Der weiße Koffer - Christian Eggert - E-Book

Der weiße Koffer E-Book

Christian Eggert

0,0

Beschreibung

Was ist eigentlich der Sinn des Lebens? Auf was für eine Vergangenheit möchten wir zurückblicken? Und wer wollen wir sein? Als Pilot Johannes ein Jobangebot aus Nairobi annimmt, konnte er noch nicht ahnen, wie elementar das sein Leben verändern würde. Bei einem Wiedersehen mit seinem Freund Richard nach langer Zeit am Strand der Nordseeinsel Juist, blicken sie auf völlig unterschiedliche Lebenswege zurück. Unterschiedliche Erkenntnisse aus ihrem Leben werden sichtbar und sie spüren, auf was es wirklich ankommt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 383

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Meiner Familie gewidmet

„Wir entscheiden in jedem Augenblick unseres Lebens darüber, auf welche Vergangenheit wir schauen werden“(Victor Frankl)

Inhaltsverzeichnis

Im Zug nach Norden

Jugendzeit im Münsterland

Flugschein und große Liebe

Trennung und Aufbruch nach Nairobi

Pilot in Afrika

Fernsehreportage

Der große Tag

Entführung

Flucht

Gefangene im Paradies

Neue Wege

Gefangen im Jemen

Rettungsflug

Gerichtsverhandlung

In Freiheit

Abschied

Sand in den Händen

Wiedersehen auf Juist

Im Zug nach Norden

Der Zug rollte durch das Emsland. Bis Norddeich-Mole waren es noch knapp 2 Stunden. Es war ein Samstag, der Zug hatte mal wieder Verspätung, aber das kannte Johannes aus unzähligen zurückliegenden Besuchen an der Nordsee. Er hatte deswegen die späte Fähre nach Juist gebucht. Wenn er sie verpassen würde, bliebe ihm nur die Übernachtung in diesem zu dieser Jahreszeit gottverlassenen Norddeich, um am nächsten Morgen das Frühschiff um sechs Uhr zu nehmen. Es regnete. Johannes hatte das Gefühl, die Wolken berührten die Oberleitung über den Schienen und manchmal meinte er sogar ein paar kleine Schneeflocken zwischen den Tropfen zu sehen. Nun, es war Anfang November und da konnte es schon mal schneien. Waren das Kaltlufttropfen gemischt mit Griesel oder kleinen Hagelkörnern?

Johannes versank im Sitz des Großraumwagens Nr. 207 der Deutschen Bundesbahn und dachte an seine Ausbildung zum Privatpiloten vor weit über 20 Jahren. Wetterkunde, das war nicht gerade sein Lieblingsfach gewesen und die Prüfungsfragen erschienen ihm damals wie Wetternachrichten aus dem Fernsehen zusammengewürfelt nach einem scheinbar nicht zu durchschauenden System, es konnte zutreffen oder auch nicht. Doch wie wichtig Wetterprognosen und deren Einschätzungen für Flieger sind, hatte Johannes erst kürzlich erfahren. Jedenfalls hatte er auch heute für die Bahnfahrt und Schiffspassage zur Nordseeinsel Juist einen professionellen Wetterbericht in der Tasche. Es gehörte zu seiner täglichen Routine, sich einen Überblick über das Wetter zu verschaffen. Dazu benutzte er immer noch die amtlichen Flugwetterprognosen des Deutschen Wetterdienstes – für den Laien eine nicht zu verstehende Aneinanderreihung von Zahlen und Buchstaben. Johannes aber wusste das zu interpretieren, schließlich hatte er eine Flugerfahrung von weit über fünftausend Stunden.

So zog Johannes den von ihm noch morgens ausgedruckten Wetterbericht aus der Fronttasche seines Rucksacks, der neben ihm auf dem Sitz stand und fing an zu lesen: >>Emden 041540Z 07025G35KT OVC 0800 Q1001 NOSIG<<. Ihm wurde es mulmig, der Wind hatte nicht nachgelassen und Johannes hoffte, dass das Fährschiff überhaupt fuhr. Er erinnerte sich, dass das Wetter ihm so manches Mal einen Strich durch geplante Vorhaben gemacht hatte.

Das monotone Fahrgeräusch des Zuges ließ Johannes in einen oberflächlichen Schlaf fallen, aus dem er jäh gerissen wurde, als der Schaffner seine Fahrkarte kontrollieren wollte. „Die habe ich doch schon ihrem Kollegen vorhin vorgezeigt“, sagte er etwas knütterig. „Das Zugbegleitpersonal hat gewechselt“, sagte der Schaffner und somit müsse er nochmal einen Blick auf die Fahrkarte werfen. Etwas verschlafen reichte Johannes ihm den Flugwetterbericht, den er während seines Nickerchens noch in der Hand hielt. Der Schaffner schaute etwas irritiert und anhand seines Gesichtsausdrucks konnte man erkennen, dass er mit dem Stück Papier nichts anfangen konnte.

Nachdem Johannes den gültigen Fahrausweis zum wiederholten Abknipsen vorgezeigt hatte, fiel er in einen tiefen Schlaf und wurde erst kurz vor Emden von einem nervigen Gequäke geweckt. Es war die Ansage des Schaffners über die Bordlautsprecher, dass der Zug wohl in wenigen Minuten in Emden einfährt. Alles weitere war nicht zu verstehen und Johannes fragte sich, warum es bei den hohen Fahrpreisen der Bundesbahn nicht möglich sei, eine vernünftige Sprechanlage zu installieren. Er erinnerte sich an so manchen Funkspruch im Flugzeug. Besonders auf langen Distanzen über Wasser, Wüsten und dünn besiedelten Gebieten war die Phraseologie des Flugfunks schlecht zu verstehen. Um sicher zu gehen, dass das Gefunkte auch korrekt verstanden wird, ist es in der Luftfahrt zwingend vorgeschrieben, das Gesagte der anderen Luftfunkstelle immer exakt zu wiederholen, damit man sicher sein kann, dass alles korrekt übermittelt wurde.

Er stellte sich in diesem Augenblick vor, wie es denn wäre, wenn alle Zugreisenden die vom Schaffner gegebenen Informationen wiederholen würden möglicherweise würde das an ein kollektiv gesprochenes Vaterunser im Sonntagsgottesdienst in seiner Gemeinde in Senden erinnern. Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Und der mittlerweile zugestiegene Fahrgast gegenüber fragte sich bestimmt, ob das etwas mit ihm zu tun haben könnte. Aber das konnte Johannes ja nun wirklich nicht erklären und somit blieb es bis zum Zielort des Zuges in Norddeich-Mole beim nonverbalen Miteinander der beiden Fahrgäste. Schade, dachte Johannes, hätte er doch gerne mehr über den Menschen erfahren, wo er herkommt und wo er hin möchte. Doch dieser steckte seinen Kopf nur in die unzähligen Seiten der “Frankfurter Allgemeinen“ vom heutigen Tage. Er studierte offensichtlich durch die Prismen seiner Lesebrille die aktuellen Börsenkurse und ließ damit eindeutig erkennen, dass er an einem Gespräch nicht interessiert war.

