Die Auserwählte - J. R. Ward - E-Book

Die Auserwählte E-Book

J. R. Ward

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Beschreibung

Sie sind füreinander bestimmt und dürfen dennoch nie zusammen sein: die schöne Auserwählte Layla und der Verräter Xcor. Während Xcor sich der Strafe der Bruderschaft stellt, will Layla um ihr Glück – und sein Leben – kämpfen. Denn sie kennt die Wahrheit, die Xcor retten könnte. Doch das Lüften seines Geheimnisses droht alles zu zerstören … Zerrissen zwischen Liebe und Loyalität, muss Layla sich entscheiden: für ihre Familie oder den einzigen Mann, den sie jemals lieben wird.

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Seitenzahl: 381

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Das Buch

Die schöne Auserwählte Layla ist eine Vampirin von Wert, und seit sie dem mächtigen Krieger Qhuinn und dessen Gefährten Blay gesunde Zwillinge geboren hat, wird sie von der Bruderschaft der BLACK DAGGER wie eine Königin verehrt. Was jedoch keiner von ihnen ahnt: Laylas Herz ist gebrochen, denn ihre Liebe gehört dem Verräter Xcor, der einst versuchte, den Vampirkönig Wrath zu töten und den Thron an sich zu reißen. Inzwischen haben die BLACK DAGGER Xcor gefangen genommen, um ihn seiner rechtmäßigen Strafe zuzuführen. Während sich Xcor auf seinen Tod vorbereitet, will Layla um ihr Glück – und sein Leben – kämpfen. Denn sie kennt die Wahrheit, die Xcor retten könnte. Doch wenn sie ihr Geheimnis offenbart, könnte sie damit alles zerstören … Zerrissen zwischen Liebe und Loyalität, muss sich Layla entscheiden: für die BLACK DAGGER, die zu ihrer Familie geworden sind, oder für Xcor, den einzigen Mann, den sie jemals lieben wird.

Die Autorin

J. R. Ward begann bereits während des Studiums mit dem Schreiben. Nach dem Hochschulabschluss veröffentlichte sie die BLACK DAGGER-Serie, die in kürzester Zeit die amerikanischen Bestsellerlisten eroberte. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in Kentucky und gilt seit dem überragenden Erfolg der Serie als Star der romantischen Mystery.

Mehr über Autorin und Werk erfahren Sie unter:

www.jrward.com

J.R.Ward

DieAuserwählte

Ein BLACK DAGGER-Roman

Wilhelm Heyne Verlag

München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Titel der Originalausgabe: THE CHOSEN (Part 1)
Aus dem Amerikanischen von Corinna Vierkant
Redaktion: Bettina Spangler Copyright © 2017 by Love Conquers All, Inc. Copyright © 2018 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlaggestaltung: Animagic, Bielefeld Autorenfoto © by John Rott Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-21526-2 V002
www.heyne.de

Gewidmet:

Euch.

Nach all der Zeit

endlich auserwählt.

Willkommen zu Hause.

Danksagung

Ein großes Dankeschön allen Lesern der Bruderschaft der Black Dagger!

Vielen Dank für all die Unterstützung und die Ratschläge an: Steven Axelrod und Kara Welsh. Danke auch allen Mitarbeitern von Ballantine – diese Bücher sind echte Teamarbeit!

Alles Liebe an das Team Waud – ihr wisst, wer gemeint ist. Ohne euch käme die Sache gar nicht zustande.

Nichts von alledem wäre möglich ohne: meinen liebevollen Ehemann, der mir mit Rat und Tat zur Seite steht, sich um mich kümmert und mich an seinen Visionen teilhaben lässt; meine wunderbare Mutter, die mir mehr Liebe geschenkt hat, als ich ihr je zurückgeben kann; meine Familie (die blutsverwandte wie auch die frei gewählte) und meine liebsten Freunde.

Ach ja, und meinem WriterAssistant Naamah.

Glossar der Begriffe und Eigennamen

Ahstrux nohtrum– Persönlicher Leibwächter mit Lizenz zum Töten, der vom König ernannt wird.

Die Auserwählten– Vampirinnen, deren Aufgabe es ist, der Jungfrau der Schrift zu dienen. Sie werden als Angehörige der Aristokratie betrachtet, obwohl sie eher spirituell als weltlich orientiert sind. Nachdem sie aus dem Heiligtum befreit wurden, gehen sie zunehmend eigene Wege und lösen sich von den kultartigen Einschränkungen ihrer traditionellen Rolle. In der Vergangenheit dienten sie alleinstehenden Brüdern zum Stillen ihres Blutbedürfnisses. Diese Praxis wurde von den Brüdern wieder aufgenommen.

Bannung– Status, der einer Vampirin der Aristokratie auf Gesuch ihrer Familie durch den König auferlegt werden kann. Unterstellt die Vampirin der alleinigen Aufsicht ihres Hüters, üblicherweise der älteste Mann des Haushalts. Ihr Hüter besitzt damit das gesetzlich verbriefte Recht, sämtliche Aspekte ihres Lebens zu bestimmen und nach eigenem Gutdünken jeglichen Umgang zwischen ihr und der Außenwelt zu regulieren.

Die Bruderschaft der Black Dagger– Die Brüder des Schwarzen Dolches. Speziell ausgebildete Vampirkrieger, die ihre Spezies vor der Gesellschaft der Lesser beschützen. Infolge selektiver Züchtung innerhalb der Rasse besitzen die Brüder ungeheure physische und mentale Stärke sowie die Fähigkeit zur extrem raschen Heilung. Die meisten von ihnen sind keine leiblichen Geschwister; neue Anwärter werden von den anderen Brüdern vorgeschlagen und daraufhin in die Bruderschaft aufgenommen. Die Mitglieder der Bruderschaft sind Einzelgänger, aggressiv und verschlossen. Sie pflegen wenig Kontakt zu Menschen und anderen Vampiren, außer um Blut zu trinken. Viele Legenden ranken sich um diese Krieger, und sie werden von ihresgleichen mit höchster Ehrfurcht behandelt. Sie können getötet werden, aber nur durch sehr schwere Wunden wie zum Beispiel eine Kugel oder einen Messerstich ins Herz.

Blutsklave– Männlicher oder weiblicher Vampir, der unterworfen wurde, um das Blutbedürfnis eines anderen zu stillen. Die Haltung von Blutsklaven wurde vor Kurzem gesetzlich verboten.

Chrih– Symbol des ehrenhaften Todes in der alten Sprache.

Doggen– Angehörige(r) der Dienerklasse innerhalb der Vampirwelt. Doggen pflegen im Dienst an ihrer Herrschaft altertümliche, konservative Sitten und folgen einem formellen Bekleidungs- und Verhaltenskodex. Sie können tagsüber aus dem Haus gehen, altern aber relativ rasch. Die Lebenserwartung liegt bei etwa fünfhundert Jahren.

Dhunhd– Hölle.

Ehros– Eine Auserwählte, die speziell in der Liebeskunst ausgebildet wurde.

Exhile Dhoble– Der böse oder verfluchte Zwilling, derjenige, der als Zweiter geboren wird.

Gesellschaft der Lesser– Orden von Vampirjägern, der von Omega zum Zwecke der Auslöschung der Vampirspezies gegründet wurde.

