Die glücklichen Inseln - Jack London - E-Book

Die glücklichen Inseln E-Book

Jack London

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Beschreibung

In Jack Londons Werk 'Die glücklichen Inseln' taucht der Leser durch eine Mischung aus Abenteuer und Sozialkritik in eine fesselnde Erzählung ein. Der Autor kombiniert sein Geschick für eine packende Handlung mit einer tiefgreifenden Analyse der damaligen Gesellschaft. Das Buch präsentiert eine Gruppe von Menschen, die sich auf der Suche nach einem besseren Leben auf eine Insel zurückziehen, nur um dort mit den Herausforderungen der Natur und zwischenmenschlichen Konflikten konfrontiert zu werden. London schreibt in einem direkten und mitreißenden Stil, der den Leser in eine Welt des Überlebensdrangs und der Hoffnung zieht. 'Die glücklichen Inseln' bietet auch einen Einblick in Londons politische Haltung und seine kritische Sicht auf die soziale Ungerechtigkeit seiner Zeit.

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Jack London

Die glücklichen Inseln

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2018 OK Publishing
ISBN 978-80-272-4182-8

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel

Erstes Kapitel

Auf der Makaloa-Matte

Inhaltsverzeichnis

Im Gegensatz zu den Frauen der meisten südländischen Rassen altern die Hawaiianerinnen langsam und halten sich schön. Der Frau, die unter dem Haubaum saß, würde ein guter Beobachter, selbst wenn er nicht an Schminke oder sonst ein geschicktes Verbergen der Alterserscheinungen gedacht hätte, überall in der Welt außer in Hawaii ihre fünfzig Jahre zugestanden haben. Aber ihre Kinder und Kindeskinder sowie Roscoe Scandwell, der seit vierzig Jahren ihr Gatte war, wußten, daß sie vierundsechzig zählte und am zweiundzwanzigsten Juni fünfundsechzig wurde. Sie sah jedoch nicht danach aus, wenn sie sich auch zum Lesen ihres Magazins eine Brille aufsetzte, die sie wieder abnahm, sobald sie ihre Blicke über das halbe Dutzend Kinder, das auf dem Rasen spielte, schweifen lassen wollte.

Es war ein prächtiger Anblick – prächtig wie der uralte Haubaum, in dessen weitem Schatten sie so bequem wie in einem Hause saß, prächtig wie der Rasen, dessen samtene Fläche, die einen Schätzwert von zweihundert Dollar für jeden Fußbreit Straßenfront hatte, sich landeinwärts bis zu dem ebenso würdevollen, stattlichen und prächtigen Hause erstreckte. Drunten gewährte ein Saum von hundert Fuß hohen Kokospalmen einen flüchtigen Durchblick auf das Meer, hinter dem Riff von tiefblauer Farbe, die nach dem Horizont zu indigoblau wurde, innerhalb des Riffs die ganze silberne Stufenleiter von Jade über Smaragd zum Turmalin aufweisend. Und dies war nun ein Haus von dem halben Dutzend, das Martha Scandwell gehörte. Ihr wenige Meilen von Honolulu am Nuuanuwege zwischen dem ersten und zweiten »Schauer« gelegenes Stadthaus war ein Palast. Ein Schwarm von Gästen hatte die Behaglichkeit und Fröhlichkeit ihres Berghauses auf dem Tantalus, ihres Vulkanhauses, ihres Maukahauses und ihres Makaihauses auf der großen Hawaii-Insel kennengelernt. Das Waikikihaus stand hinter den andern nicht an Schönheit, Würde und verschwenderischer Lebensführung zurück. Zwei japanische Gartenarbeiter stutzten die Hibiskusbüsche, während ein dritter sich sachgemäß mit der langen Cereushecke beschäftigte, die in kurzem ihre geheimnisvollen nächtlichen Blüten entfalten sollte. Ein japanischer Hausdiener in fleckenlosen weißen Hosen brachte die Teetassen heraus, gefolgt von einem japanischen Mädchen, das, hübsch wie ein Falter und, in dem eigentümlichen Gewand seiner Heimat, wie ein Schmetterling herausgeflattert kam, um ihre Herrin zu bedienen. Ein zweites japanisches Mädchen schritt, eine Anzahl türkischer Handtücher über dem Arm, über den Rasen nach rechts zu den Badehäusern, aus denen gerade die Kinder in Badeanzügen herauskamen. Dazu warteten unter den Palmen am Strande zwei chinesische Kinderwärterinnen in der hübschen Tracht ihrer Heimat weißen Yeeshons und geradegeschnittenen Hosen mit schwarzen Zöpfen, die ihnen über den Rücken herabfielen, jede mit einem kleinen Kind im Kinderwagen.

