Die Affäre - Jill Childs - E-Book
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Die Affäre E-Book

Jill Childs

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Beschreibung

Keine Ehe ist, was sie zu sein scheint.

Als Helen spät von einem Elternabend nach Hause kommt freut sie sich auf einen schönen Abend mit ihrem Mann Ralph. In letzter Zeit lief es nicht mehr so gut zwischen ihnen. Zusammensitzen und ein Glas Wein trinken würde ihnen guttun und ihre Welt wieder in Ordnung bringen. Doch es kommt anders. Sie findet ihren Mann nicht auf dem Sofa, sondern am Fuße der Kellertreppe liegend. Ermordet. Und neben ihm steht seine Geliebte. Helen muss sich entscheiden: Ist die Frau Täterin, Opfer, Verbündete oder ihre größte Feindin?

Ein fesselnder, rasanter Thriller - für alle Fans von Big Little Lies und The Silent Wife.

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Über das Buch

Keine Ehe ist, was sie zu sein scheint ...

Als Helen spät von einem Elternabend nach Hause kommt freut sie sich auf einen schönen Abend mit ihrem Mann Ralph. In letzter Zeit lief es nicht mehr so gut zwischen ihnen. Zusammensitzen und ein Glas Wein trinken würde ihnen guttun und ihre Welt wieder in Ordnung bringen. Doch es kommt anders. Sie findet ihren Mann nicht auf dem Sofa, sondern am Fuße der Kellertreppe liegend. Ermordet. Und neben ihm steht seine Geliebte. Helen muss sich entscheiden: Ist die Frau Täterin, Opfer, Verbündete oder ihre größte Feindin?

Ein fesselnder, rasanter Thriller - für alle Fans von Big Little Lies und The Silent Wife.

Über Jill Childs

Jill hat schon immer Geschichten geliebt - echte und erfundene. Über 30 Jahre lang bereiste sie als Journalistin die ganze Welt - je nachdem wohin die Nachrichten sie führten. Heute lebt sie als Autorin mit ihrem Mann und ihren Zwillingen in London.

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Jill Childs

Die Affäre

Thriller

Aus dem Englischen von Nina Restemeier

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

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Widmung

Teil 1 — Laura

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16 — Zwei Monate später

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Teil 2 — Helen

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47 — Sechs Wochen später

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55 — Zwei Monate später

Nachwort

Danksagung

Impressum

Wer von diesem spannenden Roman begeistert ist, liest auch ...

Für Nick

Teil 1

Laura

Kapitel 1

Ich tauchte nicht unangemeldet bei ihm auf. Er hatte mich zu sich bestellt, mit einer Nachricht. Ich hatte ganz sicher nicht vor, ihn umzubringen.

Mir zitterten die Hände, als ich mich bereitmachte. Nicht zu viel Make‑up, nur ein wenig Eyeliner, einen Hauch Rouge und etwas Lippenstift. Er mochte angemalte Frauen nicht. So nannte er das. Dann lachte er und zitierte irgendwen. Wahrscheinlich Shakespeare, der war es meistens. So war Ralph eben. Er unterrichtete Literatur nicht nur, er lebte und atmete sie.

Wenn wir uns liebten, dann waren das zwischen den Laken nicht nur wir beide. Wir waren Romeo und Julia. Troilus und Cressida. Antonius und Kleopatra. Er ließ einzelne Zeilen fallen, Zeilen aus all den Werken, die er in seinem hübschen Kopf abgespeichert hatte. Das schönste Frauenbild. Oder: Sie macht hungrig, je reichlicher sie schenkt. Ich merkte sie mir, googelte sie, wenn er gegangen war, und war erstaunt darüber, was er alles wusste. Er gab mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Schön zu sein. Jemand anders.

Ich parkte eine Straße entfernt, um nicht aufzufallen. Es war ein warmer Abend, trotzdem setzte ich einen breitkrempigen Hut auf, der mein Gesicht verdeckte, und ging zügig mit gesenktem Kopf zu seinem Haus.

Die Straße war menschenleer. Der Asphalt übersät von den Blütenblättern der dürren Bäume, als hätte ich eine Hochzeit verpasst. Es war noch hell, beim Nachbarhaus standen die Vorhänge offen und erlaubten mir einen Blick ins Wohnzimmer. Ich nahm alles mit einem raschen Blick wahr, stellte sicher, dass mich niemand gesehen hatte, und ging vorbei.

Er hatte das Gartentor offen gelassen, wie immer, wenn er mich erwartete, weil es so quietschte. Wie ein Schatten schlüpfte ich hindurch und schlich den Gartenpfad hinauf zur Haustür. Sie glänzte im sanften Abendlicht. Schwarz und vor Kurzem frisch gestrichen. Den Anstreicher hatte natürlich Helen organisiert. Sie organisierte alles, sogar Ralph. Manchmal scherzte er darüber, wenn die Rede darauf kam, wenn auch nicht allzu bissig. Dafür respektierte er sie zu sehr. Es tat weh, aber ich wusste, dass er Gefühle für sie hatte, selbst jetzt noch. Vielleicht nicht unbedingt Liebe. Bestimmt keine Leidenschaft. Eher widerwillige Bewunderung. Eine gewisse Verpflichtung.

Einmal hatte er in der Schreibgruppe an der Schule ein selbstverfasstes Gedicht über Odysseus und Penelope vorgetragen. Quasi ein Liebesgedicht. Das war in den Anfangstagen, als ich noch versuchte, ihm zu widerstehen, und trotzdem an nichts anderes denken konnte als an ihn. Wie ein Schulmädchen hielt ich den Atem an, wenn ich für einen Termin hinauf zur Upper School musste, in sein Terrain. Alle meine Sinne waren angespannt, wenn ich über die Korridore lief oder durch die Fenster im Erdgeschoss in die Haupthalle spähte. Ich glaubte, mein sexuelles Verlangen nach ihm müsste von mir abstrahlen wie Radioaktivität, mich zum Leuchten bringen, so dass es jeder sehen konnte. Wenn ich dann zur Lower School in meine Klasse zurückkehrte, ohne ihn gesehen zu haben, war meine Enttäuschung darüber genauso durchdringend.

Sein Gedicht stellte die Frage, wer der eigentliche Held war – Odysseus, der schwertschwingende Krieger, oder Penelope, die so treu ergeben auf ihn wartete, webte und auflöste und erneut webte, um ihre Ehre zu bewahren?

