Die goldene Liste - Joanna Bolouri - E-Book

Die goldene Liste E-Book

Joanna Bolouri

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Beschreibung

Seit Phoebe ihren Freund mit einer anderen im Bett erwischt hat, suhlt sie sich in Selbstmitleid. Am Neujahrstag beschließt sie, ihrem Leben endlich wieder Schwung zu geben. Dabei helfen soll ihr eine Liste - mit zehn aufregenden Sex-Spielchen, die sie im neuen Jahr ausprobieren will ... Doch wie soll man diese Spiele spielen, wenn einem der Partner dafür fehlt? Am Ende bleibt Phoebe nur, Oliver zu fragen - aber ist es wirklich eine gute Idee, ausgerechnet mit dem besten Freund in die Kiste zu steigen?

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Seitenzahl: 484

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Über die Autorin:

Joanna Bolouri begann mit dreißig Jahren, professionell zu schreiben. Ihre Artikel erschienen u.a. in The Skinny, der Sun und der Huffington Post. Der Sieg eines BBC-Wettbewerbs für Comedy-Drehbücher ermöglichte es ihr, mit Stand-up-Comedians, Comedy-Autoren und Schauspielern aus ganz Großbritannien zusammenzuarbeiten. Die goldene Liste ist ihr erster Roman. Sie lebt mit ihrer Tochter in Glasgow.

Joanna Bolouri

Die goldene Liste

Ein Jahr. Eine Frau.Zehn unanständige Vorsätze

ROMAN

Aus dem Englischen von Andrea O’Brien

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2013 by Joanna Bolouri

Titel der englischen Originalausgabe: »The List«

Originalverlag: Quercus, London

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Massimo Peter

unter Verwendung eines Entwurfs von © Emma Rogers

Satz: two-up, Düsseldorf

E-Book-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-8387-5928-9

Sie finden uns im Internet unter

www.luebbe.de

Bitte beachten Sie auch: www.lesejury.de

Für Nicola, die mich seit fünfundzwanzig Jahren zum Lachen bringt

Januar

Samstag, 1.Januar

Vor einer Stunde bin ich dem Bett entstiegen wie Nosferatu. Meine Kehle war trocken wie ein Scheunenboden, aber in der Minibar herrschte gähnende Leere, und im Hotelzimmer war kein einziges Glas aufzutreiben, also trank ich direkt aus dem Wasserhahn im Bad. Ich habe einen dermaßen fetten Kater, mein Gesicht fühlt sich an, als hätte ich es mir nur geliehen. Lucy schläft noch im anderen Bett, aber ich habe keine Lust, mich anzuziehen und vor die Tür zu gehen, wo ich sowieso nur blöde Blicke ernten würde.

Doch die Party gestern war so unglaublich gut, da lohnt sich sogar der Kater! Jedes Jahr quartieren wir uns zu Silvester im Sapphire Hotel ein – überteuert, total angesagt und mitten in der Stadt –, und jedes Mal frage ich mich, warum wir da nicht längst auf der schwarzen Liste stehen.

Die anderen hatten ihre Zimmer schon bezogen, als Lucy und ich um halb drei nachmittags auch endlich eintrudelten. Wir checkten schnell ein, sprangen in den Aufzug und suchten, unsere übertrieben großen Koffer hinter uns her zerrend, nach Zimmer 413. Lucy und ich arbeiten jetzt seit zwei Jahren zusammen; sie ist nie pünktlich, egal was anliegt.

»Wetten, die anderen sind längst besoffen und am Rummachen?«, sagte Lucy. »Die haben sich bestimmt schon mit Moët begossen und Unterhosen getauscht.«

Endlich hatten wir unser Zimmer gefunden, und ich stocherte mit der Schlüsselkarte im Türschloss herum. »Meine Güte, hast du eigentlich nur das eine im Kopf? Wir sind doch bloß eine halbe Stunde zu spät dran. Hazel prüft sowieso noch die Preise in der Minibar, Kevin wartet auf sein erstes Pint, und Oliver kriegt vermutlich …«

»… von seiner Spanierin einen geblasen«, ergänzte Lucy. »Wie heißt sie noch gleich?«

»Pedra. Ich habe sie nur ein Mal getroffen und aus Versehen Pedro genannt.«

Lucy belegte das Bett auf der Fensterseite mit ihrem Mantel und schaltete den Fernseher ein, während ich mich beim Auspacken fragte, warum zum Teufel ich vier Paar Schuhe dabeihatte.

»Ziehst du dein grünes Kleid an?«, fragte ich mit Blick auf mein schlichtes Schwarzes.

»Jepp. Auch wenn ich mit meinen roten Haaren darin aussehe, als hätte ich bei Riverdance keine Rolle mehr gekriegt.«

Ich überließ sie ihrer irischen Tanzperformance, verzog mich voller Vorfreude auf den Abend unter die Dusche und dachte an unsere letzte Silvesterparty: Lucy war so betrunken gewesen, dass sie im Fahrstuhl eingeschlafen war, und Oliver hatte mir hinter der Zimmertür aufgelauert und mich so erschreckt, dass ich mir in die Hosen gemacht hatte.

Ein Klopfen, gefolgt von einer vertrauten Stimme mit Dubliner Zungenschlag, riss mich aus meinen Gedanken.

»Phoebe, ich komm jetzt rein. Pack deinen Dildo weg.«

Ich konnte mir gerade noch ein Handtuch schnappen, da hatte Oliver schon den Kopf in der Tür.

»Mann, Oliver!«, kreischte ich und wandte mich schnell ab. »Du kannst hier doch nicht einfach so reinspazieren. Wenn du Titten sehen willst, dann glotz gefälligst die von Pedro an.«

»Sie heißt Pedra, und ich bin nicht wegen deiner Titten hier, so eindrucksvoll sie auch sind. Ich wollte dir nur ausrichten, dass es um sieben Essen gibt, und den Rest des Programms weiß ich nicht mehr, weil ich nach Lucys irischer Tanzeinlage Heimweh bekommen hab.«

»Gut, wir sehen uns, wenn ich angezogen bin, und jetzt verzieh dich und nerv jemand anderen.«

Eine Stunde und zwei Gläser Wein später waren Lucy und ich immer noch nicht ausgehfertig. Jedes Jahr nahmen wir uns vor, bis Mitternacht möglichst nüchtern zu bleiben, aber meist waren wir schon beim ersten Glockenschlag voll wie Eimer. Danach gab es nur noch Kurze bis zum Umkippen. Es war klar, dass dieses Jahr keine Ausnahme bilden würde.

»Wenigstens hast du Alex nicht mehr an der Backe«, bemerkte Lucy, während sie sich die Strumpfhose hochzog. »Der Typ hat uns alle zu Tode gelangweilt mit dem ständigen Gelaber von seinem Job. Meine Güte, der Mann ist Physiotherapeut und kein Zauberkünstler!«

»Ich weiß.«

»Und dann hatte er auch noch den Nerv, von seiner Chefin zu erzählen, wo er es doch die ganze Zeit mit ihr getrieben hat …«

»Es reicht!«, unterbrach ich sie. »Hör auf, von diesem Arschloch zu reden, du versaust mir die Stimmung. Das ist vorbei. Jetzt muss ich mich nur darauf konzentrieren, jemanden zu finden, der kein totaler Vollidiot ist.«

Lucy lachte. »Leg die Latte bloß nicht zu hoch! Außerdem brauchst du keinen neuen Freund, Phoebe, sondern guten Sex. Mit Sex wird alles besser.«

»Danke, keinen Bedarf. Mit meinem Sexleben ist alles in Ordnung. Was ich brauche, ist noch was zu trinken!«

Vor dem Essen trafen wir uns an der Bar mit Hazel und Kevin, die sich bereits eine halbe Flasche Schampus hinter die Binde gekippt hatten. Hazel sah meinen prüfenden Blick in Richtung Flasche.

»Heute Abend sind wir kinderlos. Ich bin fest entschlossen, mich total wegzuschießen.«

»Hey, ich hab doch gar nichts gesagt! Dass ich keine Kinder habe, feiere ich jede Nacht«, entgegnete ich.

Hazel sah umwerfend aus. Sie trug ein hellrosa Abendkleid, und ihr blondes, zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengefasstes Haar war mit winzigen Strass-Steinchen geschmückt. Ihr Mann Kevin, im Schottenrock, sah genauso umwerfend aus. Neben diesem gepflegten, eleganten Pärchen kam ich mir in meinem schwarzen Wickelkleid, mit den roten Pumps und der seit 1995 unveränderten Frisur etwas verhuscht vor.

»Sind Oliver und Pedra noch nicht unten?«

»So, wie die vorhin am Empfang rumgeknutscht haben, wär’s ein Wunder, wenn sie überhaupt wieder aus dem Bett kriechen.« Kevin lachte kurz auf und hielt dann inne, wohl weil sein Kopfkino volle Aufmerksamkeit forderte.