Was macht so einer in Norddeich?, fragte sich Johannes. Irgendwie ließ ihn der Mann nicht los, er betrachtete sein Gegenüber so unauffällig wie es möglich war. Er trug einen gut geschnittenen Anzug aus offensichtlich feinem Tuch, seine Manschettenknöpfe schillerten in edlem Gold am Rande der Jackettärmel und beim Umblättern der Zeitung kam für wenige Sekunden eine Armbanduhr zum Vorschein, welche eindeutig auf ein nobles Uhrenfabrikat hinwies. So eine Uhr wollte Johannes immer mal besitzen und bis heute stand er manchmal mit sehnsüchtigen Augen vor der Panzerglasscheibe entsprechender Juweliergeschäfte. Sein Blick fiel auf einen feinen Lederkoffer. Dieser trug die Initialen einer weltbekannten Luxusmarke. Nicht zuletzt wurden seine Schuhe mit Sicherheit in einer edlen englischen Manufaktur auf Maß gefertigt.

Als er wieder mal die Zeitung wendete, blitzte im Licht der Leselampe einer der goldenen Manschettenknöpfe auf. Johannes wunderte sich. Was das wohl ist? Das Ding schien die Form einer Gewehrpatrone zu haben. Absurd, wer sollte so etwas als Manschettenknöpfe tragen. Plötzlich schaute der Mann ihn an. Johannes schaute schnell aus dem Fester und irgendwie überkam ihn das Gefühl, diesen Mann nicht das letzte Mal gesehen zu haben...

Johannes studierte den Fahrplan. In ungefähr 30 Minuten sollte der Zug planmäßig in Norddeich-Mole eintreffen und er würde trotz der obligatorischen Verspätung des Zuges das Fährschiff zur Nordseeinsel Juist noch entspannt erreichen. Der starke Wind hatte sich scheinbar etwas abgeschwächt, sodass er guten Mutes wurde, dass das Schiff ihn noch heute zur Insel bringen würde. Der Zug lief mit der “planmäßigen“ Verspätung an der Mole ein, Johannes richtete seinen Rucksack, zog sich die wärmende Daunenjacke an und verließ mit einem knappen Gruß zu seinem Gegenüber seinen Sitzplatz. Am Ausstieg angekommen rief jemand hinter ihm her: „Mein Herr, sie haben ihren Koffer vergessen, oder gehört dieser schneeweiße Koffer nicht zu Ihnen?“ Es war der Mann mit der FAZ. „Würden sie mir bitte noch beim Herunterhiefen des Koffers helfen?“, fragte Johannes. Der Herr mit der FAZ griff hilfsbereit nach dem Gepäckstück, musste sich aber entgegen seiner Erwartung etwas bemühen, den Koffer aus der Gepäckablage heraus zu holen.

Johannes schlenderte mit seinem Gepäck Richtung Fähre. Er ärgerte sich über sich selbst, dass er fast seinen Koffer vergessen hatte. Seine Gedanken wurden von der Lautsprecherdurchsage der Reederei unterbrochen. Das Schiff würde auf Grund des wieder zunehmenden Windes in wenigen Minuten auslaufen. Johannes ging an Bord und fand einen gemütlichen Platz am Fenster. Er war einer von vielleicht 30 Fahrgästen. Um diese Jahreszeit fuhren kaum Urlauber auf die Insel — die meisten an Bord waren Einheimische, die an Land Geschäfte erledigen oder Verwandte und Freunde besuchten. Mit einem lauten Tuten aus der Schiffssirene legte die Frisia V mit dem Ziel Juist ab.

Auf dem Plastiktisch vor Johannes dampfte eine Tasse Friesentee. Es wurde draußen dunkel, denn es war schon nach fünf. Das Schiff nahm Fahrt auf, fing leicht an zu schaukeln und suchte sich den Weg durch die Fahrrinne im Wattenmeer, welches Johannes unzählige Male aus dem Cockpit seines kleinen Privatfliegers bewundern durfte.

Er versank im Dufte des frischen Tees in Gedanken und dachte ein sein bevorstehendes Treffen mit Richard. Wie wird er wohl jetzt ausschauen?

_____________________________________________________

Richard hatte es sich im Sessel des Foyers im Kurhotel auf Juist gemütlich gemacht. Eine Tasse schwarzer Kaffee dampfte auf dem kleinen Tischchen neben ihm. Es wurde langsam dunkel und ein dezentes Licht erleuchtete das feudale Ambiente des Gebäudes, welches lange Zeit dem Verfall geweiht war und vor Jahren Dank einer finanzkräftigen Investorengemeinschaft aufwändig restauriert wurde. In der Nähe des Eingangsbereiches stand ein monströser Kerzenhalter, welcher offensichtlich noch aus der Zeit vor der Renovierung stammte und mit viel handwerklichem Geschick auf Hochglanz poliert mit seinen vielen Kerzen dem Foyer eine Stimmung vermittelte, die an die alten Zeiten herrschaftlicher Kurgäste erinnerte. Es waren zu dieser Jahreszeit offensichtlich nicht viele Gäste im Kurhotel — es war Anfang November und das windige und regnerische Wetter lud nicht gerade zu langen Strandspaziergängen ein. Trotz des schlechten Wetters hatte sich Richard um die Mittagszeit aufgemacht, um etwas durch den kleinen Ort zu laufen und um am Fährhafen auf den Fährfahrplan zu schauen, ob und wann das letzte Schiff aus Norddeich wohl anlegen würde. Er trug eine elegante Brille einer ganz besonderen Nobelmarke, mit Bügeln aus 18 karätigem Gold und ziemlich dicken Gläsern, durch die er trotzdem die kleinen Zahlen auf dem Fahrplan nicht erkennen konnte. Er fragte einen Bediensteten der Reederei, ob die Fähre trotz des starken Windes heute Abend pünktlich anlegen werde. Der Bedienstete schaute Richard von oben bis unten an, hielt kurz inne und brabbelte dann auf Plattdeutsch irgendetwas von vielleicht fährt sie oder auch nicht, das ist halt keine U-Bahn in einer Großstadt wo er wohl herkäme, das hier ist Friesland und hier gäbe es andere Gesetze. Das war Richard nicht gewohnt. War er es doch, der sonst die Regeln und Bedingungen aufstellte. „Wollen sie kein Geld verdienen?“, fragte er etwas pampig. Der Mann von der Reederei, mit einer großen Kapitänsmütze, Friesennerz und Gummistiefeln bekleidet, schaute fast mitleidig auf Richard und ließ ihn mit den Worten „Hier gehen die Uhren anders“, sinnbildlich im Regen stehen.

Der Regen wurde stärker. Wegen des starken Windes hatte Richard erst gar keinen Schirm mitgenommen. Er hatte doch erst kürzlich das neueste Modell einer sündhaft teuren Allwetterjacke in Frankfurt mit dem Versprechen erworben, dass sie vollkommen wasserundurchlässig sei. Doch der feine, vom Wind getriebene Regen zog nun doch langsam durch den edlen Stoff, sodass Richard sich, immer noch über den Typen von der Reederei ärgernd, so langsam wieder in Richtung Kurhotel bewegte. Auf dem Weg hielt er Ausschau nach einem Zeitungsladen, um sich die neue Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen“ zu kaufen, denn er verfolgte beinahe täglich die Aktienkurse. Der Zeitungsladen hatte geschlossen. Richard wurde langsam zornig. „Was ist denn das für ein Kaff“, murmelte er vor sich hin, „in Frankfurt kann man rund um die Uhr alles kaufen.“

Im Hotel angekommen bestellte er sich erst mal einen Kaffee, um sich wieder aufzuwärmen und ärgerte sich immer noch ein wenig, keine FAZ bekommen zu haben. Schließlich wurde diese Woche über den Börsengang seines Firmenimperiums entschieden. War das wirklich der richtige Ort, um hier mal seinen Lebensabend zu verbringen? Nun, wenn sein Unternehmen so wie geplant an die Börse ginge, würde er das Kurhotel aus seiner Portokasse kaufen. Die Luxussuite würde er sich schon entsprechend einrichten, aber keine tägliche FAZ und Fähren, die fahren wann sie wollen? Wer weiß wie die Uhren hier sonst noch so ticken? Er war es gewohnt nach einem straffen präzisen Plan zu leben, Zufälligkeiten und Unzulänglichkeiten konnte Richard nicht ertragen.

