Die Goldene Rüstung - Andreas Pichler - E-Book

Die Goldene Rüstung E-Book

Andreas Pichler

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Beschreibung

Im ganzen Land liegen sie verteilt. Die einzelnen Teile der mächtigen Goldenen Rüstung. Mit ihrer Hilfe könnte ein Einzelner die gesamte Welt erobern. Um genau das zu verhindern, ziehen der Alchemist Cargo, die Magierin Aramas, der General Solon, der Schütze Surho und der König Shiron, los um die einzelnen Teile zu sammeln, aus einem Land voller Monster zu bergen, bevor es der mächtige Zauberer Erversors und seine Schwarze Armee tut.

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

1. Kapitel

Cargo Calligis keuchte und wischte sich über die schweißnasse Stirn. „Langsam. Ganz langsam!“, murmelte er zu sich selbst und ließ mit einer leichten Handbewegung einen winzigen Tropfen der lilafarbenen Flüssigkeit in das Glas tropfen.

Wenn er jetzt in dieser entscheiden Phase einen Fehler machte, würde ihm alles um die Ohren fliegen, was er in der letzten halben Stunde zusammengemixt hatte.

Zu seiner Erleichterung schien sich die Mixtur blau zu färben. Ein gutes Zeichen.

Cargo atmete tief aus bevor zu dem nächsten Säckchen mit Pulver griff, das gleich neben ihm auf dem Tisch der Terrasse aufgestellt war. Wie so oft fragte sich der Fünfzehnjährige, wieso er nicht ein halbwegs normales Leben führte. Sofern man das Leben in seinem Heimatland überhaupt normal nennen konnte. Die anderen Jungs in seinem Alter hatten bei weitem nicht so ein stressiges Leben wie er. Sie konnten in den Tag leben und hatten sicher bei weitem mehr Freizeit als er. Sie verbrachten nicht ihre Nachmittage damit auf der Terrasse zu hocken und an merkwürdigen Substanzen zu werkeln, die von der einen Sekunde zur anderen in Luft fliegen konnten. Aber die hatten alle sicher keinen Vater wie ihn Cargo hatte. Die meisten Männer die in dem friedlichen Aventana, Cargos Heimat, lebten waren Handwerker, Händler, Bauern oder vielleicht sogar Soldat in der königlichen Armee. Nicht aber Cargos Vater. Fang Calligis war ein Alchemist. Und nicht irgendein Alchemist, sondern der größte und berühmteste Alchemist der jemals in Aventana gelebt hatte.

Cargo griff in ein andres Säckchen, nahm eine Brise des Pulvers heraus, das sich darin befand und streute sie in die Flasche. Ein eigenartiges Zischen erklang und die Flüssigkeit begann eigenartig riechende Blasen zu schlagen.

Alchemisten waren Menschen, die mit Pflanzen oder Mineralien mächtige Tränke und Medikamente, die den Menschen halfen oder mit denen sie sich verteidigen konnten, herstellten. Wenn man so wollte, war es einer der wichtigsten Berufe, die man in Aventana ausüben konnte. Trotzdem war es ein sehr seltener Beruf da nicht viele Menschen den Mut (oder das Talent) hatten mit der Magie seines Heimatlandes zu arbeiten.

Das Blubbern wurde immer stärker. Angespannt griff Cargo nach einer Holzschale, nahm ein paar getrocknete Blütenblätter heraus die sich darin stapelten und ließ zwei in die Flasche fallen. Zu seiner Erleichterung ließen die Blasen ein wenig nach.

Magie gab es in Aventana eigentlich überall, man musste nur wissen was magisch war und vor allem wie stark der Zauber war, den sie beinhalteten. Aber am wichtigsten war, ob oder was einen töten konnte. Magie war in Aventana wichtig für das tägliche Leben, da die Technologie nicht wirklich fortschrittlich war. Die einzigen Menschen, die in Aventana für den Aufstieg der Technologie arbeiteten, waren die Hoferfinder, die am königlichen Hof lebten.

Cargo griff erneut zum Säckchen und streute das grüne Pulver hinein.

Cargos Vater hatte ein Labor im Schloss des Königs Shiron, für den er die magischen Zutaten zu wertvollen Tränken verarbeitete. Dort wurden die Tränke genutzt, um das Schloss und die Bewohner vor Aventanas größter Gefahr zu beschützen.

