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Als Rainer Malkowsi 1975 mit dem Band "Was für ein Morgen" debütierte, war es die Zeit der neuen Subjektivität in der Lyrik. In seinen Gedichten wird aber die Aufmerksamkeit für das Alltägliche und Gewöhnliche in die philosophische Frage nach dem Wesen der Dinge gewendet und verharrt nicht in der Subjektivität. Indem Rainer Malkowski jede bedeutungsvolle und metaphernreiche Rede vermeidet, dringt er tiefer zum Wahrheitskern seiner Beobachtungen vor. Zwar sind seine Gedichte ein vehementer Einspruch gegen die Anmaßungen der Wissenschaft und die Entzauberung der Welt, sie sind es jedoch nicht aus radikaler Subjektivität, sondern durch ihre Präzision. In seinen Gedichten ist jedes Wort durch den sinnlichen Eindruck gedeckt. Rainer Malkowski hat zu Lebzeiten neun Gedichtbände veröffentlicht. Das gesamte lyrische Werk des 2003 verstorbenen Autors, der einer der erfolgreichsten Werbetexter der Bundesrepublik war, wird hier in einem Band vorgestellt. Ein kluges und einfühlsames Nachwort des Lyrikers und Essayisten Nico Bleutge beschließt den Band.
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Seitenzahl: 228
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Mit einem Nachwortvon Nico Bleutge
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnetdiese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internetüber http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Zweite Auflage 2012© Wallstein Verlag, Göttingen 2009www.wallstein-verlag.deVom Verlag gesetzt aus der Stempel GaramondUmschlaggestaltung: Susanne Gerhards, DüsseldorfDruck und Verarbeitung: Hubert & Co, GöttingenISBN (Print) 978-3-8353-0523-6ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-2458-9ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-2459-6
Was für ein Morgen (1975)
Einladung ins Freie (1977)
Vom Rätsel ein Stück (1980)
Zu Gast (1983)
Was auch immer geschieht (1986)
Das Meer steht auf (1989)
Ein Tag für Impressionisten und andere Gedichte (1994)
Hunger und Durst (1997)
Die Herkunft der Uhr (2004)
Nachwort von Nico Bleutge
Verzeichnis der Gedichttitel und -anfänge
Inhalt
Mein Schrank kann nichts dafürmeinem Tisch kann ich keinen Vorwurf machenauch Stühle und Sesselsind außerhalb jeder Verantwortungsollten aber Pfannen und Töpfeschuld daran seindaß ich nicht mehr leben mag in meinem Haus:ich werde es schon noch herausfinden.
Stockige Luft,in der zwei mal zwei vier ist.Die eiserne Klammer um meinen Kopf.
Wenn ich sie löse,zerplatzt er.Und schnellerals mein Nachbar über der Suppeerstaunen kann,sind alle meine Gedankenin zwanglose Winde zerstreut
– und ich mit ihnen:unauffindbarunter zufälligen Planeten.
Mäßiges Schnitzel vor Ulm.Im Zwielichtdie entzündeten Augen eines Signals,das auf Rot steht.Wir allemüssen einmal sterben,sagen die Überlebenden.Der Zusammenstoß war lautund vermeidbar.Nur der Familienvater mit derVerbundscheibe im Halssah verwundert aus.Aber, nicht wahr:so sind die Lokomotivführer heute.Alles wissen sie,und es hilft ihnen nichts.
Dies ist ein Morgenzu schönum nicht an den Tod zu denken.Die fabelhaft indirekteBeleuchtung,die Wolkenschollenlocker im Blau.
An einem Morgen wie diesemfuhr ich durch Simmering;sah Grabmal und Küchenkraut.Sah die erbitterte Steinmetzfraustaubwischenauf den Schultern der Engel.
Wüßte ich einen –ich gäb ihm meinen Tagunbenutzt.
Gestern haben sie hier ein antikesTheater ausgegraben,fast zweitausend Jahre alt.
Aber das ist nicht das Erstaunlichste:auf der untersten Steinstufefanden sieein nahezu vollständiges Skelett.
Offensichtlich ein Zuschauer, der sich weigerte,zu glauben,daß alles aus ist.
