Die Bande des Schreckens - Edgar Wallace - E-Book

Die Bande des Schreckens E-Book

Edgar Wallace

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Beschreibung

Inspektor Arnold Long stellt dem Gauner Clay Shelton eine Falle. Shelton wird gefangen und zum Tode durch den Strick verurteilt. Nach der Vollstreckung scheinen alle für seinen Tod Verantwortlichen von einem Fluch getroffen: Henker, Richter, Ankläger - alle sterben unter mysteriösen Umständen. Wird Inspektor Long das nächste Opfer des Fluchs? Wer ist der Täter? Spannend, in der Tradition alter, britischer »Whodunit«-Krimis. Bekannt ist die gelungene Verfilmung von 1960 mit Joachim Fuchsberger, Karin Dor und Eddi Arent in den Hauptrollen. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 234

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Edgar Wallace

Die Bande des Schreckens

Edgar Wallace

Die Bande des Schreckens

(The Terrible People)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Ravi Ravendro 2. Auflage, ISBN 978-3-954181-95-7

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Inhaltsverzeichnis

Die Ed­gar Wal­lace-Sam­mel­band

Ka­pi­tel 1

Ka­pi­tel 2

Ka­pi­tel 3

Ka­pi­tel 4

Ka­pi­tel 5

Ka­pi­tel 6

Ka­pi­tel 7

Ka­pi­tel 8

Ka­pi­tel 9

Ka­pi­tel 10

Ka­pi­tel 11

Ka­pi­tel 12

Ka­pi­tel 13

Ka­pi­tel 14

Ka­pi­tel 15

Ka­pi­tel 16

Ka­pi­tel 17

Ka­pi­tel 18

Ka­pi­tel 19

Ka­pi­tel 20

Ka­pi­tel 21

Ka­pi­tel 22

Ka­pi­tel 23

Ka­pi­tel 24

Ka­pi­tel 25

Ka­pi­tel 26

Ka­pi­tel 27

Ka­pi­tel 28

Ka­pi­tel 29

Ka­pi­tel 30

Ka­pi­tel 31

Ka­pi­tel 32

Ka­pi­tel 33

Ka­pi­tel 34

Ka­pi­tel 35

Ka­pi­tel 36

Ka­pi­tel 37

Ka­pi­tel 38

Ka­pi­tel 39

Ka­pi­tel 40

Ka­pi­tel 41

Ka­pi­tel 42

Dan­ke

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Der Zin­ker

Die Ban­de des Schre­ckens

Der un­heim­li­che Mönch

Die selt­sa­me Grä­fin

Das in­di­sche Tuch

Das Ge­setz der Vier

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Kapitel 1

Ula­nen-Har­ry kam zur Po­li­zei­sta­ti­on in der Bur­ton Street, um sei­ne Pa­pie­re vor­zu­zei­gen. Düs­ter und ver­bis­sen trat er nä­her und reich­te dem dienst­tu­en­den Ser­gean­ten sei­nen Ent­las­sungs­schein.

»Hen­ry Be­ne­ford, auf Be­wäh­rung ent­las­sen – ich soll mich hier mel­den.«

Dann sah er sich um und be­merk­te De­tek­ti­v­in­spek­tor Long, den man auch den »Wet­ter« nann­te. Sei­ne Au­gen blitz­ten un­heim­lich auf.

»Mor­gen, In­spek­tor – le­ben Sie auch noch?«

»Wie Sie se­hen, bin ich im­mer noch im Amt«, ent­geg­ne­te Long ver­gnügt.

Ula­nen-Har­ry grins­te häß­lich.

»Wun­der mich nur, daß Sie bei Ihrem ver­dammt schlech­ten Ge­wis­sen noch schla­fen kön­nen. Die letz­ten fünf Jah­re hab ich durch Ihre Lü­gen auf den Bu­ckel ge­kriegt!«

»Hof­fent­lich ge­lingt es mir bald, Ih­nen wei­te­re fünf Jah­re auf­zu­pa­cken«, er­wi­der­te der Wet­ter in gu­ter Lau­ne. »Wenn es nach mir gin­ge, wür­de ich Sie an den Gal­gen brin­gen, dann gäbe es einen schlech­ten Men­schen we­ni­ger auf der Welt.«

Har­ry hat­te tat­säch­lich frü­her ein­ein­halb Jah­re lang bei den Ula­nen ge­dient, war aber dann mit drei Jah­ren Fes­tung be­straft wor­den, weil er sei­nen Un­ter­of­fi­zier miß­han­delt hat­te. Er war ein viel­fach vor­be­straf­ter, bru­ta­ler, ge­fähr­li­cher Mensch. Aber auch der Wet­ter war auf sei­ne Art ge­fähr­lich.

»Hö­ren Sie zu, In­spek­tor. Ich will Ih­nen nicht dro­hen. Sie sol­len kei­ne Ge­le­gen­heit ha­ben, mich wie­der ins Kitt­chen zu ste­cken. Aber eins sage ich Ih­nen: Neh­men Sie sich in acht!«

»Sie re­den zu­viel«, mein­te der Wet­ter gut­mü­tig. »Am Ende kom­men Sie noch ins Par­la­ment.«

Har­ry koch­te vor Zorn und konn­te vor Auf­re­gung nicht spre­chen. Er wand­te sich kurz zu dem Ser­gean­ten um und leg­te mit zit­tern­der Hand sei­ne Pa­pie­re auf das Pult.

»Ge­ris­sen sind Sie … wirk­lich ge­ris­sen«, stieß er schließ­lich wü­tend her­vor. »Leu­te wie mich kön­nen Sie ja leicht fan­gen – aber warum ma­chen Sie sich denn nicht hin­ter Shel­ton? Wa­rum fan­gen Sie den nicht? Das kriegt kein Po­li­zist in Eng­land fer­tig! Nicht ein­mal die Ama­teu­re!«

Der Wet­ter ant­wor­te­te nicht dar­auf. Er in­ter­es­sier­te sich im Au­gen­blick nicht für Clay Shel­ton. Die Be­mer­kung über Ama­teur­de­tek­ti­ve war na­tür­lich auf ihn ge­münzt, aber er küm­mer­te sich nicht wei­ter dar­um.