Ein etwas hektischer Kellner führte uns in den Hauptsaal, wo wir an einer geschmackvoll mit weißem Leinen gedeckten Tafel Platz nahmen, in deren Mitte rot-grüner Blumenschmuck prangte. Rund hundert Gäste in Schottenkaros hatten sich im Saal versammelt, und es herrschte bereits Bombenstimmung. An manchen Tischen drängten sich Hipster mit Partyhütchen und gezückten Kameras, um die servierten Speisen sofort auf Instagram zu posten, an anderen hatten sich die üblichen Milchbubis versammelt, die schon vor dem ersten Gang besoffen waren, und dann gab es noch ein paar Ehepaare über fünfzig, die sich wohl fragten, wo sie hier eigentlich gelandet waren. Das Menü bestand aus traditionellen schottischen Gerichten wie Steak Pie und Haggis, für Vegetarier hatte man eine extravagante Tofukreation angerichtet.

»Dieses Besteck ist echt der Hammer!« Lucy inspizierte ihren Silberlöffel. »Das passt perfekt in meine Küche.«

»Nimm’s doch einfach mit«, scherzte ich, aber dann sah ich Lucys Gesichtsausdruck.

»Hey, Klepto! Nimm es nicht mit! Den Bademantel, den du letztes Jahr geklaut hast, haben sie sich teuer bezahlen lassen, weißt du noch?«

»Ja, aber zwischen Besteck und Zimmernummer können sie keine Verbindung herstellen. Das war ein echter Anfängerfehler.«

Zehn Minuten später schlenderte Oliver mit einem anzüglichen Grinsen in den Saal, gefolgt von Pedra, die so wunderschön war, dass ich ihr am liebsten das Gesicht zerkratzt hätte – Asche auf mein Haupt.

»Na endlich! Habt ihr euch verlaufen?«, fragte ich unschuldig.

»Nö«, lautete Pedras aufrichtige Antwort.

»Ich hab einen Mordshunger«, verkündete Oliver und mopste sich das Brötchen, das Lucy soeben mit Butter bestrichen hatte. »Wo bleibt das Essen?«

»Wenn du mir nicht in fünf Sekunden neue Kohlenhydrate organisierst, Webb, dann verliere ich die Kontrolle!«, knurrte Lucy.

»Das tust du doch ständig.« Oliver grinste und legte ihr ein neues Brötchen auf den Teller. »Lasst uns anstoßen.« Er hob sein Glas, und wir folgten seinem Beispiel.

»Auf meine guten Freunde Hazel und Kevin, die mir immer wieder beweisen, dass die Ehe doch kein mieses Täuschungsmanöver ist. Auf Lucy, die Sorte Frau, vor der meine Mutter mich immer gewarnt hat. Auf Phoebe, meine älteste und witzigste Freundin, und natürlich auf meine wunderbare Begleitung Pedra – ich entschuldige mich schon mal im Voraus für die peinlichen Fehltritte dieses Abends –, und, nicht zu vergessen: Auf die neuen Freundschaften, die wir heute knüpfen und mit unserem fürchterlichen Benehmen gleich wieder zerstören werden. Lasst die Spiele beginnen!«

Wir aßen, lachten, tanzten, meine Schuhe lagen schon vor Mitternacht unter irgendeinem Tisch, ich ging zig Mal zum Rauchen vor die Tür und bekam schließlich einen Moralischen, als sie die romantischen Nummern auflegten. Hazel rettete mich gerade noch rechtzeitig vor dem Abgrund.

»Denkst du an Alex?«

»Ja. Ich glaube, er fehlt mir immer noch.«

»Hm, hm, dir fehlt die Vorstellung, die du dir von ihm gemacht hast.«

»Der Mann, für den ich ihn gehalten habe.«

»Genau!

»Am Anfang war er richtig charmant.«

»Das war Ted Bundy auch.«

»Bundy ist ein guter Hundename, findest du nicht?«

»Bleib bei der Sache, Phoebe.«

»Hm, vielleicht habe ich mir einfach nicht genug Mühe gegeben. Er konnte schon auch liebevoll und zärtlich sein. Vielleicht habe ich …«

»Mag sein, Phoebe, aber du hast schließlich nicht mit anderen rumgemacht, so wie er! Alex hat dich vier Monate lang betrogen. Also hat er dir und seiner Geliebten vier Monate lang Märchen aufgetischt! Kein besonders liebenswertes Verhalten.«

Ich kippte meinen Tequila hinunter. »Warum fühle ich mich eigentlich immer zu Arschlöchern hingezogen? Ich werde nie den Richtigen finden.«

»Dir wird schon ein Neuer über den Weg laufen. Vielleicht solltest du es mal mit jemandem versuchen, der nicht in dein Beuteschema passt.«

»Du meinst eine Frau?«

»Nein, ich meine jemanden, den du normalerweise nicht anschauen würdest, der dich aber verdient hat, denn das ist viel wichtiger.«

»GENAU!«, rief ich so laut, dass der Mann im schlecht sitzenden Kilt neben mir zusammenzuckte. »Dieses Jahr finde ich jemanden. Einen, der anders ist. Einen ganz sensationellen Typen.«

»Du kannst alles schaffen, wenn du nur willst. Das wird dein Jahr, Mädchen. Fang an zu leben! Und jetzt komm auf die Tanzfläche, bevor wir uns alle wieder in Aschenputtel verwandeln.«

Und jetzt sitze ich hier, am ersten Tag des taufrischen Jahres, und habe nichts vorzuweisen außer einem Höllenkater, einem dicken Pickel am Kinn und Lucys geklautem Besteck in meiner Handtasche. Ich hau mich wieder hin.

Sonntag, 2.Januar

Heute habe ich meine Vorsätze fürs neue Jahr gefasst und beschlossen, ab sofort ein besserer Mensch zu sein. Aber statt die üblichen Geschichten anzugehen – abnehmen, auf Twitter keinem mehr folgen, der schwachsinnige Abkürzungen benutzt –, habe ich mich Folgendes gefragt: Wenn ich das vergangene Jahr wiederholen könnte, was würde ich anders machen? Jedes Jahr nehme ich mir denselben langweiligen Scheiß vor, doch am Ende bleibt alles beim Alten, und ich frage mich, wozu ich mir überhaupt die Mühe mache? Also werde ich mich dieses Jahr nur einer einzigen Aufgabe widmen, endlich den Hintern hochkriegen und wirklich daran arbeiten. Die Frage ist nur, woran? Ich habe viel darüber nachgedacht, wann genau das mit Alex schiefgelaufen ist, aber je mehr ich grüble, desto klarer wird mir, dass es von Anfang an schiefgelaufen ist, schon bevor er die Nummer mit Miss Titti abgezogen hat. (Ich weiß, ich sollte endlich erwachsen werden und sie Susan nennen, aber dann kommt meine Verachtung nicht richtig rüber.) An dem Abend, als wir uns kennenlernten, war ich vollkommen baff, dass dieser große, attraktive Kerl sich ausgerechnet für mich interessierte, dass ich prompt jede Runde bezahlt und ihm am Ende des Abends gleich noch meine Telefonnummer aufgenötigt habe. Ganze zwei quälende Wochen später hat er sich dann auch bei mir gemeldet. Mittlerweile weiß ich, dass das schon kein gutes Zeichen war. Er ließ mich die ganze Zeit am langen Arm verhungern. Manchmal hat er mir einen kurzen Blick auf seine humorvolle, einfühlsame Seite gestattet, aber nur, wenn es ihm gerade passte. Während ich also darauf wartete, dass er mich auf Händen trug, hat er mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Der Mistkerl war ein Meister der Manipulation. Wenn man im Wörterbuch unter »Drecksau« nachschlägt, findet man bestimmt ein Bild von ihm, auf dem er mit meinem Herzen oder mit meinem abgetrennten Kopf in der Hand einen Siegestanz aufführt. Ich konnte seine Erwartungen nie erfüllen, denn ich war einfach nicht gebildet, elegant oder imposant genug. Eben einfach nicht genug. Vier Jahre habe ich an einen Mann verschwendet, den unsere Beziehung komplett unterfordert hat. Ein echter Tritt in die Möse. Totale Zeitverschwendung.

Letztes Jahr habe ich über fünfhundert Pfund bei einer Therapeutin gelassen, die Mitte vierzig ist, aus Amerika kommt und Pam Potter heißt. Für fünfzig Pfund die Stunde (sie war etwas günstiger als die Therapeuten mit einem richtigen Namen) hat diese nach einem treuherzigen Gartenzwerg benannte Therapeutin gleichmütig zugehört, während ich rumschimpfte und heulte, und gesagt: »Ich höre Sie, Phoebe.« Das wird wohl stimmen, denn sie hat ja zwei funktionierende Ohren, aber es hilft mir nicht so richtig weiter. Zwei Erkenntnisse habe ich allerdings gewonnen. Erstens: Ich bin immer noch wütend auf Alex. Zweitens: Ich muss mir diesen Typen ein für alle Mal aus dem Kopf schlagen.

Montag, 3.Januar

Das mit dem Tagebuch war Pam Potters Idee. Es soll angeblich helfen, sich die Gefühle von der Seele zu schreiben, aber ich finde, es fühlt sich seltsam an.

