Der Weg zum neuen Leben - Hans Ernst - E-Book

Der Weg zum neuen Leben E-Book

Hans Ernst

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Beschreibung

Beate ist behütet und sorglos aufgewachsen. Daher wirft es sie vollkommen aus der Bahn, als sie von der Untreue ihres Verlobten erfährt. Beate verlässt ihr Elternhaus und verbringt zunächst als Sommergast einige Wochen in einem kleinen Gebirgsdorf. Doch das Geld wird ihr knapp, und so verdingt sie sich als Erntehelferin. Für Beate beginnt der Weg in ein neues Leben, auf dem schließlich der Bauernsohn Andreas sie liebevoll begleitet.

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LESEPROBE ZU

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2005

© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelbild: Studio von Sarosdy, Düsseldorf

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

eISBN 978-3-475-54735-5 (epub)

Worum geht es im Buch?

Hans Ernst

Der Weg zum neuen Leben

Beate ist behütet und sorglos aufgewachsen. Daher wirft es sie vollkommen aus der Bahn, als sie von der Untreue ihres Verlobten erfährt. Beate verlässt ihr Elternhaus und verbringt zunächst als Sommergast einige Wochen in einem kleinen Gebirgsdorf. Doch das Geld wird ihr knapp, und so verdingt sie sich als Erntehelferin. Für Beate beginnt der Weg in ein neues Leben, auf dem schließlich der Bauernsohn Andreas sie liebevoll begleitet.

1

Beate Weinherr geht, den Tennisschläger unter dem Arm, durch die gepflegten Parkanlagen. Von allen Türmen der Stadt läuten die Mittagsglocken. Schatten spendend breiten sich die Äste der alten Bäume über die um diese Zeit so stillen Wege. Die Ruhebänke sind zum größten Teil verlassen. Nur vereinzelte Gruppen sieht man noch sitzen. Eine junge Mutter hier, die in aller Seelenruhe den funkelnagelneuen Kinderwagen mit dem schreienden Baby heftig schaukelt und nebenbei ein Heft liest. Und dort eine andere junge Frau mit einem Soldaten, die bei Beates Näherkommen etwas von ihrem Nachbarn abrückt.

Beate empfindet immer so etwas wie Beschämung bei einem solchen Anblick. Da scheinen die beiden alten Rentner, an denen sie jetzt vorübergeht, noch aus einer anderen Welt zu stammen. Sie sitzen da, grau und gebeugt, aber mit stiller Heiterkeit die Ruhe dieser Mittagsstunde genießend.

Beate hat nun den Stadtpark verlassen, steht auf der Straße und wartet auf eine Straßenbahn. Um sie herum braust der tausendfache Lärm der Großstadt. Autos flitzen an ihr vorüber. Reifen zischen auf dem Asphalt, mit ohrenbetäubendem Lärm preschen Motorradfahrer durch jede kleinste Lücke im Verkehr. Jeder hat es auf seine Weise eilig. Jeder will so schnell wie möglich zum Mittagessen daheim sein.

Eigentlich muss es schön sein, denkt Beate, nach getaner Pflicht die Mittagspause genießen zu dürfen. Freilich ruft auch hernach gleich wieder die Arbeit und es mag schon ein mühsames Leben sein, ein karges Leben vielleicht, aber doch ein ausgefülltes Dasein.

Endlich kommt ihre Straßenbahn, in die sie sich hineinzwängen muss, um noch einen bescheidenen Stehplatz zu finden. Beate muss durch die ganze Stadt fahren, denn die Villa ihrer Eltern liegt ziemlich weit draußen in einem ruhigen Viertel, abseits von jedem Verkehr. Früher, als Vater noch im Dienst war, haben sie mitten in der Stadt gewohnt. Damals ist auch das Leben der Familie Weinherr noch einfacher gewesen. Immer schon wohl geordnet, gewiss, aber doch eine Existenz in etwas bescheideneren Grenzen, weil man sich eben mit dem Gehalt eines Beamten einrichten musste.