Aber als er nach Scot­land Yard zu­rück­kehr­te, er­fuhr er, daß er sich in Zu­kunft doch ein­ge­hend mit Mr. Shel­ton be­fas­sen muß­te.

Ei­nen Mann wie Shel­ton gab es auf der gan­zen Welt nicht wie­der. Fünf­zehn Jah­re lang war es ihm bis­her ge­lun­gen, un­ter den ver­schie­dens­ten Na­men Kre­dit­brie­fe, Schecks, Trat­ten und an­de­re Wert­pa­pie­re zu fäl­schen. Und fünf­zehn Jah­re sind eine lan­ge Zeit.

In­spek­tor Van­sit­ter saß nie­der­ge­schla­gen und mit düs­te­rem Ge­sichts­aus­druck im Büro sei­nes Vor­ge­setz­ten.

»Es tut mir au­ßer­or­dent­lich leid, Van­sit­ter, aber es geht Ih­nen eben­so wie al­len an­de­ren Be­am­ten«, sag­te Co­lo­nel Macfar­la­ne. »Es ist noch das Bes­te, was Ih­nen pas­sie­ren kann, daß ich Ih­nen die Be­ar­bei­tung des Fal­les neh­me und sie ei­nem an­de­ren über­tra­ge. Wirk­lich ein Glück für Sie, daß alle Leu­te, die sich bis­her mit Shel­tons Fäl­schun­gen be­faßt ha­ben, auch nur Mi­ßer­folg hat­ten.«

»Wir kön­nen ihn nicht fan­gen, weil wir sei­ne Per­son ja gar nicht ken­nen«, ent­geg­ne­te Van­sit­ter, »und vor al­lem, weil er voll­kom­men al­lein ar­bei­tet. Nur ein glück­li­cher Zu­fall könn­te uns hel­fen. Wenn eine Frau in die Sa­che ver­wi­ckelt, wenn er ver­hei­ra­tet wäre oder sons­ti­ge Hel­fers­hel­fer hät­te, wäre er nicht fünf­zehn Jah­re lang un­ent­deckt ge­blie­ben. Ich glau­be kaum, daß es je­man­dem ge­lin­gen wird, Shel­ton zu fas­sen, wenn er nicht einen gro­ben Schnit­zer ma­chen soll­te. Höchs­tens –«

Der In­spek­tor woll­te nicht wei­ter­spre­chen, be­vor er nicht von sei­nem Vor­ge­setz­ten dazu er­mu­tigt wur­de. Co­lo­nel Macfar­la­ne wuß­te sehr wohl, wen er mein­te, sag­te aber nichts, da er die Verant­wor­tung nicht al­lein tra­gen woll­te.

»Der Wet­ter«, sag­te Van­sit­ter schließ­lich.

Der Co­lo­nel run­zel­te die Stir­ne.

»Der Wet­ter!« Er schüt­tel­te miß­bil­li­gend den Kopf.

»Wet­ter« Long hat­te stu­diert und war Po­li­zei­be­am­ter, ob­wohl er sich den Sohn ei­nes Mil­lio­närs nen­nen konn­te. Er wand­te sich die­sem Be­ruf zu, weil er von Cam­bridge re­le­giert wur­de. Mit Schimpf und Schan­de schick­te man ihn nach Hau­se zu­rück, weil er einen Uni­ver­si­täts­pe­dell ver­prü­gelt hat­te. Sein Va­ter war sehr böse dar­über und sag­te sei­nem Sohn Ar­nold, daß er in die wei­te Welt ge­hen und sich sei­nen Le­bens­un­ter­halt selbst ver­die­nen soll­te. Der Wet­ter tat das auch und er­schi­en einen Mo­nat spä­ter wie­der im Hau­se sei­nes Va­ters, und zwar in der Uni­form ei­nes Po­li­zis­ten. Und alle Bit­ten und Dro­hun­gen Sir God­leys konn­ten ihn nicht dazu be­we­gen, von sei­nem Ent­schluß ab­zu­las­sen.

We­gen Ar­nolds ein­fluß­rei­cher Be­zie­hun­gen hät­ten es sei­ne Vor­ge­setz­ten gern ge­se­hen, daß er nicht so schnell avan­cier­te. Sie fürch­te­ten den Vor­wurf der Be­vor­zu­gung. Si­cher wür­den im Par­la­ment An­fra­gen kom­men, wenn man ihn au­ßer der Rei­he be­för­der­te. Trotz­dem war er aber nach zwei Jah­ren Ser­geant, denn es ge­lang sei­nem klu­gen Vor­ge­hen, ei­ni­ge be­rüch­tig­te Ver­bre­cher zu fas­sen.

»Rei­nes Glück«, sag­ten sei­ne Kol­le­gen und Vor­ge­setz­ten von Scot­land Yard. Und als er sich wei­ter aus­zeich­ne­te, konn­te man nicht um­hin, ihm die Stel­le ei­nes Po­li­zei­in­spek­tors zu ge­ben, weil ihn der Mi­nis­ter des In­nern selbst zu die­ser Be­för­de­rung vor­schlug. Den »Wet­ter« nann­ten sie ihn, weil er gern her­aus­for­dernd sag­te: »Wet­ten, daß?«

Aber er war kein Mann nach dem Her­zen der Be­am­ten von Scot­land Yard, und sie hiel­ten ihn den jün­ge­ren Leu­ten auch nicht als leuch­ten­des Bei­spiel vor.