Gleichschritt.Die Frau, die ins Schweigenihr Taschentuch verliert.Die Delle in der Tuba.Die schaufelnden Schuhspitzendes Pfarrers –
Wär ich so jungwie der picklige Meßbub vorn.Er kämmt mit den Fingerngelangweilt den Scheitel.
bis an die Hüfte reichtdas Gras dem Knabener sieht den Vögeln zuwer darum weintwird der nicht Flügel habender Knabe gehtmit einem Traum zur Ruh
Am Anfang hatten sie keinen Teller für mich,denn ich war ihnen nicht ähnlich.
Da begann ich mich zu verstellen.Ich lernte die Suppe zu löffeln wie sie.
Jedes Jahr wurde ich ihnen ähnlicher,und eines Tagesheiratete ich die Tochter des Kochs.
Wollte ich heute sein wie am Anfang:ich müßte mich wieder verstellen.
Erst wenn der Schlüssel verlegt istwenn die Tür Rost ansetzt in den Angelnwenn Radio und Fernsehen gesperrt sindund natürlich das Telefonwenn der Briefträger nicht mehr klingeltwenn die Freunde verreist sindwenn die Nachbarn sich abgewöhnt habennach dir zu fragenerst danndann vielleichtwird sich herausstellenwas du bistein Rufoder ein Echound ob dein Ohr fein genug istdas zu entscheiden.
Ich trete meine Uhr in den Sand.Ich will mir den Baum nicht merken,unter dem ich meinen Anzug ablege.Und wenn ich hinausschwimme,höre ich nichts als den Wind.Unablässigdurchwühlt er die Zweige nach seinem Namen.
Dieser Platz, groß genugfür zehn oder zwölf Busse:jetztmit toten Blättern bedeckt.Im Pfarrhaus drübeneine fleischige Hand an der Gardine.Was ist zu halten von Bittgängernaußerhalb der Saison?Die eisenbeschlagene Türruckt zögernd ins Schloß;unsicher über das Maßan Stille, das mir zumutbar ist.Ob Gott an mich glaubt?Ich zähle die Rautenfliesenim Mittelgang.Es ist sehr weitzu den Gesichtern der Heiligenund dem Altartuch, das steifvor Kälteum den Marmorblock steht.
Nicht in Häusern, nicht in Worten,nicht unter Händen im Dunkeln –wo der Horizont mitwandert,wo alle Ziele gleich weit sind,wo Raum istund keine Herberge, wo kein Strauchdie Unendlichkeit bedeckt,da ist Zuflucht.Ich trage meine Unruhe über die Felder,und sie steigt auf mit den Krähen.
Hier, im Goldenen Winkl,wurde Gottfried Keller geboren.Leberliißt man in der Reblaube vorzüglich.Darf ich Ihnen mehr zeigen?Vielleicht den schwimmenden Käfigder Frauenbadeanstalt.Oder möchten Sie die patriotischenBrunnen besehen?Ich habe sie gezähltan einem leeren Novembertag.Meine Zufälligkeit,abgespiegelt in den Scheibenhonetter Juweliere und Confiserien,zwingt mich zur Präzision.Wenn es auch wenig hilft,diese oder eine andere Stadtauswendigzulernengegen das Fremdsein.
Der Mond scheintauf die halbleere Bierflaschevor mir.Wie lange schon?Irgendwann diese Nachtging der Ofen aus.Irgendwann diese Nachthörte die Uhr auf zu ticken.Irgendwann diese Nachthatte ich eine Verabredung mit mirund bin nicht gekommen.
Hundertstimmig schreien die Vögelin den verlassenen Gärten den Tag herbei.Dir bleiben noch drei Stunden Schweigen.Dann werden die Brötchen vor die Tür gelegt,der Nachbar läßt sein Auto an:
du gehst von dir fortund lebst.
Morgende gibt esleicht weißdascheint alles möglich.
Gestern abend, zum Beispiel,habe ich lange daran gedacht.
Einmal, auf einem Sandberg,an einem heißen Sommertag an der Havel,habe ich einen gelben Vogel erfundenals ich noch jung war.Der flog nur für michund meine Freundeund starb im Schilf bei Lindwerderam Abend des Tags.
Nun weide ich ihn aus.
