Design of life - S. Jada Green - E-Book

Design of life E-Book

S. Jada Green

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Beschreibung

»Warum?«, will ich wissen. Benjamin blickt mich an, dann schüttelt er seufzend den Kopf. »Weil du wichtig bist. Weil du etwas Besonderes bist.« Von ihrer Mutter im Stich gelassen, ohne weitere Familie, die sie unterstützen könnte, kämpft sich die sechzehnjährige Julia durchs Leben. Dabei gilt ihre Sorge nicht nur ihr selbst, sie hat sich fest vorgenommen, niemals von ihrer dreijährigen Schwester getrennt zu werden. Ganz gleich, was es sie kostet. Doch was, wenn da plötzlich jemand ist, der hinter ihre Fassade blickt? Was, wenn es jemanden gibt, der ihr eine Zukunft offenbart, von der sie nicht einmal zu träumen wagt? Und was, wenn ausgerechnet diese Person ihre größten Ängste wahr werden lassen könnte? »Design of Life« ist der erste Jugendroman der Bestsellerautorin Samantha J. Green, die hier als S. Jada Green auftritt. Als Samantha schreibt sie Liebesromane für Erwachsene ab 18, hier jedoch traut sie sich in neue Gefilde und fühlt sich in dem Genre wohler, als sie es je für möglich gehalten hätte. Design of Life ist ein Einzelband

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Copyright © Samantha J. Green, 2022

Samantha J. Green

c/o

Christof Hardt

Partikulierstr. 2

69239 Neckarsteinach

[email protected]

Lektorat:

Lektorat Bücherseele

Buchcoverdesign:

Sarah Buhr / www.covermanufaktur.de

Unter der Verwendung von Bildmaterial von Ajgul;Dragana Jokmanovic / Shutterstock, sowie Franziska Kruause / Adobe Stock

Konvertierung, Satz & Layout:

Samantha J. Green

Alle Rechte vorbehalten.

Eine Kopie oder anderweitige Verwendung ist nur mit schriftlicher Genehmigung vonseiten der Autorin gestattet. Dieses Buch,

einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne Zustimmung der Autorin nicht vervielfältigt, wiederverkauft oder weitergegeben werden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d- nb.de abrufbar.

Erstellt mit Vellum

Ich widme dieses Buch all den Menschen, die einen Traum haben. All den Menschen, die schon viel zu früh viel zu viel Verantwortung tragen mussten. Man kann sein Schicksal nicht immer beeinflussen, doch ab einem gewissen Punkt kann man sich zurückerinnern und vielleicht einen Weg finden, die eigenen Träume doch noch zu leben! <3

INHALT

1. Julia

2. Julia

3. Julia

4. Julia

5. Julia

6. Julia

7. Julia

8. Julia

9. Benjamin

10. Julia

11. Julia

12. Benjamin

13. Julia

14. Benjamin

15. Julia

16. Julia

17. Julia

18. Benjamin

19. Julia

20. Julia

21. Benjamin

22. Julia

23. Julia

Epilog

Danksagung

Bücher der Autorin

1

JULIA

Das Dröhnen der Schulglocke lässt mich einen Moment innehalten, und ich atme tief durch. Wie ich die Schule verachte. Wie ich es hasse, hier Tag für Tag meine Zeit zu verschwenden, mich mit Menschen zu umgeben, die mich weder kennen noch kennen wollen. Wie so oft überrollen mich diese Gefühle von Abscheu und Machtlosigkeit. Doch das ist egal. Ich muss hier sein, wenn ich nicht möchte, dass die Polizei irgendwann vor meiner Tür steht, um mich abzuholen. Und dabei Dinge über mein Leben erfährt, die ich geheim halte.

Seufzend schüttle ich den Kopf und verdränge diese Gefühle. Ich ziehe den schwarzen Lidstrich noch etwas dicker und mustere mich im Spiegel. Durch meine südländische Abstammung bin ich brauner als die meisten in meiner Klasse. Das lange, fast schwarze Haar mit den pinken Strähnen habe ich am Morgen kunstvoll am Kopf entlanggeflochten. Smokey Eyes lassen meine hellblauen, fast glasigen Augen hervorstechen, was auch von den dunklen Augenringen ablenkt, die vom Schlafmangel herrühren. Gott, wie gerne ich mich jetzt einfach schlafen legen würde.

Insgesamt finde ich mich schön, und das strahle ich auch aus. Zumindest an Tagen, an denen ich ausschlafen kann. Heute musste ich mich viel zu früh aus dem Bett quälen, denn am ersten Schultag nach den Sommerferien macht es sich nicht sonderlich gut, zu spät zu kommen. Den Anfang der vierten Stunde zu verpassen, ist mir dagegen völlig egal. Wir haben Mathe, und Frau Kunz, unsere altersschwache Lehrerin, interessiert sich längst nicht mehr dafür, ob wir pünktlich zum Unterricht kommen oder nicht. Also ziehe ich in aller Seelenruhe meinen kurzen schwarzen Rock zurecht, damit er über der zerlöcherten schwarzen Strumpfhose richtig sitzt. Ohne das pinke Bustier, das unter dem schwarzen Top hervorsticht, würde ich wie ein Emo aussehen. So jedoch wirke ich punkig, genau wie ich es will. Ich schnappe meine Tasche und gehe gemütlich zum Klassenraum. Noch zwei Jahre, dann kann ich den ganzen Scheiß hinter mir lassen. Wie ich diesen Tag herbeisehne!