Das allerdings liegt schon mehrere Jahre zurück. Eines Tages machten die Weinherrs nämlich eine größere Erbschaft und ihr Dasein bekam plötzlich ein anderes Gesicht. Herr Weinherr ist allerdings gerade um diese Zeit von einem schmerzhaften Leiden betroffen worden, das ihn gezwungen hat aus dem Dienst auszuscheiden und sein Leben im Rollstuhl zu verbringen. Nur noch für seine Rosen lebt er, die in reicher Fülle im großen Garten der Villa blühen. Dieser Garten ist in seiner Schönheit ein Paradies. Tausend Rosen blühen wohl darin, die schönsten und seltensten ihrer Art.

Doch dieses Rosenparadies verbirgt sich fast ängstlich vor den Augen anderer Menschen. Eine hohe Mauer schließt es hermetisch von der Außenwelt ab und nur durch das kunstgeschmiedete Einfahrtstor kann man einen Blick auf die weiße Villa tun, die von hohen Ziersträuchern umschattet ist.

Alles in allem hat es den Anschein, dass hier Menschen wohnen, die sich gänzlich vom Treiben der Welt zurückgezogen haben und nur noch Ruhe wollen. Das trifft aber nur bedingt zu, denn die Frau des Hauses will von Ruhe nichts wissen.

Nichts hasst Margret Weinherr so sehr wie diese Zurückgezogenheit. Ist sie denn schon alt mit ihren fünfundvierzig Jahren? Ist es nicht tödlich langweilig, den ganzen Winter hier verbringen zu müssen, obwohl es an Geselligkeit wirklich nicht mangelt? Wenn es Sommer wird, dann fliegt Margret aus. Sie reist gern und viel von Bad zu Bad, trinkt dort ein Heilwasser, tut hier etwas gegen ihre Krankheiten, die sie gar nicht hat, und lässt sich bewundern. Und es gibt immer viel Aufregung und Lärm im Hause des wirklich kranken Erwin Weinherr, bis die Reisepläne genau durchgesprochen, die Koffer gepackt sind und Margret fort ist.

Diesen Sommer aber ist der Reiseplan ins Wasser gefallen. Eine Verschlimmerung seines Leidens hat Herrn Weinherr das ganze Frühjahr hindurch ans Bett gefesselt und keiner hat geglaubt, dass er diesen Anfall überstehen würde. Aber er hat sich durchgekämpft, hat die Krise überwunden. Darüber ist allerdings der halbe Sommer vergangen und Margret Weinherr hat sich schweren Herzens entschlossen in diesem Jahr nicht zu reisen.

Als Beate zu Hause ankommt, erblickt sie zwischen den Rosenstöcken den silbrig schimmernden Scheitel des Vaters. Er ist in seinem Rollstuhl eingeschlafen und die Sonne liegt glühend heiß auf seinem Gesicht. Behutsam schiebt sie den Rollstuhl in den Schatten. Dabei erwacht der Vater.

»Ach, du bist es, Beate? Ist es denn bereits so spät, dass du schon zurück bist? Ich glaube, ich habe geschlafen.«

»Ja, Vater. Ich habe dich nur ein wenig in den Schatten geschoben.«

»Danke, Beate. Aber es macht mir nichts aus – die Sonne, meine ich. Sie ist für alles gut. Willst du ein paar Rosen haben?« Er neigt sich zur Seite und schneidet einige weiße Rosen ab. Eine große Seltenheit ist das, denn der alte Herr geht sehr vorsichtig um mit seinen Lieblingen.

»Bleibst du ein wenig bei mir?«, fragt der Vater.

»Sehr gern«, antwortet Beate und horcht zum Haus hinüber, aus dem eine laute, scheltende Stimme herüberklingt. Frau Weinherr lässt ihren Zorn über diesen verpfuschten Sommer nur allzu gern am Hausmädchen aus.

Der Kranke lächelt nachsichtig. »Du musst heute ein bisschen mit ihr fortfahren«, sagt er mit seiner leisen Stimme. »Deine Mutter wird nervös, wenn sie keine Ablenkung hat.«

Beate ist zwar nicht recht erbaut von diesem Vorschlag, denn mit Margret spazieren zu fahren ist ein recht zweifelhaftes Vergnügen. Aber sie kann dem Vater keinen Wunsch abschlagen und nickt zustimmend: »Wenn du meinst?«

»Wie war es heute beim Tennis?«, fragt der Vater ablenkend.