Als ich das letzte Mal Tagebuch geschrieben habe, war ich eine fünfzehnjährige Einzelgängerin mit Ohrclip und zusammengewachsenen Augenbrauen. Meine damaligen Aufzeichnungen, darunter dreizehntausend Beleidigungen für meine Eltern und hochsensible Gedichte über einen Jungen in meiner Klasse, der nie ein Wort sagte und seine Augen mit Kajal schminkte, habe ich immer unter der Matratze versteckt. Jungs mit Kajal finde ich immer noch klasse, aber meine Eltern beleidige ich heute nur noch, wenn sie mir zu Weihnachten diese ekligen Pralinen aus Bioschokolade schicken.

Obwohl ich heute noch frei habe, hatte ich vorhin meine erste Therapiesitzung des Jahres mit Pam. Sie hat sich über Weihnachten die Haare braun gefärbt und sieht Tina Fey zum Verwechseln ähnlich.

»Wie ging es Ihnen an Silvester? Beim letzten Mal erwähnten Sie, dass Sie noch immer unter der Trennung von Ihrem Freund leiden. Hat sich das geändert?«

»Kein bisschen. Ich hab das Gefühl, als würde ich ständig an ihn denken … oder wegen ihm heulen … oder ihn vermissen. Aber mittlerweile sehe ich die Dinge etwas klarer.«

»Was meinen Sie konkret?«

»Ich hab mich kopfüber in diese Beziehung gestürzt. Ich gebe zu, dass ich einsam war, und als er Interesse zeigte, hab ich mich an ihn geklammert. Mag sein, dass ich echt verzweifelt war, aber er war schlimmer. Er war faul. Zu faul, um mit mir Schluss zu machen. Deshalb hat er mich warmgehalten, bis ihm was Besseres über den Weg gelaufen ist. Er hat sich nicht mal die Mühe gemacht, seine Affäre woanders auszuleben. Ich weiß noch, wie ich die beiden in unserem Bett erwischt habe. IN UNSEREM VERDAMMTEN BETT!«

Pam nickte nur, aber ich bin sicher, sie hätte mich am liebsten mit einem Tritt aus dem Fenster befördert, wenn ich sie nicht dafür bezahlen würde, sich die Geschichte zum x-ten Mal anzuhören.

Bei der Erinnerung an diesen Moment fing ich an zu zittern. Ich war früher nach Hause gekommen, weil das Konzert, auf das ich gehen wollte, in letzter Minute abgesagt wurde. Ich hatte meine Jacke auf die Couch geworfen und weiß noch genau, wie sie auf einem fremden BH landete. Grellpink und ungefähr drei Nummern größer als meiner. Noch bevor ich mir eine Frage stellen konnte, lieferte mir das Stöhnen im Schlafzimmer die Antwort. »Ich marschiere also ins Zimmer und stehe da wie ein Volltrottel. Völlig sprachlos. Und er zuckt einfach mit den Schultern und sagt: ›So was musste ja passieren. Du weißt doch selbst, dass es zwischen uns nicht mehr so gut lief.‹ Ich bin bei Hazel untergekommen, bis ich eine neue Wohnung hatte. Sie hat mich echt unterstützt. Alle meine Freunde tun das.«

»Gut. Das ist wichtig. Aber es ist fast ein Jahr her, Phoebe. Haben Sie eine Idee, wie Sie einen Schlussstrich unter die ganze Sache ziehen könnten?«

»Ich habe über meine guten Vorsätze fürs neue Jahr nachgedacht. Ich muss meine Denkweise ändern, sonst bleibe ich in diesem Teufelskreis stecken. Ich werde mich ändern. Ich weiß nur nicht genau wie.«

Nach meiner Stunde bei Pam rief ich Oliver an, um ihm von meinen Plänen zu erzählen. Ich konnte förmlich hören, wie er die Augen verdrehte.

»Du musst doch keine bescheuerte Liste von Vorsätzen aufstellen, die du sowieso nicht einhältst, Phoebe. Denk mal an letztes Jahr, da wolltest du regelmäßig joggen gehen.«

»Hab ich ja auch gemacht. Total. Und außerdem hab ich dieses Jahr nur einen Vorsatz, aber einen echt wichtigen.«

»Du hast eine Runde im Park gedreht und dann in die Hecke gekotzt, Phoebe. Das zählt nicht. Sei doch mal locker, und versuch nicht immer, alles zu planen. Früher warst du anders. Entspannt und witzig. Wir haben zusammen gesoffen, du hast mir alle deine Geheimnisse erzählt, und wir haben bis fünf Uhr morgens zu den peinlichsten Popnummern getanzt. Und jetzt bist du eine echte Anti-Phoebe.«

Das mit der Unterstützung meiner Freunde war wohl ein Irrtum. »Ich habe mich ein bisschen verrannt«, sagte ich leise. »Du weißt doch, wie lange ich mich nach der Trennung von Alex versteckt habe.«

»Ja, ich weiß. Aber langsam solltest du dich mal wiederfinden lassen. Lass dich mal flachlegen. Mach dich locker.«

»Du klingst genau wie Lucy. Ihr seid echt triebgesteuert.«

»Und du bist verklemmt.«

»Ich leg jetzt auf. Spar dir deine Sextipps für Pedro. Ich muss meine Zukunft planen. Bis später.«

Typisch! War ja klar, dass er mir in die Suppe spuckt.

Dienstag, 4.Januar

Kaum sitze ich nach den Feiertagen wieder im Büro, will ich am liebsten die Kündigung einreichen. Von den drei Jahren, die ich bei dieser Zeitung bin, hat mir die Arbeit ungefähr drei Wochen Spaß gemacht. Nachdem ich mit siebzehn schreiend von der Highschool geflüchtet bin, hat es gerade mal für einen Job in der Anzeigenabteilung gereicht, wo meine angeblich so einnehmende Persönlichkeit mehr zählte als mein Schulabschluss. Das war auch gut so, denn mehr als ein »knapp befriedigend« in Englisch hatte ich nicht vorzuweisen. In Urkundenfälschung hätte ich allerdings für die vielen kunstvoll nachgeahmten Unterschriften meiner Mutter auf den Krankmeldungen im letzten Schuljahr eine Eins mit Sternchen verdient gehabt. (Ein Wunder, dass sie keine Charity-Aktion für mich ins Leben gerufen haben.)

Das Problem mit meinem Job ist nur: Man erwartet von mir ein gewisses Talent im Umgang mit Menschen. Sogar so was wie Charme. Ich sollte ihnen zuhören, sie sollen mir vertrauen, nein, mich so sehr LIEBEN, dass sie ihr Erstgeborenes nach mir benennen, es am Ende aber aus dem Testament streichen, weil sie mich lieber haben. Aber Smalltalk habe ich einfach nicht drauf. Ich kann dieses Rumgelaber nicht ausstehen. Wenn jemand keine Anzeige schalten will, dann habe ich kein Problem damit, ist mir doch egal. Genau! Das ist meine generelle Einstellung zu meinem Job: Mir doch egal. Aber ich bequatsche die Leute und verkaufe jeden Tag meine Seele, weil ich eben die Miete zahlen muss. Wir teilen uns ein Bürogebäude mit zehn anderen Firmen, die meisten sind Finanzunternehmen, daher stehe ich oft mit irgendwelchen Vollpfosten in dämlichen Krawatten im Aufzug und höre mir an, wie sie sich über Golf und Zahlen unterhalten. Aber wenigstens einen Vorteil hat unser Büro: Immerhin liegt es mitten in der Stadt. In zwei Minuten ist man am Bahnhof, unten gibt es einen Pub und ein kleines Café, wo ich mir morgens meistens Kaffee und ein getoastetes Sandwich kaufe. Die Anzeigenabteilung befindet sich in einem Großraumbüro, und mein Schreibtisch steht leider direkt vor dem Zimmer meines Chefs Frank. So kann er genau sehen, was ich den ganzen Tag treibe (überwiegend nichts). Die meisten meiner Kollegen haben Fotos von ihrer Familie auf dem Schreibtisch, aber meinen »Saustall, den ich als Arbeitsplatz bezeichne« (O-Ton Frank) ziert, fast von leeren Kaffeebechern und Aspirinschachteln verdeckt, das Bild einer Katze mit einer Wassermelone auf dem Kopf. Das Morgenmeeting verlief heute relativ schmerzfrei, jede Menge aufmunternde Sprüche von besagtem Boss, dem größten Wichtigtuer unter der Sonne, ohne dass es irgendwen interessiert hätte. Anschließend habe ich mich den vierhundert Mails gewidmet, die sich, von der Notbesetzung ignoriert, über Weihnachten angesammelt hatten. Lucy, wie üblich zu spät, schob sich erst mal einen Frühstücksbagel in den Mund und schlürfte Kaffee aus einer Glitzerthermoskanne. »Alles fit, Süße?«, rief sie mir zu. »Geht’s wieder besser?«

»Ja, alles gut. Gehen wir heute Abend essen? Sushi?«

»Kann nicht. Bin schon verabredet.«

»Neuer Typ?«

»Alter Typ. Der vom letzten Jahr. Mit dem nervigen Kläffer.«

»Du hast doch gesagt, Männer mit Hund gehen gar nicht. Was ist passiert?«

»Sein Hund ist gestorben.«

Ich bin zu 97 Prozent sicher, dass Lucy nichts mit dem Ableben des Tieres zu tun hatte. Lucy hat ständig Dates, genau wie Oliver. Als ich bei der Post anfing, war sie sogar mit zwei Männern gleichzeitig zusammen und fand das völlig normal. Für Männer ist Lucy so was wie der Rattenfänger von Hameln, sie laufen ihr blind hinterher, aber aktuell hat sie nicht die Absicht, sich länger zu binden.