Und all diese Diener, Mädchen und Enkelkinder gehörten Martha Scandwell. Wie die ihre, war auch die Haut der Enkelkinder – von der unverkennbaren hawaiischen Tönung – tadellos gleichmäßig von der Sonne Hawaiis gefärbt. Zu einem Achtel und einem Sechzehntel waren sie Hawaiianer, das heißt, daß schon sechs Achtel und ein Sechzehntel weißes Blut unter dieser Haut pulste, ohne doch den Goldhauch Polynesiens auslöschen zu können. Aber nur ein gewiegter Kenner hätte wiederum bemerken können, daß diese fröhlichen Kinder sich irgendwie von reinblütigen Weißen unterschieden. Roscoe Scandwell, der Großvater, war ganz weiß; Martha war es zu drei Vierteln und ihre vielen Söhne und Töchter zu sieben Achteln. Bei den Enkelkindern, in den Fällen, in denen ihre Sieben-Achtel-Väter wieder Sieben-Achtel-Mütter geheiratet hatten, waren sie selbst zu vierzehn Sechzehnteln oder sieben Achteln weiß. Von beiden Seiten war das Blut gut, Roscoe stammte in gerader Linie von den Puritanern Neuenglands, Martha in ebenso gerader Linie von dem Königsgeschlecht Hawaiis ab, dessen Genealogie schon ein Jahrtausend vor Kenntnis des geschriebenen Wortes in »Meles« besungen worden war.

In einiger Entfernung hielt ein Auto an; eine Frau stieg aus, deren Alter man auf höchstens sechzig hätte schätzen mögen, und die wie eine jugendliche Vierzigerin über den Rasen schritt, in Wirklichkeit aber achtundsechzig Jahre alt war. Martha erhob sich von ihrem Sitz, um sie in der herzlichen hawaiischen Art mit Umarmung, Lippe auf Lippe, mit beredtem Gesicht und nicht minder beredtem Körper voller Aufrichtigkeit und Überschwang zu begrüßen. Und »Schwester Bella« und »Schwester Martha« flog es hin und her und dazwischen unzusammenhängende Frage nach Onkeln, Brüdern und Tanten, bis sie, nachdem sich die erste Erregung gelegt hatte, mit vor Zärtlichkeit und Liebe feuchten Augen dasaßen und sich über ihre Teetassen hinweg anblickten. Es war, als hätten sie sich jahrelang weder gesehen noch umarmt. Tatsächlich aber hatte ihre Trennung nur zwei Monate gedauert. Und die eine war vierundsechzig, die andere achtundsechzig Jahre alt. Aber zum vollen Verständnis muß man wissen, daß in beiden zu einem Viertel das sonnenwarme, liebeswarme Herz von Hawaii pochte.

Die Kinder umdrängten Tante Bella wie eine steigende Flut, sie wurden freigebig umarmt und geküßt, ehe sie mit ihren Wärterinnen zum Badestrand gingen.

»Ich wollte für einige Tage an die See gehen, jetzt, da der Passat nicht mehr weht«, erklärte Martha.

»Du bist doch schon seit vierzehn Tagen hier«, lächelte Bella ihre Schwester zärtlich an. »Bruder Edward erzählte es mir. Ich traf ihn auf dem Dampfer, und er bestand darauf, zuerst mit mir hinzufahren, um nach Louise und Dorothy und seinem ersten Enkelchen zu sehen. Er ist ganz toll vor Freude.«

»Wirklich!« rief Martha. »Zwei Wochen! Ich hätte nicht gedacht, daß es schon so lange her ist.«

»Wo ist Annie? Und wo Margaret?« fragte Bella.

Martha zuckte die umfangreichen Achseln mit umfassender, nachsichtiger Liebe für ihre launischen großen Töchter, die ihre Kinder den ganzen Vormittag der Obhut der Großmutter überlassen hatten.

»Margaret ist zu einer Sitzung des Freiluft-Vereins. Sie wollen die ganze Kalakaua-Avenue entlang Bäume und Hibiskusbüsche pflanzen«, sagte sie. »Und Annie gibt einen Tee, der sie achtzig Dollar kostet, um fünfundsiebzig Dollar für das Britische Rote Kreuz zu sammeln – es ist ihr Ausgehtag, mußt du wissen.«

»Roscoe muß doch stolz sein«, meinte Bella und bemerkte den strahlenden Schimmer des Stolzes in den Augen ihrer Schwester. »Ich erhielt in San Franzisko die Nachricht von der ersten Dividende von Ho-o-la-a. Weißt du noch, wie ich, als sie fünfundsiebzig Cent standen, tausend Dollar für die Kinder der armen Abbie zeichnete und sagte, daß ich verkaufen würde, wenn sie auf zehn Dollar gestiegen wären?«

»Und alle lachten dich und jeden andern aus, der etwas zeichnete«, nickte Martha. »Aber Roscoe wußte, was er tat. Heute stehen sie vierundzwanzig.«

»Ich habe meine vom Dampfer aus durch Funkspruch verkauft – zu zwanzig«, fuhr Bella fort. »Und jetzt wirft Abbie sich ganz wild auf Damenschneiderei. Sie fährt mit May und Tootsie nach Paris.«

»Und Karl?« fragte Martha.

