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Natürlich wünscht sich jedes Unternehmen den perfekten Mitarbeiter. Dass diese nichtimmer auch die erfolgreichsten Mitarbeiter sind, beschreibt Simone Janson in ihrem Buch "Die 110%-Lüge". Perfektionisten stehen sich mit ihren hohen Ansprüchen oft selbst im Weg, halten Termine nicht ein, weil das Projekt noch nicht perfekt bearbeitet ist, und neigen zu Schwarz-Weiß-Denken. Die Autorin, selbst Perfektionistin auf "Entzug", zeigt, wie Menschen auch ohne Zwang zur Perfektion wieder Freude an der Arbeit empfinden und sogar produktiver arbeiten.
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Seitenzahl: 276
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Nachdruck 2012 © 2009 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH Nymphenburger Straße 86 D-80636 München Tel.: 089 651285-0 Fax: 089 652096
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Redaktion: Ulrike Kroneck, Melle-Buer Umschlaggestaltung: Thomas Uhlig, www.coverdesign.net Umschlagabbildung: iStock.com Satz: Jürgen Echter, Landsberg am Lech
Druck: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN Print 978-3-86881-363-0 ISBN E-Book (PDF) 978-3-86414-102-7
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unterwww.redline-verlag.de
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Prolog: Stets perfekt und volle Leistung?
Einleitung: Was ist eigentlich Perfektionismus?
Ursachenforschung
Perfektionismus – nur ein erlerntes Verhalten?
So wirkt sich Perfektionismus aus
Simplify your life – oder?
Der Han zum Vereinfachen
Warum das Hirn nur Schwarz-Weiß sieht
Schublade auf, Gedanke rein, fertig!
Simplify extrem
Raus aus der Vereinfachungsfalle
Die Sache mit der eigenen Einstellung
Den Blickwinkel ändern
Downshifting – nur gut, nicht perfekt!
Die fleißigen Bienen jedes Unternehmens
Arbeiten bis zum Umfallen
Warum aus der Arbeitsbiene keine Königin wird
Die Messlatte tiefer legen
Was ut enu ist bestimme ich!
Sich selbst vom Gegenteil überzeugen
Die Messlatte justieren
Die nicht ganz so lieben Chefs
Downshifting-Gespräche
Richtig verkaufen ist alles
Perfektionisten – ihr eigener schlimmster Chef
Der kosmische Buchhalter
Der Wunsch nach Kontrolle
Ihre Stärken und Schwächen
Ich denke also bin ich?
Gesundes Nachdenken oder Thinkaholismus?
Aus Liebe zum Detail
Thinkaholismus im Praxistest
Nur keine Panik!
Pessimismus
… und andere Katastrophen
Perfektionismus – ein ökonomisches Problem?
Angst geht um im Unternehmen
Das Märchen von der Effizienzsteigerung
Mache Fehler – sei Unternehmer!
Irren ist menschlich
Reaktion ist alles.
Fruchtlose Vermeidungsstrategien
Der absolute Supergau
Konstruktiv statt destruktiv
Fehler als Karrierekiller
Lügen haben kurze Beine
Fehlerkultur – mehr als eine hohle Phrase?
Erwischt – und jetzt?
Anfälli für Kritik
Die anderen haben immer recht?
Mehr Selbstbewusstsein, bitte!
Eine absolute Übertreibung
Kritik hinterfragen
Druck der keiner ist
Die beste Art, sich die Freude an der Arbeit zu verderben
Angst vor dem Nein?
Hilfe der will was von mir!
Die eigenen Zwänge
Manipulatoren am Werk
Nur scheinbar nett
Sich wehren – oder?
Keine Angst vor der Entscheidung!
Vermeidungsstrategien
Entscheidun en – immer die bessere Wahl
Ein schlechtes Beispiel
Die optimale Strategie
Ziele
Alternativen
Fakten Fakten Fakten
Die Macht der Zahlen
Keine Zeit – und jetzt?
Ratio oder Bauch?
Wenn das Bauchgefühl trügt
Die 110-%-Lüge
Hamsterrad statt Karriereleiter
Wann sind wir richtig produktiv?
Zu viel des Guten
Ordnung – wirklich das halbe Leben?
Pedanterie
Ordnung als Selbstzweck
Regelwut
Rigidität
Gefangen im eigenen System
Chaotisch aus Ordnungsliebe
Einfach ineffizient
Wie Sie Dinge geregelt kriegen
Ablage
Archivierung
Nur keinen Stress!
Stressfaktoren.
Druck von außen
Stress – hausgemacht!
Entspannung
Was können Sie tun?
Entspannung zwischendurch
Zeit ist Geld
Zeitmangel – das Hauptproblem vieler Perfektionisten
Die An st Prioritäten zu setzen
Vorsicht Falle: Typisch perfektionistische Zeitfresser
Machen Sie es besser!
Darauf kommt es an
Selbstanalyse
Prioritäten setzen
Keine Chance für Zeitfresser
Tagesablauf – gut geplant ist halb gewonnen
Mehr Schein als Sein?
Sage mir, was du arbeitest, und ich sage dir, wer du bist
Der perfekte Mitarbeiter
Kommunikative Defizite
Make it easy
Immer diese hohen Erwartungen
Nur ich weiß, was richtig ist?
Der Wunsch nach Anerkennung
Wenn der Schuss nach hinten losgeht
Gerechtigkeitssinn und moralische Ansprüche
Vorsicht, die Nörgeltante kommt
Der Bumerangeffekt
Showtime
Sich nicht erwischen lassen
Weniger ist mehr – ehrlich!
Gute Argumente
Die Macht von Gestik Mimik und Stimme
Verbal zurückschlagen
80 statt 110
Ein bisschen Show muss sein
Einfache Techniken des Selbstmarketings
Warum Perfektionisten beim Chef schlecht ankommen
Das können Sie besser!