Nach der Stunde, als wir unsere Mäntel anzogen, sprach ich ihn mit gedämpfter Stimme darauf an. Ich tat so, als würde ich allein gehen, obwohl ich wusste, obwohl wir beide wussten, dass er mich einholen und mich plaudernd zum Parkplatz der Lower School begleiten würde.

»Was hat dich zu dem Gedicht inspiriert?«, fragte ich.

Er lächelte, Fältchen bildeten sich um seine Augen, und er sah mich so direkt, so gefühlvoll an, dass ich erschauerte.

»Was glaubst du?«

Und in dem Augenblick verstand ich, dass sein poetisches, leidenschaftliches Gedicht mir galt. Es war eine Ode an meine Keuschheit, mein Bemühen, Matthew treu zu bleiben, meinem Freund, der mich vor beinahe zwei Jahren verlassen und mir das Herz gebrochen hatte. Ich erkannte, dass Ralph etwas in mir sah, was sonst niemand sah. Mein wahres Ich.

Als er mich auch in der nächsten Woche nach der Schreibgruppe zum Auto begleitete und wieder einmal fragte, ob ich mit ihm etwas trinken gehen wolle, war ich bereit. Ich errötete, konnte ihn nicht anschauen und sagte Ja.

Wieso dachte ich jetzt daran? Ich rieb mir mit den Handballen über die feuchten Augen, sah einen Blitz über die glänzende Farbe huschen, den Lichtreflex meiner Armbanduhr, blieb einen Moment still stehen und konzentrierte mich auf meine Atmung, um mich zu beruhigen.

Ich wusste nicht, was mich erwartete. Wusste nicht, warum er mir geschrieben hatte. Ich fühlte mich ausgehöhlt. Seit Wochen hatte ich buchstäblich nichts mehr gegessen, und meine Hände, an den Seiten zu Fäusten geballt, zitterten.

Die Tabletten, die mir meine Ärztin gegen die Angstzustände – wir wussten beide, dass sie eigentlich Depressionen meinte – verschrieben hatte, verursachten Stimmungsschwankungen. In einem Moment war ich in Tränen aufgelöst, im nächsten zornig. Ich war nicht ich selbst. In der Schule fiel es langsam auf.

Ich schluckte, holte tief Luft, dann hob ich eine Hand und tippte mit den bloßen Knöcheln aufs Holz. Nur ganz sanft, um Anna nicht aufzuwecken. Genau, wie er es mir gezeigt hatte.

Kapitel 2

Als er die Tür hinter mir schloss, stieß er gegen mich, und für einen kurzen Augenblick mussten wir uns in dem schmalen Flur aneinanderdrängen. Seltsam. Er war mir so nah, dass ich seine Körperwärme wahrnahm. Seine Lebenskraft. Ich streckte die Hand aus und legte sie ihm auf den Unterarm, spürte seine warme Haut durch die Baumwolle des Hemdsärmels.

Er zuckte zusammen, als hätte ich ihm einen elektrischen Schlag versetzt, und zog den Arm weg. Meine Eingeweide verkrampften sich. Die Verbindung zwischen uns war immer noch da. Wie sonst ließ sich diese heftige Reaktion erklären? Aber er wirkte gehetzt, und sein Gesicht war verschlossen, als er sich von mir abwandte.

Mir zitterten die Beine. Ich hatte so sehr gehofft, er hätte eingesehen, wie dumm es gewesen war, mich zu verlassen, und dass er mich zurückgewinnen wollte.

»Willst du was trinken?«, fragte er und führte mich durch den Flur, vorbei an dem kleinen Tischchen mit der säuberlich gestapelten Post, an den gerahmten Fotos und der Kellertür unter der Treppe, und in die Küche. Meine Absätze klapperten auf den Bodenfliesen, und ich ging instinktiv auf Zehenspitzen, um kein Geräusch zu machen. In der Küche lehnte ich mich an die Anrichte, ihre Anrichte, und betrachtete ihn, als sähe ich ihn zum ersten Mal. Wie er sich mit den Fingern durch die Haare fuhr, wenn er nervös war, die breiten Schultern unter seinem Hemd, an die ich mich so oft geklammert hatte, wenn wir uns geliebt hatten, dieser ganz bestimmte Duft von Männerschweiß und frischer Wäsche und Duschgel. Ralph. Ich biss mir auf die Lippe.

Er schenkte uns beiden ein Glas Rotwein ein und reichte mir eins. Shiraz, sein Lieblingswein. Er hatte schon bereitgestanden, mit zwei Gläsern. Ich fragte mich, ob Helen ihn gekauft hatte, bei ihrer wöchentlichen Online-Bestellung.

Nervös drehte ich mich um und betrachtete demonstrativ die beiden ordentlichen Regalreihen mit Kochbüchern. Sie waren nach Regionen sortiert: China, Frankreich, Italien, Orient. Jede einzelne kleine Abteilung war in sich alphabetisch nach Autor geordnet. Helen, durch und durch Bibliothekarin. Wie hielt er das aus?

Ich wandte mich wieder ihm zu. Auf der Wanduhr hinter ihm war es fast Viertel nach acht. Sie ging immer fünf Minuten vor. Wie viele Kleinigkeiten ich über die beiden und ihr gemeinsames Leben wusste. Ich verspürte ein Ziehen im Bauch und trank den Wein schneller, als mir guttat.

»Wo ist sie?«

Er schaute zu Boden. »Irgendwas in der Schule. Eine Diskussion. Ausgerechnet über Glücklichsein.« Er lachte trocken.

Einmal hatten wir genau hier auf dem blitzsauberen Küchentisch, wo sie jeden Morgen frühstückten, Sex gehabt. Es hatte ihn angetörnt, zu wissen, wie sehr sie es missbilligt hätte – nicht nur seine Untreue, sondern weil es so unhygienisch war.

»Also …«, sagte ich bemüht beiläufig – ein weiterer Trick, damit er mich wieder wollte. »Womit fangen wir an?«

Er antwortete, ohne mich anzusehen. »Ich muss mit dir reden.«

»Wir reden doch.« Mit den Fingern umklammerte ich den Stiel des Weinglases. Wochenlang – die schlimmsten Wochen meines Lebens – hatte er auf keine meiner Nachrichten geantwortet, alle Anrufe ignoriert, war mir in der Schule aus dem Weg gegangen, egal wie verzweifelt ich ihm nachgestellt, ihn von einem Klassenraum zum nächsten verfolgt hatte. Ich kannte seinen Stundenplan auswendig.