»Die Dates sind doch der beste Teil. Wenn der Quatsch mit dem Zusammenleben anfängt, wird’s langweilig. Ich mag’s halt unkompliziert. Das Beste ist doch das Kennenlernen.«

Ich bin bei Dates eine echte Niete, und gerade der Teil mit dem Kennenlernen macht mir Angst. Ich hatte erst fünf Dates in meinem Leben, und alle endeten in einer Beziehung. Da war Chris, mein erster Freund in der Schule. Wir waren genau sechs Monate zusammen, bis er nach Manchester auf die Uni ging. Adam mit dem großen Penis, der nach fünf Monaten beschlossen hat, doch lieber zur Air Force zu gehen, als mit mir in Glasgow zu versauern. Joseph, der es nur drei Monate aushielt, weil er ein Problem mit zu viel Nähe und schlechtem Sex hatte; James, mit dem ich zwar ein Jahr zusammen war, der mir aber gewaltig auf den Nerv ging und eine anstrengende Baked-Beans-Phobie hatte, und schließlich Alex, der sich als der schlimmste Fehlgriff meines Lebens entpuppte. Obwohl die Trennung schon fast ein Jahr her ist, kriege ich bei dem Gedanken, jemand Neues finden zu müssen, immer noch Panik, und ich glaube nicht, dass ich so schnell wieder ein Date haben werde.

Donnerstag, 6.Januar

In letzter Zeit kreisen meine Gedanken ständig um Alex, aber Miss Titti schwirrt mir auch im Kopf herum, mit wippenden Locken und schlackernden Möpsen in einem riesigen pinkfarbenen BH. Wahrscheinlich ist es immer schrecklich, betrogen zu werden, aber wenn man die beiden beim Vögeln im eigenen Bett erwischt, kriegt man das Bild einfach nie mehr aus dem Kopf. Ich habe nie verstanden, was er an ihr fand, aber Lucy hatte wie immer eine Schnellanalyse parat:

»Das kann ich dir sagen!«, grölte sie ins Telefon. »Er sieht in ihr seine beschissene Mutter. Ich sag nur: Ödipuskomplex. Sein Vater ist tot, oder? Klarer Fall.«

»Sein Vater ist noch quicklebendig, aber die Theorie ist preisverdächtig. Wie lief übrigens dein hundefreies Date?«

»Gruselig. Er hat die ganze Zeit nur über das Vieh geredet und mir Fotos von ihm gezeigt. Und weil sein Leben jetzt so leer ist, denkt er darüber nach, sich einen Hamster zu kaufen. Der ist doch kein achtjähriges Mädchen! Ich habe keinen Bock, mich mit einem erwachsenen Mann abzugeben, der sich Nagetiere hält. Also, ich muss los, aber bitte grüble nicht so viel über Alex nach. Du machst dich noch verrückt.«

Drei Stunden später grüble ich immer noch. Es sind noch so viele Fragen offen, auf die ich wohl nie eine Antwort bekommen werde. Und selbst wenn Alex mir antworten würde, wäre ich damit auch nicht zufrieden, schon allein weil ich ihm kein Wort glauben würde. Ich habe immer noch Gefühle für ihn – so viel ist klar. Aber liebe ich ihn wirklich noch, oder will ich die Sache einfach nur abschließen? Oliver sieht das falsch: Ich sollte nicht versuchen, wieder die alte Phoebe zu werden. Ich kenne mein früheres Ich schon gar nicht mehr. Vielleicht sieht Oliver in mir immer noch die Siebzehnjährige, die in seinem Zimmer Gras geraucht und sich am Wochenende aus dem Haus geschlichen hat, um mit ihm durch die Clubs zu ziehen. Aber die bin ich schon lange nicht mehr. Vielmehr sollte ich die Ankunft der »neuen« Phoebe begrüßen. Eine erfolgreiche, unabhängige, mutige Frau, die nicht in der dritten Person von sich redet. Oliver hat mir auf dem Weg von der Arbeit nach Hause eine SMS geschickt.

Morgen Abend: Ich, du, Jack Daniels und The Human League.

Entweder versucht er, mich aufzumuntern, oder er hat mit seiner Freundin Schluss gemacht.

Freitag, 7.Januar

Kelly, die im Ressort Gesund und Schön arbeitet, ist ein komischer Vogel. Keiner (außer vielleicht Frank) weiß, wie alt sie ist. Ihre Klamotten sehen aus, als wäre sie zwanzig, aber sie hat eine Lederhaut im Gesicht wie jemand, der doppelt so alt ist und die letzten zwanzig Jahre auf der Sonnenbank verschlafen hat. Die Zusammenarbeit mit ihr ist ein bisschen schwierig, weil sie ihre Verachtung für uns ganz aktiv mit bösen Blicken, Trotzanfällen und passiv-aggressivem Zickenterror auslebt. So auch heute Morgen.

»Wenn du dir meinen Stift ausleihst, Brian, dann leg ihn gefälligst wieder dorthin, wo du ihn gefunden hast. Wie soll ich mir was notieren, wenn du mir den verdammten Stift klaust?«

Kelly kann Brian nicht ausstehen, und Brian hegt ihr gegenüber identische Gefühle. Er arbeitet in der Personalabteilung und ist, abgesehen davon, dass er seinen Job beherrscht, ein großmäuliges, arrogantes Arschloch. Außerdem ist er im ganzen Büro für sein Machogehabe und seine Vorliebe für große Titten bekannt. Ich komme im Grunde ganz gut mit ihm klar, aber vermutlich liegt das an meiner Oberweite. Brian betrachtete das schlichte Schreibgerät in seiner Hand. »Du könntest dir einen neuen kaufen, dann hättest du einen auf Vorrat. Die gibt’s doch sicher im Zehnerpack.«

»Darum geht es doch gar nicht. Lass die Pfoten von meinen Sachen, und besorg dir deinen eigenen Stift. Und jetzt gib mir das Ding zurück.«

Er lachte. »Das meinst du echt ernst, oder?«

»Klar mein ich das ernst. Her damit!«

Er erhob sich kopfschüttelnd, schob sich den Stift ins linke Nasenloch und trat damit an Kellys Schreibtisch.

»Tut mir leid, dass ich mir deinen wertvollen Stift geliehen habe, Kelly. Hier, nimm ihn dir.«

»Du bist so kindisch!«, rief sie und ballerte ihm den Stift aus der Nase. Ich lachte immer noch, als sie an mir vorbei in Franks Büro stürmte. Brian hob achselzuckend den Stift auf und legte ihn auf ihren Tisch. Die beiden sind echt nicht normal.

Um kurz nach sieben stand Oliver mit einer riesigen Tasche und einer Flasche Bourbon vor meiner Tür.

»Willst du bei mir einziehen?«, fragte ich.

»Nein, ich muss morgen Nachmittag für meinen Chef nach Edinburgh und wollte mein Zeug nicht im Auto lassen. Ich penne auf der Couch. Hab vor, mich heut Abend wegzuschießen.«

Er gab mir die Flasche und zog eine Best-of-80s-CD aus der Tasche. »Du machst die Flasche auf, ich schieb die hier rein. Wenn du bis zum sechsten Titel nicht tanzt, kündige ich dir die Freundschaft.«

Bei Nummer fünf (Kids in America) schenkte ich mir nach und groovte in rosa Bettsocken über die Küchenfliesen. Als die CD zu Ende war, saßen wir beide sturzbesoffen auf der Couch und führten eine tiefschürfende Unterhaltung.

»Du bist wie mein Bruder.«

»Hä? Bist du blöd? Sag so was nicht! Das klingt pervers.«

»Nein, ich mein, du bist wie Familie für mich. Mehr als nur ein Freund.«

»Ja, aber wie dein Bruder? Du kannst doch nicht auf deinen Bruder stehen.«

»Was? Ich steh nicht auf dich! Du glaubst wohl echt, dass jede auf dich steht.«

»Weil das stimmt. Ich bin einfach unwiderstehlich.«

»Nee, das bin ich schon. Du siehst nur verdammt gut aus.«

»Du bist unwiderstehlich und siehst verdammt gut aus, Miss Henderson.«

»Bin ich das? Stehst du auf mich?«

»Nö.«

»Haha, erzähl keinen Scheiß.«

Um fünf Uhr morgens ließ ich den unwiderstehlichen Oliver schlafend auf der Couch zurück und kroch ins Bett. Vielleicht stehe ich ja doch ein klitzekleines bisschen auf ihn, aber das verrate ich ihm nicht.