Wollen Sie wirklich perfekt sein?
Über die Autorin
Kommentiertes Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
„Nur Höchstleistung führt zum Erfolg“ – das war die Maxime, unter der sie aufwuchs und nach der sie lebte: in der Schule, im Studium – und natürlich auch im Beruf. Kein Tag, an dem sie nicht völlig gestresst war, kein Abend, an dem sie vor neun aus dem Büro kam, oft sogar noch später. Spaß im Job hatten andere, denn Arbeit war kein Spaß, sondern vor allem Pflicht. Diese Pflicht wollte sie so gut wie möglich erfüllen, auch wenn sie sich dafür jeden Morgen zum Aufstehen zwingen musste.
Dann kam eine Wirtschaftskrise, und die Firma verlor Aufträge. Alle begannen, um ihren Arbeitsplatz zu fürchten. Der Chef nutzte die Gelegenheit, seine Mitarbeiter zu mehr Leistung anzuspornen und gab die Parole aus: „Wir müssen alle härter arbeiten“ – und sie richtete sich danach. Oft saß sie noch bis Mitternacht im Büro, weil sie nun versuchte, auch unwichtige Kleinigkeiten 110-prozentig zu erledigen, um den Anforderungen ihres Chefs gerecht zu werden. Der kleinste Fehler, die winzigste Unachtsamkeit konnte sie schließlich den Job kosten. Durch ihre hohe Leistungsbereitschaft glaubte sie sich vor einer Entlassung sicher: Wer, wenn nicht sie, hielt die Firma am Laufen und erledigte alles Liegengebliebene? Sie glaubte, alles unter Kontrolle zu haben – bis zu dem Tag, an dem sie entlassen wurde. Sie habe zu wenig Einsatz im Job gezeigt, zu wenig eigene kreative Ideen eingebracht und sich zu wenig an der Lösung aktueller Probleme beteiligt, bescheinigte ihr der Chef. Befördert wurden andere, die viel weniger getan hatten als sie, die jedoch mehr Präsenz gezeigt und mehr Einsatz zur Schau getragen hatten. Sie war tief enttäuscht – und begann zum ersten Mal an ihrer Lebensmaxime „Nur Höchstleistung führt zum Erfolg“ zu zweifeln: Vielleicht war das alles eine einzige Lüge?
Sie beschloss, zukünftig anders zu arbeiten und sich selbstständig zu machen. Sie wollte nicht mehr jeden Abend bis spät in die Nacht im Büro sitzen, sondern selbst bestimmen, wann sie anfing und wann sie aufhörte. Sie wollte ihre kostbare Zeit nicht länger mit Meetings verschwenden, in denen nur sinnlos geredet wurde, sondern ihre Arbeit effizient durchziehen. Und sie wollte sich nicht für irgendeinen Chef aufreiben, sondern sich selbst verwirklichen und ihre Arbeit so machen, wie sie es für richtig hielt. Die berufliche Selbstständigkeit schien ihr die perfekte Arbeitsform. Dementsprechend groß war ihr Einsatz: Oft arbeitete sie viel intensiver und länger, als sie eigentlich vorgehabt hatte, und das ohne Unterlass und Entspannung.
Das musste schiefgehen. Ihre anfängliche Arbeitseuphorie schlug bald in Stress um, sie war müde, reizbar und unausgeglichen. Existenzängste befielen sie. Aber was noch schlimmer war: Sie begann, die Freude an der Arbeit zu verlieren. Statt mit Begeisterung ihr Tagewerk zu vollbringen, sah sie wieder nur noch eine Anhäufung von Pflichten, die erfüllt werden mussten. Durch den Druck, den sie sich auf diese Weise selbst aufbaute, trieb sie sich an und hetzte nur noch lustlos von einer Aufgabe zur nächsten. Die Arbeit, die sie sich doch selbst gewählt hatte, sah sie bald nur noch als notwendiges Übel, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Genau das verstärkte aber erneut ihre Existenzängste. Ihre Leistungsbereitschaft nahm spürbar ab, sie machte einfach nur noch, was unbedingt notwendig war. Schlimmer hätte es mit keinem Chef kommen können – und sie hätte sich noch nicht einmal über ihn beschweren können.
Als sie krank wurde, begann sie, ihre Arbeitsweise zu überdenken. Sicherlich gab es externe Faktoren, die Druck und Stress verursachten. Da war zunächst die finanzielle Unsicherheit, die eine Selbstständigkeit mit sich brachte. Da waren Kunden und ihre Wünsche, die erfüllt werden mussten, auch wenn sie es lieber anders gemacht hätte. Und da waren Konflikte mit Mitarbeitern, die den Arbeitsalltag verkomplizierten. Doch das wahre Problem, so fand sie bald heraus, lag in ihrer Einstellung zur Arbeit begründet. Sie hatte nicht nur Druck von außen, sondern vor allem auch zu hohe Ansprüche an sich selbst. Sie versuchte, stets alles um jeden Preis 110-prozentig zu machen, statt unwichtige Dinge auch mal gelassener anzugehen. Sie versuchte um jeden Preis, Fehler zu vermeiden – aus Angst Aufträge zu verlieren –, statt ihre Arbeit einfach nur so gut wie möglich zu machen. Sie verlor viel Zeit damit, Probleme und Entscheidungen immer wieder abzuwägen, statt sie einfach anzugehen. Kurz: Sie merkte, dass sie sich als typische Perfektionistin ihr Arbeitsleben schwerer machte, als es unbedingt nötig war. Die Frage war: Was konnte sie dagegen tun?
Es gibt Menschen, für die es selbstverständlich ist, auf dem einfachsten Weg schnurgerade zum Ziel zu gelangen. Die auch bei größten Schwierigkeiten gelassen bleiben, die Konflikte stets charmant und eloquent angehen und denen auf diese Weise alles mühelos zu gelingen scheint, sodass es aussieht, als ob sie mit links Karriere machten.