»Oh, der wird Yale ganz durchmachen –«

»Was er auf jeden Fall getan hätte, und das weißt du auch selbst recht gut«, sagte Martha mit leisem Tadel. Bella gab schuldbewußt ihre Absicht zu, für den Sohn ihrer Freundin das Studium zu bezahlen, und fügte zufrieden hinzu:

»Aber hübsch ist es doch, die Ho-o-la-a das bezahlen zu lassen. Eigentlich ist es ja Roscoe, der es bezahlt, denn auf seinen Rat legte ich das Geld dort an.« Sie ließ den Blick langsam umherschweifen, ihre Augen sogen nicht nur die Schönheit, Behaglichkeit und Ruhe aller Dinge ein, auf die sie sich hefteten, sondern gleichzeitig die Unendlichkeit von Schönheit, Behaglichkeit und Ruhe von allem, das diese Dinge, in ähnlichen Oasen über das ganze Inselland verstreut, repräsentierten. Sie seufzte ganz zufrieden und meinte: »Unsere Männer haben alle gut verwaltet, was wir ihnen brachten.«

»Und mit Glück ...«, stimmte Martha ihr bei, unterbrach sich aber mit verdächtiger Schnelligkeit.

»Und mit Glück ... für uns alle, außer Schwester Bella«, vollendete Bella den Gedanken milde für sie.

»Deine Heirat taugte nichts«, murmelte Martha, ganz Sanftmut und Mitgefühl. »Du warst noch so jung. Onkel Robert hätte dich nie dazu veranlassen sollen.«

»Ich war erst neunzehn«, nickte Bella. »Aber George Castner war nicht schuld daran. Sieh nur, was er, noch aus dem Grabe heraus, für mich getan hat. Onkel Robert war klug. Er wußte, daß George den Weitblick, die Energie und Hartnäckigkeit des Vorausschauenden hatte. Er sah selber schon damals – und das ist fünfzig Jahre her – den Wert der Wasserrechte von Nahala, was kein anderer tat. Sie dachten, daß er die Absicht hätte, die Viehweiden zu kaufen, während er in Wirklichkeit die Zukunft der Wasserkräfte vor Augen hatte – und welchen Erfolg er hatte, das weißt du. Ich schäme mich manchmal, wenn ich an mein Einkommen denke. Nein, was es auch immer war, George hatte nicht schuld an unserer unglücklichen Ehe. Ich weiß, daß ich glücklich mit ihm hätte leben können, bis auf den heutigen Tag, wenn er noch gelebt hätte.« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Nein, seine Schuld war es nicht; weder seine, noch die eines andern. Nicht einmal meine. Wenn überhaupt jemand schuld daran war –«, ihr gütiges Lächeln nahm dem, was sie sagen wollte, den Stachel, »– wenn überhaupt jemand schuld daran war, dann war es Onkel John.«

»Onkel John!« rief Martha sehr erstaunt. »Wenn es schon einer sein sollte, so würde ich gesagt haben: Onkel Robert. Aber Onkel John!«

Bella lächelte leise, aber bestimmt.

»Aber es war doch Onkel Robert, der dich veranlaßte, George Castner zu heiraten«, drängte die Schwester.

»Das ist wahr«, nickte Bella bestätigend. »Aber es handelte sich nicht um den Mann, sondern um ein Pferd. Ich wollte mir ein Pferd von Onkel John leihen, und er sagte ja. So ist alles gekommen.«

Für einen Augenblick durchschnitt tiefes Schweigen den Raum, dann erklangen die Stimmen der Kinder und die sanften Ermahnungen der Wärterinnen näher am Strande, und plötzlich fühlte Martha Scandwell zitternd, wie sie von Wagemut durchbebt wurde. Sie winkte den Kindern, sich zu entfernen.

»Lauft, Lieblinge, lauft. Oma und Tante Bella wollen plaudern.«

Und während der süße helle Klang der Kinderstimmen über dem Rasenplatz verhallte, beobachtete Martha mit der Scharfsicht des liebenden Herzens die Linien der Traurigkeit, die der geheime Schmerz eines halben Jahrhunderts in die Züge ihrer Schwester eingegraben hatte. Seit fast fünfzig Jahren kannte sie diese Linien. Sie stählte all die rührende hawaiische Sanftmut in sich, um das Schweigen eines halben Jahrhunderts zu brechen.

»Bella«, sagte sie. »Wir wissen nichts. Du hast nie gesprochen. Aber wir haben im stillen darüber gegrübelt, ach, immer wieder –«

»Und habt nie gefragt«, murmelte Bella dankbar. »Aber jetzt endlich frage ich dich. Unser Abend ist angebrochen. Hör die Kinder! Manchmal erschrecke ich bei dem Gedanken, daß es Enkel sind, meine Enkel – während es mir scheint, als sei es kaum Tage her, daß ich das sorgloseste Mädel mit dem freiesten Herzen war, das je ein Pferd bestieg, in der großen Brandung schwamm, bei Ebbe Opihis sammelte oder ein Dutzend Verehrer verlachte. Und jetzt, im Zwielicht unseres Abends, laß uns alles vergessen, außer daß ich deine liebe Schwester bin, wie du die meine bist.«

Beide hatten feuchte Augen. Bella zitterte offenbar vor der Aussprache.