Angereist war er am Tage vorher. Sein Privatpilot Wilfried brachte ihn mit der konzerneigenen Turboprob Maschine von Frankfurt Egelsbach nach Juist. Üblicherweise flog er mit einem Turbinenjet, doch auf Juist waren Düsenflieger nicht zugelassen. Man hatte die Kabine der kleinen Turboprob allerdings nach individuellen Wünschen der Konzernleitung gestaltet, so gab es zwei feine Ledersitze, einen Kühlschrank und sogar einen Internetzugang. Doch Richard hatte mit den modernen Kommunikationsmitteln nichts am Hut, er überließ das Internetgerödel und Email-Gedöns, wie er immer sagte, seinen Mitarbeitern. Er hatte nur ein einfaches Mobiltelefon. Eigentlich wollte er früher in jungen Jahren auch mal den Flugschein machen, hatte sogar ein paar Flugstunden genommen und entwickelte durchaus eine gewisse Leidenschaft für die Fliegerei.

Seine geschäftlichen Aktivitäten ließen ihm jedoch zu wenig Freiraum, die Ausbildung zum Ende zu bringen. Ihm gehörten mittlerweile zumindest mehrere Privatflugzeuge, auch wenn er diese nicht selbst fliegen konnte. Nachdem Wilfried sich von seinem Arbeitgeber verabschiedet hatte, ließ er die Motoren im Rahmen eines Checks nochmal aufheulen und startete dann mit dem Ziel Frankfurt Egelsbach in den grauen Nordseehimmel. Richard sah im noch lange nach und etwas Wehmut überkam ihn. Er hatte doch auch früher mal davon geträumt, selber als Pilot auf die Inseln fliegen zu können. Der Flieger verschwand in den Wolken und Richard zog seine beiden Rollkoffer zum Ausgang, wo ihn der Kutscher eines Pferdetaxis in Empfang nahm.

Nach einer guten halben Stunde Fahrzeit hielt die Kutsche vor dem repräsentativen Kurhotel und ein Page begleitete ihn in das Foyer zur Rezeption. Der erste Eindruck ist gar nicht so schlecht, dachte er und checkte ein. „Wie lange wollen Sie bleiben?“, fragte der Rezeptionist, „sie haben kein Abreisedatum angegeben.“ „Das weiß ich nicht“, antwortete Richard still und leise.

Nachdem Richard sich nun, nach dem Spaziergang zum Hafen und zum geschlossenen Zeitungsgeschäft, an seinem Kaffee aufgewärmt hatte, bestellte er im Restaurant einen Tisch für zwei Personen, in der Hoffnung, dass sein Gast noch rechtzeitig die Fähre erreicht hatte und pünktlich zum geplanten Treffen heute um 20:00 Uhr da sein würde. Hoffentlich brachte er die neue FAZ und gute Nachrichten mit.

______________________________________________________

Die Fähre aus Norddeich erreichte die Insel Juist gegen 19:00 Uhr. Die wenigen Fahrgäste verließen das Schiff über eine kleine Treppe auf dem Oberdeck. Der Höchststand der Flut war bereits überschritten und so lag das kleine Fährschiff bereits tief im braunen Wattwasser und schaukelte immer noch leicht, die Leinen waren noch nicht ganz fest und die Fender erfüllten an der Hafenmauer mehr als ihre Pflicht. Johannes ging als einer der letzten von Bord und nur wenige Meter vor ihm entdeckte er den Mann mit der FAZ, der ihm im Zug gegenüber gesessen hatte. Komisch, dachte er, auf dem Schiff hatte er ihn unter den wenigen Fahrgästen gar nicht wahrgenommen. Die meisten Passagiere wurden von Angehörigen abgeholt. Ein älterer Herr, der eine Kappe mit dem Aufdruck “Kurhotel“ aufhatte, nahm den Mann mit der FAZ in Empfang; auf einem kleinen Handwagen verzurrte er den edlen Lederkoffer und dann zogen die beiden in Richtung Ortsmitte.

Johannes schnallte sich seinen Rucksack um, nahm seinen weißen Koffer in die linke Hand und ging gemächlich zu dem Hotel in der Ortsmitte. Er hatte für ein paar Tage reserviert; man kannte ihn hier noch. Es war stockdunkel, die Straßenbeleuchtung glich eher kleinen Funzeln aus der Gründerzeit, aber Johannes kannte sich hier gut aus. Mit seiner kleinen Cessna war er früher unzählige Male hier. So erreichte er nach einer knappen Viertelstunde sein Hotel. Es war, als wäre er gestern erst dort gewesen. Nach einem guten Essen und ein paar Bierchen verzog er sich in sein Zimmer und legte sich zu Bett. Wie wird wohl morgen das Wiedersehen mit meinem alten Freund Richard sein? Sie hatten sich eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gesehen. Mit diesem Gedanken schlief Johannes tief und fest ein.

„Hier gibt es keine aktuelle FAZ zu kaufen“, maulte Richard sein Gegenüber im Restaurant an, „kannst du dir das vorstellen?“ Horst konterte mit dem Hinweis: „Du kannst dir auch mal ein Smartphone zulegen, da kannst du zu jeder Zeit deine FAZ lesen, es gibt hier im Haus sogar freies WLAN.“ „Wenigstens das gibt es auf der Insel“, murmelte Richard, „die schalten das bestimmt bei Sonnenuntergang ab.“ „Jetzt sei mal nicht so zynisch“, erwiderte Host, „es war ja schließlich deine Idee sich hier zu treffen.“ „Hast du das Aktienpaket dabei?“, fragte Richard leise. „Und wie sieht es mit dem geplanten Börsengang aus?“

Jugendzeit im Münsterland

Richard wuchs in der Nähe von Frankfurt auf. Sein Vater war Angestellter der örtlichen Stadtverwaltung in Egelsbach im Bauordnungsamt, zuständig für die Ansiedlung neuer Unternehmen und Bereitstellung der möglichen Gewerbeflächen. Die Familie wohnte in einem kleinen Reihenhaus am Rande einer Siedlung. Seine Mutter war Arzthelferin in einer Hals-Nasen-Ohrenpraxis in der Innenstadt von Egelsbach. Beide Eltern gingen morgens um 07:00 Uhr aus dem Haus, sodass Richard und seine zwei Jahre jüngere Schwester Carina selbständig dafür sorgen mussten pünktlich um 08:00 Uhr in der Schule zu sein. Praktischerweise besuchten sie das gleiche Gymnasium. Das Geld zu Hause war immer knapp, jeder Euro floss in das eigene Haus. Richards Eltern hatten sich hoch verschuldet, um sich den Traum vom Eigenheim erfüllen zu können. Die Freunde von Richard hatten alle ein Moped, manchmal trafen sie sich nachmittags nach der Schule in einem nahegelegenen Wäldchen. Hin und wieder fuhren sie auch übers Wochenende mit Zelten in den nahegelegenen Spessart um Abzuhängen, Bier zu trinken und große Pläne für die Zukunft zu schmieden. Richard hatte kein Moped, das Taschengeld seiner Eltern reichte dafür nicht aus und somit war er immer auf andere angewiesen, was ihn zunehmend belastete. Er wusste bald recht genau, dass er dieses Leben seiner Eltern später nicht führen wollte.