Um es gleich vorab zu sagen: Solche Verhaltensweisen zeigen perfektionistische Naturen nicht. Zwar sind Menschen, die zum Perfektionismus neigen, in der Regel leistungsbereit, zielstrebig und durchsetzungsfähig – alles Eigenschaften, die ihnen gerade im Job den einen oder anderen Vorteil verschaffen. Und gerade hier, im Berufsalltag, wird es wie in keinem anderen Bereich sogar von uns erwartet, immer 110 Prozent zu geben, sodass viele Perfektionisten geradezu stolz auf diesen Charakterzug sind. Doch mit der Zeit, nachdem man stets für die Firma bis an die eigene Leistungsgrenze gegangen ist, aber immer noch auf der gleichen Gehaltsstufe steht, während andere schon längst auf der Karriereleiter vorbeigezogen sind, erkennt so mancher Perfektionist: Auch wenn im Job Perfektion verlangt wird, ist das keinesfalls immer hilfreich. 110-Prozent-Leistung bedeutet nicht automatisch Erfolg und Karriere.
Denn auch wenn der Wunsch, etwas besonders gut, richtig und ordentlich machen zu wollen, völlig normal und menschlich ist und beinahe jeder Mensch ein bisschen perfektionistisch ist: Menschen mit dem Hang zum übertriebenen Perfektionismus machen sich den Berufsalltag oft unnötig schwer. Sie fordern beispielsweise von sich und anderen stets Höchstleistungen, die sie jedoch selbst kaum erreichen können. Dadurch sind sie dauerhaft unzufrieden, ihr Selbstwertgefühl nimmt ab, und sie werden besonders anfällig für Kritik. Gern denken Perfektionisten stundenlang über ein Problem nach, ja, sie wälzen die Argumente dafür regelrecht hin und her, malen sich pessimistisch die schlimmsten Folgen aus. Am Ende kommen sie aber nur selten zum Ergebnis und schieben so wichtige Entscheidungen ständig vor sich her. Oft arbeiten Perfektionisten bis zum Umfallen. Sie sind dabei aber häufig nicht besonders effizient, weil sie nur schlecht wichtige Dinge von unwichtigen trennen können; statt sich also auf das Wesentliche zu konzentrieren, wollen sie auch noch jedes noch so kleine Detail mit perfekter Akribie abarbeiten. Bei Kollegen und Chefs sind Perfektionisten eher unbeliebt, denn sie neigen dazu, andere Menschen ständig zu kritisieren, wollen stets die Besten sein, sind misstrauisch und wollen alles kontrollieren.
Denn Perfektionismus ist eben keine gesunde, positive Leistungsbereitschaft. Vielmehr fühlen sich Perfektionisten häufig zu ihrem Handeln getrieben und gezwungen: Wer alles perfekt machen will, tut das in der Regel, weil er Fehler um jeden Preis vermeiden will und Angst vor Sanktionen hat. Er hofft, durch bessere Leistungen mehr Anerkennung zu bekommen und durch ein Höchstmaß an Perfektion beängstigende Dinge unter Kontrolle zu halten. Im Job verstärken Faktoren, wie eine Wirtschaftskrise, die Angst um den Arbeitsplatz sowie der Leistungsdruck, der von Chef und Kollegen aufgebaut wird, zusätzlich den Druck, den sich Perfektionisten ohnehin schon selbst auferlegen. Viele Perfektionisten sind dem auf Dauer nicht gewachsen und legen manchmal sogar widersprüchliche und irrationale Handlungen an den Tag: Ihre perfektionistischen Verhaltensweisen ufern aus, ihre Ordnungsliebe schlägt um in Pedanterie und Rigidität, und sie tun Dinge, die ihrer Karriere sogar schaden können, etwa, wenn sie wichtige Aufgaben immer wieder vor sich herschieben.
Doch kein Mensch erwartet von Ihnen, dass Sie Ihre perfektionistischen Verhaltensweisen auf der Stelle in das Gegenteil verkehren – auch Sie als Perfektionist sollten nicht den Fehler machen, erneut derart hohe Ansprüche an sich zu stellen. Außerdem gibt es sehr viele unterschiedliche Ausprägungen von Perfektionismus und daher kein Patentrezept, sie abzuschalten. Aber in einigen Punkten können Sie sicherlich Ihre bisherige Einstellung überdenken und Ihre Verhaltensweisen Schritt für Schritt ein wenig optimieren.
Das Problem betrifft dabei alle Hierachiestufen, vom Chef bis zum kleinen Angestellten. Und genau deshalb wurden für das Buch auch Beispiele gewählt, in denen es mal um die Zusammenarbeit mit gleichrangigen Kollegen, mal um das Verhältnis zu Vorgesetzen und mal um das Agieren mit untergeordneten Mitarbeitern geht.
Dieses Buch wird Ihnen dazu verhelfen, nicht alle Projekte so wichtig zu nehmen, dass Sie dafür immer an Ihre Leistungsgrenzen gehen wollen. Es kann dazu beitragen, dass Sie nicht mehr stundenlang Entscheidungen abwägen, sondern Probleme einfach einmal anpacken. Es soll Ihnen bei der Umstellung Ihrer Arbeitsorganisation und Zeitplanung nützlich sein. Und es zeigt Ihnen, wie Sie als eingefleischter Perfektionist mit Chefs und Kollegen besser klarkommen, als das vielleicht heute der Fall ist.
