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Eine Expedition aus Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen bricht in die Antarktis auf. Das Ziel sind geografische ebenso wie geologische Erkenntnisse. Bald schon stößt eine Vorhut auf ein widernatürlich hohes Gebirge und im Schatten der Gipfel auf perfekt konservierte Kadaver absonderlicher Wesen. Als der Erzähler das Lager seines Kollegen erreicht, ist es verwüstet, Menschen und Hunde zerfleischt. Und doch beginnt Lovecrafts kosmischer Horror gerade erst, sich zu entfalten. Seine klassische Horrorgeschichte Die Berge des Wahnsinns inspiriert und verstört Schriftsteller, Filmschaffende und natürlich Leser bis heute.
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Seitenzahl: 226
H. P. Lovecraft
Die Berge des Wahnsinns
Herausgegeben und aus demamerikanischen Englisch neu übersetztvon Florian F. Marzin
Anaconda
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Edgar Allan Poes Gedicht im Abschnitt »1« zitiert inder Übersetzung Hedwig Lachmanns von 1891.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind imInternet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2022 by Anaconda Verlagin der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle Rechte vorbehalten.
Covermotiv: Shutterstock / svekloid; PawelG Photo
Covergestaltung: www.katjaholst.de
Satz und Layout: InterMedia – Lemke e. K., Heiligenhaus
ISBN978-3-641-29694-0V004
www.anacondaverlag.de
Ich bin nun gezwungen zu sprechen, weil die Wissenschaftler sich grundlos weigern, meinen Ratschlägen zu folgen. Es ist gänzlich gegen meinen Willen, meine Gründe gegen die geplante Invasion der Antarktis – was nichts anderes als eine umfassende Fossilienjagd und im Endeffekt ein Aufbohren und Abschmelzen der uralten Eiskappe ist – öffentlich zu machen. Noch mehr zögere ich, weil meine Warnung wahrscheinlich vergeblich sein wird. Der Zweifel an den Fakten, so wie ich sie offenlegen werde, ist unvermeidlich, doch würde ich das, was außergewöhnlich und unglaublich erscheint, verschweigen, dann könnte es unser aller Ende bedeuten. Die bis jetzt unter Verschluss gehaltenen konventionellen Fotografien und Luftaufnahmen werden meine Aussagen bestätigen, denn sie sind unglaublich lebensnah und deutlich. Trotzdem wird man sie aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten von Fälschungen in Zweifel ziehen. Die Tuschzeichnungen werden als offensichtlicher Betrug abgetan werden, obwohl die Kunstexperten die merkwürdige Technik nicht leugnen können und sich darüber eigentlich die Köpfe zerbrechen sollten.
Letzten Endes muss ich wohl auf das Urteil und die Reputation der wenigen führenden Wissenschaftler setzen, die einerseits über genügend Unabhängigkeit des Denkens verfügen, um die von mir gesammelten Beweise nach ihrer immanenten Überzeugungskraft oder unter Berücksichtigung von bestimmten urzeitlichen und höchst seltsamen Mythen zu beurteilen, und andererseits über genügend Einfluss verfügen, den allgemeinen Forschungsdrang der Welt von einem übereilten und überzogenen Wettlauf zur Erforschung dieser Berge des Wahnsinns abzuhalten. Es ist leider eine unglückliche Tatsache, dass eher unbedeutende Männer wie ich selbst und meine Kollegen von einer recht kleinen Universität kaum eine Möglichkeit haben, Einfluss zu nehmen, wenn es sich um Dinge handelt, die extrem außergewöhnlich oder hoch widersprüchlicher Natur sind.
