Die Farbe aus dem All - H. P. Lovecraft - E-Book

Die Farbe aus dem All E-Book

H. P. Lovecraft

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Beschreibung

"Die Farbe aus dem All" ist eine Kurzgeschichte des amerikanischen Horrorautors H. P. Lovecraft, die erstmals im September 1927 veröffentlicht wurde. Die Geschichte handelt von einem geheimnisvollen Meteoriten, der auf einem abgelegenen Bauernhof in Massachusetts niedergeht und dabei eine undefinierbare Farbe mit sich bringt, die jegliches Leben in der Umgebung zu verändern beginnt. Die Einwohner der Umgebung erleben daraufhin unerklärliche Phänomene, wie bizarre Veränderungen in Flora und Fauna, geistige Verwirrung und körperliche Deformation. Die Farbe selbst wird als etwas jenseits menschlicher Vorstellungskraft beschrieben, eine unbeschreibliche Erscheinung, die die Realität selbst zu verzehren scheint.

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Die Farbe aus dem All

The Colour Out of Space (1927)

von H. P. Lovecraft

Übersetzung: Stefan Gresse (2023)

Westlich von Arkham präsentiert sich die Hügellandschaft wild und ungestüm. Es gibt Täler mit derartig tiefen Wäldern, dass die Bäume dort noch nie von der Axt eines Holzfällers berührt wurden. In den dunklen und engen Schluchten, an denen sich die Bäume fantastisch emporschlängeln, plätschern kleine Rinnsale, die noch nie den Glanz des Sonnenlichts eingefangen haben. An den flacheren Hängen liegen alte Bauernhöfe, deren gedrungene, moosbedeckte Hütten, seit Ewigkeiten im Windschatten großer Felsvorsprünge über den alten Geheimnissen von Neuengland brüten. Aber mittlerweile sind sie alle verlassen, ihre mächtigen Kamine bröckeln, und ihre mit Schindeln verkleideten Seitenwände wölben sich gefährlich unter den niedrigen Mansardendächern.

Die alten Leute sind fortgezogen und Fremden ist diese Gegend unbehaglich. Franko-Kanadier haben es versucht, Italiener haben es versucht, und die Polen kamen und gingen. Es liegt nicht an etwas Konkretem, das man hören, sehen oder berühren könnte, sondern an Fantasien und Gedanken. Der Ort beeinflusst die Vorstellungskraft und bringt des Nachts unruhige Träume. Das muss es sein, was die Ausländer fernhält, denn der alte Ammi Pierce hat ihnen nie etwas von seinen Erinnerungen an die seltsamen Tage erzählt. Ammi, dessen Kopf seit Jahren ein wenig seltsam tickt, ist der Einzige, der noch geblieben ist und der jemals von den seltsamen Tagen spricht; und er wagt es auch nur deshalb, weil sein Haus so nah an den offenen Feldern und den viel befahrenen Straßen nach Arkham liegt.

Einstmals verlief eine Straße über die Hügel und durch die Täler, genau dort, wo jetzt die verwüstete Heide liegt; aber die Leute hörten auf, sie zu benutzen, und so wurde eine neue Straße angelegt, die in einem weiten Borgen nach Süden verläuft. Spuren der alten Straße finden sich noch immer inmitten des Wildwuchses der zurückkehrenden Wildnis, und einige Überreste werden vermutlich selbst dann noch überdauern, wenn die Hälfte der Senken für den neuen Stausee überschwemmt worden sind. Dann werden die dunklen Wälder abgeholzt und die verwüstete Heide wird tief unter den blauen Wassern schlummern, deren Oberfläche den Himmel spiegeln und in der Sonne glitzern wird. Und die Geheimnisse der seltsamen Tage werden eins sein mit den Geheimnissen der Tiefe; eins, mit dem verborgenen Wissen des alten Ozeans und all den Mysterien der urzeitlichen Erde.

Als ich mich in die Hügellandschaft begab, um das neue Reservoir zu vermessen, sagte man mir, dass der Ort böse sei. Dies sagte man mir in Arkham, und weil Arkham eine sehr alte Stadt voller Hexenlegenden ist, dachte ich, dass das Böse etwas sein müsste, das Großmütter ihren Enkelkindern über Jahrhunderte hinweg leise zugeflüstert hätten. Der Begriff „verfluchte Heide“ kam mir äußerst seltsam und theatralisch vor, und ich fragte mich, auf welche Weise er Einzug in die Folklore einer puritanischen Bevölkerung gefunden hatte. Dann sah ich mir dieses düstere Gewirr von Schluchten und Abhängen in westlicher Richtung selbst an und hörte auf, mich über irgendetwas zu wundern – stattdessen war ich vollends eingenommen von der erhabenen Rätselhaftigkeit des Ortes. Ich hatte mich dort zwar eines Morgens umgesehen, aber die Schatten schienen hier fortwährend zu lauern. Die Bäume wuchsen zu dicht nebeneinander, und ihre Stämme fielen für einen gesunden Wald in Neuengland definitiv zu mächtig aus. Auch war es in den dunklen Alleen zwischen ihnen viel zu leise, und der Boden war zu aufgeweicht von dem feuchten Moos und den Verwesungsrückständen unendlich vieler Jahre.