So hilft Ihnen dieses Buch
Um Sie dabei zu unterstützen, gibt es in jedem Kapitel neben einem grundlegenden Text zum Thema einige praktische Übungen, die mit speziellen Icons gekennzeichnet sind. Sie finden zum Beispiel Techniken, die Ihnen helfen, Ihre zu hohen Ansprüche herunterzuschrauben, unnötiges Grübeln abzustellen oder sich besser zu entscheiden. Und Sie erfahren, wie Sie Zeitmanagement betreiben, Arbeiten mit Kollegen teilen oder an Mitarbeiter weiterdelegieren oder Ihre Kommunikation mit anderen verbessern. Einige Techniken sind sehr einfach und lassen sich schnell und jederzeit als praktische Übung durchführen. Gerade aber wenn es darum geht, grundlegende Einstellungen zu ändern, werden Sie dafür etwas mehr Zeit brauchen, weil Sie darüber nachdenken müssen. Auch wenn die Versuchung groß ist, die Übungen aus Zeitgründen im Kopf zu machen, weil Sie noch dringend „so viele andere Dinge zu erledigen haben“: Nehmen Sie sich ein paar Minuten und machen Sie die Übungen schriftlich. Wenn Sie schriftlich denken, wird Ihnen vieles klarer. Vor allem können Sie hinterher immer wieder auf diese Ergebnisse zurückgreifen.
Verzeihen Sie mir, wenn ich im Text der Einfachheit halber durchweg die männliche Form, beispielsweise Perfektionist/Perfektionisten, verwende – natürlich sind damit auch Perfektionistinnen gemeint. Und natürlich beziehen sich alle Beispiele sowohl auf weibliche wie auch auch auf männliche Perfektionisten, denn das Problem ist keinesfalls auf ein Geschlecht beschränkt.
Das Buch wird Sie aber auch für die Ursachen des Perfektionismus, für die Abläufe in Ihrem Körper und für die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die diesen ungesunden Perfektionismus hervorrufen, sensibilisieren. Wenn Sie nach der Lektüre des Buches auch nur ein wenig gelassener und zufriedener werden, dann hat das Buch seinen Zweck erfüllt. Daher nun viel Spaß!
Warum lassen wir uns durch stressige Situationen derart unter Druck setzen, dass wir meinen, unbedingt perfekt funktionieren zu müssen. Leider lässt sich die Frage nicht eindeutig und „perfekt“ beantworten: Die eine Ursache für den menschlichen Wunsch nach Perfektion gibt es nämlich nicht, sondern vielmehr einen ganzen Ursachenmix: Wie viele Wesenszüge ist auch eine gewisse Tendenz zum Perfektionismus bei manchen Menschen offenbar angeboren. Untersuchungen der Charaktere von getrennt und gemeinsam aufgewachsenen eineiigen Zwillingen verdeutlichen aber auch: Die genetische Veranlagung ist nur ein Teilfaktor, der durch das, was ein Mensch im Laufe seines Lebens lernt und erfährt, noch erheblich gefördert wird – oder eben nicht. Vereinfacht gesagt, ist Perfektionismus vor allem auch ein Verhalten, das man sich angewöhnt hat. Und man kann es auch wieder ändern.
Verhaltensweisen ändern
Durch alles, was wir erleben und erfahren, verschalten sich die Nervenzellen in unserem Gehirn immer wieder neu. Der Fachbegriff dafür ist Neuro-Plastizität. Daraus folgt, dass sich einmal erlernte Verhaltensweisen auch wieder ändern lassen. Wenn Sie aktiv etwas an Ihrem Verhalten ändern wollen, müssen Sie die entsprechenden Verhaltensweisen einüben und so für neue Verschaltungen sorgen. Allerdings brauchen Sie dafür etwas Geduld: Experten gehen davon aus, dass Sie eine Handlung einundzwanzig Mal ausgeführt haben müssen, bis Sie die neue Verhaltensweisen verinnerlicht haben.
Alle Menschen lernen, indem Sie sich bestimmte Verhaltensweisen bei anderen abschauen. Oder indem sie zufällig eine bestimmte Handlung ausführen. Sind die Reaktionen der Umwelt positiv, wird die Handlung wieder ausgeführt. Bei negativen Reaktionen jedoch wird das Verhalten zukünftig vermieden. Das fängt schon in der Kindheit an: Eltern oder Lehrer loben Kinder für richtiges Verhalten und gute Leistungen oder zumindest tadeln sie sie nicht. Wenn die Kinder jedoch etwas falsch machen, erfolgt in der Regel eine Bestrafung. Dadurch lernt ein Kind: „Wenn ich mich richtig verhalte oder mich anstrenge, ist das gut, wenn ich etwas schlecht mache, bekomme ich Probleme.“ Aber das Kind hat auch erfahren: „Wenn ich eine bestimmte Reaktion erreichen will, muss ich mich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten.“ Verhaltenspsychologen nennen das Konditionierung.
Doch wir Menschen lernen auf diese Weise nicht nur, unser Verhalten den Reaktionen unserer Umwelt anzupassen; wir lernen mit zunehmendem Alter auch, uns selbst und unsere Handlungen zu bewerten und unser Verhalten dadurch zu steuern. Für bestimmte Verhaltensweisen belohnen oder bestrafen wir uns fortan selbst mit entsprechenden positiven oder negativen Gedanken. Daraus folgt: Wer als Kind viel Lob erfährt, wird später auch eher selbstbewusst und optimistisch von sich denken. Wer jedoch häufig kritisiert wird, tendiert dazu, sich selbst und seine eigenen Fähigkeiten negativer zu beurteilen, als es manchmal notwendig wäre. Denn auch wenn die negativen Selbstbewertungen anfangs noch die eigenen Erfahrungen wiedergeben: Verfestigen sich solche Denkmuster, so wird man sich auch dann negativ beurteilen, wenn die Wirklichkeit inzwischen weitaus positiver ist.
Auch Kritik hat eine wichtige Funktion!
Natürlich, auch zu viel Lob kann schädlich sein. Denn die negativen Erfahrungen, so frustrierend sie manchmal sein mögen, haben eine wichtige Funktion: Sie zeigen uns Grenzen für unser Handeln auf und führen so dazu, dass wir unsere Fähigkeiten realistisch einschätzen lernen. Dadurch lernen wir, mit den vielen Konflikten und Problemen, die uns tagtäglich begegnen, umzugehen.
