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Kim, Franzi und Marie sind "Die drei !!!". Mutig und clever ermitteln die drei Freundinnen und sind jedem Fall gewachsen. In Moorhausen wird die Moorleiche aus dem Dorfmuseum gestohlen – und vorbei ist es mit den entspannten Herbstferien! Die drei !!! nehmen die Ermittlungen auf, doch keiner der Verdächtigen hat ein Tatmotiv. Eines Abends machen Kim, Franzi und Marie auf dem Friedhof die entscheidende Entdeckung...
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Seitenzahl: 155
Maja von Vogel
Geheimnis im Düstermoor
Kosmos
Umschlagillustration von Ina Biber, Gilching
Umschlaggestaltung von Friedhelm Steinen-Broo, eSTUDIO CALAMAR
Grundlayout: Doppelpunkt, Stuttgart
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© 2015, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-440-15020-7
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
»Wie sollen wir das nur schaffen?« In Kims Stimme schwang Verzweiflung mit. »Ich fürchte, die Sache ist eine Nummer zu groß für uns. Dieses Mal haben wir uns zu viel vorgenommen.«
»Unsinn!« Marie schüttelte energisch den Kopf. »Die drei !!! haben bisher noch jeden Fall gelöst, wir werden auch diese Nuss knacken. Schließlich sind wir der erfolgreichste Detektivclub aller Zeiten.«
»Um die Nuss zu knacken, müssen wir sie erst mal finden«, bemerkte Franzi. »Wo sind nur diese verflixten Walnüsse?« Sie ließ ihren Blick an den langen Supermarkt-Regalen entlangwandern.
»Außerdem fehlen noch Vanilleschoten, Ziegenkäse und getrockneter Estragon.« Kim betrachtete mit gerunzelter Stirn den Einkaufszettel in ihrer Hand. »Und habt ihr eine Ahnung, was Beaufort sein soll? Ich weiß nicht mal, in welcher Abteilung wir danach suchen sollen.« Seufzend ließ sie den Zettel sinken. »Wir werden ewig für den Einkauf brauchen! Vielleicht hätten wir doch ein etwas weniger kompliziertes Menü zusammenstellen sollen.«
»Zum Glück haben wir ja fachkundige Unterstützung«, beruhigte Marie ihre Freundin. »Maxime wird schon dafür sorgen, dass nichts anbrennt.«
»Im wörtlichen Sinne!« Franzi kicherte. »Ich freue mich jedenfalls schon aufs Kochen.«
An diesem Samstag wartete eine besondere Herausforderung auf die Detektivinnen: Sie mussten ihre Fähigkeiten als Spitzenköchinnen unter Beweis stellen. Marie, Kim und Franzi hatten Maries Vater Helmut und seiner Lebensgefährtin Tessa einen Gutschein für ein romantisches Candlelight-Dinner geschenkt, als die beiden im Mai vor den Traualtar getreten waren. Marie dachte immer noch gerne an die romantische Hochzeit zurück, auch wenn es bei den Vorbereitungen einige unangenehme Zwischenfälle gegeben hatte. Doch die drei !!! hatten die schuldige Person rechtzeitig entlarvt, sodass das Fest reibungslos verlaufen war.
Heute Abend wollten Helmut und Tessa ihren Gutschein einlösen. Das Candlelight-Dinner sollte im Hauptquartier des Detektivclubs, dem Pferdeschuppen neben Franzis Haus, stattfinden. Gekocht wurde in der Küche der Familie Winkler. Maxime, ein französischer Sternekoch, den die drei !!! von einem ihrer letzten Fälle her kannten, hatte sich sofort bereit erklärt, ihnen etwas unter die Arme zu greifen. Sie hatten ausgiebig Rezepte im Internet recherchiert, bevor die ultimative Speisefolge schließlich feststand. Nun liefen sie seit einer geschlagenen Stunde durch den größten Supermarkt der Stadt, um die ellenlange Einkaufsliste abzuarbeiten.