Immer wieder die Rucksäcke,die man als Jungekeuchend über Chausseen trug,alte Kähne im Spreewald,das Oberschenkelreißenin zu enger Schulbank.Die Lucies und Marionsauf Kellertreppenund unter Kirschbäumen.Krankenzimmer, Schläge,Hoffnungen,in eine Tapete geritzt.Der erste Schreibtisch, Verse,eine Silbe, die nicht auf der Zunge zerging.Ich sagte, er sagte,wir taten, wir unterließen:dieses ganze verdammteWiederkäuen der Vergangenheit bissie immer schmackhafter wird.Sonnenaufgängeund -untergänge,die kühle Zwiesprache,nachts,mit dem Brunnen in Goslar.Reisen, Räuscheund hastig abgeworfene Bettdecken.Pfadfinder rückwärts –immerüber die eigene Fährte gebeugt.Ja, da ist einer gegangen und alsolebt er.
Lebt er auch heute?Heute, ein Tag,der verdecktgeschieht.Morgen, das istdie Zeit bis zum Tod.
Frag michoder frag mich nicht –mein Lindoswirst du nicht finden.
Anders die Krüge,anders die Schwellenund anders,später,werden die Lädengegen die Mauer geschlagenfür eine kurze Spanne Tanzund Gelächterhinter dem Rückender Ewigkeit.
Frag michoder frag mich nicht:kein Ort, an dem wirwirklichgewesen,ist auf der Karte verzeichnet.
Ganz schön von Zeit zu Zeitden Finger auf die Karte legenund sagen zu können: hierwar ich.Weißt du noch – Attersee?Der Auspuff war kaputt.Wir warteten in dem Gasthof,in dem Gustav Mahler drei Sommer lang –oder waren es vier?Magda Schneidersaß unter den Kastanienund wehrte mit dem Bierfilzdie Wespen ab.Mir fiel eine ins Glas.Kurz darauf,mittags, feuriges Geläutüber dem Feld.All das am Rande.Du kennst ja die ungeschickte Artder Familienfotografen.Ganz vorne ein Bootssteg, ein Dampferund irgendwo hintender,auf den es ankommt:ein schwer erkennbarer Menschmit Brille und Hut.
Es führt keine Spur zu mirdurch den Schnee.Wen könnte ich herbeiwünschen?Die Wirklichkeitist eine fremde Erzählung auf meinen Knien.Selbst die Fabelwesen in ihrleben.
Wir verstehen uns nicht,das ist gut.Lange glaubte ich,es gäbe vielleicht eine Brückevon dir zu mir.Ich schlief unruhig.Ich hoffte mich krank.Nun schneide ich mir Weidenund pfeifeim Dickicht des Ufers.
Einmal war ich dir nah.Ich durchwuchs dein Fleisch.Ich legte meine Lidergenau unter deine.Zusammen schlugen wir die Augen aufund ich sah:drei Schritte weiter ein Korbstuhl,darin ein Mann,der Zeitung las.
Schon seit zwei Jahrenmöchte ich ein Gedicht über eine Zigarre machen.Aber eherspießt man die flüchtige Liebe aufs Wortals daß mit Silbeneine 70er Fehlfarbe gelingt, eine veritable,verstehen Sie, eine mit Rauchund Effekt:genußvoll nimmt sie der Lesermeinem Gedicht aus der Hand.Die Liebe, denkt er und zieht mal:na, ich weiß nicht,aber die Fehlfarbe hierbrennt verläßlich und gut.
Sie und ich zusammen in einem Raumdas sind zwei Personen.Sie allein in einem Raumund ich allein in einem Raumdas sind zwei andere Personen.Sie allein in einem Raumund ich allein in keinem Raumoder umgekehrt oder andersoder früher oder später –wir zweisind nicht zu zählen.
du bist schöndu bist hochbeinigglatthäutig im blauen Tuchich binzu jeder Vokabel bereithilfmeiner ermatteten Sehnsuchthilf ihr weitüber dich hinauszu mir
Wange an Wange sehen wir:im Beinhaus die Schädelder Ungeliebten.Hüftknochen, um dienie zärtliches Fleisch war.So sicher urteilenüber die Lieblosigkeit der Liebedie Liebenden.
Mitten in einen Versüber die Vergeblichkeit menschlicher Beziehungenklingelt das Telefon.Sollen wir kommen? fragen die Freunde.Ja, rufe ich erleichtert, ja!Und der Vers bleibt auf dem Schreibtisch liegen,wo er eine Weile verstaubt.
Was ist mit denendie unbeschwichtigt ausfahrennur für eine Stundeund sie kommen nicht zurück?