In den Gängen der großen Schule tummeln sich vereinzelt Schüler, die anscheinend eine Freistunde haben. Sieht aus, als wäre der erste Lehrer schon jetzt krank. So typisch. Ich will ja nicht motzen, doch das deutsche Schulsystem ist der größte Mist, den man sich vorstellen kann. Bereits in der Grundschule kam keiner mit mir zurecht. Anstatt mich irgendwie aufzufangen, weil ich lieber gezeichnet habe, als dem Unterricht zu folgen, hieß es, ich sei noch nicht bereit für die Schule und sollte besser die zweite Klasse wiederholen. Ich sei zu verträumt. Dass mir eigentlich nur langweilig war, darauf kam keiner. Bis heute nicht, was mir immer noch einen kleinen Stich versetzt. Die Klasse zu wiederholen, war fürchterlich, da ich mich nur noch mehr langweilte, dennoch habe ich es am Ende sogar aufs Gymnasium geschafft, nachdem mir mein Bruder immer wieder einen Tritt in den Hintern verpasst hat. Jetzt sitze ich mit meinen sechzehn Jahren in der neunten Klasse fest. Bei lauter pubertierenden Babys, die keine Ahnung von der wirklichen Welt haben. Bei Menschen, die mich schräg anblicken und nicht wissen, was in meinem Leben vor sich geht. Einem Leben, das ich mir so nie ausgesucht hätte, hätte man mir eine Wahl gelassen. Zumindest im Großen und Ganzen. Es gibt schon Dinge, die ich nicht anders haben will. Meinen großen Bruder zum Beispiel, der mir wichtiger ist, als man sich vorstellen kann. Meine kleine Schwester Rose. Meinen Hund Samy. Und meine Gabe fürs Zeichnen. Beim Gedanken an diese Menschen und mein Talent schleicht sich ein Lächeln auf meine Lippen, das ich sofort hinter meiner Maske verberge. Ich zeige meine Gefühle nicht, will mich nicht angreifbar machen.

Ohne zu klopfen, gehe ich ins Klassenzimmer und setze mich in der letzten Reihe ans Fenster. Seit der fünften Klasse ist das mein Platz, wodurch er irgendwie zu mir gehört und zu niemand anderem. Keiner hat ihn mir je streitig gemacht. Keiner hat sich je mit mir angelegt, wenn ich ihn für mich beanspruchte. Das ist auch etwas, das ich meinem Bruder zu verdanken habe. Schon früh hat er mir gezeigt, wie man sich verteidigt, und mir beigebracht, dass ich mir nichts gefallen lassen darf. Zur Not auch mit den Fäusten, wobei ich keine Mädchen schlage. Ein Grundsatz, den ich von ihm übernommen habe und der mich regelmäßig zum Schmunzeln bringt.

Im Klassenraum achte ich nicht auf Frau Kunz, die bestimmt wieder einmal ihren rundlichen Hintern zu uns streckt, um irgendwelche Formeln an die Tafel zu kritzeln. Formeln, die mir letztes Jahr schon zum Hals raushingen und die ich nicht noch einmal aufzufrischen brauche. Lieber nehme ich meinen Skizzenblock und die Bleistifte, um einen Entwurf zu beenden. Schon jetzt bringt mir die neue Skizze ein Hochgefühl, und meine Finger kribbeln vor Erwartung. Ich liebe das Zeichnen im Allgemeinen, doch mehr als alles andere liebe ich es, Fabelwesen aufs Papier zu bringen. Elfen, Zwerge, Trolle, Einhörner. Am meisten haben es mir die Drachen angetan. Umso glücklicher bin ich, letzte Woche eine Anfrage für einen Drachen bekommen zu haben, dessen Entwurf ich noch heute fertigstellen muss.

»Schön, dass wir nun alle anwesend sind.« Eine Stimme direkt neben mir lässt mich zusammenzucken. Schnell klappe ich den Zeichenblock zu und blicke auf. Zu meiner Überraschung ist es nicht Frau Kunz, die mit ihrer dicken Nickelbrille und den kurzen dauergewellten Haaren zu mir herunterblickt. Es ist ein junger Mann, dessen intensiv blaue Augen mich mustern, während er die Stirn in Falten legt. Die blonden Haare trägt er kurz – an den Seiten abrasiert, oben etwas länger. Ein Dreitagebart lässt ihn älter wirken, als er vermutlich ist. Dennoch kann ich nicht umhin, sein gutes Aussehen anzuerkennen, und lehne mich im Stuhl zurück. Ohne ein Wort zu sagen. Dabei ignoriere ich seine Ausstrahlung, die alle anderen Mädels um mich herum mit Sicherheit sabbern lässt.

»Dann bist du wohl Julia Graf?«

Ich zucke betont gleichgültig mit den Schultern. »Werd ich wohl sein.« Desinteressiert blicke ich ihn an, achte darauf, mir keine Emotionen anmerken zu lassen. Er soll gleich wissen, dass ich meine Ruhe will. Dass ich meine Zeit hier absitze, anstatt irgendwo eine beschissene Ausbildung anzufangen, bei der ich weniger Zeit zum Zeichnen hätte.

Er blickt mich einen Moment an, dann seufzt er. »Und dürfte ich noch erfahren, wieso du zu spät zu meinem Unterricht erscheinst?«

Was ist das für eine bekackte Sprache? Warum hat er mich nicht gefragt, weshalb ich zu spät komme? Dann hätte ich ihm einen guten Spruch drücken können. So jedoch muss ich auf eine andere Tatsache aufmerksam machen und beuge mich ein Stück zu ihm nach vorne, um ihn herauszufordern. »Ich bin nicht zu spät zu Ihrem Unterricht erschienen, sondern zu dem von Frau Kunz. Außer natürlich, ich wurde in eine andere Klasse versetzt, ohne dass mir das jemand mitgeteilt hat.«