Samstag, 8.Januar

Als ich um vier Uhr nachmittags wieder zu mir kam, war Oliver schon auf dem Weg nach Edinburgh. Eigentlich wollte ich was Sinnvolles machen, aber dann beschloss ich, dass Dexter schauen und Kekse futtern besser war, als den ganzen Tag zu verschwenden. Jetzt ist es 23 Uhr, ich bin hellwach und sehne mich nach Sex. So was Blödes. Verkaterte Geilheit ist echt brutal. Außerdem denke ich immer noch an den verdammten, bescheuerten Alex und suche nach geeigneten Entwöhnungsmaßnahmen. Vielleicht haben Oliver und Lucy ja recht. Ich hatte seit der Trennung keinen Sex mehr, und jetzt laufe ich rum wie ein hemmungsloses Hormonmonster, das seine Lust in der Gegend rumtwittert, weil es sich an niemandem vergreifen kann. Wenn ich so darüber nachdenke, war mein Sexleben immer schon eine Art Glücksspiel. Die Leute reden ständig darüber, wie geil Sex ist, und obwohl ich schon meinen Spaß dabei hatte, ist es damit ein bisschen wie mit dem zweiten Teil von Matrix: teilweise ganz nett, doch es hat mich nicht umgehauen. Aber es ging mir beim Sex auch nie nur um mich, sondern immer um den anderen. Vielleicht sollte ich mich mal ein bisschen mehr um mich selbst kümmern. Wenn ich nur an mich denke, muss ich nicht an das Arschloch denken, richtig? Wenn ich nicht so verklemmt bin, komme ich vielleicht besser über Alex hinweg. Die alte Phoebe, die Alex immer noch liebt, ist ein eingeschüchtertes, sexuell frustriertes Opfer. Wenn ich die loswerde, brauche ich ihn auch nicht mehr. Das ist es! Das ist mein Vorsatz fürs neue Jahr: Mehr und besserer Sex!

Es gibt eine Menge Dinge, die ich immer schon mal ausprobieren wollte. Also nehme ich die Angelegenheit selbst in die Hand und finde heraus, warum alle so ein Aufhebens darum machen.

Mittwoch, 12.Januar

Meine Wohnung könnte wirklich mal eine Schönheitskur gebrauchen, aber mir fehlten das nötige Kleingeld und die Motivation. Ich hause in einem winzigen Zwei-Zimmer-Schuhkarton, der etwa ein Achtel der Größe meiner gemeinsamen Wohnung mit Alex hat. Der Schuhkarton hat eine offene Küche, was bedeutet, dass es bei mir immer nach Essen riecht. Die Wände sind dünn wie Pergamentpapier. Ich kann die alte Dame über mir nachts husten hören. Wobei sie mir zuhören kann, will ich gar nicht wissen. Vor dem Haus gibt es einen kleinen Vorgarten, in den die Blumen zum Sterben gehen. Wenn ich es je schaffen sollte, hier auszuziehen, dann verabschiede ich mich mit einem brennenden Streichholz.

Nach dem Abendessen kam Lucy noch vorbei, warf sich auf die Couch und vergrub ihr Gesicht in den Kissen.

»Abend, Lucy. Ähm, warum trägst du im Januar eine Sommerhose? Hat der Winter auf deinem Planeten noch keinen Einzug gehalten?«

»Stil kennt keine Jahreszeiten. Ich bin gekommen, um meinen Besitz einzufordern. Gib mir mein Glätteisen zurück!«

»Ist im Schlafzimmer. Geht’s dir nicht gut?«

Als Antwort kam ein Stöhnen, gefolgt von einem nicht genau definierbaren Geräusch, das ein Furz hätte sein können. »Umpf. Deine Nachbarn hängen alle im Trainingsanzug draußen rum und saufen. Du wohnst echt im letzten Loch.«

»Was anderes kann ich mir nicht leisten. Außerdem bin ich eh meistens auf der Arbeit, da sehe ich sie nicht.«

»Die fragen sich wahrscheinlich, wo du den ganzen Tag steckst. Wo wir gerade beim Thema sind: Ich will Montag nicht arbeiten. Kannst du mir beide Beine brechen, aber so, dass es nicht wehtut?«

»Nee«, erwiderte ich, ohne von meiner Zeitschrift aufzusehen. »Ohne dich ist mir langweilig.«

»Es geht aber nicht um dich. Was ist denn los?«

»Du musst mir mit meinem Sexleben helfen.«

Lucy machte Trockenübungen auf der Couch.

»Ich mein’s ernst! Ich hatte seit Alex keinen Sex mehr.«

»Was!? Ich dachte, mit deinem Sexleben ist alles in Ordnung. Ein GANZES JAHR ohne Sex? Wo liegt das Problem?«

»Nirgendwo. Ich will ja, aber ich hab echt keine Lust mehr auf noch so eine Nummer, bei der ich dem Typen was vorspiele und er sich aufführt, als hätte er gerade was Umwerfendes geleistet. Ich will, dass es tatsächlich umwerfend ist! Du musst mir dabei helfen. Was soll ich tun?«

Lucy war sprachlos. Ende der Trockenübungen. Sie drehte sich zu mir um und schob sich die roten Haare aus dem Gesicht.

»Ich kann nicht glauben, dass du den Typen im Bett mit dreißig noch was vorspielst! Vielleicht gehörst du ja in Wahrheit zu den Frauen, die lieber ein ganzes Schoko-Osterei essen, statt Sex zu haben?«

»Haha. NEIN!«, rief ich eifrig. »Ich mag Sex, er war nur noch nie gut. Na ja, wahrscheinlich war nicht jeder, mit dem ich geschlafen habe, eine Niete …«

»Joseph?«

»O Gott, ja, der war furchtbar.«

»Aber warum spielst du ihnen dann was vor?«, fragte Lucy mit verstörter Miene.

»Wenn ein Typ mit mir Spaß hat und ich ihm das Gefühl gebe, er ist toll im Bett, dann trifft er sich wieder mit mir, und vielleicht wird es ja irgendwann besser. Ich mein, ich bin echt nicht verklemmt oder so – es gibt eine Million Dinge, die ich gern mal ausprobieren würde, aber ich hab mich nie getraut, oder ich hatte keinen Partner, der auch Lust gehabt hätte, mal ein bisschen rumzuexperimentieren. Alex hatte für neue Ideen nicht viel übrig, der war echt der König der Missionarsstellung. Gott, dieses Thema wäre abendfüllend. Aber ich hab darüber nachgedacht, was ich dieses Jahr ändern möchte, und zwar: mein Sexleben. Ich will jede versaute Fantasie ausleben, die mir in den Sinn kommt!«

Eigentlich hätte ich ihr auch gern vom zweiten Grund für meinen Vorsatz erzählt, aber wenn sie erfahren hätte, dass Alex hinter alldem steckt, hätte sie nur frustriert gestöhnt.

Lucy war wie elektrisiert. »Du musst eine Liste machen!«

»Wovon? Dingen, mit denen ich mir die Zeit vertreiben kann, bis mein Jungfernhäutchen nachwächst?«

»Kennst du diese Listen aus dem Internet? ›Zwanzig Dinge, die Sie tun sollten, bevor Sie sterben‹ oder ›Zehn Orte, die Sie besuchen sollten, bevor Sie Kinder bekommen, die Ihnen alles versauen‹? Also, du schreibst einfach deine eigene Liste – ein Liste mit Sexaufgaben. Ich helfe dir. Das wird der Hammer!«

Gesagt, getan. Wir warfen Musik in den CD-Player und verbrachten den Rest des Abends damit, Wein zu trinken, die Liste zusammenzustellen und uns gelegentlich aus vollem Halse etwas vorzusingen. Unser Eminem-Dido-Duett war besonders eindrucksvoll. Einiges schaffte es nicht auf meine Liste, meist weil es sich um so dämliche Vorschläge handelte wie Sex mit Filmstars aus den Neunzigern. So groß meine Lust auf Christian Slater oder Johnny Depp auch sein mag, ich riskiere doch keine Einstweilige Verfügung, nur um herauszufinden, ob sie vielleicht auch Bock auf mich haben. Schließlich kamen wir zu folgendem Ergebnis:

Die Liste

Dirty Talk.

Darin bin ich eine totale Niete.

Selbstbefriedigung

. Darin bin ich absolut

BRILLANT

, aber Übung macht den Meister, und ich bin neugierig, was es mit der Ejakulation bei Frauen auf sich hat.

Jüngere Männer.

Da steht zwar »Männer«, aber einer reicht schon.

Analverkehr.

Das könnte so richtig nach hinten losgehen.

Rollenspiele.

Ich darf mich verkleiden!

Sex im Freien.

Ich will’s irgendwo weit draußen treiben. Ein ausreichend großer Garten tut’s auch.

Gruppensex.

Flotter Dreier oder Swinger-Sex. Aber kein Bukkake. Kotz!

Sex mit einem Fremden.

Wie ein One-Night-Stand, aber ohne den peinlichen Smalltalk davor und danach.

Bondage.

Keine Plüsch-Handschellen.

Voyeurismus.

Nur im beiderseitigen Einvernehmen. Ich glotze niemandem heimlich durchs Fenster.

Generell gilt: nur mit Gummi. Aber es gibt auch noch ein paar andere Sachen, die ich nie machen würde. Obwohl ich mich für ein ziemlich aufgeschlossenes Wesen halte, hat jeder Mensch seine Grenzen. Das hier sind meine:

Zehenspiele.

Ich hasse Füße. Sie sind hässlich, voller Hornhaut und dürfen auf keinen Fall an mein Gesicht. Nicht mal im Traum würde ich einem anderen Menschen meinen Zeh in den Mund stecken, aber vielleicht liegt das an meinen grässlichen kleinen Schweinsfüßen.

