"Die Angst des Apfels vor dem Fall" - Melina B. Hilger - E-Book

"Die Angst des Apfels vor dem Fall" E-Book

Melina B. Hilger

4,9

Beschreibung

Sie suchen ein Geschenk für einen Menschen, der Ihnen am Herzen liegt? Oder auch für sich selbst? Diese Metapher-Geschichten eignen sich dafür vortrefflich. Sie geben Impulse zum inneren Wachsen und Nachdenken, um Stillstand zu überwinden und mehr über sich selbst zu erfahren. Manche Leser nennen sie auch "Geschichten, die heilen". Wer sein Herz für die Figuren/ Protagonisten in den kleinen Geschichten öffnet, wird mit ihnen fühlen und es wird auch gleichzeitig Eigenes mitschwingen. Lassen Sie sich überraschen!

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Seitenzahl: 113

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Einführung

Das Leben - „ein göttliches Spiel des Lernens. Manchmal ein grausam erscheinendes Spiel, manchmal ein wundervolles Spiel, auf jeden Fall ein aufregendes Spiel.“ Diese befreiende Erkenntnis, eine der Hauptfiguren, dieser ausgesprochen originellen, spannenden, zum Teil geheimnisvoll - tiefgründigen Kurzgeschichten klingt behutsam wegweisend als Möglichkeit an, dem alltäglichen Leben vielleicht doch ein wenig bewusster, unverkrampfter, gelassener zu begegnen. -

Ungewöhnliche Perspektiven und überraschende Lösungen zeichnen diese sehr unterschiedlichen, facettenreichen Erzählungen aus, die mit feinem Beobachtungsvermögen, mit Herzenswärme, Ernsthaftigkeit und immer auch wieder mit Humor geschrieben sind. Sie berühren, machen nachdenklich, rütteln auf und lassen immer wieder auch noch eine andere, mystische und weisere Wirklichkeit durchscheinen. Sie wirken nicht zuletzt mit der Kraft von Metaphern. - Kernthema ist das Fühlen, das Sich-einfühlen, und eben auch das in dieser Welt so notwendige, verbindende Mitgefühl mit allem, was ist.

Inhaltsverzeichnis

Der Philanthrop

Übung macht frei

Zauber der Nähe

Im Verborgenen

Der Maler

"Die Angst des Apfels vor dem Fall"

Der Wächter

Das Versprechen

Die Leinwand

Die seltsame Reise

Der gebeugte Rücken

Das ungleiche Paar

Das Geheimnis

Sophie – oder neuer Lebensmut

Frosch Raagie

Liebeliebeliebelei

Fetthenne

Lebendiges Leben od. Wortlosigkeit

Mrs. Erna

Lisbeth Schissbeth

Solange du noch träumen kannst

Die Verschwundene

Madam Zimberlin

Verrat

Anouk

Windtanz

Feen-Herz

Vorwort

Impuls Geschichten

Eigentlich nenne ich sie gern Metapher-Geschichten oder „Reden in Bildern“.

Wir bewegen uns oft wie betäubt durch den Alltag. Erst in Krisenzeiten, etwa durch Krankheit, halten wir inne, nehmen uns Zeit für das Sich-Besinnen. Wir sind an einem Punkt unseres Lebens angekommen, wo das Gewohnte nicht mehr so richtig funktioniert, vielleicht gar nicht mehr. Das zwingt uns, einiges neu zu überdenken, andere Blickwinkel einzunehmen. Genau dabei können solche Metapher-Geschichten uns sehr gut helfen. Wir spüren beim Lesen den dahinter verborgenen Sinn oftmals erst, wenn wir den Gefühlen nachgehen, die wir vielleicht schon lange untergründig in uns selbst gespürt haben. Das ständige Beschäftigtsein mit den scheinbar so drängenden Anforderungen des Alltags verhindert meist jedoch, diesen leisen Gefühlen nachzugehen. Erlauben Sie sich jetzt ihre wahren Bedürfnisse aufzuspüren. Stellen Sie sich vor, dass in ihrem Unterbewusstsein schon vieles offen und bereit da liegt.

Impuls-Geschichten bieten uns oft Verarbeitung von Geschehenem, führen uns auch weg von dem Nur-Verstandes-Denken, bringen das Unbewusst-Wissende mit dem Wahrhaften und unseren realen Möglichkeiten in Einklang.

Mit diesen Geschichten können Sie sich selbst helfen, ganzer, runder, ein Stück vollkommener zu werden auf Ihrem Lebensweg.

