Die getrimmte Lampe - O. Henry - E-Book

Die getrimmte Lampe E-Book

O. Henry

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Beschreibung

Ein Zeitungsartikel war der Auslöser für O. Henrys 1906 erschienene Buch 'Die Vier Millionen'. Darin wurde behauptet, dass es in ganz New York nur 400 Personen von Wichtigkeit gäbe, die es lohnen würde, zu kennen. Doch was ist mit den anderen 3,999,600, deren auf so vielen Hoffnungen basierendes Leben oft nicht einfach war und nicht selten dauerhaft in der Gosse endete? Aber auch diese Menschen sind Teil der Stadt, ohne die es sie überhaupt nicht gäbe. Nach dem großen Erfolg des ersten Werks erschien im Jahre 1907 dieses zweite Buch über die 'Vier Millionen' mit dem Titel 'Die getrimmte Lampe und andere Geschichten der Vier Millionen'. O. Henry bringt hier neue Geschichten aus dem Leben in New York und beschreibt Schicksale - tief traurig bis amüsant. Wie dem auch sei, O. Henry bleibt seinem Stil treu und überfrachtet den Inhalt mit Redewendungen, Metaphern und Bezügen aller Art, die oft kaum oder gar nicht verständlich sind. Selbst literarisch geschulte Muttersprachler tun sich hier arg schwer, herauszufinden, was O. Henry eigentlich meint - die einschlägigen literarischen Foren sind voll von Fragen nach dem tieferen Sinn, die nicht immer befriedigend beantwortet werden konnten und manche Versuche von Erklärungen verharren bestenfalls im Bereich der Spekulation. Wie beim ersten Buch auch, hat der Übersetzer, der selbst einige Zeit im 'Big Apple' gelebt und gearbeitet hat, versucht, möglichst viel Licht ins Dunkel zu werfen. Dies geschah in Endnoten, Anmerkung direkt im Text oder wurde in diesen eingearbeitet - wenn es kurz zu erklären war. Vielleicht findet der O.Henry-Forscher dabei ja einige neue 'Erleuchtungen'.

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INHALT

Vorwort des Übersetzers

Vorwort zu O. Henry

Die getrimmte Lampe

Eine arabische Nacht im Madison Square

Rubaiyat für einen 'Scotch Highball'

Das schwingende Pendel

Zwei Thanksgiving-Gentlemen

Der Erfolgs-Sachverständige

Der Einkäufer aus Cactus City

Die Dienstmarke des Polizisten O'Roon

Brickdust Row

Die Erschaffung eines New Yorkers

Eitelkeit und Zobelpelze

Das soziale Dreieck

Das lila Kleid

Die Außenpolitik der 99. Kompanie

Die verlorene Mischung

Eine Tragödie in Harlem

Der schuldige Teil – eine East-Side Tragödie

Jeder auf seine Art

A Midsummer Knight's dream

Das letzte Blatt

Der Graf und der Hochzeitsgast

Das Land der Elution

Die Fähre der Unerfüllung

Die Geschichte eines schmutzigen Zehners

Elsie in New York

Endnoten

VORWORT DES ÜBERSETZERS

Ein Zeitungsartikel war der Auslöser für O. Henrys 1906 erschienene Buch 'Die Vier Millionen'. Darin wurde behauptet, dass es in ganz New York nur 400 Personen von Wichtigkeit gäbe, die es lohnen würden, zu kennen. Doch was ist mit den anderen 3,999,600, deren auf so vielen Hoffnungen basierendes Leben oft nicht einfach war und nicht selten dauerhaft in der Gosse endete? Aber auch diese Menschen sind Teil der Stadt, ohne die es sie überhaupt nicht gäbe.

Nach dem großen Erfolg des ersten Werks erschien im Jahre 1907 dieses zweite Buch über die 'Vier Millionen' mit dem Titel 'Die getrimmte Lampe und andere Geschichten der Vier Millionen'. O. Henry bringt hier neue Geschichten aus dem Leben in New York und beschreibt Schicksale – tief traurig bis amüsant.

Wie dem auch sei, O. Henry bleibt seinem Stil treu und überfrachtet den Inhalt mit Redewendungen, Metaphern und Bezügen aller Art, die oft kaum oder gar nicht verständlich sind.

Selbst literarisch geschulte Muttersprachler tun sich hier arg schwer, herauszufinden, was O. Henry eigentlich meint – die einschlägigen literarischen Foren sind voll von Fragen nach dem tieferen Sinn, die nicht immer befriedigend beantwortet werden konnten und manche Versuche von Erklärungen verharren bestenfalls im Bereich der Spekulation.

Ein Kritiker hat es mal so formuliert (jedenfalls ungefähr so, wie ich mich erinnere): 'O. Henry jagt nach schriftstellerischer Abgehobenheit, dass er dabei nicht nur im Kreis läuft, sondern auch so schnell, dass er sich selbst überholt, im Vorbeihuschen auf ein bekanntes Gesicht trifft (sein eigenes), freundlich grüßt, und sich zugleich zum zweiten Mal selbst den Rücken zeigt'.

Einiges ist nur lokal (New York) oder aus zeitlicher Nähe zur Entstehung des Buchs zu verstehen. Zudem greift er tief in die obskurste Ecke der Zitatenkiste und kreiert Zusammenhänge, die oft arg hinken, kaum nachvollziehbar oder (selten) auch falsch sind. Wie beim ersten Buch auch, hat der Übersetzer, der selbst einige Zeit im 'Big Apple' gelebt und gearbeitet hat, versucht, möglichst viel Licht ins Dunkel zu werfen. Dies geschah als Anmerkung direkt im Text oder wurde in diesen eingearbeitet – wenn es kurz zu erklären war. Vielleicht findet der 'O. Henry-'Erforscher' dabei ja einige neue 'Erleuchtungen'.

Anders als im 1. Buch, wurden diese Information nun auch in Endnoten gesetzt (Fußnoten haben ihre Tücken hinsichtlich der E-Book Variante), um den Text noch leserlich zu halten, insbesondere, da O. Henry sich in seinen sibyllinischen Vergleichen noch einmal gesteigert hat.

Da wo es geboten und vertretbar war, wurde manches in den normalen Sprachgebrauch übertragen, gekürzt oder neu formuliert, besonders wenn es für die Geschichte ohnehin keine Bedeutung hat. Letzteres wurde aber möglichst selten angewandt.