»Wie immer. Wolfgang Klingerham lässt dich grüßen.«

»War er dein Partner?«

»Er will ja sonst mit niemandem spielen.«

»Das wird schon seinen Grund haben. Du willst es nur immer noch nicht merken, Beate.«

»O doch, Vater. Ich weiß genau, was es zu bedeuten hat. Aber ich mache mir nichts daraus.«

»Du solltest dir das doch überlegen, Beate. Wolfgang wird einmal den umfangreichen Betrieb seines Vaters übernehmen. Und er ist ein tüchtiger Mensch, das lässt sich nicht bestreiten.«

Beate sieht den Vater an. Um ihren Mund zuckt es. »Ein tüchtiger Mensch? Er spielt ausgezeichnet Tennis, fährt ein teures Auto, trägt tadellose Anzüge, tanzt gut, kennt die neuesten Hits und setzt sich einmal sorglos in das warme Nest, das sein Vater ihm hergerichtet hat. Ob dazu große Tüchtigkeit gehört?«

Erwin Weinherr sieht seine Tochter aufmerksam an. »Manchmal hast du sonderbare Gedanken, Beate.«

»Weil ich das Leben – unser Leben manchmal gar nicht recht begreife. Wenn andere Menschen arbeiten, damit sie leben können, spielen wir Tennis, reiten oder fahren Auto, nur um die Zeit totzuschlagen. Schau einmal, Vater, ich zum Beispiel weiß gar nicht, wie das ist, sich selber etwas zu verdienen und sich dann mit diesem selbst verdienten Geld etwas kaufen zu können.«

»Vielleicht hat du Recht, Beate.« Des Vaters schmale Hände gleiten zitternd über die Decke auf seinem Schoß. »Aber lass nur diese revolutionären Gedanken nicht vor deiner Mutter laut werden. Im Übrigen, denke ich, wird es Zeit zum Essen sein.«

Beate schaut auf ihre Uhr.

»Ja, es wird gleich so weit sein. Darf ich dich nur noch schnell etwas fragen, Vater?«

»Du weißt doch, dass du mich immer fragen darfst.«

»Liegt es auch in deinem Interesse oder wünschst du es unbedingt, dass ich Wolfgang Klingerham heirate?«

Erwin Weinherr sieht sie prüfend an. »Wenn du ihn nicht liebst, hat es keinen Sinn.«

»Nein, Vater, ich liebe ihn nicht. Und ich danke dir, dass du mich verstehst.«

Beate schiebt jetzt den Rollstuhl ins Haus. Damit die Stufen kein Hindernis bilden, hat man eine kleine Auffahrt angelegt. Die weiten Flügeltüren öffnen sich lautlos und gehen hinter ihnen wieder zu.

Im Speisezimmer ist bereits gedeckt. Der Sohn des Hauses, Alfons Weinherr, wartet dort bereits mit hochmütigem Gesicht auf die anderen. Sosehr man auch den Kranken und seine kleinen Eigenarten heimlich belächelt, wagt es doch niemand, sich herauszunehmen, mit dem Essen anzufangen, bevor der Rollstuhl an die Stirnseite des Tisches geschoben und hochgeschraubt ist, sodass der Kranke aufrecht sitzt wie in einem Stuhl. Man muss sich auch noch so lange gedulden, bis der Vater in einem kurzen, leisen Gebet die Lippen bewegt hat und anschließend sein »Mahlzeit« sagt.

Kerzengerade sitzt Margret Weinherr da und schöpft ihrem Gatten die Suppe auf den Teller. Dann reicht sie den Schöpflöffel hinüber. »Bitte, bediene dich, lieber Alfons.«

Schweigen. Nur das leise Klingeln der Löffel ist zu hören. Alfons hat seine Suppe gegessen, richtet seine Serviette neu und sagt dann: »Dass ich es nicht vergesse, Beate, ich habe für heute Abend noch ein paar Opernkarten. Aida wird gegeben. Du kommst doch mit? Ich werde hernach gleich Wolfgang anrufen.«

Kaum merklich zieht Beate die Brauen zusammen. »Diese Mühe kannst du dir sparen. Vater hat vorhin gerade gesagt, dass ich mit Mutter ein wenig fortfahren soll.«

»Aber bis zum Abend sind wir längst zurück«, schaltet sich Margret ein. »Ruf nur Herrn Klingerham an, Alfons, und gib ihm Bescheid.«

Alfons und Wolfgang sind Freunde seit ihrer gemeinsamen Studienzeit. Dadurch hat Beate Wolfgang Klingerham kennen gelernt.