»Wir dachten, es sei George Castner«, fuhr Martha fort, »und glaubten die Einzelheiten zu erraten. Er war ein kühler Mann. Du warst eine heißblütige Hawaiianerin. Er muß grausam gewesen sein. Bruder Walcott behauptete stets, er müsse dich geschlagen haben.«

»Nein! Nein!« unterbrach Bella sie. »George Castner war nie brutal, nie roh. Oft hätte ich fast gewünscht, er wäre es. Nie hat er Hand an mich gelegt. Nie – oh, du kannst mir glauben. Bitte, Schwester, glaub es mir –, nie ist ein heftiges, ein böses Wort zwischen uns gefallen. Aber sein Haus, unser Haus in Nahala war grau. Es war grau von Farbe und kühl und frostig, während ich von allen Farben der Sonne, der Erde, des Blutes und der Geburt leuchtete. Es war sehr kalt, grau und kalt, mit diesem meinem grauen kalten Gatten in Nahala. Du weißt, daß er grau war, Martha. Grau wie die Porträts von Emerson, die sie uns in der Schule zeigten. Seine Haut war grau. Sonne und Wetter und ein Leben von früh bis spät im Sattel konnten ihn nicht bräunen. Und innen war er ebenso grau wie außen.

Und ich war neunzehn, als Onkel Robert die Heirat beschloß. Was wußte ich? Onkel Robert sprach mit mir. Er zeigte mir, wie der Reichtum und der Besitz auf Hawaii in die Hände der Haolen überzugehen begann. Die hawaiischen Prinzessinnen, die Haolen geheiratet hatten, sahen ihren Besitz unter der Verwaltung ihrer Gatten glücklich anwachsen. Er wies auf unsern Großvater Roger Wilton hin, der die armseligen Maukaländereien unserer Großmutter vermehrt und die Kilohana-Ranch auf ihnen erbaut hatte –«

»Selbst dann noch kam sie erst an zweiter Stelle nach der Parker-Ranch«, unterbrach Martha sie stolz.

»Und dann sagte er mir, wenn unser Vater vor seinem Tode nur halb so weitschauend wie Großvater gewesen wäre, so würde er die Hälfte von dem damaligen Besitz Parkers zu Kilohana hinzugefügt haben, und Kilohana wäre die erste gewesen. Und er sagte, daß Rindfleisch nie im Leben im Preise steigen würde, und daß die Zukunft Hawaiis im Zucker läge. Das ist fünfzig Jahre her, und er hat recht behalten. Und er sagte, daß der junge Haole George Castner Weitblick und Energie besäße, daß es viele Mädchen gäbe, und daß meine Zukunft glänzend gesichert wäre, wenn ich George heiratete.

Ich war erst neunzehn, hatte gerade die Königliche Schule durchgemacht – damals wurden unsere Töchter noch nicht zur Erziehung nach den Vereinigten Staaten geschickt. Du, Schwester Martha, warst eine der ersten, die auf dem Festland erzogen wurden. Und was wußte ich von Liebe und von Liebenden, was gar von Heirat? Alle Frauen heirateten – das war ihr Beruf hier im Leben. Mutter und Großmutter – alle, soweit ich zurückdenken konnte, hatten geheiratet. Mein Beruf im Leben war es, George Castner zu heiraten. Das sagte Onkel Robert, und ich wußte, daß er sehr klug war. Und ich ging, um mit meinem Gatten in dem grauen Hause zu Nahala zu leben. Du weißt noch: Kein Baum, nur die wogende Grassteppe, dahinter die hohen Berge, drunten Meer und Wind! Der Waimea- und der Nahala-Wind, beide kamen sie zu uns, und der Kona-Wind auch. Aber daraus machte ich mir wenig, nicht mehr als ich mir in Kilohana daraus gemacht hatte, oder als sie sich in Mana daraus machten, wäre Nahala selbst nicht so grau gewesen, und wäre mein Gatte George nicht so grau gewesen. Wir waren allein. Er verwaltete Nahala für die Glenns, die nach Schottland zurückgegangen waren. Er bekam achtzehnhundert jährlich, dazu Fleisch, Pferde, Bedienungen und Wohnung.«

»Das war ein hohes Gehalt damals«, sagte Martha.