Zufrieden beobachte ich, wie der Typ vor mir eine Augenbraue hochzieht. Doch auf seinem Gesicht ist keine Verunsicherung zu erkennen, keine Verachtung. Ist das wirklich Belustigung? Es kostet mich alle Mühe, nicht breit zu grinsen, und ich merke, dass es ihm ähnlich geht, bevor er sich wieder im Griff hat und mich fest fixiert. »Dann sollte ich dich vielleicht aufklären. Ich bin Herr Groß. Ihr werdet mich in meinem Referendarjahr begleiten, während ich an euch übe, wie ich alles Mögliche vermassle, um nach meinem Studium ein guter Lehrer zu sein. Lernen durch Versuch und Irrtum. Und da Frau Kunz leider längere Zeit krank ist und es so kurzfristig keinen Ersatz für sie gibt, werdet ihr mit mir allein vorliebnehmen müssen, ohne dass mich jemand berichtigt, wenn ich pädagogischen Mist baue. Daher werde ich nun meinen ersten Fehler begehen«, sagt er und zieht wieder eine Augenbraue nach oben. »Julia, steh auf, nimm deine Sachen und setz dich vorne in die erste Reihe.«

Ich unterdrücke ein Lachen und schüttle siegessicher den Kopf, während ich die Arme vor der Brust verschränke. »Auch wenn Sie Groß heißen, bezweifle ich, dass Sie wirklich groß sind«, kann ich mir einen Kommentar nicht verkneifen. Vor allem, da er mir vorhin die Vorlage für das Kommen verwehrt hat. Schade nur, dass er nicht einmal zuckt, während vor mir Gekicher ertönt. »Zwingen Sie mich«, füge ich herausfordernd hinzu.

Ich weiß, dass er das nicht kann. Und ich werde bestimmt nicht wie ein verschissener Streber in der ersten Reihe sitzen, nur damit er an mir ein Exempel statuieren kann. Womit ich allerdings nicht gerechnet habe, ist, wie schnell Mr. Big ist, wie ich ihn schon jetzt in Gedanken nenne. Noch bevor ich überhaupt bemerke, was er vorhat, greift er nach meiner Zeichenmappe, dreht sich um und geht nach vorne zu seinem Lehrerpult. Überrascht springe ich auf die Beine und balle die Hände voller Wut, aber auch Angst zu Fäusten.

»Gib das sofort zurück!«, schreie ich und hechte ihm hinterher. Mein Blut kocht, denn an meinen Zeichnungen hat niemand etwas verloren! Nicht einmal so ein verschissener Referendar, der denkt, er hätte hier irgendwas zu sagen.

»Das heißt: ›Geben Sie mir das bitte zurück‹«, erwidert er trocken und lässt meine Mappe tatsächlich in seiner Tasche verschwinden, bevor er sich zu mir umdreht. Ich weiß, dass alle Augen auf mich gerichtet sind. Auf den Freak, den die Lehrer in Ruhe lassen. Den Freak, mit dem sich keiner anlegt. Den Freak mit dem kaputten Bruder.

Ich ignoriere die Blicke und konzentriere mich auf den Pisser vor mir.

»Vergiss es!«, speie ich ihm förmlich ins Gesicht. »Das ist mein Block und DU hast kein Recht dazu, ihn mir wegzunehmen! Das ist Diebstahl! Nirgends in der Schulordnung steht geschrieben, dass man keinen Zeichenblock mit zum Unterricht bringen darf!«

Ich hasse diesen verschissenen Lehrer schon jetzt und könnte ihm vor die Füße spucken. Seine Arroganz nervt mich an.

»Wenn du dich auf den von mir zugewiesenen Platz setzt und am Unterricht teilnimmst, werde ich dir die Mappe nach der Stunde zurückgeben. Wenn nicht, werde ich sie eine Woche behalten.«

Eine Woche? Verdammt! Panik breitet sich in mir aus wie Säure. Meine Finger beginnen vor Adrenalin zu kribbeln. Ich brauche den Drachen heute! Ich kann mir keine Verzögerung leisten!

»Warum sollte ich dem Unterricht folgen, wenn er sterbenslangweilig ist?« Ich versuche wieder meine Maske aufzusetzen, gebe mich betont gleichgültig. Auch wenn mir bewusst ist, dass es dafür längst zu spät ist. Meine Emotionen waren mir vorhin zu deutlich anzumerken.

Herr Groß zieht einige Unterlagen aus seiner Tasche, während ich vor der ganzen Klasse stehe. Ich hasse es, dass sie mich anglotzen, doch ändern kann ich es nicht. Also richte ich meine Aufmerksamkeit voll und ganz auf den Arsch vor mir, der mir alles vermasselt.

Eine Weile blickt er die Zettel in seiner Hand an, bevor er mich intensiv mustert. »Hier steht, du hattest letztes Jahr eine Vier in Mathe. Nicht gerade das, was man erwartet, wenn sich ein Schüler langweilt. Ich gehe eher davon aus, dass du dringend Nachhilfe brauchst, wenn du das Gymnasium schaffen möchtest.«

Tief durchatmen! Zähl bis zehn, und lass dich nicht provozieren! »Erstens brauche ich mit Sicherheit keine Nachhilfe.« Ich betone jede Silbe einzeln, als würde ich mit einem Schwachmaten sprechen, der Mr. Big in meinen Augen auch ist. »Den Scheiß vom letzten Jahr kann ich. Die geben mir nur schlechte Noten, weil ich oft schwänze.« Leider hört man den Ärger aus meiner Stimme heraus, ganz gleich, wie sehr ich mich zusammenreiße. »Und zweitens habe ich sowieso keinen Bock, die Schule zu beenden. Also können Sie sich den Scheiß sparen, mir meinen Block zurückgeben, und wir vergessen die ganze Sache einfach.«

Natürlich sieht er mich jetzt noch intensiver an, und ich löse meine zu Fäusten geschlossenen Hände. Wie gerne würde ich ihm eine reinhauen, wie mein Bruder es mir beigebracht hat, um ihm klarzumachen, dass man sich mit mir nicht anlegt. Stattdessen funkle ich ihn an, während seine blauen Augen mich zu durchbohren scheinen. Ich mag das Gefühl nicht, das sein Blick auf meiner Haut hinterlässt, als könnte er tiefer in mich schauen, als ich es je zugelassen habe.