Beate hat plötzlich das Gefühl, dass es endlich Zeit wird, etwas gegen die Absichten ihrer Mutter und des Bruders zu unternehmen. Vorerst aber schweigt sie, weilsie weiß, dass der Vater es nicht leiden kann, wenn während des Essens so viel gesprochen wird.

Als sie mit dem Essen fertig sind, geht sie dem Bruder ins Nebenzimmer nach und kann ihn gerade noch hindern zu telefonieren.

»Lass das, Alfons! Ich habe heute wirklich keine Lust in die Oper zu gehen.«

»Lust? Dazu braucht man doch keine Lust. Man geht einfach.«

»Nein, dazu muss man innerlich vorbereitet sein. Verdi war ja schließlich kein Schlagersänger und hat ein Anrecht darauf, dass man sich auf sein Werk vorbereitet.«

Alfons zieht die Brauen hoch. »Das sind Ausflüchte. Willst du dich nicht näher erklären?«

»Doch«, sagt Beate schnell und schließt zunächst einmal die Tür hinter sich. »Ich glaube nämlich, dass es Zeit ist, dir reinen Wein einzuschenken. Du brauchst dich in Zukunft nicht mehr zu bemühen, mich und Herrn Klingerham zusammenzubringen. Ich bin selber alt genug um zu wissen, was ich tun muss.«

»Das scheint mir allerdings sehr zweifelhaft«, antwortet Alfons hochmütig und richtet seine Krawatte. »Du spielst doch auch Tennis mit Wolfgang Klingerham.«

»Verpflichtet mich das zu etwas?«

»Natürlich nicht. Aber du darfst nicht vergessen, dass er dich liebt.«

»Warum sagt er mir das nicht selbst? Warum steckt er sich immer hinter dich und du steckst dich dann wieder hinter die Mutter?«

»Was würdest du ihm antworten, wenn er dich selber fragen würde?«

»Ich würde ihm antworten, was mir mein Herz eingibt. Und das sagt Nein.«

»Aha, du liebst einen anderen, das ist es.«

Beate schaut ihn ruhig an. Dann sagt sie: »Du täuschst dich. Es ist mir noch keiner begegnet, für den ich gefühlt hätte, was man fühlen muss, wenn einem jemand die entscheidende Frage stellt.«

Alfons zündet sich eine Zigarette an und schielt über das bläuliche Licht des Feuerzeugs in Beates Gesicht. »Na, dann lass dir nur das Warten auf den Besonderen nicht verdrießen. Sei doch nicht gar so albern! Erwarte dir nur kein Wunder von der Liebe. In Wirklichkeit ist sie doch nichts anderes als ein Glücksspiel. Manchmal trifft man ins Schwarze und dann wieder ganz daneben.«

»Du vielleicht schon. Was ich von der Liebe erwarte, darüber möchte ich mit dir nicht streiten, denn dir fehlt der Sinn dafür. Ich glaube noch immer, dass sie das Größte und Höchste in einem Menschenleben ist. Man müsste bereit sein können für einen Menschen zu sterben …«

»Danke, das Vergnügen überlasse ich gern dir«, spöttelt Alfons. »Was mich betrifft, so hänge ich vorläufig noch viel zu stark an dieser netten und liebenswerten Existenz, die man Leben nennt.«

»Du armer Narr«, sagt Beate und geht hinaus.

In ruhiger Fahrt gleitet der Mercedes auf der gut ausgebauten Straße dahin. Durch dunkle Wälder geht es, dann wieder vorüber an grünen Wiesen und goldgelben Getreidefeldern. Durch das geöffnete Seitenfenster weht Sommerduft herein. Die Sonne steht am wolkenlosen Himmel, die Luft flimmert vor Hitze. Merkwürdig, dass es Menschen gibt, die einem einen solch herrlichen Sonnentag auf jede Weise verderben können. Immer hat Margret Weinherr etwas zu kritisieren und zu nörgeln.

