Die Elite von Ashriver - Broken Lies - Valentina Fast - E-Book

Die Elite von Ashriver - Broken Lies E-Book

Valentina Fast

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Beschreibung

Band 2 der Dark-Academia-Trilogie!

Tierwandlerin Riley wünscht sie nichts sehnlicher, als Teil der ehrwürdigen Gemeinschaft der Schatten zu sein. Aber dann muss sie für die Aufnahmeprüfung mit Ezra zusammenarbeiten: Er gehört nicht nur zur Elite der Ashriver Academy, sondern ist auch noch ein Flüsterer und damit einer von Rileys größten Feinden. Nicht nur, dass er sich einst gegen ihre Freundschaft stellte - er besitzt auch Kräfte, die Riley wie nichts anderes fürchtet. Doch Ezra kämpft gegen seine ganz eigenen Dämonen, und schnell wird klar, dass er etwas verbirgt. Die beiden werden immer weiter an ihre Grenzen gebracht, bis es plötzlich um Leben und Tod geht. Können sie es schaffen, ihre Differenzen zu überwinden?

Fesselnde Haters-to-Lovers-Romantasy von Erfolgsautorin Valentina Fast - Erstauflage exklusiv mit Farbschnitt & Charakterkarte (nur solange der Vorrat reicht)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 477

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Titel

Spoiler

Prolog

1. Kapitel

Riley

2. Kapitel

Riley

3. Kapitel

Ezra

4. Kapitel

Riley

5. Kapitel

Ezra

6. Kapitel

Riley

7. Kapitel

Ezra

8. Kapitel

Riley

9. Kapitel

Ezra

10. Kapitel

Riley

11. Kapitel

Ezra

12. Kapitel

Riley

13. Kapitel

Riley

14. Kapitel

Ezra

15. Kapitel

Riley

16. Kapitel

Ezra

17. Kapitel

Riley

18. Kapitel

Riley

19. Kapitel

Ezra

20. Kapitel

Riley

21. Kapitel

Ezra

22. Kapitel

Riley

23. Kapitel

Ezra

24. Kapitel

Riley

25. Kapitel

Ezra

26. Kapitel

Riley

27. Kapitel

Ezra

28. Kapitel

Riley

29. Kapitel

Ezra

30. Kapitel

Riley

31. Kapitel

Ezra

32. Kapitel

Riley

33. Kapitel

Ezra

34. Kapitel

Riley

35. Kapitel

Riley

36. Kapitel

Ezra

37. Kapitel

Riley

Epilog

Danksagung

Impressum

Inhaltsinformation

Weitere Titel der Autorin:

Secret Academy – Verborgene Gefühle

Secret Academy – Gefährliche Liebe

Eliza Moore – Flüsternde Schatten

Eliza Moore – Steinernes Herz

Stolen Crown – Die Magie des dunklen Zwillings

Die Elite von Ashriver – Hidden Secrets

Liebe Lesenden,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.Dazu findet ihr genauere Angaben am Ende des Buchs.

ACHTUNG: Sie enthalten Spoiler für das gesamte Buch.

Wir wünschen uns für euch alle das bestmöglicheLeseerlebnis.

Euer Team vom ONE-Verlag

Prolog

Würden Marvin Millers Freunde ihn beschreiben müssen, wären sich alle einig, dass er ein guter Mann ist. Loyal, fürsorglich, arbeitsam und immer für einen warmen Tee zu haben. Seine Liebe gilt ganz und gar seiner Familie. Seit zwanzig Jahren sind er und seine Gabby ein Paar, durchlitten Höhen und Tiefen und haben zwei bezaubernde Töchter bekommen. Und diesen Sommer werden sie sich endlich ihren großen Traum erfüllen: eine Kreuzfahrt in der Karibik.

Marvin lächelt kurz, während er sich vorstellt, wie er bald auf dem Deck des Schiffes sitzen wird, um auf das blaugrüne Meer hinauszuschauen. Dabei wird er sich mit einem seligen Lächeln anhören, wie seine Töchter sich zanken und seine Frau ihm leidenschaftlich von dem Buch erzählt, das sie momentan liest.

Marvin kann es kaum erwarten, nach all den Jahren, in denen sie als Familie schon für diesen Urlaub sparen. Er zieht seinen Mantel etwas fester um sich und eilt durch die nächtlichen Gassen von Phoenix. Um sich die Reise leisten zu können, hat er einen weiteren Job als Kurier angenommen. Dieser Umschlag ist seine letzte Lieferung heute, was an sich eine gute Sache ist, wären da nicht gleich drei Dinge, die ihm ein mulmiges Gefühl in seinem beleibten Bauch bescheren würden.

Erstens hat man ihm zuvor mitgeteilt, dass die Abholung des Umschlags sowie die Lieferung mitten in der Nacht erfolgen müssen. Das ist auch der Grund, warum er um Mitternacht herum an eine dunkle Tür, an einem unscheinbar wirkenden Gebäude klopfte.

Was ihn zum zweiten Grund für sein mulmiges Gefühl bringt. Denn erst dort hat ihm ein junger Mann mit etwas schiefer Nase und markantem Kinn gesagt, wohin genau er seine Lieferung bringen soll und dass er für den Weg nicht mehr als dreißig Minuten brauchen darf. Zudem war ihm eindringlich geraten worden, unter keinen Umständen den Umschlag zu öffnen.

Und der dritte Grund ist der wohl schwerwiegendste. Während der Fahrt in der Straßenbahn ist Marvin aufgefallen, dass der großformatige Brief nicht versiegelt war.

In seiner ganzen Zeit als Kurier ist ihm niemals derart mulmig gewesen wie in diesem Augenblick. Nervös blickt er auf seine Armbanduhr, während er die Gasse hinuntereilt und dabei das schmale Schild überprüft. Olivengasse. Er ist fast da. Und er hat nur noch zwei Minuten.

Natürlich hat sich Marvin die ganze Zeit gefragt, was so Wichtiges im Umschlag ist, dass ihm derlei Instruktionen gegeben worden waren. Immerhin ist es doch selbstverständlich, dass er als Kurier niemals einen Blick in die Unterlagen seiner Kunden werfen würde. Das ist gegen sein eigenes Berufsethos.

Sicher handele es sich um irgendeine wichtige Abgabefrist, die jemanden viel Geld kostet, wenn sie nicht eingehalten wird. Und Marvin will unter keinen Umständen schuld daran sein.

Deshalb wird er noch einmal schneller, während er die Hausnummern überfliegt, egal wie sehr jeder Schritt in seinem Knie zwickt. Dreiundzwanzig. Fünfundzwanzig. Siebenundzwanzig. Vor dem Haus mit der Nummer Neunundzwanzig bleibt er stehen. Wieder ein Blick auf seine Uhr. Halb eins.

Er atmet hörbar schwer, hustet angestrengt und verzieht den Mund, weil plötzlich leichtes Seitenstechen einsetzt. Aber er ist pünktlich. Und das ist das Wichtigste. Er kann es kaum abwarten, nach Hause zu seiner Gabby zurückzukehren und ihr von dieser aufwühlenden Lieferung zu erzählen.

Das Gebäude vor ihm ist schmal, mit Eingangsstufen, die zu einer weißen Tür führen, die von dunklen Töpfen mit üppig wachsenden Blumen flankiert wird. Efeu rankt sich rechts von der Haustür an einem Gitter hoch, bis zum Dach, wo es über der Regenrinne verschwindet. In dem Fenster neben der Tür kann Marvin hinter hellen Vorhängen warmes Licht brennen sehen.

Deshalb klingelt er nicht, sondern klopft zunächst vorsichtig. Immerhin ist es schon reichlich spät, und er will niemanden unnötig wecken.

Er wartet.

Doch nichts passiert.

Er trommelt nervös auf dem Umschlag herum.

Dann klopft er erneut.

Als wieder niemand reagiert, versucht er es ein drittes Mal.

Er runzelt die Stirn, dann zwingt er sich, zu klingeln. Das Geräusch schallt in der Tiefe der Nacht viel zu laut, auch wenn es durch die Tür hindurch gedämpft wird.

Schnelle Schritte kommen näher. Absätze auf Parkett vielleicht? Kurz darauf öffnet sich die Tür. Eine Frau erscheint im Türrahmen, mit lodernden Augen, die die Arktis zum Schmelzen bringen würden, und einem Lächeln, das ganze Nationen in den Krieg ziehen lassen könnte. Sie zieht die Tür auf. »Kommen Sie rein.«

Rote Funken schießen auf Marvin zu, so schnell, dass er nicht mehr dazu kommt, seinen Schutzschild hochzuziehen. Sirenenmagie. Der Wolf in ihm knurrt wütend, während seine Beine mechanisch einen Schritt vorwärtsmachen, in den Flur hinein, in dem es köstlich nach frischem Kuchen und Kaffee riecht. Welch seltsame Uhrzeit für solch einen Duft, schießt es ihm durch den Kopf.