»Also ist dir langweilig, weil du alles schon kannst?«, fragt er herausfordernd, und ich nicke ernst. Kann es sein, dass er das so schnell verstanden hat? Das glaube ich ja kaum!

»Jup. Sonst noch was? Wenn nicht, will ich jetzt sofort meinen Block wiederhaben!« Nein, ich werde nicht unsicher. Ganz sicher nicht!

»Tut mir leid, doch das hier ist kein Wunschkonzert.« Seine autoritäre Stimme kotzt mich an. »Setz dich, beweise mir diese Stunde, dass du bereits alles kannst, und danach bekommst du deinen Block zurück.«

Meine Haut fühlt sich an, als würde sie in Flammen aufgehen, so wütend bin ich. Aber gegen Herrn Groß habe ich keine Chance, so viel ist mir bewusst. Der Rektor hat mich schon ewig auf dem Kieker, und ich kann nicht darauf zählen, dass er mir helfen würde. Also atme ich tief durch, reiße mich zusammen, stapfe trotzig zu meinem Platz, nehme meine Tasche und lasse mich in der ersten Reihe auf den Stuhl plumpsen. Direkt vor dem Lehrerpult, wo ich einige Blätter, einen Stift und einen Taschenrechner heraushole und Mr. Big zuckersüß anlächle. Fuck You, denke ich hasserfüllt. Ich werde dir unter keinen Umständen zeigen, wie fertig du mich grad machst! »Dann hätte ich jetzt gerne Aufgaben, die ich in dieser Stunde lösen soll, um zu beweisen, dass das hier für mich Kindergarten ist.«

»Jules, langsam nervst du!«, kommt genau in dem Moment von hinten Alex’ Stimme. Wie ich diesen Angeber hasse. Natürlich spielt er Fußball, sieht gut aus und hat jede Woche eine andere. Alle Mädchen aus der Klasse himmeln ihn an, wobei Herr Groß ihm wahrscheinlich Konkurrenz machen wird. Doch das ist es nicht, was ich an ihm verabscheue. Es ist der Umstand, dass er so tut, als hätte er die Weisheit mit Löffeln gefressen. Ich könnte mich zu dem Pisser umdrehen, um ihm meine Meinung zu sagen. Doch ich tue es nicht. Stattdessen klimpere ich mit meinen schwarz getuschten Wimpern, streiche mir eine imaginäre Strähne hinters Ohr und warte auf eine Reaktion von Mr. Big. Der Name gefällt mir immer besser! Zu meiner Erleichterung holt er wirklich einige Arbeitsblätter aus seiner Tasche und reicht sie mir. Ich würde sie ihm am liebsten aus der Hand reißen, doch stattdessen atme ich tief durch und lege sie ordentlich vor mir auf den Tisch. »Der Rechenweg ist genauso wichtig wie das Ergebnis. Wenn du mir beweist, dass du besser bist, als deine Noten es aufzeigen, werde ich Gnade vor Recht walten lassen und dir deinen Block wiedergeben. Wenn nicht, werde ich ihn die Woche über behalten.«

Erneut klimpere ich mit den Wimpern, bevor ich ihm den Mittelfinger entgegenstrecke und innerlich juble. »Oh, sorry«, gebe ich gespielt von mir und hebe diesmal den Zeigefinger in die Luft. »Ich wollte nur noch mal was fragen und mich dazu melden. Irgendwie habe ich dabei die Gesten verwechselt.«

Tosendes Lachen erschallt in der Klasse, was Herr Groß mit einem autoritären Blick ersterben lässt. Ich kenne keinen Lehrer, dem das bisher gelang. »Natürlich«, antwortet er zu ruhig für meinen Geschmack. Ich wollte ihn lieber toben sehen. »Passiert mir auch andauernd. Was genau wolltest du denn wissen?«

Einen Moment bin ich verunsichert und beiße mir auf die Unterlippe, bevor ich den Kopf leicht schief lege. Es gibt so viel, womit ich ihn provozieren könnte. Ich könnte ihn fragen, wie er den Spitznamen Mr. Big findet. Ich könnte noch einmal auf seine Größe anspielen. Ich könnte ihm vorwerfen, dass er gerne kleine Mädchen erpresst und ihn das anmacht. Doch nichts davon verlässt meinen Mund, denn selbst ich weiß, wann ich es zu weit treibe. »Soll ich nur die eine Stunde an den Aufgaben arbeiten oder beide Mathestunden?«

Zu meiner Verwunderung huscht ein Lächeln über seine Lippen, als wüsste er, dass ich mich zurückhalte. »Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst.«

Damit wendet er sich von mir ab und geht zur Tafel, um den Unterricht fortzusetzen. Am Rande nehme ich noch wahr, dass er aufschreibt, was wir an Schulmaterialien brauchen und was er mit uns im nächsten Halbjahr geplant hat. Ich konzentriere mich schon nicht mehr auf ihn. Stattdessen befasse ich mich mit Formeln und dem ganzen anderen Scheiß. Meistens gehe ich kürzere Wege, um ans Ziel zu kommen, doch heute schreibe ich jeden Schritt auf, den ich im Kopf rechne, um später nicht gesagt zu bekommen, dass das richtige Ergebnis nur Zufall sei.

Ich bin mit den Blättern fertig, noch bevor die zweite Stunde beendet ist, und lege sie Herrn Groß auf das Pult. Der beachtet mich jedoch nicht und erklärt wieder einmal irgendeinen Mist, den die anderen schon letztes Jahr nicht verstanden haben, während ich den Kopf auf die Arme lege, um fünf Minuten die Augen zu schließen. Scheiße, nicht mehr lang, dann kann ich endlich nach Hause. Nach Hause zu Samy, dem einzigen Wesen auf dieser Welt, das mich nie verlassen wird. Und zu Rose, die dann natürlich auch Aufmerksamkeit braucht.