Ich wünsche viel Freude und Nachdenklichkeit beim Lesen dieser Geschichten.

Der Philanthrop

Gernot ging ruhig durch die Straßen. Die Häuser lagen verlassen da. Keiner wollte sich, ohne zwingenden Grund, draußen bei der Hitze aufhalten. Aber ihn störten die 37 Grad im Schatten kaum. Auf seinen vielen Reisen, im Laufe seines Lebens, war er auch schon in der Wüste gewandert und machte sich aus diesen Temperaturen hier nicht viel.

Obwohl er bereits über neunzig Jahre alt war, schritt er kräftig aus und seine Gestalt glich, zumindest von weitem, eher einem Vierzig-Jährigen. Aus der Nähe allerdings, wenn man in das braun gebrannte Gesicht blickte, sah man die vielen Krähenfüße um die Augen herum und auch um den Mund hatten sich tiefe Furchen eingegraben. Doch seine Augen blitzten so wach wie die eines jungen Mannes: intensiv und freundlich blickten sie jeden an, der sich ihm näherte. Sein Blick war intensiv und nahm alle in seinen Bann, er war von einer beinahe unheimlichen Präsenz. Jeder der mit Gernot zu tun hatte, erfreute sich besonders an dieser uneingeschränkten, wachen Aufmerksamkeit, die ihm in seiner Anwesenheit zu kam. Dann fühlte sich sein Gegenüber wie der wichtigste Mensch auf der Welt.

Diese absolute, zeitlose Zuwendung allein schon wirkte auf die Rat- und Hilfesuchenden wie ein Wunder, und manch einer fühlte sich davon bereits geheilt oder sah seine Not um vieles gelindert. Gernot war auch ein wunderbarer Ratgeber und Tröster. Durch seine absolute Zugewandtheit begannen die Verzagten, ihm ihre Herzen auszuschütten.

Wenn die Hilfesuchenden dann ihr Herzensgefäß ganz bei ihm entleert hatten, kamen, nach einiger Zeit des Schweigens, immer wunderbare, erhellende Worte aus Gernot. Es waren keine großartigen Reden oder weise Sprüche, sondern wenige Worte, die das Gegenüber mitten ins Herz trafen, weil sie von einer so großen Seelenweisheit und Einfachheit waren, dass sich der Suchende voll erkannt und verstanden fühlte. Danach, wenn sie Gernot nach solchen Gesprächen verließen, fühlten sie sich hoffnungsvoll, geborgen und voller Dankbarkeit, und fast immer fand Gernot am nächsten Tag ein paar Früchte, ein frisch gebackenes Brot, oder sogar ein paar Dinar vor seiner Türe. Die Menschen hier waren arm und versuchten ihre Erleichterung über die kostenlose Hilfe auf ihre ihnen mögliche Art zu zeigen.

Wenn Gernot am Morgen die Gaben vor seiner Türe mit einem Lächeln einsammelte, wusste er, dass er wohl wieder ein wenig heilsam auf die Seelen eingewirkt hatte. Dieses Wissen war ihm eigentlich Lohn genug, aber ihm war klar, dass freiwilliges Geben ein wichtiges Gut war, und so nahm er diese Naturalien und kleinen Geschenke gerne an.

Er hatte gerade seine Mittagsrunde durch das Dorf beendet, war zurück gekehrt in sein karges Zuhause und dachte fast bedauernd: „Heute hat mich niemand gebraucht.“ Er beruhigte aber sein Gemüt in dem er sich sagte, dass es heute allen gut ging. Da klopfte es zart an seine Holztüre. Gernot öffnete sie und sah ein junges Mädchen mit gesenktem Kopf vor sich stehen.

„Komm herein Liebes, hier drin ist es kühler,“ forderte er sie auf. Er zeigte auf das Kissen und sie nahm zögerlich darauf Platz. Schweigend saßen sie sich gegenüber. Lange dauerte es, bis das Mädchen den Blick heben und ihn zaghaft anschauen konnte.