Er trank einen Schluck Wein. »Ich weiß, du bist verletzt. Es tut mir leid, wirklich. Ich wollte nie …«

Irgendetwas in mir verkrampfte sich. »Was wolltest du nie?«

Er zögerte, und endlich sah er mich an. Er wirkte erschöpft und vielleicht ein wenig verlegen.

»Es tut mir einfach leid. Was passiert ist. Aber du musst aufhören.«

Ich konnte nicht antworten. Das war’s dann wohl. Nach allem, was er gesagt hatte. Wie sehr er mich liebte. Wie gut wir zueinander passten. Ich war mir so sicher gewesen, dass er sie letzten Endes verlassen würde, für mich. Ich biss mir auf die Unterlippe.

Er wich meinem Blick aus. »Ich weiß, dass du sauer bist. Das verstehe ich. Aber du machst alles nur noch schlimmer.«

»Für dich vielleicht.« Ich hatte nichts mehr zu verlieren.

Er zuckte mit den Schultern. »Bitte. Es ist vorbei. Es tut mir leid, aber so ist es.« Er verlagerte sein Gewicht, ließ den Blick zum Herd am anderen Ende der Küche wandern, ohne ihn wirklich anzusehen. »Es geht nicht nur darum, was du mir antust. Oder Helen. Es geht auch um Anna.«

Ich schnaubte. »Das hättest du dir früher überlegen müssen. Was du getan hast, ist nicht einfach nur falsch, es ist strafbar.«

Er trank seinen Wein aus. »Ich mache nichts mit … Ehrlich. Es ist nicht so, wie du denkst.« Peinlich berührt brach er ab.

»Hör auf, Ralph. Ich weiß genau, was los ist.« Ich stellte mein Glas ab und kam auf ihn zu, so dass er gezwungen war, mich anzusehen. »Und das ist kein Bluff. Das weißt du, oder? Es ist mir ernst.«

Er riss die Augen auf. Was hatte er denn erwartet? Dass ich den Mund halten und verschwinden würde, damit er weitermachen konnte? Ich schüttelte den Kopf.

»Ich mache es, Ralph. Ich erzähle es allen. Ich schreibe der Schulbehörde. Ich mache dich fertig. Kapierst du es nicht? Du verlierst nicht nur Helen. Du wirst nie wieder unterrichten.«

»Sie werden dir nicht glauben.« Sein Blick war unsicher. »Du hast keine Beweise. Du kannst keine haben, weil es nicht stimmt.«

Er wirkte so besorgt, so verletzlich. Eine Haarsträhne fiel ihm in die Stirn, und ohne darüber nachzudenken, strich ich sie ihm aus dem Gesicht. Wie oft hatte ich das schon getan? Es war noch nicht vorbei. Unmöglich. Wir passten zu gut zusammen.

Einen Augenblick lang rührte sich keiner von uns. Ich sah mich selbst in seinen braunen Augen. Ein Teil von ihm.

Da beugte ich mich vor und küsste ihn. Das hatte ich nicht geplant. Es passierte einfach. Sanft zuerst, dann heftiger. Unter dem Druck öffnete er die Lippen, und ich schob ihm die Zunge in den Mund auf der Suche nach seiner. Ich wollte ihn berühren, strich ihm mit den Händen über die Brust, spürte seine warme, glatte Haut durch das Hemd.

Er packte mich an den Schultern, hielt mich fest und murmelte: »Laura.«

Mir wurde heiß. Er wollte mich, das spürte ich. Deswegen hatte er mich hergebeten. Er war bloß verwirrt, gehemmt von irgendeinem fehlgeleiteten Pflichtgefühl gegenüber seiner Familie und der Scham über das, was er getan hatte. Er hatte etwas Besseres verdient.

Auf einmal wurde mir meine Macht über ihn bewusst. Mich durchflutete die Hoffnung, dass ich ihn zurückgewinnen würde, wenn ich einfach weitermachte, wenn er es nur zuließ, sich mir zu ergeben. Es war noch nicht vorbei. Er könnte wieder mir gehören. Der Schmerz der letzten Wochen würde sich immer noch ausbrennen lassen.

Erneut presste ich mich an ihn, meine Lippen fanden seine. Diesmal leistete er kaum noch Widerstand. Er ließ zu, dass ich ihn küsste, mit der Zungenspitze neckte, und dann, endlich, verlagerte er das Gewicht, strich mit den Händen von meinen Schultern bis hinab zu meiner Taille, zog mich an sich und erwiderte den Kuss. Ich zitterte, erregt und siegesgewiss. Er wollte mich. Ich hatte die ganze Zeit recht gehabt. Er gehörte mir.

Unsere Küsse, anfangs noch sanft, wurden leidenschaftlicher. Ich zerrte an seinem Hemd und ließ die Hände unter den Stoff gleiten. Seine Haut war warm und vertraut. Er erschauerte unter meinen Fingerspitzen.

Wieder löste er sich von mir, weniger entschieden als eben, und blickte zu mir herab, während er mich noch immer in den Armen hielt. Ich leckte mir über die Lippen.

»Ach, Laura.« Er klang gequält.

Ich schmiegte mich an ihn und lächelte. Er war so leicht zu durchschauen. Er hatte verloren, das wusste ich. Es gab kein Zurück mehr. Wie auch immer er vorgehabt hatte, mir zu widerstehen, es war zu spät. Unsere Leidenschaft war noch nicht tot. Ganz und gar nicht. Ich würde gewinnen.

Ich übernahm die Führung, griff nach seiner Hand und zog ihn ins Wohnzimmer. Dort drückte ich ihn aufs Sofa, brachte die hübsch angeordneten Kissen durcheinander, und setzte mich rittlings auf ihn. Er stöhnte und schloss die Augen, ließ den Kopf zurücksinken. Ich knöpfte ihm das Hemd auf, bedeckte seine Brust mit Küssen, und mein Herz wogte.

Danach sackte ich auf ihm zusammen. Meine Beine, rechts und links von seinen, verkrampften. Das Gesicht presste ich an seinen verschwitzten, kühlen Hals.

Er flüsterte mir ins Ohr. »Laura?«

»Hmm?« Ich küsste ihn auf die Wange, knapp neben seinem Mund, atmete den vertrauten Duft ein. Er löste die Arme von mir, und mir lief ein Schauer über den nackten, nun ungeschützten Rücken. Er bewegte sich, versuchte, mich von sich zu schieben.