»Den Pferdeschuppen müssen wir auch noch schmücken.« Kim knabberte nervös an ihrer Unterlippe. »Und die Crème brûlée vorbereiten. Sie muss vor dem Servieren mindestens zwei Stunden auskühlen.«
Die drei !!! hatten jede Menge Blumen, Kerzen, Lampions und Windlichter besorgt, um den Pferdeschuppen in ein duftendes Lichtermeer zu verwandeln. Außerdem durften sie Winklers gutes Geschirr und die silbernen Kerzenleuchter von Franzis verstorbener Oma Lotti ausleihen. Eine weiße Tischdecke und edle Stoffservietten lagen auch schon bereit. Marie konnte es kaum erwarten, die Gesichter von Helmut und Tessa beim Anblick der festlich gedeckten Tafel zu sehen. Die beiden würden Augen machen!
»Eins nach dem anderen.« Franzi nahm Kim die Liste aus der Hand. »Am besten, wir teilen uns auf. Kim holt die Vanilleschoten und den Estragon. Marie geht zur Käsetheke und besorgt den Ziegenkäse. Und ich suche die Walnüsse. In einer Viertelstunde treffen wir uns an der Kasse, okay?«
Kim und Marie nickten, dann schwärmten die Detektivinnen in alle Himmelsrichtungen aus.
Siebzehn Minuten später eilte Marie zum Kassenbereich. Franzi und Kim standen bereits am Ende einer langen Schlange.
Marie legte die Papiertüte mit dem Käse in den Einkaufswagen. »Ganz schön viel los heute. Na ja, eigentlich kein Wunder an einem Samstagvormittag. Ich weiß jetzt übrigens, was Beaufort ist.«
»Ein Käse?«, riet Kim mit Blick auf die Tüte.
»Genau!« Marie nickte. »Die Verkäuferin wusste sofort Bescheid. Beaufort ist ein Rohmilchkäse aus den französischen Alpen.« Plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Vielleicht sollte ich für Holger und mich auch mal ein Candlelight-Dinner organisieren. Ob er sich darüber freuen würde?«
»Bestimmt.« Kim schob den Einkaufswagen ein Stück weiter. »Ihr könnt wirklich froh sein, dass ihr so ein glückliches Paar seid.« Sie sah plötzlich traurig aus.
Marie legte tröstend die Hand auf Kims Arm. »Du vermisst Michi, oder?«
Seit Kims Freund zum Studieren in eine andere Stadt gezogen war, sahen sich die beiden nur noch selten. Die Fernbeziehung machte Kim ziemlich zu schaffen.
Kim nickte. »Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen, ihn nur alle paar Wochen zu sehen. Aber das ist nicht einmal das Schlimmste.«
Kim zögerte, bevor sie weitersprach. »Ich … also … das klingt jetzt vielleicht blöd, aber manchmal kommt es mir so vor, als würde Michi nicht nur in einer fremden Stadt, sondern in einer komplett fremden Welt leben.«
»Wie meinst du das?«, wollte Marie wissen.
»Ihm sind plötzlich ganz andere Dinge wichtig als mir«, erklärte Kim. »Wenn wir telefonieren und er mir von irgendwelchen Studentenpartys, Seminaren, Profs und Kreditpunkten erzählt, verstehe ich nur die Hälfte, wenn überhaupt. Es ist, als würde er chinesisch sprechen.«
»Kein Wunder, das Studium ist ja auch ein ganz neuer Lebensabschnitt«, bemerkte Franzi. »Das sagt zumindest Stefan immer.« Franzis älterer Bruder studierte bereits seit einigen Semestern BWL in der Stadt.
»Natürlich.« Kim seufzte. »Vielleicht sollte ich einfach etwas geduldiger sein.«
»Genau«, sagte Marie. »Das spielt sich bestimmt ein. Wann seht ihr euch denn das nächste Mal?«
Kims Miene hellte sich auf. »Morgen! Michi kommt dieses Wochenende endlich mal wieder nach Hause. Wir treffen uns nachmittags im Café Lomo. Ich kann’s kaum erwarten!«
»Das klingt doch schon viel besser.« Franzi warf einen Blick zur Kasse hinüber. Vor ihnen standen noch mindestens zehn Leute. »Das dauert ja ewig! Ich bin gleich kurz zum Skaten verabredet. Wenn wir noch lange hier herumstehen, komme ich zu spät.«
»Triffst du dich mit Benni und Leonhard?«, erkundigte sich Marie.
»Ja, genau.« Franzi trat ungeduldig von einem Bein aufs andere.