VORWORT ZU O. HENRY

New York im Jahre 1900

O. Henry ist ein Pseudonym von William Sydney Porter, der am 11. September 1862 in Greensboro, North Carolina als Sohn eines Arztes geboren wurde. Er war in verschiedenen Berufen tätig – Schäfer, Verkäufer, Cowboy, Babysitter und schließlich Bankangestellter. Hier sah er erstmals Geld auf einem größeren Haufen, was er zugleich zur Unterschlagung nutzte.

Für schuldig befunden, verschwand er in Honduras. Dort schrieb er ein Buch, wo er den Begriff 'Bananenrepublik' für ein fiktives Land in dieser Region prägte (heute auch – gelegentlich – zu Recht für unser näheres Umfeld gebraucht). Die Krankheit seiner Frau ließ ihn zurückkommen, wo er dann eine langjährige Haftstrafe im Staatsgefängnis von Ohio antreten musste.

Am 24. Juli 1901 wurde er aus der Haft entlassen, wollte aber nicht in einer Apotheke tätig werden. Stattdessen trat er eine Stelle als Journalist der 'Houston Post' in Texas an und begann seine schriftstellerische Tätigkeit.

Bald danach gehörte er zu den bestbezahlten Schriftstellern in den USA und schrieb mehr als 300 Kurzgeschichten und zahlreiche Bücher. Intensiv studierte er das Leben in New York. Sein besonderer Witz wurde von den Lesern geliebt.

Gerne wird auch über die Entstehung seines Pseudonyms spekuliert, wobei er selbst für Verwirrung gesorgt hat. Einmal soll es eine Katze namens 'Henry' gewesen sein, verbunden mit dem Ausruf 'O(h), Henry', wenn sie wieder mal was angestellt hatte. Ein anderes Mal soll er den Namen Ossian Henry in einem Apothekerhandbuch gefunden haben, während er sich im Gefängnis zum Apothekergehilfen weiterbildete. Oder, im gleichen Gefängnis, soll es der richtige Name eines Wärters gewesen sein (ausgeschrieben Orrin Henry), den er mit seinem Pseudonym verewigt hat.

Eine andere Version erzählt, dass er Proben seiner Arbeit verschicken wollte, und dafür einen Autorennamen suchte. Auf einer Liste für einen Ball blieb sein Freund beim Namen Henry hängen, den man vom Vornamen zum Nachnamen machte. Den Vornamen wollte man abkürzen und einfach halten. Das 'O', meinte man, sei am einfachsten zu schreiben und war auch schon in Oliver Henry enthalten, einem seiner vorherigen Pseudonyme, wie S.H. Peters, James L. Bliss, T.B. Dowd und Howard Clark.

Oder diese (ernst gemeinte) Hypothese hier: Der Autor verbüßte eine Strafe in Staatsgefängnis von Ohio, Ohio Penetentary, aus dem er die Buchstaben entnommen haben soll.

1887 heiratete er Athos Estel, die bereits sehr krank war. Sie hatten einen Sohn, der im Jahre 1888, Stunden nach seiner Geburt, starb, und eine Tochter Margaret, die im Jahre 1889 geboren wurde.

Seine Frau verstarb 1897. Er selbst hatte bereits im Alter von drei Jahren seine Mutter verloren.

1901 wurde er wegen guter Führung entlassen, und seine Tochter zog wieder zu ihm. Sie hatte nie erfahren, wo er in den vorangegangenen drei Jahren gewesen war. 1907 heiratete er erneut, 1909 verließ ihn seine Frau. Er war zum Trinker geworden und starb 1910 an den Folgen. Dass er aber in der New Yorker Gosse gelandet sein soll, ist wohl zu hart ausgedrückt. Das Buch zeigt auch, dass die Gosse, wie wir es heute sehen würden, für viele der damals in New York Lebenden, das normale Zuhause war.

William Sydney Porter mit Frau Estel und Tochter Margaret, frühe 1890er Jahre

DIE GETRIMMTE LAMPE

Er schaute sie mit dem Ausdruck eines König Cophetua[1] an

Natürlich gibt es zwei Seiten der Frage. Schauen wir uns die andere an.

Wir hören oft, dass von 'Laden-Mädchen' gesprochen wird. Solche Personen gibt es nicht. Es gibt Mädchen, die in Läden arbeiten; sie verdienen ihren Lebensunterhalt auf diese Weise. Aber warum macht man aus ihrem Beruf ein Adjektiv? Seien wir fair. Wir bezeichnen die Mädchen, die in der Fifth Avenue wohnen, ja auch nicht als 'Heiratsmädchen'.

Lou und Nancy waren dicke Freundinnen. Sie waren in die große Stadt gekommen, um Arbeit zu finden, weil es zu Hause nicht genug zu essen gab, um alle zu versorgen. Nancy war neunzehn, Lou war zwanzig. Beide waren hübsche, aktive Mädchen vom Land, die keine Ambitionen hatten, auf die Bühne zu gehen.

Der kleine Engel, der über uns schwebt, führte sie zu einer billigen und respektablen Pension. Beide fanden eine Stelle und wurden zu Lohnempfängern. Sie blieben befreundet.

Nun, liebe Leser, nach Ablauf von sechs Monaten möchte ich Sie bitten, vorzutreten, um den Damen vorgestellt zu werden, und an die Aufdringlichen unter ihnen: Das sind meine Freundinnen, Miss Nancy und Miss Lou. Während Sie ihnen die Hand schütteln, achten Sie bitte – vorsichtig – auf deren Kleidung. Ja, vorsichtig, denn sie nehmen ein Starren genauso schnell übel wie eine Dame in einer Loge bei einer Pferdeschau.

Lou arbeitet als Büglerin im Akkord in einer Handwäscherei. Sie trägt ein schlecht sitzendes lilafarbenes Kleid, und ihre Hutfeder ist vier Zentimeter zu lang; aber ihr Hermelinmuff und ihr Schal haben 25 Dollar gekostet, obwohl die gleichen Artikel in den Schaufenstern für 7,98 Dollar angeboten werden, noch bevor die Saison vorbei ist. Ihre Wangen sind rosa, und ihre hellblauen Augen leuchten. Sie strahlt Zufriedenheit aus.

Nancy würden Sie ein Laden-Mädchen nennen – weil Sie das gewöhnlich tun. Es gibt keinen solchen Typ, aber eine verdrehte Generation sucht immer nach einem Typ; also soll es dies dieser Typ sein.

Sie hat die hochfrisierte Pompadour-Haartracht und die übertrieben gerade Front. Ihr Rock ist schäbig, hat aber die richtige Weite. Kein Pelz schützt sie vor der bitteren Frühlingsluft, aber sie trägt ihr kurzes Tuchjäckchen so keck, als wäre es ein persisches Lamm!