»Aber für George Castner und das, was er leistete, war es sehr wenig«, verteidigte Bella ihn. »Ich lebte drei Jahre lang mit ihm zusammen. Kein Morgen fand ihn nach halb fünf noch im Bett. Er war von Eifer für seine Brotgeber beseelt. Bis auf den Pfennig ehrlich in seinen Abrechnungen, gab er ihnen seine Zeit und seine Kraft in vollstem Maße. Vielleicht war es auch das, was unser Leben so grau machte. Aber höre, Schwester Martha! Von seinen achtzehnhundert legte er jedes Jahr sechzehnhundert beiseite. Stell dir das vor: Wir beide lebten von zweihundert jährlich. Glücklicherweise trank er nicht und rauchte nicht. Kleiden taten wir uns auch davon. Ich nähte mir meine Kleider selbst. Du kannst dir vorstellen, wie sie aussahen. Die Cowboys hackten Holz, alle übrige Hausarbeit verrichtete ich. Ich kochte und buk und schrubbte –«

»Und dabei hattest du von deiner Geburt an nie selbst eine Hand gerührt«, sagte Martha mitleidig. »Immer war ein ganzes Regiment Diener in Kilohana!«

»Oh, aber das Schlimmste war die nackte, quälende Knappheit!« rief Bella. »Wie ich ein Pfund Kaffee strecken mußte! Wie ein Besen verbraucht werden sollte, ehe ein neuer angeschafft wurde! Und dieses Rindfleisch! Frisches Rindfleisch morgens, mittags und abends! Und Haferflocken! Nie habe ich seither Haferflocken oder ähnliches essen können!«

Sie stand plötzlich auf und entfernte sich ein Dutzend Schritte, um mit leeren Blicken in die in verschwenderischer Farbenpracht prangende Tiefe zu starren und Zeit zu gewinnen, sich zu fassen. Dann kam sie zurück, hochbrüstig und den edlen Kopf erhoben, in der prachtvollen, sicheren, anmutigen Haltung, die nichts der Hawaiianerin zu rauben vermag. Sehr haolisch war Bella Castner, zarthäutig, feingliedrig. Als sie aber jetzt, hocherhobenen Hauptes, den Blick ihrer länglichen Augen von den königlichen Bogen der Brauen beschattet und mit den sanft geschwungenen Linien ihres kleinen Mundes, der noch heute, mit achtundsechzig Jahren in seiner Schönheit von der Süße von Küssen erzählte, als sie jetzt angeschritten kam, war sie in allem das echte Bild einer Königin von altem Hawaiistamme, der durch den Überschuß ihres Haolenblutes hindurchbrach. Größer war sie als ihre Schwester Martha und, wenn möglich, noch königlicher.

»Wir waren wegen unseres knappen Essens bekannt, weißt du!« Bella lachte leise. »Es waren viele Meilen von Nahala bis zur nächsten Behausung. Reisende, die sich verspätet hatten oder vom Sturm überrascht wurden, übernachteten gelegentlich bei uns. Und du weißt, welche Verschwendung damals auf den großen Gehöften getrieben wurde und noch getrieben wird. Wir wurden eine Zielscheibe des Spottes. ›Was kümmert das uns!‹ pflegte George zu sagen. ›Sie leben heute, aber in zwanzig Jahren wird die Reihe an uns sein, Bella. Dann werden sie sein, wo wir jetzt sind, und werden uns aus der Hand fressen. Wir werden sie füttern müssen, und wir werden sie gut füttern; denn wir werden reich sein, Bella, so reich, daß ich mich fürchte, es dir zu sagen. Aber ich weiß, was ich weiß, und du mußt Vertrauen zu mir haben.‹

George hatte recht. Zwanzig Jahre später hatte ich ein Einkommen von tausend Dollar monatlich, wenn er es auch nicht mehr erlebte. Du meine Güte! Wieviel es heute ist, weiß ich nicht. Aber ich war erst neunzehn, und ich sagte immer zu George: ›Jetzt! Jetzt! Wir leben jetzt. In zwanzig Jahren leben wir vielleicht gar nicht mehr. Ich brauche einen neuen Besen. Und es gibt einen Kaffee, eine mäßige Kaffeesorte, die nur zwei Cent das Pfund mehr kostet als das furchtbare Zeugs, das wir jetzt trinken. Warum darf ich jetzt nicht Eier in Butter braten? Ich möchte doch so gern ein neues Tischtuch haben. Unsere Wäsche! Ich schäme mich, einen Gast auf die Bettlaken zu legen, wenn auch, weiß Gott, selten genug einer zu kommen wagt.‹

›Hab nur Geduld, Bella‹, pflegte er zu antworten. ›Bald, in wenigen Jahren, werden die, die sich jetzt über uns aufhalten, an unserm Tisch sitzen, auf unsern Bettlaken schlafen und stolz sein, wenn wir sie einladen – soweit sie nicht gestorben sind. Du weißt doch noch, wie Stevens voriges Jahr auszog – leichtlebig und aller Welt Freund, nur sein eigener nicht. Die Leute in Kogala mußten ihn dann begraben, denn er hinterließ nichts als Schulden. Achte nur darauf: die andern gehen den gleichen Weg. Dein Bruder Hal zum Beispiel. Bei dem Leben, das er führt, dauert es keine fünf Jahre mehr mit ihm, und es wird seinem Onkel das Herz brechen. Oder Prinz Lilolilo. Galoppiert an mir vorbei mit einer Kavalkade von fünfzig Kanaken, die besser täten, tüchtig zu arbeiten und an ihre Zukunft zu denken, denn er wird nie König von Hawaii werden. Das wird er nicht erleben.‹