»Kommen Sie mit.«

Marvins Eingeweide verkrampfen sich vor Furcht, während er gezwungenermaßen der schönen Sirene in ein Wohnzimmer folgt, wo eine weitere Person auf einem Sofa sitzt und ihn mit glasigem Blick anstarrt. Etwas an diesen Augen, an dieser Furcht darin sagt ihm, dass er nicht der Einzige in diesem Haus ist, der unfreiwillig eingetreten ist.

»Setzen Sie sich.«

Er setzt sich. Auf den Boden.

Die Sirene seufzt, als wäre er schwer von Begriff, und nimmt ihm den Umschlag ab. Mit spitzen Fingern zupft sie an der Lasche. »Tztztz«, macht sie tadelnd und zieht mehrere Zettel heraus. »Da war wohl jemand neugierig.«

Marvin will den Mund öffnen und etwas erwidern, doch sie hebt eine Hand. »Schweigen Sie.«

Er presst die Lippen aufeinander, und während er in Gedanken brüllt, sie solle ihn frei lassen und sein Wolf schier ausflippt, ist er äußerlich völlig still.

Die Frau überfliegt die Zettel und schürzt ihre rot geschminkten Lippen, bevor sie nickt. »Fantastisch.« Die Unterlagen schiebt sie zurück in den Umschlag, den sie dann der anderen Person überreicht. »Lege ihn jetzt in eine Schublade in eines der Büros, ganz nach unten. Und dann vergiss, dass du hier gewesen bist.«

Die Person nickt, und ihre funkelnden Augen verraten Marvin alles. All die Wut. Den Hass. Den Kampf.

»Und Sie.« Die Frau wendet sich ihm zu und lächelt ihn entschuldigend an. »Sie waren zu spät. Gehen Sie hinaus, bis zum Ashriver, und springen Sie hinein. Kämpfen Sie nicht dagegen an.«

Kalter Angstschweiß überzieht seine Haut, und alles in ihm tobt vor Angst, als er aufsteht und das Haus verlässt. Die andere Person geht einen Teil des Weges mit ihm gemeinsam, bis zum Ashriver, doch dann biegt sie ab. Ohne zurückzublicken. Ohne ihm zu helfen. Völlig auf den eigenen Auftrag fixiert.

Marvin hingegen läuft weiter, bis zu der Mauer, die den Weg von dem breiten Fluss trennt. Das Rauschen des im Laternenlicht glitzernden Wassers schwillt bedrohlich an, je näher Marvin ihm kommt. Sein Körper ist trotz der kühlen Luft nassgeschwitzt, als er auf die kleine Mauer klettert. Es gibt kein Zögern. Keinen Schrei. Nur ihn, wie er einen Schritt nach vorne macht, fällt und dann vom Wasser verschluckt wird.

Er kämpft nicht dagegen an, als Wasser seine Lungen füllt, und jede Faser seines Körpers brennt, wie von Flammen umschlossen.

Er kämpft nicht dagegen an, als alles in seinem Inneren nach seiner Frau schreit. Gabby. Gabby. Gabby.

Er kämpft nicht dagegen an, als Luftblasen seinem Mund entkommen und er automatisch einatmet.

Und er kämpft nicht dagegen an, als die Dunkelheit einsetzt und sein Herz ein letztes Mal schlägt.

1. Kapitel

Riley

»Ich schwöre dir, irgendein beschissener Dämon ist aus der Hölle emporgekrochen und hat dafür gesorgt, dass Ezra mein Pate wird«, knurre ich ins Telefon, das ich zwischen Ohr und Schulter geklemmt habe. Dabei umklammere ich mit einer Hand die Kleiderbügel, an denen in Plastik eingepackte Hemden hängen. Mit der anderen halte ich mich an dem Griff in der Straßenbahn fest. Selbstverständlich bin ich mitten in der Rushhour, und scheinbar ist jeder Bewohner von Phoenix mit genau dieser Bahn unterwegs, denn jeder verdammte Platz ist besetzt. Es riecht nach dem Käsesandwich der alten Dame im Sitz rechts von mir und nach dem aufdringlichen Parfüm des Kerls, der mir gegenübersteht. Jedes Mal, wenn die Bahn eine Biegung macht, stoße ich jemanden an, aber ich mache mir schon keine Mühe mehr, mich immer wieder dafür zu entschuldigen. Ich schwitze, obwohl ich wegen des Frühlingswetters nur einen dünnen Pullover trage. Und so, wie die zwei Teenager drei Reihen weiter ihre Köpfe lästernd zusammenstecken und immer wieder Blicke in meine Richtung werfen, bilde ich mir die Schweißflecken unter meinen Armen nicht nur ein. Als würde mich ihre Meinung interessieren.

Am anderen Ende der Leitung lacht Jade leise, und ich höre das Klirren von Gläsern. Sie ist am Anfang ihrer Schicht im Biber und hat sicher Besseres zu tun, als mir beim Jammern zuzuhören. Aber so ist meine Cousine nun mal, sie nimmt sich immer Zeit, um für mich da zu sein.

Eigentlich habe ich sie überhaupt nicht verdient. Sie und ihre Güte mir gegenüber.

Nach allem, was ich in den letzten Monaten abgezogen habe, wäre es nicht überraschend gewesen, wenn sie den Kontakt abgebrochen hätte.

Aber das hat sie nicht, weil sie eine viel bessere Person ist, als ich es jemals sein könnte. 

»Vielleicht solltet ihr euch einfach mal zusammensetzen und ein klärendes Gespräch führen. Ich wette, ihr würdet euch sogar richtig gut verstehen, wenn du es nur zulassen würdest.«

Ich. Nicht wir. Als wäre Ezra so viel besser. Dabei ist meine Abneigung ihm gegenüber ganz natürlich. Ich bin eine Tierwandlerin und er ein Flüsterer. Er kann Tiere beeinflussen, mich beeinflussen, wenn er es darauf anlegt. Das ist schon Grund genug, einen großen Bogen um ihn zu machen. 

Und das würde ich auch weiterhin, hätte ich eine andere Wahl.

Traurigerweise wurde Ezra jedoch ausgewählt, mich in der Bewerbungsphase für die Gemeinschaft der Schatten zu quälen. Natürlich. Wieso sollte es auch jemand sein, der mich mögen könnte? Nicht, dass es viele Leute davon gäbe.

»Ich bin nur nach Phoenix gefahren, weil Ezra behauptet hat, dass er die Hemden morgen braucht. Ha! Wir tragen verdammte Uniformen an der Akademie.« 

»Ist das nicht normal in solchen Studierendenverbindungen? Sie nerven die Neuen mit ätzenden Aufgaben, bevor sie sie aufnehmen.« Jade schnaubt voller Abscheu. »Ich hätte da gar keine Lust drauf.«

»Habe ich ebenfalls nicht«, erwidere ich und atme hörbar durch, als ein Schwall Leute aus der Straßenbahn steigt und ein Platz für mich frei wird. Das Metall der Kleiderbügel hat helle Linien auf meiner Handfläche hinterlassen, und ich hänge sie mit einem erleichterten Seufzen an den leeren Sitz vor mir. »Ich habe nur keine andere Wahl. Ohne die Unterstützung meiner Eltern habe ich niemanden, der mir dabei helfen kann, für meinen Master an die Universität von Calgary zu kommen. Erst recht nicht mit meinen mittelmäßigen Noten. Dieser Club ist die einzige Chance, um Kontakte zu knüpfen und irgendwen dazu zu bringen, mir ein Empfehlungsschreiben auszustellen.« Ohne dieses Schreiben werde ich niemals den Master an derselben Universität wie mein Vater machen können, um in seine Anwaltskanzlei einzusteigen. Ich muss, und ich werde es schaffen. Und wenn es bedeutet, dass ich mich von Ezra fucking Clarkson wie eine Dienerin behandeln lassen muss.

»Sind deine Eltern immer noch nicht eingeknickt? Ich war sicher, sie würden nicht so lange sauer auf dich sein.« 

Glücklicherweise kennt Jade nicht die gesamte Wahrheit. Nämlich, dass ich letzten Herbst den Notarvertrag für ihre Wohnung in Phoenix zerrissen habe. Eine Wohnung, die meine Eltern ihr zu Weihnachten geschenkt haben, damit sie von nun an immer ein Zuhause hat. Sie weiß nur, dass wir Stress hatten und meine Eltern mir eine Lektion erteilen wollen. Und ich werde ihr die Wahrheit nicht aufs Auge drücken. Weil ich eine niederträchtige Person war. Weil ich mich inzwischen total schäme. Und weil ich es von jetzt an besser machen werde. 

»Nicht so richtig. Dieses Mal meinen sie es wirklich ernst.« Ehrlich gesagt, kann ich sie sogar verstehen. Mir ist klar geworden, dass ich mich wie eine total verzogene Göre benommen habe, die wie ein treuherziges Schaf auf die Lügen ihres Exfreundes reingefallen ist, der sie die ganze Zeit nur verarscht hat. Selbst bei der Erinnerung an diesen peinlichen Wutanfall werden meine Wangen siedend heiß vor Scham. Ich war so unfassbar naiv.