Erneut zischte die Flüssigkeit und Cargo fuhr zusammen. Er hatte vor fünf Minuten die letzte Zutat für einen speziellen Trank besorgt und war nun bei der Gartenterrasse seines Hauses, wo er sein Labor aufgebaut hatte. Auch Cargo versuchte die gefährliche und trotzdem nützliche Kraft der Pflanzen zu nutzen. Zu seinem Stolz konnte er sagen, dass er schon mehr erreicht hatte wie der eine oder andere erwachsene Alchemist.

Schnell griff er zu einem Behälter, der ein wenig Ähnlichkeit mit einem Salzstreuer hatte und streute etwas in die Flasche. Das Zischen erstarb.

Gerade deswegen ärgerte er sich besonders über sich selbst, dass er nicht daran gedacht hatte, wie lange er für das Besorgen der Zutaten brauchen würde. Es hatte viel länger gedauert als er gedacht hatte, die Zutaten zu besorgen und deswegen hatte er den Trank zu lange an der frischen Luft stehen lassen. Jetzt schüttete Cargo vorsichtig die Flüssigkeit in eine andere kleine Flasche. Sobald er sich sicher war, dass die Flasche stehen bleiben würde, griff er zu einer kleinen Dose mit rotem Pulver, dass er auch aus dem Dorf mitgebracht hatte. Wenn ihm noch ein Fehler passierte, würde ihm das Zeug um die Ohren fliegen wie sein letzter Versuch einen Eistrank herzustellen. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er sich vorstellte, wie das Fläschchen auf einmal explodierte und ihn zu Asche zerrieb. Dieser Trank war hoch kompliziert und nicht selten war es tragischen Unfällen gekommen, da hin und wieder auch sehr erfahrenen Alchemisten schlimme Fehler passierten. Was er versuchte herzustellen, wurde von Alchemisten und Zauberern schlicht Eistrank genannt. Es war nicht einfallsreich, aber es beschrieb einen Eistrank ziemlich genau. Cargo rutschte ein wenig an der Bank entlang zur andern Seite des Tisches, um an eine weitere Flasche heranzukommen. Natürlich ohne die Flasche aus den Augen zu lassen.

Ein Eistrank war eine waffenfähige Flüssigkeit, die nur von Soldaten des Königs eingesetzt werden durften. Sobald die Flüssigkeit Kontakt mit Frischluft hatte, dehnte sie sich zu einem Eispanzer aus, der alles in sich einschloss, was in Reichweite war. Um sich zu beruhigen, atmete er noch einmal tief die warme Morgenluft ein. Cargo hatte, wie viele sagten das große Talent seines berühmten Vaters geerbt. Er selbst war sich da nicht immer sicher. Ein erstklassisches Beispiel für seine, (wohl nicht ganz unberechtigten) Selbstzweifel war sein letzter Versuch einen Eiszauber herzustellen. Er schielte zu der Ruine auf dem Grundstück seiner Familie an dessen Stelle sich vor ein paar Tagen noch ein Gartenhaus befunden hatte. Dort hinein hatte er sich vor dem schlechten Wetter geflüchtet, dass ihm beim Experimentieren überrascht hatte. Im Trockenen hatte er seine Arbeit fortgesetzt. Es dauerte nicht lange und er hatte den ersten und kurz darauf noch einen zweiten Fehler mit der Dosierung gemacht. Gleich darauf war das ganze Gartenhaus explodiert. Zu seinem Glück konnte er sagen, dass er gerade nicht beim Trank gewesen war, weil er Nachschub im Haus geholt hatte.

Wäre er in der Hütte geblieben, hätte die Sache schlimm ausgehen können. Cargo fuhr mit einem kleinen Holzstock in die Flasche und rührte kräftig. Im Gedanken rechnete er sich schon aus, wie hoch seine Chancen wären es ins Haus zu schaffen, bevor die Flaschen die Terrasse sprengten.

Cargo gab sich jeden Tag Mühe ein guter Alchemist zu sein. Aber an seinen Vater würde er sicher nie herankommen, denn dieser war eine lebende Legende. Als kleiner Bauernjunge hatte er mit nichts außer Wasser und einem Glas angefangen und hatte sich dann mit Gespür und Ehrgeiz nach oben gearbeitet. Nun kannte jeder im ganzen Land seinen Namen. Cargo konzertierte sich. Dieser Trank durfte nicht auch noch daneben gehen. Die Zutaten konnte man nicht in einem gewöhnlichen Laden kaufen, da es viel zu gefährlich war sie zu sammeln, weswegen Fang sie mühevoll selbst sammeln musste.