George hatte recht. Bruder Hal starb, und Prinz Lilolilo auch. Aber ganz recht hatte George doch nicht. Er, der weder rauchte noch trank, der nie eine unnötige Bewegung auf eine Umarmung verschwendete, seine Lippen nie eine Sekunde länger als zu den oberflächlichen Gewohnheitsküssen benutzte, er, der unabänderlich vor dem ersten Hahnenschrei auf war und schlief, ehe die Petroleumlampe sich ein Zehntel geleert hatte, er, der nie ans Sterben gedacht hatte, starb noch schneller als Onkel Hal und Prinz Lilolilo.

›Hab Geduld, Bella‹, pflegte Onkel Robert zu mir zu sagen. ›George Castner ist der kommende Mann. Ich habe gut für dich gewählt. Dein Ungemach ist nur der steinige Weg ins gelobte Land. Nicht immer werden die Hawaiianer in Hawaii herrschen. Wie sie sich ihren Reichtum aus den Händen entgleiten lassen, so wird ihnen auch die Herrschaft entgleiten. Politische Macht und Landbesitz gehen stets Hand in Hand. Große Änderungen werden kommen, Revolutionen, keiner weiß, welche und wie viele, nur daß am Ende die Haolen das Land und die Herrschaft besitzen werden. Und dann wirst du vielleicht die erste Frau Hawaiis sein, denn sicher wird George Castner Regent der Inseln sein. So ist es stets, wo die Haolen mit den leichtblütigeren Rassen kämpfen. Ich, dein Onkel Robert, ein halber Hawaiianer und ein halber Haole, ich weiß, was ich sage. Hab Geduld, Bella, hab Geduld!‹

›Liebe Bella‹, pflegte Onkel John zu sagen, und ich wußte, daß sein Herz zärtlich für mich schlug. Gott sei Dank ermahnte er mich nie zur Geduld. Er wußte Bescheid. Er war sehr weise. Er war arm und menschlich und darum klüger als Onkel Robert und George Castner, die nur den Gegenstand suchten und nicht den Geist, denen die Zahlen des Hauptbuches wichtiger waren als die Schläge des Herzens, und die über langen Rechnungen Umarmungen und Liebkosungen vergaßen. ›Liebe Bella‹, pflegte Onkel John zu sagen. Und er wußte Bescheid. Du hast wohl gehört, daß er der Geliebte der Prinzessin Naomi war. Er war ein treuer Liebhaber. Er hat nie wieder geliebt. Nach ihrem Tode sagten sie, daß er überspannt sei. Er war der Liebhaber, einmal und immer. Erinnerst du dich an das Tabuzimmer in Kilohana, das wir erst nach seinem Tode betraten, und das ihr Reliquienschrein war? ›Liebe Bella.‹ Mehr sagte er nicht, aber ich wußte, daß er verstand. Und ich war neunzehn und eine sonnenwarme Hawaiianerin, trotz den drei Vierteln Haolenblut in meinen Adern, und ich kannte nichts außer der Pracht meiner Mädchenzeit zu Kilohana und meiner Erziehung in der Königlichen Schule in Honolulu, meinem grauen Gatten in Nahala mit seinen grauen Predigten und Vorträgen über Nüchternheit und Sparsamkeit und den beiden kinderlosen Onkeln der eine mit seinen fernen, kalten Visionen, der andere mit dem gebrochenen Herzen des ewig träumenden Liebhabers einer toten Prinzessin.

Denk an das graue Haus! Und ich hatte das leichte Leben, die Freuden und das ewige Lachen von Kilohana, von den Parkers auf Alt-Mana und von Puuwaawaa gekannt! Du erinnerst dich! Wir lebten damals wie die Fürsten. Willst du, kannst du mir glauben, Martha: Die einzige Nähmaschine, die ich in Nahala hatte, war eine, die die früheren Missionare herübergebracht hatten, ein kleines, verrücktes Ding, das mit einer Handkurbel bedient werden mußte!

