ohne dass ich meiner Schwester irgend etwas davon mitteile. Hübsche Wohnungen gibt es genug in Berlin, am einfachsten, ich miete oder kaufe uns ein nettes Häuschen für dich und Martin und mich, alles übrige findet sich dann später von selbst, auch die Bekanntschaft mit meinen Verwandten.“
So, nun war es heraus, Jörgen Usswald atmete freier, aber er vermied den Blick der schönen, blauen Mädchenaugen.
Felicitas hatte das Gefühl, als hätte sich ein kühles Tuch um ihren Körper gelegt, sie erschauerte heimlich ob der plötzlichen Kälte, die sie einhüllte und ihr Herz tat seltsam schweren Schlag, als wollte es in der nächsten Minute überhaupt aussetzen.
Was wagte ihr Jörgen Usswald anzubieten?
Dünkte sie ihm nicht genug, um sie zu Schwester und Schwager und den paar entfernten Verwandten, die er noch besass, zu bringen und mit Selbstverständlichkeit zu sagen:
„Hier stelle ich euch meine Braut Felicitas Wiburg vor!“ — Galt sie ihm so wenig? Oh, sie hatte ihren Stolz und wenn er dachte, dass sie wie eine, die sich vor den Augen der Welt scheuen musste, sein Weib werden würde, dann täuschte er sich. Mit einer heftigen Bewegung warf sie den Kopf zurück, da fiel ihr Blick auf eine Photographie des blonden Träumers Martin, die Züge des Bruders schienen zu bitten: „Du grosse Schwester schütze mich, ich vertraue dir ja so grenzenlos und lege all mein Wollen und Hoffen in deine fürsorglichen Hände.“
Jörgen Usswald bat:
„Sei gut, Liebes, füge dich meinem Rat, es ist vorläufig so am besten, sei überzeugt, es renkt sich schliesslich alles von selbst ein.“
Im Herzen Felicitas’ revoltierte der Stolz, aber zugleich meinte sie eine Stimme zu hören, die sprach: Um Martins willen! —
Da neigte sich Felicitas Wiburg und küsste den Mann.
„Ich vertraue dir, ordne alles nach deinem Gutdünken, ich hoffe gleich dir, es renkt sich schliesslich alles von selbst ein.“
Felicitas war es, als lächle ihr das Knabengesicht drüben von der Wand zu, da kam ihr Inneres zur Ruhe. Jörgen Usswald aber zog die Hand der schönen, jungen Felicitas wieder und wieder an seine Lippen. Gottlob, vorläufig war ihm ein grosser Stein aus dem Wege geräumt, denn solange seine Schwester Luisa nichts von dieser Heirat erfuhr, konnte er ruhig schlafen, er fürchtete sich vor ihrer scharfen bösen Zunge wie vor Natterbissen und es war so einfach, alles Unbequeme mit der Hoffnung aus dem Wege zu schieben, dass sich schliesslich alles von selbst einrenken würde.
Am nächsten Tage fuhr Felicitas Wiburg nach dem Berliner Osten. Am Andreasplatz befand sich das kleine Geschäft von Johann Krüters und Felicitas blieb eine Minute lang vor dem Hause stehen, darin sie vor drei Jahren noch ein- und ausgegangen. Noch viel enger und kleiner als früher kam ihr das schmale Schaufenster vor, darin Streichhölzer lagen und Bürsten, Putztücher und leicht angeschimmeltes Backobst. Die Ladenklingel schrillte abscheulich, als Felicitas eintrat, und aus dem Hintergrund schälte sich eine kleine verschwommene Gestatt heraus, deren Männlichkeit stark beeinträchtigt wurde durch die grosse, blaue Schürze, die den Unterkörper völlig wie ein Rock einhüllte.
„Ich bins, Onkel Krüters, ich wollte etwas mit Ihnen besprechen,“ rief Felicitas dem Ladenbesitzer entgegen und reichte ihm einige Schritte entgegengehend die Hand. Das breite, von einem kurzen, stoppeligen Backenbart umrahmte Gesicht des Mannes verzog sich etwas, was ebensogut ein Lächeln wie Erstaunen bedeuten konnte. Langsam holte Johann Krüters unter der Schürze aus irgendeiner Tasche seiner gestrickten Joppe eine Brille hervor und setzte sie bedächtig auf, dann musterte er durch die Gläser die Besucherin eingehend.
