Die Eingeborenen vom Strom - Edgar Wallace - E-Book

Die Eingeborenen vom Strom E-Book

Edgar Wallace

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Beschreibung

Sanders ist ein britischer Kolonialbeamter. Seine Aufgabe ist es, in den britischen Kolonien in Afrika, Recht und Ordnung durchzusetzen. Nebenbei erfährt der Leser zwischen den Zeilen viel über den Kolonialismus vor der Zeit des ersten Weltkrieges. Als Kolonialismus wird die Inbesitznahme auswärtiger Territorien und die Unterwerfung, Vertreibung oder Ermordung der ansässigen Bevölkerung durch eine Kolonialherrschaft bezeichnet. Kolonisten und Kolonialisierte stehen einander dabei kulturell in der Regel fremd gegenüber. Zwar wird Sanders als Amtmann in die Hauptrolle gedrängt. Aber er ist bemüht, den Frieden der afrikanischen Stämme aufrecht zu erhalten und Weiße Händler und deren Ausbeutungsabsichten fern zu halten.

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Seitenzahl: 318

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Edgar Wallace

Die Eingeborenen vom Strom

Scratch Verlag

Klassik

e-book 114

Erscheinungstermin: 01.06.2022

© Scratch Verlag

Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

[email protected]

www.scratch-verlag.de

Titelbild: Simon Faulhaber

Vertrieb: neobooks

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Ein Spiel

Die redegewandte Frau

Die Missionarin

Der schnelle Wanderer

Der Geheimorden der Schweigenden

Das Dorf der Ketten

Der Denker und der Gummibaum

Die neun Schrecklichen

Die Königin der N'gombi

Der Mann am Platze

Die Gottesfrau

Ein Speerfabrikant

Derfromme Pilger

Sanders' Verbrechen

Frühling

Biographie

Vorwort

Mit seinem einzigartigen Stil hat Edgar Wallace mit Sanders, später auch mit Bones, einzigartige Hauptdarsteller in seinen Romanen geschaffen. Während sich die weltmächte vor dem ersten Weltkrieg um Besitzungen in Afriak und anderen Teilen der Welt streiten, versucht Sanders in seinem kleinen Verwaltungsbezirk Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten. Bei all dem Ju-Ju-Zauber und den eigensinnigen Medizinmännern, die auch als Zauberdoktoren bezeichnet werden, geht es darum, britisches Recht zu sprechen.

Im vorliegenden Band geht es jedoch weniger um Sanders, oder den erst später auftretenden Bones, sondern mehr um den Kleinganoven Amber.

Ein Spiel

Amtmann Sanders war auf Urlaub gewesen.

Seine dienstliche Tätigkeit bestand größtenteils darin, mühselige und gefährliche Züge durch Fiebergegenden zu unternehmen. Aber er hatte auch in seinen Ferien ein benachbartes Tropenland bereist, in dem nicht weniger Gefahren lauerten als in seinem eigenen Verwaltungsgebiet. Der einzige wahrnehmbare Unterschied zwischen seiner täglichen Arbeit und seiner Erholung lag eigentlich darin, dass er den Klagen und Sorgen eines andern zuhören musste, statt sich mit seinen eigenen Schwierigkeiten zu beschäftigen.

Trotzdem war Amtmann Sanders sehr befriedigt von seinem Urlaub, und das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass er sehr menschenfreundlich dachte und fühlte.

Seine Ferien hatten lange gedauert, denn er wanderte von St. Paul de Loanda über Land nach dem Kongo, erlegte im französischen Teil des Gebietes einige Elefanten auf der Jagd, fuhr mit dem Missionsdampfer zum Sangar-Fluß und kehrte dann nach Stanley Pool zurück.

In Matadi fand er einen Brief seines Stellvertreters vor. Dieser war ein nicht allzu strenger junger Mann, der von der Zentralverwaltung beauftragt worden war, Sanders Posten während dessen Abwesenheit einzunehmen; er war sehr befriedigt, dass man ihn für fähig hielt, einer so schweren Aufgabe gerecht zu werden.

Das Schreiben war ein wenig sprunghaft, aber Sanders las es so begierig, wie ein junges Mädchen seinen ersten Liebesbrief liest, denn es enthielt Nachrichten von dem Land, das ihm so sehr am Herzen lag.

„Mit Umfebi, dem Häuptling von Kulanga, habe ich einige Schwierigkeiten. Er bedrückt seine Leute hart, und wenn ich die dauernde Verwaltung des Gebietes hätte ... “ Sanders lachte grimmig und sagte: „Unverschämter Kerl“, aber diese Äußerung galt wahrscheinlich dem aufsässigen Umfebi. „Dagegen komme ich mit M'laka, dem Häuptling vom Kleinen Strom, gut aus. Er war sehr zuvorkommend und aufmerksam zu mir, als ich sein Dorf besuchte, und führte mir zu Ehren alle seine Tanzmädchen vor.“ Sanders machte ein verächtliches Gesicht. Er wusste, dass Wlaka ein Schuft war. „Bosambo, der Häuptling der Ochori, ist sehr höflich und fügsam. Ich erwähne dies ganz besonders, weil ich weiß, dass es Sie interessieren wird. Bosambo hat mir nämlich erzählt, dass er Ihr besonderer Schützling ist. Ebenso hat er mir berichtet, dass Sie ihn während seiner Kindheit auf Ihre eigenen Kosten erziehen ließen und sich jede Mühe gaben, ihm die englische Sprache beizubringen, das hatte ich noch gar nicht gewusst.“

Sanders war dies auch eine große Neuigkeit, und er schwur bei dem ehernen Himmel einen Eid, dass er diesen Bosambo von dem einen Ende seiner langen Dorfstraße bis zum andern unter Puffer und Fußtritten jagen würde, wenn er erst wieder daheim wäre. Bosambo war ein unverschämter Dieb, ein der liberianischen Regierung entlaufener Sträfling, der sich einfach selbst zum Häuptling der Ochori gemacht hatte. Aber zuweilen war er ein ganz brauchbarer Mann.