Robert und John hatten meinem Gatten bei meiner Heirat jeder fünftausend Dollar gegeben. Aber George bat, es geheimzuhalten. Nur wir vier wußten davon. Und während ich auf dieser verrückten kleinen Maschine meine billigen Holokus nähte, kaufte er für mein Geld Grundbesitz – die oberen Nahalaländereien, weißt du –, immer nur wenig auf einmal, jeder Kauf ein hartnäckiger Handel, wobei sein Gesicht lauter Armut ausdrückte. Heute bringt mir der Nahalagraben allein vierzigtausend jährlich. Aber war es das wert? Ich hungerte. Wenn er mich nur ein einziges Mal toll in seine Arme gepreßt hätte! Wenn er nur ein einziges Mal fünf Minuten von seinen Geschäften oder seiner Treue gegen seine Brotgeber gestohlen und mir geschenkt hätte! Manchmal hätte ich schreien, ihm die ewige Schüssel Haferflocken ins Gesicht schütten oder die Nähmaschine auf den Boden schmettern und eine Hula darüber tanzen können, nur um ihn aufzubringen, daß er seine Ruhe verlöre und Mensch würde, ein brutaler Mensch, ein Mann statt des gefrorenen Halbgottes.«

Der traurige Ausdruck Bellas schwand, und sie lachte aus vollem Halse in der reinen Echtheit froher Erinnerungen. »Aber wenn ich in solcher Stimmung war, pflegte er mich mit seinen Blicken zu mustern, fühlte mir feierlich den Puls, besah meine Zunge, gab mir Rizinusöl, steckte mich früh mit einer Wärmflasche ins Bett und versicherte mir, daß ich mich am nächsten Tag besser fühlen werde. Früh ins Bett! Für uns war es eine Ausschweifung, wenn wir bis neun Uhr aufsaßen! Unsere gewohnte Schlafenszeit war acht. Er sparte Petroleum. Wir kannten kein Mittagessen in Nahala – erinnerst du dich der großen Tafel in Kilohana, an der wir aßen? Aber George und ich aßen Abendbrot. Und danach pflegte er am Tisch dicht vor der Lampe zu sitzen und eine Stunde in alten, entliehenen Magazinen zu lesen, während ich ihm gegenüber saß und Strümpfe und Unterwäsche stopfte. Er trug immer billige, schlechte Stoffe. Und sobald er zu Bett ging, mußte auch ich zu Bett gehen. Kein Petroleum durfte verschwendet werden. Und zu Bett ging er immer auf dieselbe Weise; er zog die Uhr auf, notierte das Wetter des betreffenden Tages in seinem Tagebuch, zog sich die Schuhe aus, unabänderlich zuerst den rechten und dann den linken, und stellte sie ebenso Seite an Seite am Fußende des Bettes neben sich auf den Fußboden.

Er war der sauberste Mann, den ich je gekannt habe. Nie trug er dasselbe Unterzeug zweimal. Ich selbst mußte die Wäsche besorgen. Er war so sauber, daß es weh tat. Er rasierte sich zweimal täglich und verbrauchte für seinen Körper mehr Wasser als ein Kanake. Er leistete die Arbeit von zwei Haolen. Und ich sah, welche Zukunft das Wasser von Nahala hatte.«

»Er machte dich reich, aber er machte dich nicht glücklich«, meinte Martha.

Bella seufzte und nickte.

»Was ist Reichtum am Ende, Schwester Martha? Meinen neuen Wagen habe ich auf dem Dampfer mitgebracht; es ist mein dritter in zwei Jahren. Aber was sind alle Automobile, was ist aller Reichtum gegen einen Liebenden? – Gegen den einen Liebenden, den einen Kameraden, an dessen Seite man arbeitet, leidet, glücklich ist – den Gatten ...«

Ihre Stimme verklang, und die Schwestern saßen ein Weilchen schweigend da; eine alte Frau, eingeschrumpft und gekrümmt von einem hundertjährigen Leben, kam über den Rasen zu ihnen gehumpelt. Ihre verwitterten Augen, kaum mehr als Gucklöcher, waren scharf wie die eines Mungos. Zu Bellas Füßen sank sie nieder, murmelte und sang mit ihrem zahnlosen Munde in reinem Hawaiisch einen Mele über Bella und ihre Vorfahren und fügte aus dem Stegreif einen Willkommensgruß zu ihrer Rückkehr von der weiten Reise über das große Meer nach Kalifornien und zurück nach Hawaii hinzu. Und während sie ihren Mele sang, machten die dürren Finger der alten Frau bei ihr Lomi, das heißt, sie massierten die seidenbestrumpften Beine Bellas vom Knöchel bis zur Wade, zum Knie und zum Schenkel.

Die Augen Bellas und Marthas schimmerten feucht, als die alte Vasallin Lomi und Mele bei Martha wiederholte, und als sie mit ihr in der alten Sprache redeten und die unsterblichen Fragen nach ihrer Gesundheit, ihrem Alter und ihren Urenkeln an sie stellten, die schon Lomi an ihnen gemacht hatte, als sie noch kleine Kinder in dem großen Hause zu Kilohana gewesen waren, wie die Vorfahren der Alten an den Vorfahren Bellas und Marthas undenkliche Generationen zurück Lomi gemacht hatten. Als die Alte ihre Pflicht getan hatte, erhob sich Martha, begleitete sie nach dem Hause, steckte ihr Geld in die Hand und befahl dem stolzen, schönen japanischen Hausmädchen, der gebrechlichen Ureinwohnerin des Landes mit dem aus den Wurzeln der Wasserlilie bereiteten Poi, mit Iamaka – rohem Fisch –, mit zerstoßener Kukuinuß und mit Limu, der leichtverdaulichen, schmackhaften, aus Seegras bereiteten Speise für Zahnlose, aufzuwarten. Es waren die alten Bande, die Treue des Volkes gegen seinen Herrscher, die Fürsorge des Häuptlings für seine Untertanen. Und Martha, deren Blut zu drei Vierteln das angelsächsische des Neuengländers war, wurde zur Vollblut-Hawaiianerin in der Erinnerung an die alten Sitten und Zeiten und ihre Wiederbelebung.