Glymera– Das soziale Herzstück der Aristokratie, sozusagen die »oberen Zehntausend« unter den Vampiren.

Gruft– Heiliges Gewölbe der Bruderschaft der Black Dagger. Sowohl Ort für zeremonielle Handlungen als auch Aufbewahrungsort für die erbeuteten Kanopen der Lesser. Hier werden unter anderem Aufnahmerituale, Begräbnisse und Disziplinarmaßnahmen gegen Brüder durchgeführt. Niemand außer Angehörigen der Bruderschaft, der Jungfrau der Schrift und Aspiranten hat Zutritt zur Gruft.

Hellren– Männlicher Vampir, der eine Partnerschaft mit einer Vampirin eingegangen ist. Männliche Vampire können mehr als eine Vampirin als Partnerin nehmen.

Hohe Familie– König und Königin der Vampire sowie all ihre Kinder.

Hüter– Vormund eines Vampirs oder einer Vampirin. Hüter können unterschiedlich viel Autorität besitzen, die größte Macht übt der Hüter einer gebannten Vampirin aus.

Jungfrau der Schrift– Mystische Macht, die dem König als Beraterin dient sowie die Vampirarchive hütet und Privilegien erteilt. Existierte in einer jenseitigen Sphäre und besaß umfangreiche Kräfte. Gab ihre Stellung zugunsten einer Nachfolge auf.

Leahdyre– Eine mächtige und einflussreiche Person.

Lesser– Ein seiner Seele beraubter Mensch, der als Mitglied der Gesellschaft der Lesser Jagd auf Vampire macht, um sie auszurotten. Die Lesser müssen durch einen Stich in die Brust getötet werden. Sie altern nicht, essen und trinken nicht und sind impotent. Im Laufe der Jahre verlieren ihre Haare, Haut und Iris ihre Pigmentierung, bis sie blond, bleich und weißäugig sind. Sie riechen nach Talkum. Aufgenommen in die Gesellschaft werden sie durch Omega. Daraufhin erhalten sie ihre Kanope, ein Keramikgefäß, in dem sie ihr aus der Brust entferntes Herz aufbewahren.

Lewlhen– Geschenk.

Lheage– Respektsbezeichnung einer sexuell devoten Person gegenüber einem dominanten Partner.

Lhenihan– Ein mystisches Biest bekannt für seine sexuelle Leistungsfähigkeit. In modernem Slang bezieht es sich auf einen Vampir von übermäßiger Größe und Ausdauer.

Lielan– Ein Kosewort, frei übersetzt in etwa »mein Liebstes«.

Lys– Folterwerkzeug zur Entnahme von Augen.

Mahmen– Mutter. Dient sowohl als Bezeichnung als auch als Anrede und Kosewort.

Mhis– Die Verhüllung eines Ortes oder einer Gegend; die Schaffung einer Illusion.

Nalla oder Nallum– Kosewort. In etwa »Geliebte(r)«.

Novizin– Eine Jungfrau.

Omega– Unheilvolle mystische Gestalt, die sich aus Groll gegen die Jungfrau der Schrift die Ausrottung der Vampire zum Ziel gesetzt hat. Existiert in einer jenseitigen Sphäre und hat weitreichende Kräfte, wenn auch nicht die Kraft zur Schöpfung.

Phearsom– Begriff, der sich auf die Funktionstüchtigkeit der männlichen Geschlechtsorgane bezieht. Die wörtliche Übersetzung lautet in etwa »würdig, in eine Frau einzudringen«.

Princeps– Höchste Stufe der Vampiraristokratie, untergeben nur den Mitgliedern der Hohen Familie und den Auserwählten der Jungfrau der Schrift. Dieser Titel wird vererbt; er kann nicht verliehen werden.

Pyrokant– Bezeichnet die entscheidende Schwachstelle eines Individuums, sozusagen seine Achillesferse. Diese Schwachstelle kann innerlich sein, wie zum Beispiel eine Sucht, oder äußerlich, wie ein geliebter Mensch.

Rahlman– Retter.

Rythos– Rituelle Prozedur, um verlorene Ehre wiederherzustellen. Der Rythos wird von dem Vampir gewährt, der einen anderen beleidigt hat. Wird er angenommen, wählt der Gekränkte eine Waffe und tritt damit dem unbewaffneten Beleidiger entgegen.

Schleier– Jenseitige Sphäre, in der die Toten wieder mit ihrer Familie und ihren Freunden zusammentreffen und die Ewigkeit verbringen.

Shellan– Vampirin, die eine Partnerschaft mit einem Vampir eingegangen ist. Vampirinnen nehmen sich in der Regel nicht mehr als einen Partner, da gebundene männliche Vampire ein ausgeprägtes Revierverhalten zeigen.

Symphath– Eigene Spezies innerhalb der Vampirrasse, deren Merkmale die Fähigkeit und das Verlangen sind, Gefühle in anderen zu manipulieren (zum Zwecke eines Energieaustauschs). Historisch wurden die Symphathen oft mit Misstrauen betrachtet und in bestimmten Epochen auch von den anderen Vampiren gejagt. Sind heute nahezu ausgestorben.

Trahyner– Respekts- und Zuneigungsbezeichnung unter männlichen Vampiren. Bedeutet ungefähr »geliebter Freund«.

Transition– Entscheidender Moment im Leben eines Vampirs, wenn er oder sie ins Erwachsenenleben eintritt. Ab diesem Punkt müssen sie das Blut des jeweils anderen Geschlechts trinken, um zu überleben, und vertragen kein Sonnenlicht mehr. Findet normalerweise mit etwa Mitte zwanzig statt. Manche Vampire überleben ihre Transition nicht, vor allem männliche Vampire. Vor ihrer Transition sind Vampire von schwächlicher Konstitution und sexuell unreif und desinteressiert. Außerdem können sie sich noch nicht dematerialisieren.

Triebigkeit– Fruchtbare Phase einer Vampirin. Üblicherweise dauert sie zwei Tage und wird von heftigem sexuellem Verlangen begleitet. Zum ersten Mal tritt sie etwa fünf Jahre nach der Transition eines weiblichen Vampirs auf, danach im Abstand von etwa zehn Jahren. Alle männlichen Vampire reagieren bis zu einem gewissen Grad auf eine triebige Vampirin, deshalb ist dies eine gefährliche Zeit. Zwischen konkurrierenden männlichen Vampiren können Konflikte und Kämpfe ausbrechen, besonders wenn die Vampirin keinen Partner hat.

Vampir– Angehöriger einer gesonderten Spezies neben dem Homo sapiens. Vampire sind darauf angewiesen, das Blut des jeweils anderen Geschlechts zu trinken. Menschliches Blut kann ihnen zwar auch das Überleben sichern, aber die daraus gewonnene Kraft hält nicht lange vor. Nach ihrer Transition, die üblicherweise etwa mit Mitte zwanzig stattfindet, dürfen sie sich nicht mehr dem Sonnenlicht aussetzen und müssen sich in regelmäßigen Abständen aus der Vene ernähren. Entgegen einer weitverbreiteten Annahme können Vampire Menschen nicht durch einen Biss oder eine Blutübertragung »verwandeln«; in seltenen Fällen aber können sich die beiden Spezies zusammen fortpflanzen. Vampire können sich nach Belieben dematerialisieren, dazu müssen sie aber ganz ruhig werden und sich konzentrieren; außerdem dürfen sie nichts Schweres bei sich tragen. Sie können Menschen ihre Erinnerung nehmen, allerdings nur, solange diese Erinnerungen im Kurzzeitgedächtnis abgespeichert sind. Manche Vampire können auch Gedanken lesen. Die Lebenserwartung liegt bei über eintausend Jahren, in manchen Fällen auch höher.