Das ständige Rechnen, ob man sich denn einmal die Woche beim Italiener um die Ecke eine Pizza leisten könne, oder das Wälzen von Urlaubsprospekten im November, um für den folgenden Sommer irgendeine Pauschalreise mit Frühbucherrabatt zu ergattern. Richard hasste diese Reisen. Zwei Stunden vor Abflug am Flughafen sein, scheinbar endlose Schlangen am Counter, der gnädige Blick der Airline Angestellten beim Kofferwiegen wenn die Waage mal wieder ein paar Kilos zu viel anzeigt. Das ständige Vorzeigen von Flugticket und Pass. Das Gerödel in der Kabine, die engen Sitze und dieses ganze Verhalten mancher Passagiere mit Sekt und Bier, auch schon am Morgen, um in die vermeintlich schönsten Wochen des Urlaubs zu starten. Ätzend! Und dann abends im Restaurant dieses Gelaber, wo kommen Sie denn her, ach auch aus Frankfurt? Das ist ja toll, und wenn man auch noch in dasselbe Fitnessstudio ging, schien der Urlaub gerettet zu sein. Nach dem zweiten Glas Wein und dem: „ach wir können uns auch gerne Duzen“, kam man dann immer auch bald zur Frage der beruflichen Tätigkeiten. Da drehte sein Vater dann auf. Er hatte schon sehnsüchtig darauf gewartet und vermittelte dann jedem am Tisch den Eindruck, als wäre er der Regierungspräsident, dabei hatte er eher wenig zu entscheiden. Auch seine Mutter mutierte dann spätestens beim Absacker an der All-In-Bar zur Fachärztin, in der Hoffnung, nicht enttarnt zu werden. Und nach dem Urlaub wurden dann die Beschwerdeschreiben an die Reisegesellschaft ausgearbeitet; was da auf einmal alles so schlecht war?! Richard kotzte das alles nur noch an. Es wurde ihm immer deutlicher, so ein Spießerleben wollte er definitiv nicht in Zukunft führen.

Aber er hatte noch ein Jahr bis zum Abitur und ohne finanzielle Mittel schien ihm eine Trennung von zu Hause kaum möglich. Zumal er gerne Maschinenbau studieren wollte. Und das möglichst in Aachen, weil hier nach seinen Recherchen die Ausbildung auf einem sehr hohen Niveau stattfinden sollte. Mit Mittelmaß konnte er sich noch nie anfreunden. Also fing er an, auf das Abitur hinzuarbeiten, um möglichst beim Abschluss einen Numerus Clausus zu erreichen, der ihm dann den direkten Zugang zur Hochschule in Aachen sichert. Er wollte aus diesem Spießermuff raus.

Eines Abends berichtete sein Vater beim Abendessen, dass ein neuer Investor im Produktionsbereich Maschinenbau im Großraum Frankfurt für rund 500 Mitarbeiter einen geeigneten Standort sucht. Und er, also Richards Vater, wurde vom Baudezernenten beauftragt, geeignete Gewerbeflächen zu ermitteln. Es handelte sich um eine Maschinenfabrik mit Stammsitz im Münsterland, welche sich einen riesigen Großauftrag an Land ziehen konnte und nun aus logistischen Gründen nahe des Frankfurter Flughafens ihre Produktion in Kürze aufnehmen möchte. Richards Vater sollte schon in den nächsten Tagen zum Stammsitz nach Münster-Telgte fahren, um mit der Geschäftsleitung des Unternehmens mit dem Namen WEG EX AG in Verhandlungen für mögliche Grundstücke zu treten.

„Möchtest du vielleicht mitkommen?“, fragte der Vater Richard. „Vielleicht ist das Unternehmen ja für dich interessant und du kannst schon mal Kontakte knüpfen.“ Richard überlegte sich das nicht lange, sprach mit seinem Rektor über diese Möglichkeit und bekam zwei Tage schulfrei.

Eine Woche später, an einem Donnerstag um vier Uhr morgens, setzte sich dann der schon in die Jahre gekommene blaue Ford Mondeo Kombi mit Richard und seinem Vater in Richtung Telgte in Bewegung. Irgendwie war Richard gespannt, er hatte das Gefühl, dass dieser kleine Ausflug mehr als nur ein Besuch eines Unternehmens im Münsterland sein würde.

Um 07:30 Uhr fuhr der blaue Mondeo beim Pförtner der WEG EX AG vor. Im Pförtnerhäuschen saßen zwei Männer, welche eher an Grenzschutzsoldaten erinnerten als an Pförtner eines Unternehmens. Sie wirkten grimmig und der eine murmelte: „Ihre Papiere und Ausweise bitte.“ Richard und sein Vater mussten Ihre Personalausweise abgeben und bekamen dafür entsprechende Besucherausweise mit dem Hinweis, dass sie ihre persönlichen Ausweise beim Verlassen des Unternehmens zurückbekämen. Nachdem der eine Pförtner mit irgendjemand telefoniert hatte, durften sie endlich passieren, und suchten dann auf dem Gelände den ihnen zugewiesenen Parkplatz Nummer 17 auf Deck A3 des Parkhauses Nr. 2. Dort stand schon jemand, der sie in Empfang nahm. Richard war irgendwie beeindruckt, hier schien man wirklich nichts dem Zufall zu überlassen. Offensichtlich wurden sie erwartet. „Hatten sie eine gute Fahrt?“, fragte der Abholer die beiden an einer ehrlichen Antwort war er nicht wirklich interessiert. Dann gingen sie gemeinsam durch mehrere Gänge um dann mit einem Fahrstuhl in den Verwaltungstrakt zu gelangen. Richard hatte im Vorfeld dieses Besuches versucht, Informationen über die WEG EX AG zu bekommen. Doch das war gar nicht so einfach, schien man doch bei der Darstellung des Unternehmens eher im Allgemeinen zu bleiben. Jedenfalls wurde hier etwas produziert und das musste etwas mit Maschinenbau zu tun haben.

Alles wirkte sehr edel, selbst der Boden im Fahrstuhl war mit einem feinen Teppich ausgelegt, die Spiegel waren blitzsauber und es roch sehr angenehm nach Luxus. Als die Fahrstuhltür sich öffnete, wechselte der Duft und es roch nach frischem Kaffee. Ein weiterer Mitarbeiter des Unternehmens gesellte sich zu ihnen und gemeinsam gingen sie zur Cafeteria. „Stärken sie sich erst mal“, sagte der eine von den beiden, „in zwanzig Minuten erwartet sie unsere Strategieabteilung zum vereinbarten Gespräch. Sie, junger Mann”, wandte er sich an Richard, „sie dürfen dann mit mir kommen. Während sich ihr Vater in der Konferenz befindet, zeige ich Ihnen etwas vom Unternehmen.“ Sein Vater richtete seine Akten und bereitete sich auf das Meeting vor. Richard fragte, sich was denn hinter der Namen WEG EX stehen könnte, kam aber zu keinem zufriedenstellendem Ergebnis. Als die Zeiger einer großen edlen Wanduhr in der Cafeteria auf achtuhrdreißig sprangen, kam ein im Nadelstreifenanzug gekleideter Herr auf Richards Vater zu und die beiden verschwanden hinter der großen Glastür der Cafeteria.