Weiterhin spricht gegen uns, dass wir im engsten Sinne keine Spezialisten in den im Wesentlichen betroffenen wissenschaftlichen Bereichen sind. Als Geologe bestand meine Aufgabe, neben der Leitung der Expedition der Miskatonic-Universität, einzig in der Bergung von tief in Fels- und Erdschichten lagernden Organismen aus verschiedenen Bereichen des antarktischen Kontinents, mithilfe des bemerkenswerten, von Professor Frank H. Pabodie aus der Technischen Abteilung entwickelten Bohrgeräts. Ich hatte nicht das Verlangen in irgendeinem anderen Bereich als diesem Pionierarbeit zu leisten, aber ich hoffte, mit diesem neuen Gerät an verschiedenen Punkten entlang schon erforschter Routen Materialien ans Licht bringen zu können, die bisher mit den früheren Bohrmethoden nicht erreichbar waren. Pabodies Bohrgerät, wie der Öffentlichkeit schon aus unseren Berichten bekannt ist, war einmalig und völlig neuartig bezüglich des geringen Gewichts, des einfachen Transports und der Möglichkeit, das bekannte artesische Bohrverfahren mit dem Prinzip des kleinen kreisförmigen Felsbohrers zu kombinieren und damit schnell durch unterschiedlich harte Schichten zu gelangen. Ein stählerner Bohrkopf, zusammensteckbare Rohre, Benzinmotor, ein zusammenlegbares hölzernes Bohrgerüst, Sprengausrüstung, Seile, ein Schneckenbohrer für den Aushub und zusätzliche Rohre für Bohrlöcher von 13 Zentimetern Durchmesser und bis zu 350 Metern Tiefe, samt sämtlichem Zubehör, ergaben ein Gewicht nicht größer, als dass drei, von je sieben Hunden gezogene Schlitten es befördern konnten. Das wurde durch die besondere Aluminiumlegierung ermöglicht, aus der die meisten Metallteile gefertigt waren. Die fünf großen Dornier-Flugzeuge, extra für die großen Höhen entwickelt, die notwendig waren, um das antarktische Plateau zu überfliegen, waren von Pabodie mit eigens dafür entwickelten Geräten zur Treibstofftemperierung und mit Schnellstartvorrichtungen ausgestattet worden und in der Lage, die gesamte Expedition von einer Basis am Rande der großen Eisbarriere zu verschiedenen, ausgewählten Orten im Landesinneren zu bringen. Von diesen Orten aus würden wir unter Einsatz einer genügenden Anzahl von Schlittenhunden weiterkommen.
Wir planten, ein so großes Areal, wie eine antarktische Saison zuließ – oder sogar länger, wenn es absolut notwendig würde –, zu erforschen, indem wir uns hauptsächlich auf die Bergregion und auf das Plateau südlich des Rossmeeres konzentrierten, eine Region, die unterschiedlich genau schon von Shackleton, Amundsen, Scott und Byrd untersucht worden war. Durch häufige, mit dem Flugzeug durchgeführte Ortswechsel und über Entfernungen, die groß genug waren, um von geologischer Relevanz zu sein, erwarteten wir eine große Menge von Material aus dem Boden zu holen, besonders aus den Schichten des Präkambriums, aus denen vorher nur wenige Fossilien geborgen worden waren. Zudem hatten wir vor, aus den oberen Schichten der fossilienreichen Felsformationen so viele wie Proben möglich zu gewinnen, da die Urgeschichte dieses öden Reichs von Eis und Tod von höchster Bedeutung für unser Wissen um die Vergangenheit der Erde ist. Es ist allgemein bekannt, dass der antarktische Kontinent einst warm, ja sogar tropisch war, mit wuchernder Vegetation und tierischem Leben, von dem die Flechten, die Meeresbewohner, Spinnentiere und die Pinguine an der nördlichen Küste nur die überlebenden Arten sind. Wir hofften, diese Informationen bezüglich der Vielfalt, der Genauigkeit und des Detailwissens zu erweitern. Wenn eine Probebohrung Anzeichen von Fossilien zeigt, würden wir sie durch eine Sprengung erweitern, um Fundstücke von guter Größe und gutem Zustand zu erhalten.
Unsere unterschiedlich tiefen Bohrungen, die wir an vielversprechenden, eisfreien oder fast eisfreien Boden- und Felsstellen vornahmen, beschränkten sich auf Abhänge und Felsgrade, denn die Ebenen waren von einer zwei bis drei Kilometer dicken Eisschicht bedeckt. Wir konnten es uns nicht erlauben, Bohrtiefe durch unterschiedlich dicke Eisschichten zu verlieren, deshalb hatte Pabodie einen Plan ausgearbeitet, bei dem in einer Anzahl von eng beieinanderliegenden Bohrlöchern Kupferelektroden hinabgesenkt wurden und mithilfe von elektrischem Strom, den uns ein Benzingenerator lieferte, das Eis geschmolzen wurde. Es ist genau dieses Verfahren, das wir bei einer solchen Expedition wie der unseren nur erproben konnten, das aber die geplante Starkweather-Moore-Expedition entgegen aller meiner Warnungen, die ich seit unserer Rückkehr aus der Antarktis vorgebracht habe, großflächig einsetzen will.