»O nein, mach das nicht.« Spielerisch drückte ich ihn wieder hinunter.

Doch dafür war er nicht in der Stimmung. Weil er stärker war als ich, schob er mich zur Seite, und ich fiel auf das Durcheinander aus Kissen. Besiegt, aber glücklich sah ich ihm zu, wie er aufstand und durch den Raum tappte. Mit Blicken verschlang ich seine Konturen: die schmale Hüfte, den langen Rücken, den Po.

Ich lehnte mich zurück, spürte seinen Händen auf meinem Körper nach, stellte mir vor, wie Helen später am Abend steif auf genau diesem Platz sitzen, fernsehen und Tee trinken würde, ohne zu ahnen, was wir hier getan hatten.

Langsam kühlte mein Körper ab. Ich stand auf, zog mir sein weites, verknittertes Hemd an, das vergessen auf dem Boden lag, und ging ihm nach.

»Ralph?«

Die Küchenfliesen waren hart und kalt unter meinen nackten Füßen. Er stand im Dunkeln, direkt auf der Türschwelle, beugte sich über sein Handy und tippte mit den Daumen darauf herum.

Er blickte auf und zuckte zusammen, als er mich sah.

Ich lächelte frech. »Na, du? Was hast du vor?« Ich kam näher, stellte mir vor, wie betörend ich aussehen musste, spürte bei jeder Bewegung den weichen Hemdstoff auf meiner Haut.

Er legte das Handy auf die Anrichte.

Ich schmiegte mich an ihn und schaute zu ihm auf. »Bereit für eine zweite Runde?«

Er sah mich nicht an.

»Wir können nicht …« Er zögerte. »Das hätte nicht …«

Beschämt stürmte er an mir vorbei, hinaus in den spärlich beleuchteten Flur. Ich hielt ihn fest.

»Warte. Ralph. Was?«

Er riss sich los. Seine Haut war glatt.

Mein Herz pochte in Panik. »Ralph, ich liebe dich. Das weißt du doch!«

Er schüttelte den Kopf, sah elend aus. »Laura, es tut mir leid …«

Ich hob die Stimme, unterbrach ihn. Jetzt sollte er mir zuhören. »Ist es wegen dem, was ich eben gesagt habe? Dass ich den Leuten erzählen würde, was du getan hast? Ich ertrage es einfach nicht, das ist alles.«

Er wandte sich ab. Ich befürchtete, dass er mich abschütteln und nach oben flüchten wollte. Schnell stürzte ich mich auf ihn, stieß ihn zurück, so dass er rücklings gegen die Holzvertäfelung unter der Treppe schlug. Sein plötzlicher Stimmungswechsel bereitete mir Sorge, gerade als ich wieder Hoffnung geschöpft hatte.

Er rappelte sich auf und packte mich am Handgelenk. »Psst. Sei leise.«

Anna, natürlich. Er hatte Angst, wir könnten seine unschuldige Prinzessin aufwecken, die oben in ihrem perfekten Kinderzimmer voller rosa Kinkerlitzchen schlief.

»Du hast mich doch auch vermisst. Ich weiß es. Lüg mich nicht an.« Meine Stimme wurde schrill, weil ich die Kontrolle verlor. »Deswegen hast du es getan, nicht wahr?«

Er ließ meinen Arm los und drückte mir eine Hand auf den Mund, um mich zum Schweigen zu bringen. Ich wand mich, riss an seinen Haaren, trat nach ihm. Es war brutal, ich war brutal, aber irgendetwas in mir explodierte, als er seine Stärke gegen mich wendete, seine Hände mich festhielten, die mich noch kurz zuvor liebkost hatten.

Selbst mit ihm zu kämpfen, brachte mein Herz zum Rasen. Unsere nackten Körper krachten gegen die Wand, wanden sich, schlüpfrig vom Schweiß, Gliedmaßen prallten aufeinander. Wir waren zwei Hälften eines Ganzen. Ich spürte es so deutlich, wie wenn wir uns liebten, uns ineinander verloren. Als wären wir niemals getrennt gewesen.

Er wollte mich wegschieben, aber ich wehrte mich, trat nach seinen Fußknöcheln, warf mich auf ihn mit einer Kraft, die ich von mir gar nicht kannte.

Da passierte es. In der einen Sekunde waren wir ineinander verschlungen, rangen in dem schmalen Flur miteinander, kämpften mit roher Leidenschaft. In der nächsten stieß ich ihn weg, mit aller Macht, und er taumelte gegen die Kellertür. Sie gab unter seinem Gewicht nach, und er stürzte rückwärts in die Finsternis. Vor Schreck riss er die Augen auf, wedelte mit den Armen und versuchte, wieder Fuß zu fassen. Doch stattdessen stolperte er über das Durcheinander aus Eimern, Besen und Kartons, die den Treppenabsatz vollmüllten.

Er taumelte seitwärts und verschwand. Ein grässliches Poltern und Rumpeln ertönte, gedämpft und leiser werdend. Ich schrie auf, als ich mir vorstellte, wie er ins Leere griff und hilflos die Betonstufen hinunterpurzelte. Und dann schließlich Totenstille.

Einen Augenblick lang rührte ich mich nicht. Ich konnte es nicht. Ich konnte nicht einmal atmen.

Dann ein Geräusch am anderen Ende des Flurs. Ich fuhr herum.

Die Haustür flog auf, und da stand Helen. Die Kinnlade fiel ihr hinunter, als sie mich dort wie angewurzelt stehen sah, am Körper nichts als das Hemd ihres Mannes, die entsetzten Augen auf sie gerichtet.

Kapitel 3

Helen rührte sich nicht. Ihre Augen waren glasig, ihr ganzer Körper starr vor Schreck. Sämtliche Luft, alle Geräusche, alles Leben wurden aus dem Haus gesogen.

Der Moment dehnte sich aus, unerträglich.

Endlich setzte sich Helen in Bewegung. Die Handtasche rutschte ihr von der Schulter und fiel mit einem dumpfen Schlag auf den Boden, sie schloss die Haustür mit einem Tritt und stürzte auf mich zu, angetrieben von der Panik auf meinem Gesicht.

»Was ist?« Ihre Stimme war hart und dünn. »Was ist passiert?«

Ich konnte nicht sprechen, wandte bloß den Blick von ihrem Gesicht ab und schaute erneut in die Leere jenseits der Kellertür.