»Siehst du denn nicht, Beate? Dort vorne kommt uns doch etwas entgegen.«

Beate hat es selbstverständlich längst gesehen. Sie sieht auch die Warnungstafel, die ein starkes Gefälle ankündigt.

Aber die Mutter fängt schon wieder zu lamentieren an: »Was ist denn das? Ein starkes Gefälle, nicht wahr? Ich hoffe, Beate, die Bremsen sind in Ordnung.«

»Ich hoffe«, antwortet Beate, »dass Alfons sie nicht zu Schanden gefahren hat.« Beate ist sonst nicht schadenfroh, aber sie weidet sich nun ein wenig an der Angst ihrer Mutter. Sie fasst das als eine kleine Entschädigung für den verdorbenen Nachmittag auf.

»Um Himmels willen, was wird dann, wenn die Bremsen nicht in Ordnung sind?«, jammert die Mutter.

»Dann? Dann – geht es eben dahin.«

»Halte sofort! Ich befehle dir, dass du sofort hältst, Beate. Es muss doch noch einen anderen Weg geben. Oder du musst den ersten Gang hineintun.«

»Der zweite genügt auch«, lächelt Beate. »Es sind nur zwölf Prozent, habe ich gelesen.«

»Ich hoffe, dass der zweite Gang genügt. Mit Alfons ist es schon ein anderes Fahren. Der ist die Sicherheit selbst. Aber bei dir muss man sich ständig aufregen.«

Beate erträgt das alles mit Engelsgeduld und schweigt.

Als sie das Gefälle hinter sich haben und wieder auf ebener Straße sind, sagt Margret: »Damit ich es nicht vergesse, Beate, Herr Klingerham könnte an jedem Finger eine haben und bräuchte nicht auf dich versessen sein.«

»Ist er denn das?«, fragt Beate und wirft einen kurzen Blick auf das Gipfelkreuz eines heranrückenden Berges. Dort oben stehen dürfen, denkt sie inbrünstig. Ganz allein da oben stehen dürfen! Dann müsste man doch herauskommen aus diesem Eingeengten, die Sklavenketten müssten fallen. Ist sie denn im Grunde genommen etwasanderes als eine Sklavin? Immer bevormundet, immer bekrittelt, niemals frei und unabhängig.

»Ich möchte keinen Zweifel daran lassen«, beginnt Margret wieder, »dass uns Wolfgang Klingerham als Schwiegersohn willkommen wäre. Hier gehen wir auch mit dem Vater einig. Ganz abgesehen davon, dass Alfons mit Wolfgang eng befreundet ist.«

»Soll das heißen, dass ich mich auch schon von Alfons bevormunden lassen soll?«

Margret gibt es einen Riss. »Wer spricht denn hier von Bevormundung? Wir haben alle nur dein Bestes im Auge. Und du brauchst gar nicht wieder wie vorhin den Mund zu verziehen. Ich habe es wohl gesehen! Herr Klingerham hätte es nicht nötig, auf dich zu warten.«

»Da hast du vollkommen Recht, Mutter.«

Die Mutter ist nicht ganz sicher, wie das gemeint ist, und sieht Beate fragend ins Gesicht. Aber dieses Gesicht ist unbewegt, es ist ganz ruhig und klar. Die Augen sind in die Landschaft gerichtet. Das blonde Haar flattert im Wind.

Eine Schönheit ist sie, denkt Margret nicht ganz ohne Stolz. Aber was ist eigentlich mit dem Mädel los? Nun ist sie bald zweiundzwanzig, in einem Alter also, wo andere schon verheiratet oder wenigstens verlobt sind. Wie ist es nun möglich, dass sie an Männern immer noch kein Interesse hat? Oder ist alles nur Maske? Ist diese Ruhe, die von Beate ausgeht, nur ein stilles Wasser, das tief gründet? Vielleicht hat sie ihr Herz schon an einen anderen verschenkt? Dieser Gedanke durchfährt Margret Weinherr wie ein brennender Schmerz.

»Höre, Beate, hast du dich vielleicht hinter unserem Rücken schon anderweitig gebunden?«

Beate schüttelt lachend den Kopf. »Was du für Sorgen hast, Mutter.«

»Bin ich froh!« Margret begleitet ihre Worte mit einem tiefen Seufzer.