Und was mit denen diewartendas Wort auf der Zunge?
Die Zeit wird fleckigauf ihren Händen.Ach, sagen sie:so viele Jahre vergingen?
Und erleichtertzerfallen sie zu Staub.
Was geht er mich an?
Wie wichtig ist ihm, wasmirwichtig ist?Und doch schreckt mich, er könnteentmutigt stehenbleiben –er,da drüben,auf der anderen Straßenseite,der sich wie ichstemmt gegen den Novemberwind.
Das ist ein Tag, wie sie ihn liebt:Stille und ein schwacher Geruchnach Bohnerwachs.In den Akazien draußenstoßweise Wind.Der Wächter auf seinem Stuhlist eingeschlafen.Keine Schulklasse heute.Niemand da, der sie stört,wenn sie sich von den alten MeisternStunde für Stundedasselbe Rätsel aufgeben läßt.
Spiegelnde Chausseeunter der Julisonne.Mein Schrittklopft Nägel in die Luft.Ein Fenster schlitzterschrocken den Mittag.Im Schatten der Kammerschlägt die Bäuerin das Kreuz.Ihr träumte,es hätte der letzte Menschdie Erdeschon gestern verlassen.
Dorfstraße,von den Schatten verlassen.Der zögernde Schritt einer Katzeerprobtdie Dehnbarkeit der Zeit.
ein Stuhl eine Blumeein gefüllter Tellerein geschlossener Mundeine Hand die sehr weiß istein Bild ein Baumeine Notedies alles will nichts undheißt nichtund segelt lautlos durch den Tag
Der Mainstellt Pappeln auf undströmtgegen die Fahrtrichtung.Aber der Windfaltet die Bäume zusammen.Erzähl mir nicht,es seietwas jenseits des Flussesaußer Campingwagenund flatternder Wäsche.Die Welt,eben noch zugfenstergroß,geht klanglos untermit dem sinkenden Lid.
Meistens gebe ich mir vorherein Pensum auf.Aber wenn ich den verwachsenen Jagersteig geh,vergesse ich,was ich herausfinden will.Denke nur: die Häuserliegen so klein im Tal.Und bin sonderbar getröstetüber die Richtigkeit dieser Banalität.Späterraste ich in einem Holzschlag.Döse,höre: die Schafeschellen über den Berg.
Was für ein Morgen!Die Sonne kamals wir sie schon nicht mehr auf unserer Rechnung hatten.Jetzt den Rücken hinhaltenund stillsein.Carl Philipp Emanuel Bach ist an der Reihe.Er begleitet uns zu Honig auf Toastund schwarzem Kaffee.Sonata d-Moll. Es geht uns zu gutfür gebotene Präferenzen.Erleichtert,mit triumphierend geschlossenen Augennehmen wir Abschied von allen Plänen.Jeder für sich:auf glückliche Weiseverschollen in seinem Stuhl.
Welche Erleichterung auf einmal,samstags, im Menschengewühlder Bahnhofstraße,wenn der Blick auf die steinernen Zügeder Brunnenfigur fällt.Unbewegtlächelt die Nymphe ins Leere;keinem Ziel ergeben,das läppisch ist.
Die ist nicht von mir.Die las ich bei Becker.Die Geschichte des Mannes,der ein Jahr lang nichts anderestatals den Baumvor seinem Fenster zu fotografieren.Ich finde, das isteine gute Geschichte.Einer erzählt sie dem andernund schweigt dann und wünschtsich auchfür soviel Hingabeeinen Gegenstand.
70 Jahre Arbeit – unbeirrt:ein schwerer Stand für den Reporter,einen Mann im Alterder Absichtserklärungen.Die Schmetterlinge, Käfer und Bienenin den Glaskästen an der Wandgeben sich für eine Anklage nicht her.Sie verlassen das Arbeitszimmer.Gehen im rauchenden Morgenden privaten Uferweg.Haben Sie sich niefür Politik interessiert?Nein, sagt der alte Mann.Aber glauben Sie nicht,daß eine solche Haltung der Professorenden Nationalsozialisten die Machtübernahmeerleichtert hat?Möglich, sagt der alte Mann.Sie steigen ins Boot,und der Alte rudert den Jungenhöflich über den See.