Ich atme den plötzlichen Schmerz und all die Wut in der Brust weg. »Egal, Mom hat mich jedenfalls gefragt, ob wir ihr morgen beim Einkaufen helfen können. Für den Frühlingsball.« Eigentlich habe ich keine Lust. Wer geht schon gerne mit seiner Mom einkaufen? Aber wenn ich Jade nicht frage, wird Mom es rausfinden, und das wäre super unangenehm.

Jade stößt ein »Wie nett von ihr. Sehr gerne« aus, und sofort überkommt mich das schlechte Gewissen. Immerhin habe ich eine Mutter die sich für mich interessiert, und im Gegensatz zu ihrer ist meine geradezu perfekt. Fürsorglich. Aufmerksam. Liebevoll.

Jade liebt es, Zeit mit unserer Familie zu verbringen, während ich darauf verzichten könnte. Ich bin so eine schlechte Person. Weil ich so viel Gutes im Leben habe, aber nicht ansatzweise genug Dankbarkeit empfinde.

»Super, dann gebe ich meiner Mutter Bescheid«, stoße ich doppelt enthusiastisch aus.

»Ich muss leider auflegen«, erwidert Jade nun, und als eine altbekannte Stimme im Hintergrund ertönt, verdrehe ich unwillkürlich die Augen. Marina Darnell, meine persönliche Nemesis. Marina, die ich so sehr hasse, dass allein ihr Anblick reicht, um mir Magenschmerzen zu verursachen. Marina, die jetzt Jades Freundin ist. Nicht ihre beste, weil niemand mir diesen Rang ablaufen könnte, aber sie sind definitiv enger befreundet, als mir lieb ist.

Wieder erklingt Marinas Kichern, und ich unterdrücke einen gespielten Würgereiz. Weil ich genau weiß, dass Jade das nicht witzig fände.

»Klar, kein Problem.« Meine Stimme klingt normal, während ich bewusst meinen Kiefermuskel lockere, weil ich die Zähne mal wieder zu fest aufeinandergepresst habe. »Wir sehen uns nach deiner Schicht?«

»Unbedingt! Dann stoßen wir darauf an, dass sie dich aufgenommen haben.«

»Oder wir ertränken meinen Kummer, weil sie es nicht getan haben«, erwidere ich scherzeshalber, auch wenn das absolut unrealistisch ist. Denn sie werden mich aufnehmen. Das müssen sie. Immerhin bin ich eine Drawing. Meinem Vater gehört die gefürchtetste Anwaltskanzlei in ganz Phoenix. Wenn jemand in die Gemeinschaft der Schatten gehört, dann ja wohl ich. Letzten Frühling hat Edward mich mit irgendwelchen fadenscheinigen Gründen davon abgehalten, der Verbindung beizutreten. Doch dieses Jahr wird mich nichts mehr aufhalten.

»Das wird nicht passieren. Es wäre absurd, wenn sie dich nicht aufnehmen würden.«

Ich lächle. Weil sie es ernst meint und mich immer noch liebt, obwohl ich so viele Fehler begangen habe. »Bis später.«

Nachdem wir aufgelegt haben, öffne ich wie automatisch meine Nachrichten. Doch niemand hat mir geschrieben. Natürlich nicht. Meine einzigen Freunde sind Vincent und Asher, mit denen ich so gut wie nie schreibe. Immerhin sehen wir uns zu fast allen Mahlzeiten an unserem Stammplatz in der Cafeteria oder während gemeinsamer Kurse.

Früher hatte ich eine ganze Schar von Freundinnen, aber über die letzten Jahre habe ich sie nach und nach alle verloren, weil Edward mich so sehr für sich eingenommen hat. Ich könnte ihm die Schuld dafür geben, doch am Ende war ich diejenige, die sich distanziert hat. Diejenige, die sich nach dem Wechsel von der Schule auf die Ashriver Academy mehr mit Edward als mit ihnen beschäftigt hat. Ich habe nicht einmal bemerkt, wie abhängig ich mich von ihm gemacht habe. Bis es zu spät war.

Inzwischen sind wir schon einige Monate getrennt, und ich musste feststellen, dass viele meiner angeblichen Freunde nie wirklich an mir interessiert gewesen sind. Offenbar ist ihnen Edwards Freundschaft wichtiger. Weil er als Sohn des Bürgermeisters mehr zu bieten hat.

Gedankenverloren schaue ich aus dem Fenster der Straßenbahn und betrachte das vorbeiziehende Phoenix, mit seinen immergrünen Dächern, den noch winternackten Ästen und Fußgängern, die sich nicht entscheiden können, ob sie warme Mäntel oder lieber Shorts tragen wollen. 

Normalerweise halte ich mich im Stadtzentrum auf, dort, wo die noblen Villen stehen und es die besten Kneipen und Restaurants gibt. Nur heute bin ich ungewöhnlich weit außerhalb meines gewohnten Umkreises unterwegs. Tief im Flüstererviertel, wo eine Tierwandlerin wie ich allein vom Auf-der-Straße-an-Fremden-Vorbeilaufen Gänsehaut bekommt. Und das alles nur wegen Ezra, der genauso gut die Bediensteten seines Hauses hätte schicken können, anstatt mich durch halb Phoenix zu scheuchen.

Ich dränge die aufsteigende Wut in mir zurück, weil ich weiß, dass genau das sein Ziel ist. Mich zum Ausflippen zu bringen. Aber das werde ich nicht. Ich werde mich nicht von ihm dazu bringen lassen, meine einzige Chance auf ein Empfehlungsschreiben durch einen dummen Wutanfall zu ruinieren. 

Seit meiner Bewerbung auf einen Platz in der Verbindung tut er alles, um mich aus der Reserve zu locken.

Er lässt mich zu unmöglichen Zeiten aufstehen, um ihm Kaffee zu bringen, schickt mich regelmäßig für kleine Botengänge quer durch die Akademie und jetzt auch noch nach Phoenix. Aber das hat bald ein Ende. Denn schon heute Nacht wird offenbart, ob ich für die Aufnahmeprüfung zugelassen werde. 

Und sobald ich drin bin, wird es wieder leichter sein, Ezra aus dem Weg zu gehen. Ihm und all den anderen Flüsterern, die unsereins kontrollieren könnten. 

Es ist eine Farce, dass er mir zugewiesen wurde. Immerhin besteht zwischen unseren Häusern vermutlich schon von Beginn an eine Feindschaft. In der Geschichte der Flüsterer gibt es unzählige Beispiele, in denen sie ihre Macht uns gegenüber ausgenutzt haben. Selbst in der Phoenix Times kann man immer wieder davon lesen, wie ein Tierwandler manipuliert und zu den grässlichsten Sachen gezwungen wurde. Unsere Gesetze sind wichtig, und sie schützen uns. Aber das tun sie nicht immer.

Irgendwann verschwindet die Straßenbahn im Untergrund, und nach einer weiteren halben Stunde steige ich an der Station der Akademie aus.

Die Sonne scheint warm auf mich herunter, und meine Laune hebt sich merklich, als ich über den geschotterten Weg auf das riesige viktorianische Verwaltungsgebäude der Ashriver Academy zulaufe.

Hier mache ich meinen Bachelor in Rechtswissenschaften und bin bereits im vierten Semester. Die Ashriver Academy gilt, neben der Northland Academy, als eines der besten Lehrinstitute für Übernatürliche, an denen man ein Grundstudium absolvieren kann. Von hier aus stehen einem alle Türen für die besten Universitäten der Welt offen – sofern die Noten gut genug sind. Was nur leider nicht für mich gilt.

Aber ich werde es dennoch schaffen. Ich werde allen beweisen, dass ich es auch ohne die Hilfe meiner Eltern hinbekomme. Calgary, ich komme!

Ich durchquere die imposante Vorhalle des Verwaltungsgebäudes und laufe dann entlang des gepflasterten Rundweges über den Campus, bis zum Bones Manor. Im dritten Stock angekommen, bin ich erneut durchgeschwitzt. Ich sollte echt nicht so rennen. Am liebsten würde ich mir Ezras Zimmernummer aus dem Gedächtnis löschen. Aber diese Zahl, die 369, habe ich zu oft in den letzten zwei Wochen besucht, sodass sie sich längst in mein Hirn gebrannt hat. 

Ich klopfe knapp und fest an die Tür und versuche den Griff um die Kleiderbügel ein wenig zu lockern. Dabei puste ich mir eine verwirrte rotbraune Strähne aus dem Gesicht. Mir ist heiß, und ich will nichts lieber, als eine ausgiebige Dusche zu nehmen, bevor ich das neueste Make-up-Tutorial ausprobieren werde, das ich mir vor ein paar Tagen abgespeichert habe.

Von der anderen Seite der Tür sind Geräusche zu hören, doch Ezra lässt sich Zeit. Natürlich tut er das. Mr Erbe-des-Tierflüstererhauses, der sich für was Besseres hält.