Pissen

/

Kacken.

WARUM ZUM TEUFEL TUT MAN SO WAS

?

WOZU

? Kann mir das bitte mal jemand erklären? Exkremente sind nicht sexy, weder meine noch die von anderen. Ich würde niemals jemanden anpinkeln, selbst wenn der in Flammen steht oder von einer teuflischen Qualle verletzt wurde. Ich pinkle ja nicht mal in die Dusche, also geht das gar nicht.

Fisting.

Kinder kriegen in umgekehrter Richtung? Das hat bestimmt Vorzüge, aber ich habe nicht vor, sie kennenzulernen. Ich fühle mich ja schon von einem extragroßen Schwanz geschändet, da würde mir eine männliche Faust bestimmt den Rest geben.

Sex mit Tieren

. Als Teenager habe ich mal ein Video mit einer Frau gesehen, die einem Hengst einen geblasen hat. Ich habe mir so gewünscht, dass der ihr einen Tritt ins Gesicht verpasst! Hat er aber nicht.

Cumshots.

Schon die Vorstellung finde ich total erniedrigend, aber mir ist klar, dass es dabei um den Mann geht und nicht um die Frau (logisch). Trotzdem habe ich was gegen die Vorstellung, dass mein Ex ein Leben lang mein spermaverschmiertes Gesicht vor Augen hat, wenn er an mich denkt. Ich bin nur ein Mal haarscharf daran vorbeigeschrammt, mit siebzehn, als ich meinem Freund auf seiner Couch einen runtergeholt habe. Aber nur, weil er nicht richtig gezielt hat, und das meiste ging ohnehin ins Auge. Danach litt ich unter vorübergehender Blindheit und fühlte mich zutiefst gedemütigt, während er sich ins Fäustchen gelacht hat und sich am liebsten mit seinem Schwanz auf die Schulter geklopft hätte.

Lucy ist bei Cumshots viel nachsichtiger. »Damit markieren sie wahrscheinlich ihr Revier. Besser, als wenn sie mir in die Zimmerecke pinkeln.« So kann man das auch sehen. Es gibt zweifellos unzählige Dinge, die ich nicht machen will oder kann, aber bis auf Weiteres ziehe ich mit dickem, schwarzem Filzstift an dieser Stelle meine Grenze. »Okay, ich bin weg«, sagte Lucy und schlüpfte in den Mantel. »Aber bevor ich gehe: Eine Sache haben wir vergessen. Ein kleines, aber ziemlich wichtiges Detail.«

»Was? Was haben wir vergessen?«

»Mit wem du die Aufgaben lösen willst. Ach ja, und mein Glätteisen.«

Donnerstag, 13.Januar

Leider ist ein hektisches Anzeigenbüro so ziemlich das Letzte, was ich gebrauchen kann, wenn ich mich auf Sex konzentrieren will – oder besser gesagt darauf, jemanden zu finden, der mir bei meinen Aufgaben hilft. Um halb neun trudelte Lucy ein und hängte sich gleich ans Telefon.

»Guten Morgen, Süße! Hast du dir schon überlegt, wer dein Fickfreund werden soll?«

»Noch nicht. Hetz mich nicht! Ich mach mir hier fast in die Hose. Ich habe noch nie mit jemandem geschlafen, mit dem ich nicht zusammen war. Was, wenn ich Panik kriege und es versaue? Das ist durchaus im Bereich des Möglichen.«

Lucy war schon immer viel abenteuerlustiger als ich, sie hatte sogar mal einen Blog, in dem sie die Details ihrer zahlreichen Sexabenteuer verriet und Noten verteilte. Wahrscheinlich hat sie recht – vielleicht sollte man nicht so viel reden, sondern die Kommunikation auf Grunzen und Stöhnen begrenzen. Aber ich habe ein Problem mit rein körperlichem Sex. Für mich gehört einfach mehr dazu, als sich geil zu finden, und ich habe keine große Lust, mit Typen zu vögeln, die ich nicht mag. Was soll daran bitte Spaß machen? Wenn ich jemanden nicht mag, hab ich nicht mal Lust, mit dem Kerl zu reden, geschweige denn, für ihn die Beine breit zu machen. Ich will jemanden, mit dem ich mich auch geistig verbunden fühle, nicht unbedingt emotional, aber wir sollten ungefähr auf derselben Wellenlänge liegen. Statt zu arbeiten, stellte ich eine Liste möglicher Kandidaten auf.

Von: Phoebe Henderson

An: Lucy Jacobs

Betreff: Männer

Okay, hier ist eine Liste von Typen, die vielleicht mitmachen würden – bitte um Prüfung und Stellungnahme.

Brian – ja, ich weiß, er ist ein Wichser, aber er sieht gut aus und ist Single.

Paul – ist gerade aus New York zurück.

Oliver – ist offensichtlich meine letzte Wahl, und ich bezweifle, dass er mitmachen würde, aber er ist heiß, und von dem, was ich durch die Wand des Hotelzimmers hören konnte, scheint er sich gut auszukennen. Ist der eigentlich noch mit dieser Pedra zusammen?

xx

Von: Lucy Jacobs

An: Phoebe Henderson

Betreff: Re: Männer

Siehe Anmerkungen.

> Brian – ja, ich weiß, er ist ein Wichser, aber er sieht gut aus und ist Single.

Sehe ich auch so, aber er ist jünger, der totale Potenzprotz und würde es im ganzen Büro rumposaunen.

> Paul – ist gerade aus New York zurück. Vielleicht… Er ist schnuckelig, aber ich finde ihn nicht sexy. Aber es geht ja nicht um mich.

> Oliver – ist offensichtlich meine letzte Wahl, und ich bezweifle, dass er mitmachen würde, aber er ist heiß, und von dem, was ich durch die Wand hören konnte, scheint er sich gut auszukennen. Ist der eigentlich noch mit dieser Pedra zusammen? Ich weiß es nicht mehr. Keine Ahnung, aber du bist seit sechzehn Jahren mit Oliver befreundet– kann sein, dass du allein durch die Frage eure Freundschaft kaputtmachst. Da musst du ganz vorsichtig sein. Halt! Wenn ihr nicht mehr befreundet seid, kann ich mit ihm schlafen, also vergiss, was ich gesagt habe. NIMM IHN!

Von: Phoebe Henderson

An: Lucy Jacobs

Betreff: Re: Männer

Du darfst trotzdem nicht mit Oliver schlafen. Er ist einer meiner besten Freunde, und du neigst dazu, Männer zum Weinen zu bringen. Da Brian ganz in der Nähe ist, fange ich wohl am besten mit ihm an. Ich muss ihm die Sache nur irgendwie klarmachen, ohne mit der Tür ins Haus zu fallen und zu riskieren, dass er verlegen herumdruckst oder sich totlacht. Hast du einen Vorschlag? Übrigens, du hast die Haare schön!

Von: Lucy Jacobs

An: Phoebe Henderson

Betreff: Re: Männer

Ach echt? Danke. Es sei denn, du meintest mit »schön« »strohig«, dann: Leck mich. Aber du hast recht. Es gibt nichts Schlimmeres, als jemandem dabei zuzusehen, wie er versucht, sich aus einer Sache rauszuwinden. Füll ihn ab, und wenn es in die Hose geht, bestreitest du alles.

Also habe ich mich für Montag mit Brian zum Mittagessen mit viel Alkohol verabredet. Hoffentlich war das kein Fehler.

Samstag, 15.Januar

Letzte Nacht habe ich geträumt, ich sitze mit Hazel im Pub, und Miss Titti kommt hereinspaziert. Ich habe sie umgehend an den BH-Trägern auf die Straße gezerrt und sie dort mittels Kung-Fu zu Tode geprügelt. In Traum-Kung-Fu bin ich unschlagbar.

Ich bin extra früh aufgestanden, um die Wohnung zu putzen, aber knapp sieben Minuten später ist mir eingefallen, dass Putzen erstaunlich langweilig ist, also hab ich es gelassen. Nach dieser Lachnummer habe ich geduscht, gegessen, und dann hat Oliver angerufen.

»Lust auf Kino heute Abend?«

»Was läuft denn? Ich guck mir keinen Scheiß mit irgendwelchen Superhelden an, Oliver.«

»Sie zeigen Der Frühstücksclub im GFT.«

»Echt? Ich liebe diesen Film! NEIN DAD, WAS IST MIT DIR?«

»Phoebe, ich nehme dich nicht mit, wenn du mich den ganzen Abend mit irgendwelchen Filmzitaten nervst.«

»Könnten wir vielleicht ein Schlückchen Milch bekommen?«

»Vergiss es, mit dir gehe ich nicht.«

»Hahahaa! Nein! Tut mir leid. Ich mach’s nie wieder. Ich würd echt gern mitkommen.«

»Okay. Um acht geht’s los. Wir treffen uns dort.«

Als ich ankam, stand er rauchend vor dem Kino. Hinter ihm hatte sich eine Gruppe kichernder Mädels versammelt, die immer wieder zu ihm rüberschauten und sich eindeutig darüber unterhielten, was für ein heißer Typ er war. Aus lüsternen Blicken wurde schnell hasserfülltes Starren, als ich ihn zur Begrüßung umarmte. Während ich ihm beim Rauchen zusah, fiel mir noch ein passendes Filmzitat ein: »Hey, qualm sie dir rein, Johnny!«, aber ich hatte ihm ja versprochen, das zu lassen, also biss ich mir auf die Lippen.