Wet­ter Long war groß, schlank und hübsch und ver­füg­te über die Kraft ei­nes trai­nier­ten, ge­schul­ten Kör­pers. Er zeich­ne­te sich be­son­ders im Lau­fen aus und hat­te als Bo­xer seit zwei Jah­ren den Meis­ter­ti­tel für Ama­teu­re im Mit­tel­ge­wicht. Klet­tern konn­te er wie eine Kat­ze, und er be­saß auch et­was von der Zä­hig­keit und dem In­stinkt die­ses Tie­res.

Auf sei­nem lan­gen, schma­len Ge­sicht lag ge­wöhn­lich ein Lä­cheln, denn er be­trach­te­te Le­ben und Welt als einen großen Scherz.

»Mei­nen Sie wirk­lich, der Wet­ter wäre die­ser Auf­ga­be ge­wach­sen?«, frag­te Co­lo­nel Macfar­la­ne und biß sich nach­denk­lich auf die Un­ter­lip­pe. »Das kann ich ei­gent­lich nicht ris­kie­ren. Er stellt si­cher ir­gend et­was Un­mög­li­ches an, und wir müs­sen nach­her wie­der die Vor­wür­fe hö­ren … und doch, man müß­te es über­le­gen …«

Er dach­te den gan­zen Tag dar­über nach, und um fünf Uhr abends ließ er Ar­nold Long in sein Büro kom­men.

Mit ei­nem ver­gnüg­ten Grin­sen hör­te der Wet­ter, was ihm sein Vor­ge­setz­ter zu sa­gen hat­te.

»Nein, ich brau­che die Ak­ten nicht ein­zu­se­hen, ich weiß al­les aus­wen­dig, was über Shel­ton be­rich­tet wor­den ist. Ge­ben Sie mir drei Mo­na­te Zeit, dann sitzt der Mann hin­ter Schloß und Rie­gel.«

»Neh­men Sie die Sa­che nur nicht zu leicht«, warn­te Co­lo­nel Macfar­la­ne.

»Wet­ten, daß?«

Kapitel 2

An ei­nem schö­nen Früh­lings­mor­gen ging Mr. Shel­ton die Lom­bard Street ent­lang, in der aus­schließ­lich große Bank­häu­ser lie­gen. Er schwang sei­nen sorg­fäl­tig zu­sam­men­ge­roll­ten Schirm und dach­te an die Zei­ten, als hier noch Pfand­lei­her und Geld­wechs­ler ihre Ge­schäf­te hat­ten.

Vor ei­nem Ge­bäu­de mit ei­ner blen­den­den Gra­nit­fassa­de hielt er an und be­trach­te­te die mo­nu­men­ta­le Archi­tek­tur, als ob er ein Tou­rist wäre, der sich zum ers­ten­mal Lon­don an­schau­te.

»Was ist das für ein Ge­bäu­de?«

Der Po­li­zist, den er frag­te, stand ge­ra­de in der Nähe des Geh­steigs.

»Die City & Southern Bank.«

»Don­ner­wet­ter«, sag­te Shel­ton be­wun­dernd. »Wirk­lich statt­lich!«

Ein Auto hielt vor dem Ge­bäu­de. Der Chauf­feur sprang her­aus und riß den Wa­gen­schlag auf. Zu­erst stieg ein schö­nes jun­ges Mäd­chen aus, dann eine äl­te­re Dame mit erns­tem Ge­sicht und schließ­lich ein hüb­scher jun­ger Mann mit schwar­zem Schnurr­bart und Mo­no­kel.

Die drei gin­gen in die Bank, und der Po­li­zist trat zu dem Chauf­feur.

»Wie lan­ge ha­ben sie wohl in der Bank zu tun?«

»Vi­el­leicht fünf Mi­nu­ten«, er­wi­der­te der Mann und streck­te sich be­hag­lich auf sei­nem Sitz aus.

»Wenn es aber län­ger dau­ern soll­te, müs­sen Sie drü­ben auf der an­de­ren Sei­te par­ken …«

Der Po­li­zist gab ihm noch ei­ni­ge An­wei­sun­gen und kehr­te dann wie­der zu dem »Tou­ris­ten« zu­rück.

»Sie sind wohl fremd in Lon­don?«

»Ja. Ich bin erst vor kur­z­em aus Süd­ame­ri­ka zu­rück­ge­kom­men. Drei­und­zwan­zig Jah­re war ich dort. Liegt nicht auch das Ge­bäu­de der Ar­gen­ti­ni­schen Bank hier in der Nähe?«

Der Po­li­zist gab ihm Aus­kunft, aber Mr. Shel­ton mach­te kei­ne An­stal­ten, dort­hin zu ge­hen.

»Es ist schwer, zu glau­ben, daß in die­ser Stra­ße Mil­lio­nen und aber Mil­lio­nen von Gold­re­ser­ven im De­pot lie­gen.«

»Ich habe sie auch noch nicht zu se­hen be­kom­men«, mein­te der Be­am­te und lä­chel­te iro­nisch. »Aber zwei­fel­los –«

Plötz­lich hob er die Hand halb zum Gruß. Eine Au­to­drosch­ke war vor­ge­fah­ren, und ein jun­ger Mann war aus­ge­stie­gen. Er sah den Po­li­zis­ten vor­wurfs­voll an und be­trach­te­te Mr. Shel­ton mit ei­nem prü­fen­den Blick. Dann ver­schwand er auch in der Bank.

»War das ein Po­li­zei­be­am­ter?«, Shel­ton hat­te den un­ter­bro­che­nen Gruß wohl be­merkt.

»Nein, ein Herr aus der City, den ich ken­ne«, ent­geg­ne­te der Po­li­zist und ging zu dem Chauf­feur der Drosch­ke, um auch ihm In­struk­tio­nen zu ge­ben.