Der Gong reißt mich aus meinen Gedanken, und ich schrecke hoch. Verwundert schaue ich mich in der Klasse um, stelle jedoch fest, dass außer mir nur noch Herr Groß hier ist. Ein Blick auf die Uhr neben der Tafel verrät mir, dass ich bereits eine Schulstunde länger hier war, als ich müsste. Und Herr Groß ebenfalls. Der hat meine Rechenaufgaben vor sich ausgebreitet und mustert mich intensiv.

»Ist dir auch in den anderen Fächern langweilig?«

Ich antworte nicht, stattdessen strecke ich die Hand aus, um wortlos nach meinem Block zu verlangen. Zu meiner Überraschung reicht er ihn mir. Er lag bereits neben den Rechenaufgaben auf seinem Pult, und als ich ihn endlich wiederhabe, stehe ich kommentarlos auf. Augenblicklich fühle ich mich leichter.

»Julia, ich habe dir eine Frage gestellt. Ist dir in den anderen Fächern auch langweilig?«

»Mir ist seit meinem ersten Schultag langweilig«, antworte ich und nehme meine Tasche. »Oder was denken Sie, warum ich lieber zeichne, als am Unterricht teilzunehmen?«

Damit verlasse ich das Klassenzimmer und renne zum Bus. Ich bin später dran, als ich wollte. Ich kann nur hoffen, dass Samy mir nicht in die Wohnung pinkelt und ich den Mist wegwischen muss. Das ist schon öfter passiert, wenn ich länger Schule hatte. Rose muss ich zum Glück erst später abholen. Kindergärten, die bis 18 Uhr geöffnet haben, sind schon was Tolles.

2

JULIA

Wie immer hole ich Rose pünktlich um achtzehn Uhr vom Kindergarten ab.

»Jules!«, schreit sie und springt in meine Arme, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen. Als wäre ich ihr Lebensinhalt und es gäbe nichts Wichtigeres als mich. Sofort geht mein Herz auf, und ich drücke sie fest an mich. Ihr Haar riecht nach Beeren, weil sie dieses Shampoo einfach liebt und sich weigert, ein anderes an sich heranzulassen. Was ich verstehen kann. Es gehört einfach zu ihr, genauso wie ihre blonden Haare, ihre blauen Babyaugen und die Grübchen, die sich immer zeigen, wenn sie lacht. Dabei ist sie schon lange kein Baby mehr, meine kleine Schwester ist drei Jahre alt und das wunderbarste Wesen auf dieser Welt.

»Na, wie war der Kindergarten?«, frage ich sie und nehme sie auf den Arm. Sie ist alles, was mir von meiner Familie geblieben ist. Sie ist mein Leben.

»Anna ist blöd«, motzt sie, und ich blicke sie böse an. »Solche Worte will ich nicht von dir hören!«

»Aber Anna hat mein Bild kaputt gemacht! Das war so gemein!«

Ich streiche ihr über den Kopf und küsse sie auf die Wange. »Da hast du recht. Man darf keine Sachen kaputt machen. Was hattest du denn gemalt?«

Anna gehört zu Roses besten Freunden, und ich weiß, dass sich die zwei morgen wieder in den Armen liegen. Ich hoffe, dass die beiden ein Leben lang Freunde bleiben, denn auch ich wünsche mir oft jemanden, dem ich mich anvertrauen kann. Nur ist mir das natürlich nicht vergönnt!

»Was für ein Bild war das denn?«, möchte ich wissen.

»Eine Prinzessin. In einem Schloss! Und da war ein König, der mein Papa war.« Sie beschreibt das Bild in den schönsten Farben, während ich ihre Sachen zusammensuche und wir uns auf den Heimweg machen. Ich weiß, wie sehr sie sich einen Vater wünscht. Eine intakte Familie. Doch so, wie sie mein Leben ist, bin ich ihres. Wir sind Einzelkämpfer, und ich fürchte, dass sich daran so schnell nichts ändern wird, nicht, seit uns unser Bruder genommen wurde. Und es ist meine Schuld.

»Jules, darf ich mal bei Anna schlafen?«, fragt Rose, als wir zu Hause ankommen. Mein Herz zerreißt, während ich sie anblicke. Natürlich ist sie ihrer Freundin schon jetzt nicht mehr böse, dennoch schüttle ich den Kopf.

»Tut mir leid. Das geht leider nicht.« Annas Eltern wollen zuerst meine Mum kennenlernen, bevor eine bei der anderen schlafen darf. Etwas, das niemals geschehen wird.

»Aber warum?«

Ich zucke mit den Schultern. »Weil ihr noch viel zu klein seid. Ich will nicht, dass du woanders schläfst. Was würdest du machen, wenn du nachts aufwachst, weil du einen Albtraum hattest?«

»Dann musst du eben auch bei ihr schlafen«, erklärt Rose ernst, was mich zum Kichern bringt. Ich wünschte, das Leben wäre so einfach, wie Rose es sich ausmalt.