Vergeltung– Akt tödlicher Rache, typischerweise ausgeführt von einem Mann im Dienste seiner Liebe.

Wanderer– Ein Verstorbener, der aus dem Schleier zu den Lebenden zurückgekehrt ist. Wanderern wird großer Respekt entgegengebracht, und sie werden für das, was sie durchmachen mussten, verehrt.

Whard– Entspricht einem Patenonkel oder einer Patentante.

Zwiestreit– Konflikt zwischen zwei männlichen Vampiren, die Rivalen um die Gunst einer Vampirin sind.

Prolog

Im Alten Land, 1731

In einer seichten Kuhle brannte ein Feuer und ließ seinen flackernden Schein über die feuchten Felswände der Höhle kriechen. Draußen wütete ein heftiger Schneesturm, die eisigen Windstöße waren bis tief in den Schoß der Erde hinein zu vernehmen, wo das Heulen mit den Schreien einer Frau verschmolz, die auf einem spärlichen Lager ein Kind gebar.

»Es wird ein Junge«, keuchte sie zwischen zwei Wehen. »Ein Junge!«

Bruder Hharm aus der Bruderschaft der Black Dagger stand groß und unheilvoll vor der sich windenden Frau, gänzlich unbeeindruckt von ihrem Leid.

»Das werden wir bald erfahren.«

»Du wirst dich mit mir vereinigen. So wie du es versprochen…«

Ihre Stimme versagte, und ihr Gesicht verzog sich zu einer hässlichen Grimasse, als sich ihr Innerstes zusammenzog, um seinen Nachkommen auszutreiben. Hharm, der ihr dabei zusah, sann darüber nach, wie hässlich diese Aristokratin in ihren Geburtswehen war. Wie anders hatte sie ausgesehen, als er sie kennengelernt und verführt hatte. Damals war sie eine ansehnliche Frau in einem Satinkleid gewesen, ein adäquates Gefäß für seinen Samen, die Haut parfümiert, das Haar glänzend und federnd. Nun glich sie einem Tier, verschwitzt und sehnig– und warum dauerte das alles so lang? Der Vorgang langweilte ihn unendlich, und es widerte ihn an, dass er ihr beistehen musste. Das hier war Frauenarbeit und nichts für einen Krieger wie ihn.

Aber er würde sich nur mit ihr vereinigen, wenn es nicht anders ging.

Wenn sie ihm den gewünschten Sohn gebar, dann ja. Dann würde er das Kind durch eine standesgemäße Zeremonie zu seinem rechtmäßigen Erben machen und dieser Frau zu hohem Rang verhelfen, ganz wie sie es forderte. Wenn nicht? Dann würde er sie sitzen lassen. Er hatte nichts zu befürchten. Sie würde schweigen, weil sie in den Augen ihrer Standesgenossen verdorben war. Ihre Reinheit war dahin, denn er hatte ihren Acker gepflügt.

Hharm hatte beschlossen, dass es an der Zeit war, sich niederzulassen. Nach einem jahrhundertelangen Leben voller Ausschweifungen und Sittenlosigkeit, machte sich zum ersten Mal sein Alter bemerkbar, und er dachte über sein Erbe nach. Gegenwärtig gab es jede Menge Bastarde, Früchte seiner Lenden, die er nicht kannte und die ihn nicht kümmerten. Sie waren das Nebenprodukt eines ungezügelten Lebens in Freiheit, in dem er nichts und niemandem verpflichtet war.

Doch jetzt regte sich in seinem Herzen der Wunsch nach einer legitimen Nachkommenschaft. Außerdem konnte der Vater dieser Vampirin mit Leichtigkeit all die Wettschulden begleichen, die er angehäuft hatte– was nicht hieß, dass er sich mit ihr vereinigen würde, wenn sie ihm keinen Sohn gebar. Er war nicht so verrückt, sich mit Geld kaufen zu lassen. Schließlich gab es genügend andere Vampirinnen in der Glymera, die den Status begehrten, die eine Vereinigung mit einem Bruder der Black Dagger mit sich brachte.

Hharm würde sich nicht binden, bis er einen männlichen Nachkommen hatte, den er von der ersten Nacht an rechtschaffen aufziehen konnte.

»Reiß dich zusammen«, knurrte er, als die werdende Mahmen erneut schrie, dass es in seinen Ohren gellte. »Sei still.«

Doch wie in allem widersetzte sie sich ihm auch jetzt. »Er kommt…! Dein Sohn!«

Mit fahrigen Händen hatte sie ihr Kleid bis hoch zu den geschwollenen Brüsten gezogen. Ihr runder und praller Bauch war schamlos entblößt, und ihre dünnen, blassen Schenkel waren weit gespreizt. Was sich dazwischen abspielte, war einfach nur abstoßend. Aus dem, was eine zarte, einladende Pforte für einen begehrenden Mann sein sollte, trieften alle möglichen Sekrete, und das Fleisch war angeschwollen und deformiert.

Nie mehr würde er in sie eindringen. Ganz gleich, ob Sohn oder nicht, Vereinigung oder nicht, diese Abscheulichkeit würde er nie vergessen können.

Glücklicherweise waren Zweckvereinigungen unter Aristokraten üblich– nicht dass es ihn gekümmert hätte, wäre dem anders gewesen. Ihre Bedürfnisse hatten keinerlei Bedeutung.

»Er kommt zu dir!«, rief sie, während sie den Kopf in den Nacken warf und ihre Finger den Erdboden unter ihr aufschürften. »Dein Sohn… er kommt zu dir!«

Hharm runzelte die Stirn und sah genauer hin. Tatsächlich, sie irrte sich nicht. Etwas schob sich aus ihrem Inneren hervor… es war…

…eine Abscheulichkeit. Eine schreckliche, missgestaltete…

Ein Fuß. War das ein Fuß?

»Nimm deinen Sohn«, befahl sie keuchend. »Zieh ihn heraus und halte ihn an dein klopfendes Herz, erkenne, dass er von deinem Fleisch ist!«

Behängt mit all seinen Waffen, sank Hharm auf die Knie, als ein zweiter Fuß erschien.

»Zieh ihn heraus! Zieh!« Blut quoll aus der Öffnung hervor, und wieder schrie die Frau, doch das Kind verharrte in seiner Position. »Hilf mir! Er steckt fest!«

Hharm rührte die zuckende Masse nicht an und fragte sich, wie viele der Vampirinnen, die er geschwängert hatte, etwas Derartiges durchgemacht hatten. War der Vorgang immer so abstoßend, oder war diese Vampirin hier einfach nur schwach?

Fürwahr, er hätte sie das Kind allein zur Welt bringen lassen sollen, aber er traute ihr nicht. Nur wenn er der Geburt persönlich beiwohnte, konnte er sichergehen, dass es auch wirklich sein Kind war. Denn gewiss wäre sie nicht davor zurückgeschreckt, eine weniger begehrte Tochter gegen einen Jungen einzutauschen… gezeugt von einem anderen.