Auf ihrem Gesicht und in ihren Augen – für euch unerbittliche Typ-Sucher – ist der typische Ausdruck eines Laden-Mädchens. Es ist ein Blick der stillen, aber herablassenden Revolte gegen die betrogene Weiblichkeit, eine traurige Prophezeiung der kommenden Rache.

Selbst bei ihrem lautesten Lachen ist dieser Blick immer noch da. Derselbe Blick ist in den Augen der russischen Bauern zu sehen; und diejenigen von uns, die noch übrig sind, werden ihn eines Tages in Erzengel Gabriels Gesicht sehen, wenn er kommt, um uns herunterzuputzen. Es ist ein Blick, der den Mann verkümmern und verlegen machen sollte; aber er ist bekannt dafür, dass er darüber lächelt und Blumen anbietet – um sie an der Angel zu haben.

Nun, liebe Leser, lüften Sie Ihren Hut und gehen Sie weg, während Sie Lous fröhliches 'Auf Wiedersehen' und das sardonische, süße Lächeln von Nancy empfangen, das, irgendwie darauf hindeutet, dass sie Sie zu vermissen scheint, und wie eine weiße Motte über die Dächer zu den Sternen hinaufflattert.

Die beiden warteten an der Ecke auf Dan. Dan war Lous ständiger Begleiter. Treu? Nun, er war zur Stelle, da, wo Mary ein Dutzend Vorladungs-Agenten hätte anheuern müssen, um ihr Schaf zu finden.[2]

»Ist dir nicht kalt, 'Nance'?«, sagte Lou. »Was bist du doch für ein Dummchen, wenn du in diesem alten Laden für 8 Dollar die Woche arbeitest! Ich habe letzte Woche 18,50 Dollar verdient. Bügeln ist natürlich nicht so toll wie Spitzen hinter einem Tresen verkaufen, aber es lohnt sich. Keiner von uns Büglerinnen verdient weniger als 10 Dollar, und ich weiß auch nicht, ob es eine weniger zu respektierende Arbeit ist.«

»Du kannst sie behalten«, sagte Nancy mit hochgezogener Nase. »Ich nehme meine acht pro Woche und den Schlafsaal. Ich mag es, bei meiner Arbeit unter schönen Dingen und tollen Leuten zu sein. Und schau, was für eine Chance ich habe! Eines unserer Handschuhmädchen hat neulich einen Pittsburger Stahlfabrikanten oder Schmied oder so geheiratet, der eine Million Dollar wert ist. Irgendwann fange ich mir auch einen pfundigen Typ. Ich will nicht mit meinem Aussehen prahlen, aber ich suche meine Chance, wenn es große Preise zu gewinnen gibt. Was hat ein Mädchen in einer Wäscherei zu suchen?«

»Nun, dort habe ich Dan kennengelernt«, sagte Lou triumphierend. »Er kam herein, um sein Sonntagshemd und seine Kragen zu holen, und sah mich am ersten Brett beim Bügeln. Wir versuchen alle, am ersten Brett zu arbeiten. Ella Maginnis war an diesem Tag krank, und ich habe ihren Platz eingenommen. Er sagte, ihm seien zuerst meine Arme aufgefallen, wie rund und weiß sie waren. Ich hatte meine Ärmel hochgekrempelt. Es gibt immer wieder nette Burschen, die in die Wäschereien kommen. Man erkennt sie daran, dass sie ihre Kleidung in Koffern mitbringen und sich scharf und zackig in der Tür drehen.«

»Wie kannst du nur so einen Korsettgürtel um die Taille tragen, Lou?«, sagte Nancy und blickte mit süßem Spott in den Augen auf das beleidigende Stück hinunter. »Das zeugt von schlechtem Geschmack.«

»Dieser Korsettgürtel?«, rief Lou entrüstet und mit weit aufgerissenen Augen. »Ich habe 16 Dollar für diesen Korsettgürtel bezahlt. Er ist fünfundzwanzig wert. Eine Frau hat ihn in der Wäscherei abgegeben und nie abgeholt. Der Chef hat ihn mir verkauft. Es ist mit Handstickereien versehen, die von meterlangen Fäden stammen. Sprich lieber über das hässliche, schlichte Ding, das du trägst.«

»Dieses hässliche, schlichte Ding«, sagte Nancy ruhig, »wurde von dem kopiert, das Mrs. Van Alstyne Fisher getragen hat. Die Mädchen sagen, dass sie letztes Jahr 12.000 Dollar im Laden ausgegeben hat. Ich habe meinen selbst gemacht. Er hat mich 1,50 Dollar gekostet. Aus drei Metern Entfernung könntest du ihn nicht von ihrem unterscheiden.«

»Nun ja«, sagte Lou gutmütig, »wenn du hungern und vornehm tun willst, nur zu. Aber ich bevorzuge meinen Job und den guten Lohn, und nach Feierabend ziehe ich mir etwas Schickes und Attraktives an, das ich mir leisten kann.«

Doch dann kam Dan herbei, ein seriöser junger Mann mit einer Krawatte von der Stange, der der Frivolität der Stadt entkommen war, ein Elektriker, der 30 Dollar pro Woche verdiente. Er betrachtete Lou mit den traurigen Augen eines Romeo und hielt ihren bestickten Korsettgürtel für ein Netz, in dem sich jede Fliege gerne verfangen würde.

»Das ist mein Freund, Mr. Owens – gib Miss Danforth die Hand«, sagte Lou.

»Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, Miss Danforth«, sagte Dan und streckte die Hand aus. »Ich habe Lou schon so oft von Ihnen sprechen hören.«

»Danke«, sagte Nancy und berührte seine Finger mit den Spitzen ihrer eigenen, kühl ausgestreckten, »ich habe gehört, wie sie Sie erwähnt hat – ein paar Mal.«

Lou kicherte.

»Hast du dir diesen Händedruck von Mrs. Van Alstyne Fisher abgeschaut, 'Nance'?«, fragte sie.

»Wenn ich das getan habe, dann kannst du ihn getrost kopieren«, sagte Nancy.