Doch Oliver kannte mich zu gut. »Du willst es unbedingt loswerden, stimmt’s?«

»Hmmm? Was loswerden? Ich habe nichts gesagt.« Ich log, denn in diesem Moment war mein Drang, das Zitat zum Besten zu geben, größer als der Drang zu atmen.

Er zog betont genüsslich an seiner Zigarette und grinste verschlagen. Es war wie Folter, aber mein Wille war stärker. ER KONNTE IHN NICHT BRECHEN! Wenn ich nicht mehr daran dachte, würde der Drang nachlassen und …

Er nahm einen letzten Zug. »HEY, QUALM SIE DIR REIN, JOHNNY!«, brüllte ich ihm ins Gesicht, dann wandte ich mich ab und marschierte ins Kino, während seine Groupies sich kaputtlachten und ich mich innerlich für mein gestörtes Verhalten verfluchte.

Hinterher hat Oliver mich nach Hause gebracht. Jetzt sitze ich hier schon seit einer Viertelstunde und habe niemanden, den ich mit Filmzitaten beglücken kann. Verdammter Mist. Gut, dass es bei Twitter lauter Gestörte wie mich gibt.

Montag, 17.Januar

Nach dem Morgenmeeting der Anzeigenabteilung verkündete Marion, dass sie eine Woche früher als geplant in den Mutterschutz gehen würde, mit der Begründung: »Ich bin zu fett und müde für diese Scheiße.« Frank war zwar zuerst einverstanden, ihr nach dem heutigen Tag frei zu geben, bekam aber kurz danach vor aller Augen einen Hektikanfall, weil er sich noch nicht um eine Vertretung gekümmert hatte. Nachdem ich Brian an unsere Verabredung zum Lunch erinnert hatte, frischte ich auf der Toilette noch schnell mein Make-up auf, damit mein potenzieller Sexhelfer einen Grund weniger hatte, mir seine Dienste zu versagen.

Wir trabten nach unten, bestellten Essen und quatschten. Schon nach einer Viertelstunde hatte ich ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache. Es würde nicht funktionieren. Er war ganz offensichtlich nicht der Richtige. Behutsam lenkte ich das Gespräch auf das Thema Sex (worauf er sofort ansprang) und saß dann mit runtergeklappter Kinnlade da, während er von seiner letzten »Eroberung« prahlte, die im Bett offensichtlich völlig daneben war und noch nicht mal Titten hatte, gefolgt von der Story, wie er die ziemlich freizügige SMS einer Studentin zur allgemeinen Belustigung an all seine Kumpel weitergeleitet hatte. »Ich hab mich totgelacht, du hättest mal ihr Gesicht sehen sollen!« Uah! Lucy hatte recht. Dieser Typ würde es der gesamten Belegschaft, seinen Freunden, deren Freunden und dem Zeitungsverkäufer auf der Straße erzählen. Wahrscheinlich sogar seiner Mutter. Nicht gerade die diskrete, erwachsene Beziehung, die ich mir vorgestellt hatte. Schnell lenkte ich die Unterhaltung auf weniger schlüpfrige Themen, aß mein Sandwich auf und nannte ihn einen Wichser – was er auch noch witzig fand. Den Rest des Nachmittags malte ich kleine Galgenmännchen, die aussahen wie Brian.

Nach der Arbeit fuhr ich zu Hazel. Sie war über Neujahr bei ihren Schwiegereltern in London gewesen, um ihr neues Baby, Grace, vorzuzeigen, das für einen Säugling abartig süß ist. Der Weg zu ihrer Wohnung war frostig und lebensgefährlich, denn auf dem Gehsteig herrschte Glatteis. Ich hasse den Januar. Es ist nicht nur glatt und kalt, ich verbringe auch noch die meiste Zeit mit lädierten Gliedmaßen, weil ich mich ständig öffentlich auf die Fresse lege. Hazel begrüßte mich mit einem grellen Kreischen und bugsierte mich in die Küche, wo sie bereits Kekse und Glühwein angerichtet hatte. Ihr Haus beeindruckt mich immer wieder: Parkettboden, geräumige Zimmer und ein Riesengarten mit Hängematte zwischen zwei großen Bäumen (aus der ich schon unzählige Male in betrunkenem Zustand rausgefallen bin). Ein richtiges Familiennest eben. Immer, wenn ich hier bin, fällt mir wieder ein, wie sehr ich meine Wohnung hasse.

Ich setzte mich an den Tisch und nahm mir einen Keks. »Deswegen liebe ich dich«, sagte ich. »Wie war’s in London? Gut?«

Sie gab mir ein Glas. »Es war super. Kevins Familie ist stinkreich. Die haben sogar einen verdammten Whirlpool. Ich hab die ganze Zeit da dringelegen und bin nur rausgekommen, um Grace zu stillen oder mich mit Scones vollzustopfen. Grace und Kevin schlafen gerade, und ich brauche einen Drink. Wie geht es dir? Hast deine ersten Feiertage ohne Alex ja anscheinend ganz gut überstanden.«

»Ja, alles okay. Ich hab schon an ihn gedacht, aber ich will ihn ein für alle Mal vergessen. Es ist doch zum Kotzen, dass ich in letzter Zeit nur noch über ihn rede … mit Lucy, mit Oliver, mit Pam Potter und jetzt mit dir. Hört das eigentlich nie auf?«

»Er ist eine schlechte Angewohnheit, die du wieder loswerden musst. Wie Rauchen. Oder wie damals, als wir beide drei Mal in einem Monat ins Fitnessstudio gerannt sind.«

»Ich rauche gern, und ein einmonatiges Gratistraining im Fitnessstudio kann ja wohl kaum als schlechte Angewohnheit gewertet werden. Außerdem hättest du Kevin sonst nicht kennengelernt.«

»Stimmt. Aus einem Heer von Sixpacks habe ich mir den Fetti auf dem Laufband geangelt. Der hatte echt Biss. Hat er immer noch.«

»Was soll ich dazu sagen?«

Sie schenkte mir Wein nach. »Ich habe zwei Jahre am Tequilatropf gehangen, um über Jon wegzukommen. Bei meiner Scheidung war ich vierunddreißig, mit siebenunddreißig habe ich Kevin geheiratet. Das Leben geht weiter.«

»Heiratspläne gab’s bei uns gar nicht. Alex hat von Anfang an klargestellt, dass er nicht will. Ich habe mich wohl darauf eingelassen, weil ich gehofft habe, dass er seine Meinung irgendwann ändert.«

Hazel kaute schweigend auf ihrem Keks herum, aber ich wusste, dass sie an Jon dachte. Als wir uns kennenlernten, war sie schon zwei Jahre geschieden, und sie spricht selten darüber, aber ich weiß, dass Jon Arzt war und man ihm wegen eines schwerwiegenden Verstoßes bei der Behandlung einer siebzehnjährigen Patientin die Zulassung entzogen hat. »Denkst du oft an Jon?«, fragte ich und überlegte schon, ob ich wohl besser den Mund gehalten hätte, aber sie lachte in ihr Glas.

»Manchmal schon, aber nicht, weil ich ihn vermisse. Dank des Unterhalts konnte ich bei der Anzeigenabteilung aufhören und zuhause arbeiten. Dafür sollte ich ihm dankbar sein.«

»Mag ja sein, aber jetzt kann ich nicht mehr in deinem Büro auftauchen und so tun, als würden wir über irgendwelche Kunden sprechen. Jon hat meinen Arbeitstag länger gemacht, da hast du wieder einen Grund, ihn zu hassen.«

Sie stieß mit mir an. »Ich brauche keinen neuen Grund, aber ich nehme ihn trotzdem in die Liste auf. Ist dir eigentlich klar, dass du vor drei Jahren das erste Mal in meinem Büro aufgetaucht bist? Ich wünschte, ich könnte dir helfen, wieder so zu werden wie vor deiner Zeit mit Alex.«

»Warum wollen alle, dass ich wieder so werde wie früher? Die alte Phoebe kann sich mal verpissen. Ich habe vor, mich komplett neu zu erfinden.«

Ich erzählte ihr von meinem sexuellen Befreiungsplan und meiner Liste, dämpfte aber die Stimme, damit Kevin nichts mitbekam. Hazel lauschte mit breitem Grinsen.

»Mensch, du hast Mut! Bei mir läuft im Moment so gut wie gar nichts. Hin und wieder reicht es grad mal zu einem Quickie, wenn Grace schläft, aber ich glaube, meine Vagina ist von der Geburt immer noch traumatisiert. Du musst mir alles genau berichten. Vielleicht inspiriert es mich ja.«

»Ich hoffe, das geht mir auch so. Ich will Alex einfach vergessen und mein Leben wiederhaben.«

»Scheiß auf ihn. Das erste Jahr hast du schon hinter dir, ab jetzt wird es leichter. Das kriegst du schon hin, glaub mir.«

Klar kriege ich das hin. Muss ich ja wohl, alles andere wäre einfach zu grässlich.