der da selig in sichüber das Feld stolpertden brockigen Ackerder Ausflügler an Föhntagenim jungen Novemberunter einem Himmel der postkartenblauist und duldsamaus sehr großer Höhe –der Einzelne der nichtsbeiträgtzur Lösung der Fragendie in den Nachrichten als Tatsachengetarnt werdender Läufer Davonläuferlaßihn laufender lehrt nicht der heilt nichtder verschafftkeine Rechtedas bißchen Zorn das er hatreichtan guten Tagengerade gegen ihn selbst –der da selig in sichüber das Feld stolpertden brockigen Ackerder Ausflügler an Föhntagenim jungen Novemberlaßihn laufenlaß ihn nicht
laufener ist der von dem alle Nachrichteneigentlich handelnder unbeteiligte Täternie gefaßtohne Gesicht ohne Namenunter einem Himmel der oft postkartenblauist und duldsamaus sehr großer Höhe
Am meisten liebe ich die Altendie ihren Kaffee selberund nach eigenem Rezeptbrauendie immer härter werdenmit wachsendem Muskelschwunddie sagen:wenn ihr unter Altersweisheit verstehtdaß man sich abfindetsucht euch einen Jüngeren.
Manchmal, nach einem Herbststurm,wenn die Luft still und gefegt ist,gehe ich im Garten umher und zähledie abgeschlagenen Äste.Nur die Weide zeigt keine Veränderung.Ich bewundere sie lange:nicht immer sieht es so schön aus,wenn die Biegsamkeit überlebt.
Sag ihr, ihr braunerPullover sei blau.Sag ihr, die Sonneginge im Westen auf.Wenn du entschieden genug bist,und dein Anzugist aus feinerem Stoff,wird sie es zugeben.Wird vielleicht eine Weile nochmurren,wird lauter als nötigin der Küche hantieren.Doch schließlich:war es nicht immer so?Immer kam einer,der wußte es besser.Kleine Leute müssen sich beugen.Ja ja,da kann man nichts machen.
Da lachen sie, die Pendlerzwischen Reihenhaus und Bürostuhl,drehen sich noch einmal umehe sie in den Zug steigen,und während sie schonsehr gleichmäßig dahinrollen,sehen sie zum drittenmal:fünf Wagen mit der Aufschrift Minelli,das trübäugige Pferdam Pflock,das speckige Zeltund den Käfig mit Affen.Dazwischen eine füllige Frau,die Wäsche aufhängt.Wer geht Samstag in den Zirkus?Es hat einereinen Witz gemacht.Aber natürlich: man wirdes den Kindern erlauben.Das ist so ein Alter, das gehtvorüber.Undenkbar, daß eins aus der Art schlägt.Eines Tagesin unwirtlichen Ländernund vor sehr fremden Leuteneine bescheideneeigeneNummer riskiert.
Manchmal, bei Chips, wennder Film reißt,einen Augenblick flimmernnoch die Gesichter der Gleichmacherüber den bildlosen Schirm,wird uns bewußt,waswir gesehen haben:ohne Haß, ohne Zorn,ohneAnteilnahme.Heißt es nicht, daß die Augendurch den Sehnerv mit dem Gehirnverbunden sind?Heißt es nicht so?Das Fernsehen wird immer perfekter.Seltenreißt der Film.Wir bleiben verwiesen auf Störungen,die in uns selber sind.
das ist natürlich primadaß die Alten hier einen Platz habender Senatließ Skattische aufstelleneinen Toilettenwagen abkoppelndie Bäume um den grützigen Teichwurden harmonisch gestutztjede Rentnerinerhält eine Tüte Entenfutterpro Monatein ehrenamtlicher Obmann demonstriertwie man geschickt damit umgehtsoauswerfen liebe Oma sosodazwischen blühen die Dahlienund es kommt wohl auch mal eine Schulklasse vorbeidie schreibt einen Aufsatzüber die Würde des Alters
Sieh hinab auf den bleichenWaldder Strohhalme in den Weißbiergläsern.Auf die Tortenmünder und dunklen Brillenum die Blechtische,unter denen das Fleisch schreit,seufzt, murmeltvor Verlassenheit.Hin und wieder setzt jemandklirrend die Tasse ab.Starrt hinaus auf das kleineSegelboot in der Ferne,das näherkommt und wieder abdrehtund wieder näherkommt.So nun schon eine Weile.So nun wohl den ganzenlebenslangenNachmittag.