»Oh, ich könnte ihn überhaupt nicht gebrauchen. Er ist zu elegant für mich. Diese hochgestochene Art, sich die Hand zu geben, ist besser dazu geeignet, Diamantringe zur Schau zu stellen. Warte, bis ich ein paar habe, dann probiere ich ihn aus.«

»Lerne es erst einmal«, sagte Nancy weise, »dann wirst du die Ringe eher bekommen.«

»Um diesen Streit zu schlichten«, sagte Dan mit seinem fröhlichen Lächeln, »mache ich euch einen Vorschlag. Da ich nicht mit euch beiden zu Tiffany's gehen kann, um euch etwas Gutes zu tun, was haltet ihr von einem kleinen Varietébesuch? Ich habe Karten. Wie wäre es, wenn wir uns die Diamanten auf der Bühne ansehen, da wir uns mit den echten glitzernden Dingern nicht die Hand geben können?«

Der echte Kavalier nahm seinen Platz am Rand des Bordsteins ein; dann kam Lou, ein wenig pfauenhaft in ihrer hellen und hübschen Kleidung, und schließlich Nancy auf der Häuserseite, schlank und nüchtern gekleidet wie ein Spatz, aber mit dem echten Van-Alstyne-Fischer-Gang – und so machten sie sich auf den Weg zu ihrem bescheidenen Abendvergnügen.

Ich glaube nicht, dass es viele gibt, die ein großes Kaufhaus als eine Bildungseinrichtung betrachten. Aber das Kaufhaus, in dem Nancy arbeitete, war für sie so etwas wie das. Sie war von schönen Dingen umgeben, die Geschmack und Raffinesse ausstrahlten. Wenn du in einer Atmosphäre des Luxus lebt, bist du ein Teil von ihm, ob du ihn nun mit deinem Geld bezahlst oder ob ihn ein anderer kauft.

Die Kunden, die sie bediente, waren meist Frauen, deren Kleidung, Manieren und Stellung in der Gesellschaft als Kriterien herangezogen wurden. Von diesen begann Nancy sich eine Scheibe abzuschneiden – ihrer Meinung nach das Beste von jeder.

Von der einen kopierte und übte sie eine Geste, von der anderen ein wortgewandtes Heben einer Augenbraue, von anderen die Art zu gehen, eine Tasche zu tragen, zu lächeln, einen Freund zu begrüßen, 'Untergebene' anzusprechen.

Von ihrem meistgeliebten Vorbild, Mrs. Van Alstyne Fisher, holte sie sich das Vorzügliche, eine weiche, tiefe Stimme, so klar wie Silber und so perfekt in der Artikulation wie die Töne einer Drossel.

Durchdrungen von der Aura dieser hohen gesellschaftlichen Verfeinerung und guten Erziehung, war es ihr unmöglich, sich einer tieferen Wirkung zu entziehen. Wie man sagt, dass gute Gewohnheiten besser sind als gute Prinzipien, so sind vielleicht auch gute Manieren besser als gute Gewohnheiten. Die Lehren deiner Eltern mögen dein feines Neuengland-Bewusstsein nicht am Leben erhalten; aber wenn du auf einem Stuhl mit gerader Lehne sitzt und die Worte 'Prisms and Pilgrims'[3] vierzigmal wiederholst, wird der Teufel vor dir fliehen. Und als Nancy in den Van-Alstyne-Fisher-Tönen sprach, spürte sie den Schauer des 'noblesse oblige' [Adel verpflichtet'] bis in die Knochen.

Es gab noch eine andere Quelle des Lernens in der großen 'Kaufhausschule':

Wenn Sie drei oder vier Verkäuferinnen sehen, die sich in einem Haufen versammeln und mit ihren Drahtarmbändern klimpern, um ein scheinbar frivoles Gespräch zu begleiten, denken Sie nicht, dass sie dort sind, um die Art und Weise zu kritisieren, wie Ethel ihr hinteres Haar kämmt.

Das Treffen mag nicht die Würde der beratenden Gremien der Männer haben, aber es hat die Bedeutung der Gelegenheit als Eva und ihre erste Tochter zum ersten Mal ihre Köpfe zusammensteckten, um Adam seinen Platz im Haushalt zu erklären.

Es ist eine Frauenkonferenz zur gemeinsamen Verteidigung und zum Austausch strategischer Theorien des Angriffs und der Abwehr auf und gegen die Welt. Es ist eine Bühne, und der Mann ist ihr Publikum, der darauf besteht, Blumensträuße zu werfen. Die Frau, das hilfloseste aller jungen Tiere – mit der Anmut des Rehkitzes, aber ohne seine Flinkheit; mit der Schönheit des Vogels, aber ohne seine Flugkraft; mit der Last der Süße der Honigbiene, aber ohne ihre …

… lassen wir dieses Gleichnis – einige von uns könnten gestochen worden sein.

Bei diesem Kriegsrat reichen sie sich gegenseitig die Waffen und tauschen listige Strategien aus, die jede von ihnen aus der Taktik des Lebens entwickelt und formuliert hat.

»Ich habe zu ihm gesagt 'was erlaubst du dir, du frecher Bursche! Was glaubst du, wer ich bin, dass du so eine Bemerkung an mich richtest?' Und was meint ihr, was er mir als Antwort gegeben hat?«

Die braunen, schwarzen, flachsfarbenen, roten und gelben Köpfe wippen zusammen; die Antwort wird gegeben, und die Parade auf den Stoß ist beschlossen, die jede von ihnen danach in den Auseinandersetzungen mit dem gemeinsamen Feind, dem Mann, anwenden wird.

So lernte Nancy die Kunst der Verteidigung, und für Frauen bedeutet erfolgreiche Verteidigung den Sieg.

Der Lehrplan eines Kaufhauses ist sehr umfangreich. Vielleicht hätte kein anderes College sie so gut auf ihr Lebensziel vorbereiten können – die Ziehung eines ehelichen Gewinns.

Ihr Aufenthaltsbereich im Geschäft war etwas Besonderes. Der Musikverkaufsraum war nahe genug, um die Werke der besten Komponisten zu hören und sich mit ihnen vertraut zu machen – zumindest, um die Vertrautheit zu erlangen, die in der gesellschaftlichen Welt, in der sie vage versuchte, einen zaghaften und aufstrebenden Fuß zu setzen, als Wertschätzung galt. Sie nahm den erzieherischen Einfluss von Kunstgegenständen, von teuren und zierlichen Stoffen, von Verzierungen, die für Frauen fast schon Kultur sind, in sich auf.

Den anderen Mädchen wurden bald bewusst, welchen Ehrgeiz Nancy hatte. »Hier kommt dein Millionär, Nancy«, riefen sie ihr zu, wenn sich ein Mann, der so aussah, ihrem Tresen näherte.