Sie stürmte an mir vorbei, kämpfte sich durch das Gerümpel auf dem oberen Treppenabsatz und tastete nach dem Lichtschalter direkt hinter der Tür. Sofort stieß sie einen schrillen Schrei aus, so animalisch, dass mir die Nackenhaare zu Berge standen. Ihr Entsetzen hallte von den Steinwänden wider.

Ich schob mich zitternd hinter sie und reckte den Hals, um etwas zu sehen. Die nackte, verstaubte Glühbirne an der Kellerdecke strahlte ein mattes Licht aus.

Ralph lag zusammengekrümmt und reglos am Fuß der Treppe. Er sah aus, als wäre er mit dem Kopf voran auf dem Betonboden aufgeschlagen, der Hals war in einem unnatürlichen Winkel verrenkt. Die Gliedmaßen waren seltsam verdreht, ein Bein angezogen unter dem Körper, das andere ausgestreckt. Ich musste mich an der weiß verputzten Wand festhalten.

Helen flog die Treppe hinunter in den Keller und brach über ihm zusammen. Sie betastete seinen Brustkorb, dann mit panischen, ungeschickten Bewegungen seinen Nacken. Für einen Moment wirkte es, als wollte sie ihn erwürgen, dann wurde mir klar, wieso sie die Finger in sein Fleisch drückte. Sie suchte hektisch nach einem Puls.

Ich stellte mir die Abdrücke auf seiner Haut vor, erst weiß, dann rot. Dann griff sie plötzlich nach seinem Handgelenk und schlang die Finger darum, immer noch auf der Suche nach Leben. Mir blieb das Herz stehen, während ich zusah und wartete.

Wieder ein Schrei, verzweifelt und herzzerreißend. »Ralph?« Ich klammerte mich so fest an den Türrahmen, dass meine Knöchel weiß hervortraten. Ein glühend heißer Schmerz stach mir in den Magen. Ich krümmte mich, beugte mich vor, die Augen auf Helen gerichtet, eine schattenhafte Gestalt in der Dunkelheit.

Sie kauerte mit angezogenen Beinen über ihm, hatte das Gesicht in seine Seite gedrückt und die Arme um seinen massigen Körper geschlungen. Sie heulte, ein tiefes, gutturales Jammern voller Trauer und Schmerz, das tief aus ihrem Inneren kam, während sie ihn in den Armen hielt und sich vor und zurück wiegte.

Seine Hand lag still mit der Handfläche nach oben auf dem Betonboden. Die Finger, die so viele Gedichte geschrieben, die mich liebkost hatten, krümmten sich leblos in der Luft.

Mir versagten die Knie, und ich ließ mich auf die oberste Treppenstufe sinken. Ich zog das Hemd enger um mich, denn ich zitterte, und verbarg das Gesicht in den Händen. Alles roch nach ihm. Meine Hände. Sein Hemd. Was hab ich getan? Großer Gott, was habe ich getan? Wie kann das sein? Dieser Mann, der noch vor wenigen Minuten so stark und voller Leben gewesen war, wie konnte er fort sein?

Mir wurde übel, ich wiegte mich vor und zurück, imitierte instinktiv Helens rhythmische Bewegung, ohne zu wissen, warum.

Das gedämpfte Heulen stieg weiter zu mir auf, verstärkt von den kahlen Wänden.

»Ich rufe jemanden an«, stotterte ich atemlos. »Einen Krankenwagen.«

Sie hob den Kopf und starrte zu mir herauf. Ihre Augen funkelten dämonisch im trüben Licht. Sie schien Schwierigkeiten zu haben, mich einzuordnen, mich zu erkennen, in ihrem Kopf zusammenzufügen, was passiert war und was ich hier machte.

»Er ist gegen die Tür gefallen«, sagte ich. »Sie ist einfach …«

»Wie konntest du?«, hauchte sie. »Wie konntest du nur?«

Mein Innerstes erstarrte. Sie wandte sich wieder Ralph zu, beugte sich über ihn, küsste ihn auf die Stirn, die Wange. Ich ertrug den Anblick nicht, konnte aber auch nicht wegschauen. Sie schob ihre Hand in seine und hielt sie fest. Dann sprang sie wieder auf die Füße und sah sich um.

Ich hockte vornübergebeugt und zitterte so stark am ganzen Körper, dass meine Füße auf den Betonstufen bebten. Ich konnte kaum mein eigenes Gewicht halten.

»Oder die Polizei?« Meine Gedanken rasten. Wen soll ich anrufen? »Vielleicht?«

»Nein!« Sie riss den Kopf hoch und betrachtete angewidert meine nackten Beine, meine Hände, die das Hemd ihres Mannes vor der Brust zusammenhielten. Wahrscheinlich hatte sie es für ihn ausgesucht, gewaschen und gebügelt. »Wag es nicht!«

Ich sank wieder in mich zusammen. Ich dachte an ihre Tochter, die oben in ihrem Zimmer lag und schlief. An Ralphs ruinierten Ruf in der Schule. An den Skandal, den es geben würde, wenn die Umstände seines Todes an die Öffentlichkeit gelangten. Alles würde herauskommen, genau wie ich angedroht hatte. Alles über mich. Über sie.

»Es war ein Unfall.« Wieder sah ich, wie er mit schreckgeweiteten Augen in die Luft griff, als die Tür nachgab. »Er ist gestürzt.«

Sie blinzelte zu mir auf, während sie in Gedanken nachspielte, was geschehen war.

»Warum?«, flüsterte sie. Ich wusste nicht, ob sie den Unfall meinte oder seine Untreue. Sie habe nichts von seiner Affäre geahnt, hatte Ralph mir einmal erzählt. Sie habe ihm vertraut.

Sie musterte mich, wie ich auf der obersten Treppenstufe kauerte und mir das Shirt über die nackten Oberschenkel zog.

»Unsere Tochter …«, sagte sie. »Sie darf es nicht erfahren.«

Anna. Ich schluckte und schmeckte Galle.

Helen drehte sich wieder zu Ralphs leblosem Körper um, nahm ihn in Besitz, wiegte ihn in den Armen. Dann griff sie nach oben und zog ein altes Laken von einem Regal, vielleicht eine Schutzhülle für Möbel, schüttelte es auf und breitete es über ihm aus. Wie erstarrt saß ich da, sah zu und lauschte ihrem Schluchzen, unfähig, irgendetwas zu tun.

Die Zeit schien stillzustehen.