Ich wechsle den Griff um die Kleiderbügel, als meine Finger zu kribbeln beginnen, und das Rascheln des Plastiküberzugs erfüllt den leeren Flur. Der dunkelrote Teppichboden verströmt in dieser Etage einen komischen Geruch. Als hätte irgendwer mal Bier darauf verschüttet und dann versucht, es mit Zitronenreiniger wegzumachen. Leider kann man die Sprossenfenster hinter mir, durch die das warme Frühlingslicht fällt, nicht öffnen. Auch wenn ich fast sicher bin, dass dieser Gestank Nicht-Tierwandlern gar nicht auffällt. Möglicherweise überkommt mich aber nur solch ein Ekel, weil ich am liebsten so schnell wie möglich von hier abhauen möchte.

Gerade als ich erneut klopfen will, öffnet sich die Tür links von mir. Natürlich tut sie das. Ich könnte kotzen.

Es ist schon schlimm genug, dass Edwards Zimmer direkt neben Ezras liegt. Aber wie kann es sein, dass er jedes einzelne Mal, wenn ich an Ezras Tür klopfe, auftauchen muss? Hat er hier irgendwo eine verdammte Überwachungskamera angebracht?

Ich hebe trotzig das Kinn, klopfe erneut fest an die Holztür vor mir und ignoriere meinen Exfreund, der sich gegen den Türrahmen seines Zimmers lehnt und mich beobachtet. »Hey.«

Ich antworte nicht, sondern klopfe fester. So fest, dass meine Fingerknöchel wehtun.

»Wie lange willst du mich noch ignorieren?«

»Verzieh dich«, stoße ich aus und weigere mich, den Kerl anzusehen, dem ich all meine ersten Male geschenkt habe und der mich mit Füßen getreten hat, während er mich hinterrücks verarschte. Denn jedes Mal, wenn ich in seine eisblauen Augen sehe, durchfährt mich ein Stich des Verrats. Wenn ich nur behaupten könnte über ihn hinweg zu sein. Aber drei Jahre Beziehung sind eine lange Zeit, und es gibt vermutlich keine Ecke an dieser Akademie, in der wir nicht miteinander rumgemacht haben. Außerdem habe ich ihn geliebt. Das kann man nicht einfach so auslöschen, nur weil einem klar wird, dass die Person, die man zu kennen glaubte, eine verdammte Made ist.

»Bitte, Ry. Ich vermisse dich.« Seine Stimme bricht, wird heiser und ist dabei voller Gefühl. Als würde er es tatsächlich so meinen. Als wäre es keine Lüge. Als hätte er nicht auf meinem Herz rumgetrampelt, indem er Jade angegrabscht hat und mich dann dazu brachte, sie zu hassen.

»Nenn mich nicht so. Nie wieder«, stoße ich hart aus und schlucke gegen die Enge in meiner Kehle an.

Ich will Edward nicht ansehen. Nicht seine hellen Augen, seine vollen Lippen oder sein blondes Haar, das er immer perfekt zur Seite gegelt trägt. Er hat es gehasst, wenn ich seine Frisur zerstört habe, und jetzt gerade habe ich das Verlangen, ihm einen Eimer Wasser über den Kopf zu schütten. Weil er mir das Gefühl gibt, dass ich diejenige bin, die zu hart zu ihm ist. Weil er mich daran erinnert, dass wir zerbrochen sind. Weil wieder dieses Stechen in meiner Brust einsetzt. Dieser verdammte Liebeskummer, der mich den ganzen Winter über gequält hat.

Gott sei Dank – und wow, ich kann gar nicht fassen, dass ich mit einem Mal erleichtert bin, Ezra zu sehen – öffnet sich in diesem Moment endlich die Tür vor mir. 

Ezras schwarze Haare, die sonst so perfekt gestylt sind, stehen in alle Richtungen ab. Er betrachtet mich mit einem dunklen Blick, und natürlich hat er diesen arroganten Zug um seine Lippen, diesen leicht gehobenen Mundwinkel, der so typisch für ihn ist. Er trägt ein graues Shirt, das seine sportliche Figur betont, und eine tiefsitzende Jogginghose. Und keine Socken. Wieso hat er keine Socken an?

Egal. Das ist definitiv mein kleinstes Problem. Ich drücke ihm die Hemden in die Hand. Der Kleiderbeutel raschelt. Der Duft seines Aftershaves weht zu mir herüber und kitzelt meine empfindliche Nase. Ich trete zurück. »Hier«, stoße ich aus und will mich schon umdrehen, da schürzt er seine Lippen, während er die Kleidungsstücke betrachtet. »Da ist ein Fleck.«

Ich starre ihn an. Dann die Hemden. Erfriere, als mir ein winzig kleiner Fleck auffällt, dort, wohin sein Zeigefinger deutet, und presse meine Zähne aufeinander. »Dann ruf die Reinigung an, und beschwer dich.« Neben mir nehme ich weiterhin Edward wahr und wünschte wirklich, er würde abhauen.

Ezras arrogantes Lächeln wird breiter. Er macht einen Schritt vor und hält mir die Hemden entgegen. »Das solltest du lieber persönlich machen.«

Nicht. Sein. Ernst.

Mein Puls schießt in die Höhe, während mein Magen absackt. »Wir haben fast fünf Uhr. Die machen sicher gleich zu.«

Er hebt eine Augenbraue, auf eine zutiefst lässige und verabscheuungswürdige Weise. Und ich weiß, was er sagen wird, noch bevor er den Mund aufmacht. Ich weiß es und kann ihn nicht daran hindern, die Worte auszusprechen. »Dann solltest du dich wohl beeilen, kleine Drawing.«

Ich will schreien, will ihm diese blöden Hemden, die er mir abwartend entgegenhält, vor die Füße werfen und will endlich, dass dieser Unsinn aufhört. Mein Gesicht ist heiß, und ich bin mit Sicherheit knallrot. Allen voran, weil ich diesen bescheuerten Spitznamen hasse. Weil er mich auf meinen Nachnamen reduziert. Als wäre ich keine vollwertige Person, sondern nur die Tochter meiner Eltern.

Aber statt meiner Wut Ausdruck zu verleihen, entreiße ich ihm die Hemden und fahre herum. »Wie du willst.«

Nur noch bis Mitternacht. 

Nur. Noch. Bis. Mitternacht. 

Dann ist das hier vorbei.

Dann werde ich in dieser gottverdammten Verbindung sein und mir nie wieder was von diesem beschissenen Flüsterer sagen lassen.

»Wieso lässt du dir das bieten?« Edward folgt mir, als ich den Flur hinunterrausche, damit ich Ezra nichts an den Kopf werfe, was ich vermutlich bitterlich bereuen würde.

»Lass mich einfach in Ruhe.« Wieso schnallt er es nicht?

Doch genau wie früher setzt er sich über meine Wünsche hinweg, schiebt seine Hände in die Hosentaschen und läuft neben mir her. Weil er so groß ist, wirkt es eher wie ein Schlendern, während ich beinahe renne. Ich habe immer geliebt, dass er mich mehr als einen Kopf überragt hat. Nun hasse ich es, hasse ihn und mein einfältiges Herz, das ganz leise in einer dunklen Ecke noch immer um uns weint. »Gib mir eine Chance. Ich will nur mit dir reden.«

»Aber ich nicht mit dir«, erwidere ich extra laut, weil wir gerade an Vincent Vanadis’ Tür vorbeikommen, die sich glücklicherweise genau in diesem Moment öffnet.

Vincents dunkle Augenbrauen ziehen sich zusammen, als er uns entdeckt. Wie auch wir trägt er statt der Uniform seine Freizeitkleidung. Eine schwarze Chinohose, ein hellblauer Pullover, helle Sneaker, und über seinem Arm hängt eine Jacke. Seine finsteren braunen Augen fixieren Edward, und er hebt sein Kinn auf absolut überhebliche Weise, während er ihn mustert, als wäre er eine Kakerlake unter seinen Füßen. »Du hast sie gehört. Sie will nicht mit dir sprechen.«

Edward presst seine Lippen zusammen. »Du hast mir gar nichts zu sagen.«

»Glaubst du?« Vincent lächelt höhnisch, wie jemand, der es gewöhnt ist, dass die Leute auf ihn hören. Dass sie für ihn springen, sobald er nur die Augenbrauen hebt. Immerhin ist Vincent ein Teil der Elite. Er ist der Erbe des Elementarhauses. Er müsste schon einen Mord mitten auf der Straße begehen, damit irgendwer ihm irgendwas übelnimmt. Außerdem ist er der Sunnyboy der Elite. Wirklich jeder liebt Vincent.

Edwards Blick zuckt zu mir, fragend, beinahe sanft. Und mein Magen zieht sich sofort zusammen. Weil ich diesen Blick kenne. In diesen Edward habe ich mich verliebt. Er war mein bester Freund. Der, den ich später heiraten wollte. Mein Gott, ich hatte sogar eine Pinterestwand für unsere lächerliche zukünftige Hochzeit.

Nein. Ich war lächerlich, weil ich mir eingeredet habe, er würde mich lieben. Dabei hat er das nie. Er hat geliebt, was ich dargestellt habe. Die Tochter des besten Anwalts von Phoenix. Die schöne Freundin an der Seite des Bürgermeistersohnes.

Er. Hat. Mich. Betrogen.