Noch ehe sie ihr festes Haus bauten,St. Markus, Schutzherrmit dem geflügelten Löwen,meißelten sie Dich.Kinder hatten einen schönen Tag –Deinetwegen.Frauen nahmen das gerettete Kleidaus der Truhe.Die Männerlächelten zum erstenmalin der Fremde.
Abends ein bescheidener Umtrunk.Gemessener Tanzin schlecht erleuchteten Hütten.Ein Stein flog durchs Fenster.Die Chronik berichtetvon einer blutigen Schlägereimit den Einheimischen.
Alles vernarbt.Wie immer das Falsche vergessen.Die Flüchtlinge, St. Markus,sind seßhaft geworden;hartblickendwenn sich im Dorfein neues Gesicht zeigt.
Spät, im kalten Januar 46,eine Schlange vor dem zerbombten Rathaus.Ein oder zwei Männer.Sonst Frauen,die Taschen fest zwischen den Schuhen.Wer endlich an der Reihe ist,rückt das kleine Fernrohr zurechtund besiehtfür zehn Pfennig den Mond.
Wie und zu wemspreche ich?Immer fällt mir der Mann ein,der auf den Stuhl stiegin speakers cornerund dannzu reden vergaß.Schwer zu sagen,was gefährlicher ist:der monomanische Schreioder das Schweigen,das ebensogut ihnwie alle Möglichkeitender Wahrheit einschließt –die nämlichunverteidigt.
Eines Tages werden sie versammelt,die Dichter der Harmlosigkeit.Sie werden erweckt und gewaschen.Ausgestattet mit Ehrenkartenwerden sie platznehmenauf der großen Tribüneund die Parade abnehmenam ersten Jahrestagder geglückten Normierung.Da defiliert dann ein einziger Mann,der repräsentative Querschnittund Enkelbegeisterter Leser.
Man kann es ein Gedicht nennen.Wem hilft es?Mit Punkten beladen,mit Strichen fährt das Schiff über das Blatt– klein über dem Schornstein der Rauchvager Bedeutung.
Beziehungen und Eindrücke.Die Überschätzung des Ordnungsprinzipsaus Hilflosigkeit.Die Unterschätzung des Ordnungsprinzipsaus Hilflosigkeit.Jedes Komma ist wichtigund tut nichts zur Sache.
Das istsowas Unbestimmtes.Das beginntin den scharrenden Füßen.Oder beginnt es im Kopf?Das zuckt in den Händen,läuft aus den Fingern als Tintemit Körpertemperatur.
Draußenschneits.
Ist dieser Tag soviel andersals gestern?Ich habe dieselbe Frauesse die Brötchen vom selben Bäckeram selben Tischim selben Hausmein Wissen hat sich nicht vermehrtmein Bankkonto zeigt keine Abweichungwarum also entstehtdas Gedicht?
Es ist mir bekannt,daß alles schon einmal beschrieben wurde:die Liebe, der Haß, der Zorn und die Trauer.Es ist mir bekannt.
Es ist mir bekannt,daß jedes Wort unzählige Herren hat:Tote und Lebende, Ehrliche und Lügner.Es ist mir bekannt.
Aber ich weiß auch,daß niemand mir abnimmt, mich zu erleben.Also gestatte ich keinem,für mich zu sprechen.
Ein Liebhaber des Mittagsin jeder Gestalt:staubig, mit Hühnernoder in kühlen Bibliotheken,die Rotweinkaraffeauf dem Tablett.
Immer schien mir natürlich,daß die SonneGottheitwar.Gnade und Ungnadeso unmittelbar auf der Haut –wie natürlich.
Wie natürlich, den richtenden Zornzu sehenin Mißernte und Rinderskelett.
Und an klaglosen Tagen,wenn das Lichtdie Früchte weidet,wie natürlich zu denken,daß,was wohltut,göttlich ist.
Alle diese kurzen Leben im Sommer,diese temperaturabhängigen Existenzen:einen Tag die Beine im Honigund schon am nächstenrücklings auf der Fensterbank.
Es lohnt nicht,die Hand nach ihnen zu heben.
Das Wasser braucht keinen Zuspruch.Fische trägt es in allen Tiefen,Dampfer und Schwärmekeuchender Schwimmer mit Leichtigkeit.Noch im Februar,wenn an den kahlenFahnenstangen die Schnüre knallen,schaukelt es freundlichden einsamen Schwan.