„Du kannst einfach Johannes zu mir sagen, ich bin auch nicht viel älter als du. Was machst du eigentlich, warum bist du mit deinem Vater heute hier? Willst du beruflich in diese Richtung gehen?“, fragte der junge Mann, der Richard nun die Informations- und Besucherabteilung der WEG EX AG zeigte. Richard erzählte ihm, dass er im diesem Jahr sein Abitur machen werde und bei entsprechendem Numerus clausus sich direkt an der Universität Aachen für Maschinenbau einschreiben wolle. „Das ist ja interessant“, sagte Johannes, „ich würde eigentlich auch gerne studieren, am liebsten Medizin.“ „Und warum machst du das nicht?“, fragte Richard erstaunt. „Tja, ich habe meine Eltern total lieb, aber in manchen Dingen haben sie eine merkwürdige Einstellung. Sie meinen, es gäbe genug nichtakademische Berufe, das würde auch besser zur Familie passen.“

Johannes wuchs in der kleinen Stadt Senden im Münsterland auf. Sein Vater hatte einen kleinen Malerbetrieb mit ein paar Mitarbeitern in einem nahegelegenen Gewerbegebiet am Rande der Stadt. Seine Mutter kümmerte sich um ihn, soweit ihre Zeit das zuließ. Tagsüber war sie in der Firma, machte die Büroarbeit und erledigte alles, wozu sein Vater keine Zeit hatte. Abends wurde gemeinsam gegessen und dann hatte Johannes Gelegenheit, von sich und seinem Tag zu berichten. Nach dem Essen verschwanden beide Eltern oft nochmal im Büro und erst um Mitternacht wurde das Licht in dem kleinen Reihenhaus am Ende der Straße gelöscht. Und das ging jeden Tag so. Meistens auch am Samstag, nur Sonntag wurde nicht gearbeitet. Da ging man dann in die Kirche und nachmittags wurde meistens irgendein Gesellschaftsspiel gespielt. Er fand das nicht gerade spannend. Zunehmend wurde ihm klar, dass er den Rest seines Lebens nicht so verbringen wollte. Er hatte ein paar Bekannte aus der Schule, mit denen machte er kleine Touren mit dem Fahrrad in die nähere Umgebung. Abends fuhren sie schon mal mit dem Bus nach Münster, zogen durch die Kneipen bei Bier und Korn.

Johannes war gerne unterwegs, so genoss er auch immer die Sommerurlaube mit der Familie. Es waren immer tolle Reisen, mal in den Norden mit dem Auto oder Wohnmobil, mal mit dem Zug in den Süden, oder auch die ein oder andere Kreuzfahrt in die Karibik und nach Südamerika. Er träumte manchmal davon Arzt zu sein, in verschiedenen Kliniken auf der Welt zu arbeiten, vielleicht sogar in Krisengebieten zu helfen. Diese Gedanken fühlten sich für ihn gut an und er spürte zu diesem Zeitpunkt schon sehr deutlich, dass eine berufliche Tätigkeit für ihn mehr war, als reines Geldverdienen. Es stellte sich ihm schon recht früh die Sinnfrage nach den Dingen des Lebens, nicht ahnend, dass das mal eine der zentralen Frage seines Lebens werden sollte.

Aber seine Eltern meinten, er solle besser eine Ausbildung im handwerklichen Bereich machen. Das wäre solide und vielleicht könne er ja auch mal die Firma seines Vaters übernehmen. Leider hatte Johannes keine Geschwister, so musste er vieles mit sich selber ausmachen. Auch hatte er eigentlich nur einen wirklich richtigen Freund, mit dem er alles besprechen konnte.

Mit vierzehn Jahren bekam er zu Weihnachten sein erstes Fahrrad geschenkt. Er war überglücklich, war er doch bis zu diesem Zeitpunkt immer auf Leihfahrräder seiner Kumpels angewiesen und bekam dann natürlich immer die ausrangierten alten Dinger. Seine Eltern hatten ihm bis dato aus Ängstlichkeit ein eigenes Fahrrad verwehrt und das kleine Taschengeld reichte nicht mal zum Kauf eines alten Gebrauchten. Manchmal tat es ihm fast ein wenig weh zuzusehen, wie andere mit den neuesten Modellen mit zwölf Gangschaltung und Scheibenbremsen an ihm vorbeifuhren. Aber mit den alten Rosteseln war er wenigstens dabei. Das war das Wichtigste.

Oft war er alleine mit dem Rad unterwegs. Dabei konnte er gut nachdenken. Manchmal radelte er den Dortmund-Ems-Kanal entlang. Der gut ausgebaute Radweg am Rande des Kanals ließ sich gut fahren. Wenn er Lust hatte, dann fuhr er sogar bis Telgte, um sich einen Eiskaffee oder einen dicken Eisbecher zu gönnen. Manchmal machte er noch einen kleinen Abstecher zum auf dem Weg liegenden Flugplatz Münster-Telgte und träumte auf dem Fahrrad sitzend vom Fliegen. Die Fliegerei faszinierte ihn schon als kleiner Junge. Tja, aber das ist für mich nun wirklich nicht vorgesehen, dachte Johannes immer wieder. Wenn es schon nicht für ein Fahrrad reicht, und wenn ich auch nicht studieren soll, dann werde ich bestimmt nie so viel Geld verdienen, um mir so etwas leisten zu können. Das ist was für die reichen Akademiker, wurde ihm von den Eltern einsuggeriert. Sie meinten es nicht böse, sie kannten eben auch nichts anderes. Aber in den von seinen Eltern vorgeschlagenen Volleyballverein in Senden wollte er sicher nicht, da war Johannes sich ganz sicher.

An einem besonders sonnigen Sonntag war er mal wieder mit seinem Rad unterwegs und machte gerade Pause an seinem Lieblingsort, dem Flugplatz. „Na, möchtest du mal mitfliegen?“ Johannes drehte sich um und wäre dabei fast von seinem Fahrrad gefallen. „Was, mal mitfliegen, meinst du das ernst? Das kann ich mir von meinem Taschengeld nicht leisten“, sagte er zu dem Jungen der vor ihm stand. Dieser war nicht viel älter als er und hatte eine Schirmmütze auf dem Kopf auf der das Wort “Captain“ eingestickt war. „Bist du Flieger?“, fragte Johannes. „Ich mache gerade die Ausbildung zum Segelflieger und wenn du möchtest, kannst du gerne mal mit mir kommen. Ich zeige dir im Hangar mal ein Segelflugzeug und dann darfst du dich gerne mal hineinsetzen.“ Der Puls von Johannes jagte in die Höhe. „Gerne, wann denn?“ „Komm mal mit, ich heiße übrigens Matthias, alle nennen mich hier einfach Mattes und wie heißt du?“ Johannes sagte vor Aufregung alle seine drei Vornamen auf, „Johannes Gerhard Winfried heiße ich, aber Johannes reicht.“ Mattes lachte. „Entspann dich mal, ich hol uns erst mal ne Cola.“ Und dann standen sie im Hangar, ein Segelflugzeug lag vor ihnen. Die ausgebreiteten Flügel wirkten auf Johannes wie lange Schwingen eines Raubvogels, der sich nach einem langen Hangflug zur Ruhe begeben hat. Der Geruch von Holz, Kunststoff, Poliermitteln, Benzin und Öl wirkte auf ihn wie ein aphrodisierendes Rauschmittel und als er dann im Cockpit saß und den Steuerknüppel bewegte, konnte er sich kaum vorstellen, dass das Leben noch mehr Aufregendes zu bieten hatte. Hatte es aber und Johannes ahnte noch nicht, was noch alles kommen sollte.