„Er ist sicher der Zivilisierteste unter allen Häuptlingen“, hieß es weiter. „Er hat der astronomischen Expedition, die in Ihrer Abwesenheit hierherkam, um die große Mondfinsternis zu beobachten wertvolle Dienste erwiesen. Die Herren sprachen sehr lobend vor seiner Zuvorkommenheit und seinen Anstrengungen, ihnen Instrumente und Gepäckstücke wieder zu beschaffen, die auf ihrer Reise den Strom hinunter entweder verloren gingen oder gestohlen wurden.“

Sanders lächelte, denn auch ihm selbst war schon Verschiedenes in Bosambos Gebiet abhanden gekommen.

„Ich werde wieder nach Hause gehen“, sagte er kurz entschlossen zu sich selbst.

Diese Absicht führte er auch auf dem schnellsten Wege aus und kam eines frühen Morgens wieder in seiner Residenz an der Mündung des Großen Stromes an. Sein Stellvertreter hatte ihn nicht so rasch zurückerwartet und schien über seine Ankunft nicht gerade erfreut zu sein, da er ein großes, freilich nutzloses Palaver vorbereitet hatte, zu dem die Häuptlinge des Gebietes eingeladen waren.

„Meiner Meinung nach kann der Frieden in diesem Lande nur aufrechterhalten werden“, erklärte er Sanders ernst, „wenn man direkt auf die Gemüter dieser blödsinnigen Leute einwirkt, und das kann man am besten und einfachsten tun, wenn sie alle beisammen sind.“

Der Amtmann streckte seine Beine bequem aus und blies der Rauch seiner Zigarre durch die Nase. Sie frühstückten zusammen auf der breiten Veranda des Hauses. Mr. Franks, so hieß der Vertreter, wurde in jeder Weise als Gast behandelt. Sanders unterdrückte eine scharfe Entgegnung und fragte nur:

„Wann soll denn das verdamm - ich meine, wann soll das große Palaver denn stattfinden?“

„Heute Abend.“

Sanders zuckte die Schultern.

„Da Sie alle Häuptlinge zusammengetrommelt haben und die Leute schon in den Hütten meiner Haussasoldaten mit Frauen und Dienern kampieren und meine Repräsentationsgelder bis auf den letzten Pfennig aufzehren, ist es wohl das Beste, wenn Sie das Palaver selbst abhalten.“

Am Abend versammelten sich alle Häuptlinge vor der Residenz. In einem großen Halbkreis hockten sie auf der Erde vor dem Sessel, auf dem Mr. Franks Platz genommen hatte. Er war sich seiner Würde voll bewusst, sein Gesicht war vor Erregung gerötet, und seine Augen leuchteten begeistert durch die goldgeränderte Brille.

Sanders hatte sich etwas weiter zurückgesetzt und sagte nichts, aber er betrachtete die Versammlung mit unfreundlichen Blicken. Er bemerkte ohne große Erregung, dass Bosambo von den Ochori den Ehrenplatz in der Mitte eingenommen hatte. Der Häuptling trug ein Leopardenfell und viele Ketten bunter Glasperlen um den Hals. Im Haar steckte ein Büschel Straußenfedern, und Ringe von poliertem Messing schmückten seine Arm- und Fußgelenke. Aber um allem die Krone aufzusetzen, hing.von dem Fell, das seine linke Schulter bedeckte, an einem feuerroten Bande ein großer Zierrat herunter, der einem Orden nicht unähnlich sah. Ihm gegenüber waren die anderen Könige und Häuptlinge wie gewöhnliche und alltägliche Leute anzuschauen. B'fari von den Größeren Isisi, Kulala von den N'gombi, Kandara von den Akasava, Etobi vom Fluss jenseits des Stromes und die Schar der kleineren Oberhäupter hätten ebenso gut gewöhnliche Lastträger sein können.

M'laka von den Kleineren Isisi eröffnete das Palaver.

„Oh, mein Herr Franki“, begann er, „wir sind sehr große Häuptlinge, und doch sind wir nur Hunde vor deinem leuchtenden Angesicht, das wie die Sonne ist, die aus Wolken hervorbricht.“

Mr. Franks, dem diese Anrede übersetzt wurde, räusperte sich und wurde noch einen Schein röter.

„Da du unser Vater bist“, fuhr M'laka fort, „und Sandi von uns gegangen ist, obwohl du ihn zu diesem Palaver gerufen hast, um deine Größe zu bezeugen, ist das Land fruchtbar geworden, die Krankheiten sind verschwunden, und es herrscht Friede unter uns.

Er vermied Sanders kühlen Blick, während seine Worte übersetzt wurden.

„Da Sandi gegangen ist“, sprach er dann mit erheucheltem Bedauern weiter, „sind wir traurig, denn er war in mancher Beziehung ein guter Mann. Aber er hatte nicht das große Herz und den milden Geist unseres Herrn Franki.“

Dieses und vieles andere sagte er. Es sei ratsam, alle Häuptlinge und Führer zusammenzurufen, damit sie hören könnten, wie ungerecht die Steuern erhoben würden und wie schwer das Leben unter gewissen herzlosen Oberherren sei - hier schaute er zu Sanders hinüber. Vor allem müsste die frühere Macht der Häuptlinge wiederhergestellt werden.

Andere Redner folgten. Sie sagten, dass sie große Trauer darüber empfänden, dass Herr Sandi sie verlassen wollte. Der Amtmann beobachtete, dass Mr. Franks errötete und unangenehm berührt schien, und erkannte, dass dieser nicht für die Verbreitung des Gerüchts von seinem Rücktritt verantwortlich war.

Endlich redete auch Bosambo, ehemals von Monrovia, jetzt Oberhäuptling der Ochori vom Ufer des Stromes bis zu den Bergen am Wald.

„Oh, mein Herr Franki, ich fühle Schande, dass ich sagen muss, was ich zu sagen habe, denn du bist zu mir gewesen wie ein Bruder.“ Er sprach mit großer Betonung und machte dann eine Pause, als ob er von seinen Gefühlen überwältigt würde. Franks war hingerissen, Sanders indessen schaute misstrauisch zu Bosambo hinüber.