Die Öffentlichkeit ist über die Miskatonic-Expedition durch unsere regelmäßigen Funkberichte an den Arkham Advertiser und Associated Press sowie durch die späteren Artikel von Pabodie und mir informiert. Teilnehmer der Expedition waren vier Männer der Universität: Pabodie und Lake von der Biologischen Fakultät, Atwood von der Physikalischen Fakultät (gleichzeitig ein Meteorologe) und ich als Geologe und offizieller Leiter. Daneben gab es noch sechzehn Assistenten, sieben davon graduierte Studenten der Miskatonic-Universität sowie neun erfahrene Mechaniker. Von den sechzehn Assistenten waren zwölf erfahrene Piloten und alle, bis auf zwei, qualifizierte Funker. Acht von ihnen konnten mit Kompass und Sextanten navigieren, einschließlich Pabodie, Atwood und mir. Dazu kamen noch die Mannschaften unserer beiden Schiffe, ehemalige Walfangschiffe, die für die Fahrt im Eis aufgerüstet worden waren und zusätzlich über Dampfmaschinen verfügten. Die Expedition wurde von der Nathaniel Derby Pickman Foundation finanziert und von einigen anderen Stellen zusätzlich unterstützt. Unsere Vorbereitungen waren äußerst sorgfältig und blieben nahezu von der Öffentlichkeit unbeachtet. Die Hunde, Schlitten, Maschinen, Lagerzubehör und die Teile der fünf Flugzeuge wurden nach Boston geliefert und auf unseren Schiffen verstaut. Wir waren für unser spezielles Vorhaben exzellent ausgerüstet, und in allen Belangen was Material, Nahrungsvorräte, Transport und Material für die Lagererrichtung betraf, konnten wir auf die jüngsten Erfahrungen unserer kompetenten Vorgänger bauen. Es lag an der außergewöhnlichen Anzahl und dem Ruhm dieser Vorgänger, dass unsere eigene Expedition – so ambitioniert sie war – so wenig von der übrigen Welt beachtet wurde.
Wie die Zeitungen berichtet haben, verließen wir den Hafen von Boston am 2. September 1930, nahmen gemächlich Kurs die Küste hinunter durch den Panama-Kanal, machten Halt in Samoa und in Hobart auf Tasmanien, wo wir unsere letzten Vorräte an Bord nahmen. Da niemand von unserer Expedition zuvor in den Polarregionen gewesen war, vertrauten wir völlig unseren Schiffskapitänen. J. B. Douglas kommandierte die Brigg Arkham und hatte das Kommando über den Verband, und Georg Thorfinnssen befehligte die Bark Miskatonic, beides altgediente Walfänger in den arktischen Gewässern. Als wir die bewohnten Bereiche der Welt hinter uns ließen, sank die Sonne im Norden immer tiefer und verharrte jeden Tag länger über dem Horizont. Ungefähr auf dem 62. südlichen Breitengrad sahen wir unsere ersten Eisberge, plattenförmige Objekte mit senkrechten Seiten. Kurz bevor wir den südlichen Polarkreis erreichten, den wir am 20. Oktober unter gebührend bizarren Feierlichkeiten überquerten, gerieten wir in größere Schwierigkeiten mit Treibeis. Die sinkenden Temperaturen bereiteten mir nach der langen Reise durch die Tropen erhebliche Schwierigkeiten, doch ich versuchte mich auf noch größere Unbill, die kommen würde, vorzubereiten. Bei vielen Gelegenheiten schlugen mich die merkwürdigen atmosphärischen Erscheinungen völlig in ihren Bann, dazu gehörte eine fast lebensechte Fata Morgana, die erste, die ich je gesehen habe, bei der die entfernten Berge die Gestalt von Wehrtürmen unvorstellbarer kosmischer Festungen annahmen.
Nachdem wir uns durch das Treibeis gekämpft hatten, das glücklicherweise keine große Fläche einnahm und nicht allzu dick war, erreichten wir auf 67 Grad südlicher Breite und 175 Grad östlicher Länge wieder offenes Wasser. Am Morgen des 26. Oktober »blitzte« im Süden Land auf und noch vor Mittag verspürten wir alle die Aufregung, als wir eine ausgedehnte, hohe und schneebedeckte Gebirgskette sahen, die sich vor uns erstreckte und unser gesamtes Gesichtsfeld durchzog. Zu guter Letzt hatten wir einen Ausläufer des großen, unbekannten Kontinents und seiner geheimnisvollen Welt des gefrorenen Todes erreicht. Diese Gipfel gehörten offensichtlich zum Admiralitätsgebirge, das Ross entdeckt hatte, und unsere Aufgabe war nun, Kap Adare zu umschiffen und an der Ostküste von Viktorialand entlang zu unserem ins Auge gefassten Platz für das Basislager am Ufer der McMurdo-Bucht am Fuße des Vulkans Mt. Erebus auf 77 Grad und 9 Minuten südlicher Breite zu gelangen.