Es dämmerte schon, als er sich von Mattes verabschiedete, sich auf seinen Drahtesel schwang und mit einem Affenzahn nach Hause radelte, übervoll mit Eindrücken und Impressionen aus dem Reich der Luftfahrt. „Du kommst aber spät“, wurde er zu Hause empfangen. „Wo warst du denn und was hast du gemacht? Wir haben uns große Sorgen gemacht, du hättest wenigstens mal anrufen können.“ Was sollte er jetzt sagen? Dass er am Flugplatz war, im Cockpit eines Flugzeugs gesessen hat, oder vielleicht sogar von dem Angebot des Mitfluges berichten. Mit immer noch hochrotem Kopf entschied Johannes sich, alles erst mal für sich zu behalten und erzählte, er hätte einen platten Reifen am Fahrrad gehabt und die Reparatur hätte so lange gedauert. Seine Mutter glaubte ihm das nicht und flüsterte ihm beim Gute Nacht sagen ins Ohr, dass er mit ihr über alles sprechen könne. „Es ist kein Mädchen“, flüsterte er leise zurück, „es ist noch besser!“

Es bedurfte schon einer großen Portion Überredungskunst seinen Eltern gegenüber, um die Zustimmung für einen Rundflug in einem Segelflugzeug zu bekommen. Schließlich war Johannes noch minderjährig. Aber nach zähen Verhandlungen bekam er die Unterschrift seiner Eltern auf dem von der Flugschule in Münster-Telgte ausgestellten Ticket. Das Abenteuer konnte beginnen und er konnte es kaum abwarten endlich abzuheben.

Völlig losgelöst von der Erde, dahingleitend über die Landschaft. Kanäle, Häuser, Städte, Menschen und Autos waren so klein. Johannes war überwältigt und er hörte gar nicht auf den Piloten zu fragen, wie das alles funktioniert. Nach der Landung lagen sich Vater, Mutter und Johannes mit Tränen in den Augen in den Armen. Bei den Eltern waren es Angsttränen, bei Johannes Tränen der Freude.

Er konnte die Nacht kaum schlafen, immer und immer wieder ging er das Erlebte des Tages durch. Das Einsteigen und Anschnallen, das Briefing und Checken, das Funken mit dem Tower, das Abheben und Schweben im scheinbaren Nichts, das Gleiten und Landen. Es ließ Johannes nicht mehr los. Das war es, was er unbedingt machen wollte. Da gab es nur ein Problem. Fliegen kostet Geld. Geld, welches er nicht hatte und von seinen Eltern war auch nicht viel zu erwarten. Zumal sie von der Idee, dass ihr einziger Sohn einen Flugschein machen wollte, überhaupt nicht angetan waren. Aber seine Entscheidung stand fest, Johannes wollte fliegen lernen. Also musste er eine Geldeinnahmequelle auftun. Und in der Samstagszeitung eine Woche später, sprang ihm folgende Anzeige förmlich ins Gesicht:

>> Scout m/w für unser Unternehmen gesucht, Servicetätigkeit auf Messen und hausinternen Veranstaltungen und Tagungen. Wir erwarten freundliches und selbstbewusstes Auftreten, wir bieten leistungsgerechte Vergütung in einem sozialen Unternehmen im Münsterland. Bewerbung bitte an WEG EX AG. <<

Johannes bekam den Job, allerdings stellte man ihm ziemlich viele Fragen zu seiner Person und im Vertrag musste er in aller Deutlichkeit bescheinigen, keine Internas aus dem Unternehmen nach außen zu tragen. Johannes wunderte sich schon etwas, aber ihm war alles egal. Er wollte fliegen lernen und da war ihm fast alles recht.

Johannes lief mit Richard durch die Gänge des Bürotraktes der WEG EX. Alles war picco bello sauber, an jeder Ecke stand eine sehr gepflegte Pflanze, kleine Sitzecken mit feinem Mobiliar, Kaffeemaschine und kalte Getränke luden am Ende eines jeden Ganges zum Verweilen ein. Es roch nach Putzmitteln und obwohl alles sehr ordentlich war, hatte Johannes bei seinen Führungen durch das Unternehmen immer ein eher beklemmendes Gefühl. Es erinnerte ihn alles immer an die Atmosphäre eines Krankenhauses. Sie nahmen den Fahrstuhl in die vierte Etage zum Informations- und Besucherzentrum. Dort angekommen erwartete sie bereits ein Mitarbeiter der WEG EX AG. Er stellte sich Richard als Mario Schröder vor. In der nächsten Stunde werde er ihm in einem kleinen Werkskino einen Film zum Unternehmen vorführen. Es wurde Kaffee in Form eines „To-go“ gereicht und dann gingen die drei zum Kino, wo schon andere Besucher warteten. Als das Licht im Saal gedimmt wurde und der Film über Geschichte und Gegenwart des Unternehmens begann, holte Johannes sein Smartphone aus der Jacke und schrieb eine Nachricht an Mattes, den Flieger vom Flugplatz Telgte. Er wolle gerne die Tage nochmal vorbei kommen, die Gedanken um die Fliegerei ließen ihn einfach nicht los. Den Film kannte er ja schließlich schon, hatte er doch nun bereits einige Male Besucher durchs Unternehmen geführt. Das war ja sein Job, für den er recht gut bezahlt wurde, mehr wollte er hier auch gar nicht.

Richard verfolgte fasziniert den Film, versuchte dabei immer wieder herauszufinden, was denn dieses Unternehmen alles so produzierte. In der Darstellung ging es immer um Maschinenbauteile, um Metallstrukturen, um feinmechanische Präzisionsinstrumente und wie erfolgreich die WEG EX AG weltweit operierte. Offensichtlich ein sehr erfolgreiches Unternehmen, dachte Richard und hoffte, nach dem Film die Produktionsstätten besichtigen zu können. Er wollte mal Maschinenbauer werden und spürte, dass das hier seine Welt war. Er sah sich schon an der Universität studieren, um irgendwann mal in so einem Unternehmen arbeiten zu dürfen.

Der Film war zu Ende, das Licht im Werkskino wurde wieder heller und Johannes führte Richard in Richtung Cafeteria, wo für die Besucher des Tages ein kleines Büffet bereit stand. „Wow“, sagte Richard leise. Das war er nicht gewohnt, mitten in der Woche Lachsschnittchen zu essen, das gab es zu Hause höchstens einmal im Monat am Wochenende. Er schnappte sich einen Teller mit mehreren Häppchen und mit einen Glas Sekt in der Hand machte er sich auf die Suche nach Mario Schröder, um ihm weitere Fragen zum Unternehmen zu stellen.