Als sie jetzt über den Rasen zum Haubaum zurückschritt, sahen Bellas Augen, wie echt ihre Bewegungen und ihr Blut waren, und sie umarmte sie voller Liebe. Kleiner als Bella war Martha, um ein winziges kleiner, und auch um ein winziges weniger königlich in ihrer Erscheinung; aber ihre Gestalt war schön und edel, die Jahre hatten ihre Schönheit nur gereift, und wie eine polynesische Fürstin schritt sie jetzt unter den wallenden Linien eines prächtigen, schwarzseidenen, mit schwarzer Spitze besetzten Holokus daher, das kostbarer als eine Pariser Modeschöpfung war.

Und als die beiden Schwestern jetzt ihr Gespräch fortsetzten, würde jeder Beobachter die schlagende Ähnlichkeit ihrer reinen, geraden Profile, ihrer breiten Backenknochen und ihrer breiten, hohen Stirnen, der Fülle ihres eisgrauen Haares und der süßen Lippen ihres von jahrzehntelangem, sicherem Stolz gezeichneten Mundes und der schmalen lieblichen Brauen über den ebenso lieblichen länglichen braunen Augen bemerkt haben. Die Hände beider hatte das Alter kaum verändert oder gar zerstört, sie waren wundervoll mit ihren schlanken Fingern, die alte Hawaiianerinnen, gleich der, welche jetzt Poi, Iamaka und Limu im Hause aß, ihnen von klein auf massiert hatten.

»So ging es ein Jahr«, nahm Bella ihre Erzählung wieder auf, »und da, weißt du, begann alles sich einzurenken. Ich fühlte mich schon zu meinem Gatten George hingezogen, Frauen sind einmal so, und ich war ja eine Frau. Denn im Grunde war er gut. Er war gerecht. Ich begann, mich zu ihm hingezogen zu fühlen, ihn zu schätzen, ja, fast möchte ich sagen, zu lieben. Und hätte Onkel John mir nicht das Pferd geliehen, so würde ich, das weiß ich, ihn wirklich geliebt und glücklich mit ihm gelebt haben – ein ruhiges Glück natürlich.

Ich wußte eben nichts sonst, nichts anderes, nichts Besseres von den Männern. Es kam so weit, daß ich ihn fröhlich über den Tisch ansah, wenn er in der kurzen Stunde zwischen Abendbrot und Schlafengehen las, und daß ich fröhlich auf das Getrappel der Pferdehufe lauschte, wenn er nachts von seinen endlosen Ritten über die Ranch heimkam. Und sein spärliches Lob war wirklich Lob für mich, das mich glücklich prickelte – ja, Schwester Martha, ich wußte, was es hieß, unter seinem pedantisch-gerechten Lob zu erröten, wenn ich etwas recht gemacht hatte.

Und alles wäre gutgegangen bis ans Ende der uns gemeinsam beschiedenen Tage, wäre er nicht mit dem Dampfer nach Honolulu gefahren. Er wollte vierzehn Tage oder länger fortbleiben, zuerst geschäftliche Fragen für die Glenns regeln, um dann im eigenen Interesse noch weiteres Gelände in Ober-Nahala zu kaufen. Weißt du, er kaufte eine Menge von dem unaufgeschlossenen Hügelland, das nichts bietet außer Wasser, eben das Herz der Wasserscheide, für den niedrigen Preis von fünfzehn Cent den Morgen. Und da meinte er, daß mir eine Abwechslung gut täte. Ich wollte ihn nicht nach Honolulu begleiten. Aber mit Rücksicht auf die Ausgaben bestimmte er, daß ich nach Kilohana gehen sollte. Nicht nur, daß der Besuch in meinem alten Heim ihn nichts kostete, er sparte auch noch die Kosten für das bißchen Essen. Wäre ich allein in Nahala geblieben, so hätte ich essen müssen, und für das Geld konnte er noch mehr Grund und Boden kaufen. Und in Kilohana willigte Onkel John ein und lieh mir das Pferd.

Ach, die ersten Tage nach meiner Heimkehr fühlte ich mich wie im Himmel. Zuerst wurde es mir schwer zu glauben, daß es so viel zu essen in der Welt gab. Die ungeheure Verschwendung der Küche erschreckte mich. So gut war ich durch meinen Gatten George erzogen, daß ich in allem Verschwendung sah. Mein Gott, in den Gesindestuben aßen die alten Verwandten der Dienerschaft und Schmarotzer besser, als George und ich je gegessen