»Warum bist du darüber froh, Mutter?«

»Weil ich mir nicht vorstellen kann, dass es ein anderer wäre. Wir haben Herrn Klingerham schon so in unseren Kreis einbezogen, dass es nicht denkbar wäre, wenn es anders käme.«

»Wenn ich ihn aber gar nicht liebe?«

»Das wäre ja noch schöner! So einen Menschen muss man eben lieben. Deine Vorstellungen von der Liebe scheinen recht merkwürdig zu sein.«

»Aha, mein gutes Bruderherz hat wieder einmal gequatscht?«

»Beate, ich muss dich bitten! Alfons quatscht nicht. Er hat sich nur offen mit mir ausgesprochen. Er ist eben offenherziger als du und hat mehr Vertrauen zu seiner Mutter. Es wäre gut, wenn du das etwas beherzigen würdest. Du hörst doch zu, Beate?«

»Ich höre schon zu, Mutter. Aber es wäre besser, wenn wir von etwas anderem sprächen. Schau, der Tag ist doch so schön. Warum wollen wir ihn uns mit nutzlosem Gerade verpatzen?«

»Du hast eigentlich Recht. Aber den Mund brauchst du nicht wieder zu verziehen, wenn von Wolfgang Klingerham die Rede ist.«

Beate schweigt nur. Sie muss ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Verkehr lenken. Sie fahren durch Bad Wiessee, dann die kurvenreiche Strecke nach Rottach, durch Tegernsee und dann den See entlang, um kurz vor Gmund abzubiegen und die Bergstraße zum Café Schwärzenbach hinaufzufahren.

Viel lieber wäre Beate am See geblieben. Da hätte sie sich wenigstens auf ein paar Stunden von der Mutter freimachen können, denn Margret kann nicht schwimmenund hat deswegen eine tiefe Abneigung gegen jedes große Wasser.

Das auf freier Höhe stehende Café Schwärzenbach ist um diese Nachmittagsstunde gut besucht. An der Auffahrt reiht sich Wagen an Wagen. Margret sieht auch schon ein paar Bekannte. Große Freude auf beiden Seiten, gegenseitiges Händeschütteln, und Margret ist mit einem Schlag glänzender Laune.

Die Stunden gehen schnell vorüber und auf einmal ist der Abend da. Leichte Nebel ziehen vom See herauf, auf den Bergen leuchtet in wilder Schönheit das Abendrot.

Eine Bauernfamilie kehrt gerade von der Feldarbeit heim. Groß gewachsene, sehnige Gestalten sind es. Braun gebrannt sind ihre Gesichter, die Arme und die nackten Knie. Der Geruch von frischem Grummet und Wald haftet an ihnen. Obwohl sie sicher einen schweren Arbeitstag hinter sich haben, ist ihre Haltung aufrecht, sie scheinen guter Laune zu sein. Ihre Augen sind blank. Einer pfeift ein Lied.

Beate ist in ein nachdenkliches Träumen versunken und erschrickt über die Stimme der Mutter, die plötzlich neben ihr ist.

»Ich glaube, Kind, wir müssen nun an die Heimfahrt denken. Schade. Wie schnell doch die Zeit vergeht!«

Die Sonne ist nun endgültig schlafen gegangen. Eine große Ruhe lagert über dem See, in dem sich bereits die ersten Sterne spiegeln. Mit aufheulendem Motor fährt Beate über den Gmunder Berg hinauf und lässt auf der schönen Straße den Kilometerzähler bis hundertdreißig steigen.

Die Mutter hat jetzt nichts mehr dagegen einzuwenden. Weit zurückgelehnt sitzt sie neben Beate und lässt ihr Haar im Fahrtwind flattern, der durch das halb geöffnete Fenster hereinweht.

»Das war wirklich ein reizender Nachmittag«, sagt sie einmal. »Warum hast du eigentlich nicht getanzt, Beate?«

»Ich hatte keine Lust dazu.«

»Mitunter bist du so pedantisch wie dein Vater. Im nächsten Sommer musst du einmal mit mir reisen. Ich bin überzeugt, dass du dann aufgeschlossener wirst.«

Der Mond steigt gespenstisch groß hinter den blauen Schatten der Wälder herauf und beleuchtet die Autobahn fast taghell. Schon sieht man in der Ferne den hellen Schein der Großstadt am Horizont. Zuweilen schießt ein Wagen neben ihnen vorbei, manch anderen überholen sie. Als sie zu Hause ankommen, ist es halb elf Uhr.