Es musste eine Gewohnheit der Männer sein, die sich während des Einkaufs ihrer Begleiterinnen herumtrieben, zur Taschentuchabteilung zu schlendern und sich über die quadratischen Batist-Stücke herzumachen. Es war Nancys nachgeahmtes, hochherrschaftliches Auftreten und ihre echte, zierliche Schönheit, die sie anzog. So kamen viele Männer, um bei ihr ihren Charme spielen zu lassen. Einige von ihnen mögen Millionäre gewesen sein, andere waren sicherlich nicht mehr als deren fleißige Affen. Nancy lernte, zwischen ihnen zu unterscheiden. Am Ende des Tresens mit den Taschentüchern befand sich ein Fenster, durch das sie die Reihen der Autos sehen konnte, die auf der Straße unten auf die Einkäufer warteten. Sie schaute hin und stellte fest, dass die Autos ebenso unterschiedlich waren wie ihre Besitzer.

Einmal kaufte ein faszinierender Herr vier Dutzend Taschentücher und umwarb sie über den Ladentisch hinweg mit einer König-Cophetua-Miene. Als er gegangen war, sagte eines der Mädchen:

»Was ist los, 'Nance', dass du dich nicht für den Kerl erwärmen konntest. Für mich sieht er wirklich wie ein Prachtexemplar aus.«

»Er?«, sagte Nancy mit ihrem kühlsten, süßesten, unpersönlichsten Van-Alstyne-Fisher-Lächeln, »nicht für mich. Ich habe gesehen, wie er draußen vorgefahren ist. Eine 12-PS-Maschine und ein irischer Chauffeur! Und du hast gesehen, was für Taschentücher er gekauft hat – Seide! Und er hat Daktylis[4] an sich. Gebt mir das Echte oder gar nichts, wenns recht ist.«

Zwei der 'kultiviertesten' Frauen im Laden – eine Vorarbeiterin und eine Kassiererin – hatten ein paar 'feine Herrenfreunde', mit denen sie ab und an zu Abend aßen.

Einmal haben sie Nancy bei einer Einladung mitgenommen. Das Abendessen fand in einem spektakulären Café statt, dessen Tische man für den Silvesterabend bereits ein Jahr im Voraus reservieren musste. Es waren zwei 'Gentlemen Freunde' anwesend – der eine hatte keine Haare auf dem Kopf – eine ausschweifende Lebensweise hatte es wohl ausfallen lassen, und, da sind wir uns sicher – der andere war ein junger Mann, dessen Kultiviertheit und Wert er auf zweierlei Weise überzeugend darstellte – er schwor, dass der gesamte Wein korkig war, und er trug diamantene Manschettenknöpfe.

Dieser junge Mann erkannte in Nancy unwiderstehliche Vorzüge. Sein Geschmack zog ihn ohnehin zu den Verkäuferinnen hin, und hier war eine, welche die Art und die Manieren seines hohen sozialen Standes mit dem ungezwungenen Charme ihrer eigenen Kaste verband. Also erschien er am nächsten Tag im Geschäft und machte ihr über einer Schachtel mit hohlstichversehener, grasgebleichter irischer Bettwäsche einen ernsthaften Heiratsantrag.

Nancy lehnte ab. Eine braune Pompadour-Frisur, die drei Meter entfernt stand, hatte ihre Augen und Ohren benutzt. Als der abgewiesene Verehrer gegangen war, überhäufte sie Nancy mit Schimpfworten und Entsetzen.

»Was für eine schreckliche kleine Idiotin du bist! Der Kerl ist ein Millionär, ein Neffe des alten Van Skittles. Und er hat auch noch ganz ernsthaft mit dir gesprochen. Bist du verrückt geworden, 'Nance'?«

»Bin ich das?«, sagte Nancy. »Ich habe ihn nicht genommen, das stimmt. Er ist kein Millionär, und es ist so offensichtlich, dass selbst du es hättest merken können. Seine Familie gibt ihm nur 20.000 Dollar im Jahr zum Ausgeben. Der glatzköpfige Kerl hat ihn neulich beim Abendessen damit genervt.«

Die braune Pompadour-Frisur kam näher und verengte ihre Augen.

»Sag mal, was willst du eigentlich?«, fragte sie mit heiserer Stimme, weil sie keinen Kaugummi hatte. »Reicht dir das nicht? Willst du eine weibliche Mormonin sein und Rockefeller und Gladstone Dowie [anglikanischer Priester] und den König von Spanien und den ganzen Haufen zusammen heiraten? Sind 20.000 Dollar im Jahr nicht gut genug für dich?«

Nancy errötete ein wenig unter dem starren Blick der schwarzen, flachen Augen.

»Es ging nicht nur um das Geld, Carrie«, erklärte sie. »Sein Freund hat ihn neulich beim Abendessen bei einer großen Lüge ertappt. Es ging um ein Mädchen, mit dem er angeblich nicht im Theater gewesen war. Nun, ich kann Lügner nicht ausstehen. Alles zusammengenommen – ich mag ihn nicht, und damit ist die Sache erledigt. Wenn ich mich verkaufe, dann nicht an irgendeinem Schnäppchen-Tag. Ich brauche auf jeden Fall etwas, das wie ein Mann auf einem Stuhl sitzt.«

»Ja, ich halte Ausschau nach einem Fang; aber er muss mehr Geräusche machen als eine Spielzeugbank.«

»Du gehörst in die Klapsmühle«, sagte die braune Pompadour-Frisur und ging davon.

Diese hochfliegenden Ideen, wenn nicht gar Ideale, kultivierte Nancy weiterhin mit 8 Dollar pro Woche. Sie biwakierte auf der Spur des großen unbekannten 'Fangs', aß ihr trockenes Brot und schnallte ihren Gürtel Tag für Tag enger. Auf ihrem Gesicht lag das schwache, soldatische, süße und grimmige Lächeln des vorbestimmten Menschenjägers. Der Wald war ihr Lager, und oft hob sie ihr Gewehr gegen das Wild, das vor ihr groß und mit breitem Geweih erschien; aber immer ließ sie ein tiefer, untrüglicher Instinkt – vielleicht der Jägerin, vielleicht der Frau – innehalten und weitergehen.

Lou blühte in der Wäscherei auf. Von ihren 18,50 Dollar pro Woche zahlte sie 6 Dollar für Unterkunft und Verpflegung. Der Rest ging hauptsächlich für Kleidung drauf. Im Vergleich zu Nancy hatte sie nur wenige Möglichkeiten, ihren Geschmack und ihre Umgangsformen zu verbessern. In der dampfenden Wäscherei gab es nichts als Arbeit und wieder Arbeit und ihre Gedanken an die kommenden abendlichen Vergnügungen. Viele teure und prächtige Stoffe kamen unter ihr Bügeleisen, und es mag sein, dass sich ihre wachsende Vorliebe für Kleider auf diese Weise durch die Leitfähigkeit des Metalls auf sie übertrug.