Aber als die Augenverbindung erst einmal hergestellt war, spürte man förmlich, wie sich Erleichterung im Körper des Mädchens ausbreitete. Der weise Mann ihr gegenüber fing an zu sprechen, obwohl er das sonst nie tat, ehe ihm nicht seine Besucher ihr Anliegen vorgebracht hatten. Aber ihr langes Schweigen und ihr ganzes Verhalten war so beredt, dass er genug zu wissen glaubte. „Liebe junge Frau, ich kenne deinen Namen nicht. Aber deine Seele hat deutlich zu mir gesprochen.Ich antworte dir zu deinen beiden Problemen und sage ein zweifaches Ja. Ich sage ja, du kannst dein Kind hier zur Welt bringen. Und ich sage ja zu deinem Anliegen, meine Schülerin zu werden. Ich freue mich. Einen Schüler oder eine Schülerin wünsche ich mir schon seit langem. Also nimm den Teppich da drüben, lege ihn auf die Erde dort hinten und belebe diese Hütte so, dass sie dir und deinem Kind ein Zuhause wird.

Zwölf Jahre später öffnete jeden Morgen ein elfjähriger Junge die Türe und rief dann meist: „Mutter, heute sind es die schönsten Früchte, die du dir vorstellen kannst“, und er trug den Korb hinein. Und Gernot lächelte sein liebevollstes Lächeln, - von ganz oben herab.

Übung macht frei

Marionka saß nun schon die dritte Nacht wie angenagelt auf diesem Küchenstuhl. Sie wollte es einfach schaffen, koste es was es wolle. Leise murmelte sie in die aufgeschlagene Buchseite hinein, es hörte sich an wie eine Beschwörung. Die Küchentüre öffnete sich hinter ihr: „Was machst du denn hier schon wieder?“ Der Vorwurf in Igors Stimme war unüberhörbar. „Ich studiere die Kochrezepte für die Feier im April“, antwortete Marionka ihm schnell und konnte kaum verbergen, dass sie bei dieser Lüge rot wurde. Misstrauisch kam Igor zum Tisch: „Das soll ein Kochbuch sein, da sind gar keine Bilder drin“. „Na, ja es geht beim Kochen doch nicht ums ‚Ausschauen’ – sondern ums gut schmecken, oder?“, antwortete sie ihm ohne zu zögern schnippisch.

Er blickte sie prüfend an, aber sie hatte schon wieder den Kopf zum Buch gesenkt, so dass der Kerzenschein nicht ihr Gesicht beleuchten konnte. „Schau dass du ins Bett kommst, morgen bist du wieder zu müde zur Arbeit im Stall“, meinte er nur noch. Sie atmete tief durch als er die Türe hinter sich geschlossen hatte. Gottseidank, sie konnte seinen Verdacht hoffentlich zerstreuen. Sie sollte jetzt wirklich zu Bett gehen, sonst würde sie tatsächlich nicht genug Kraft für den nächsten Tag besitzen.

Sie schlug das Buch zu, fuhr noch einmal liebevoll über den Umschlag und versteckte es besonders gut zwischen den Geschirrtüchern, ganz hinten im Regal.

Als Marionka sich leise neben ihren Mann legte, der schon kräftig schnarchte, fühlte sie sich irgendwie fiebrig und sehr wach. Das Einschlafen fiel ihr schwer. Zu allem Überfluss schien auch noch der Mond zum Fenster herein. Sie schloss die Augen und sah selbst jetzt noch die Buchstaben tanzen. Sie würde es lernen, ganz bestimmt - morgen würde sie nach dem Einkauf im Dorf wieder zu Irina gehen. Sie war Lehrerin und bei dem Gedanken an Irina wurde sie ruhiger und schlief schließlich ein. Der Mond hatte Mitleid mit Marionka und verschwand hinter einer Wolke.

Marionka träumte wild: Sie lief den seltsamen verschnörkelten Buchstaben hinterher, und wollte sie unbedingt zu fassen kriegen. Schließlich gelang es ihr ein F zu fangen. Sie hing sich mit aller Kraft daran und wurde von dem immer riesenhafteren F fortgeschleift. Die Arme taten ihr weh, aber sie hielt fest als ginge es um ihr Leben. Ihre Ausdauer wurde belohnt, das F hob ab in den Himmel und mit einem Mal flog Marionka leicht wie eine Feder mit dem F durch die Wolken. Sie sah wie noch andere Buchstaben in der Luft flogen und beobachtete fasziniert, wie ihr F versuchte sich an andere Buchstaben zu hängen.

Schließlich gelang dies, es war ein L und gemeinsam flogen sie nun dahin und versuchten neue Buchstaben zu fangen. Es war irgendwie lustig und Marionka hörte sich fröhlich lachen. Schließlich hing ein neuer Buchstabe, ein I an ihnen und es gesellte sich auch noch ein E dazu und schließlich noch ein H. Marionka versuchte verzweifelt das Wort in der Luft zu entziffern: Fl…, Fli.e.h…. Sie strengte sich sehr an in ihrem Traum, und plötzlich verstand sie das Wort und ein befreiendes Lachen schaffte sich Bahn.