Irgendwann kam ich schaudernd auf die Beine und ging zurück ins Wohnzimmer. Alles war still. Ich sammelte meine verstreuten Sachen auf und zog mich an. Dann setzte ich mich – ich weiß nicht, wie lange – auf die Sofakante, starrte stumpf in den leeren Raum und versuchte, zu Atem zu kommen. Wir waren uns hier nahe gewesen, noch vor wenigen Augenblicken. Wir hatten uns geliebt. Ich hatte gespürt, dass er zu mir zurückkehrte. Ich presste die Fäuste an die Lippen und biss mir auf die Knöchel, als könnte das meine Trauer zurückhalten, und kämpfte darum, nicht den Verstand zu verlieren.

Später durchstöberte ich die Küchenschränke und fand eine Flasche Gin. Ich trank einen Schluck, schmeckte aber kaum etwas, fühlte nur das Brennen in der Kehle, dann ging ich zurück zur Kellertreppe.

Sie beugte sich noch immer über seinen verdeckten Leichnam, bewegungslos, die Wange auf seine Brust gebettet. Ich schauderte. Sicher wurde er schon kalt und steif. Ich konnte nicht hinsehen. Mir drehte sich der Magen um.

»Ich glaube, ich rufe jetzt besser jemanden an«, sagte ich.

»Halt!« Ruckartig hob sie den Kopf. »Warte! Wir dürfen Anna nicht aufwecken.«

Ich starrte zu ihr hinunter. Der Schock spielte ihrem Verstand einen Streich. Es war vorbei. Für uns alle. Auch für Anna.

Ich schüttelte den Kopf. »Sie wird es sowieso erfahren. Wir müssen …«

Sie schloss die Augen, wirkte auf einmal um Jahre gealtert. Abgespannt. Verhärmt. Ihr Atem ging abgehackt. Sie sah aus, als versuchte sie verzweifelt, ihre ganze Kraft zusammenzunehmen und wieder die Kontrolle über ihre zerfetzten Nerven zu gewinnen.

»Denk nach«, murmelte sie zu sich selbst.

Meine Augen wanderten zu Ralphs Fuß, der unter dem Laken hervorschaute. Die nackte Haut war in der Kälte runzlig geworden. Der Gin stieg mir in der Kehle auf.

Ich schaffte es zur Toilette im Erdgeschoss und übergab mich. Mein Kopf steckte fast ganz in der Schüssel, ein hübscher blauer Duftspüler hing am Rand. Ich starrte auf die Klobürste in ihrer Halterung. Makellos. Als ich die Augen schloss, drehte sich alles.

Ich war ein Staubflöckchen, das durch Raum und Zeit trudelte, in freiem Fall. Großer Gott, was habe ich getan?

Als mein Magen leer war und ich nur noch Säure auswürgte, kroch ich wie ein Hund auf allen vieren in die Küche. Mein Schädel pochte.

Ich zog mich an der Anrichte hoch und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht und auf die Handgelenke. Inzwischen war es draußen fast dunkel. Im Fenster vermischten sich die Farben und Formen des Gartenzauns und der Rosen, die an ihrer Pergola hinaufrankten, mit meinem Spiegelbild, einem blassen, geisterhaften Gesicht, das mich mit vor Angst weit aufgerissenen Augen anstarrte.

Ich konnte nicht wieder zur Kellertreppe zurückkehren, also ging ich durch die zweite Tür von der Küche ins Wohnzimmer.

Ich zuckte zusammen. Da saß Helen, still und reglos in der Dunkelheit. Sie trug noch immer ihre Strickjacke und die klobigen Schuhe und hockte mit durchgedrücktem Rücken auf der äußersten Kante eines Sessels. Ihre Hände umklammerten einander so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Sie schien tief in Gedanken versunken, oder vielleicht betete sie auch. Um Kraft? Oder um Entschlossenheit?

Ich zögerte. Was sollte ich sagen?

Ihre Lippen zitterten. Sie murmelte etwas, als wäre sie ganz in ihrer eigenen Welt.

Ich trat einen Schritt weiter in den Raum hinein, und sie blickte überrascht auf und deutete auf den Sessel ihr gegenüber.

Ich klappte den Mund auf, wollte noch einmal sagen: »Wir müssen die Polizei rufen.« Doch ich überlegte es mir anders, seufzte und klappte ihn wieder zu. Wenn sie Zeit brauchte, würde ich sie ihr geben. Das durfte ich ihr nicht verweigern.

Ich ließ mich in den Sessel sinken und musterte sie. Seine Frau. Meine Rivalin. Er hatte sie verlassen wollen – das hatte er immer wieder beteuert. Er habe es bloß nicht über sich gebracht, ihr wehzutun. Es würde sie umbringen, hatte er gesagt. Und er müsse ja auch an Anna denken.

Ich schüttelte den Kopf. Unser Kampf um Ralph schien schon so lange her. Und letzten Endes hatten wir beide verloren. Ich faltete die Hände auf dem Schoß. Sie waren schweißfeucht. Ich hörte einfach nicht auf zu zittern. Mein Kopf dröhnte. Erneut stieg Übelkeit in mir auf, ich unterdrückte sie. Ich wollte nach Hause, ins Bett krabbeln, schlafen. Vorausgesetzt, ich würde jemals wieder schlafen können.

Ich dachte an alles, was losbrechen würde, wenn ich die Polizei riefe. Die Sirenen. Das Klopfen an der Tür. Unzählige Stunden auf der Wache. Fragen. Aussagen. Grelles Licht und nackte, kalte Räume. Das hielt ich nicht aus. Mir schwirrte der Kopf. Vielleicht hat sie recht mit ihrem Zögern. Vielleicht gibt es eine andere Möglichkeit.

Ralph. Tot im Keller, nur ein paar Schritte entfernt. Und das ist alles meine Schuld.

Nach einer Weile öffnete Helen die Augen, wandte sich ab und blickte aus dem Fenster. Sie stand auf, schaltete eine Stehlampe ein und zog die Vorhänge zu, bis nur noch ein winziger Spalt dazwischen frei blieb.

»Niemand darf wissen, was passiert ist«, sagte sie mit versteinerter Miene. »Es darf nicht herauskommen.«

»Dass er …« – ich zögerte – »fort ist?« Ich konnte unmöglich tot sagen. »Es wird herauskommen.«

Sie sah mich ausdruckslos an. »Vielleicht. Irgendwann. Aber noch nicht. Und nicht, wie es passiert ist.«

Ich blinzelte. Das war es also? Sie wollte, dass wir irgendwie vertuschten, wie er gestorben war? Damit niemand erfuhr, nicht einmal Anna, dass ihre glückliche Ehe nie das gewesen war, wofür alle sie hielten?