Donnerstag, 18.Januar

Als ich heute die Hope Street entlang zur Arbeit gegangen bin, habe ich Alex gesehen. Den selbstgerechten, bescheuerten, aber nach wie vor attraktiven Alex. Ich werde nie wieder etwas mit jemandem anfangen, der bei mir in der Nähe arbeitet. Ich hätte es ja noch ertragen, wenn er allein gewesen wäre, aber nein, er musste auch noch zu Miss Titti in ihr Angeberauto steigen. Am liebsten hätte ich meine Schuhe ausgezogen und die Flucht ergriffen, aber dann hätte ich auch gleich ein Plakat mit einem neonfarbenen »Hier bin ich!« aufstellen können, denn die beiden hatten mich bereits gesehen. Ich spürte es förmlich auf der Stirn, dass Miss Titti mich ins Fadenkreuz nahm wie eine feindliche Zielperson. Dabei hat sie mir doch den Freund ausgespannt.

Keiner sagte ein Wort, aber er ließ sich dazu herab, mir leicht verlegen zuzunicken. Ich tat mein Möglichstes, stur geradeaus zu starren, dabei hätte ich sie mit einem gezielten Karatekick auf die Straße katapultieren sollen. Alex hat mir wegen dieser Frau das Herz gebrochen, aber die beiden besaßen nicht mal den Anstand, einer zufälligen Tragödie zum Opfer zu fallen. So was wie »Panda frisst Teufelspärchen« wäre doch nett. Sie hätten wenigstens auswandern können. Manchmal stelle ich mir vor, wie sie in einer dieser Fernsehsendungen über weibliche Mörderinnen über mich reden, und ich höre den Sprecher sagen: »SIE BRACHEN IHR DAS HERZ … SIE BRACH IHNEN DAS GENICK.« Im Büro angekommen, habe ich mich erst mal auf dem Klo eingeschlossen. Ich habe nicht mal gehört, wie Lucy reingekommen ist – die Frau bewegt sich wie auf Rollen. »Was ist los? Sag bloß, dir ist schlecht? Dann bin ich nämlich gleich wieder weg, gegen Kotze bin ich allergisch.«

»Ich habe gerade Alex mit dieser Frau gesehen. Am liebsten würde ich kotzen, glaub mir. Es hat sich angefühlt, als hätte mir jemand gleichzeitig ins Gesicht und in den Magen getreten. Scheiße, und die sahen auch noch aus, als wären sie glücklich miteinander.«

Nachdem Lucy Alex mit jedem erdenklichen Fluch belegt hatte, ging es mir wieder besser.

Mittwoch, 19.Januar

Als ich heute ins Büro kam, saß an Marions Schreibtisch ein neuer Typ. Total heiß. So heiß, dass ich am liebsten jedes Mal anerkennend gehupt hätte, wenn er an meinem Platz vorbeilief. Also bin ich hingegangen und habe hallo gesagt. Er heißt Stuart. Lucys lüsterne Blicke waren nicht zu übersehen.

Von: Lucy Jacobs

An: Phoebe Henderson

Betreff: Mjam!

Der Typ ist zum Anbeißen! Ich habe mich definitiv verliebt. Ich werde herausfinden, wo er wohnt, einbrechen und ihm beim Schlafen zusehen. Du solltest ihn auf deine Liste setzen. Ich habe noch nicht mal eine, aber er steht definitiv drauf.

Von: Phoebe Henderson

An: Lucy Jacobs

Betreff: Re: Mjam!

Ja, gute Idee: »Hi Stuart, herzlich willkommen bei der Post. Ich weiß, du bist erst seit dreizehn Sekunden bei uns, aber hast du vielleicht Lust auf ein unverbindliches, diskretes Nümmerchen? Hm, wie sieht’s aus?«

Was mich wieder daran erinnerte, dass ich immer noch keinen Sexpartner gefunden hatte. Also nahm ich den Hörer und verabredete mich für den kommenden Abend mit Paul, die Nummer zwei auf meiner Liste. Normalerweise stehe ich nicht auf blonde Männer, aber Paul ist echt süß. Er hat bei der Post gearbeitet, ist dann aber zurück an die Uni gegangen, um BWL zu studieren. Wir sind trotzdem in Kontakt geblieben. Er ist ein lieber Kerl, aber zwischen uns hat es nie gefunkt. Warum, weiß ich nicht. Wir reden eigentlich nie über Beziehungen oder Sex, sondern nur über Freunde, Musik, welche Drogen er am Wochenende genommen hat und welche nicht. Er ist momentan für sechs Monate in New York und kommt nur für ein paar Tage nach Glasgow, um den Kaufvertrag für seine Wohnung zu unterschreiben und den Umzugstermin klarzumachen.

22 Uhr

Bin gerade von meinem Treffen mit Paul zurück. Wir haben bei seinen Eltern zuhause gesessen und Tee getrunken – nicht gerade ideale Voraussetzungen, um ihn zu fragen, ob er’s mit mir treiben will.

»Wie fühlt es sich an, wieder zuhause zu sein?«, habe ich ihn gefragt und mich dabei in seinem Zimmer umgesehen. »Sag mal, deine Eltern haben nach deinem Auszug nichts an deinem Zimmer verändert, oder?«

»Kann man so sagen.« Er grinste. »Obwohl, an der Wand dahinten hing früher ein Celtic-Poster, mit Autogramm. Hat sich mein Dad wahrscheinlich für seinen Schuppen geklaut. Fühlt sich irgendwie komisch an. Es ist so viel passiert, seit ich das letzte Mal hier war.«

»Das kannst du laut sagen. Ich muss jetzt immer allein ins Kino gehen, weil Horrorfilme neuerdings ›nur was für fantasielose Idioten‹ sind.«

»O-Ton Lucy?«

»Wer sonst? Aber alle freuen sich, dass du wieder da bist. Ich soll dir von Oliver sagen, dass du ihn wegen Fußball anrufen sollst.«

»Und wie läuft’s bei dir?«

»Alles langweilig, wie immer«, log ich. »Ich arbeite die ganze Woche, glotze amerikanische Serien und hänge rum. Erzähl mir lieber, was bei dir so los war.«

»Viel Sex«, sagte er mit vertraulicher Stimme. »War total abgefahren.«

»Du Glückspilz. Lag’s am schottischen Akzent? Wie viele Frauen hast du flachgelegt?«

»Ähm, keine.« Er grinste. »Ich hatte in New York mein Coming-out. Hab einen Mann kennengelernt.«

»Wie, Coming-out? Warte mal. Was? WAS? Ach du Scheiße, das wusste ich ja gar nicht!«

»Ja, hat ’ne Weile gedauert, aber jetzt ist es raus. Mum nimmt’s gelassen, aber Dad hat so seine Probleme. Fragt mich ständig, ob ich jetzt Frauenkleider trage und Let’s Dance gucke.«

Ich beschloss, ihn nicht über die wahren Gründe unseres Treffens aufzuklären. Seine Neuigkeiten waren mindestens genauso viel wert wie meine. Nächste Woche gibt’s ein Horror Double Feature, da erzähle ich ihm dann von meinen Plänen fürs neue Jahr. Ich habe ihn also von meiner Kandidatenliste gestrichen. Die Akte »Warum haben wir nie miteinander geschlafen?« ist geschlossen und wird fortan in der Abteilung »Weil ich kein Mann bin« geführt. Jetzt ist nur noch einer übrig: Oliver. Und das könnte furchtbar schiefgehen.

Donnerstag, 20.Januar

Ich habe Oliver auf einen Drink eingeladen, und er hat natürlich zugesagt. Nicht wegen mir, sondern wegen des Alkohols. Eine Viertelstunde habe ich dagesessen und gewartet und mir Sorgen gemacht, dass er auf wundersame Weise herausgefunden haben könnte, was ich vorhabe, und fluchtartig das Land verlassen hatte, aber dann kam er doch noch. Als er den Pub betrat, sah er für einen Augenblick aus wie damals, als er mit sechzehn zu uns an die Highschool kam. Ich erinnere mich noch an sein Lächeln und an seinen schwarzen Lockenkopf, und dass wir sofort Freunde geworden sind, was den anderen Mädchen an unserer Schule mal so gar nicht gepasst hat. Er hat mich nie angerührt, aber wir kennen die ekligsten Details unserer jeweiligen frühen Fummelversuche. Normalerweise war es kein Problem, mit Oliver über Sex zu reden, aber heute war ich nervös.

Mit einem kunstvoll dekorierten Cocktail und einem Pint Guinness schlenderte Oliver an unseren Tisch.

Ich starrte auf die blaue Missgeburt vor meiner Nase. »Was zum Teufel soll das denn bitte sein?«

»Nennt sich ›Moody Blue‹. Keine Ahnung, was drin ist, aber damit machst du dich garantiert zum Affen.«

»Ich sehe immer gut aus, egal was ich trinke«, prahlte ich, trank einen Schluck und versuchte, die eklig süße Mischung nicht gleich wieder von mir zu geben. »Heilige Scheiße, schmeckt wie Schweißfüße!«

»Und jetzt sind deine Lippen blau. Das war die zwei Pfund wert.«

Er zerrte sich den Schal vom Hals, sah rüber zur Theke und zwinkerte einem Mädchen neben einem kleinen dicken Mann im Parka zu.