Problematisch ist jedoch übertriebene Kritik, etwa dann, wenn die Eltern selbst perfektionistisch veranlagt sind und zu hohe Ansprüche an das Kind haben. Ein Beispiel hierfür ist die Bewertung von Schulleistungen:
Der kleine Max, der bislang fast nur Fünfen in Mathematik geschrieben hat, schreibt plötzlich eine Drei. Eine deutliche Verbesserung. Max könnte nun von sich denken: „Hey, super, das Lernen hat etwas gebracht“ und sich damit für seine Anstrengungen gedanklich belohnen. Doch sein Vater ist nicht zufrieden: „Da habe ich dir die teure Nachhilfe bezahlt und dann schreibst du wieder nur eine schlechte Note“, schimpft er. Max denkt nun automatisch auch: „Mensch, bin ich blöd, dass ich nur eine Drei geschrieben habe.“ Durch seine negative Selbstwahrnehmung schafft er sich negative Gefühle und bestraft sich dadurch selbst. Je älter er wird, desto unabhängiger wird Max vermutlich von der Meinung seines Vaters werden, weil er lernen wird, sich selbst zu bestrafen und zu belohnen. Aber die Auffassung, dass eine Drei immer noch nicht gut genug ist, wird ihm vermutlich erhalten bleiben.
Dauerhaft zu hohe Ansprüche können zu übertriebenem Perfektionismus führen
Auch wenn es nicht so weit kommt und wenn genügend aufbauende Erfolgserlebnisse eine Persönlichkeit festigen und stabilisieren: Im Extremfall können übertrieben hohe Erwartungen an ein Kind auf diese Weise dazu führen, dass ein Mensch in dem Bewusstsein lebt, nur gelobt und geliebt zu werden, wenn er perfekt ist und immer nur absolute Höchstleistungen bringt.
Doch negative Erlebnisse jeder Art sind frustrierend und verletzend – und niemand wird gern frustriert oder verletzt. Die Psyche bedient sich daher zunächst eines Tricks, um das Frusterlebnis besser zu verarbeiten: Sie erschafft einfach eine heile und perfekte Welt, in der nur die positiven Dinge Platz haben. Negative Dinge werden schlicht ausgeblendet, so, als gehörten sie nicht dazu. Das perfekte Ideal wirkt dabei wie ein Schutzmantel, der die harte Realität zunächst ein wenig abfedert. Das ist eine notwendige Funktion, die dabei hilft, schlechte Erfahrungen allmählich zu verarbeiten.
Psychoanalytiker sehen dieses Verhalten in der frühen Kindheit begründet: Kinder idealisieren zum Beispiel ihre Mutter, die ihnen Liebe schenkt, klammern aber gleichzeitig aus, dass dieselbe Person auch mit ihnen schimpft. Erst allmählich, durch die immer wieder gewonnene Erkenntnis, dass Frust und Freude von demselben Menschen kommen, lernen sie, dass die Realität nicht dem Ideal entspricht. Und sie lernen, diese Realität mit der Zeit auch zu verstehen und damit umzugehen.
Vorsicht vor übertriebener Idealisierung
Schwierig wird es, wenn ein Mensch es nicht schafft, die perfekte Welt wieder zu verlassen, sondern sich krampfhaft darin festklammert und versucht, das Ideal um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Denn dann kann er nicht mehr angemessen auf die Außenwelt reagieren.
Bei Verunsicherung und in schwierigen Situationen, zum Beispiel bei Stress im Job, bei Konflikten mit Kollegen, wenn es neue Entwicklungen im Unternehmen gibt oder wenn sie Angst um den Arbeitsplatz haben, reagieren Menschen häufig mit diesen Verhaltensmechanismen: Sie wollen die heile und perfekte Welt, in der sie sich gut fühlen, bewahren. Das erhält die Illusion, auch schwierige Situationen stets unter Kontrolle halten zu können. Das geht natürlich am besten, wenn nichts das Ideal stört: Vorgesetzte, die einen loben, Kollegen, die einen mögen oder Kunden, die immer wieder kommen, vermitteln das Gefühl, dass alles perfekt ist. Um das zu erreichen, will man alles so gut machen wie möglich, denn man hat ja gelernt: „Wenn ich mich anstrenge, ist das gut.“
Perfektion im Beruf – klar!
Es ist völlig normal und verständlich, dass Menschen im Beruf perfekt sein wollen, weil gerade die moderne Arbeitswelt dieses Verhalten begünstigt: Sie belohnt Höchstleistungen und den perfekten, schönen Schein.
Doch nicht immer geht alles glatt: Wir bekommen eben nicht andauernd die positiven Reaktionen, die wir uns wünschen. Das geht uns allen so. Manchmal erwarten Chefs, Kollegen und Kunden einfach zu viel von uns, manchmal finden es die anderen einfach völlig normal, dass wir uns anstrengen. Und manchmal machen wir trotz aller Anstrengung Fehler. Das ist zwar frustrierend. Aber es lässt sich nicht vermeiden, denn der Frust gehört einfach dazu. Entscheidend für unseren Erfolg ist vielmehr, wie wir mit diesen großen und kleinen Frustrationen umgehen.
Einige Menschen lernen daraus, dass übertriebene Anstrengungen nicht immer Erfolg versprechen und finden sich damit ab. Sie haben erkannt, dass sie die Umstände nicht ändern können und blicken stattdessen optimistisch nach vorne. Sie sagen sich zum Beispiel: „Schade, dass es nicht geklappt hat, diesen Job zu bekommen. Ich hätte wirklich gerne in dieser Firma gearbeitet. Doch das Leben geht weiter. Ich werde sicher wieder eine Chance bekommen.“ Aus dieser optimistischen Grundhaltung heraus bemühen sich diese Menschen jedoch auch immer wieder, ihre Ziele zu erreichen. Denn gerade weil sie die negativen Erfahrungen als gegeben hinnehmen können, sind sie eher bereit, mögliche Frustration zu riskieren, um ihr Ziel zu erreichen. Auf diese Weise gelangen sie schließlich in vielen kleinen Schritten zum Erfolg.