2

Beate Weinherr hat sich gleich nach dem letzten Ballwechsel von Wolfgang Klingerham verabschiedet und ist ins Klubhaus gegangen um ihre Frisur in Ordnung zu bringen. Als sie wieder herauskommt, steht Klingerham da und wartet auf sie. Beate zeigt Überraschung.

»Ich dachte, Sie wären schon heimgefahren, Wolfgang.«

Er schüttelt den Kopf. »Ich habe heute den Wagen zu Hause gelassen. Darf ich Sie ein wenig begleiten, Beate? Ich weiß wirklich nicht, wie ich den schönen Abend sonst totschlagen soll.«

Was sollte Beate dagegen haben? Auch sie hat noch keine rechte Lust nach Hause zu gehen. Der Abend ist so schön und voll lockender Wärme. Der Wind rauscht in den Bäumen und in den Wipfeln zittert ein sanftes Abendrot. Vom Chinesischen Turm herüber klingt traumverloren eine Walzerweise.

Etwas beklommen geht Beate neben dem jungen Mann. Sie kennt ihn nun seit einem Jahr und doch scheint es ihr, als ginge heute ein Fremder neben ihr. Noch niemals hat er nach dem Tennisspiel auf sie gewartet. Sie betrachtet verstohlen sein Gesicht, ein Gesicht wie hundert andere auch. Vielleicht ist es ein hübsches Gesicht, aber zu weichlich für einen Mann.

In diesem Augenblick fragt er: »Wollen Sie direkt nach Hause, Beate?«

»Eigentlich ja.«

»Keine Lust zu einer Tasse Kaffee? Ein wenig Musik und Tanz?«

»So wie ich bin? Im Sportkleid?«

»Sie sehen in jedem Kleid fabelhaft aus.«

»Soll das eine Schmeichelei sein?«, lacht Beate.

»Ihnen braucht man nicht zu schmeicheln, Beate. Aber – könnten wir uns vielleicht hier auf eine Bank setzen? Vorausgesetzt natürlich, dass Ihnen meine Gegenwart nicht lästig ist.«

»Lästig? Nein, wie kommen Sie darauf, Wolfgang? Wenn Sie mir lästig wären, hätte ich niemals mit Ihnen Tennis gespielt.«

Wolfgang Klingerham steuert auf eine Bank zu, wischt mit seinem Taschentuch darüber und lässt erst Beate Platz nehmen.

»Das sagt eigentlich gar nichts, Beate. Tennis spielen kann man mit jedem.«

Beate gibt keine Antwort. Aber ihre Spannung wächst. Sie sieht etwas Unentrinnbares auf sich zukommen. Der Wind singt sein Abendlied in den Büschen. Manchmal geht ein Liebespaar vorüber, eng aneinander geschmiegt.

Beate fühlt, wie sich etwas Schweres auf ihr Herz senkt. Sitzt sie nicht selbst mit einem jungen Mann auf einer Bank, ein wenig verborgen von den tief hängendenÄsten einer Birke? Ja, aber es ist alles so fremd. Der Mann scheint die Sprache verloren zu haben, er weiß absolut nichts zu sagen. Die Tennisschläger liegen zwischen dem hellen Saum ihres Kleides und ihm. Ein Hindernis sozusagen, eine kleine, selbst gesetzte Grenze …

Vielleicht empfindet das auch Wolfgang Klingerham. Es ist seltsam, denn sonst ist er Mädchen gegenüber alles andere als schüchtern. Aber diese hier, die ist von anderer Art. Bei ihr kann es keine Tändelei geben, kein Spiel, wie er es kennt und liebt. Darum ist es auch nicht so einfach, die Tennisschläger fortzunehmen, die kleine Grenze zu beseitigen, das Mädchen einfach in die Arme zu nehmen und zu küssen.