Es ist wieder einmal spät in der Nacht, als ich endlich meinen Stift zur Seite lege und das Bild vor mir betrachte. Die Skizze des Drachen ist seit Stunden fertig und der Kunde begeistert. Jetzt heißt es, dem Ganzen Leben einzuhauchen und es zu digitalisieren. Ich müsste mir nicht so viele Umstände machen, wenn ich von Anfang an direkt am Computer arbeiten würde. Doch ich liebe das Zeichnen mit Stift und Papier, sodass ich das Bild immer komplett erstelle, bevor ich mich an den PC setze. Solange ich das irgendwie beibehalten kann, werde ich das tun, auch wenn das heißt, deutlich mehr Aufwand und damit weniger Schlaf zu haben. Die ursprünglichen Zeichnungen behalte ich selbst, der Kunde bekommt am Ende nur die Bilddatei. Langsam wird mein Ordner mit den abgeschlossenen Auftragsarbeiten dicker, und ich bin unendlich stolz darauf. Sie sind meine Leidenschaft, das, was mich am Leben hält. In so vielen Belangen. Ich wüsste nicht, wie ich ohne das Geld, das ich dabei verdiene, überleben sollte. Dennoch reichen mir die Zeichnungen nicht ganz aus. Also arbeite ich nebenher als freiberufliche Designerin und habe vor Kurzem die Sparte des Buchcoverdesigns für mich entdeckt. Eine Sparte, in der ich mir langsam einen Namen mache, sodass ich genug Anfragen habe, um mich über Wasser zu halten.

Es ist das Aufblinken einer neuen Nachricht auf Facebook, das mich aus meinen Gedanken gerissen hat, sodass ich mich jetzt erst einmal dem Internet widme. Selin, eine meiner wichtigsten Kundinnen, hat mir geschrieben. Sie veröffentlicht viel, und ihre Bücher verkaufen sich gut, sodass von ihr regelmäßig Arbeit reinkommt, die ich nur allzu gerne übernehme.

Jules, bist du on?

Lächelnd antworte ich. Ich mag den Namen Jules, und die Arbeit mit ihr macht Spaß.

Klar, wie immer. Was brauchst du?

Ich hab grad eine Geschichte beendet. Was ganz anderes. Ein Fantasyprojekt, das jetzt zu den Testlesern kommt. Und grad hab ich das Bedürfnis, mir sofort ein Cover entwerfen zu lassen. Ich weiß, dass du viel zu tun hast, doch kannst du es machen, sobald du Zeit hast?

Ich muss nicht lange überlegen, was ich ihr antworte.

Schon eine Idee, wie das Cover aussehen soll? Irgendwelche Elemente, die du gerne drauf hättest?

Ich bin mir noch unsicher. Es ist eine Geschichte über eine Frau, die eine Gabe hat. Sie hört Stimmen von Steinen, beziehungsweise entpuppen sich diese Steine als Drachen. Es gibt natürlich einen Mann, den sie abgöttisch liebt, und einen Wächter von Raum und Zeit. Dazu Götter, die in Form von Blitzen bei bestimmten Zeremonien mitwirken. Kannst du damit was anfangen?

Sofort formt sich in meinem Kopf ein Bild, und mein Herz beginnt zu rasen ob der Möglichkeiten.

Was willst du dafür ausgeben? Ich kann dir was machen, hab auch schon eine grobe Vorstellung. Ich würde dazu gerne alle Elemente selbst zeichnen, das heißt, es wäre sehr zeitaufwendig und kostspielig. Doch es wäre ein Cover, das es so nur einmal auf der Welt gibt. Also mit Elementen, die du sonst nirgends findest.

Es ist eher selten, dass Cover einmalig sind, zumindest die Elemente und Personen darauf. Denn jeder Designer, der mit Bildern aus dem Internet arbeitet, hat nur eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten. Und sobald ein Bild von einem Model einmal auftaucht und gut ankommt, sieht man dieses Model massenhaft.

Ich hab gespart, ich gebe dafür aus, was es braucht. Du weißt, ich vertraue dir voll und ganz!

Einen Moment überlege ich und überschlage, wie viel Geld ich wohl für solch ein aufwendiges Cover nehmen kann. Die Miete von fünfhundert steht in einer Woche an, und vorhin lag die Gasrechnung im Briefkasten. Daher kann ich keine Sonderkonditionen geben, was ich gerade bei Selin gerne machen würde.

Ich müsste dir für die Nebenelemente zwischen zwanzig und hundert Euro in Rechnung stellen, je nach Aufwand und Größe. Und für den Drachen und die Frau noch mal zweihundertfünfzig. Bei dem Bild berechne ich dir nicht die Zeit, weil es sein kann, dass ich mehrmals von vorne beginne. Und Nebenelemente werden es wohl drei. Was meinst du, passt das?

Mach, ich bin total hibbelig! Weißt du schon, wann du dazu kommst?

Ich blicke auf den Drachen, den ich gerade auf den Computer übertrage, dann auf die Uhr.

Wenn ich es schaffe, mein aktuelles Projekt bis übermorgen zu beenden, kommst danach gleich du. Passt das?

Das ist perfekt, ich meine, das Buch ist ja gerade erst zu den Testlesern gekommen. Außerdem weiß ich noch gar nicht, was meine Leser zu mir als Fantasyautorin sagen werden. Doch ich freue mich schon jetzt darauf! Soll ich dir das Buch auch schicken, damit du ein Gefühl dafür bekommst?

Da muss ich nicht lange überlegen. Ich habe bereits einige von Selins Büchern verschlungen. Ihr Schreibstil ist toll, und ich bin unendlich gespannt auf ihre neue Geschichte. Ich bezweifle zwar, dass ich dazu komme, bevor das Cover beendet ist, doch wenn ich es habe und mal eine Auszeit brauche, werde ich dieses Buch lesen.

Sehr gerne!

Selin und ich bequatschen noch die Einzelheiten und was für Ideen ich für das Cover habe, bevor wir den Chat für heute beenden und ich mich noch einmal an mein aktuelles Projekt setze. Es ist bereits nach Mitternacht, und ich sollte eigentlich ins Bett gehen. Doch da ich heute in der Schule geschlafen habe und mir die Zeit von Mathe fürs Zeichnen fehlt, werde ich noch ein oder zwei Stunden weiter arbeiten. Irgendwann muss man ja Geld verdienen, wenn man auf sich allein gestellt ist. Wie ich das alles hasse. Vor allem das ganze beschissene deutsche System, in dem wir stecken würden, sollte jemand erfahren, dass Mum einfach abgehauen ist und ich mit meinen sechzehn Jahren für meine kleine Schwester sorge.