Als Wet­ter Long in die Bank kam, sah er das hüb­sche Ge­sicht des jun­gen Mäd­chens am Schal­ter und blieb ei­ni­ge Au­gen­bli­cke ste­hen, be­vor er in das Pri­vat­bü­ro des Di­rek­tors trat. Der klei­ne, un­ter­setz­te Herr mit dem kah­len Kopf er­hob sich so­fort bei sei­nem Ein­tritt und schüt­tel­te ihm herz­lich die Hand.

»Ent­schul­di­gen Sie mich, bit­te, noch ein paar Mi­nu­ten – ich muß eben eine Kun­din be­grü­ßen.«

Mit die­sen Wor­ten ver­schwand er aus dem Büro, kam aber nach kur­z­er Zeit wie­der. Er lä­chel­te und rieb sich die Hän­de.

»Das ist eine cha­rak­ter­vol­le Frau«, sag­te er. »Ha­ben Sie die Dame ge­se­hen?«

»Ja, sie ist wirk­lich un­ge­wöhn­lich hübsch.«

»Ach, Sie mei­nen die Se­kre­tä­rin. Ich spre­che aber von der äl­te­ren Dame – Miß Re­vel­sto­ke. Sie ist schon fast drei­ßig Jah­re mei­ne Kun­din. Die soll­ten Sie ei­gent­lich ken­nen­ler­nen. Der jun­ge Mann, der sie be­glei­tet, ist ihr Rechts­an­walt. Et­was ei­tel und stut­zer­haft, aber er wird si­cher Kar­rie­re ma­chen.«

Durch ein klei­nes, vier­e­cki­ges Fens­ter konn­te man von dem Pri­vat­bü­ro aus die lan­ge Rei­he der Schal­ter be­ob­ach­ten. Die äl­te­re Dame zähl­te ge­ra­de ein Bün­del Bank­no­ten, das ihr der Kas­sie­rer aus­ge­hän­digt hat­te. Ihre Se­kre­tä­rin schi­en sich zu lang­wei­len, denn sie be­trach­te­te die schön­ge­schnitz­te De­cke des pracht­vol­len Raums. Ihr an­zie­hen­des Ge­sicht ver­riet Leb­haf­tig­keit und In­tel­li­genz. Den freund­lich lä­cheln­den jun­gen Mann ne­ben Miß Re­vel­sto­ke be­ach­te­te er kaum. Plötz­lich sah die jun­ge Dame zu dem Fens­ter hin­über und be­geg­ne­te Longs Blick. Eine Se­kun­de schau­ten sie ein­an­der wie ge­bannt an, dann wand­te sich der Wet­ter schnell ab. Erst jetzt kam ihm zum Be­wußt­sein, daß der Bank­di­rek­tor dau­ernd zu ihm ge­spro­chen hat­te.

»… ich bin ja nicht der An­sicht, daß es Ih­nen ge­lingt, den Mann zu fas­sen. Dazu ist wahr­schein­lich nie­mand im­stan­de. Der Mensch ist glatt wie ein Aal und wahr­schein­lich der Füh­rer ei­ner sehr ge­ris­se­nen Ban­de –«

»Ich wünsch­te von Her­zen, es wäre so«, ent­geg­ne­te Long lä­chelnd. »Aber den Ge­dan­ken kön­nen Sie auf­ge­ben, Mr. Monk­ford. Un­ter Ver­bre­chern und Die­ben gibt es kei­ne Ehr­lich­keit, höchs­tens un­ter den ganz Gro­ßen. Die­ser Shel­ton ar­bei­tet ganz auf ei­ge­ne Faust, und dar­in be­steht sei­ne größ­te Stär­ke.«

Der Bank­di­rek­tor nahm eine di­cke Map­pe aus sei­nem Schreib­tisch und leg­te sie auf die Plat­te.

»Hier fin­den Sie alle Tat­sa­chen, nicht nur von der City & Southern Bank, son­dern auch von al­len an­de­ren Ban­ken, die von Shel­ton be­tro­gen wur­den. Alle Ori­gi­nal­un­ter­schrif­ten sind in Pho­to­gra­phie vor­han­den. Aber ich glau­be nicht, daß es Ih­nen viel hel­fen wird.«

Long brach­te eine hal­be Stun­de da­mit zu, den In­halt der Map­pe zu prü­fen, aber am Ende war er auch nicht klü­ger als vor­her.

Als er wie­der auf die Stra­ße trat, sah er sich nach links und nach rechts um, als ob er nicht ent­schlos­sen wäre, nach wel­cher Rich­tung er ge­hen soll­te. Schließ­lich wand­te er sich nach der Grace Church Street. An der Ecke die­ser Stra­ße und der Lom­bard Street sah er einen schlan­ken, äl­te­ren Herrn ste­hen, der of­fen­bar den leb­haf­ten Ver­kehr be­ob­ach­te­te. Er schau­te ihn an, als er an ihm vor­über­ging, und die Bli­cke der bei­den tra­fen sich. Die arg­wöh­nisch for­schen­den Au­gen des Frem­den ver­rie­ten Long so­fort, daß der Mann den De­tek­tiv in ihm er­kannt hat­te.

Ein ei­gen­tüm­li­ches Ge­fühl über­kam den Wet­ter, ohne daß er sich über die Ur­sa­che klar wer­den konn­te. Er über­quer­te die Stra­ße, ging auf einen Zei­tungs­jun­gen zu und kauf­te ihm ein Blatt ab. Der Frem­de stand im­mer noch an sei­nem Platz. Er war ele­gant ge­klei­det und sah wie ein Oberst in Zi­vil aus. Ab­sicht­lich gab der Wet­ter dem Zei­tungs­jun­gen einen Schil­ling, um den Mann noch wäh­rend des Wech­selns be­ob­ach­ten zu kön­nen. Es muß­te ir­gend­ein Schwind­ler aus der City sein, ei­ner der vie­len, die hier ihre dunklen Ge­schäf­te trie­ben. Der miß­traui­sche Blick hat­te Long ge­nug ver­ra­ten. Es schoß ihm der Ge­dan­ke durch den Kopf, um­zu­keh­ren und den Frem­den un­ter ir­gend­ei­nem Vor­wand an­zu­spre­chen. Aber er ge­hör­te zu Scot­land Yard und be­fand sich in der City. Und die City hat­te ihre ei­ge­nen De­tek­ti­ve, die ei­fer­süch­tig dar­über wach­ten, daß nicht an­de­re Be­am­te in ihre Rech­te ein­grif­fen.