Vergebens, Herr Schröder war verschwunden und außer zwei sehr charmanten jungen, extrem gut aussehenden Mädels hinter der Theke, den Besuchern und Johannes war in der Cafeteria keiner mehr. Johannes ging zu Richard. „Der Besuch von Gästen endet mit diesem kleinen Snack. Ich muss dich auch gleich wieder zu deinem Vater zurückbringen, da der Termin mit seinem Verhandlungspartner bereits beendet ist.“ „Was? Ich dachte wir besichtigen noch die Produktion“, sagte Richard enttäuscht. Der Wischiwaschi-Film war aus seiner Sicht wenig gehaltvoll, eine eher narzisstische Darstellung eines Unternehmens, welches irgendwelche Maschinenbauteile produziert. Bereits ahnend, dass das nicht der letzte Besuch dieser Räumlichkeiten gewesen sei, folgte Richard seinem Guide Johannes wieder zu dem Aufzug, der sie vor zwei Stunden hierher gebracht hatte.

„Lass uns doch mal in Verbindung bleiben“, sagte Richard zu Johannes. Ich gebe dir mal meine Handynummer, ruf doch mal an, wir sollten uns ja mal treffen.“ Johannes freute sich, er fand Richard auch sehr sympathisch und lud ihn direkt zwei Wochen später zu seinem 19. Geburtstag ein.

Vier Etagen tiefer am Ende des Ganges wartete bereits Richards Vater in einer kleinen Sitzecke mit einer dicken Mappe unter dem Arm. „Wir müssen uns etwas beeilen“, sagte Johannes. Ich habe gleich die nächste Besuchergruppe“, und somit begleitete er Richard und seinen Vater mit dem gleichen Prozedere wie bei der Ankunft am Morgen zum Ausgang. Sie gaben ihre Besucherausweise ab, bekamen ein Ausfahrtticket mit dem Hinweis, dass es nur eine halbe Stunde Gültigkeit hat und machten sich auf den Heimweg nach Egelsbach.

In der ersten halben Stunde herrschte Schweigen im Auto. Beide waren zu sehr beschäftigt mit dem, was sie erlebt hatten und ein wenig erschöpft. Der Tag hatte für sie ja schon früh angefangen. „Wie war denn dein Gespräch?“, fragte dann Richard irgendwann mal seinen Vater, als sie auf die Autobahn Richtung Süden einbogen. „Du Richard, ich darf da eigentlich gar nicht drüber sprechen. Aber so viel kann ich dir erzählen, die WEG EX AG in Egelsbach will eine neue Produktionsstätte errichten und ich konnte das passende Grundstück vermitteln. In achtzehn Monaten soll die Produktion bereits beginnen. Mein Vorgesetzter wird begeistert sein, es werden mehrere hundert Arbeitsplätze geschaffen und die zusätzlichen Gewerbesteuereinnahmen werden der Kommune Egelsbach sehr gut tun. Ich werde bestimmt befördert.“ Vielleicht wird er ja doch noch Regierungspräsident, dachte Richard etwas schmunzelnd, dann muss er im Urlaub nicht mehr am Tisch angeben. Aber vielleicht mutiert er dann ja noch zum Bundeswirtschaftsminister, wer weiß, vielleicht wird die Familie ja noch richtig berühmt.

„Was produzieren die eigentlich wirklich?“, fragte Richard seinen Vater. „Ich werde nicht ganz schlau daraus, auch der Promotionsfilm war nicht besonders ergiebig.“ Richards Vater erklärte seinem Sohn, dass er das auch nicht genau wisse, er aber zum Schweigen verpflichtet sei und dies sogar per Unterschrift besiegeln musste.

Richard verfiel in einen oberflächlichen Schlaf. Komischerweise träumte er von den beiden Mädels aus der Cafeteria bei WEG EX, wie beide neben ihm im Kino sitzen und ihn mit Lachsschnittchen füttern. Sie schmiegten sich dabei ganz eng an ihn an, er spürte ihre nackten Brüste auf seinen Oberarmen und wie ihre Hände behutsam an seinem Oberkörper herunterglitten. Es wurde ihm allmählich etwas warm, er fing an zu schwitzen. Doch sein Vater hatte die Heizung im Auto zu warm eingestellt und so platzte der süße Traum vom kleinen erotischen Abenteuer auf der Autobahn im Sauerland. Richard war wieder in der Realität.

______________________________________________________

Zwei Wochen später holte Johannes Richard vom Bahnhof in Münster ab. Sie fuhren weiter mit dem Bus nach Senden, um dann mit anderen Freunden im kleinen Partykeller des Reihenhauses den 19. Geburtstag von Johannes zu feiern. Auch Mattes war der Einladung gefolgt und brachte ein tolles Geschenk für Johannes mit: einen Gutschein für einen Tagesausflug mit einem Sportflugzeug auf eine Nordseeinsel. „Richard, sieh, was ich geschenkt bekommen habe. Kommst du mit? Das geht bestimmt.“ Mattes gab sofort grünes Licht. „Kein Problem, die Vereins-Cessna hat ja vier Sitze.“ Nach dem ersten Wodka zur Begrüßung löste sich dann die anfängliche Bescheidenheit in Bezug auf den Alkoholkonsum und nach einer tollen Geburtstagsparty ging Johannes um fünf Uhr als letzter ins Bett. Er nahm den Gutschein nochmal in die Hand, konnte es kaum glauben und schlief mit dem wertvollen Stück Papier ein.

Am nächsten Tag, nach einem Katerfrühstück, fuhren Johannes und Richard mit dem Bus nach Münster, um in der Stadt etwas zu Bummeln. Richard war total begeistert. Besonders bewunderte er die Auslagen der Uhrengeschäfte. Eine IWC, die hatte er sich genauer ausgeguckt. Das gab es in dem trostlosen Kaff wo er wohnte nicht. Dieses Münster, das hat was, dachte Richard. Sie schlenderten durch die Arkaden, unterhielten sich über Gott und die Welt, entdeckten den gleichen Humor und wollten sich gar nicht trennen. Eigentlich sollte Richard um 18:30 Uhr den Zug wieder zurück nach Egelsbach nehmen. „Komm wir trinken noch ein Bier bei Pinkus Müller“, schlug Johannes vor. „Was ist das denn für eine Kneipe?“, fragte Richard. „Aber so ein Abschiedsbier kann ja nicht schaden.“ Obwohl es erst später Nachmittag war, waren schon einige Gäste anwesend und tranken Bier. Es füllte sich langsam, und zwei Jungs stellten sich zu ihnen an den Tisch. „Hier sind viele Studenten“, sagte Johannes, „abends ist hier der Bär los.“ „Hört sich gut an“, sagte Richard. „Kann man in Münster auch Maschinenbau studieren?“ Der eine Typ drehte sich zu den beiden um. „Na klar“, sagte er, „ist eine gute Fakultät, ich studiere hier bereits im zweiten Semester, ich kann dir hier gerne alles mal zeigen. Setzt euch doch zu uns, wir bestellen noch eine Runde. Ich bin Bert und mein Kommilitone heißt Dirk, er studiert Medizin im vierten Semester.“ Richard kriegte sich gar nicht mehr ein. Sein Entschluss, Maschinenbau in Münster zu studieren, stand fest, jetzt galt es ein Spitzenabitur zu machen.