Ich trete demonstrativ einen Schritt zurück, näher an Vincent heran, und wende das Gesicht ab. Weil ich meinen eigenen Gefühlen nicht traue. Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass ich völlig über ihn hinweg sei. Doch das ist eine Lüge. Dafür sehe ich ihn zu regelmäßig. Und er versucht zu oft, mich davon zu überzeugen, dass seine Liebe zu mir echt war. Noch immer ist.

Edward seufzt leise, als gebe er sich geschlagen, und geht dann glücklicherweise.

Ich atme aus. Ganz langsam. Doch das hilft nichts gegen den Kloß, der sich in meinem Hals eingenistet hat.

»Alles klar?«, fragt Vincent leise und stößt mich freundschaftlich mit dem Ellenbogen an.

Ich nicke schnell und lächle gezwungen. Weil es armselig ist, dass ich mich nach fast fünf Monaten Trennung noch immer so fühle. »Sicher. Danke für deine Hilfe.«

Er glaubt mir nicht. Das sehe ich daran, wie er seine rechte Augenbraue hebt, den Kopf neigt und aussieht, als wäre er mein großer Bruder, der nicht sicher ist, ob er jemanden für mich verprügeln soll oder nicht.

Ich lache. »Wirklich. Das wird schon.«

Vincent nickt langsam, vermutlich weil er weiß, dass er mich nicht zum Reden zwingen kann. Dann deutet er auf den Kleidersack. »Was ist das?«

Sofort verschwindet Edward aus meinen Gedanken und wird durch Ezra ersetzt. Ich stöhne genervt. »Ezras Hemden, die ich gerade von der Reinigung abgeholt habe. Offenbar hat eins davon einen Fleck, und ich muss sie wieder zurückbringen.«

Er verdreht die Augen. »Ich verstehe. Dieses Spielchen.«

Klar weiß er von den Aufnahmeritualen der Verbindung. Immerhin ist er als Erbe des Elementarhauses seit dem ersten Semester ein Teil der Gemeinschaft der Schatten.

»Genau. Dieses Spielchen. Heute Nacht ist es endlich vorbei.«

Er nickt, und gemeinsam laufen wir den Flur hinunter zur Treppe. »Die nehmen dich auf. Du bist eine Drawing.«

»Ich hoffe es«, stoße ich aus.

»Ich habe gerade eh nichts vor. Soll ich dich in die Stadt begleiten?« Vincent grinst frech und auf eine Weise, mit der er schon diversen Mädchen weiche Knie beschert hat.

»Du musst ja richtige Langeweile haben.« Ich lasse mir nicht anmerken, wie viel mir dieses Angebot bedeutet. Weil da weiterhin diese Angst ist, dass er und Asher es sich anders überlegen und ich doch nicht mehr Teil ihrer Gruppe sein darf. Dann hätte ich nur noch Jade. Und sonst niemanden.

Vincent grinst ein wenig breiter und stößt mich erneut freundschaftlich mit seinem Ellenbogen an. Seine Art einer Umarmung. Und wieder ist da dieser Kloß, und ich räuspere mich vor Rührung. »Dann lass uns fahren. Ich muss schließlich bis Mitternacht diese bescheuerten Hemden wegbringen.«

2. Kapitel

Riley

Als ich später am Abend endlich umgezogen und frisch geschminkt im Biber ankomme, sitzt Vincent bereits von Mädchen umringt in einer Ecke des Restaurants und hat den Spaß seines Lebens. Ich schwöre, er hat höchstens zwanzig Minuten Vorsprung und jetzt schon eine ganze Schar Bewunderinnen um sich, eng an eng auf den bunten Polstermöbeln gedrängt, um möglichst nah an ihn heranzukommen. Wir sind erst vor einer halben Stunde zurück auf dem Campus angekommen. Wie macht er das nur immer?

Währenddessen sitzt Asher an der Bar und raunt Jade vermutlich unanständige Dinge zu, die lachend Cocktails mixt.

Trotzdem entschließe ich mich, neben ihm Platz zu nehmen und begrüße die beiden lächelnd. Dann schaue ich mich gelangweilt im Restaurant um, beobachte die anderen Gäste und versuche, das nervöse Wippen meines Beines zu unterdrücken, während ich einen Shot nach dem anderen bei Jade bestelle. Ich bin bereits bei meinem vierten, als Ezra endlich auftaucht.

Während er sich zwischen den vollen Tischen hindurchschiebt, schält er sich aus seinem schwarzen Mantel. Sein dunkler Blick ist konzentriert und unlesbar auf mich gerichtet. Ezra sieht wie jemand aus, den man fürchten sollte, doch allein aus Trotz werde ich das nicht tun. Ich spüre seine Kraft selbst von weitem. Es ist, als hätten meine feinen Tierwandlersinne extra Sensoren für mächtige Flüsterer in der Nähe. Auch Marinas Gegenwart nehme ich wahr, selbst wenn ich versuche, sie zu ignorieren. Doch Ezra ist eine andere Hausnummer.

Mein Hals wird eng, und ich stehe ziemlich wackelig von meinem Platz auf. Ich wanke sogar leicht, weshalb ich mich an der dunklen Holztheke festhalten muss.

Marina taucht neben mir auf und schiebt mit einem süffisanten Lächeln ein Wasser über den Tresen. »Da hat wohl jemand zu tief ins Glas geschaut.« Ihre Stimme trieft vor Hohn, und obwohl sie Freundlichkeit vorgaukelt, sehe ich die Abschätzigkeit in ihren Augen.

Ich funkle sie an, greife nach dem Glas und umklammere es, während ich sie gedanklich verfluche. »Danke.«

Marina wirft die Haare über ihre Schulter und wendet sich von mir ab. Sofort kommt Jade an meine Seite. Sie hat nicht mitbekommen, wie Marina mit mir gesprochen hat. So absolut ekelhaft und herablassend. Das tut Marina nur, wenn wir beide alleine sind. Aber was will man auch anderes von Flüsterern erwarten?

»Ich bin so aufgeregt!« Jade umklammert meinen Unterarm, und sofort rückt der Ärger über Marina in den Hintergrund.

Ezra ist inzwischen bei uns angekommen und wirft meiner Cousine einen kurzen Blick zu. »Gibst du uns eine Sekunde?«

»Na klar.« Jade gibt sich lässig, doch hinter Ezras Rücken kreuzt sie einmal die Finger und grinst mich schief an.

Auch Asher klopft mir auf die Schulter, bevor er sich zu Vincent an den Tisch stellt, sodass sich für einen Moment nur Ezra und ich an der Bar befinden.

Ich zwinge mich, ihn anzusehen und seinem durchdringenden Blick nicht auszuweichen. »Und?«

»Was ist mit meinen Hemden?«

Ich bringe ihn um. Hier und jetzt. »Die sind in der Reinigung.« Es erfordert all meine Willenskraft, ihm nicht an die Gurgel zu gehen.

»Ich nehme an, dass du sie morgen abholst?«

»Wäre das meine Aufgabe als Anwärterin? Ich dachte, ich bekomme heute die Information, ob ich in die nächste Runde komme?«

»Bekommst du.« Sein Gesicht zeigt keinerlei Regung. Ist der Typ ein Roboter?

Ungeduldig ziehe ich meine Augenbrauen hoch. »Und?«

»Du bist weiter.«

Es dauert einen Moment, bis die Worte zu mir durchdringen. Ein Schrei entfährt mir, ich reiße die Arme hoch – und schütte ihm dabei versehentlich das gesamte Wasserglas über Brust und Gesicht. »Oh, shit!«, stoße ich aus, und meine Freude lässt mich laut lachen, obwohl das keine Absicht war.

Ezra schnalzt mit der Zunge und wischt sich mit dem Ärmel über die Wange, ohne einen Blick auf seinen Pullover zu werfen. »Vielen Dank.«

»Das war keine Absicht!«, rufe ich sofort beschwichtigend und lache dennoch, weil ich so, so, so unfassbar erleichtert bin.

»Riley, das war echt gemein von dir.« Marina rauscht an mir vorbei und hält Ezra ein Tuch hin, während sie mich missbilligend mustert. Mein Gott, sie sieht so aus, als hätte ich einen Kuhfladen vor ihre Haustür gelegt.

»Das war keine Absicht«, wiederhole ich, doch sie wendet sich schon wieder ab und scheint keinerlei Interesse an meinen Worten zu haben.

Als ich den Kopf drehe, sehe ich Jades Stirnrunzeln, während sie einen Gast an der Bar bedient. Sofort sinkt mein Herz eine Etage tiefer. Denkt sie ernsthaft, ich würde Ezra ein Glas Wasser über den Kopf schütten? Absichtlich?

»Es tut mir echt leid«, stoße ich in Ezras Richtung aus, der sich derweil mit dem Tuch abtupft.

»Vergiss es«, erwidert er trocken. Dieser blöde Roboter.

Ich wende mich seufzend von den beiden ab und gehe zu Asher und Vincent, die alles mitbekommen haben.

Vincent hebt seine Hand und klatscht mit mir ein. »Ich bin stolz auf dich!« Seine Groupies schauen zwischen uns hin und her, doch er lässt sich nicht zu einer Erklärung herab.