Perfektionisten allerdings tun sich schwerer damit, Verhaltensweisen, die sie sich in vielen Jahren angewöhnt haben, einfach über Bord zu werfen und auf Frust gelassen zu reagieren. Denn sie haben gelernt, dass perfektionistisches Verhalten sie vor negativen Erfahrungen schützt und hilft, Schwierigkeiten zu vermeiden. Daher haben sie höchste Ansprüche an sich und sind bereit, alles zu geben. Im Gegenzug erwarten, ja fordern sie geradezu, dass andere Menschen gut zu ihnen sind und dass das Schicksal sie gerecht behandelt – sozusagen als Belohnung. Solche Menschen haben häufig drei grundlegende Imperative verinnerlicht: „Ich muss perfekt sein! Andere Menschen müssen mich fair behandeln! Die Welt muss mir mein Leben leicht machen!“ Wenn aber eine dieser Erwartungen nicht erfüllt wird, reagieren sie, statt ihre extreme Einstellung aufzugeben, mit übertrieben starken Frustrationsgefühlen.
Aufgeben aus Frust
Es kann vorkommen, dass diese eigentlich sehr leistungsbereiten Menschen resignieren, statt weiterzumachen. Sie sagen sich dann: „Es ist sinnlos, dass ich mich weiter anstrenge, ich mache doch immer nur alles falsch!“, und erledigen dann selbst wichtige Aufgaben nicht mehr.
Dabei unterscheidet man zwei Typen von Perfektionisten: Introvertierte Perfektionisten verstärken, wenn die positiven Reaktionen ausbleiben, ihre Bemühungen um Perfektion noch mehr und stellen noch übertriebenere Erwartungen an sich. Wenn auch das nicht funktioniert, geben sie sich selbst die Schuld. Die Folgen sind häufig Minderwertigkeitsgefühle und Selbstzweifel. Auf Kritik reagieren sie dann besonders empfindlich, und Lob können sie, wenn überhaupt, nur halbherzig annehmen. Extrovertierten Perfektionisten hingegen bewältigen schwierige Situationen ein wenig anders: Sie suchen die Schuld für ihren Frust nicht bei sich, sondern bei anderen. Eigene Fehler können sie nur schlecht zugeben. Ohnehin können sie schwer von ihrer Idealvorstellung abrücken und sich auf Kompromisse einlassen.
Gemeinsam haben beide Typen allerdings eines: Sie tun sich in der Regel sehr schwer damit, von ihrer Einstellung abzurücken, selbst wenn sie im Berufsalltag auf Schwierigkeiten stoßen, da sie frustrierenden Ereignissen ja schwerlich immer aus dem Weg gehen können. Der Perfektionismus kann auf diese Weise zu einem ernsten Problem werden: Wer einen immer größeren Aufwand betreibt, um die ideale Vorstellung aufrechtzuerhalten, um vor Frust verschont zu werden, kann in einen regelrechten Teufelskreis geraten. Das kann sogar dazu führen, dass perfektionistische Verhaltensweisen, übertrieben und zwanghaft ausgeführt werden. Der Betroffene kompensiert damit jeden Anflug von Unsicherheit und erhält sich damit die Illusion, alles im Griff zu haben. Damit nimmt er sich aber gleichzeitig ein gutes Stück Lebensqualität. Psychologen sprechen bei einer solch extremen Ausprägung sogar von einer zwanghaften oder anankastischen Persönlichkeitsstörung.
Natürlich ist es wichtig, dass man sich das Leben so einfach wie möglich macht. Aber der Schuss kann nach hinten losgehen – nämlich dann, wenn wir zu sehr in bequemen Kategorien denken. Und leider ist unser Gehirn geradezu prädestiniert dafür.
Menschen neigen dazu, Dinge zu vereinfachen. Hier folgen ein paar Beispiele – vielleicht kommt Ihnen ja das eine oder andere bekannt vor? Etwa Gedanken wie „Das Essen in der Kantine ist immer so furchtbar!“, „Die im Nachbarbüro arbeiten ja nie!“ oder „Ich habe einen Fehler gemacht – ich bin ja völlig unfähig!“ Und denken Sie einmal in Ruhe darüber nach: Ist das Essen in der Kantine wirklich immer so furchtbar oder verallgemeinern Sie gerade einzelne Erfahrungen? Sind die Kollegen im Nachbarbüro wirklich so faul, wie Sie meinen – oder ist das nur Ihre persönliche Ansicht? Wären die nicht schon längst ihren Job los, wenn sie wirklich nie arbeiten würden? Und auch wenn Sie sicher nicht immer alles richtig machen: Sich selbst als völlig unfähig zu bezeichnen, ist sicher ein wenig übertrieben, oder? Und doch sind das typische Denkfallen, in die gerade perfektionistische Naturen tappen – und die das Leben unnötig kompliziert machen können.
Sie stehen also nicht alleine da: Menschen neigen dazu, Dinge ein wenig zu vereinfachen. Der Grund dafür ist im Gehirn zu suchen: Tagtäglich stürmt eine Vielzahl von Reizen auf den Menschen ein. Von dieser Masse an Sinneseindrücken nimmt das Gehirn aber nur einen kleinen Teil auf. Allerdings nicht zufällig: Das Gehirn wählt vor allem solche Informationen aus, die es in bereits bestehende Denkmuster eingliedern kann. Im Klartext: Was wir wahrnehmen, wird sehr stark von unserer Überzeugung, unseren bisherigen Erfahrungen, Einstellungen und Interessen beeinflusst. Darüber hinaus werden Reize, die starke Gefühle auslösen, schneller und besser verarbeitet als Informationen, an denen man nicht emotional beteiligt ist. Vielleicht haben Sie sich beim letzten Gang in der Kantine außerordentlich stark vor dem Essen geekelt oder sich gerade über die Kollegen im Nachbarbüro geärgert – und diese Ereignisse sind Ihnen dann besonders in Erinnerung geblieben? Das würde erklären, warum Sie diesbezüglich zu Übertreibungen neigen.