»Schon wieder?« Kim zog die Augenbrauen hoch. »Wart ihr nicht erst vorgestern zusammen im Skatepark?«
Franzi zuckte mit den Schultern. »Na und? Ist doch nichts dabei. Wir sind nur gute Freunde.«
»Ja, klar.« Kims Stimme triefte vor Ironie. »Die beiden scheinen es ja kaum einen Tag ohne dich auszuhalten.«
Franzi setzte gerade zu einer Antwort an, als ihr Handy klingelte. Sie zog es aus der Jackentasche. »Sorry, ich muss kurz drangehen … Hallo, Blake? Nein, du störst nicht. Ich bin gerade im Supermarkt. Kino um acht? Super Idee, aber ich kann leider nicht. Wir kochen doch heute für Maries Eltern.« Sie kicherte. »Danke, lieb von dir. Genau, aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Klar, morgen Abend hätte ich Zeit. Super, ich freu mich. Bis dann!« Ein rosafarbener Hauch lag auf Franzis Wangen, als sie das Handy wieder wegsteckte.
Marie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Du genießt dein Singleleben wirklich in vollen Zügen, was?«
»Wieso nicht?«, gab Franzi spitz zurück. »Ist doch nicht verboten, oder? Ich kann mich treffen, mit wem ich will.«
»Natürlich!« Marie lächelte entwaffnend. »Ich gönn dir ja deine Freiheit. Davon abgesehen ist Blake wirklich nett.«
»Und sicher auch nur ein guter Freund, oder?« Kim zwinkerte Marie vielsagend zu. Die beiden begannen zu kichern und Franzi wurde noch etwas röter.
»Allerdings.« Sie warf ihren Freundinnen einen wütenden Blick zu. »Glaubt doch, was ihr wollt!«
»Sei nicht gleich eingeschnappt, okay?«, gab Kim versöhnlich zurück. Sie seufzte. »Ich fürchte, das wird hier noch eine ganze Weile dauern. Warum gehst du nicht schon mal los? Den Rest schaffen Marie und ich auch alleine.«
»Ehrlich?« Franzi sah die beiden fragend an.
»Klar.« Marie nickte. »Wir können schließlich nicht zulassen, dass deine beiden Verehrer auf dich warten müssen. Benni und Leonhard verzehren sich bestimmt schon nach dir.«
Franzi verdrehte die Augen, musste aber trotzdem lachen. »Okay, dann hau ich jetzt ab. Danke, ihr zwei.«
»Keine Ursache.« Kim lächelte. »Wozu hat man schließlich Freundinnen?«
»Damit sie einen in den Wahnsinn treiben?« Franzi streckte Marie die Zunge heraus, bevor sie sich zwischen den wartenden Supermarktkunden hindurch zum Ausgang schlängelte. Kurze Zeit später waren ihre roten Zöpfe im Gewimmel verschwunden.
Detektivtagebuch von Kim Jülich
Sonntag, 13:09 Uhr
Bin vor einer Stunde von Franzi zurückgekommen, wo Marie und ich gestern nach dem Candlelight-Dinner übernachtet haben. Puh, die Koch-Aktion war ganz schön anstrengend. Eins weiß ich hundertprozentig: Ich werde nie im Leben ein Restaurant eröffnen. Viel zu stressig! Zum Glück hat alles super geklappt (na ja, fast alles …). Helmut und Tessa waren hin und weg, als wir sie in den Pferdeschuppen geführt haben. Unser Hauptquartier war aber auch wirklich nicht wiederzuerkennen mit all den Kerzen und dem duftenden Blumenschmuck. Natürlich hatten wir sämtliche Detektivutensilien und geheimen Unterlagen vorher in Franzis Zimmer versteckt.
Maxime hat dafür gesorgt, dass in der Küche keine größeren Katastrophen passiert sind. Das Menü war natürlich à la française: Nach der (mit Beaufort-Käse) überbackenen Zwiebelsuppe haben wir einen Salat mit Ziegenkäse und Walnüssen serviert, darauf folgte Estragonhähnchen mit knusprigem Baguette und als Dessert Crème brûlée. Das ist französisch und heißt so viel wie ›gebrannte Creme‹. Franzi hat das offenbar zu wörtlich genommen, denn sie hat den Karamellüberzug etwas anbrennen lassen. Aber Helmut und Tessa waren trotzdem hellauf begeistert und haben sich tausendmal für den schönen Abend bedankt. Unsere Idee war ein voller Erfolg!