Das hier war ein ausgemachter Handel, und er wusste nur zu gut, wie bereitwillig in solchen Angelegenheiten getrickst wurde.

Die Vampirin schrie jetzt aus vollem Halse, so durchdringend und lang gezogen, dass kein klarer Gedanke mehr möglich war. Dann grunzte sie und griff mit erdverschmierten, blutigen Händen an die Innenseiten ihrer Schenkel und dehnte die Spalte zwischen ihren Beinen weiter auf. Gerade als er sich endgültig sicher war, dass sie sterben würde, und schon erwog, ob er die beiden würde begraben müssen– und sich prompt dagegen entschied, da die Waldbewohner sich schnell um die Überreste kümmern würden–, glitt das Kind ein Stückchen weiter heraus, vorbei an einer Art inneren Barriere.

Und da war es.

Hharm stürzte nach vorne. »Mein Sohn!«

Ohne darüber nachzudenken, packte er die glitschigen kleinen Knöchel. Es lebte, das Kind strampelte kraftvoll, kämpfte mit der Enge des Geburtskanals.

»Komm zu mir, mein Sohn«, befahl Hharm und zog.

Die Vampirin wand sich in Qualen, doch das kümmerte ihn nicht. Hände– winzige, perfekt geformte Hände– erschienen als Nächstes, zusammen mit einem gerundeten Bauch und einer Brust, die selbst in ihrer ursprünglichen Form schon große Breite versprach.

»Ein Krieger! Das ist ein Krieger!« Hharms Herz schlug höher, der Triumph hämmerte in seinen Ohren. »Mein Sohn wird meinen Namen tragen! Er soll als Hharm bekannt sein, so wie ich vor ihm!«

Die Frau hob den Kopf, und die Adern in ihrem Hals zeichneten sich wie grobe Stricke unter der zu blassen Haut ab. »Du wirst dich mit mir vereinigen«, keuchte sie. »Schwöre es mir… schwöre es mir bei deiner Ehre, oder ich behalte ihn in meinem Leib, bis er sich blau verfärbt und in den Schleier eintritt.«

Hharm lächelte kalt und bleckte die Fänge. Dann zog er einen seiner schwarzen Dolche aus dem Brustgurt und hielt die scharfe Spitze über ihren Bauch.

»Ich werde dich ausnehmen wie eine Hirschkuh, um ihn schnellstens zu befreien, Nalla.«

»Und wer stillt dann deinen kostbaren Sohn? Dein Nachkomme wird nicht überleben, wenn ich ihn nicht ernähre.«

Hharm dachte an den Sturm, der draußen wütete. Daran, wie weit sie von der nächsten Vampirsiedlung entfernt waren. Wie wenig er von den Bedürfnissen eines Säuglings wusste.

»Du wirst dich mit mir vereinigen, so wie du es versprochen hast«, stöhnte sie. »Schwöre es!«

Aus wilden, blutunterlaufenen Augen sah sie ihn an, ihr langes Haar war verschwitzt und zerzaust, ihr Körper für alle Zeit für ihn verdorben. Aber ihre Argumente waren von bestechender Logik. Es war nicht klug, das Ersehnte aufs Spiel zu setzen, nur weil sie zu vehement einforderte, wozu er ohnehin bereit gewesen war.

»Ich schwöre es«, brummte er.

Daraufhin presste sie erneut, und diesmal half er mit und zog im Rhythmus ihrer Wehen.

»Er kommt… er…«

Von einer Sekunde zur nächsten glitt das Kind aus ihr heraus, begleitet von einem Schwall Flüssigkeit, und als Hharm seinen Sohn in der Hand auffing, nahm eine unerwartete Freude von ihm Besitz, die so überwältigend war…

Er blickte in das Gesicht des Kindes und kniff die Augen zusammen. Hingen da noch Gewebereste oder dergleichen in seinem Antlitz? Er strich über die Züge, die eine Mischung aus seinen und denen der Vampirin waren.

Doch es änderte nichts.

»Was soll das sein?«, fragte er barsch. »Welcher Fluch liegt auf diesem Monster!«

1

In den Bergen von Caldwell, New York

Die Bruderschaft der Black Dagger hielt ihn am Leben, um ihn umzubringen.

Betrachtete man die Gesamtheit von Xcors irdischem Streben, das milde ausgedrückt von Gewalt beherrscht, offen gesagt jedoch hoffnungslos verdorben gewesen war, schien das Ende nur konsequent.

Er war in einer Winternacht inmitten eines historischen Schneesturms auf die Welt gekommen. Während eisige Windböen über das Alte Land gefegt waren, hatte sich die Frau, die ihn unter dem Herzen getragen hatte, unter Schreien und viel Blut in einer klammen, schmutzigen Höhle gewunden, um Bruder Hharm von der Bruderschaft der Black Dagger den ersehnten Sohn zu gebären.

Die Eltern waren von erwartungsvoller Freude erfüllt gewesen.

Bis er auf der Welt war.

Das war der Anfang seiner Geschichte gewesen, die ihn letztlich hierhergeführt hatte.

In eine andere Höhle. In eine andere Dezembernacht. Und wieder begrüßte ihn heulender Wind, als er die Bühne betrat, wenngleich er diesmal nur aus einer Bewusstlosigkeit erwachte und keinem schützenden Schoß entschlüpfte.

Doch ähnlich wie ein Neugeborener hatte er wenig Kontrolle über seinen Körper. Er war gefangen, und nicht nur, weil sie ihn mit stählernen Ketten und Bügeln an Brust, Hüften und Schenkeln gefesselt hatten. Hinter seinem Kopf piepten technische Geräte, die nicht zur rustikalen Umgebung passen wollten. Sie zeichneten Atmung, Herzschlag und Blutdruck auf.

Schwerfällig wie ein rostiges Getriebe kam sein Gehirn in die Gänge, und als sich Gedanken formten und logische Abfolgen bildeten, erinnerte er sich an die Ereignisse, die ihn, Xcor, Kopf einer gefürchteten Bande, in die Hände seiner einstigen Feinde hatten fallen lassen: eine Attacke von hinten, ein Sturz auf den Kopf, eine Hirnblutung oder dergleichen, wegen der er nun hilflos auf dem Rücken lag und von Maschinen am Leben erhalten wurde.

In den Fängen der Brüder, und zwar nicht der barmherzigen.

Ein-, zweimal war er während seiner Gefangenschaft bei Bewusstsein gewesen und hatte seine Umgebung registriert, seine Wächter und den Erdtunnel, der unerklärlicherweise mit Regalen ausgekleidet war, in denen alle möglichen Gläser und Gefäße standen. Doch es waren nur kurze lichte Momente gewesen. Die Anstrengung war zu groß für seinen Geist gewesen, und er war wieder in Ohnmacht gesunken.

Diesmal fühlte sich das Erwachen anders an. Xcor spürte die Veränderung in seinem Kopf. Was auch verletzt gewesen war, nun war es endlich geheilt, und Xcor kehrte aus dem Nebelreich zwischen Leben und Tod zurück – und blieb auf der Seite der Lebenden.