Denn was Menschen sich merken, ist keinesfalls objektiv, sondern sehr selektiv. Würde das Gehirn nicht derart ökonomisch arbeiten, könnte es gar nicht alle Reize bewältigen – der Mensch wäre schlicht überfordert. Es ist daher in gewissen Grenzen sogar sinnvoll, zu vereinfachen und zu verallgemeinern. Denn dadurch können Sie neue Informationen schneller verarbeiten, als wenn Sie versuchten, wirklich alle Aspekte zu berücksichtigen – schließlich ist es gerade im Job oft sehr wichtig, dass Sie neue Situationen oder andere Menschen richtig einschätzen und entsprechend reagieren. Im Abschnitt zu Zweifeln und Thinkaholimus (s. Kapitel „Ich denke, also bin ich“) können Sie sehen, welche Schwierigkeiten es Perfektionisten mitunter bereiten kann, einfacher zu denken und entsprechend schnell zu reagieren. Wen wundert es da, dass Simplify-Tipps für ein vereinfachtes Leben regelrecht Konjunktur haben und nach und nach alle Lebensbereiche ergreifen: Arbeit, Geld, Management – und sogar die Liebe.
Heißt das also: Je einfacher, desto besser? – Nein, das wäre zu einfach! Denn leider kann es manchmal sehr kompliziert werden, wenn man es sich zu einfach machen will – gerade auch im Beruf. Das folgende Beispiel von Peter zeigt sehr schön, wie die manchmal wichtige Fähigkeit zu vereinfachen, auch zur Karrierebremse werden kann.
Peter liebt seinen Job. Doch in letzter Zeit kommen immer öfter wichtige Informationen aus einer bestimmten Abteilung nicht bei ihm an. Er kann seine Arbeit daher nicht gewissenhaft erledigen, was ihn als Perfektionisten besonders ärgert. Statt jedoch in einem vernünftigen Gespräch zu klären, warum dieses Kommunikationsproblem existiert, ärgert er sich still und heimlich über das Verhalten der besagten Abteilung: „Die sind total unfähig da unten, echt komplette Idioten. Aber irgendwann wird der Chef ja schon merken, was da abläuft.“ Bald ist er sehr unzufrieden, morgens schleppt er sich nur noch zur Arbeit und hat bald auch Magenprobleme. Immer öfter macht er nun Fehler.
Einmal spricht er in der Mittagspause mit einem befreundeten Kollegen über das Problem. Der versucht, Peter zu beschwichtigen: „Die Jungs in der Abteilung hatten in letzter Zeit viele technische Probleme, ich denke, der Fehler ist da zu suchen …“ Peter versteht nicht. Im Gegenteil, denkt er, der Kollege will die unfähigen Idioten nur noch schützen. „Selbst ein Idiot“, denkt Peter und misstraut von nun an zahlreichen Kollegen. Er wird unfreundlich – und macht sich unbeliebt. Bald bekommt Peter auch entscheidende Informationen aus anderen Abteilungen nicht mehr. Das scheint seine Verschwörungstheorie nur zu stützen: „Wahrscheinlich haben die in der Firma was gegen mich, die wollen mich ausbooten.“ Die Ironie der Geschichte: Peter selbst ist schuld an dem Dilemma, denn er hatte den Spam-Filter seiner firmeninternen E-Mail-Adresse falsch eingestellt und wichtige E-Mails nicht mehr bekommen.
Herausfinden wird er das wohl nie, denn er kommt seiner vermeintlichen Kündigung zuvor und fängt in einer neuen Firma an. Sein Problem aber nimmt er mit: Nachdem die ersten Monate im neuen Job gut verlaufen sind, bemerkt er, dass er Informationen aus einer bestimmten Abteilung einfach nicht bekommt. Diese unfähigen Idioten wollen ihn ausbooten …
Peter ist sicherlich ein extremes Beispiel eines Perfektionisten; längst nicht alle perfektionistisch veranlagten Menschen sind derart radikal in ihrer Sichtweise. Aber das Denkmuster ist immer das Gleiche: Schublade auf, Gedanke rein, fertig. Denn das gibt Perfektionisten ein Gefühl von Sicherheit, weil sie glauben, die Dinge so besser unter Kontrolle zu haben. Und je weniger Facetten es gibt, je weniger mögliche Ursachen ein Problem hat, je weniger verschiedene Meinungen beachtet werden müssen usw., desto leichter hat es ein Perfektionist, seine kleine Welt in einfache Kategorien einzuteilen. Das macht es ihm leichter, die Welt zu überschauen.
Ist es nicht einfacher, anzunehmen, das Essen in der Kantine sei schlecht und nicht mehr hinzugehen, als sich ein weiteres Mal der Gefahr auszusetzen, von einer negativen Erfahrung enttäuscht zu werden? Aber beschweren Sie sich nicht, wenn Sie hinterher einige echte kulinarische Höhepunkte verpassen! Ist es nicht bequemer, die Kollegen im Nachbarbüro für Idioten zu erklären, statt einfach einmal freundlich und konstruktiv mit ihnen zu reden und gemeinsam das Problem zu lösen? Und fällt es Ihnen nicht auch leichter, wenn Sie sich selbst pauschal für unfähig erklären? Dann können Sie sich nämlich wunderbar selbst bemitleiden, statt konstruktiv und in kleinen Schritten daran zu arbeiten, in Zukunft weniger Fehler zu machen.