Hinterher haben wir noch aufgeräumt und den Schuppen wieder als Detektiv-Hauptquartier hergerichtet. Leider haben wir gerade keinen aktuellen Fall. Schade eigentlich, denn in zwei Wochen beginnen die Herbstferien und wir hätten jede Menge Zeit für die Ermittlungen. Ich habe mir überlegt, dass wir die Ferien stattdessen nutzen könnten, um uns weiterzubilden. Gerade habe ich ein bisschen im Internet recherchiert und einen einwöchigen Krimi-Schreibworkshop für Jugendliche entdeckt, der während der Ferien im Künstlerdorf Moorhausen stattfindet. Moorhausen liegt im Düstermoor, einer großen Moorlandschaft, die kurz hinter dem Billershausener Märchenwald beginnt. Es gibt eine Menge Sagen und Legenden, die sich um diese Gegend ranken. Wenn das nicht die perfekte Kulisse für spannende Kriminalgeschichten ist! In letzter Zeit war so viel los, dass ich meine Schreibübungen ziemlich vernachlässigt habe. So werde ich nie eine berühmte Krimiautorin!
Jetzt muss ich nur noch Franzi und Marie von meiner Idee überzeugen, denn die beiden sollen natürlich mitkommen. Sie könnten an anderen Kreativkursen teilnehmen, es gibt zum Beispiel Kurse für Malerei, Bildhauerei oder Goldschmiedekunst. Hoffentlich sind sie genauso begeistert wie ich!
Geheimes Tagebuch von Kim Jülich
Sonntag, 13:47 Uhr
Finger weg von meinen geheimen Aufzeichnungen! Wer sich nicht daran hält, muss so lange angebrannte Crème brûlée essen, bis sie ihm zu den Ohren wieder rauskommt! Ich sag’s euch, das ist kein Spaß!
Ich bin stinksauer!!! Auf wen? Na, auf Michi natürlich! Er hat kurzfristig beschlossen, dieses Wochenende doch nicht nach Hause zu fahren. Dabei hatte ich mich schon so darauf gefreut, ihn heute endlich wiederzusehen! Ich habe sogar unseren Lieblingstisch im Café Lomo reserviert und gestern im Supermarkt ein kleines Schokoladenherz gekauft, das ich ihm schenken wollte. Das Schokoherz hab ich jetzt selbst gegessen, denn ich bin Michi offenbar nicht so wichtig wie die blöde Studentenparty, zu der er mit seinen Kumpels gehen wollte. Das muss man sich mal vorstellen: Er versetzt mich wegen einer Party! Und statt mich wenigstens anzurufen, schickt er mir nur eine kurze SMS, die ich gestern erst nach dem Candlelight-Dinner geöffnet habe. Vor lauter Enttäuschung und Wut konnte ich stundenlang nicht einschlafen. Zum Glück waren Franzi und Marie da und haben mich getröstet.
Ich bin wirklich froh, dass ich so tolle Freundinnen habe! Statt mit Michi treffe ich mich jetzt mit ihnen heute Nachmittag im Lomo. Am besten erzähle ich ihnen gleich von meiner Idee mit den Kreativferien in Moorhausen. Michi soll bloß nicht glauben, dass ich in den Herbstferien zu Hause hocke und auf ihn warte. Der Krimi-Schreibworkshop ist die perfekte Ablenkung – und nebenbei kann ich mit Marie und Franzi das Düstermoor erkunden und natürlich den ›Moorhausener Torfsoden‹ probieren. Das ist ein süßer Honigkuchen mit Schokoladenüberzug, den es nur im Düstermoor gibt. Mmmmh, lecker!
»Wie weit ist es denn noch?« Marie saß neben Tessa auf dem Beifahrersitz und wippte ungeduldig mit dem Fuß.
»In zehn Minuten sind wir da.« Tessas Blick war konzentriert auf die Fahrbahn gerichtet. Sie fuhren eine schmale Landstraße entlang, die rechts und links von kahlen Birken gesäumt wurde. Dahinter erstreckte sich die flache Moorlandschaft. Heute war der erste Tag der Herbstferien und Tessa hatte sich netterweise bereit erklärt, Marie und ihre Freundinnen nach Moorhausen zu kutschieren.