„Aber Sandi war unser Vater und unsere Mutter, er trug uns in seinen Armen über reißende, schnelle Ströme, und mit seinem schönen Körper schützte er uns gegen unsere Feinde. Er machte seine Augen weit auf, um unsere guten Taten zu sehen, und er machte sie klein vor unseren Fehlern. Und jetzt, da wir ihn verlieren müssen, ist mein Bauch voll Trauer, und ich wünschte, ich wäre tot.“

Er ließ den Kopf hängen und bewegte ihn langsam von einer Seite zur anderen. Man sah Tränen in seinen Augen, als er den Blick wieder erhob: David wehklagte sicher nicht schmerzlicher um seinen Freund Jonathan, als Bosambo von Monrovia um das vermeintliche Scheiden seines Herrn.

„Franki ist gut“, fuhr er fort, und es kostete ihn sichtlich große Mühe, sich zu fassen. „Sein Gesicht ist strahlend und schön. Er ist so unschuldig wie ein Kind, und sein Herz ist rein, er ist nicht schlau und verschlagen.“

Franks rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, als ihm dieses Kompliment verdolmetscht wurde.

„Und wenn M'laka zu ihm spricht mit einer Zunge, die glatt ist wie Öl, dann glaubt Franki ihm. Aber Sandi weiß, dass M'laka ein Lügner ist und die Gesetze übertritt, denn er hat seinen Bruder vergiftet, während Sandi fort war, und ist nicht bestraft worden.“

M'laka erhob sich halb von seinem Sitz und griff nach seinem Elefantenspeer.

„Nieder“, fuhr Sanders dazwischen. Seine Hand langte blitzschnell zu seiner Hüfttasche, und M'laka duckte sich.

„Und wenn Kulala von den N'gombi einen Einfall in das Gebiet der Alamandi macht und Mädchen stiehlt, dann ist unser Herr Franki so gutmütig -“

„Du Lügner, du Hund, du gemeiner Fischfresser!“

Der empörte Kulala war aufgesprungen, und seine dicke Gestalt zitterte vor Wut.

Aber Sanders hatte sich nun auch von seinem Sitz erhoben und stand hochaufgerichtet neben seinem Stellvertreter. Ein Wink von ihm genügte, Beleidiger und Beleidigter hockten sich wieder auf den Boden nieder.

Alles, was jetzt folgte, blieb Mr. Franks unverständlich, weil sich niemand mehr die Mühe gab, ihm die Worte zu übersetzen, die gesprochen wurden.

„Es scheint mir, dass ich meine Häuptlinge in drei Klassen einteilen muss“, begann der Amtmann. „Der eine Teil sind echte Spitzbuben, der zweite Narren, und der dritte und größte Teil sind Spitzbuben aus Torheit. Nur einer von euch gehört in die erste Klasse und ist ein durchtriebener Gauner - und das ist Bosambo von den Ochori. Die anderen sind wie die einfältigen Kinder.

Bosambo hat die Lüge verbreitet, dass ich euch verlasse. Als nun euer Herr Franki euch zusammenrief, da habt ihr wie die törichten Narren, die ihre Gesichter in den Schatten wenden, gedacht: Nun ist es Zeit, schlecht von Sandi und gut von unserm neuen Herrn zu sprechen. Aber dieser Erzschelm und Lügner Bosambo ist viel gerissener als ihr alle zusammen, denn der hat sich schlau gesagt: Ich will gut von. Sandi reden, weil ich weiß, dass er bei uns bleibt. Und wenn Sandi mich hört, wird er mich lieben, weil ich ihn so gern habe'.“

Das war einer der seltenen Augenblicke in Bosambos Leben, in denen man ihn verwirrt und verlegen sehen konnte.

„Wenn ich morgen aus meinem Haus heraustrete, will ich keinen Häuptling oder Ältesten mehr hier in der Residenz sehen, denn euer Anblick macht mich schon krank. Ich höre lieber von meinen Leuten, dass ihr alle zu euren Dörfern zurückgekehrt seid. Später werde ich zu euch kommen und Palaver abhalten, besonders das eine wegen des Giftmordes. Das Palaver ist aus.“

Er ging mit Franks, der nicht recht wusste, ob er sich ärgern oder sich entschuldigen sollte, in das Haus zurück.

„Ich fürchte, dass meine Auffassung sich nicht ganz mit der Ihrigen deckt“, sagte Franks etwas betreten.

Sanders lächelte freundlich.

„Mein lieber Franks, die Ansichten zweier Menschen decken sich niemals völlig. Eingeborene handeln immer wie unter einem Zauber oder einem Bann - deswegen kenne ich sie ja auch so gut, denn ich habe selbst etwas von einem verzauberten Vogel an mir.“

Als er seine Koffer ausgepackt und den Inhalt an Ort und Stelle untergebracht hatte, sandte er nach Bosambo. Dieser ehrenwerte Häuptling erschien sofort, aber diesmal ohne allen Aufputz und Schmuck, und setzte sich demütig und bescheiden auf der Veranda zu Sanders Füßen nieder.

„Bosambo“, sagte Sanders kurz, „du hast eine Zunge wie ein Affe, der dauernd schwätzt.“

„O Herr, es ist gut, dass Affen schwätzen“, erwiderte Bosambo kleinlaut. „Sonst würde der Jäger sie niemals fangen können.“

„Das mag sein, aber wenn ihr Geschwätz größere Raubtiere anlockt, die sich heimlich an den Jäger heranschleichen, dann sind diese Tiere gefährlich. Du wirst später erzählen, warum M'laka seinen Bruder vergiftet hat. Erst möchte ich aber wissen, warum du gut mit mir stehen willst. Du brauchst nicht zu lügen, denn wir sprechen wie zwei Männer miteinander.“

Bosambo sah seinen Herrn unerschrocken und furchtlos an.

„O Herr, ich bin der kleine Häuptling eines kleinen Volkes, und obwohl ich nicht zu dem Stamm der Ochori gehöre, regiere ich sie doch weise. Ich habe Krieger aus ihnen gemacht, früher waren sie feige Weiber.“ Sanders nickte.