„He, was soll das?“ schimpfte ihr Mann, der von ihrem anscheinend lauten Lachen aufgewacht war. Die Rippe tat ihr weh, weil er sie mit dem Ellbogen kräftig in die Seite gestoßen hatte, um sie aufzuwecken. Sie murmelte „Hab wohl geträumt…“ und drehte sich weg von ihm. Marionka erinnerte sich noch gut an den Traum und vollzog ihn noch wach im Bett liegend nach.

Das Wort „Flieh“ hallte in ihr wie ein köstlicher Klang, - wie Musik. Ja, sie würde fliehen von hier. Sie würde ihren rohen, verständnislosen Mann verlassen, sobald sie Lesen und Schreiben gelernt hatte.

Zauber der Nähe

Der Bärtige saß nun schon seit drei Tagen an der Ecke. Jedes Mal wenn Luisa aus ihrem Fenster schaute sah sie ihn. Früher hatte sie auf die Obdachlosen nicht geachtet, diesmal aber war etwas anders. Da sie unweit entfernt wohnte, konnte sie ihn durch ihr Küchenfenster beobachten. Sie holte ihr Fernglas und betrachtete ihn genau. Sein graues, krauses Haar sah ungepflegt aus, der Bart wucherte wild im Gesicht, so dass nur noch die Augen sichtbar waren. Diese Augen - irgendwie gefiel ihr sein Blick, er sah wach und freundlich jeden an, der vorbei ging - nicht fordernd, eher neugierig.

Seine Kleider waren zerlumpt, hier ein Riss, dort ein Fleck und auch einige Knöpfe fehlten auf seinem Jackett. Die ganze Gestalt machte einen graubraunen Eindruck. Das Braun kam von der dunklen Hautfarbe, man konnte nicht genau erkennen, ob sie von der ständigen Sonne kam oder ob er negroid war. Vor sich hatte er einen Hut, soweit Luisa sehen konnte, war er leer. Neben ihm räkelte sich gerade gähnend ein kleines Hündchen. Sein Fell war ebenso grau gesprenkelt, und die beiden bildeten eine richtige Einheit. Jetzt sprach sein Herrchen mit ihm, und gerührt verfolgte Luisa, wie aufmerksam der Hund seinem Herrn jedes Wort von den Lippen las und dabei heftig mit dem kleinen Schwänzchen wedelte. Der alte Mann kramte in seiner Jackentasche und hatte dort offensichtlich ein Leckerchengefunden, das hielt er seinem vierbeinigen Freund auf der flachen Hand hin. Vorsichtig nahm es das kleine Kerlchen mit den Lefzen auf und kaute es, immer noch heftig wedelnd, genüsslich. Lange beobachtete sie an diesem Tag den an der Ecke Bettelnden. Schließlich musste sie zur Arbeit, aber heute nahm sie den kleinen Umweg in Kauf, um bei den beiden vorbei zu gehen. Als sie auf ihrer Höhe war, nahm sie einen Fünf-Euro-Schein aus ihrem Geldbeutel und legte ihn vorsichtig in seinen Hut. Als sie wieder hoch schaute, blickte sie direkt in die freundlichen Augen vor sich und spürte zur gleichen Zeit eine Berührung an ihrer rechten Hand. Sie sah den kleinen grauen Hund, wie er ihr die Hand leckte.

Sie fuhr ihm streichelnd über den Kopf und der Kleine genoss sichtlich diese Berührung. Sie nickte dem freundlich Lächelnden zu und ging schnell weiter.

So ging es nun schon viele Wochen. Allmählich beobachtete Luise den Mann nicht mehr so oft. Es gab auch nichts Neues zu sehen.

Einmal jede Woche machte sie den kleinen Umweg und legte ihm den kleinen Geldschein in den Hut, und jedes Mal erntete sie dafür ein freundliches Lächeln und ein Handlecken. Allmählich begriff sie, dass der Hund wohl abgerichtet war und jedem Spender eines Geldscheines die Hand leckte.

Beim nächsten Mal legte sie sich für fünf Euro Münzen zurecht und warf diese statt eines Scheines in den Hut. Abermals leckte der Hund ihr die Hand. Ab diesem Tag fing sie wieder an die beiden länger zu beobachten.