Marie drehte sich zu Kim und Franzi um, die auf der Rückbank saßen. »Die Idee mit den Kreativferien war echt super von dir, Kim. Das ist wirklich mal etwas anderes. Ich bin schon total gespannt auf den Malkurs.«
Marie und Franzi waren sofort begeistert von Kims Vorschlag gewesen und hatten die letzten Plätze in einem Mal- und Zeichenkurs ergattert, der parallel zu Kims Schreibwerkstatt stattfand. Die Eltern der drei !!! hatten nichts dagegen gehabt, dass die Mädchen in den Ferien wegfuhren.
»Schade, dass der Bildhauerkurs schon voll war«, sagte Franzi. »Bildhauerei hätte ich viel lieber gemacht. Keine Ahnung, ob dieser Malkurs etwas für mich ist. In der Schule bin ich eine ziemliche Niete in Kunst.«
»Wart’s ab, es wird dir bestimmt gefallen.« Kims Tonfall war zuversichtlich. »Du musst dich nur darauf einlassen.«
Franzi zog eine Grimasse. »Das sagt sich so leicht. Du bist natürlich Feuer und Flamme für deinen Schreibworkshop, du willst ja schließlich später Krimi-Autorin werden.«
»Oder Detektivin«, bemerkte Kim. Sie hatte sich noch nicht endgültig für einen ihrer beiden Traumberufe entschieden.
»Du kannst doch beides parallel machen«, warf Tessa von vorne ein. »Wer sagt denn, dass man nur einen Beruf haben kann?«
»Stimmt!« Marie nickte. »Du bist schließlich auch Kamerafrau und Designerin.«
Tessa hatte Maries Vater auf einem Filmset kennengelernt. Helmut Grevenbroich war ein bekannter Schauspieler, der viel vor der Kamera stand. Tessa designte neben ihrem Job als Kamerafrau T-Shirts und andere Kleidungsstücke für ihr Öko-Label Think Nature. Außerdem gehörten zu Maries Patchwork-Familie noch Lina, Tessas zwölfjährige Tochter, und Helmuts und Tessas gemeinsamer Sohn Finn, der Ende des Monats zwei Jahre alt wurde. Ein warmes Gefühl durchflutete Marie bei dem Gedanken an ihre Familie. Seit der Hochzeit waren sie alle noch enger zusammengewachsen. Auch wenn es manchmal Reibereien gab, so wusste Marie doch, dass sie sich auf Tessa und Lina genauso verlassen konnte wie auf ihren Vater. Und den kleinen Finn liebte sie sowieso heiß und innig.
Maries Handy piepte und sie warf einen schnellen Blick aufs Display. Eine SMS von Holger!
Viel Spaß im Moor! Du fehlst mir jetzt schon. Kann’s kaum erwarten, dich wiederzusehen.
Kuss, Holger
Marie lächelte. Holger war einfach süß! Plötzlich bekam sie wahnsinnige Sehnsucht nach ihm. Wie sollte sie es nur eine Woche ohne ihn aushalten? Schnell schrieb sie zurück. Als sie die SMS abschickte, bog Tessa gerade in eine schmale Auffahrt ein.
»Wir sind da, Mädels! Das muss der Eichenhof sein.« Tessa parkte den Wagen neben einem weiß verputzten Haus. Es hatte Sprossenfenster, einen großen Wintergarten und wurde von alten, knorrigen Eichen eingerahmt, die ihre kahlen Zweige wie schützende Hände über das Dach hielten und dem Hof seinen Namen gegeben hatten.
»Ist das schön hier!« Marie stieg aus dem Wagen und atmete tief die klare Herbstluft ein. Es roch nach Moos, Laub und ein bisschen nach Holzfeuer. Direkt hinter dem Haus begann der Wald. Zwischen den Bäumen lauerte schon die Dämmerung. Obwohl es noch Nachmittag war, hatte sich die Sonne bereits hinter die Bäume zurückgezogen.
Kim, Franzi und Tessa stiegen ebenfalls aus.