„Alles, was du sagt, ist wahr. Wenn es nicht so wäre, hätte ich dich längst fortgejagt. Das weißt du ganz genau. Auch habe ich Grund, dir wegen gewisser Dinge dankbar zu sein.“

„Herr“, entgegnete Bosambo ernst, „ich bettle nicht um kleine Gunst, denn ich bin ein Christ, wie du weißt, und kenne den heiligen Peter, den heiligen Paul und andere Heilige, deren Namen ich vergessen habe. Aber ich bin besser als alle diese Häuptlinge, und ich möchte deshalb König werden.“

„Was willst du werden?“, fragte Sanders erstaunt.

„Ein König“, antwortete Bosambo, nicht im mindesten eingeschüchtert, „denn ich bin dazu geeignet, und ein Zauberdoktor im Krulande, dem ich eine Flasche Gin schenkte, weissagte mir, dass ich einmal weite Länder beherrschen würde.“

,Nicht auf dieser Seite des Himmels“, erwiderte Sanders entschieden. Er sagte allerdings nicht Himmel, sondern brauchte einen kräftigeren Ausdruck, den ich hier nicht wiedergeben will. Bosambo zögerte.

„Die Ochori sind ein kleiner Stamm, und ihr Gebiet ist nicht groß“, sagte er halb zu sich selbst, „aber an meine Grenzen stößt das Land von M'laka, das dreimal so groß ist und sehr reich.“

Sanders hob den Kopf ungeduldig, aber plötzlich erkannte er den Humor der Situation.

„Gehe meinetwegen zu M'laka und erzähle ihm alles, was du mir eben gesagt hast. Wenn er dir freiwillig sein Reich übergibt, will ich damit zufrieden sein.“

„O Herr, das will ich tun, denn ich bin reich an Kenntnissen und Talenten und werde es schon fertigbringen.«

Würdevoll wie ein kaiserlicher Prinz schritt er durch den Garten und verschwand.

Am nächsten Morgen verabschiedete Sanders Mr. Franks - ein Küstendampfer hielt gerade draußen auf der Reede, und der Amtmann war froh, eine so günstige Gelegenheit zu finden. Die Häuptlinge hatten sich schon bei Sonnenaufgang auf den Heimweg gemacht, und am Abend nahm das Leben für Sanders wieder seinen gewohnten Gang.

Zwei Monate lang ereignete sich auch nichts Besonderes, aber nach Verlauf dieser Zeit besuchte M'laka seinen Schwager Kulala, einen Häuptling der N'gombi, der ein Mann von Ansehen und Einfluss war, denn er befehligte fünfhundert berühmte Krieger und Jäger.

Sie hielten ein Palaver miteinander ab, das den größten Teil einer Woche dauerte und durch einen großen Tanz beendet wurde.

Es war kein Zufall, dass am letzten Tag des Palavers zwei zitternde Ochorileute in das Dorf geführt wurden und dann den Opfertod starben. Erst diese Zeremonie gab dem Tanz die rechte Weihe.

Am nächsten Morgen zog M'laka mit seinem Verwandten gegen die Ochori zu Felde. Auf ihrem Marsch ergriffen sie einen Mann, den M'laka als einen Spion Sandis bezeichnete. Sie töteten ihn auf die übliche Art, und er starb, ohne ein Wort der Klage laut werden zu lassen. Dann machten sie drei Tage Rast.

M'laka kam mit seinen Kriegern im Morgengrauen zur Stadt der Ochori und hielt vorher im Wald ein kurzes Palaver ab. „Sandi wird von unserem Tun Nachricht erhalten, und Sandi, der weiße Teufel, wird mit seinen Soldaten kommen. Wir werden ihm aber sagen, dass wir gezwungen waren, so zu handeln, weil Bosambo uns zu einem Tanz einlud und dabei versuchte, uns umzubringen.“

„Bosambo hätte sonst uns umgebracht“, sagten seine Leute in singendem Ton.

Nachdem sie sich nun klugerweise für jeden Fall vorgesehen hatten und sowohl eine Entschuldigung als auch ein Alibi für ihre böse Tat zu haben glaubten, führte M'laka seine Krieger gegen den Ort.

Sie sahen die Stadt der Ochori im grauen Frühlicht verteidigungslos vor sich liegen. Keine Feuer brannten in der langen Hauptstraße, kein Rauchwölkchen aus den Hütten zeigte irgendwelche Tätigkeit an.

M'lakas Krieger bewegten sich in einer langen, unregelmäßigen Reihe schnell über die Lichtung, die den Ort vom Walde trennte. „Tötet sie!“, rief M'laka, und seine Worte wurden von den anderen aufgenommen und wiederholt.

Die Angreifer kamen immer näher, aber plötzlich trat Bosambo ganz allein aus einer am Rande des Ortes gelegenen Hütte und ging langsam zur Mitte der Straße.

M'laka sah auf einem Dreifuß mit dünnen Beinen etwas Gerades und Blitzendes befestigt, das ihm von verhängnisvoller Vorbedeutung erschien.

Die Sonne ging eben auf, und ihre ersten Strahlen, die sich über die Bäume des Waldes erhoben, spiegelten sich in einem glänzenden Rohr.

Sechshundert Krieger blieben bei diesem Anblick zu Tode erschrocken stehen. Bosambo berührte die große Messingröhre und drehte sie wie zufällig auf M'laka zu, der an der Spitze seiner Leute ungefähr dreißig Schritte davon entfernt stand. Bosambo bückte sich und schaute an dem blanken Zylinder entlang, als ob er sich noch einmal überzeugen wollte, dass der auch die richtige Stellung habe. M'laka ließ seinen kurzen Speer auf die Erde fallen und hob die Hände hoch, als er das sah.

„O Herr Bosambo“, sagte er in freundlichem Ton, „wir sind in friedlicher Absicht gekommen.“

„Und in Frieden sollt ihr wieder von hinnen ziehen“, erwiderte Bosambo und pfiff.

Plötzlich wimmelte die ganze Stadt von bewaffneten Kriegern. Aus allen Hütten kamen sie ins Freie.