Aber jedem das Seine. Solange es nur Sie betrifft und um Kleinigkeiten geht, können Sie es sich so einfach machen, wie es Ihnen guttut. Und wenn Sie mit dem Kantinenessen, Ihrer eigenen Arbeitsleistung oder irgendetwas anderem so unzufrieden sind, dass Sie es ändern wollen, können Sie das tun. Langfristig wird sich das auf alle Fälle lohnen, weil Sie dadurch feststellen, dass die Welt tatsächlich bunt und vielfältig sein kann und nicht nur aus Schwarz oder Weiß besteht. Aber Achtung: Sie könnten dadurch ein Stück zufriedener werden!
Problematisch wird es dann, wenn von Ihren Vereinfachungen auch andere Menschen betroffen sind. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, die Kollegen bekommen mit, dass Sie sie pauschal für unfähig erklärt haben. Vielleicht via Flurfunk. Oder weil Sie sich ärgern und ihnen in einem unbedachten Moment an den Kopf werfen: „Ihr arbeitet ja sowieso nie.“ Wie würden sie wohl reagieren? Sicherlich wären Ihre Kollegen sehr beleidigt, denn so eine pauschale Kritik, zumal wenn sie besonders vorwurfsvoll oder wütend geäußert wird, kommt nie gut an. Sie lässt dem Angegriffenen nämlich gar keine Möglichkeit, sich zu wehren, weil Sie ihm damit jeden Wind aus den Segeln nehmen.
Statt andere mit pauschalen Urteilen zu verärgern, sollten Sie vor jeder Kritik überlegen, was Sie stört und das dann differenziert und sachlich vorbringen.
Die Sache mit dem Vereinfachen kann man sogar ins Extreme übersteigern – mit mitunter schlimmen Folgen. Das soll Sie nicht erschrecken, sondern einfach zum Nachdenken anregen. Schauen Sie sich zum Beispiel noch einmal Peter an: Er stilisiert sich selbst zum Opfer und übersieht einfach, dass es von den technischen Problemen in der IT-Abteilung bis zur Einstellung seines Spam-Filters tausendundeinen Grund für seine Probleme geben kann. Und keiner dieser Gründe hängt damit zusammen, dass ihm jemand übel mitspielen will.
Manche Perfektionisten nehmen leider nur noch Dinge wahr, die ihre bisherige Überzeugung stützen und schieben Zwischentöne, die nicht in ihre Schublade, passen, einfach aus dem Sichtfeld.
Ebenfalls problematisch ist es, wenn Menschen abergläubisch gegen jedes vernünftige Argument an ihrer Sicht der Dinge festhalten; selbst wenn ihre Überzeugung von der Realität entkräftet wird, erweitern sie ihre Auffassung einfach um weitere Argumente, um ihrer ursprünglichen These dogmatisch treu bleiben zu können. Noch einmal sei Peter bemüht, der seinem befreundeten Kollegen nicht nur nicht glaubt, sondern ihn auch als Idioten abstempelt. Auf diese Weise entstehen Vorurteile – und weitaus Schlimmeres. Denn genau so handeln auch gefährliche Fanatiker, die ihre Vorurteile, ihren Aberglauben und ihre dogmatische Haltung als absolute Wahrheit verteidigen und allen vernünftigen Argumenten zum Trotz auch zur Tat schreiten.
Zurück zur Gegenwart unseres Berufsalltages: Natürlich trägt nicht jeder, der in seinem Beruf unzufrieden ist, auch selbst Schuld daran. Fiese Chefs und mobbende Kollegen gibt es wirklich, und nicht immer ist ein einfaches, klärendes Gespräch die Lösung des Problems, da gibt es nichts zu beschönigen.
Nicht immer lassen sich die Umstände ändern. Die meisten von uns können eben nicht, wie Peter, gleich den Job wechseln, wenn einmal Probleme auftauchen. Nein, viele Menschen müssen tagein, tagaus mit einer beruflichen Situation klarkommen, die sie alles andere als zufriedenstellend empfinden. Und was erst recht unzufrieden macht, ist die Tatsache, dass man daran (vermeintlich) nichts ändern kann. Was soll man aber tun, wenn sich die äußeren Umstände nicht ändern lassen? Ganz einfach: Überdenken Sie Ihre Einstellung!
Denn Ihre Einstellung gegenüber einer Sache können Sie beeinflussen und damit Ihre Unzufriedenheit erheblich reduzieren. Das glauben Sie nicht? Das ist Ihnen zu einfach? Sie finden das lächerlich? Das ist es keinesfalls. Tatsache ist: Der amerikanische Psychologe Albert Ellis hat festgestellt, dass es nur zum Teil von den äußeren Bedingungen abhängt, wie zufrieden wir sind. Wie stark wir unter einem Problem leiden, wird auch maßgeblich dadurch beeinflusst, wie wir diese äußeren Bedingungen aufnehmen, bewerten und interpretieren. Und dafür ist meist unsere Lebenseinstellung verantwortlich.
Das bedeutet also, dass Sie, um Ihre Unzufriedenheit abzubauen, nicht unbedingt die Situation ändern müssen – Sie können auch Ihre Einstellung ändern. Das bedeutet natürlich nicht, dass Sie alles, was Sie stört, brav erdulden sollen. Doch wenn Sie Ihre Einstellung nur ein wenig ändern, wird der Blick auf die schwierige Situation klarer und vielleicht sehen Sie plötzlich Wege, die Sie vorher gar nicht beachtet haben.
Fangen Sie doch einfach bei den Situationen und Bereichen Ihrer Arbeit an, die Sie besonders unzufrieden machen. Denken Sie zum Beispiel an Ihren cholerischen Chef oder Ihre unorganisierten Kollegen. Was genau