Nach getaner Arbeit wartete Dan draußen auf sie, ihr treuer Schatten, egal, in welchem Licht sie stand.

Manchmal warf er einen ehrlichen und besorgten Blick auf Lous Kleidung, die eher an Auffälligkeit als an Stil zunahm; aber das war keine Illoyalität; er missbilligte die Aufmerksamkeit, die sie in den Straßen auf sie lenkte.

Und Lou war ihrem Freund nicht weniger treu. Es war ein Gesetz, dass Nancy sie auf allen Ausflügen begleiten musste, die sie unternahmen. Dan trug die zusätzliche Last mit viel Herz und guter Laune. Man könnte sagen, dass Lou die Farbe beisteuerte, Nancy den guten Ton und Dan das Gewicht des Trios, das Ablenkung suchte. Der Begleiter in seinem adretten, aber offensichtlich konfektionierten Anzug, seiner konfektionierten Krawatte und seinem unermüdlichen, genialen, konfektionierten Witz, war nie aus der Ruhe zu bringen oder streitbar. Er gehörte zu der Sorte Menschen, die man vergisst, solange sie anwesend sind, an die man sich aber deutlich erinnert, wenn sie weggegangen sind.

Für Nancys überlegenen Geschmack war der Geschmack dieser konfektionierten Vergnügungen manchmal ein wenig bitter: Aber sie war jung, und die Jugend ist auch da ein Feinschmecker, wo sie kein Feinschmecker sein kann.

»Dan will immer, dass ich ihn sofort heirate«, sagte Lou einmal zu ihr. »Aber warum sollte ich? Ich bin unabhängig, ich kann mit dem Geld, das ich verdiene, machen, was ich will, und er wäre nie damit einverstanden, dass ich danach weiterarbeite. Und sag mal, 'Nance', warum willst du in diesem alten Laden bleiben und halb verhungern und dich halb anziehen? Ich könnte dir sofort einen Platz in der Wäscherei besorgen, wenn du mitkommen würdest. Mir scheint, du könntest es dir leisten, etwas weniger hochnäsig zu sein, wenn du ein bisschen mehr Geld verdienen könntest.«

»Ich glaube nicht, dass ich hochnäsig bin, Lou«, sagte Nancy, »aber ich würde lieber von halben Rationen leben und bleiben, wo ich bin. Ich nehme an, ich habe mir das angewöhnt. Es ist die Chance, die ich will. Ich erwarte nicht, dass ich immer hinter einem Tresen stehen werde. Ich lerne jeden Tag etwas Neues. Ich treffe ständig auf vornehme und reiche Leute, auch wenn ich sie nur bediene, und ich verpasse keine Hinweise, wenn ich herumgehe.«

»Hast du deinen Millionär schon gefangen?«, fragte Lou mit ihrem neckischen Lachen.

»Ich habe mir noch keinen ausgesucht«, antwortete Nancy. »Ich habe sie mir aber schon einen Überblick verschafft.«

»Du meine Güte, diese Idee einen auszuwählen! Lass dir nie einen entgehen, 'Nance' – auch wenn er ein paar Dollar zu wenig hat. Aber du machst natürlich Witze – Millionäre denken nicht an arbeitende Mädchen wie uns.«

»Es wäre vielleicht besser für sie, wenn sie das täten«, sagte Nancy mit kühl zur Schau getragener Weisheit. »Einige von uns könnten ihnen beibringen, wie man mit seinem Geld umgeht.«

»Wenn mich einer ansprechen würde«, lachte Lou, »dann weiß ich, dass ich mich zu Tode erschrecken würde.«

»Das liegt daran, dass du keinen kennst. Du siehst den Unterschied zwischen Angebern und anderen Leuten, wenn du sie genauer beobachtest. Findest du nicht«, wechselt sie das Thema, »dass das rote Seidenfutter ein bisschen zu grell für diesen Mantel ist, Lou?«

Lou betrachtete daraufhin die schlichte, trübe olivfarbene Jacke ihrer Freundin.

»Nein, das tue ich nicht – aber das erscheint nur so, neben dem verblichen aussehenden Ding, das du anhast.«

»Diese Jacke«, sagte Nancy selbstzufrieden, »hat genau den gleichen Schnitt und die gleiche Passform wie die, die Mrs. Van Alstyne Fisher neulich getragen hat. Der Stoff hat mich 3,98 Dollar gekostet. Ich schätze, für ihre hat sie etwa 100 Dollar mehr gezahlt.«

»Na ja«, sagte Lou gelassen, »ich halte sie nicht für einen Millionärsköder. Ich würde mich jedenfalls nicht wundern, wenn ich einen vor dir fange.«

Es hätte wahrlich eines Philosophen bedurft, um über den Wert der Theorien der beiden Freundinnen zu entscheiden.

Lou, der es an dem gewissen Stolz und der Anspruchslosigkeit der Mädchen fehlte, die die Läden und Schreibtische füllen und für einen kargen Lebensunterhalt arbeiten, schuftete mit ihrem Bügeleisen fröhlich weiter in der lauten und stickigen Wäscherei.

Ihr Lohn unterstützte sie sogar über den Punkt des Notwendigsten hinaus, sodass ihre Kleidung davon profitierte, bis sie manchmal einen ungeduldigen Seitenblick auf die ordentliche, aber unelegante Kleidung von Dan warf – Dan, dem Konstanten, dem Unveränderlichen, dem Unbeirrbaren.

Was Nancy betrifft, so war ihr Fall einer von Zehntausenden. Seide und Juwelen und Spitzen und Ornamente und das Parfüm und die Musik der feinen Welt der guten Erziehung und des Geschmacks – sie wurden für die Frau gemacht; sie sind ihr gerechter Anteil. Mögen sie sich in ihrer Nähe aufhalten, wenn es für sie ein Teil des Lebens ist – und wenn sie will.

Sie ist kein Verräter an sich selbst, wie Esau es war. Sie bewahrt ihr angeborenen Rechte, obwohl sie mit sehr wenig zufrieden geben muss.

Nancy gehörte in diese Atmosphäre hinein, und sie gedieh darin, aß ihre spärlichen Mahlzeiten und schmiedete Pläne für ihre billigen Kleider mit einem entschlossenen und zufriedenen Geist. Sie kannte die Frauen bereits, und sie studierte die Männer, das Tier, sowohl in seinen Gewohnheiten als auch in seiner Eignung. Eines Tages würde sie das Wild erlegen, das sie wollte; aber sie versprach sich, dass es das sein würde, was ihr am größten und am besten erschien, und nichts Kleineres.