Nach langem Nachdenkenwomit der Wald über der Wiese am Koglzu vergleichen sei,entschloß ich mich in einer Welt der Verweisungenein Exempel zu statuieren:ich vergleiche den Wald über der Wiese am Koglmit dem Wald über der Wiese am Kogl.
Komm herund schau.
Der Pfahl im Wasser,das Boot, das nicht da ist.Das geschlossene Auge,hinter dem sich der Seephantasielos belebt.
Von den Jahrhundertbäumenblieb kein Baum.Stieg je ein Wegdurch raunenden Hochwald?Der Berg ist kahlan den tiefen Himmel genäht;schwarz,ein Flicken.
Doch sieh nurlange genug auf nichts:Gedulderinnert sich.
Eins zwei drei vierMalschnellt der Kiesel über das Wasser.Dann schlucktder Teich meine Freude:
ein Stein wie tausendeauf seinem Grund.
Ich plane ein Gedichtmit einem Baumund einer größeren Wolke.Mit einem Mann, der von weit kommt,vorbeigehtund wieder entschwindet:
bald nur ein Punktin rastlosen Schuhen.
Jedes Jahr Allerseelentreffen sich die traurigstenaller traurigen Gitarristenan einem unheimlichen Ort.Die ganze Nacht lang dauertder Wettstreit,die ganze Nacht hört man Musikund ihr glückliches Plaudernüber jede gelungeneStropheungespielter Verzweiflung.
Gelesen viel,behalten wenig.Weiß wohl, daß Nausikaadie Wäsche wäscht.Daß Witiko sein Blondhaarschüttelt,wenn er die Kappe abnimmt.Aber woher er kam,wohin er reitetim Waldviertel,dies und den Nutzen der Bücherhab ich vergessen.
So behielt ich,was bleibt.
Wenn, ohne besonderen Anlaß,ein Wort nicht gleich mit der Rede zerbricht,wenn es unversehrtnoch eine Weile hängenbleibtin der spätsommerlichen Luft,sitzt man vielleicht einige Zeit nachdenklichunter den Bäumenehe man aufsteht, die Glieder recktund geht.
Komm auf den Ball der einsamen Wortemein plappernder Schatzda tanzt wer denn mit was dennund alle mit späterund keiner mit nie.Die Hoffnung betrinkt sichdie Liebe bleibt sitzender Kellner hilft morgennicht aus dem Mantel.
So geht das bis Fünfjede Nachtdann legt man sich schlafengeradewegs in deinenredseligen Mund.
In diesem Gedichtist von etwas ganz anderem die Rede.Von etwas, das endlicheinmal zur Sprache gebracht werden muß.Ich werde nicht müde,es immerund immer zu wiederholen:solangebis jeder begriffen hat,worum es geht.
Soviel Mühe den Mondzu beschreiben.Von verzehrenden Sternengar nicht zu reden.Und wieviel giltein glänzendes Nachtlied?Immer sehe ich,was zwischen den Lichtern ist.Weit größer der Raum,der im Finsteren liegt.
Ich glaube nicht, daß eine Anhäufung von FaktenWirklichkeit schafft.Aber das ist ein literarisch-fachlicherGesichtspunkt.Ich wollte eigentlich nur sagen,daß mir gestern im Schneetreibenein Schaf über die zerrissene Wieseentgegensprang.Und ich dachte an Menschenohne Mut, zu vertrauen.
Wozu mit ihr streiten?Zahlenbeeindrucken sie nicht.Sie kommt von jenseitsder Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Hoffnung –Frühaufsteherinam schwärzesten Tag.
so ein reinlicher Morgender junge Tagein leeres Nichtraucher-Abteilhebden rechten Armhebden linken – siehedu funktionierst nochaber machvon dir sparsam Gebrauches istso ein reinlicher Morgen
Den Kirschbaum untersucht.Den weißen Holunder am Weg:fünf Stengel, fünf Blütenblätter,fünf Staubgefäße.Schöne Genauigkeit, Schwester –ich lege den Arm um dich.Einmal am Tagwirklich sehen.Im Ungefährenist das schon viel.