„Ich liebe dich, wie ein Mann seine Ziegen liebt“, erklärte M'laka eifrig. „Ich sah dich im Traum, und mein Herz führte mich zu dir.“

„Auch ich sah dich im Traum, und deshalb stand ich so früh auf, um dir entgegenzutreten. Denn M'laka, der König der Kleineren Isisi, ist mir wie mein Bruder.“

M'laka, der den Blick nicht von dem leuchtenden Messingrohr wandte, hatte plötzlich einen guten Einfall.

„Dieses erbitte ich von dir, mein Herr und Meister: Erlaube mir und meinen Kriegern, in deine Stadt zu kommen und dort ein freudiges Opferfest zu feiern, denn dies ist ein Brauch von alters her.“

Bosambo dachte nach und kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Deine Bitte gewähre ich, aber alle deine Leute sollen ihre Speere mit der Schneide nach unten in den Boden stoßen, wie es unsere Sitte ist, bevor wir opfern.“

M'laka machte die beiden kleinen Doppelschritte, wie es die Eingeborenen zu tun pflegen, wenn sie in Verlegenheit geraten.

Bosambo machte sich wieder an dem Dreifuß zu schaffen.

„Es wird so geschehen, wie du gesagt hast“, erwiderte M'laka hastig und gab den Befehl.

Sechshundert niedergeschlagene, waffenlose Männer gingen durch die lange Hauptstraße. Links und rechts von ihnen marschierte je eine Reihe von Ochorikriegern, die ihre Speere nicht in den Boden gestoßen hatten. Vor Bosambos Hütte ließen sich M'laka mit seinem Schwager Kulala und seinen Anführern sowie die Ältesten der Ochori nieder. Es war halb ein Gastmahl und halb ein Palaver.

„Sage mir, o mein Herr Bosambo“, fragte M'laka, „wie kommt es, dass Sandi dir das Gewehr gibt, das Hahaha sagt? Es ist doch verboten, dass Häuptlinge oder Krieger dieses Landes mit Gewehren bewaffnet sind?“

„Sandi liebt mich“, erwiderte Bosambo schlicht, „aus Gründen, die ich nicht nennen darf, wenn ich nicht ein Hund sein will. Denn rinnt nicht dasselbe Blut in seinen und meinen Adern?“

„Das ist ein närrisches Geschwätz“, rief Kulala, „denn er ist weiß, und du bist schwarz.“

„Trotzdem ist es wahr“, entgegnete Bosambo ruhig, „denn er ist mein Vetter. Sein Bruder hat nämlich meine Mutter geheiratet, die in eine große Häuptlingstochter war. Sandi liebte sie auch und wollte sie eigentlich zum Weibe nehmen, aber es gibt Dinge, über die man nicht sprechen kann. Er hat mir dies gegeben.“

Unter dem Tuch, das er als Mantel um die Schultern gelegt hatte, zog er eine Ledertasche hervor, aus der er ein kleines Päckchen nahm. Langsam wickelte er drei kleine Holzbecher aus dem feinen Eingeborenentuch, mit dem sie umhüllt waren. Sie hatten die übliche Form von Trinkgläsern, wie man sie gewöhnlich im Handel findet, waren aber nicht größer als riesige Fingerhüte.

Jeder Becher war aus einem einzigen Stück Holz gedreht und sehr dünnwandig. Sie steckten ineinander, und Bosambo nahm sie nun feierlich und würdevoll auseinander.

Auf seinen Befehl brachte ein Ochori einen Stuhl aus dem Zelt und stellte ihn vor Bosambo nieder.

Darüber breitete der Häuptling einen Zeugstreifen und stellte die Becher darauf, die Öffnung nach unten gerichtet. Aus dem Innern der einen holte er eine kleine rote Kugel hervor, die aus Copa und Camholz zusammengeknetet war. Die beutegierigen Isisi beobachteten fasziniert jede seiner Bewegungen.

„Dieses hat mir Sandi geschenkt“, sagte Bosambo, „damit ich die langen Tage der Regenzeit angenehm verbringen kann. Mit diesen kleinen Bechern spiele ich mit meinen Ältesten.“

„Mein Herr Bosambo“, fragte M'laka, „wie spielst du denn?“ Bosambo schaute zum Himmel auf und schüttelte traurig der Kopf.

„Dies ist kein Spiel für dich, M'laka. Man muss dazu sehr schnell und scharf sehen können, und außerdem spielen es die Christen untereinander.“

Nun sind die Isisi sehr stolz auf ihre scharfen Augen. Am Großen Strom sagt man: „Hören wie die N'gombi, riechen wie die Buschleute, sehen wie die Isisi und laufen wie die Ochori.“

„Lass mich einmal sehen, was ich nicht sehen könnte“, erwiderte M'laka.

Bosambo legte achselzuckend die kleine rote Kugel auf den improvisierten Tisch hinter die Becher.

„Beobachte genau, M'laka! Jetzt lege ich die Kugel unter diesen Becher - ich bewege den Becher -“

Langsam verschob er die Gefäße.

„Solch ein dummes Spiel habe ich noch nicht gesehen“, sagte M'laka verächtlich.

„Und doch macht dieses Spiel mir und meinen Leuten, die scharf sehen können, viel Vergnügen“, entgegnete Bosambo; „denn wir wetten so viel Stäbe gegen so viel Salz, dass keiner der roten Kugel folgen kann.“

Der Häuptling der Kleineren Isisi wusste, wo sich die Kugel befand, denn er hatte einen leichten Kratzer an dem Becher bemerkt, der sie bedeckte.

„O Herr Bosambo“, antwortete er und zitierte ein Sprichwort. „Nur die Ratte kommt zum Fressen und verfuttert alles. Wenn ich nicht im Schatten deiner Hütte säße, könnte ich dir mit diesem Spiel all deine Stöcke und all dein Salz abgewinnen.“

„Die Nukusaratte ist ein kleines Tier, aber sie reißt das Maul gar gewaltig auf“, erwiderte Bosambo ebenso. „Ich möchte wetten, dass du nicht weißt, wo die rote Kugel ist.“

M'laka beugte sich vor. „Ich wette die Speere - meiner Krieger gegen die Speere de Ochori“, sagte er.

Bosambo nickte.