Johannes dachte über seine eigene Zukunft nach. Die universitäre Welt hatte schon etwas, aber mit seiner zu erwartenden Abiturnote von 3,4 standen ihm nicht viele akademische Wege offen. Und die Abi Klausuren sind gelaufen, der Drops ist gelutscht. Also für Medizin wird es sicher nicht reichen. Hatte ihm Mattes nicht letzte Nacht etwas von einer Stellenausschreibung am Flugplatz erzählt? Ausbildung zum Flugzeugmechaniker oder so etwas?

Möglicherweise war es der Alkohol, der ihm diese Botschaft übermittelte, oder hatte er es nur geträumt? „Hey Richard, dein Zug, es ist 18:30 Uhr, der ist weg.“ „So ein Mist“, grummelte Richard, „da werden meine Eltern aber nicht gerade amused sein.“ „Ich empfehle dir“, sagte Johannes, „ruf jetzt bei deinen Eltern an und sage einfach wie es ist. Mit der Wahrheit kommt am immer am besten zurecht. Und dann trinken wir beide noch ein Bierchen, du kannst dann nochmal die Nacht bei uns schlafen.“ Stunden später zogen beide Arm in Arm, sich gegenseitig stützend, zur Bushaltestelle mit dem Ziel Senden.

Flugschein und große Liebe

Schon am nächsten Montag radelte Johannes nach der Schule direkt zum Flugplatz Münster-Telgte und fragte im Büro der Flugschule nach Mattes. „Der ist heute nicht da sagte Serena“, die Sekretärin der Schule. „Aber kann ich dir weiterhelfen?“ Johannes war enttäuscht. Er wollte jetzt nicht mehr lange warten, er wollte sich möglichst heute noch in der Flugzeugwerft für die ausgeschriebene Stelle bewerben. Serena merkte das und stützte sich mit den Ellenbogen auf der Theke vom Büroempfang ab. Johannes bekam einen ungewollten Einblick in ihre Bluse und konnte einen schwarzen Spitzen BH erkennen. Wie ein Magnet waren seine Augen gefangen, nur mit Mühe konnte er seine Blickrichtung ändern und fragte Serena, wo die Flugzeugwerft sei. „Ich habe gerade nichts zu tun“, sagte sie, „ich bringe dich dahin. Wir gehen direkt über das Vorfeld, das dürfen auf dem Flugplatz nur berechtigte Personen.“

Während sie über das Vorfeld schlenderten wurde es Johannes etwas schwindelig. Die Nähe von Serena machte ihn an, oder war es die Wärme? Schließlich zeigte das Thermometer fast dreißig Grad Celsius. Vor der Werft startete jemand den Motor einer Cessna. Der Sound war für Johannes wie Musik, die Abgase rochen nach Abenteuer und Ferne. In diesem Moment war er sich nicht sicher was ihn mehr anmachte, die Abgase der Cessna oder das Parfüm von Serena. Diese Mischung war der Cocktail aus 1001 Nacht, dachte er. Sie gingen in den Hangar und ein Typ mit langen Haaren, welche er mit einem Haargummi abgebunden hatte, schaute unter einem Flugzeug liegend zu den beiden auf. „Hi Serena, wen hast du denn da im Schlepptau?“ „Das ist Marco“, sagte Serena zu Johannes. „Er ist der Chef der Werft. Der ist total nett, auch wenn er aussieht wie ein Junkie.“ Marco ließ erkennen, dass es hier wohl normal war, so miteinander zu reden. Johannes bündelte seine Kraft und mutigen Wortes sagte er zu Marco, dass er von einem Ausbildungsplatz zum Flugzeugmechaniker hier am Platz gehört hätte und sich dafür interessieren würde. „Hey, kommst gerade recht, kannst mal eben die Schraube hier halten und die beiden Muttern darauf schrauben. Und wenn ich das hier verbaut habe, krabbele ich mal hier von unten hervor und dann können wir uns mal kurz unterhalten.“ „Ich mach mal einen Kaffee für uns,“ sagte Serena. „Oder magst du lieber eine Cola?“, blinzelte sie zu Johannes rüber. „Kaffee natürlich, schwarz und stark“, schoss es Johannes von Lippen. Hatte Serena ihn mit ihrer Bemerkung vielleicht als Jüngling eingestuft? So alt ist sie nun auch nicht, dachte er, vielleicht mal gerade 21 Jahre.

„So, du möchtest also Flugzeugmechaniker werden?“, fragte Marco dann später beim Kaffee im Besprechungszimmer der Flugzeugwerft. Jetzt, aufrecht sitzend, sah er gar nicht mehr so aus wie ein Junkie, dachte Johannes. Er erzählte ihm, worauf es in diesem Beruf ankam und welche Voraussetzungen er mitbringen müsse. „Wir sind hier nur ein kleiner LTB (Luftfahrttechnischer Betrieb)“, sagte Marco. „Außer mir gibt es noch zwei angestellte Mechaniker und eine Bürokraft. Also wenn du ganz hoch hinaus möchtest, solltest du dich bei der Lufthansa Maintance bewerben, da kommst du dann auch an Jumbos dran. Und noch etwas ist mir sehr wichtig“, sagte Marco. Johannes hielt inne und hoffte auf etwas Erfüllbares. „Ich sehe das gerne, wenn ein Flugzeugmechaniker auch fliegen kann.“

„Du kannst das ja mal alles auf dich wirken lassen“, sagte Marco wenig später zu Johannes. „Und wenn du möchtest, dann schicke mir die nächsten Tage mal eine ordentliche Bewerbung mit allen notwendigen Unterlagen zu, vielleicht passen wir ja zusammen. So, jetzt muss ich wieder unter den Flieger. Danke für den Kaffee“, und mit einem Luftkuss in Richtung Serena verschwand er wieder in der Halle.

„Hey, das ist ja gut gelaufen“, sagte Serena zu Johannes. „Ich glaube der mag dich, mach mal bald die Bewerbung fertig, ich habe das Gefühl dass du eine Chance auf eine Ausbildungsstelle hast. Komm wir gehen nochmal rüber zur Flugschule, dann gebe ich dir noch ein paar interessante Informationen über das Ganze hier.“ Nun tranken sie dann doch eine erfrischende Cola im Büro der Flugschule und Johannes bekam noch viele wertvolle Tipps von Serena. Am späten Nachmittag verabschiedete er sich, um nach Hause zu radeln. Er musste noch Hausaufgaben für die Schule machen und die Bewerbung vorbereiten. Das war jetzt seine Chance. Zu Hause angekommen, berichtete er seinen Eltern von der Bewerbung und seinen beruflichen Ambitionen und stieß wider Erwarten auf spontane Zustimmung. Allerdings erzählte er ihnen noch nicht, dass der Chef der Werft es gerne sieht, wenn seine Mechaniker auch einen Flugschein haben. Da setzte er mal auf Salamitaktik. Alles zu seiner Zeit.

Abends im Bett konnte Johannes kaum einschlafen. Zu viel ging ihm durch den Kopf und er schrieb eine SMS an Mattes, in der er ihm von seinen Erlebnissen des heutigen Tages berichtete. Allerdings verschwieg er seine Sympathie zu Serena, schließlich wusste man ja nie, was dann alles so erzählt würde.