Wie meistens setze ich meine Kopfhörer auf und mache mir Linkin Park an. Die Mischung aus hartem und ruhigem Rock ist genau das Richtige, um mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, und so zieht die Zeit an mir vorbei, ohne dass ich auch nur ahne, wie lange ich wieder arbeite.

Genervt stelle ich den Wecker aus und drehe mich im Bett noch einmal um. Es war vier, als ich mich hingelegt habe, damit hatte ich also viel zu wenig Schlaf, um mich jetzt aus dem Bett zu quälen. Doch welche Wahl habe ich? Ich war schon auf dem Radar des Rektors, als Mum noch da war, ich kann nicht riskieren, dass irgendein Lehrer sie in die Schule einbestellt. Vielleicht sollte ich mich etwas umgänglicher verhalten, wenn ich genau das vermeiden möchte.

Stöhnend und mit brennenden Augen stehe ich gegen sechs Uhr auf und ärgere mich selbst. Ich habe kaum Zeit, mich fertig zu machen, also springe ich nur schnell unter die Dusche, ohne mir dabei die Haare zu waschen, und binde mir einen unordentlichen, hohen Pferdeschwanz anstatt einer aufwendigen Frisur, wie ich es sonst bevorzuge. Nur auf das Schminken verzichte ich nicht. Es ist nicht so, als würde ich tonnenweise Make-up auf meine Haut klatschen, im Gegenteil. Ich benutze nur Eyeliner, Mascara und Lidschatten. Doch ohne fühle ich mich so unwohl, dass ich lieber zum Arzt gehen würde, um mir eine Krankmeldung zu holen, als ungeschminkt das Haus zu verlassen. Also nehme ich mir etwas Zeit dafür, bevor ich Rose wecke und sie anziehe. Ich weiß, es ist kein schöner Morgen, wenn man direkt vom Bett aus in den Kindergarten gebracht wird. Sie hat etwas Besseres verdient, und gleichzeitig weiß ich, dass ich das Beste bin, was sie noch hat.

»Ich mag heute nicht in den Kindergarten«, jammert sie und lässt sich von mir die Haare kämmen. »Darf ich mit dir in die Schule?«

Ich lache. »Kleines, das geht nicht. Aber nicht mehr lang, dann kommst du auch in die Schule. Du wirst in ein paar Monaten vier, dann sind es nur noch zwei Jahre.«

Auf ihrem Gesicht erscheint ein Strahlen. »Dann darf ich mit dir in die Schule?«

Kopfschüttelnd tätschle ich ihr die Haare. »Nein. Du kommst dann in deine eigene Schule. Dort lernst du lesen und schreiben und rechnen. Außerdem sind dann deine Freunde mit dir in einer Klasse, bei mir würdest du dich nur langweilen. Und wenn du groß bist, liegt dir die Welt zu Füßen.«

Das ist es, was ich mir für sie erhoffe. Ein unbekümmertes Leben, in dem all ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Ein Leben, in dem sie sich keine Sorgen um Geld machen muss. Anders als ich. Allein bei dem Gedanken, dass meine Zukunft schon jetzt feststeht, zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Ich könnte so viel mehr erreichen, wenn ich nur eine richtige Familie hätte. Aber das ist Wunschdenken, nichts, was ich mir erlauben darf. Sonst werde ich depressiv, und dafür fehlt mir eindeutig die Zeit.

»Ich will in deine Schule!«, murrt sie und verschränkt trotzig die Arme vor der Brust. Würde sie nun noch mit dem Fuß aufstampfen, wäre es um mich geschehen, und ein Lachflash würde mich überkommen.

»Ich weiß«, antworte ich und binde ihre Haare zu einem Pferdeschwanz. Sie will immer die gleiche Frisur wie ich, was die Morgen meist nicht gerade entspannter macht. »Aber das geht leider nicht. Was wollen wir heute denn essen?«

Ablenkung ist die beste Verteidigung, und sie überlegt angestrengt. »Nudeln.«

Natürlich, was hätte es auch anderes sein sollen? »Und was dazu?«

Wieder grübelt sie und legt dabei den Kopf schief. Ich liebe es, sie so zu sehen! »Ei.«

Gut. Das ist machbar, wenn auch nicht gesund. »Dann musst du im Kindergarten aber deinen Apfel und deine Karotte essen.«

Rose nickt eifrig. »Versprochen!«

Ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange, dann schnappe ich mir Samys Leine.

Samy, mein Labrador-Schäferhund-Mix, ist mein Ein und Alles. Okay, in ihm steckt auch Colly mit drin und noch andere Rassen, die ich nicht kenne. Daher ist er so besonders. Dennoch beschreibe ich ihn meist als Labrador-Schäferhund-Mix, um es einfach zu halten. Mein Bruder hat ihn als Welpen angeschleppt und mir geschenkt, als mein Vater gestorben ist. Ich war gerade erst elf, und meine Welt ging unter. Das war auch der Moment, in dem meine Mum uns irgendwie verlassen hat. Ein Teil von ihr ist mit ihm gegangen und nicht wieder zurückgekommen. Sie wurde depressiv und hat begonnen zu trinken. Kein schönes Leben, wie ich gestehen muss. Doch mit Samy an meiner Seite war immer alles gut, und ich kann nur hoffen, dass er noch sehr alt wird. Ich habe echt keine Ahnung, was ich ohne ihn tun sollte. Und ich will es mir auch nicht vorstellen.

Dann kam Rose. Keiner weiß, wer Roses Vater ist, doch von Anfang an habe ich sie abgöttisch geliebt und alles für sie getan. Daher wundern sich die Erzieher auch nicht, dass ich sie täglich bringe und abhole. Es war nie anders. Schon lange beginnt mein Morgen damit, Rose fertig zu machen, sie um sieben in den Kindergarten zu bringen und auf dem Rückweg mit Samy kurz aufs Feld zu gehen, wenn wir es davor nicht mehr schaffen. Wobei, wenn ich es mir genau überlege, mache ich es, seit Rose im Kindergarten ist. Meine Mum hat sich nur selten aufgerappelt, um sie selbst zu bringen.