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Auf einmal wirkte sie so hart, so entschlossen, als ob sie mich herausforderte, ihr zu widersprechen.

»Das bist du mir schuldig«, sagte sie kalt.

»Aber ich weiß nicht einmal, wie …«

»Tu, was ich dir sage. Keine Fragen.« Sie hatte die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt. »Er ist schwer. Ich brauche Hilfe.« Sie zögerte. »Vielleicht bewahrt dich das vor dem Gefängnis.«

Steif führte sie mich aus dem Wohnzimmer in den Flur. Ihre Haltung hatte sich verändert. Sie unterdrückte ihre Trauer, ihre Bewegungen waren mechanisch und effizient. Ich konnte nicht einmal erahnen, wie anstrengend das für sie sein musste. An der Kellertür drehte sie sich zu mir um. »Warte hier. Ich rufe dich, wenn ich dich brauche.«

Sie verschwand, ihre Schritte hallten auf der Treppe.

Ich lehnte mich an die Wand, wappnete mich, bemühte mich, nicht an den hingestreckten, verdrehten Körper zu denken. An diesen Mann, der immer in Bewegung gewesen war, so voller Leidenschaft und Leben. Wieder verkrampfte mein Magen, und ich presste mir eine Hand auf den Mund, schmeckte Galle. Kalter Schweiß stand mir im Gesicht.

Von unten drangen gedämpfte Geräusche herauf. Das Klappern ihrer Schuhe auf dem Betonboden. Ihr keuchender Atem. Das Ziehen und Schleifen eines schweren Gegenstandes. Das Rascheln von dickem Plastik. Ich schloss die Augen, versuchte, all das auszublenden, und schauderte.

Schließlich stampfte sie die Treppe wieder nach oben und erschien im Türrahmen. Sie keuchte leicht, ihr Haaransatz war schweißnass.

»Denk nicht drüber nach. Tu es einfach.«

Sie dachte laut, sprach genauso zu sich selbst wie zu mir. Mir fiel auf, wie wenig ich über sie wusste, über diese Frau, die mit dem Mann verheiratet war, den ich liebte. Ich hatte immer möglichst wenig über sie nachgedacht, außer wenn ich unbedingt musste. Für mich war sie bloß eine der zahlreichen Mütter, die nachmittags um halb vier vor dem Schultor warteten. Eine Freiwillige im Leseförderprogramm, die in der Schulbibliothek der Lower School saß und einem Kind nach dem anderen beim Vorlesen zuhörte. Das musste sie auch sein. Es wäre zu schmerzhaft gewesen, sie als irgendetwas anderes zu sehen.

Sie sah mich an, offenbar fiel ihr wieder ein, dass ich da war, und ihre Miene versteinerte. »Wenn du irgendetwas versuchst, dann werde ich aussagen, dass du es warst. Du hast ihn gestoßen, stimmt’s? Was habt ihr eigentlich gemacht? Gekämpft?« Sie verachtete mich, das hörte ich an ihrer Stimme. »Du brauchst es nicht abzustreiten, er hat Hautreste unter den Fingernägeln. Deine DNA ist überall an ihm. Wenn du Glück hast, ist es Totschlag.«

Glück? Ich erschauderte.

»Glaub mir«, sagte sie, »ich würde dich gern im Knast sehen. Aber Anna …« Sie schluckte. »Sie würden uns in den Dreck ziehen. Eure schäbige kleine Affäre – die ihm im Übrigen nichts bedeutet hat – überall in der Presse. Ein Lehrer, der mit einer Kollegin rummacht, während seine siebenjährige Tochter oben schläft? Hast du überhaupt mal darüber nachgedacht, wie sie leiden würde? Sie würden dich kreuzigen. Und Ralph.« Sie hielt inne. Ihre Lippen zitterten, und einen Augenblick wirkte es, als würde sie zusammenbrechen. »Ich werde trauern … aber nicht jetzt. Das kann ich mir nicht leisten. Das kommt später.«

An ihrem Hals pulsierte eine Ader, die verriet, wie viel Kraft es sie kostete, sich zusammenzureißen. Als sie wieder reden konnte, richtete sie einen Finger auf mich.

»Pass auf«, sagte sie. »So werden wir es machen. Du hältst die Klappe und tust genau das, was ich dir sage.«

Im Keller stank es nach Schimmel und Terpentin. Ich blinzelte, damit sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Der Betonboden fühlte sich klebrig an, meine Schuhsohlen hafteten bei jedem Schritt leicht an der Oberfläche.

Ich versuchte, nichts zu fühlen, nichts zu denken, einfach zu tun, was sie mir sagte. Alles andere war unmöglich. Aber die Gedanken kamen immer wieder durch. Das hier ist Ralph, dieser schwere, träge Körper, in einer enormen Plastikhülle mit Zippverschluss, einer Surfbretthülle. Das da drin ist sein Fleisch.

Als er jünger war, hatte er gesurft. Sie habe sich nie dafür interessiert, hatte er mir erzählt. Ich wollte mir vorstellen, wann und wo er das Surfbrett und die Hülle dafür gekauft hatte, wohin er gereist war. Irgendwohin, wo es warm war, wo beim Surfen die Sonne seinen starken, muskulösen Körper bräunte. Ich schluckte schwer, als ich bemerkte, dass sie auf mich wartete und mich finster anstarrte.

Sie deutete zum Fuß der Treppe, und ich bückte mich und schlang die Arme um das eine Ende der Hülle – das Plastik war kalt und rutschig. Als ich sie anzuheben versuchte, bewegte sich ihr Inhalt. Füße. Knöchel. Knie. Ich ließ entsetzt los, als hätte ich mich verbrannt.

Sie hob den Blick.

»Ich kann nicht …«, stotterte ich.

Sie warf mir einen giftigen Blick zu. »Das solltest du aber.«

Ich biss mir fest auf die Lippe, beugte mich wieder hinunter und schob die Arme unter seine Beine, Zentimeter für Zentimeter, bis ich ihn höher packte, an seinen Hüften und Oberschenkeln. Helen schlurfte mit versteinertem Gesicht vom anderen Ende auf mich zu, die Arme um die Hülle geschlungen. Um seinen Kopf, die Schultern und die Brust.

»Okay? Jetzt los. Kleine Schritte.« Sie keuchte bereits.