Wäh­rend er sich noch über­leg­te, was er tun soll­te, rief der Mann ein Auto an, das die Stra­ße her­un­ter­kam, und fuhr da­von. Kaum war er au­ßer Sicht, als der Wet­ter ei­nem plötz­li­chen Im­puls folg­te und sich eben­falls einen Wa­gen nahm.

»Fah­ren Sie die Lom­bard Street ent­lang«, sag­te er schnell, »und se­hen Sie zu, daß Sie den gel­ben Wa­gen ein­ho­len.«

Bald dar­auf sah er das Auto wie­der. Er hielt die Zei­tung schüt­zend vor das Ge­sicht und be­ob­ach­te­te über den Rand des Blat­tes hin­weg, daß der Frem­de durch das hin­te­re Fens­ter nach rück­wärts schau­te.

Als Co­lo­nel Macfar­la­ne an die­sem Abend das Büro ver­las­sen woll­te, hielt ihn In­spek­tor Long freu­de­strah­lend an.

»Sie kön­nen mir gra­tu­lie­ren – ich habe Shel­ton aus­fin­dig ge­macht!«

»Das ist doch nicht mög­lich!«

»Wet­ten, daß?«, ent­geg­ne­te Mr. Long prompt.

Kapitel 3

Eine Wo­che spä­ter lenk­te Shel­ton sei­nen Wa­gen dicht vor Col­che­s­ter auf einen Sei­ten­weg und brach­te ihn zum Ste­hen. Aus ei­ner Schub­la­de un­ter dem Sitz nahm er einen Kof­fer her­aus, der einen An­zug, Sche­re, Ra­sier­mes­ser und Cre­me ent­hielt, und kur­ze Zeit dar­auf hat­te er sich voll­kom­men ver­wan­delt. Er sah jetzt aus wie ein ehr­ba­rer äl­te­rer Herr. Nach­dem er einen Blick nach rechts und links ge­wor­fen hat­te, ging er zur nächs­ten Hal­te­stel­le der Stra­ßen­bahn und fuhr von dort zum Zen­trum der Stadt.

Es schlug zehn Uhr, als er den großen Kas­sen­raum der Eas­tern Coun­ties Bank be­trat. Er leg­te ein Bank­buch und ein aus­ge­füll­tes For­mu­lar auf den Schal­ter­tisch. Der Be­am­te prüf­te bei­des sorg­fäl­tig und ging dann da­mit in das Büro des Di­rek­tors. Als er zu­rück­kam, lä­chel­te er re­spekt­voll, als ob er sich für sei­ne schlim­men Be­fürch­tun­gen ent­schul­di­gen müß­te.

»Sie­ben­tau­send­sechs­hun­dert«, sag­te er lie­bens­wür­dig. »Wie wol­len Sie das Geld ha­ben, Co­lo­nel Wea­ther­by?«

»In Hun­dert­pfund­no­ten.«

Gleich dar­auf zähl­te der Kas­sie­rer ein Pa­ket Bank­no­ten mit au­ßer­or­dent­li­cher Ge­schwin­dig­keit ab und no­tier­te dann die Num­mern der Schei­ne in sein Buch.

»Dan­ke schön.« Shel­ton wand­te sich ab und steck­te das Päck­chen in sei­ne Brust­ta­sche.

Au­ßer ihm be­fan­den sich noch zwei an­de­re Her­ren im Kas­sen­raum, und ein drit­ter kam ge­ra­de durch die Dreh­tür her­ein. Der eine sah et­was müde aus und lehn­te sich an den Schal­ter. Shel­ton wür­dig­te ihn kei­nes Blickes, wohl aber schau­te er sich den an­de­ren ge­nau an, der vor dem Aus­gang stand und ihn an­lä­chel­te.

»Gu­ten Mor­gen, Shel­ton.«

Der Wet­ter Long! Höchs­te Ge­fahr! Shel­ton blieb ste­hen und schob trot­zig das Kinn vor.

»Wol­len Sie mit mir spre­chen? Ich hei­ße al­ler­dings nicht Shel­ton.«

Ar­nold Long nahm den Hut ab und fuhr mit der Hand durch sein dich­tes, schwar­zes Haar.

»Ja, ich woll­te mit Ih­nen spre­chen.«

Im nächs­ten Au­gen­blick sprang Shel­ton auf ihn zu.

Eine Se­kun­de spä­ter wälz­ten sich drei Män­ner auf dem Bo­den. Shel­ton ge­lang es, wie­der auf die Füße zu kom­men. Der Po­li­zist war eif­rig bei dem Hand­ge­men­ge, stand aber dem Wet­ter im­mer im Wege. Plötz­lich misch­te sich auch noch der müde Herr ein, der vor­her am Schal­ter ge­lehnt hat­te.

»Hier! Ver­dammt …«

Ein be­täu­ben­der Knall er­tön­te, und der Po­li­zist stürz­te blu­tend auf die Mar­morflie­sen nie­der.

»Ge­ben Sie die Pis­to­le her, oder ich schie­ße so­fort!«

Shel­ton wand­te den Kopf. Der Bank­be­am­te mit der Bril­le hat­te mit ei­nem schwe­ren Ar­mee­re­vol­ver auf ihn an­ge­legt. Der Mann hat­te den Krieg auch mit­ge­macht, in dem selbst Bank­be­am­te mit Bril­len lern­ten, kalt­blü­tig an­de­re Men­schen über den Hau­fen zu schie­ßen.