Dieser letzte Abschnitt der Reise war abwechslungsreich und aufwühlend. Im Westen erhoben sich durchgehend geheimnisvolle, hohe, kahle Berggipfel, während die im Norden stehende Mittagssonne oder die noch tiefer stehende, den Horizont fast berührende Mitternachtssonne im Süden ihre trüben rötlichen Strahlen über den weißen Schnee schickte und dabei das Eis und die Wasserläufe blau und die kahlen Granithänge schwarz färbte. Zwischen den öden Gipfeln tobte in unregelmäßigen Abständen der schreckliche antarktische Wind herab, dessen sprunghaft variierenden Geräusche den vagen Eindruck eines wilden und fast melodiösen Pfeifens erweckten, dessen Töne eine große Bandbreite aufwiesen und aus einer unterbewussten Erinnerung heraus mich beunruhigten, ja sogar etwas Erschreckendes hatten. Irgendetwas an diesem Anblick erinnerte mich an die fremden und verstörenden asiatischen Malereien von Nicholas Roerich und an die noch fremderen und verstörenderen Beschreibungen des übel beleumundeten Plateau von Leng, die sich in dem gefürchteten Necronomicon des wahnsinnigen Arabers Abdul Alhazred befinden. Zu einem späteren Zeitpunkt tat es mir wirklich leid, dass ich niemals einen Blick in dieses unheilvolle Buch, das sich in unserer College-Bibliothek befindet, geworfen habe.
Am 7. November, der westliche Gebirgszug verschwand zeitweise aus unserem Blickfeld, passierten wir Franklin Island und am nächsten Tag sahen wir die Bergkegel des Mt. Erebus und des Mt. Terror auf der Rossinsel vor uns, und dahinter die lang gezogene Gebirgskette der Parry-Berge. Im Osten erstreckte sich jetzt die niedrige weiße Linie der großen Eisbarriere, die sich aber wie die Felsenklippen von Quebec senkrecht bis auf eine Höhe von 70 Metern erhob und den südlichsten Punkt unserer Reise markierte. Am Nachmittag fuhren wir in die McMurdo-Bucht ein, blieben aber vom Ufer weg im Windschatten des Vulkans Mt. Erebus, aus dessen Krater Rauch aufstieg. Der Lavagipfel erhob sich gut 4300 Meter vor dem östlichen Himmel wie der heilige Fujiyama auf japanischen Darstellungen, während dahinter die weiße, geistgleiche Masse des erloschenen Vulkans Mt. Terror die Höhe von 3600 Metern erreichte. Von Zeit zu Zeit stieß der Mt. Erebus Rauchwolken aus, und einer der graduierten Studenten, ein intelligenter junger Kollege namens Danforth, machte uns darauf aufmerksam, dass auf dem schneebedeckten Abhang wohl Lava zu sehen war. Er erklärte weiter, dass dieser Berg, 1840 entdeckt, ohne Zweifel die Quelle für Poes Vision gewesen sein musste, als er sieben Jahre später schrieb:
Wie die Berge, die rastlos spei’n,
Die Feuerströme ausspei’n,
Wie der Berg am Nordpol, der kreißend
Ein flammendes Meer gebiert,
Das sich gewaltsam und reißend
Hinunterstürzt und verliert,
Hinunterwälzt und verliert.
Danforth war ein eifriger Leser abseitiger Texte und hatte schon viel von Poe gesprochen. Ich selbst war auch wegen der antarktischen Szenerie in Poes einziger längeren Erzählung an dem Autor interessiert – dem verstörenden und verschlüsselten Arthur Gordon Pym. An dieser vegetationslosen Küste und auf der hochragenden Eisbarriere kreischten eine Unzahl von Pinguinen und schlugen mit ihren Flossen, während viele fette Robben im Wasser schwimmend oder auf langsam dahindriftenden Eisschollen zu sehen waren.