»… Sorgen macht, ist Tohr.«

Die Worte aus dem Mund eines Vampirs erreichten Xcors Ohr als Serie von Schwingungen, die sein Gehirn erst übersetzen musste. Und während sich aus den Lauten Silben bildeten, wandte Xcor den Blick in die Richtung, aus der sie kamen. Zwei schwer bewaffnete Gestalten in Schwarz standen mit dem Rücken zu ihm, und Xcor schloss die Lider, damit sie nicht bemerkten, dass er wach war. Doch er wusste nun, wer sie waren.

»Meinst du? Ach, der bekommt das schon hin.« Man hörte ein leises Kratzen, dann stieg der Geruch von starkem Tabak auf. »Und wenn nicht, bin ich ja auch noch da.«

Die tiefe Stimme, die zuerst gesprochen hatte, nahm einen spöttischen Ton an. »Um ihn zur Vernunft zu bringen – oder um ihm dabei zu helfen, diesen leblosen Klumpen Fleisch kaltzumachen?«

Bruder Vishous lachte wie ein Serienkiller. »Was du von mir denkst.«

Ein Wunder, dass wir nicht besser miteinander auskommen, dachte Xcor. Die Brüder waren genauso blutrünstig wie er.

Dennoch würden sie sich nie versöhnen. Die Bruderschaft und seine Bande gehörten zwei getrennten Lagern an. Die Linie dazwischen hatte Xcor selbst gezogen, und zwar mithilfe der Kugel, die sie Wrath, dem rechtmäßigen König der Vampire, in den Hals geschossen hatten.

Den Preis für diesen Verrat würde er schon bald bezahlen.

Gewiss, die Ironie des Schicksals wollte, dass er längst nicht mehr nach dem königlichen Thron trachtete, denn es war eine Macht in sein Leben getreten, die alles verändert hatte. Nicht dass die Bruderschaft davon wusste – oder Interesse daran gehabt hätte. Denn neben der Kriegslust teilte er noch etwas anderes mit den Brüdern: die Überzeugung, dass Nachsicht etwas für Memmen war, Begnadigung lachhaft, Mitleid eine Eigenschaft von Frauen, aber niemals von Kämpfern.

Selbst wenn sie merkten, dass er Wrath nicht mehr feindlich gesinnt war, würden sie ihm seine Strafe nicht ersparen. Er hatte sie verdient, und nach allem, was vorgefallen war, blickte er seinem gewaltsamen Ende weder verbittert noch wütend entgegen. Das gehörte nun einmal zum Krieg.

Obwohl er traurig war – ein Gefühl, das er sonst gar nicht kannte.

Eine Erinnerung stieg vor seinem geistigen Auge auf, und sein Atem stockte. Es war das Bild einer großen, schlanken Vampirin in weißer Robe, einer Auserwählten der Jungfrau der Schrift. Ihr blondes Haar fiel in sanften Wellen über ihre Schultern und reichte bis zu den Hüften, die Spitzen flatterten leicht im Wind, und ihre Augen hatten die Farbe von Jade. Ihr Lächeln war ein Segen, den er sich durch nichts verdient hatte.

Die Auserwählte Layla hatte sein Weltbild auf den Kopf gestellt. Durch ihren Einfluss empfand Xcor die Brüder nicht mehr als Gegner, sondern als tolerierbare Mitbewohner dieser Erde, mit denen man koexistieren konnte.

In den knapp anderthalb Jahren seit ihrer ersten Begegnung hatte sie Xcors schwarze Seele stärker beeinflusst als irgendjemand zuvor und ihn auf eine Weise verändert, die er nie für möglich gehalten hätte.

Der Dhestroyer sprach erneut: »Im Prinzip bin ich dafür, dass Tohr ihn zerfetzen kann. Er hat ihn sich verdient.«

Bruder Vishous fluchte. »Das haben wir alle. Wird spannend, ob am Schluss noch etwas übrig ist, woran er sich abreagieren kann.«

Und darin lag die Krux, dachte Xcor mit geschlossenen Augen. Der einzige Ausweg aus diesem tödlichen Dilemma läge darin, die Liebe zu einer Vampirin zu offenbaren, die ihm nicht gehörte und ihm nie gehören würde.

Doch er würde Layla für nichts und niemanden opfern.

Nicht einmal, um sein Leben zu retten.

Tohr stapfte durch den Kiefernwald, der die Anhöhe beim Haus der Bruderschaft überzog. Der gefrorene Boden knirschte unter seinen Springerstiefeln, und ein beißender Wind blies ihm ins Gesicht. Begleitet wurde er von seinen toten Angehörigen; Schatten, die dicht auf seinen Fersen folgten, eine traurige Prozession, die er wie Ketten spürte.

Wenn er an all die Fernsehsendungen dachte, die von paranormalen Phänomenen handelten und die Existenz von Geistern belegen sollten, konnte er nur lachen. Diese Hysterie um geheimnisvolle Gestalten, die über Treppen schwebten oder knarzende Schritte in alten Häusern verursachten, war so typisch für diese egozentrische niedere Spezies, die alles dramatisierte. Ein Grund mehr für Tohr, sie zu hassen.

Außerdem kapierten sie mal wieder gar nichts.

Natürlich verfolgten einen die Toten. Sie berührten einen mit kalten Fingerspitzen im Nacken, sodass man sie nie vergessen konnte und irgendwann nicht mehr wusste, warum man schreien sollte – weil man sie so vermisste, oder weil man seine Ruhe wollte.

Sie begleiteten einen Tag und Nacht und legten ihre Stolperfallen, die einen erneut in Kummer stürzten.

Sie waren der erste Gedanke beim Erwachen und der letzte beim Schlafengehen, der Filter, den man nicht loswurde, die unsichtbare Barriere zwischen einem Trauernden und dem Rest der Welt.

Manchmal waren sie gegenwärtiger als die Leute, die man wirklich noch berühren und in den Armen halten konnte.

Niemand brauchte also eine dämliche Fernsehsendung, um zu belegen, was ohnehin bekannt war. Tohr hatte sich ein zweites Mal verliebt, dennoch waren seine erste Shellan Wellsie und der Sohn, den sie im Leib getragen hatte, als sie von Lessern ermordet wurde, nie weiter von ihm entfernt als die Haut, die ihn umgab.

Und jetzt hatte es einen neuen Todesfall im Haus der Bruderschaft gegeben.

Selena, die Gefährtin von Trez, war vor wenigen Monaten in den Schleier eingetreten. Sie war einer Krankheit erlegen, die sich weder heilen noch lindern, geschweige denn begreifen ließ.

Seither hatte Tohr nicht mehr richtig geschlafen.

Er ließ den Blick über die Kiefern schweifen, bückte sich und schob einen Ast zur Seite, wich einem umgestürzten Stamm aus. Er hätte sich an sein Ziel dematerialisieren können, aber sein Geist tobte so wild im Käfig seines Schädels, dass er vermutlich nicht die dazu nötige Konzentration aufbringen könnte.

Durch Selenas Tod war alles wieder hochgekommen, obwohl die Sache ihn gar nicht persönlich betraf. Seitdem wirbelten die Gedanken durch seinen Kopf wie Schnee in einer Schneekugel, der sich einfach nicht mehr setzen wollte.