Long leg­te Shel­ton Hand­schel­len an. Zwei Po­li­zis­ten in Uni­form ka­men in den Schal­ter­raum, wäh­rend der Bank­be­am­te be­reits an das Ho­spi­tal te­le­pho­nier­te.

»Ich ver­haf­te Sie we­gen Be­trugs«, sag­te Ar­nold und schau­te dann ernst auf den To­ten, der in ei­ner großen Blut­la­che lag. »Ich dach­te, Sie trü­gen nie­mals eine Pis­to­le bei sich?«

Shel­ton er­wi­der­te nichts, und der Wet­ter wand­te sich an den frem­den Herrn, der sich am Hand­ge­men­ge be­tei­ligt hat­te.

»Ich dan­ke Ih­nen … ich bin Ih­nen wirk­lich sehr ver­pflich­tet.« Plötz­lich leuch­te­ten sei­ne Au­gen auf. »Ach, Sie sind ja Mr. Cray­ley.«

Der Mann sah to­ten­bleich aus.

»Bei­na­he hät­te er mich selbst ge­trof­fen«, sag­te er hei­ser. »Nun, ich habe mein Bes­tes ge­tan. Sa­gen Sie es nur, wenn ich Ih­nen noch ir­gend­wie be­hilf­lich sein kann. Ist er tot?«

»Ja.« Der Wet­ter starr­te düs­ter auf den Po­li­zis­ten. »Ich wünsch­te, das hät­ten Sie nicht ge­tan, Shel­ton. Aber die­sen Mord kön­nen wir we­nigs­tens leich­ter be­wei­sen als die an­de­ren, die Sie be­gan­gen ha­ben. Wir wol­len ihn schnell zur Po­li­zei­sta­ti­on brin­gen, be­vor ein zu großer Auf­lauf ent­steht. Zei­gen Sie mir, bit­te, den Ne­ben­aus­gang«, wand­te er sich an den Bank­be­am­ten.

Kapitel 4

Am vier­zehn­ten Juni ver­ließ In­spek­tor Long mit sei­nem Wa­gen um fünf Uhr mor­gens die Haupt­stadt. Die Son­ne schi­en strah­lend, und alle Dör­fer, durch die er kam, sa­hen schmuck und freund­lich aus.

Er hat­te ge­ra­de eine klei­ne Ort­schaft ver­las­sen und kam wie­der auf die Land­stra­ße, die durch grü­ne Fel­der führ­te, als er einen Mann pas­sier­te, der am Rand des We­ges saß. Im Au­gen­blick er­kann­te er ihn, brems­te und fuhr zu der Stel­le zu­rück. Ula­nen-Har­ry sah ihn ru­hig an und rauch­te sei­ne Zi­ga­ret­te wei­ter.

»Auf der Wal­ze?«, frag­te der Wet­ter lie­bens­wür­dig.

»Ich habe Ar­beit, wenn Sie es wis­sen wol­len – und zwar eine recht loh­nen­de!« Ula­nen-Har­ry warf ihm einen merk­wür­di­gen Blick zu. »Wo­hin ge­hen Sie denn, Sie Blut­hund?«

Ar­nold lä­chel­te, ob­wohl er nie­mals ge­glaubt hät­te, daß er an die­sem Mor­gen lä­cheln könn­te.

»Ich bin wie­der da­bei, Die­be zu fan­gen«, er­wi­der­te er und schau­te über die Fel­der. Das ein­zi­ge Ge­bäu­de, das man in der Nähe se­hen konn­te, war eine große, schwar­ze Scheu­ne. »Sie ha­ben die Nacht nicht im Frei­en ge­schla­fen, und Sie sind auch noch nicht weit ge­gan­gen. Ihre Schu­he sind nicht stau­big. Was ha­ben Sie denn wie­der vor, Har­ry?«

Der Mann ant­wor­te­te nicht. Ar­nold Long zeig­te in die Rich­tung nach Chelms­ford, lach­te vor sich hin und fuhr wei­ter.

Vor den großen, düs­te­ren To­ren des Ge­fäng­nis­ses von Chelms­ford hielt er schließ­lich an, als es ge­ra­de sie­ben schlug. Er klin­gel­te und wur­de von dem Por­tier ein­ge­las­sen. Ein Wär­ter brach­te ihn dann zu dem Di­rek­tor der An­stalt, der al­lein in sei­nem klei­nen Büro saß.

»Hof­fent­lich ist Ih­nen die Sa­che nicht zu un­an­ge­nehm. Mir sind sol­che Sa­chen im­mer sehr zu­wi­der.« Ar­nold nick­te.

»Ich habe schon den gan­zen Weg fest dar­an ge­dacht, daß er doch sei­ne Ab­sicht än­dern soll­te, da­mit ich ihn nicht mehr zu se­hen brauch­te.«

Der Di­rek­tor schüt­tel­te den Kopf.

»Das wird nicht der Fall sein. Sei­ne letz­te Fra­ge ges­tern abend war noch, ob Sie kom­men wür­den.«

Er er­hob sich und führ­te Long zu Shel­tons Zel­le. Mit schwe­rem Her­zen be­trat der Wet­ter den en­gen Raum.

Der zum Tode ver­ur­teil­te Mann saß auf sei­nem Bett und hat­te die Hän­de in die Ho­sen­ta­schen ge­steckt. Sein Ge­sicht war mit grau­en Bart­stop­peln be­deckt, und Ar­nold er­kann­te ihn kaum wie­der.

»Neh­men Sie Platz.«

Aber In­spek­tor Long blieb ste­hen.