Beate Weinherr ist ihm keineswegs gleichgültig. Auch haben ihm die Eltern schon einige Male Vorhaltungen gemacht, er möge sich nun ernstlich binden. Frau Weinherr hat gelegentlich einmal durchblicken lassen, dass Beate ein Vermögen von mindestens einer Million Mark zu erwarten habe. Das Geschäft, das er von seinem Vater übernehmen soll, kann eine solche Auffrischung gut brauchen. Also liegt es jetzt nur an ihm, ein Mann zu sein, der sich der Stunde gewachsen zeigt.

Immer stiller wird der Abend, immer tiefer das Schweigen ringsum. Aber das Mädchen hat so etwas Unnahbares. Ohne dass sie etwas sagt, baut sie eine unsichtbare Grenze zwischen sich und ihm auf. Verzweifelt sucht er nach einem richtigen Anfang und plötzlich hört er sich sprechen. Ja, er erschrickt fast, als er seine eigene Stimme hört.

»Ich habe eigentlich schon lange auf solch eine Stunde mit Ihnen gewartet, Beate.«

Beate hat die Hände im Schoß gefaltet und blickt durch die Äste der Birke, wo sie ferne einen Stern flimmern sieht. Sie wendet den Kopf auch jetzt nicht, alsWolfgang Klingerham die Tennisschläger wegnimmt und auf die andere Seite legt. Erst als er plötzlich ganz nahe an sie heranrückt, sieht sie ihn an.

»Ich hatte immer den Eindruck, Wolfgang, dass Sie sich woanders viel wohler fühlen als in meiner Nähe.«

»Woanders? Wo denn?«

»Bei Tanz und Wein und – schönen Frauen.«

Klingerham runzelt die Stirn. Das mit den schönen Frauen hätte sie nicht zu sagen brauchen. Sie ist viel schwieriger, als ich gedacht habe, denkt er.

»Sie mögen vielleicht Recht haben. Aber manches sieht doch in Wirklichkeit ein wenig anders aus, als Außenstehende es gerne deuten. Und dann, Beate, man wird doch auch älter und fängt an vernünftiger zu denken. Sehen Sie, Beate«, er legt plötzlich seine Hand beschwörend auf die ihre, »ich wollte schon so oft mit Ihnen sprechen. Aber Sie waren immer so kalt, so unnahbar, Sie haben mich immer mutlos gemacht. Und doch liebe ich Sie seit langer Zeit, Beate. Das kann Ihnen doch unmöglich entgangen sein.«

Rasch entzieht ihm Beate ihre Hand. »Zu wie vielen haben Sie denn das schon gesagt?«

»Bitte, Beate, missverstehen Sie mich nicht. Ich habe gesagt, dass ich Sie liebe. Das ist doch nicht gleichbedeutend mit vorübergehender Verliebtheit. Das gehört ja alles der Vergangenheit an.«

»Einfach weggewischt und abgetan?«, fragt sie voll Staunen.

Wolfgang Klingerham lächelt, aber sein Schwerenöterlächeln will ihm nicht recht gelingen unter ihrem forschenden Blick.

»Wolfgang, ich habe Sie vor etwa vierzehn Tagen in Begleitung einer Frau ins Café Luitpold gehen sehen. Sie brauchen gar nicht verlegen werden oder mir Rechenschaft ablegen. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass es mich doch etwas merkwürdig berührt, wenn Sie heute zu mir von Liebe sprechen.«

Ich habe es verkehrt angepackt, denkt Wolfgang Klingerham. Sie hat mich also mit Anita gesehen, mit diesem verteufelten Mädel. Wie Licht und Schatten stehen Beate und Anita gegeneinander. Und doch lässt es sich nicht leugnen, dass auch Beate ihn heftig erregt und sein Blut rebellisch macht. Es geht ein Fluidum von ihr aus, das berauschen kann. Ganz heiß steigt es in ihm auf, in seinen Schläfen pocht es und es mag wohl die Dunkelheit sein, die ihm plötzlich den Mut gibt, ihr den Arm um die Hüfte zu legen, sie zu küssen und zu sagen, dass er sie liebe und niemals wieder nur den kleinsten Gedanken an eine andere verschwenden werde.

Beate vernimmt jedes einzelne Wort, lässt es tief in ihr Inneres fallen. Sie spürt seinen warmen Atem und sie empfindet mit einem Mal keine Angst mehr. Nur ein noch unbekanntes Erwarten ist in ihr.

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