Wäre das nicht auchetwas für uns?Jedes Ding an seinem Platz,jeder Platzwie er den Dingen gemäß ist?Die Bücher im Bücherzimmer,die Bilder –kurz:richtige Adalbert Stifter-Zimmer.Ein Raum für die steinerneTrauerund einer für unsere strömendeHeiterkeit.Ein Zimmer, in dem wir die geheimeOrdnung der Weltaus Liebefür möglich halten.Und eines, in dem wir sie aus enttäuschterLiebe bezweifeln.Ja, das wärewohl auch etwas für uns.Ruhelos aber nieohne Orientierung,uns selber stets faßlich,ablesbar schonam jeweiligen Mobiliar,wären wir so in unserem schönenHundert-Zimmer-Hausunterwegs bis ans Endesehr übersichtlicherTage.
So einmalig können wir gar nicht sein,daß uns die Dutzend-Romanenicht immer wiedereinholen.Zwei Stunden im Zug,nachts,wenn im leeren Abteildie Neonröhre knistert,und schon sacken wir abins Wahrhaft-Allgemeine.Befremdetsehen wir in der schwarzen Scheibeunser Spiegelbild:zwei Augenauf der Oberfläche einer weitreichendenFinsternis.Bahnhofsuhrentauchen hin und wieder bleichaus dem Dunkel.Ihre Zifferblätterwerfen einen trüben Scheinauf Stationsschilder mit unlesbarenNamen.Lächerlich, denken wir,und ziehen mit der Schuhspitzeein Sitzpolster heran.Diese Art blinder Reise –was für ein abgeschmacktesGleichnis.Aber der Schweiß bricht uns aus.Denn vollkommen mühelos,komplett mit Hut, Paß und Mantel,löst sich unsere schwankendbehauptete Identitätauf in einer einzigenabgegriffenenMetapher.
Das lernst du nie,denke ich –wenn ich lese, wie der berühmteDichter seinen Tagso lückenlos über die Zeit bringt.Aufzeichnungen ohne weiße Flecke.Jede Sekunde,von der Arbeit in der Bibliothekbis zum Graben im Garten, der Erbsensaat,ein dicker, warmerschwarzer Buchstabe.Das lernst du nie,denke ich –wenn ich mich auftauchen seheund verschwindenin diesem Herbst, der vielzu geräumig für mich ist.Auf meinem eigenen Papiernichtsals im Viertelstundenabstand vom nahen Turmder Glockenschlag.
Im Speisezimmer des Philosophenwar in die dunkelgetäfelte Wandeine besondere Artvon Weltkarte eingelassen.Ein schimmerndes Rechteck:leerbis auf die Orte,die der Hausherr mit eigenen Augengesehen hatte.Was, frage ich mich,bestärkte ihn nun mehr,fortzufahren mit der täglichenEinnahme der Suppe:die langsam wachsende Zahlroter Punkteoder die Gewißheit der am Endesiegreichen weißen Fläche?Der Biograph des Philosophenwar weiseund gab keinen Kommentar.
Warum besucht mich nie einer,der ein System erdacht hat?Oder einer von den Männern,aus deren Leidenschaft für ein einziges Wortein zehnbändiges Werk wird?Immer kommen Leute zu mir wie Du,die meine Zigarren rauchen und dannim Anekdotischen steckenbleiben.Ich weiß ja,wie der Kramladen aussah,in dem wir als Kinderverstaubte Negerküsse kauften.Und daß Frau Libor selbst im SommerHandschuhe mit abgeschnittenenFingerspitzen trug.Warum also erzählst Du mir das?Einzelheitenhabe ich genug in meinem Kopf.An jeder Straßenecke laufen mir neue zu:Hunde,die sich nicht abschütteln lassen.Aber nur ein Narrkönnte glauben,aus soviel kläffender Belanglosigkeitwürde jemals ein gewichtigesGanzes.Und das Schlimmste, mein Lieber:verzweifelt gernwäreich so ein Narr.
Schwachist der Resonanzkörper:auf dem einsaitigen Krummstockein leeresStraußenei.Also kein Instrument für den Beifall.Vielleicht auch kein Instrumentzum höheren Ruhmvon irgendwem.Niemand sonst hörtwas der Buschmann geigtim Steppenwind –ein paar Bogenzüge langsich selbstzum Erstaunenvernehmlich.
Und zuletzt sind es dann doch immer nurein paar Giebel,an die wir uns erinnern.