Auf den Feldern entlang des alten Straßenverlaufs befanden sich kleine Bauerngehöfte; manchmal standen noch alle Gebäude, manchmal nur ein oder zwei, und manchmal nur noch ein einsamer Schornstein oder ein verschütteter Keller. Gestrüpp und Unkraut beherrschten die Szenerie, während wildes Getier verstohlen im Unterholz raschelte. Über allem lag ein dunstiger Schleier von Unruhe und Bedrückung; ein Hauch von Unwirklichkeit und Groteske, als ob ein vitales Element der Perspektive oder der Hell-Dunkel-Kontrast nicht stimmen würde. Ich wunderte mich nicht, dass die Fremden diese Gegend mieden, denn dies war kein Ort für einen gesunden Schlaf. Alles ähnelte zu sehr einer Landschaft von Salvator Rosa; zu sehr einer verbotenen Holzschnittzeichnung in einer Schreckensgeschichte.

Aber dies war noch nichts im Vergleich mit der „verfluchte Heide“. Dies wurde mir sofort klar, als ich am Ende eines weitläufigen Tals auf ebendiese Heide stieß; keine andere Bezeichnung könnte etwas Derartiges präziser beschreiben oder irgendetwas anderes besser zu einem solchen Namen passen. Es schien, als ob der Dichter die Bezeichnung just in dem Moment geprägt hatte, als er dieser besonderen Gegend ansichtig wurde. Es musste sich, so dachte ich, als ich mich umschaute, um das Ergebnis eines Brandes handeln; aber warum nur ist auf diesen fünf Morgen Ödland, die sich wie ein großer Säurefleck in die umliegenden Wälder und Felder fraßen, nie wieder etwas Neues gewachsen?

Der Großteil davon lag nördlich des alten Straßenverlaufs. Nur an wenigen Stellen griff die Ödnis auf die andere Seite der alten Straße über. Ich verspürte eine merkwürdige Abneigung dagegen, mich der Gegend weiter zu nähern, und tat es schließlich nur, weil mich mein Auftrag dazu zwang, diese Region zu passieren. Hier gab es keinerlei Vegetation irgendeiner Art, sondern überall nur einen feinen, grauen Staub – oder vielleicht war es auch Asche -, die aber erstaunlicherweise zu keinem Zeitpunkt vom Wind aufgewirbelt wurde. Die Bäume in der näheren Umgebung wirkten kränklich und verkümmert, und viele abgestorbene Baumstämme standen oder lagen verrottend an den Rändern der Heide. Als ich hastig daran vorüber Schritt, bemerkte ich zu meiner Rechten die verschütteten Ziegel und Steine eines alten Schornsteins und Kellers sowie den gähnenden schwarzen Schlund eines Brunnens, dessen elende Ausdünstungen ein seltsames Spiel mit den Farben des Sonnenlichts trieben. Verglichen damit, schien mir der lange, dunkle Aufstieg durch den Wald eine willkommene Abwechslung zu sein, und mittlerweile wunderte ich mich auch nicht mehr über die ängstlichen Flüstergeschichten der Bewohner Arkhams. In der näheren Umgebung waren keine Häuser oder Ruinen von Bauernhöfen zu sehen. Schon in den ältesten Tagen muss dieser Ort sehr einsam und abgelegen gewesen sein. Für meinen Rückweg wählte ich die weiter südlich verlaufende Straße und ging auf recht verschlungenen Wegen zurück in die Stadt, da ich mich davor fürchtete diesen ominösen Ort in Dämmerung erneut passieren zu müssen. Vage hoffte ich darauf, dass ein paar Wolken aufziehen würden, denn ein seltsames Angstgefühl hatte sich angesichts der himmelblauen Leere über mir in meiner Seele eingenistet.

Am Abend befragte ich die alten Bewohner von Arkham nach der verfluchten Heide und was mit dem Ausdruck »seltsame Tage« gemeint war, den so viele von ihnen beiläufig erwähnt hatten. Ich erhielt jedoch kaum aussagekräftige Informationen, außer dass das ganze Mysterium weitaus aktueller war, als ich es mir ausgemalt hatte. Es handelte sich dabei keineswegs um uralte Legenden, sondern um etwas, das sich zu Lebzeiten derer ereignet hatte, mit denen ich gesprochen hatte. Das Ganze war in den Achtzigerjahren geschehen, und eine Familie war dabei entweder verschwunden oder getötet worden. Die Ausführungen meiner Gesprächspartner waren äußerst unpräzise und teilweise widersprüchlich, und weil sie alle der Auffassung waren, dass ich den verrückten Geschichten von Ammi Pierce auf keinen Fall Beachtung schenken solle, suchte ich genau diesen am nächsten Morgen auf, nachdem ich gehört hatte, dass er allein in der alten baufälligen Hütte lebte. In einer Gegend, in der der Baumbewuchs bereits zunehmend dichter wurde. Es war ein furchterregend archaischer Ort und das Gebäude hatte bereits begonnen, einen schwachen Gestank zu verströmen, der an allen Häusern haftet, die schon zu lange stehen. Nur durch hartnäckiges Klopfen konnte ich den alten Mann aufwecken, und als er ängstlich zur Tür schlurfte, bemerkte ich, dass er nicht sonderlich erfreut war, mich zu sehen. Er war nicht so schwächlich, wie ich erwartet hatte, aber seine Augen hingen auf eine seltsame Weise herab, und seine liederliche Kleidung und sein weißer Bart ließen ihn sehr ungepflegt und trostlos erscheinen. Ohne genau zu wissen, wie ich ihm am besten seine Geschichten entlocken konnte, heuchelte ich eine Angelegenheit von Wichtigkeit vor; erzählte ihm von meiner Vermessungstätigkeit und stellte ihm dabei vage Fragen