Es ist zwanzig nach sieben, als ich Samy sein Fressen in den Napf fülle und innerlich stöhne. Den Bus, den ich am liebsten nehme, weil er leerer ist, habe ich bereits verpasst. Und der nächste kommt so knapp, dass ich nicht nur jetzt rennen muss, um ihn zu bekommen, sondern auch nachher, um nicht zu spät zum Unterricht zu erscheinen. Nicht dass ich ein Problem damit hätte, zu spät zu sein, doch wir haben in der ersten Mathe, und ich will nicht riskieren, dass Herr Groß mich erneut in die erste Reihe setzt. Also streiche ich Samy noch einmal über den Kopf, bevor ich meine Tasche packe, den Schlüssel nehme und lossprinte. Nur am Rande nehme ich wahr, dass die Tür der Wohnung mir gegenüber weit offen steht und Kartons zu sehen sind. Scheint so, als würden meine Nachbarn ausziehen. Ich kann nur hoffen, dass kein Depp in die Wohnung nebenan zieht. Wobei, schlimmer als die, die gerade dort wohnen, kann es kaum werden. Ich habe nichts gegen Kinder, wirklich! Doch wenn ein Kleinkind von zwei Jahren regelmäßig um elf Uhr so laut schreit und singt, dass selbst ich genervt bin, haben die Eltern in meinen Augen etwas falsch gemacht. Wenn das eine Ausnahme wäre, kein Problem! Doch es ist Dauerzustand und der Grund, weshalb ich meine Musik über Kopfhörer höre, anstatt über Lautsprecher. Auch um die Schreie der Frau zu überdecken, wenn sie mal wieder von ihrem Mann geschlagen wird. Ich bin nur froh, dass Roses Zimmer auf der anderen Seite liegt und sie nichts davon mitbekommt. Anfangs hatte ich noch die Polizei gerufen. Doch nachdem die dann auch bei mir geklopft haben, um zu fragen, ob meine Eltern da seien und etwas gehört hätten, habe ich das schnell wieder gelassen. So leid mir die Frau auch tut, doch jeder ist seines Glückes eigener Schmied. Und jeder muss selbst wissen, was er sich gefallen lässt.

Es ist genau eine Minute vor acht, als ich mich auf meinen Platz ganz hinten im Klassenzimmer plumpsen lasse und den Kopf auf die Tischfläche lege. Ich bin hundemüde und vom Rennen erschöpft. Doch ich bin pünktlich, was mir so einige Blicke meiner Klassenkameraden einbringt. Natürlich sagt keiner was, was mich wieder einmal schmunzeln lässt. Aber klar, keiner traut sich, mit dem verrückten Punk zu quatschen, der lieber die Fäuste sprechen lässt, als sich blöd anmachen zu lassen.

»Schön zu sehen, dass die Klasse heute vollständig pünktlich ist!«

Ich hebe meinen Kopf nicht, ich habe keine Kraft dazu, dennoch höre ich Herrn Groß zu, der vorne steht und uns begrüßt. Gerade teilt er uns mit, dass Frau Kunz wohl mindestens einen Monat fehlen wird. Ich stöhne innerlich. Heißt das, dass nun der Referendar alle Stunden übernimmt? Der Mann, der selbst sagt, dass wir seine Versuchsobjekte sind? Das kann ja heiter werden. Andererseits kann es mir egal sein, vor allem, da ich nicht vorhabe, das Gymnasium zu beenden. Ich weiß schon jetzt, wie ich mein Geld in Zukunft verdienen werde, dazu brauche ich weder einen Schulabschluss noch eine Ausbildung. Ich brauche nur meinen Computer, meine Programme und meinen Kopf. Und natürlich ein Blatt und meinen Stift, um mir im Vorfeld die Skizzen zu machen.

»Julia?«

Erschrocken fahre ich hoch und blicke genau wie gestern Mr. Big an, der sich neben mich gestellt hat.

»Ja? Was hab ich jetzt wieder falsch gemacht?«, frage ich provozierend.

»Nichts«, antwortet er ruhig und schenkt mir tatsächlich ein Lächeln. Pisser, das Grinsen kannst du dir sonst wohin stecken! »Ich wollte dich nur bitten, dass du nach der Stunde noch kurz bleibst. Ich habe etwas mit dir zu besprechen.«

Genervt verdrehe ich die Augen und überlege mir schnell eine Ausrede. »Da habe ich keine Zeit. Ich brauche die Pause, um etwas zu frühstücken.«

Jetzt zwinkert er mir auch noch zu? Der ist ja echt nicht mehr zu fassen! Ich kann mir schon vorstellen, dass er mit seinem Charme und seinem Aussehen andere Mädels bezirzen kann, doch bei mir klappt das nicht so einfach. Erst recht nicht nach dem, was er gestern mit mir abgezogen hat. »Dann iss jetzt, ich habe damit kein Problem. Wer Hunger hat, kann nicht denken, ist meine Devise, und solange es euch nicht vom Mitarbeiten abhält, kann hier jeder essen und trinken, wie ihm beliebt.«

Sofort raschelt es überall im Raum, und jeder Zweite holt etwas zu essen hervor. Nur ich nicht. »Geht nicht, ich hab mir noch nichts gekauft. Muss noch zum Bäcker.«

»Dann kannst du das jetzt machen. Ich weiß ja nun, dass du den Stoff, den wir behandeln werden, schon kannst. Übrigens beherrschst du bereits den Stoff für das komplette Jahr, was ich sehr interessant finde. Wer hat dir das beigebracht?«