Kurz nach Mitternacht, am Morgen des 9. Novembers, gelang uns mithilfe von kleinen Booten eine schwierige Landung auf Ross Island. Wir zogen lange Taue von jedem der beiden Schiffe an Land und bereiteten das Ausladen unserer Ausrüstung mithilfe von Hosenbojen vor. Unsere Gefühle angesichts des ersten Betretens antarktischen Bodens waren ergreifend und vielfältig, selbst wenn an genau diesem Ort die Expeditionen von Scott und Shackleton schon vor uns da gewesen waren. Unser Lager auf der Eisfläche am Fuße des Vulkans war nur provisorisch, das Hauptquartier blieb weiterhin an Bord der Arkham. Wir brachten die gesamte Bohrausrüstung, die Schlitten und die Hunde, Zelte, Nahrungsvorräte, Benzintanks, die Gerätschaften zum Schmelzen des Eises, normale Fotoapparate und solche für Luftaufnahmen, die Flugzeugteile sowie anderes Zubehör, einschließlich dreier kleiner tragbarer Funkgeräte (zusätzlich zu denen in den Flugzeugen), mit denen wir in der Lage waren, von jedem Punkt des antarktischen Kontinents, den wir vorhatten aufzusuchen, mit der großen Funkanlage auf der Arkham in Kontakt zu treten, an Land. Mit der Funkanlage des Schiffes, gedacht für die Kommunikation mit der übrigen Welt, sollten Berichte zu der leistungsstarken Funkstation des Arkham Advertisers in Kingsport Head, Massachusetts, gesendet werden. Wir hofften, unsere Forschungen innerhalb eines antarktischen Sommers abzuschließen, wenn sich dies aber als unmöglich erweisen sollte, würden wir auf der Arkham überwintern und die Miskatonic, bevor das Eis zufror, nordwärts schicken, damit sie Nachschub für den nächsten Sommer holte.
Ich muss nicht wiederholen, was die Zeitungen schon über unsere anfängliche Arbeit berichtet haben, den Aufstieg auf den Mt. Erebus, unsere erfolgreichen Bohrungen nach Mineralien an verschiedenen Stellen von Ross Island und die einzigartige Geschwindigkeit, mit der Pabodies Gerätschaften diese selbst durch harten Fels erledigten, den provisorischen Test der kleinen Eisschmelzanlage, unsere gefährliche Überwindung der großen Eisbarriere mit Schlitten und Gerätschaften und schließlich das Zusammenbauen der fünf mächtigen Flugzeuge in dem Lager oberhalb der Eisbarriere. Die Gesundheit unserer Landungsgruppe – zwanzig Mann und 55 Alaska-Schlittenhunde – war bemerkenswert, obwohl wir bis zu diesem Zeitpunkt natürlich noch keinen wirklich bedrohlichen Temperaturen oder Stürmen ausgesetzt gewesen waren. Die meiste Zeit schwankte das Thermometer zwischen minus 18 Grad Celsius und minus 7 bis 4 Grad Celsius, aber durch die Winter in Neuengland waren wir an solche Verhältnisse gewöhnt. Das Barriere-Lager war nicht als unser Dauerlager geplant, es sollte als Vorratslager für Benzin, Verpflegung, Dynamit und anderen Nachschub dienen. Um die notwendige Forschungsausrüstung zu transportieren, brauchten wir nur vier der Flugzeuge, das fünfte verblieb – zusammen mit einem Piloten und zwei Männern von den Schiffen – beim Vorratslager, falls es notwendig werden sollte, uns von der Arkham aus zu erreichen, sollten unsere Erkundungsflugzeuge verloren gehen. Später dann, wenn wir die anderen Flugzeuge nicht mehr zum Transport der Ausrüstung bräuchten, würden wir eins oder zwei für einen regelmäßigen Pendelverkehr zwischen diesem Zwischenlager und einer dauerhaften Basis auf dem großen Plateau jenseits des Beardmore-Gletschers etwa 1100 Kilometer weiter südlich einsetzen. Trotz der nahezu gleichlautenden Berichte von entsetzlichen Winden und Stürmen, die vom Plateau herabkommen, verzichteten wir auf zusätzliche Lager und nahmen das Risiko im Gegenzug für Wirtschaftlichkeit und wahrscheinlich höhere Effizienz in Kauf.
Über Funk übermittelten wir Berichte von dem atemberaubenden vierstündigen Nonstop-Flug unseres Geschwaders am 21. November über das hohe Schelfeis und die im Westen aufragenden mächtigen Bergspitzen und von der unergründlichen Stille, in der das Geräusch der Flugzeugmotoren widerhallte. Der Wind bereitete uns nur mäßige Schwierigkeiten, und unser Funkkompass führte uns sicher durch ein dichtes Nebelfeld. Als sich vor uns, zwischen 83 und 84 Grad südlicher Breite, ein lang gezogener Berghang erhob, war uns klar, dass wir den Beardmore-Gletscher erreicht hatten, den größten Talgletscher der Welt, und dass die gefrorene See nun von einer zerklüfteten Bergküste abgelöst würde. Jetzt würden wir tatsächlich die weiße, seit Äonen tote Welt des tiefsten Südens betreten. Genau in dem Moment, als wir dies realisierten, sahen wir weit im Osten den Gipfel des Mt. Nansen, der sich bis in eine Höhe von 4500 Metern erhob.