So trimmte den Docht ihrer Lampe[5] und ließ sie brennen, um den Bräutigam zu empfangen, wenn er kommen sollte.

Sie lernte aber noch eine weitere Lektion, vielleicht unbewusst. Ihre Wertmaßstäbe begannen sich zu verschieben und zu verändern. Manchmal verschwammen die Dollarzeichen vor ihrem geistigen Auge und formten sich zu Buchstaben und Worten wie 'Wahrheit' und 'Ehre' und, ab und zu, einfach zu 'Güte' bildeten.

Machen wir uns ein Bild von einem, der in einem mächtigen Wald Elche oder Elche jagt. Er sieht eine kleine, moosbewachsene Senke, in der ein Rinnsal plätschert, das ihm von Ruhe und Trost erzählt. In solchen Momenten wird selbst der Speer des Jägers stumpf.

Und so fragte sich Nancy manchmal auch, ob das Fleisch vom persisches Lamm immer dem Marktwert entspricht, bei dem Herzen, das es umhüllt.

An einem Donnerstagabend verließ Nancy den Laden und ging über die Sixth Avenue in Richtung Westen zur Wäscherei. Sie wurde dort erwartet, um sich mit Lou und Dan eine Musikkomödie anzusehen.

Dan kam gerade aus der Wäscherei heraus, als sie eintraf. Er hatte einen seltsamen, angespannten Gesichtsausdruck.

»Ich dachte, ich komme mal vorbei, um zu sehen, ob Sie etwas von ihr gehört haben«, sagte er.

»Von wem gehört?«, fragte Nancy. »Ist Lou nicht da?«

»Ich dachte, Sie wissen es«, sagte Dan. »Sie war seit Montag weder hier noch in dem Haus, in dem sie gewohnt hat. Sie hat alle ihre Sachen von dort weggebracht. Einem Mädchen in der Wäscherei hat sie gesagt, dass sie vielleicht nach Europa geht.«

»Hat sie denn niemand irgendwo gesehen?«, fragte Nancy.

Dan schaute sie mit einem grimmigen Gesichtsausdruck und stählernen Glanz in seinen ruhigen grauen Augen an.

»Man hat mir in der Wäscherei erzählt«, sagte er recht barsch, »dass man sie gestern hat vorbeifahren sehen – in einem Automobil. Mit einem der Millionäre nehme ich an, über die Sie und Lou sich die ganze Zeit über den Kopf zerbrochen haben.«

Zum ersten Mal ließ Nancy in Gegenwart eines Mannes den Mut sinken. Sie legte ihre Hand, die leicht zitterte, auf Dans Ärmel.

»Sie haben kein Recht, so etwas zu mir zu sagen, Dan – als ob ich etwas damit zu tun hätte!«

»Ich habe es nicht so gemeint«, sagte Dan und wurde weicher. Er fummelte in seiner Westentasche.

»Ich habe die Karten für die Show heute Abend«, sagte er mit einer galanten Leichtigkeit. »Wenn Sie – «

Nancy bewunderte Mut, wann immer sie ihn wahrnahm.

»Ich werde mit Ihnen gehen, Dan«, sagte sie.

Drei Monate vergingen, bevor Nancy Lou wiedersah.

Eines Abends, in der Dämmerung, eilte die Verkäuferin am Rande eines kleinen, ruhigen Parks nach Hause. Sie hörte, wie ihr Name gerufen wurde, und drehte sich um, gerade rechtzeitig, um Lou zu sehen, die ihr in die Arme lief.

Nach der ersten Umarmung zogen sie ihre Köpfe zurück, wie Schlangen, bereit zum Angriff oder zum Reizen, mit tausend Fragen, die auf ihren flinken Zungen zitterten. Und dann bemerkte Nancy, dass der Wohlstand auf Lou herabgesunken war und sich in teuren Pelzen, blitzenden Edelsteinen und Kreationen der Schneiderkunst zeigte.

»Du kleine Närrin!«, rief Lou laut und liebevoll. »Wie ich sehe, arbeitest du immer noch in diesem Laden und läufst so schäbig rum wie immer. Was ist mit dem großen Fang, den du machen wolltest – immer noch nichts passiert, nehme ich an?«

Doch dann schaute Lou genau hin und sah, dass etwas Besseres als Wohlstand auf Nancy herabgestiegen war – etwas, das in ihren Augen heller als Edelsteine und in ihren Wangen röter als eine Rose leuchtete und wie elektrisiert tanzte, bestrebt, von ihrer Zungenspitze losgelassen zu werden.

»Ja, ich bin noch im Laden«, sagte Nancy, »aber ich werde ihn nächste Woche verlassen. Ich habe meinen Fang gemacht – den größten Fang der Welt. Es wird dir doch nichts ausmachen, Lou, oder? Ich werde Dan heiraten, Dan! Er ist jetzt mein Dan – ja, Lou!«

Um die Ecke des Parks schlenderte einer dieser jungen Polizisten mit den glatten Gesichtern, die die Polizei erträglicher machen – zumindest für das Auge. Er sah eine Frau mit einem teuren Pelzmantel und diamantbesetzten Händen, die sich gegen den Eisenzaun des Parks lehnte und heftig schluchzte, während eine schlanke, schlicht gekleidete Angestellte sich dicht an sie drückte und versuchte, sie zu trösten.

Aber der 'gibsonsche'6 Polizist der neuen Generation ging weiter und tat so, als ob er es nicht bemerkte, denn er war klug genug, um zu wissen, dass diese Dinge für die Macht, die er vertrat, nicht zu ändern waren, auch wenn er mit seinem Schlagstock auf das Pflaster klopfte, bis das Geräusch bis zu den entferntesten Sternen reichte.

EINE ARABISCHE NACHT IM MADISON SQUARE

In der Wohnung, die sich in der Nähe des Madison Square[7] befand, brachte Phillips die abendliche Post zu Carson Chalmers. Neben der Routinekorrespondenz befanden sich dabei auch zwei Sendungen mit demselben ausländischen Poststempel.

Eine der eingehenden Sendungen beinhaltete ein Foto einer Frau. Die andere enthielt einen endlosen Brief, über dem Chalmers lange Zeit vertieft hing. Dieser Brief war von einer anderen Frau und enthielt vergiftete Pfeile, die süß in Honig getaucht und mit bösen Anspielungen befiedert waren und sich auf die fotografierte Frau bezogen.