„Bei meinem Kopf, so soll es sein.“

M'laka streckte die Hand aus und hob einen Becher hoch, aber die Kugel lag nicht darunter, sie war auch nicht unter dem nächsten, wie Bosambo zeigte.

M'laka starrte ihn entsetzt an.

„Ich bin doch nicht blind“, sagte er rau. „Deine Zunge, Bosambo, ist wie die Flamme in trockenem Holz. Das knistert - klack, klack, klack!“

Bosambo nahm die Beleidigung hin, ohne sich gekränkt zu fühlen. „Es ist eben nur das Auge“, meinte er nachdenklich. „Wir Ochori können unheimlich schnell sehen.“

M'laka schluckte eine verletzende Bemerkung hinunter.

„Ich habe zehn Säcke Salz in meiner Hütte“, sagte er kurz entschlossen. „Und ich setze mein Salz gegen die Speere, die du eben gewonnen hast.“

„Bei meinem Herzen und Leben, so soll es sein.“

Bosambo nahm die rote Kugel und legte sie unter einen Becher. Wieder bewegte er die Gefäße langsam hin und her und änderte ihre Lage.

„Mein Salz gegen deine Speere“, rief M'laka frohlockend, denn er sah genau den richtigen Becher, der einen kleinen Flecken am Rande hatte.

Bosambo nickte, und M'laka beugte sich vor, um das Gefäß aufzuheben, aber der kleine Ball befand sich nicht darunter.

M'laka atmete schwer und schwor bei Ewa - das heißt dem Tode - und bei allen unbekannten Teufeln, bei der Krankheit Mongo und bei seinem Vater, der von Sandi aufgehängt und deshalb unter die Geister versetzt worden war.

„Ja, es kommt nur auf das Auge und auf schnelles Sehen an“, erklärte Bosambo fast traurig. „Man sagt ja auch am Großen Strom: „So sehen wie die Ochori“ -

„Das ist eine freche Lüge“, brüllte M'laka, „die Ochori sehen nichts anderes als den Weg, auf dem sie davonlaufen! Mache dieses Spiel sofort noch einmal.“

Wieder bedeckte Bosambo die rote Kugel mit einem Becher, aber diesmal pfuschte er, denn er stellte das Gefäß, unter dem die Kugel lag, auf eine unebene Stelle des Stuhls, und zwischen dem Rande des Bechers und dem Tuch blieb ein kleiner Zwischenraum, durch den man den roten Ball deutlich sehen konnte - und M'laka war nicht blind.

„Bosambo“, sagte er und nahm sich zusammen, „ich wette große Dinge, denn ich bin ein gewaltiger Häuptling, und du bist ein kleiner Häuptling. Und doch will ich diesmal alles wetten, was ich habe!“

„M'laka von den Isisi“, antwortete Bosambo langsam, „ich bin auch ein großer Häuptling und durch Verschwägerung mit Sandi verwandt. Auch bin ich ein Gottesmann, der die Sprache der weißen Leute sprechen kann und von Santa Antonio, Marki, Luki, den heiligen Timothi und ähnlichen Zauberern weiß. Unsere Wette sol so heißen: Wenn du den roten Ball findest, bin ich dein Sklave, ich Bosambo von den Ochori! Aber wenn du ihn nicht findest, dann sollst du dein Land an mich verlieren.“

„Die Krankheit Mongo soll über mich kommen, wenn ich nicht die Wahrheit rede“, schwur M'laka. „Ich stimme dieser Wette zu.“ Er streckte die Hand aus und berührte den Becher.

„Hier ist die Kugel!“, schrie er laut und hob ihn hoch. Aber sie war nicht zu sehen.

M'laka sprang auf und atmete schnell.

Er wollte eben heftig aufbegehren, doch dazu kam es nicht mehr denn in diesem Augenblick eilte ein Ochori, der eine Nachricht brachte, keuchend durch die Straße. Aber bevor er die Hütte seine Herrn erreichen und seine Meldung machen konnte, tauchten Sanders Soldaten schon auf dem Waldpfad auf.

Man sagt, Blutgeruch dringe weiter, als ein Mensch sehen kann. Es war ein taktischer Fehler, dass M'laka einen Späher von Sander getötet hatte.

Der Amtmann war beschmutzt, bestaubt und unrasiert, denn er war auf das Gerücht von Krieg und Mord hin in Gewaltmarsch auf den schlechtesten Waldwegen herbeigeeilt. Immer mehr Soldaten mit bloßen Waden, in blauen Uniformen, Sandalen und feuerroten Harbuschs erschienen auf der Lichtung und breiteten sich dort aus. In zwei Reihen fühlten sie vorsichtig gegen die Stadt vor, denn sie konnte ja vom Feinde besetzt sein.

Bosambo ahnte sofort die Zusammenhänge und ging dem Amtmann schnell entgegen. Auf ein kurzes Kommando hielten die Soldaten an, und halbwegs zwischen dem Wald und dem Ort traf der Ochorihäuptling mit Sanders zusammen.

„O Herr“, sagte Bosambo mit der üblichen Höflichkeit, „alle was ich habe, ist dein.“

„Es scheint, dass du noch am Leben bist, und das ist mehr, als ich erwartet habe. Ich weiß, dass M'laka, der Häuptling der Kleinere Isisi, sich in deinem Dorfe aufhält. Du sollst mir diesen Mann ausliefern, damit ich ihn richten kann.“

„M'laka kenn ich wohl“, erwiderte Bosambo bedachtsam, „und du sollst ihn haben. Aber wenn du von dem Häuptling der Kleineren Isisi sprichst, so sprichst du von mir, denn ich habe M'lakas Land durch ein gewisses Spiel gewonnen.“

„Darüber wollen wir später sprechen.“

Sanders führte seine Soldaten zur Stadt und besetzte alle vier Ausgänge. Dann ging er mit Bosambo zu dessen Hütte, wo M'laka und seine Ältesten auf ihn warteten. Denn der Gast eines Häuptlings geht nicht hinaus, um andere Gäste zu begrüßen.

„M'laka“, sagte Sanders, „es gibt zwei Wege für Häuptlinge, die Diener der Regierung töten. Der eine führt in die Höhe und ist kurz, wie du weißt.“

M'laka sah sich ängstlich nach einem Baum um, an dem ihn Sanders aufhängen könnte.