Die erfolgreiche Einrichtung des südlichen Basislagers oberhalb des Gletschers auf 86 Grad, 7 Minuten südlicher Breite und 174 Grad, 23 Minuten östlicher Länge sowie die erfolgreichen Bohrungen und Sprengungen an unterschiedlichen Punkten, die wir mit unseren Hundeschlitten und mit kurzen Flügen erreichten, ist allgemein bekannt, ebenso die mühsame, aber triumphale Besteigung des Mt. Nansen von Pabodie und zwei Studenten, Gedney und Carroll, vom 13. bis zum 15. Dezember. Wir waren ungefähr 3400 Meter über Meereshöhe, und als Probebohrungen ergaben, dass sich an bestimmten Punkten nur vier Meter unter Schnee und Eis fester Boden befand, machten wir ausgiebigen Gebrauch von dem kleinen Schmelzgerät, brachten Bohrungen nieder und setzten Dynamit an vielen Stellen ein, wo keine der vorherigen Expeditionen überhaupt daran gedacht hatte, Bodenproben zu nehmen. Der präkambrische Granit und der Bake-Sandstein bestätigten so unsere Annahme, dass wir es mit einer homogenen Schicht eines ausgedehnten Kontinents, der sich in westlicher Richtung erstreckte, zu tun hatten, doch sich irgendwie von den Bereichen östlich unter Südamerika unterschied und von dem wir damals annahmen, er wäre ein kleinerer Kontinent, getrennt von dem größeren durch eine Eisbrücke des Ross- und Weddell-Meeres. Doch inzwischen hat Byrd diese Hypothese widerlegt.
Einige der Sandsteinschichten gaben uns nach den Bohrungen und Sprengungen unter Einsatz von Hammer und Meißel ihre Geheimnisse frei. Wir fanden einige hoch interessante fossile Abdrücke und Bruchstücke, hauptsächlich von Farnen, Seetang, Seelilien, Trilobiten, Krinoiden und Weichtieren wie Armfüßler und Seeschnecken, die alle in Verbindung mit der vorzeitlichen Geschichte dieser Region von großer Bedeutung waren. Außerdem gab es da noch eine sonderbare, dreieckig gestreifte Einkerbung von 30 Zentimetern Breite, die Lake aus drei Teilstücken Schiefer zusammengesetzt hatte, welche aus einer Tiefensprengung herrührten. Die Fragmente stammten von einem Punkt weiter westlich in der Nähe der Königin-Alexandra-Berge. Lake als Biologe erschien die seltsame Markierung außerordentlich rätselhaft und herausfordernd, doch für meinen Geologenblick sah sie der Faltenbildung, die man häufig bei Sedimentgestein vorfindet, nicht unähnlich. Da Schiefer nichts anderes als eine metamorphe Formation ist, in die Sedimentgestein eingepresst worden ist, und dieser Prozess zu verzerrenden Effekten wie dieser Markierung führen kann, sah ich keinen Grund, mich über diese Einkerbungen zu wundern.
Als am 6. Januar 1931 Lake, Pabodie, alle sieben Studenten, vier Mechaniker und ich selbst mit zwei der großen Flugzeuge direkt über den Südpol flogen, wurden wir von einem plötzlich aufkommenden, heftigen Wind, der sich glücklicherweise nicht zu einem der üblichen Stürme entwickelte, zur Landung gezwungen. Dies war, wie auch die Zeitungen berichteten, einer von mehreren Erkundungsflügen, bei denen wir neue Erkenntnisse über die topografischen Gegebenheiten in Regionen erlangen wollten, die bisherigen Expeditionen verschlossen geblieben waren. In dieser Beziehung waren unsere Flüge im Nachhinein gesehen enttäuschend gewesen, doch sie vermittelten uns einen großartigen Eindruck von den überaus fantastischen und trügerischen Luftspiegelungen in den Polarregionen, von denen wir auf See schon einen Vorgeschmack erhalten hatten. Weit entfernte Berge schwebten am Himmel wie verwunschene Städte, und oft verwandelte sich die gesamte weiße Landschaft in der Magie der tief stehenden Mitternachtssonne zu einem goldenen, silbernen, tiefroten Land dunsanischer Träume und abenteuerlicher Erwartung. Wenn es bewölkt war, hatten wir große Schwierigkeiten zu fliegen. Das lag daran, dass die schneebedeckte Landschaft und der Schnee in der Luft die Tendenz hatten, sich zu einem mystischen, undurchdringlichen Abgrund zu vereinigen, in dem es keine erkennbare Horizontlinie gab, die die beiden trennen würde.