Chalmers zerriss diesen Brief in tausend Stücke und begann, seinen teuren Teppich abzunutzen, indem er darauf hektisch hin und her schritt.

So verhält sich ein Tier aus dem Dschungel, wenn es eingesperrt ist, und so verhält sich ein eingesperrter Mensch, wenn er in einem Dschungel des Zweifels haust.

Nach und nach überwand er die aufgewühlte Stimmung. Der Teppich war kein Zauberteppich. Sechzehn Fuß weit konnte er auf ihm 'reisen', aber dreitausend Meilen konnte er nicht schaffen.

Phillips erschien. Er trat nie ein – er 'erschien' stets wie ein gut geölter Geist:

»Wollen Sie hier zu Abend essen, Sir, oder außerhalb?«, fragte er.

»Hier«, sagte Chalmers, »und in einer halben Stunde.« Mürrisch lauschte er den Klängen des Monats Januar die aus der leeren Straße eine äolische [winderzeugte] Posaune machten.

»Warten Sie«, sagte er zu dem verschwindenden Geist. »Als ich über das Ende des Platzes nach Hause gekommen bin, habe ich viele Männer gesehen, die dort aufgereiht standen.«

»Es gab da einen Mann, der auf etwas gestiegen ist und sprach. Warum stehen diese Männer in Reihen herum, und was machen sie da?«

»Das sind Männer, die kein Dach über dem Kopf haben, Sir«, sagte Phillips. »Der Mann, der auf der Kiste steht, versucht, ihnen eine Unterkunft für die Nacht zu besorgen. Andere Leute kommen vorbei, hören zu und geben ihm Geld. Dann schickt er so viele, wie er mit dem Geld bezahlen kann, in eine Unterkunft. Deshalb stehen sie in einer Reihe; sie werden nacheinander in ihr Bett geschickt, in der Reihenfolge, in der sie gekommen sind.«

»Wenn das Abendessen serviert wird«, sagte Chalmers, »dann holen Sie einen dieser Männer her. Er wird mit mir zu Abend essen.«

»W-w-was – «, begann Phillips, der zum ersten Mal während seines Dienstes stotterte.

»Wählen Sie einen zufällig aus«, sagte Chalmers. »Sie könnten sich aber vergewissern, dass er einigermaßen nüchtern ist – und ein gewisses Maß an Sauberkeit wird ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden. Das ist alles.«

Es war ungewöhnlich für Carson Chalmers, den guten Kalifen zu spielen. Aber an diesem Abend spürte er die Unwirksamkeit herkömmlicher Gegenmittel für seine Melancholie. Er brauchte etwas Übermütiges und Ungeheuerliches, etwas Intensives und Arabisches, um seine Stimmung aufzuhellen.

Pünktlich zur halben Stunde hatte Phillips seine Pflichten als Sklave der Lampe[8] beendet. Die Kellner aus dem Restaurant unten hatten das köstliche Abendessen heraufgebracht; der für zwei Personen gedeckte Tisch leuchtete fröhlich im Schein der rosafarbenen Kerzen.

Phillips, in einer Haltung, als würde er einen Kardinal begleiten – oder einen Einbrecher festhalten – winkte den fröstelnden Gast herein, der aus der Reihe der Bettelmönche geholt worden war.

Es ist üblich, solche Männer als Wracks zu bezeichnen, und wenn der Vergleich hier verwendet werden soll, dann bezieht er sich spezifisch auf ein Schiffswrack, das durch Feuer zu Schaden gekommen ist, und immer noch erhellte eine flackernde Brandstelle den treibenden Rumpf.

Sein Gesicht und seine Hände waren vor Kurzem gewaschen worden – ein Ritual, auf dem Phillips zum Gedenken an die beschädigten Verhaltensnormen bestand.

Im Kerzenlicht stand er da, ein Makel in der schmucken Einrichtung der Wohnung. Sein Gesicht war kränklich weiß und fast bis zu den Augen mit Stoppeln bedeckt, die den Farbton des Fells eines roten Irish Setters hatten.

Der Kamm von Phillips hatte es nicht geschafft, das blassbraune Haar zu bändigen, das sich seit Langem verfilzt war und sich den Konturen eines ständig getragenen Hutes angepasst hatte.

In seinen Augen lag ein hoffnungsloser, listiger Trotz, wie man ihn bei einem Tier sieht, das in die Enge getrieben wird. Sein schäbiger Mantel war hochgeknöpft, aber man konnte darüber noch ein Viertelzoll eines versöhnlichen Kragens sehen. Als Chalmers sich von seinem Stuhl am runden Esstisch erhob, war sein Verhalten auffallend frei davon, peinlich berührt zu sein.

»Wenn Sie mir die Ehre erweisen«, sagte der Gastgeber, »würde ich mich freuen, Sie zum Abendessen begrüßen zu dürfen.«

»Mein Name ist Plumer«, sagte der Gast von der Landstraße in harschem und aggressivem Ton. »Wenn Sie so sind wie ich, möchten Sie auch den Namen der Gesellschaft wissen, mit der Sie essen.«

»Ich wollte gerade sagen«, fuhr Chalmers etwas hastig fort, »dass ich Chalmers heiße. Wollen Sie gegenüber Platz nehmen?«

Plumer, mit seinem zerfledderten Federkleid[9] beugte sein Knie, damit Phillips den Stuhl unter ihn schieben konnte. Er machte den Eindruck, als hätte er bereits an den besseren Tafeln gesessen.

Phillips stellte die Anchovis und Oliven bereit.

»Gut!«, bellte Plumer, »es wird also mehrere Gänge geben? In Ordnung, mein wohlwollender Herrscher von Bagdad. Ich werde ihre Scheherazade[10] sein, bis hin zu dem Moment, wo die Zahnstocher gebracht werden.«

»Sie sind der erste Kalif mit einem echten orientalischen Geschmack, der mir seit dem Frost begegnet ist. Was für ein Glück! Und ich war der Dreiundvierzigste in der Reihe. Ich hatte gerade aufgehört, zu zählen, als ihr Willkommensabgesandter kam, um mich zum Festmahl einzuladen. Meine Chancen, heute Nacht ein Bett zu bekommen, waren so groß, wie die, der nächste Präsident zu werden.«

»Wie möchten Sie die traurige Geschichte meines Lebens haben, Mr. Al Raschid[11] – ein Kapitel zu jedem Gang oder die ganze Ausgabe bei den Zigarren und dem Kaffee?«