Ich schloss die Augen und tappte rückwärts, bis ich mit der Ferse gegen die unterste Stufe stieß. Ralph sackte zwischen uns abwärts. Gemeinsam hievten wir ihn Stufe für Stufe nach oben. Ich ging auf der schmalen Treppe voran, meine gesamte Energie war auf meine brennenden Muskeln gerichtet und darauf, nicht zu stolpern. Helen folgte mir ruckartig. Außer unserem Keuchen und gelegentlichem, tiefem Stöhnen war nichts zu hören.

Im Flur, nur wenige Schritte von der Haustür entfernt, legten wir ihn, so sanft wir konnten, ab. Ich lehnte mich an die Wand, Schweiß rann mir den Rücken hinunter, und Sternchen tanzten vor meinen geschlossenen Augen. Die Lunge tat mir weh. Meine Muskeln brannten. Ich wollte einfach nur zu Atem kommen und dann schlafen. Am nächsten Morgen aufwachen und feststellen, dass das alles nicht passiert war. Dass Ralph noch lebte.

Helen grub mir die knochigen Finger in die Schulter. Ich schlug die Augen wieder auf. Ihr Gesicht, nur wenige Zentimeter vor meinem, war gerötet, ihre Haare strähnig.

»Ich sehe oben nach Anna, dann gehen wir. Lass nichts hier.«

Ich blinzelte. »Können wir sie allein lassen?«

»Sie kommt schon klar. Danke fürs Fragen.« Sie warf mir einen säuerlichen Blick zu. »Das Auto steht direkt vor der Tür. Ich schaue, ob die Luft rein ist, danach tragen wir ihn raus.« Sie zögerte. »Wir müssen uns beeilen. Wir schaffen das, wenn wir zusammenarbeiten.«

Ich holte tief Luft und zwang mich zu einem Nicken.

Kapitel 4

Als wir Ralph endlich im Kofferraum verstaut hatten und losfuhren, war es beinahe zehn Uhr.

Helen saß mit starrem Rücken am Steuer, das Lenkrad fest umklammert, die Augen auf die Straße gerichtet. Das Navi hatte die Route an die Küste berechnet. Achtunddreißig Minuten. Ausnahmsweise war so wenig Verkehr, dass es vielleicht sogar stimmte.

Ich saß von ihr abgewandt, starrte hinaus auf die vorbeiziehenden, leeren Straßen und versuchte, nicht an unsere Fracht zu denken. Niemand redete außer der automatischen Frauenstimme, die die Wegbeschreibung herunterleierte.

»In siebenhundert Metern links abbiegen.«

Ich dachte: Ich habe jemanden umgebracht. Ralph. Ich habe Ralph umgebracht.

Das Navi sagte: »Jetzt links abbiegen.«

Helen fuhr um die Kurve.

Ich dachte: Es war ein Unfall.

Dem Navi war das egal. »Folgen Sie dem rechten Fahrstreifen.«

Was mache ich hier? Eine weitere Welle der Panik stieg in mir auf. Das ist völliger Wahnsinn. Wieso ließ ich es zu, dass sie einfach so die Kontrolle übernahm? Warum ließ ich mich so herumkommandieren?

»Nehmen Sie die zweite Ausfahrt.«

Wie betäubt saß ich da. Es war zu spät. Viel zu spät.

Ich wusste, wohin wir fuhren. Ich erkannte es an der Karte auf dem Navi. Hier war ich schon einmal gewesen. Mit Ralph.

Als wir uns der Küste näherten, kam eine Reihe heruntergekommener Bootshäuser am Rand eines Kieselstrands in Sicht. Mein Gesicht glühte heiß, als ich daran dachte, wie ich das letzte Mal hier gewesen war. Ralph und Helen hatten Zugang zu der Segeljolle von Freunden, die in einem der Bootshäuser aufbewahrt wurde. Monate zuvor, vor Weihnachten, war Ralph mit mir darin rausgefahren. Er hatte zu Helen gesagt, er habe ihren Freunden versprochen, die Segel zu überprüfen und das Boot winterfest zu machen. Tatsächlich hatten wir Decken sowie eine Flasche Champagner mitgenommen. Er war mit mir aufs Wasser hinausgefahren, hatte die Segel eingeholt, und wir ließen uns treiben, nackt, tranken und liebten uns und tranken noch mehr, bis der Wind drehte und die Kälte uns zwang, uns wieder anzuziehen und ans Ufer zurückzukehren.

Als ich es nun wiedersah, dachte ich, er könne unmöglich tot sein. Morgen würde ich aufwachen, und alles wäre nur ein böser Traum gewesen.

Ralph, diese schwer zu fassende, charismatische Gestalt, wäre in der Schule, würde in einem Klassenzimmer verschwinden, um seine Leidenschaft für Shakespeare und Keats und Milton zu verbreiten, und Anna würde in der Pause mit ihren Freundinnen auf dem Schulhof mit wehenden Haaren Fangen oder Himmel und Hölle spielen und keine Sorgen haben.

Helen bog auf den düsteren, einsamen Parkplatz ein und hielt am anderen Ende, in der Nähe des Bootshauses ihrer Freunde. Sie stieg aus und öffnete den Kofferraum.

Ich folgte ihr widerstrebend. Sie kramte bereits darin herum, zog ihren toten Mann an den Rand. Während ich ihr half, peitschte mir der Wind rau und salzig ins Gesicht.

Schweigend trugen wir die sperrige Surfbretthülle über die Kiesel zum Ufer und ließen sie dort fallen. Eiskaltes Wasser drang mir in die Schuhe. Helen rannte zum Bootshaus, schloss die große Flügeltür auf, und zusammen zerrten wir die Jolle auf ihrem metallenen Rollgestell über die Steine.

Sie stieg ein, ich reichte ihr den Mast und schaute tatenlos zu, während sie ihn aufrichtete und die Segel aufzog.

Ralph lag neben mir am Strand, so nah, dass ich ihn mit den Zehen hätte berühren können. Noch ist es nicht zu spät. Ich könnte immer noch wegrennen, die Polizei rufen, alles gestehen und um Gnade flehen.

Ich dachte daran, was sie gesagt hatte. Totschlag. Sie hatte recht. Ich hatte ihn auf dem Gewissen, ganz egal, wie es passiert war. Sie würden mich jahrelang ins Gefängnis stecken. Ich schauderte, stellte mir vor, wie es sein würde, in einer kleinen Zelle eingeschlossen und echten Schwerkriminellen ausgeliefert zu sein. Das würde ich nicht überleben.