Letztendlich beschlossen wir, unseren eigentlichen Plan umzusetzen, der darin bestand, mit allen vier Flugzeugen 800 Kilometer nach Osten zu fliegen und dort, an einem Punkt einer kleineren kontinentalen Abspaltung, wie wir damals irrtümlich glaubten, ein neues Zwischenlager einzurichten. Geologische Proben aus diesem Bereich würden uns als Vergleichswerte nützlich sein.
Wir waren immer noch in hervorragender körperlicher Verfassung, unsere einseitige Ernährung aus Konserven und Pökelfleisch ergänzten wir durch Limettensaft, und die Temperaturen, die sich konstant um 15 Grad minus bewegten, ermöglichten uns, ohne die dicksten Pelzjacken auszukommen. Es war jetzt Hochsommer, und wenn wir uns beeilten und vorsichtig blieben, könnten wir Anfang März unsere Arbeiten abgeschlossen haben und damit ein langweiliges Überwintern in der langen antarktischen Nacht vermeiden. Eine Reihe von heftigen Stürmen war aus dem Westen kommend über uns hereingebrochen, aber wir waren durch die Fähigkeiten von Atwood ohne Schäden davongekommen. Er hatte aus großen Schneeblöcken behelfsmäßige Schutzwälle für die Flugzeuge und Windbrecher errichtet und das Camp ebenfalls mit Schneewällen geschützt. Unser Glück und unsere Leistungsfähigkeit konnte man wirklich schon fast unheimlich nennen.
Die Öffentlichkeit kannte selbstverständlich unser Expeditionsprogramm und war natürlich auch über Lakes merkwürdiges und verbissenes Insistieren auf eine westliche oder eher nordwestliche Erkundungsexpedition informiert, noch bevor wir komplett ins neue Zwischenlager umgezogen waren. Es schien, als hätte er lange und mit verstörend gewagten Schlussfolgerungen über der dreieckigen Streifenmarkierung auf der Schieferplatte gegrübelt, was ihn dazu veranlasst hatte, darin einen Widerspruch zur Natur und der geologischen Epoche zu sehen, und dabei seine Neugier bis ins Unendliche steigerte, sodass er versessen darauf war, weitere Bohrungen und Sprengungen in der sich im Westen entlangziehenden Formation durchzuführen, zu der die ausgegrabenen Stücke eindeutig gehörten. Er war absonderlicherweise davon überzeugt, dass die Markierung vom Abdruck eines unförmigen, unbekannten und nicht klassifizierten Organismus stammte, der ziemlich hoch entwickelt war; dabei ließ er völlig außer Acht, dass der Fels, aus dem das Stück stammte, unglaublich alt war – aus dem Kambrium oder sogar dem Präkambrium. Damit konnte man eine mögliche Existenz von hoch entwickelten Lebensformen, ja sogar aller Lebensformen, außer Einzellern oder bestenfalls Trilobiten, ausschließen. Diese Fragmente mit ihrer seltsamen Markierung mussten 500 Millionen bis zu einer Milliarde Jahre alt sein.
Die Fantasie der Öffentlichkeit, so wie ich es sehe, entzündete sich an unseren Funkberichten von Lakes Aufbruch nach Nordwesten, wohin noch nie ein Mensch seinen Fuß gesetzt, geschweige denn, sich auch nur eine Vorstellung davon gemacht hatte, und sie entzündete sich, obwohl seine wilden Hoffnungen, die gesamte Wissenschaft der Biologie und Geologie zu revolutionieren, mit keinem Wort erwähnt worden waren. Die zusammen mit Pabodie und fünf anderen vom 11. bis zum 18. Januar durchgeführte Exkursion mit Schlitten, die die Bohrungen vorbereiten sollte und überschattet wurde von dem Verlust zweier Schlittenhunde, als man eine der großen Verwerfungen auf dem Eis überquerte, brachte immer größere Bereiche des urzeitlichen Schiefers zum Vorschein, und selbst ich war an der einzigartigen Menge von weiteren fossilen Spuren der gleichen Art in den uralten Schichten interessiert. Wie auch immer, diese Spuren mussten von sehr primitiven Lebensformen stammen und stellten kein größeres Rätsel dar, außer dass diese Spuren sich allem Anschein nach in einer präkambrischen Schicht befanden. Doch ich sah weiterhin keine ausreichende Begründung für Lakes Wunsch nach einer Unterbrechung unseres engen Zeitplans, einer Unterbrechung, die alle vier Flugzeuge, viele Männer und die gesamte technische Ausrüstung in Anspruch nehmen würde. Am Ende legte ich gegen den Plan keinen Einspruch ein, doch entgegen Lakes Bitte, aufgrund meines geologischen Fachwissens mich der Nordwest-Expedition anzuschließen, beschloss ich, darauf zu verzichten. Während die Expedition unterwegs war, verblieb ich mit Pabodie und fünf Männern im Basislager, um die endgültigen Pläne für die Verlegung nach Osten auszuarbeiten. Zur Vorbereitung dieser Verlegung war ein Flugzeug schon dabei, große Mengen von Benzin aus der McMurdo-Bucht heranzuschaffen, doch auch damit konnte man sich Zeit lassen. Im Lager befanden sich noch ein Schlitten und neun Hunde, denn es wäre dumm gewesen, in einer gänzlich verlassenen Welt des ewigen Todes ohne Transportmittel zurückzubleiben.