Asher schlägt ebenfalls mit mir ein. »Großartig. Das hast du dir nach den letzten Wochen verdient. Wobei ...« Er stockt und zieht die Nase kraus, während die zwei einen langen Blick wechseln. Bestimmt geht es darum, was als Nächstes kommt. Eine weitere Stufe von Quälereien, die die Gemeinschaft der Schatten für Anwärter draufhat, die nur die Mitglieder kennen, zu denen die beiden seit dem ersten Semester gehören. Und von denen ich heute nichts mehr hören will. Also wechsle ich das Thema.

»Wie wäre es, wenn wir eine weitere Runde bestellen?«

»Für mich nicht«, winkt Asher ab. »Ich wollte morgen noch in das Hallenbad und trainieren.«

»Ernsthaft?« Vincent sieht ihn zweifelnd an.

»Natürlich. Ich will wieder den ersten Platz bei der Sommerolympiade machen. Northland hatte letztes Jahr ganz schön starke Kandidaten dabei. Nicht, dass die am Ende noch an mir vorbeiziehen.« Er hebt bedeutungsvoll seine Augenbrauen. »Dir könnte ein bisschen Training auch nicht schaden. Soweit ich mich erinnere, hast du letztes Jahr nur den zweiten Platz beim Sprinten gemacht.«

Vincent schnalzt mit der Zunge und wendet sich mir zu. »Du kannst mir seinen Drink geben.«

Ich lache, doch als ich sehe, wie Jade sich mit Marina an der Bar unterhält und ihren Mund voller Enttäuschung verzieht, verebbt es.

Marina schaut zu mir herüber, eine Augenbraue erhoben, und lächelt halb. Dann wendet sie sich Ezra zu, der mittlerweile an der Bar sitzt, und sagt etwas, das alle drei zum Lachen bringt.

Ich schnappe mir Ashers Drink und leere ihn mit einem Zug. Scheiß auf Marina. Und scheiß auf Ezra. Ich bin meinem Ziel einen Schritt näher gekommen. Das ist das Einzige, was zählt.

Und bald, direkt nach Jades Schicht, werde ich sie wieder für mich haben. Wir werden nach Phoenix fahren und meinen Erfolg feiern. Sie, Asher, Vincent, ich – und vermutlich auch Vincents Groupies.

Ohne einen verdammten Flüsterer in meiner Nähe.

***

Als ich am nächsten Morgen in die Küche meines Elternhauses komme, ist der Tisch nicht gedeckt. Kein Frühstück. Kein Dad mit altmodischer Zeitung in der Hand, weil Mom uns allen Handyverbot in der Küche erteilt hat. Keine Mom, die mir meinen Lieblingskaffee mit Hafermilch und Haselnusssirup macht. 

Stattdessen liegt auf dem dunklen Holztisch eine Notiz.

Liebe Riley,

da du nicht aufzufinden warst, sind Jade und ich bereits in die Stadt gegangen. Wir haben zu dreizehn Uhr einen Tisch im Paolos reserviert.

Alles Liebe, Mom.

Das Herz sackt mir in die Hose, und ich verfluche mich dafür, dass ich mein Handy beim Heimkehren heute Morgen nicht ins Ladegerät gesteckt habe. Stattdessen habe ich mich betrunken und völlig übermüdet ausgezogen, mich in meinen Fuchs verwandelt und in meine Lieblingsecke über dem Kleiderschrank verkrochen. Ein Ort, den niemand kennt.

Ich würde sterben, wüsste jemand, dass ich mich verwandle, sobald ich zu betrunken bin, so schutzlos und angreifbar.

Dann fällt mein Blick auf die Backofenuhr: 12:53.

Fuck. Fuck. Fuck!

Mom wollte meine und Jades Hilfe beim Kleiderkauf, und ich habe ernsthaft verschlafen!

Schlagartig überwältigt mich das schlechte Gewissen. 

Ich haste nach oben, wechsle das Schlabberoutfit gegen eine anständige Hose und einen sauberen Pullover und binde mir auf dem Weg nach unten die zerzausten Haare zu einem Dutt. 

Ich schlüpfe in meine Sneaker und greife mir eine Jacke, bevor ich aus unserem Haus und dann in Richtung Restaurant jogge. Samstagmittags ist die Innenstadt voller Leute, an denen ich mich vorbeischlängeln muss, während ich immer wieder einen nervösen Blick auf die Uhr werfe.

Der Himmel ist klar, die Luft mild, und es duftet nach den weißen Narzissen, die der Besitzer in den Blumenkästen vor den tiefen Fenstern gepflanzt hat.

Eine Gruppe von Damen steht vor dem Eingang des italienischen Fünf-Sterne-Restaurants und wartet offenbar darauf, eingelassen zu werden. Ich stelle mich hinter ihnen an und werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. Viertel nach eins. Ich bin zu spät.

Mist.

Suchend überfliege ich die Fenster und entdecke Mom und Jade an unserem Stammplatz. An dem hellen Holztisch, auf den pink gepolsterten Stühlen. Die beiden lachen, während die Sonne durch das Glas auf sie scheint. Meine Cousine zeigt Mom etwas auf ihrem Handy und wird genau in diesem Moment von einem Kellner unterbrochen, der ihnen die Vorspeise bringt.

Offenbar haben sie bereits bestellt.

Mir wird flau im Magen, als würde mein Körper sich daran erinnern, dass ich gestern zu lange und zu hart gefeiert habe.

Dann bemerke ich den Kleidersack, der über dem Stuhl neben meiner Mom drapiert ist. Offenbar haben sie ein Kleid für den Frühlingsball gefunden. Ohne mich.

Und dann entdecke ich auch Moms Handy, das auf dem Tisch liegt, obwohl sie es hasst, wenn Leute das machen. Doch es liegt dort. Nur meinetwegen. Weil sie auf eine Nachricht von mir wartet.

Meine Kehle wird eng, und ich fühle mich fürchterlich, weil ich sie habe hängen lassen. Ich weiß genau, wie sie reagieren wird. Enttäuscht. Nicht sauer. Nur enttäuscht. Das ist so ätzend.

Und plötzlich wird mir klar, dass ich mir das jetzt nicht geben kann.

Deshalb schreibe ich Mom eine schnelle Nachricht, dass ich verschlafen habe und es wiedergutmache, bevor ich mich langsam in die Schatten der Häuser schiebe und verschwinde. Ich will ihr Gesicht nicht sehen, wenn sie auf ihr Handy schaut. Auch Jade bekommt eine kurze Entschuldigungsnachricht, während ich zugleich zutiefst erleichtert bin, dass sie bei meiner Mutter ist. Es würde mich umbringen zu wissen, dass Mom alleine losgehen musste, nur weil ich gestern Nacht ein wenig zu tief ins Glas geschaut habe.

Zuhause empfängt mich Stille. Vermutlich ist Dad beim Golfen oder im Büro, wo er an irgendeinem superwichtigen Fall arbeitet.

Ich will definitiv nicht hier sein, wenn Mom nach Hause kommt, weshalb ich meine Sachen packe und beschließe, ausnahmsweise früher an die Akademie zurückzukehren. Auch wenn Jade, wie jedes Wochenende, mit Asher in ihrer Wohnung sein wird und Vincent mit einem seiner Groupies eine nette Zeit hat. Ich hingegen hänge nur bei meinen Eltern rum.

Ich hasse es, wie armselig ich mich inzwischen fühle.

In unserer Küche, weiß und im Landhausstil gehalten, mache ich mir einen Kaffee und gieße ihn in einen von Moms To-go-Bechern.

Mom hat sich auf mich verlassen. Und ich habe sie mal wieder im Stich gelassen. Weil ich eine verdammte Enttäuschung bin.

An nichts anderes kann ich denken, während ich mit der Straßenbahn in das Flüstererviertel fahre, Ezras Hemden abhole und mich dann auf den Weg zurück zur Akademie mache.

Seit letztem Jahr scheint alles schiefzulaufen. Das einzig Gute, was ich seitdem zustande gebracht habe, war es, mich von Edward zu trennen und es wenigstens in die Vorauswahl der Gemeinschaft der Schatten zu schaffen.

Aber ich werde Mom und Dad beweisen, dass ich mehr bin als diese wandelnde Katastrophe, die ich inzwischen geworden bin.

Ich drehe die Musik auf meinen Kopfhörern voll auf, bis ich den Druck in mir nicht mehr spüre.

Als ich alleine an der Endstation aussteige, beginne ich zu singen, laut und voller Gefühl, bis ich mich endlich etwas besser fühle. Und als schließlich die Ashriver Academy vor mir auftaucht, liegt das schlechte Gewissen hinter mir.

In meinem Zimmer im Rose Manor räume ich zunächst den Koffer mit den frischen Klamotten aus. Gerade als ich ihn wieder unter das Bett schiebe, klopft es an der Tür.

Seltsam. Wer kann das sein?