„Aber der andere, der lang und mühselig ist, wird dein Weg sein. Du wirst in das Dorf der Ketten gehen und dort nach dem Willen meines Königs arbeiten.“

„O Herr, wie lange?“, fragte M'laka mit gebrochener Stimme.

„Solange du lebst.“

M'laka nahm die lebenslängliche Zuchthausstrafe einigermaßen gelassen auf - denn es gab schlimmere Dinge.

„O Herr, du hast mich immer gehasst. Andere Häuptlinge hast du mir vorgezogen und begünstigt und mich unterdrückt. Mir hast du alle Vorrechte versagt, aber Bosambo, deinem Onkel -“

Sanders holte tief Atem.

„- hast du viele Gnadenbeweise gegeben. Du hast ihm sogar eine Feuerwaffe geschenkt.«

„Wenn ich mein Urteil nicht schon gefällt hätte“, entgegnete Sanders kühl, „würde ich dich jetzt aufhängen, M'laka, denn du bist der Vater der Lügen und der Sohn der Lügen. Welche Feuerwaffen habe ich Bosambo gegeben?“

„O Herr, du kannst es selbst sehen“, rief M'laka und zeigte mit dem Kopf auf den schrecklichen Dreifuß.

Sanders ging auf das Instrument zu.

„Bosambo“, sagte er mit verhaltenem Lachen, „ich denke an weiße Männer, die kamen, um den Mond zu beobachten.“

„O Herr“, erwiderte Bosambo freundlich, „das stimmt. Sie waren verrückt und schauten durch dieses Ding nach dem Mond und nach den Sternen.“

Sanders deutete auf das unschuldige Teleskop. „Das haben sie wohl verloren?“

Bosambo nickte.

„Sie verloren es, und ein Ochorimann brachte es mir. O Herr, ich habe es nicht verheimlicht, sondern hierhergestellt, wo alle Leute es sehen können.“

Sanders überschaute den Horizont. Rechts lag ein großer Streifen Marschland, jenseits in blauer Ferne, erhob sich, von der Morgensonne beschienen, ein kleiner Hügel mit der Stadt der Kleineren Isisi.

Er beugte sich zu dem Teleskop nieder und stellte es auf den Hügel ein, an dessen Fuß mehrere dunkle Hütten lagen.

„Schaue hindurch«, sagte er. Bosambo trat an seine Stelle. „Was siehst du?“

„Die Stadt der Kleineren Isisi“, entgegnete Bosambo.

„Sieh genau hin. Ist das nicht die Stadt, die du durch ein gewisses Spiel gewonnen hast?“

Bosambo bewegte sich verlegen hin und her.

„Wenn ich zu meiner neuen Stadt komme -“, begann er.

„Dann werde ich auch dorthin kommen“, sagte Sanders bedeutsam.

Auf dem Stuhl vor der Hütte standen noch die drei kleinen Holzbecher, und Sanders hatte sie gesehen, auch die rote Kugel. „Morgen werde ich einen Häuptling der Kleineren Isisi ernennen müssen. Wenn der Mond voll ist, werde ich den neuen Häuptling aufsuchen, und wenn er sein Land inzwischen durch dein gewisses Spiel verloren hat, dann werde ich zwei neue Häuptlinge einzusetzen haben - einen für die Isisi und einen für die Ochori. Und die Ochori werden dann sehr traurig sein, denn Bosambo von Monrovia wird von ihnen gehen.“

„Herr“, erwiderte Bosambo, der verzweifelt um sein Königreich kämpfte, „du sagtest doch, wenn M'laka sein Land gäbe, könnte Bosambo es behalten.“

Sanders legte die kleine rote Kugel unter einen Becher und änderte die Lage der Gefäße langsam.

„Wenn dein Spiel ehrlich ist, so zeige mir jetzt den Becher mit der Kugel.“

„O Herr, sie liegt unter dem mittleren“, entgegnete Bosambo, ohne zu zögern.

Sanders hob ihn auf.

Es war keine rote Kugel zu entdecken.

,Ich sehe, dass mein Herr Sandi auch ein Christ ist`, sagte Bosambo langsam. „Es war nur ein Scherz“, erklärte Bosambo seinen Ältesten, als der Amtmann gegangen war. „Solche und ähnliche Späße machte mein Herr sogar schon, als ich ihn in seiner Kindheit aufzog. Menchimis, lasst die Lokoll schlagen! Alles Volk soll zu einem großen Palaver zusammenkommen. Ich will die Geschichte von Sandi erzählen, der ein Halbbruder von mir ist von einer anderen Mutter ... “

Die redegewandte Frau

Bei den N'gombi lebte einst ein junges Mädchen, das eine beredte Zunge hatte. Wenn sie sprach, lauschten die Leute begierig, denn sie gehörte zu denen, die mit der Gabe geboren werden, andere Menschen durch ihre Worte aufzustacheln.

Sie reizte die Bewohner ihres eigenen Dorfes so sehr auf, dass sie sich in einer Nacht aufmachten und einen Beutezug in das französische Gebiet unternahmen. Dadurch brachte sie große Schande über ihren Vater, denn Sanders kam eilig nach Norden, und viele Übeltäter wurden durchgepeitscht, einer beinahe begraben. Nach diesem Vorfall hielt es ihr Vater für geraten, sie zu verheiraten, und zwar an einen starken Mann, der ihre Zunge im Zaum halten konnte.

Er gab sie also einem Häuptling, der zu dem N'gombivolk gehörte, und dieser entbrannte in so heftiger Liebe zu ihr, dass er sie zu seiner Hauptfrau machte, ihr eine Hütte nahe bei seiner eigenen erbaute und einen großen, blanken Messingring von etwa vierundzwanzig Pfund Gewicht um ihren Hals befestigte. Das war eine große Auszeichnung für sie, und sie wurde von den anderen Weibern des Häuptlings sehr darum beneidet.