Wie jeder sich erinnern wird, schickte Lake von seinem Abstecher in unbekannte Regionen eigene Berichte mittels der Kurzwellensender in den Flugzeugen, die gleichzeitig auch von unseren Geräten und denen der Arkham in der McMurdo-Bucht empfangen wurden und von dort auf dem Fünfzig-Meter-Band in die Welt verschickt wurden. Die Expedition brach am 22. Januar um vier Uhr morgens auf, und die erste Funkmeldung erreichte uns nicht einmal zwei Stunden später, als Lake mitteilte, er würde landen und eine kleinere Bohrung zusammen mit einer geringen Eisschmelze ungefähr 500 Kilometer von unserer Position entfernt durchführen. Sechs Stunden danach erfuhren wir durch eine weitere begeisterte Nachricht von den hektischen Grabungen, bei denen eine nicht sehr tiefe Bohrung und eine Sprengung durchgeführt worden waren. Dies hatte zur Entdeckung von Schieferfragmenten geführt, die die gleichen Kratzspuren aufwiesen wie eben jene, die uns ursprünglich Rätsel aufgegeben hatte.
Nach weiteren drei Stunden wurde uns durch eine kurze Meldung mitgeteilt, dass man auf dem Weiterflug wäre und sich im Zentrum eines heftig tobenden Sturms befände. Als ich dagegen protestierte, sich weiteren Gefahren auszusetzen, antwortete Lake höflich, dass diese neu entdeckte Spezies alle Gefahren wert sei. Mir wurde klar, dass seine Begeisterung einen Punkt erreicht hatte, wo sie fast an Meuterei grenzte, und dass ich nichts gegen dieses kopflose Vorgehen, das den Erfolg der gesamten Expedition aufs Spiel setzte, unternehmen konnte. Der Gedanke an das immer tiefere Eindringen in diese heimtückische und unheimliche weiße Endlosigkeit von Stürmen und unergründlichen Geheimnissen, die sich von uns aus mehr als 2400 Kilometer zu der halb erwarteten, halb vermuteten Küste von Queen-Mary-Land und Knox-Land erstreckte, war äußerst beunruhigend.
Dann aber, nach einer oder anderthalb Stunden, kam aus Lakes in der Luft befindlichen Flugzeug die doppelt aufregende Meldung, die mich fast meine Vorbehalte vergessen ließ, und ich wünschte mir, ich hätte an der Expedition teilgenommen.
10.05 Uhr abends. Während des Fluges. Nach dem Schneesturm habe ich eine Bergkette vor uns gesehen, die höher ist als alles andere, was wir zuvor gesehen haben. Könnte dem Himalaja entsprechen, das Plateau eingeschlossen. Wahrscheinlich 76 Grad 15 Minuten südlicher Breite, 113 Grad 10 Minuten Ost. Erstreckt sich, soweit ich sehen kann, von rechts nach links. Glaube, zwei rauchende Bergkegel zu erkennen. Alle Gipfel sind dunkel und schneefrei. Stürme kommen aus dieser Richtung und behindern die Navigation.
Nach dieser Nachricht standen Pabodie, die Männer und ich sprachlos vor dem Empfänger, denn dieser riesige Bergzug, 1200 Kilometer entfernt, weckte in uns größte Abenteuerlust, und wir waren begeistert, dass unsere Expedition, wenn auch nicht wir persönlich, seine Entdecker waren. Eine halbe Stunde später meldete sich Lake erneut.