„Mächen, Mächen, was hast du dir rausjemacht, ich denke manchmal, es könnte jar nich möglich sind, dass du über’n Jahr hier bei uns jewohnt hast. Nich ein bisschen is dir davon hängen jeblieben, partuh nich ’n Happen. Aber nu komm’, Feechen, du weisst, das schwere Wort, das dein Name sein soll, hab’ ich nie rausjebracht, nu komm’ man mit nach hinten bei Muttern, se wird sich freuen, dir zu sehen.“
Felicitas folgte Johann Krüters in eine dunkle Berliner Hinterstube, die ihr kärgliches Licht von einem schmalen, von hohen Häusern eingeschlossenen Hof erhielt. Ein kleines Frauchen mit quecksilbernen Bewegungen sprang von einem Stuhl auf.
„Ach, Feechen, wie nett, dass du auch mal wieder an uns denkst, grade gestern abend haben wir von dir gesprochen, weil du wieder in den Zeitungen so riesig gelobt warst. Ach Gott, du, wir sind mächtig stolz darauf, dass du mal bei uns hier gewohnt hast. Aber jetzt erzähle, wie geht es dem Jungen, dem Martin?“
Sie drückte Felicitas auf einen Stuhl nieder und schob auch ihrem Mann einen Stuhl zu.
„Setz dich, Krüters, das tut dir nach der langen Rumsteherei in dem zugigen Laden gut.“ Sie selbst zappelte klein und dürr mit dem weissgrauen, dicken Haarbusch über dem lebhaften, gelblichen Gesicht wie ein in Gefangenschaft geratenes Waldweiblein umher. „Also, wie geht es dem Martin?“
Felicitas erwiderte froh: „Es geht ihm vorzüglich, Tante Krüters, und wenn ich nicht irre, erzählte er mir, er habe euch vor zwei Wochen besucht.“
„Ja, er hat uns besucht und war so nett und lieb, gar nicht ein bisschen stolz, trotzdem er doch nun mal Inschenör wird. Ach, ihr seid beide brav, du und er.“
Felicitas wehrte ab. „Tante Krüters, es wäre ja eine Schande, wenn wir je vergessen würden, was Sie und Onkel Krüters an uns getan. Du lieber Gott, wie sank mit dem raschen Tod der Eltern alles um uns in Trümmer, und da erbarmtet ihr euch und nahmt uns zu euch, Onkel Krüters bot sich freiwillig an, unser Vormund zu sein, ein Posten, den ihm jeder gönnte, denn niemand in der kleinen Heimat riss sich darum, uns zu betreuen. Es war ja kein Geld da und nichts von Geldeswert, als man Vater eines Morgens für immer eingeschlafen neben Mutter fand, die ebenfalls nie wieder erwachte. Weil ihm verschiedene, unendlich kostspielige Versuche fehlgeschlagen, vergiftete er sich und seine Frau. Wahrscheinlich in einem Anfall von Geistesstörung, so wussten die Zeitungen zu berichten, und das habt ihr gelesen und da fiel es Tante Krüters ein, dass sie vor ihrer Heirat lange bei den Eltern meiner Mutter gewesen, und sie setzte sich mit ihrem Mann in die nächste Eisenbahn und fuhren in das kleine Städtchen, wo sie eben zurecht kamen, als ein achtzehnjähriges Mädchen und ein elfjähriger Junge ganz ernsthaft gerade darüber nachsannen, ob der Vater wohl noch für sie beide eine Dosis von dem Gift übriggelassen, dessen Niederschlag der Arzt in dem auf einem Tische stehenden geleerten Wasserglas gefunden hatte.“
Felicitas lächelte unter Tränen.
„Ja, ihr beide, die ihr keine Reichtümer gesammelt, nahmt euch unserer an und gabt uns langsam Ruhe und Frieden zurück, die uns das traurige Ereignis geraubt.“
Berta Krüters machte ein verlegenes Gesicht.