Tohr war im Trainingszentrum gewesen, als Selena in den Schleier eingetreten war, und ihr Tod war alles andere als ein lautloses Dahinscheiden gewesen. Er war von einem Schrei begleitet worden, der sich aus der Seele von Trez Bahn gebrochen hatte, einem akustischem Grabstein – den Tohr nur zu gut kannte. Auch er hatte geschrien, als er vom Tod seiner Shellan erfuhr.

Und so war Selena auf den Schwingen der Verzweiflung ihres Geliebten von der Erde in den Schleier getragen worden.

Sich aus dieser Gedankenschleife zu befreien war, als wollte man ein Auto aus einem Graben ziehen: Die Anstrengung war enorm, und der Erfolg stellte sich nur zentimeterweise ein.

Er stapfte weiter durch den Wald, immer weiter durch die Winternacht, zertrat, was unter seinen Füßen war, verfolgt von seinen raschelnden Geistern.

Die Gruft war das Allerheiligste der Bruderschaft, ein verborgener Ort, an dem Initiationen stattfanden und geheime Treffen abgehalten wurden. Und der Ort, an dem die Kanopen mit den Herzen der getöteten Lesser aufbewahrt wurden. Sie lag tief in der Erde in einem natürlichen Labyrinth und durfte nur von jenen betreten werden, die in einer uralten Zeremonie als Brüder gekennzeichnet worden waren.

Doch mit dieser Tradition war gebrochen worden, zumindest in Bezug auf den vierhundert Meter langen Eingangstunnel.

Als Tohr den unscheinbaren Zugang erreichte, blieb er stehen und spürte, wie die Wut in ihm hochkochte.

Zum ersten Mal, seit er der Bruderschaft angehörte, war er an diesem Ort nicht willkommen.

Und das wegen eines Verräters.

Denn hinter dem Eingangstor befand sich Xcor, auf halber Höhe des von Regalen gesäumten Tunnels. Er ruhte auf einer Liege, seine Vitalfunktionen wurden von Monitoren überwacht und von Maschinen unterstützt.

Bis dieser Hurensohn erwachte und man ihn befragen konnte, blieb Tohr der Zugang verwehrt.

Das Misstrauen seiner Brüder war durchaus berechtigt.

Als Tohr die Augen schloss, sah er wieder vor sich, wie Wrath von einer Kugel getroffen wurde, erlebte er noch einmal, wie das rote Blut zusammen mit der Lebenskraft aus dem Hals des Königs sprudelte, durchlitt erneut, wie er den letzten reinblütigen Vampir der Erde retten musste, indem er ihm einen Luftröhrenschnitt setzte und ihm den Trinkschlauch seines Rucksacks in den Hals steckte.

Xcor hatte den Anschlag angeordnet. Xcor hatte einem seiner Kämpfer befohlen, auf den König zu schießen, hatte sich mit der Glymera verbündet, um den rechtmäßigen Herrscher zu stürzen – aber der Wichser hatte versagt. Wrath hatte gegen alle Wahrscheinlichkeit überlebt und war in der ersten demokratischen Wahl in der Geschichte der Spezies zum Anführer aller Vampire gewählt worden. Von nun an bekleidete er diese Position nicht aufgrund seiner Abstammung, sondern durch allgemeinen Konsens.

Also herzlichen Dank auch, Arschloch.

Tohr ballte die Fäuste und ignorierte das Knarzen seiner Lederhandschuhe und das Ziehen an den Rückseiten der Knöchel. Alles, was er noch spürte, war ein abgrundtiefer Hass, der wie eine Krankheit an ihm fraß.

Das Schicksal hatte dreimal bei ihm und im näheren Umfeld zugeschlagen und ihm drei Leben genommen: das seiner Shellan und seines Kindes und das der Shellan von Trez. Ging es im Universum nicht immer um ein Gleichgewicht? Schön. Er wollte es zurechtrücken, und das ging nur, wenn er Xcor den Hals brach und ihm das noch warme Herz aus der Brust riss.

Es war an der Zeit, die Wurzel des Bösen wenigstens im Ansatz auszumerzen, und Tohr würde es sein, der den verdammten Punktestand ausglich.

Das Warten hatte jetzt ein Ende. Sosehr er seine Brüder respektierte, er hatte genug davon, sich zurückzuhalten. Heute war ein trauriger Geburtstag, und er würde seinem Kummer ein ganz besonderes Geschenk machen.

Partytime.

2

Der Becher aus Kristallglas war so sauber, so frei von Seifenspritzern, Staub und Schmutz, dass seine Wände wie die Luft und das Wasser waren, die es umschloss: vollkommen unsichtbar.

Halb voll?, fragte sich die Auserwählte Layla. Oder halb leer?

Sie saß auf einem gepolsterten Hocker zwischen zwei Waschbecken mit goldenen Armaturen vor einem goldgerahmten Spiegel, in dem die tiefe Wanne hinter ihr zu sehen war, und blickte versonnen in den Becher. Die Wasseroberfläche war leicht konkav, die Flüssigkeit hob sich zu den Rändern hin und stieg an der Innenseite des Glases auf, als versuchten die ehrgeizigeren Moleküle, an ihrem Gefängnis hochzuklettern und zu entfliehen.

Layla bemerkte die Bemühung mit Anerkennung und bedauerte, dass sie müßig war. Sie wusste genau, wie es sich anfühlte, wenn man ohne eigenes Verschulden festgehalten wurde und sich nach der Freiheit sehnte.

Über Jahrhunderte hinweg war sie wie das Wasser im Glas gewesen. Sie war in die feste Rolle der Auserwählten hineingeboren worden und hatte der Jungfrau der Schrift gedient. Zusammen mit ihren Schwestern hatte sie ihre Pflichten im Heiligtum erfüllt, die Mutter der Spezies verehrt, die Geschehnisse auf der Erde für die Nachwelt dokumentiert und den neuen Primal erwartet, um von ihm ein Kind zu empfangen und weitere Auserwählte und Brüder zu gebären.

Aber all das gehörte jetzt der Vergangenheit an.

Sie beugte sich über das Glas und blickte tiefer in das Wasser. Sie war als Ehros ausgebildet worden, nicht als Geschichtsschreiberin, dennoch war sie bestens vertraut mit der Praxis, in die Schalen des Sehenden Wassers zu blicken und den Lauf der Geschichte zu bezeugen. Im Tempel der Klausurschreiberinnen hatten die Auserwählten, die mit der Geschichtsschreibung und den Abstammungslinien der Spezies betraut waren, auf ihren Bänken gesessen und Stunde um Stunde Geburten und Todesfälle, Vereinigungen, Kriege und Zeiten des Friedens verfolgt und mit schlanken Händen und geweihten Federn minutiös zu Pergament gebracht.

Doch in ihrem Glas waren keine Bilder zu sehen. Nicht hier auf der Erde.

Und im Heiligtum gab es keine Zeuginnen mehr.

Schließlich war ein neuer Primal gekommen. Statt bei all den Auserwählten zu liegen und Vampirkrieger für die Bruderschaft zu zeugen, hatte er jedoch den unerhörten Schritt unternommen, sie alle zu befreien. Bruder Phury aus der Bruderschaft der Black Dagger hatte mit der Tradition gebrochen und die Fesseln des klösterlichen Daseins durchschlagen, und die Auserwählten mit ihren geplanten Geburten und ihrem abgeschiedenen Leben hatten die neue Freiheit dankbar angenommen. Von diesem Zeitpunkt an waren sie nicht mehr nur die Repräsentantinnen einer starren Tradition, sondern Individuen, die eigene Vorlieben entwickelten und sich vorsichtig an ein Leben auf der Erde herantasteten. Hier folgten sie ihrem eigenen Schicksal, das sich um sie selbst und nicht mehr um die Erfüllung einer Pflicht drehte.