»Ich woll­te Sie noch spre­chen – vor mei­nem Tode.« Shel­ton nahm die Zi­ga­ret­te aus dem Mund, blies ei­ni­ge Rauch­rin­ge zur De­cke em­por und be­ob­ach­te­te sie, bis sie sich in Nichts auf­lös­ten. »Ich habe vier Men­schen um­ge­bracht, und ich be­reue es nicht«, sag­te er nach­denk­lich. Dann lä­chel­te er den Wet­ter plötz­lich an, der düs­ter auf ihn nie­der­blick­te. »Sie glau­ben, daß es jetzt mit mir zu Ende geht, aber Sie ir­ren sich schwer! Sie wer­den mich hän­gen, und sie wer­den mich be­gra­ben, aber trotz­dem lebe ich wei­ter, und ich fas­se Sie, Wet­ter Long, ver­las­sen Sie sich dar­auf! Ich zah­le es al­len Leu­ten heim, die an mei­nem Tode schuld sind.« Als er Longs Ge­sichts­aus­druck sah, lä­chel­te er noch rät­sel­haf­ter. »Sie glau­ben, daß ich nicht mehr bei Ver­stand bin, aber es gibt viel Din­ge in die­ser Welt, von de­nen Ihre Schul­weis­heit sich nichts träu­men läßt, mein Freund. Die Gal­gen­hand ist kein lee­rer Wahn – sie exis­tiert!«

Er run­zel­te die Stir­ne einen Au­gen­blick und schau­te auf den Stein­fuß­bo­den, dann lach­te er laut auf.

»So, das wäre al­les, was ich Ih­nen sa­gen woll­te. Den­ken Sie dar­an, Mr. Long, die Gal­gen­hand wächst aus dem Grab her­vor und packt Sie frü­her oder spä­ter an der Gur­gel!«

Long ant­wor­te­te nichts dar­auf und ging mit dem Di­rek­tor zu­rück.

»Was hal­ten Sie da­von?«, frag­te der Be­am­te und wisch­te sich den Schweiß von der Stir­ne. Er sah bleich und ver­stört aus. »Die Gal­gen­hand – ent­setz­li­cher Ge­dan­ke!«

»Fürch­ten Sie sich nicht, mich faßt sie nicht.« Ar­nold nick­te lang­sam. »Wet­ten, daß?«

Er blieb nicht bis zum Ende da.

Dicht vor Chelms­ford liegt ein klei­nes Dorf mit ei­ner sehr al­ten Kir­che. Die Uhr schlug ge­ra­de acht. Long hielt den Wa­gen an und nahm den Hut ab.

»Hof­fent­lich fin­det der arme Mensch den Frie­den«, sag­te er vor sich hin, denn in die­sem Au­gen­blick en­de­te Clay Shel­tons ir­di­sche Lauf­bahn.

In der nächs­ten Se­kun­de schlug et­was ge­gen die Wind­schei­be des Au­tos, und sie zer­split­ter­te.

Ping!

Die zwei­te Ku­gel pfiff an sei­nem Kopf vor­über, und die drit­te schwirr­te dicht an sei­ner lin­ken Ba­cke vor­bei.

Er sprang aus dem Wa­gen und sah sich in der fried­li­chen Ge­gend um. Nie­mand war zu ent­de­cken, auch kei­ne He­cken, wo sich ein Mann ver­ste­cken konn­te, nur dort hin­ten –

Über ei­nem klei­nen Ge­büsch schweb­te eine blas­se Rauch­wol­ke in der Luft. Im Lauf­schritt eil­te er über die Wie­se, die ihn da­von trenn­te. Wäh­rend er lief, ver­nahm er einen vier­ten Schuß und warf sich flach auf den Bo­den. Er hör­te das Ge­schoß nicht ein­schla­gen, er­hob sich wie­der und lief im Zick­zack auf sein Ziel los.

Plötz­lich pack­te ihn ein Grau­sen. Aus dem Gra­se streck­te sich ihm eine wei­ße Hand ent­ge­gen, de­ren Fin­ger im Krampf er­starrt wa­ren, und die ins Nichts zu grei­fen schie­nen.

Im nächs­ten Au­gen­blick hat­te er die Stel­le er­reicht. Ein Mann lag dort auf dem Rücken, und sei­ne Hand zeig­te zum blau­en Him­mel em­por. Die an­de­re um­krall­te ein Mi­li­tär­ge­wehr.

Kapitel 5

Ar­nold schau­te ent­setzt in das Ge­sicht des to­ten Ula­nen-Har­ry und woll­te sei­nen Au­gen nicht trau­en. Eine kur­ze Un­ter­su­chung er­gab, daß der Mann aus nächs­ter Nähe von hin­ten er­schos­sen wor­den war. Der Lauf des Ge­wehrs war noch heiß. Als Long die Kam­mer auf­riß, sah er noch ei­ni­ge Pa­tro­nen im Ma­ga­zin. Ein paar Schrit­te da­von ent­fernt be­fand sich die He­cke, und da­hin­ter ent­deck­te er einen Ab­hang, der steil zur Stra­ße ab­fiel. Kein Le­be­we­sen war dort zu se­hen, aber auf der Stra­ße un­ten zeig­ten sich Rä­der­spu­ren. Er klet­ter­te wie­der die An­hö­he hin­auf und neig­te sich ge­ra­de über den To­ten, als er das Rat­tern ei­nes Mo­tor­ra­des hör­te. Er schau­te sich rasch um und sah die Le­der­kap­pe des Fah­rers.

Der Mann fuhr auf die Chaus­see, wo der De­tek­tiv sei­nen Wa­gen hat­te ste­hen las­sen. Long gab ihm ein Si­gnal, zu hal­ten. Der Frem­de be­ach­te­te es je­doch nicht, ob­wohl er es ge­se­hen ha­ben muß­te. Nur einen Au­gen­blick schi­en er das Tem­po zu ver­lang­sa­men, als er das Auto pas­sier­te, und kurz dar­auf ver­schwand er hin­ter den großen Er­len bei ei­ner Stra­ßen­bie­gung.