„Zuviel Lob kann ich nicht vertragen, Feechen.“
„Ach was, ihr müsst das mal hören, einmal musste ich euch sagen, wie vornehm und edel ihr an uns Geschwistern gehandelt habt. Aber ihr tatet noch mehr, als ich bisher anführte,“ fuhr sie lebhafter fort, „denn ihr zwängtet uns hier nicht in Verhältnisse, die unserer bisherigen Erziehung entgegengelaufen wären, ich durfte Martin auf einem Realgymnasium anmelden, und als ich euch vorschwärmte, ich wolle zur Bühne, da durfte ich mich am Palasttheater für Statisterie melden und von dem Geld, das ich dort erhielt, noch Schauspielunterricht nehmen. Wenn’s auch nur ’ne billige, unvollkommene Sorte von Unterricht war, half er mir doch, denn am Palasttheater lernte ich ja allabendlich vom Zusehen und -Hören, wenn die ersten Künstlerinnen ihre Rollen spielten, bis ich dann selbst durch einen Glückszufall dort eine Erste geworden bin.“
Sie fuhr sich über die Stirn, dass ihr die weissblonden Löckchen wie spielend über die Finger fielen.
„Nun habe ich alles kurz erwähnt, was gewesen, seit ihr beide uns Geschwister damals zu euch holtet. Jetzt aber möchte ich Onkel Krüters noch besonders danken, dass er sich niemals in meine Pläne vormundschaftlich einmischte, wie es doch sein gutes Recht war.“
Der Mann spielte mit seiner Schürze.
„Ich mir einmischen? Bewahre, ich sah ja, du packtest die Jeschichte janz jediejen un ans richje Ende an, da liess ich dir allens alleine steuern, un ich brauche mir ja ooch bis heute keine Vorwürfe darüber zu machen. ’s war ooch richtig von euch, hier aus der Jejend zu ziehn, denn Johann Krüters’ Hinterstube konnte woll ’n Notquartier für Dr. Wiburgs Kinder sind, aber keen ständjer Aufenthalt, un es is allens im Lot und so richtig, wie’s jekommen.“
Felicitas sagte: „Ich bin zwar nun einundzwanzig Jahre und Sie sind vor dem Gesetz mein Vormund nicht mehr, dennoch möchte ich Ihnen und Tante heute mitteilen, dass ich in ungefähr acht Wochen heiraten werde. Martin findet dann sein Heim bei mir.“
Die kleine lebhafte Frau liess sich vor Schreck auf einen Stuhl fallen.
„Du willst heiraten, wo du solche Künstlerzukunft hast? Ja, Feechen, um des Himmels willen, wer ist es denn?“ Man las ihr die Neugier vom Gesicht.
Felicitas lächelte. „Es ist ein Baron Jörgen Usswald, lebt von seinem Geld und hat Medizin studiert.“
Frau Krüters nickte heftig mehrmals hintereinander: „Sowas, ja, das lohnt sich und das passt auch für dich!“
Johann Krüters putzte sich mit der blauen Schürze den Schweiss von der Stirn, der ihm bei dem Titel „Baron“ ausgebrochen war, und dann nickte er auch.
„Jawoll, sowat passt ausjezeichnet for dir!“
Felicitas hatte das Manuskript des Schauspiels: „Eine unmögliche Frau“ gelesen und war begeistert davon. Auf einer der ersten Proben lernte sie den Autor kennen. Er war schlank, über Mittelgrösse und hatte ein markantes Gesicht mit kühlen Grauaugen.
Felicitas hatte sich den beliebten Romanschriftsteller ganz anders vorgestellt, blond, mit verträumten Augen. Dieser Herr Thorwest, der da vor ihr stand, hätte ebensogut Staatsanwalt sein können, der dunkelbraune, scharfgezogene Scheitel unterstrich den etwas herben Gesichtsschnitt noch. Ueber den fest und schön gezeichneten Lippen trug er ein kurz geschnittenes Bärtchen. Sein ganzes Auftreten hatte etwas Straffes, Selbstbewusstes und seine Kleidung war gedämpft und vornehm.
Felicitas überflutete es wie eine Welle von Sympathie für Georg Thorwest, den sie doch heute zum ersten Male erblickte, aber sie kannte seine Romane, und wer diese phantasievollen und doch dem Leben abgelauschten Arbeiten gelesen, die in echt künstlerische Form gegossen waren, der musste Sympathie für ihren Schöpfer empfinden. Impulsiv streckte ihm Felicitas die Rechte entgegen.
„Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Herr Thorwest, denn ich bin eine begeisterte Anhängerin Ihrer Romane, und ich wäre sehr froh, wenn es mir gelänge, die recht komplizierte Gestalt Ihrer unmöglichen Frau so darzustellen, wie sie Ihnen vorgeschwebt hat.“
Er zog die Hand leicht an seine Lippen, aber sie plötzlich fast schroff freigebend, sagte er:
„Ob es Ihnen gelingen wird, sie so darzustellen, wie sie mir vorgeschwebt hat, möchte ich — verzeihen Sie — fast bezweifeln, dass Sie sie aber so darstellen werden, wie sie dem Publikum gefällt, ich meine, dass Ihre Darstellung mein Schauspiel zum Erfolg führen wird, das steht für mich sogar felsenfest.“
Eine leichte Empfindlichkeit meldete sich bei ihr, und über ihre klare Stirn zuckte es, als kräusele ein Steinwurf den glatten Spiegel eines Sees.
„Ich bedaure, dass Sie nicht das Vertrauen zu mir haben, es könnte doch möglich sein, ich fände den Ton, der beim Niederschreiben des Stückes in Ihnen klang, und wenn nicht den vollen, ganzen Ton, so doch ein Echo davon.“
Ihre Stimme verriet ihr Verletztsein.
Georg Thorwests kühle Augen sahen sie gross an, aber Felicitas wurde aus ihrem Ausdruck nicht klug, war es Spott, war es Mitleid, oder ein Gemisch von beiden.
Nach vielen Tagen, als das Stück so ziemlich „stand“, begegnete sie ihm auf der kleinen Treppe, die von der Bühne ins Konversationszimmer führte.
Er begrüsste sie: „Fräulein Wiburg, ich habe vorhin vom Zuschauerraum dem ersten Akt beigewohnt und möchte Ihnen meine restlose Anerkennung aussprechen, ich bin glücklich, dass Sie die Rolle hier in Berlin kreieren werden.“
Sie freute sich über dieses Lob und es lief ihr lange nach. Immer mehr vertiefte sie sich in die Rolle und ging förmlich darin auf, alles andere schien ihr daneben unwichtig.
Jörgen Usswald beklagte sich, sie sei jetzt so zerfahren und er sehne den Tag herbei, der das Band zwischen ihr und der Bühne endgültig löste.
Eines Nachmittags kam er strahlend zu ihr.
„Du, mach dich gleich zum Ausgang fertig, ich habe in Grunewald eine Villa entdeckt, das Niedlichste und Reizvollste, was du dir nur vorstellen kannst, ich bin entzückt davon und du wirst es auch sein.“
Felicitas nickte ihm zu.
„Martin wollte zu mir kommen, wollen auf ihn warten, dann mag er uns begleiten, weil er doch unser künftiges Heim mit uns teilen soll.“ Sie wurde nachdenklich. „Wird so ein Grunewaldheim übrigens nicht für Martin Nachteile haben? Ich meine die tägliche Schulfahrt.“
„Aber Kind, das ist doch keine Weltreise, der Junge ist jetzt natürlich fabelhaft verwöhnt, weil er bloss eine Strasse zu überqueren braucht, um in die Schule zu gelangen.“
Draussen klingelte es, gleich darauf klopfte es an und Martin Wiburgs lang aufgeschossene Knabengestalt stand im Zimmer.
„Guten Tag, Felicitas, guten Tag, Herr Baron! Ach, ich hätte meinen Besuch heute beinahe vergessen, wenn mich mein Pensionsmuttchen nicht daran erinnert hätte, aber ich hatte heute ein fabelhaftes Glück und vergass alles darüber.“
Sein schmales, von leichter Röte angehauchtes Gesicht, dessen Aehnlichkeit mit dem Antlitz seiner Schwester unverkennbar war, gab seinen Worten stärkeren Nachdruck. Förmlich durchleuchtet vom Glück war es.
„Nun, nun, was ist dir denn so Schönes begegnet?“ forschte Felicitas, über sein Haar streichend, dessen Farbe fast so hell wie das ihre war und in kurzen, weichen Ringeln die hübsche, gerade Stirn begrenzte.
Martin holte tief Atem.
„Denk nur, Felicitas, denk nur, welch ein Zufall. Gestern abend sagt Pensionsmuttchen, ich solle sie nach dem Boden begleiten, um Geschirr, das sie dort aufbewahrte, herunterholen zu helfen, und — ehrlich gesagt — ein bisschen unlustig ging ich mit. Und was glaubst du, Felicitas, was ich da in so einem ganz dunklen, verstaubten Winkel entdeckte?“
Er machte eine Kunstpause und blickte von der Schwester auf den Baron und von diesem wieder zurück zur Schwester, während er betonter wiederholte: „Was glaubst du, was ich da in so einem ganz dunklen, verstaubten Winkel entdeckte?“
Felicitas lachte: „Ein Goldlager oder eine Unmenge indischer Juwelen eines sagenhaft reichen Inkas!“
„Och, was viel Besseres,“ belehrte er sie.