Womit er den Niedergang der Unsterblichen eingeleitet hatte.

Die Jungfrau der Schrift war fort.

Ihr leiblicher Sohn, Bruder Vishous von der Bruderschaft der Black Dagger, hatte die Mutter der Spezies in ihrer Eremitage aufsuchen wollen, doch sie war nicht mehr da gewesen. Nur eine letzte Nachricht, die allein für seine Augen bestimmt war, hatte im Wind geweht.

Sie verkündete, dass sie über eine Nachfolge nachdachte.

Niemand wusste, wer das war.

Layla lehnte sich zurück und betrachtete ihr weißes Gewand. Es war keine der heiligen Roben, in die sie sich all die Jahre im Heiligtum gehüllt hatte. Nein, heute trug sie einen Morgenmantel aus einem Laden namens Pottery Barn. Qhuinn hatte ihn ihr vor einer Woche gekauft, damit die Mutter seiner Kinder auch im Winter niemals fror und immer gut für sie gesorgt war.

Layla legte die Hand auf ihren jetzt wieder flachen Bauch. Nachdem sie ihre Tochter Lyric und ihren Sohn Rhampage so viele Monate in ihrem Körper beherbergt hatte, kam es ihr sonderbar und gleichzeitig doch vertraut vor, nichts in ihrem Bauch zu tragen …

Ein dumpfes Gemurmel drang durch die Tür, die sie geschlossen hatte.

Sie war aus dem Schlafzimmer ins Bad gegangen, um die Toilette zu benutzen.

Doch nach dem Händewaschen war sie stehen geblieben.

Qhuinn und Blay waren wie üblich bei den Kindern. Hielten sie in den Armen. Verhätschelten sie.

Nacht für Nacht musste sie sich wappnen, diese tiefe Liebe zu erleben, nicht die zwischen ihnen und den Säuglingen … sondern die zwischen den beiden Männern. Ihre Zuneigung füreinander erstrahlte hell, und so schön es war, führte sie Layla schmerzlich vor Augen, welch kalte Leere in ihrem eigenen Dasein herrschte.

Sie wischte eine Träne fort und versuchte, sich zusammenzureißen. Sie konnte nicht mit schimmernden Augen, roter Nase und fleckigen Wangen ins Schlafzimmer treten. Es war eine glückliche Zeit für ihre fünfköpfige Familie. Die Zwillinge hatten ihre frühzeitige Geburt überlebt, und auch Layla war gut durchgekommen. Sie konnten erleichtert sein und sich freuen, dass alle gesund und wohlauf waren.

Sie hatten allen Grund, glücklich zu sein.

Doch Layla war noch immer das traurige Wasser im unsichtbaren Glas, das nach Freiheit schrie.

Nur war sie mittlerweile nicht mehr durch ihre Geburt, sondern durch ihr eigenes Handeln zur Gefangenschaft verdammt.

Laut Wörterbuch war der Verrat ein »Akt der Täuschung, des Betrugs oder Hintergehens«.

Es klopfte sanft. »Layla?«

Sie schniefte und drehte einen der Wasserhähne auf. »Hallo!«

Blays Stimme klang ruhig, wie es seine Art war. »Alles in Ordnung da drinnen?«

»Ja, alles gut. Ich habe beschlossen, ein wenig für meine Gesichtshaut zu tun. Ich komme gleich raus.«

Layla erhob sich von ihrem Hocker, beugte sich über das Waschbecken und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Dann rieb sie sich Stirn und Kinn mit einem Handtuch, damit die Rötung nicht so ungleichmäßig verteilt war. Sie zog den Gürtel an ihrem Morgenmantel fest, straffte die Schultern und wandte sich der Tür zu. Und hoffte, dass sie die Fassung lange genug wahren konnte, bis sie die beiden zum Letzten Mahl hinausscheuchen würde.

Doch man gewährte ihr eine Schonfrist.

Als sie aus dem Badezimmer kam, sahen sich Qhuinn und Blay nicht einmal nach ihr um. Sie standen beide über Lyrics Stubenwagen gebeugt.

»… die Augen von Layla«, sagte Blay und streckte einen Finger in den Korb, wo er von einer kleinen Hand umschlossen wurde. »Eindeutig.«

»Sie hat auch das Haar ihrer Mahmen. Ich meine, sieh nur, wie blond es hier schon wird.«

Ihre Liebe für das kleine Mädchen ließ ihre Mienen erstrahlen, erfüllte ihre Stimmen mit Wärme und machte sie vorsichtig im Umgang mit dem zarten Wesen. Aber das war es nicht, was Layla auffiel.

Ihr Blick blieb an Qhuinns breiter Hand hängen, die Blays Rücken streichelte. Keinem der beiden war die Liebkosung bewusst, sie war eine vollkommene Selbstverständlichkeit zwischen den beiden und doch alles, worauf es ankam. Layla musste schon wieder hastiger blinzeln.

Manchmal war es genauso schmerzhaft, Zuneigung und Liebe zu erleben wie Gewalt. Für jemanden, der von der Liebe ausgeschlossen war, wirkten Zärtlichkeiten zwischen anderen wie Szenen aus einem Horrorfilm. Man wollte sich abwenden, vergessen, die Erinnerung daran verbannen – besonders, wenn man sich morgens zur Ruhe bettete und Stunden vor sich hatte, die man allein im Dunklen liegen würde.

Zu wissen, dass sie so eine Liebe niemals erfahren würde, war …

Qhuinn sah sie an. »Oh, hallo.«

Er richtete sich auf und lächelte, doch sie ließ sich nicht täuschen. Seine Augen musterten sie, als würde er etwas suchen – wobei das vielleicht nicht stimmte. Womöglich war sie paranoid.

Sie war dieses Versteckspiel so leid. Doch die grausame Ironie, die bevorzugte Spielart ihres Schicksals, wollte es so, dass es sie das Leben kosten würde, wenn sie ihr Gewissen erleichterte.

Und wie könnte sie ihre Kinder zurücklassen?

»… okay, Layla?«

Sie bemerkte Qhuinns forschenden Blick, riss sich zusammen und rang sich ein Lächeln ab. »Oh, es geht mir sehr gut.« Sie nahm an, dass er sich nach ihrem Befinden erkundigt hatte. »Sehr gut, danke.«

Um ihre Lüge zu bekräftigen, ging sie zu den Stubenwagen. Rhampage, oder Rhamp, wie sie ihn nannten, kämpfte gegen die Müdigkeit an, und als seine Schwester gluckste, drehte er den Kopf und streckte die Hand aus.

Schon amüsant, selbst in seinem jungen Alter schien er seinen Rang zu kennen und sie beschützen zu wollen.