Der In­spek­tor sah sich nach Hil­fe um. Die Schüs­se muß­ten ge­hört wor­den sein. In ei­ni­ger Ent­fer­nung ent­deck­te er eine schwar­ze Scheu­ne, die ihm son­der­bar be­kannt vor­kam, und er er­in­ner­te sich dar­an, daß er am frü­hen Mor­gen Har­ry dort ge­se­hen hat­te.

Es blieb ihm nichts an­de­res üb­rig, als in das nächs­te Dorf zu fah­ren und Hil­fe zu ho­len. Halb­wegs war er schon zu sei­nem Wa­gen ge­kom­men, als plötz­lich eine große Flam­mengar­be dar­aus em­por­schoß. Er hör­te eine lau­te Ex­plo­si­on und sah vie­le Me­tall- und Holz­tei­le durch die Luft wir­beln.

Long stand einen Au­gen­blick starr vor Schre­cken, dann eil­te er zu der Un­glücks­stel­le. Das Auto be­stand nur noch aus ei­ner Mas­se von Blech und rau­chen­den Trüm­mern.

Kurz dar­auf kam ein Po­li­zist auf ei­nem Rad die Stra­ße ent­lang, der die Ex­plo­si­on auch ge­hört hat­te.

»Was ist denn mit Ihrem Wa­gen pas­siert? Ist er in die Luft ge­flo­gen?«, frag­te er atem­los.

»Er ist durch eine Bom­be ge­sprengt wor­den«, er­wi­der­te der Wet­ter grim­mig.

»Eine Bom­be?«, wie­der­hol­te der Mann ver­blüfft.

Der Wet­ter küm­mer­te sich nicht wei­ter um das zer­trüm­mer­te Auto. Mit we­ni­gen Wor­ten klär­te er den Po­li­zis­ten auf und führ­te ihn zu der Stel­le, wo der Tote im Gra­se lag.

»Auf der Stra­ße un­ten sind Wa­gen­spu­ren«, sag­te er. »Aber wenn wir kein Flug­zeug ha­ben, zweifle ich stark dar­an, daß wir die Tä­ter fas­sen kön­nen.«

Um fünf Uhr abends kam er nach Scot­land Yard und be­rich­te­te Co­lo­nel Macfar­la­ne, der ihm mit düs­te­rem Ge­sichts­aus­druck zu­hör­te.

»Die gan­ze Sa­che ist ein­fach un­er­klär­lich, ich möch­te fast sa­gen, un­mög­lich. Shel­ton ist doch um acht Uhr ge­hängt wor­den, und es be­steht nicht der ge­rings­te Zwei­fel, daß er tot ist. Hat­ten Sie denn nicht die Mög­lich­keit, den Mo­tor­fah­rer oder das Auto zu ver­fol­gen?«

»Nein. Las­sen Sie mir ein bis zwei Wo­chen Zeit. Wir ha­ben es hier mit der Ban­de des Schre­ckens zu tun!«

Macfar­la­ne run­zel­te die Stir­ne.

»Ich ver­ste­he Sie nicht ganz. Shel­ton ar­bei­te­te doch voll­kom­men auf ei­ge­ne Faust. Er hat­te kei­ne Ban­de, die ihm half, und auch kei­ne Freun­de. So­weit wir es be­ur­tei­len kön­nen, gibt es kei­nen Men­schen auf der Welt, der sich dar­um küm­mert, ob er le­ben­dig oder tot ist.«

Der Wet­ter biß sich auf die Lip­pe.

»Das stimmt al­les, und den­noch glau­be ich nicht an die Gal­gen­hand. Es gibt einen har­ten Kampf, denn die Ban­de des Schre­ckens wird uns kei­ne Ruhe las­sen. Den Ula­nen-Har­ry ha­ben sie in ihre Diens­te ge­nom­men, denn sie wuß­ten, daß er ein gu­ter Schüt­ze war. Er soll­te mich auf mei­nem Rück­weg von Chelms­ford er­le­di­gen. Und es war ja leicht, ihn dazu zu über­re­den, denn er haß­te mich im Grund sei­ner See­le. Als sie aber sa­hen, daß er sein Ziel ver­fehl­te, ha­ben sie ihn rück­sichts­los über den Hau­fen ge­schos­sen. Und hät­te er mich tat­säch­lich ge­trof­fen, dann hät­ten sie ihn erst recht kalt ge­macht. Er un­ter­schrieb sein To­des­ur­teil in dem Au­gen­blick, in dem er den Auf­trag an­nahm.«

*

In den nächs­ten Mo­na­ten fand Long neu­es In­ter­es­se am Le­ben und war eif­rig an der Ar­beit. Das Be­wußt­sein, stän­dig in Ge­fahr zu schwe­ben, ver­lieh ihm neue Spann­kraft und Ener­gie. Er war da­von über­zeugt, daß hin­ter Shel­ton eine Ban­de stand, die schreck­li­cher war als jede bis­her be­kann­te Ver­bre­cher­or­ga­ni­sa­ti­on, und es reiz­te ihn, sei­ne Kraft und Klug­heit mit dem Kön­nen die­ser Leu­te zu mes­sen.

Er hat­te Ula­nen-Har­rys Spur bis zu dem Au­gen­blick zu­rück­ver­fol­gen las­sen, in dem der Mann das Ge­fäng­nis in Dart­moor ver­las­sen hat­te, und er hat­te alle Leu­te ver­hört, mit de­nen der Sträf­ling in Berüh­rung ge­kom­men war. Aber nie­mand konn­te ihm auch nur die lei­ses­te An­ga­be ma­chen, die zur Ent­de­ckung sei­ner Auf­trag­ge­ber ge­führt hät­te.

Das nächs­te Jahr brach­te eine Ka­ta­stro­phe nach der an­de­ren, denn die Ban­de des Schre­ckens plan­te Mord auf Mord und führ­te ihre Un­ta­ten auch aus.

Kapitel 6

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