Der Baron riet: „Vielleicht entdecktest du ein wertvolles altes Bild oder dergleichen, das nun deinen Pensionseltern grossen Vorteil bringt?“
Martin zuckte mitleidig die Achseln.
„Wenns weiter nichts wäre. Nee, darüber brauchte ich mich doch nicht so sehr freuen. Aber ihr ratet es ja doch niemals. Also: Ich entdeckte eine alte Nähmaschine mit Handbetrieb, auf die kein Mensch mehr Ansprüche erhebt, und Pensionsmuttchen hat sie mir geschenkt. Jetzt baue ich mir eine elektrische Kraftstation davon und erzeuge elektrische Energie damit, ausserdem kann ich den Betrieb noch zu allen möglichen wichtigen Experimenten verwenden und —“
Das laute Lachen seiner Zuhörer unterbrach ihn.
Erst blickte er die beiden fast verdutzt an, dann abermals ein mitleidiges Achselzucken.
„Ich hätte mir eure Auffassung denken können, von dergleichen habt ihr keine blasse Ahnung.“
Felicitas zwang sich zum Ernst.
„Sei gut, Martin, die Hauptsache ist, du bist mit der alten, abgehalfterten Nähmaschine glücklich.“
Er brummte: „Eigentlich müsste ich von dir als Schwester doch ein wenig Verständnis verlangen können.“
Sie schmeichelte: „Gib diese Hoffnung, mich mit der Zeit zu belehren, noch nicht auf, Jungchen.“
Der Baron mahnte: „Wollen wir uns nun nicht auf den Weg machen?“
Martin erfuhr, was man vorhatte, und schloss sich gerne an. In einem Häuschen im Grunewald zu wohnen, das malte er sich prächtig aus, und er und Felicitas dachten dabei wohl an das kleine Haus in der märkischen Heimat, in dem sie beide so glücklich gelebt bis zu jenem entsetzlichen Tage, der ihnen Vater und Mutter mit einem Schlage nahm. — —
Man fuhr mit der Stadtbahn nach dem Grunewald. Der Aprilnachmittag heute trug schon einen Hauch von lauer Wärme in sich, und die Sträucher am Wege zeigten bereits kleine, grüne Spitzchen, wenn auch die kahlen Bäume noch nicht zu ahnen schienen, wie nahe der Frühling war.
Vor einer kleinen, weissen Villa mit leuchtend grünen Fensterladen und glänzend rotem Ziegeldach machte Jörgen Usswald Halt und läutete.
„Hier sind wir am Ziele,“ sagte er lächelnd, und fügte hinzu: „Das reinste Schmuckkästchen, nicht wahr?“
Felicitas nickte. „Wirklich, wunderhübsch sieht die Villa aus, und der Garten muss im Sommer auch sehr reizvoll sein, ausserdem ist er ziemlich gross.“
Martin war begeistert. „Uijeh, wenn ich da drinnen wohnen dürfte!“
Schon kam ein schmuckes Hausmädchen und öffnete. Sie führte die Angekommenen in ein reich ausgestattetes Zimmer, in dem sich Felicitas einer blonden, vornehm wirkenden Frau gegenübersah. „Das ist meine Braut, Felicitas Wiburg, gnädige Frau,“ stellte der Baron vor, „liebste Felicitas, diese Dame ist die Eigentümerin der Villa, Frau von Manngold.“
Die blonde Frau lächelte liebenswürdig. „Ich bin sehr beglückt, eine unserer besten Berliner Schauspielerinnen kennenzulernen.“
Darauf geleitete Frau von Manngold die drei Besucher durch das ganze Haus. Oben von einem Turmzimmer konnte sich Martin gar nicht trennen, er war von der Einrichtung begeistert.
„Ach, auch einmal so ein Zimmerchen allein bewohnen zu dürfen,“ seufzte er sehnsüchtig.
Der Baron legte ihm den Arm um die Schulter.
„Das kannst du doch, Jungchen, wenn deiner Schwester dies Haus gefällt, soll das Turmzimmer dein Eigentum werden.“
„Wird es dann aber genau so eingerichtet wie jetzt?“
Der Baron zog ihn dichter an sich.