»Sieht sehr nett aus.« Tessa ließ ihren Blick über die weiße Fassade schweifen. Neben dem Eingang hing ein Schild, auf dem in grünen, verschnörkelten Buchstaben Pension Eichenhof stand.
»Hier werden wir uns bestimmt wohlfühlen«, stellte Kim fest.
»Worauf warten wir noch?« Franzi zerrte ihren Rucksack aus dem Auto. »Lasst uns endlich reingehen.«
Durch eine schwere Holztür gelangten sie in eine kleine Eingangshalle. Die alten Dielen knarzten unter ihren Füßen. Während die drei !!! ihr Gepäck abstellten und sich neugierig umsahen, kam eine Frau aus einem kleinen Zimmer hinter der Rezeption und ging lächelnd auf die Neuankömmlinge zu.
»Herzlich willkommen im Eichenhof!« Sie schüttelte nacheinander allen die Hand. »Ihr müsst die Feriengäste sein, die an unserem Kreativangebot für Jugendliche teilnehmen. Ich bin Mia Frehlert, die Besitzerin der Pension.«
»Dann haben wir miteinander telefoniert«, sagte Tessa. »Schön, dass Sie noch ein Zimmer für die Mädchen frei hatten.«
»Ihr bekommt das Dreibettzimmer im zweiten Stock.« Mia Frehlert deutete zur Treppe. »Wollen wir gleich hochgehen?«
Die drei !!! nickten.
»Kommt ihr ohne mich zurecht?«, fragte Tessa. »Ich muss leider gleich wieder zurück. Ich habe Lina und Finn versprochen, heute noch mit ihnen Kürbismuffins zu backen.«
»Kein Problem«, sagte Marie. »Wir sind schließlich keine Kleinkinder mehr.«
»Das weiß ich doch.« Tessa umarmte Marie und verabschiedete sich von Kim, Franzi und Mia Frehlert. »Habt eine schöne Woche, ihr drei!« Sie warf den Mädchen eine Kusshand zu und eilte davon.
»Auf geht’s!« Mia Frehlert ging vor, die dunkle Holztreppe hinauf. Die drei !!! griffen nach ihrem Gepäck und folgten ihr.
Im zweiten Stock führte die Pensionsbesitzerin die Mädchen in ein geräumiges Südzimmer mit großen Fenstern. Sie knipste die Deckenlampe an, denn draußen war es inzwischen dunkel geworden. Die Einrichtung bestand aus drei altmodischen Holzbetten mit verschnörkelten Blumenmustern an Kopf- und Fußende, einem rustikalen Eichenschrank, einem kleinen Tisch und drei Stühlen. Auf dem Tisch stand eine Vase mit Herbstastern, deren violette Blüten um die Wette leuchteten.
»Wie schön!«, rief Kim begeistert.
»Gefällt es euch?«, fragte Frau Frehlert.
»Und wie!«, sagten Franzi und Marie wie aus einem Mund.
»Das freut mich.« Die Pensionsbesitzerin lächelte den Mädchen zu. »Das Badezimmer befindet sich direkt gegenüber. Ich schlage vor, ihr packt jetzt erst mal aus. In einer Stunde gibt es Abendessen im Wintergarten neben der Rezeption. Dort wird auch das Frühstück serviert, jeden Morgen von sieben bis zehn Uhr. Außerdem findet ihr im Erdgeschoss unser Kaminzimmer, das allen Gästen offensteht und in dem wir jetzt im Herbst jeden Abend ein Feuer anzünden.«
»Super, vielen Dank«, sagte Franzi.
Nachdem Mia Frehlert gegangen war, inspizierte Marie zunächst das Bad. Befriedigt stellte sie fest, dass es offenbar vor nicht allzu langer Zeit renoviert worden war. Es gab eine frei stehende Badewanne und sogar eine Massagedusche. Marie liebte es, sich mit kleinen Wellnesseinheiten zu verwöhnen, und verzichtete auch auf Reisen nur ungern auf diesen Luxus. Sie zog ihr Kosmetiktäschchen hervor, frischte schnell ihr Make-up auf und fuhr sich mit der Bürste durch ihre glänzenden langen Haare. Nach einem letzten Blick in den Spiegel kehrte sie in ihr gemeinsames Zimmer zurück und begann, ihre Herbstgarderobe aus dem roten Rollkoffer in den Schrank zu räumen.