Es war die Herkunft. Qhuinn war Angehöriger der Aristokratie und das Ergebnis selektiver Paarung über Generationen hinweg. Und obwohl er aufgrund seiner verschiedenfarbigen Augen, eins blau, eins grün, von der Glymera und seiner Familie verstoßen worden war, merkte man ihm die ehrwürdige Abstammung an. Außerdem zeigte sie sich in seiner körperlichen Erscheinung. Er war über zwei Meter groß, und seine Muskeln sahen durch das Training und den Einsatz im Krieg aus wie gemeißelt. Sein Körper war als Waffe genauso tödlich wie die Pistolen und Dolche, mit denen er in den Kampf zog. Er war der Erste der Black Dagger, der nicht wegen seiner Abstammung, sondern aufgrund seiner Verdienste in die Bruderschaft aufgenommen worden war, und er war der großen Tradition immer gerecht geworden.

Tatsächlich war Qhuinn ein schöner Mann, wenn auch auf raue Art: Sein Gesicht war kantig, da er kein Gramm Fett am Leib hatte, und die verschiedenfarbigen Augen blickten unter dunklen Brauen hervor. Sein schwarzes Haar war frisch geschnitten, im Nacken fast gänzlich abrasiert, nach oben hin länger und zurückgestrichen, wodurch sein Hals besonders massig erschien. Die matten Stahlstecker in den Ohren und die Ahstrux nohtrum-Träne, die man unter sein Auge tätowiert hatte, als er der Leibwächter von John Matthew wurde, zogen sämtliche Blicke auf sich. Vielleicht deshalb, weil sich Menschen wie Vampire fragten, was er anstellen würde, wenn ihm etwas nicht passte.

Daneben war Blay das komplette Gegenteil. Er war die Begleitung, die man sich in einer dunklen Gasse wünschte, in der man Qhuinn nicht über den Weg laufen wollte.

Blaylock, Sohn des Rocke, hatte rotes Haar, und seine Haut war eine Nuance heller als die der meisten Vampire. Er war genauso groß wie Qhuinn, doch er strahlte in erster Linie Wärme und Intelligenz aus, statt mit Muskelkraft zu protzen. Dabei gab es keinen Zweifel an seiner Durchschlagskraft im Einsatz. Layla hatte die Geschichten gehört, wenngleich nie von ihm persönlich. Blay war nicht der Typ, der angab, unnötigen Wirbel erzeugte oder die Aufmerksamkeit auf sich zog.

Sie liebte die beiden von ganzem Herzen.

Und trotzdem ging die Kluft zwischen ihnen, die Layla verspürte, allein von ihr aus.

»Guck mal«, sagte Qhuinn und nickte in Richtung der Säuglinge. »Zwei Murmeltiere – okay, eineinhalb.«

Er lächelte, doch sie bemerkte trotzdem, dass er sie noch immer prüfend ansah, wie um herauszufinden, was sie verbarg. Um ihm die Sache zu erschweren, trat sie ein paar Schritte zurück.

»Sie sind gute Schläfer, der Jungfrau der Schrift … dem Schleier sei Dank.«

»Kommst du heute mit zum Letzten Mahl?«, fragte Qhuinn beiläufig.

Blay richtete sich auf. »Fritz meint, er bereitet dir alles zu, was du willst.«

»Er ist so aufmerksam.« Layla kletterte aufs Bett und lehnte sich demonstrativ gegen die Kissen. »Aber ich hatte vorhin plötzlich Hunger. Also war ich in der Küche und hatte Haferflocken und Toast. Kaffee. Orangensaft. Frühstück statt Mittagessen, sozusagen. Manchmal möchte man die Nacht nach der Hälfte zurückspulen und sie noch einmal von vorn beginnen lassen.«

Ein Jammer, dass dies nur auf metaphorischer Ebene möglich war.

Obwohl … wäre es ihr wirklich lieber gewesen, sie hätte Xcor nie getroffen?

Ja, dachte sie. Es wäre ihr lieber gewesen, sie hätte nie von seiner Existenz erfahren.

Ihre große Liebe, ihr Blay, das Pendant zu ihrem Herzen und ihrer Seele … war ein Verräter. Ihre Empfindungen für diesen Mann waren eine offene Wunde gewesen, und der Verrat war in sie eingedrungen und hatte sich ausgebreitet wie Bakterien.

So saß sie nun in diesem selbst geschaffenen Gefängnis und quälte sich damit, dass sie mit dem Feind verkehrt hatte. Ursprünglich hatte er sie durch eine List dazu gezwungen … doch später war sie aus freien Stücken gegangen.

Die Treffen hatten ein ungutes Ende gefunden. Er hatte sie verstoßen, als sie ihn genötigt hatte, sich seine Gefühle einzugestehen. Kurz darauf hatten ihn die Brüder gefasst, und aus der traurigen Situation war ein Drama geworden.

Erst hatte sie nicht herausfinden können, wie es um ihn bestellt war, doch dann hatte sie auf Art der Auserwählten nach ihm geforscht und ihn dem Tode nah in einer lang gestreckten Höhle voller Gefäße unterschiedlicher Formen und Farben entdeckt.

So steckte sie hier fest und spukte geistergleich durch ein Labyrinth aus Gefühlen, in dem Schuld und Reue wucherten wie giftiger Efeu und aus dem es kein Entrinnen gab.

»… ja? Also …« Während Blay ihr weiter von irgendetwas erzählte, musste sie sich zwingen, sich nicht die Augen zu reiben. »… nach einer langen Nacht, die du mit den Kindern verbracht hast. Was nicht heißen soll, dass du nicht gern bei ihnen bist.«

Geht, dachte sie flehentlich in Richtung der Väter. Bitte geht und lasst mich in Frieden.

Dabei gönnte sie Blay und Qhuinn die Zeit mit den Kindern und hatte auch sonst nichts gegen sie. Aber sie bekam keine Luft, wenn die Krieger sie ansahen wie jetzt, und sie musste einfach atmen.

»Was hältst du davon?«, fragte Qhuinn. »Layla?«

»Oh, ja, natürlich.« Sie hatte keine Ahnung, wozu sie ihre Zustimmung gegeben hatte, aber sie lächelte. »Ich werde mich jetzt ein wenig hinlegen. Gestern waren sie tagsüber immer wieder wach.«

»Ich wünschte, du würdest dich mehr von uns unterstützen lassen.« Blay zog die Stirn kraus. »Klopf einfach an.«

»Ihr seid die meisten Nächte im Einsatz. Ihr müsst ausgeschlafen sein.«

»Aber du sollst dich auch mal ausruhen.«

Laylas Blick wanderte zu den Stubenwagen. Als sie daran dachte, wie sie die Kinder in den Armen geschaukelt und gefüttert hatte, fühlte sie sich gleich noch schlechter. Lyric und Rhamp verdienten eine bessere Mahmen, eine unkomplizierte, die nicht unter den Folgen vergangener Fehlentscheidungen litt, die nicht durch die Schwäche für einen Kerl verdorben war, an den sie nie geraten hätte dürfen … geschweige denn ihr Herz verlieren.

»Neben ihnen bin ich unwichtig«, flüsterte sie steif. »Sie allein zählen.«

Blay trat ans Bett und nahm ihre Hand. Seine blauen Augen waren voller Wärme. »Nein, du zählst genauso. Jede Mahmen braucht Zeit für sich selbst.«

Wozu? Um über ihre Verfehlungen nachzusinnen? Nein danke, dachte sie.