Jade und Asher verbringen den Sonntag in Jades Wohnung. Und Vincent ist vor dem Mittag nicht einmal wach. Wobei. Vielleicht ist er es ja doch? Dann hätte ich jemanden, mit dem ich den restlichen Tag abhängen kann.

Ich öffne die Tür, und meine Hoffnung zerschellt in tausend Einzelteile. Denn vor mir steht nicht Vincent, sondern Ezra.

»Ernsthaft? Brauchst du die Hemden so dringend?«, frage ich hörbar genervt, greife nach dem Kleidersack und drücke ihn ihm in die Hand.

Als ich die Tür vor seiner Nase schließen will, schiebt er seinen Fuß davor. »Ich habe eine Nachricht für dich.« Er betrachtet mich mit stoischer Miene, bevor er selbstgefällig seinen Mundwinkel zu einem Dreiviertellächeln hebt. Und ich weiß sofort, dass mir nicht gefallen wird, was ich gleich erfahren werde. Denn es ist ein Lächeln, das seine Augen nicht erreicht. Eines von der sadistischen Sorte.

Ich umklammere meine Türklinke fester. »Was für eine?«

Ezra hebt seine Augenbrauen. »Aufgrund des Inhalts sollte ich besser reinkommen.«

Alles in mir sträubt sich, ihn auch nur einen Schritt in meine persönlichen vier Wände zu lassen. Aber ich weiß, dass er recht hat. Denn die Gemeinschaft der Schatten ist nicht ohne Grund eine geheime Studierendenverbindung. Ich weiche zurück und ziehe die Tür dabei etwas weiter auf. »Wenn es sein muss.«

Ezra tritt in mein Zimmer, und sofort scheint seine Aura den gesamten Raum einzunehmen. Als Flüsterer ist sie grau, in Form von sich kräuselnden Ranken auf seiner Silhouette, und einen Moment lang saugt mir dieser Anblick alle Luft aus der Lunge. Ich muss kurz die Augen schließen, um nicht daran zu ersticken.

Er schlendert durch mein Zimmer, betrachtet mit gelangweilter Miene das ordentlich bezogene Bett, auf dem drei rote Zierkissen liegen. Auf dem Schreibtisch stapeln sich aufgeschlagene Bücher und ein Notizheft sowie mein Laptop. Eine alte Kaffeetasse ist halb gefüllt, und ein paar zusammengeknüllte Schokoladenriegelpapiere tummeln sich darum.

Einen Moment lang befürchte ich, dass er sich auf meinen Schreibtischstuhl mit dem roten Kissen setzen wird. Dass er eine Duftspur in diesem Raum hinterlassen könnte. Gedanklich reiße ich schon das Fenster auf, nur um den Geruch seines herben Aftershaves loszuwerden, der dennoch stundenlang hier zurückbleiben wird.

Glücklicherweise bleibt Ezra vor meinem Schrank stehen, den Kleidersack stoisch mit beiden Händen umklammert.

Ich schließe die Zimmertür. »Also?«

Was will er von mir? Er und ich sind fertig. Mein Plan war, nie wieder ein Wort mit ihm zu wechseln, wenn ich es durch die Vorrunde geschafft habe.

»Wie du weißt, bist du in der nächsten Runde. Das bedeutet, du bist für die Drei Nächte der Hölle zugelassen. Und ich bin dein Mentor.« Seine Stimme ist tief, dunkel und schrecklich gelangweilt.

Dieser eingebildete, selbstgefällige- Moment. »Was?« Ich starre ihn an, und seine Worte sickern nur langsam in mein Hirn. »Warum bist du mein Mentor?«

»Das habe ich wohl vergessen zu erwähnen.« Er hebt eine Augenbraue. »Die einander zugewiesenen Neulinge und Paten arbeiten bis zur Zulassung in die Gemeinschaft der Schatten zusammen.«

»Die ganze Zeit?« O. Mein. Gott. Und ich habe ihn gestern mit Wasser überschüttet.

Nicht ein Muskel zuckt in seinem Gesicht. »Richtig.«

Scheiße. Scheiße. Scheiße. Er wird mich niemals bestehen lassen. »Und was meinst du überhaupt mit drei Nächten in der Hölle?« Meine Stimme ist zu hoch, und ich räuspere mich. »Ich habe noch nie davon gehört.«

»Aus gutem Grund. Und es heißt Drei Nächte der Hölle«, erwidert er mit einem Tonfall, der mir das Gefühl gibt, ein totaler Trottel zu sein.

»Und wann finden die Prüfungen statt?«

»Nachts.«

Ich warte, doch offenbar hat er nicht vor, mir mehr zu verraten. »Und kann ich mich irgendwie vorbereiten?«

»Nein.«

Will er es mir extraschwer machen, oder nimmt er seinen Job nur so ernst? »Okay. Also muss ich jede Nacht damit rechnen, dass irgendetwas passiert?« Wieso kann er mir nicht einfach mal ein paar mehr Details geben?

»Richtig.« Alles an ihm strahlt Desinteresse aus. Offenbar würde er überall lieber sein als hier. Klar. Weil ich eben nur eine Tierwandlerin der niedrigsten Klasse bin und kein mächtiger Flüsterer der Klasse drei, der zudem Erbe eines Hauses ist. Ich kenne Ezra schon, seit ich verstanden habe, dass sich Phoenix nach dem Aschekrieg in acht Häuser aufgeteilt hat und bestimmte Kinder eines Tages diese Häuser erben werden. Kinder, die so sind wie ich. Nur besser. Bedeutender. Und als ich ihn dann das erste Mal traf, wusste ich sofort, was für eine Sorte Flüsterer er ist. Ezra gehört zu der Sorte, die genau weiß, wie viel stärker sie ist.

Sicher wäre er einer anderen Rekrutin gegenüber freundlicher. Jade zum Beispiel. Sie würde er niemals so in der Luft hängen lassen. »Super.«

»Du hast also verstanden.«

Ich öffne entrüstet meinen Mund, doch da geht er bereits an mir vorbei und zur Tür. »Schönen Tag noch.« Und dann geht er und reißt das letzte Wort an sich.

Meine Hände ballen sich zu Fäusten, und ich will die Tür mit voller Wucht hinter ihm zuschlagen. Stattdessen zeige ich ihm stumm und kindisch den Mittelfinger.

3. Kapitel

Ezra

Mein Handy klingelt in dem Moment, als ich aus dem Rose Manor heraustrete. Nein, es klingelt nicht nur, sondern spielt lautstark Popmusik ab, sodass sich ein paar meiner Kommilitonen, die es sich im sonnigen Innenhof auf dem Rasen gemütlich gemacht haben, zu mir umdrehen. 

Es ist einer von diesen lästigen Harry-Styles-Songs, aus denen Marina regelmäßig einen Klingelton einstellt, nur um mich in den Wahnsinn zu treiben. Ernsthaft, glaubt sie etwa, dass ich ein Problem damit habe, von irgendwem angestarrt zu werden? Definitiv nicht so sehr, wie dieses laute Gedudel zu hören.

Ich gehe dran, während ich weiter dem Pflasterweg folge, der zum Verwaltungsgebäude führt. »Danke für den Ohrwurm.« Ich bin kein großer Musikfan, aber selbst ich kenne alle Nummer-eins-Songs der Charts, die regelmäßig überall rauf- und runterzuhören sind. Was ebenfalls Marinas Schuld ist, da sie mich meist ungefragt updatet. Ich habe absolut keine Ahnung, warum wir überhaupt befreundet sind. 

»Bitte schön«, flötet sie, und ich kann ihr Grinsen förmlich vor mir sehen. »Ich weiß doch, wie sehr du Harry liebst.«

»Ja, er ist ungefähr gleichauf mit Taylor.«

»Aber auch nur, weil ich dich mit ihrer Musik bekannt gemacht habe. Du kannst dir ruhig eigene Lieblingskünstler suchen. Ich wette, Rock würde gut zu dir passen. Oder Heavy Metal. Meinst du, es ist eine Option, dir die Haare wachsen zu lassen? Die schwarzen Klamotten passen schon mal.«

»Keine Option. Dafür müsste ich so sinnlose Dinge tun, wie den ganzen Tag nur Musik zu hören.« Ich durchquere das Verwaltungsgebäude, verlasse den Campus und laufe in Richtung Parkplatz. Die Sonnenstrahlen brennen sich durch mein schwarzes Hemd, während der kühle Märzwind die Hitze abmildert. 

»Es ist absolut nichts sinnlos daran, Musik zu hören.«

»Stimmt, sich den ganzen Tag Serien reinzupfeifen, ist definitiv noch unsinniger«, erwidere ich trocken, nur um sie zu ärgern. Nichts fühlt sich so unproduktiv an, wie stundenlang vor dem Fernseher zu sitzen.

»Das geht jetzt aber unter die Gürtellinie.« Sie schnappt übertrieben nach Luft, und im Hintergrund höre ich das Klirren von Geschirr, das Rauschen von Wasser und die vertraute Stimme des Kochs, der am Wochenende im Restaurant ihrer Mutter arbeitet. Bei dem Gedanken an mein verpasstes Mittagessen knurrt mir der Magen. Aber ich musste Riley leider zuerst meine Nachricht überbringen, die gestern etwas untergegangen ist, nachdem sie mich vor lauter Freude mit ihrem Wasser angegriffen hat.