Sie zählte beinahe fünfzehn Jahre, was man am Großen Strom schon fast ein mittleres Alter nennt. Infolgedessen war sie schon sehr klug und erfahren, was das Verhalten der Männer anbetraf. Einige hielten sie für zu schlau, und ihr Herr und Gemahl hatte gewiss Grund zur Klage, als er einmal ein oder zwei Tage zu früh von einer Jagdexpedition zurückkehrte und seine Frau glücklicher fand, als ihm lieb sein konnte. Sie war nicht allein. „M'fashimbi“, sagte er, als sie demütig vor ihm kniete und die Arme über der nackten Brust kreuzte, „in den Tagen meines Vaters hätte ich einen jungen Baum niedergebeugt, einen Strick um deinen Hals gelegt und ihn an dem Baum befestigt. Er wäre hochgeschnellt und dein Kopf wäre abgerissen worden. Dann hätte ich dich und den Mann verbrannt, der mir Schande gemacht hat. Aber das ist nicht nach dem Gesetz der weißen Männer, die jetzt das Land regieren. Und du ein viel zu geringes Weib, als dass ich deinetwegen meinen Hals aufs Spiel setzte.“

„O Herr, ich bin wenig wert.“

Einen ganzen Tag lang lag sie auf der Erde, umgeben von de Einwohnern des ganzen Dorfes. Sie sprach zu ihnen, während die Schmiede ihr den großen Messingring um den Hals absägten. Endlich war er entfernt, und der Häuptling sandte sie zu ihrem Vater zurück, von dem er sie um eine große Morgengabe gekauft hatte. Aber er fand bei seinen Leuten großen Widerstand gegen diese Maßnahme, denn sie hatte ihre Zeit gut genützt, und die Leute waren so hingerissen von ihrer Beredsamkeit, dass es beinahe eine Aufstand gab, als ihr Boot vom Ufer abstieß.

Denn keine Frau wird von ihrem Mann fortgeschickt, ohne Rache und Hass gegen ihn im Herzen zu tragen - ob sie sich nun in die teuersten Seidenroben aus Paris hüllt oder mit Camholzfarbe und Col bestrichen ist. Und M'fashimbi war kaum aus dem Dorf ihres Mannes fortgerudert, als sie den Plan fasste, sich bitter an ihm zu rächen.

Der Mann, mit dem und für den sie so viel gewagt hatte, begleitete sie in die Verbannung. Er hieß Otapo und war gerade nicht sehr klug.

Sie ruderten miteinander, und sie kniete hinter ihm in dem Kahn.

„Otapo, mein Mann hat mir großes Unrecht zugefügt und Staub auf mein Haupt gestreut, aber du hast nichts gesagt.“

„Was sollte ich noch sagen, da du schon so viel gesprochen hast?“, fragte Otapo gelassen. „Ich verfluche den Tag, an dem ich dich gesehen habe, M'fashimbi, denn mein Fehltritt hat mich ein Fischnetz gekostet. Es war das Beste im ganzen Dorf. Auch hat mir der Häuptling ein neues Stück Tuch weggenommen, das ich von einem Händler kaufte.“

„Wenn du das Herz eines Mannes und Mut besessen hättest, wär Namani, mein Gatte, jetzt tot.“

„Ich habe mich selbst umgebracht und habe mein Netz und mein schönes, neues Tuch verloren“, murrte Otapo.

„Du jammerst wie ein altes Weib“, höhnte sie.

„Ich wünsche nur, ich wäre als Mädchen geboren, dann wäre ich jetzt nicht bei dem Häuptling in Ungnade gefallen.“

Sie ruderten eine Weile schweigend.

„Wir wollen dort ans Ufer gehen“, sagte sie dann plötzlich. „Ich habe hier in der Nähe Schätze meines Mannes verborgen.“

Otapo wandte mit einem langen Ruderschlag die Spitze des Bootes dem Ufer zu.

Als sie es fast erreicht hatten, griff sie mit der Hand hinter sich und fasste einen kurzen Speer, wie man ihn zur Jagd in dichtem Gestrüpp gebraucht.

Sie hielt ihn in beiden Händen und zielte mit der Spitze auf die zweite Rippe unter seinem linken Schulterblatt.

Als das Kanu leicht auf den Sand auffuhr, stieß sie den Speer mit aller Kraft in seinen Körper.

Otapo machte eine Bewegung, als ob er sich erheben wollte, dann fiel er stumm in das seichte Wasser.

M'fashimbi watete ans Ufer, machte das Boot fest, zog den Toten an Land und schleppte ihn mit großer Mühe zu einer Stelle, die von einigen Bäumen verdeckt wurde.

„Otapo, du bist tot“, sagte sie, „und es ist besser, dass du gestorben bist; denn durch deinen Tod sollst du mich rächen. Im Leben warst du ja zu furchtsam dazu.“

Sie nahm den Speer und warf ihn ein paar Meter weiter fort, dann stieg sie wieder ins Boot, reinigte es von den Blutflecken und ruderte den Strom hinunter.

Nach einer Tagesreise kam sie im Dorf ihres Vaters an.

Sie klagte so laut und solange, dass die Bewohner sie schon hören konnten und ihr entgegenliefen, bevor sie ans Ufer gekommen war. Ihren schönen Körper hatte sie ganz mit Asche beschmiert und lange, grüne Blätter um ihre Hüften geschlungen, was ein Zeichen größten Kummers ist. Mit langsamen Ruderschlägen, die auch ein Ausdruck ihres Schmerzes waren, brachte sie ihr Kanu an Land.

„Dieses Weib ist entweder wahnsinnig, oder sie hat ein großes Unrecht erlitten“, sagte ihr Vater, der Häuptling des Dorfes.

Er erfuhr bald, um was es sich handelte, denn sie eilte das Ufer empor, fiel vor ihm auf die Knie nieder und umfasste seine Füße. Ewa - Tod über Namani, meinen Mann, der Lügen über mich, verbreitet und mich geschlagen hat, o du Vater aller Väter“, schrie sie.

„Weib, was soll dies alles bedeuten?“

Sie erzählte ihm eine Geschichte, eine haarsträubende Geschichte. Und was noch schwerwiegender war, sie berichtete sie ebenfalls von der Ermordung Otapos.