Riley Drawing, die eingebildetste Studentin unserer Akademie, für die ich jetzt auch noch den Babysitter spielen muss, weil sie sich überlegt hat, in die Gemeinschaft der Schatten eintreten zu wollen. Und natürlich wurde sie mir zugewiesen. Irgendein Mistkerl der Verbindung muss genau wissen, wie sehr sie mich verabscheut, und fand die Vorstellung offenbar witzig, uns zusammenzustecken.

Sie hasst mich mehr als die Pest und ist der Inbegriff einer verwöhnten reichen Tochter, die alle Flüsterer behandelt, als wären wir das absolute Böse.

Als hätten wir nichts Besseres zu tun, als den ganzen Tag Tierwandler zu beeinflussen, nur weil wir es können. Dabei waren wir früher sogar in derselben Clique, bevor meine Freundschaft zu Asher und Vincent in die Brüche ging. Doch schon damals hat sie mich gemieden, als würde ich sie jeden Moment dazu zwingen wollen, sich vom Dach zu stürzen. 

»Apropos Serienabend, bist du sicher, dass du heute keine Lust hast?«, unterbricht Marina meine Gedankenspirale.

Ich schnaufe ins Telefon und hefte den Blick auf den schwarzen BMW, den Dad mir vor zwei Jahren zum achtzehnten Geburtstag geschenkt hat. »Du kennst meine Antwort.« 

Marina seufzt übertrieben. »Komm schon, Jade ist das ganze Wochenende mit Asher zusammen. Und ich werde die beiden ganz sicher nicht noch mal zu mir einladen.«

Mir entfährt ein leises Schnaufen. »Du kannst nicht wissen, was sie gemacht haben.«

»Ezra, ich merke doch wohl, wenn jemand neben mir fummelt!« Ihr entrüsteter Tonfall entlockt mir ein Lächeln. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Jade nicht die Person ist, die neben einer Freundin rumfummeln würde, egal wie sehr Marina darauf beharrt. »Wie wäre es, wenn wir stattdessen ausgehen?« 

»Geht nicht, Mom hat mal wieder die Steuererklärung vergessen, deswegen müssen wir nach meiner Schicht noch weiterarbeiten.«

Das klingt absolut nach ihrer Mutter. Ava ist verdammt cool und leitet das angesagteste Restaurant auf dem Campus, aber sie ist die Unordnung in Person. »Deine Mom sollte sich mal eine Bürokraft zulegen.«

»Wozu denn, wenn sie mich so günstig herumkommandieren kann?«, erwidert Marina trocken und schnalzt dann mit der Zunge. »Also wolltest du heute mal wieder tanzen gehen?«

»Tanzen? Kennst du mich eigentlich?«

Sie kichert ins Telefon. »Kannst du überhaupt tanzen? Wir kennen uns schon ewig. Eigentlich schuldest du mir längst einen Tanz.«

Ich schulde ihr so viel mehr. Nachdem ich meine Freunde mit meinen Taten von mir stieß, hatte ich plötzlich niemanden mehr. Ich dachte lange, es wäre besser so. Doch dann tauchte Marina auf, und obwohl ich all ihre Annäherungsversuche abgewehrt habe, wollte sie mit mir befreundet sein. Sie hat mich davor bewahrt, völlig durchzudrehen. Tut sie immer noch. Einfach nur, weil sie da ist. »Irgendwann. Vielleicht.«

»Ich wette, du bekommst einen fantastischen Moonwalk hin.«

Mir entfährt ein leises Lachen, und ich werde langsamer, als ich meinen Wagen erreiche. Der Lack glänzt in der Sonne und blendet mich ein wenig. »Ich werde niemals den Moonwalk machen.«

»Wirst du. Ganz bestimmt.«

»Ich muss jetzt auflegen.« 

»Na gut. Aber denk darüber nach. Eine Seite meines Sofas ruft nach dir, und wir haben immer Snacks da.«

»Du meinst wohl, eure Steuererklärung ruft nach dir.«

»Ach Mist. Die konnte ich für eine Sekunde verdrängen«, nörgelt sie, und dann höre ich, wie sie geräuschvoll kaut. »Nicht nett von dir.«

»Guten Appetit. Und bis später.«

Dann legen wir auf. Erst jetzt entriegle ich den Wagen, lasse automatisch alle Fenster runterfahren, und steige ein. Es ist stickig und warm in meinem Auto, doch zugleich ist da dieser vertraute Duft nach Tanne, verströmt durch einen Duftanhänger. Marina zieht mich immer deswegen auf, aber ich mag den Geruch.

Als meine Lüftung die stickige Luft weitestgehend verdrängt hat, schließe ich die Fenster wieder, doch da habe ich bereits das Gelände verlassen.

Meine Hände umklammern angespannt das Lenkrad, und ich versuche meine Gedanken zu bremsen, während ich den vertrauten Weg hinunterfahre und nach wenigen Minuten in einen unscheinbaren Waldweg einbiege. Ich fahre so weit, bis mein Wagen von der Straße aus nicht mehr zu sehen ist.

Dann bleibe ich einen Moment lang sitzen, ohne Radio oder sonstige Ablenkung, und starre aus dem Fenster. Ich dehne meinen Nacken, der vor Anspannung schmerzt, bevor ich unter den Sitz greife und mein Zweithandy heraushole. Mein Mund ist wie ausgetrocknet. Zögernd verharren meine Finger einen Augenblick lang über dem Display. Dann öffne ich die GPS-Nachverfolgung, blinzle und starre auf die Daten.

Fuck.

Sie wurde Freitagnacht ausgeschaltet. Von elf bis zwei Uhr. Zu der Zeit lag ich im Bett. Eigentlich.

Fuck. Fuck. Fuck!

Offenbar habe ich jedoch nicht geschlafen. Ich habe das GPS abgestellt. Doch wieso?

Druck baut sich in meiner Brust auf, aber ich zwinge mich, das Gefühl von Beklemmung zu verdrängen, bevor ich mein anderes Handy nehme. Dann öffne ich die App der Phoenix Times und überfliege die Überschriften zu den Nachrichten über Freitag.

Party aufgrund einer Schlägerei unter Wandlern aufgelöst – Festnahme von zwei Dutzend Gestaltwandlern, die sich als Elvis ausgegeben haben.

Hochzeitsfeier endet im Chaos. Leserin sieht Betrug der Braut, nachdem sie dem Paar gratulierte. Bräutigam wirft die gesamte Familie raus, die daraufhin vor dem Restaurant randaliert.

Herr Marvin Miller wird seit Freitagnacht vermisst. Der Tierwandler kam nach einem Botengang nicht zurück nachhause. Sonderkommission bittet um Hinweise.

Ich öffne den letzten Artikel und überfliege die kurze Zusammenfassung über das Leben des älteren Tierwandlers, bis ich zu den Umständen seines Verschwindens komme. Offenbar wurde er das letzte Mal kurz nach Mitternacht in der Nähe des Zentrums gesehen. Danach verschwand er spurlos. Genau in dem Zeitraum, in dem ich unterwegs war, aber mich nicht daran erinnern kann.

Das kann nicht wahr sein. Nicht schon wieder.

Mein Herz klopft so fest gegen meine Rippen, dass ich meinen Blick vom Display löse, um mich wieder in den Griff zu bekommen. Die Bäume um mich herum stehen dicht zusammen, die Wipfel wiegen sanft im Wind hin und her, und es wirkt so verdammt friedlich. Währenddessen tobt in mir drin ein Sturm, und ich bin kurz davor, fortgefegt zu werden.

Es begann mit kleinen Hinweisen. Erde unter meinen Fingernägeln, obwohl ich die Nacht im Bett verbracht habe. Zerrissene Kleidung auf dem Boden. Wunden, die ich mir nicht erklären konnte.

Erst glaubte ich, ich würde schlafwandeln, hatte ständig Kopfschmerzen und war so verflucht müde.

Harmlos, aber irgendwie besorgniserregend.

Bis ich eines Tages Blutspuren an meinem Pullover fand. Bis ein Mord ganz Phoenix erschütterte.

Und plötzlich passte alles zusammen.

Ich zwinge mich, wieder auf das Display zu sehen und mich zu konzentrieren. Es bringt nichts, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich brauche Fakten.

Ein Tierwandler, der während eines Botenganges verschwand. Offenbar wurde die Adresse, bei der er etwas abholen sollte, verlassen vorgefunden. Wohin er danach ging, ist seinem Arbeitgeber nicht bekannt.

Entweder ist er niemals dort angekommen, oder er hat etwas gesehen, was ihm zum Verhängnis wurde. Vielleicht war aber auch alles nur ein Unfall?

Ich ziehe mein kleines schwarzes Notizbuch unter dem Sitz hervor und notiere mir alle veröffentlichten Details zu Marvin Millers Verschwinden. Dann blättere ich wie so oft das Buch durch, nur um sicherzugehen, dass die Seiten auch vollständig sind.