„Gerade beim Experimentieren?“, hörte er plötzlich eine vertraute Stimme hinter sich. Sein Vater setzte sich neben ihn auf die Holzbank und sah interessiert auf die Flüssigkeit, die mittlerweile einen lila Farbton angenommen hatte. Cargo bemühte sich seine Erleichterung, dass nichts explodiert war, so gut wie möglich nicht anmerken zu lassen. Stattdessen betrachtete er seinen Vater so unschuldig wie möglich. Fang war ein kräftiger Mann mit kurzen braunen Haaren und einem noch kürzeren Bart. Er trug immer einen kleinen Gürtel an den verschiedenen Zutaten hingen, die Alchemisten kurzfristig brauchen konnten.

„Ja. Aller guten Dinge sind zwei.“, antwortete Cargo und stellte die Dose mit dem Pulver ab, die er gerade dazu schütten wollte.

„Das wäre mir neu.“, antwortete Fang scherzhaft und warf einen genaueren Blick auf die seltsam farbige Flüssigkeit, die sich in der Flasche befand. „Du meinst doch damit nicht etwa, dass du nochmal einen Eistrank herstellen willst?“

„Schon.“, antwortete Cargo ein wenig kleinlaut, als er sah, wie die Mine seines Vaters besorgt wurde, fügte er schnell hinzu, „Aber dieses Mal sieht alles richtig aus. Es hat die richtige Farbe, es schlägt Blasen und sobald ich die zerriebenen Feuerkönige dazu geschüttet habe, muss es nur noch eine Zeit stehen lassen. Dann ist der Trank fertig. Diesmal geht sicher nichts schief. “

Dass er den Trank zu lange hatte stehen lassen, ließ Cargo weg. Sein Vater brauchte nicht über alles Bescheid zu wissen. Zu seiner Erleichterung nickte Fang zufrieden. Dass Cargo gerade erst wieder in den Garten gekommen war, hatte er wohl nicht mitbekommen. „Da du dich schon so gut auskennst bin ich wohl überflüssig. Ich wollte nur schnell auf Nummer sicher gehen, dass wirklich nichts passiert. Es ist sehr gut, dass du das Rezept mittlerweile auswendig kannst.“

Cargo wurde warm ums Herz, als er den stolzen Blick in Fangs Augen sah. Jemand wie Fang, der innerhalb von fünf Minuten einen Zaubertrank herstellen konnte, der einen sofort und für mehrere Stunden einschlafen ließ, war sehr schwer zu beeindrucken. „Aber wenn du dir nicht sicher bist, schau bitte in deinem Buch nach. Dein letzter Fehlversuch hat mich ein kleines Vermögen gekostet.“, fügte er noch scherzhaft hinzu, bevor er mit einem breiten Grinsen aufstand und zu dem abgelegenen Holzhaus ging, dass die Beiden bewohnten.

Es lag idyllisch zwischen einer kleinen Wiese, die das Haus von ihren Nachbarn trennte und einem kleinen Laubwald, in dem viele Kräuter und Pilze vorkamen, die die Beiden für einfachere Rezepte benötigten. Nähere Nachbarn hatten sie nicht, da sich keiner traute sich näher als fünf Meter an das Haus heranzugehen. Cargo war sich nicht sicher, ob es sich dabei um Feigheit oder gesunden Menschenverstand handelte. Dass diese Angst aber nicht unbegründet war, hatte schon die Ruine gezeigt, die das Grundstück der Familie Calligis zierte. Seitdem die Hütte explodiert war, hatten sie ihre Nachbarn fast gar nicht mehr zu Gesicht bekommen. Bevor Fang im Haus verschwand, drehte er sich noch einmal um und sein Gesicht wurde ganz ernst. „Sei diesmal wirklich vorsichtiger! Ich will nicht noch einmal Kopf und Kragen riskieren, um neue Feuerkönige zu holen. Du weißt wo die Blume wächst?“

Cargo nickte. Sein Vater sah ihn noch einmal eindringlich an, dann verschwand er im Haus. Cargo schüttete das Pulver in die Flüssigkeit und stellte zufrieden fest, dass die Flüssigkeit nun blau-weiß wurde. Nur noch ein wenig warten und er hatte es geschafft. Dann musste er nur noch einen Korken auf die Flasche setzen und sie war einsatzbereit. Schnell stellte er das Fläschchen auf ein kleines Drahtgestell. Er hoffte inständig, dass dieser Versuch funktionierte. Für jeden Trank, ob er funktionierte oder nicht, musste Fang sein Leben riskieren.

Cargos Blick wanderte zu der grauen, hohen Mauer, die er von seinem Garten aus gut sehen konnte. Sie war sicher keine zwanzig Meter vom Haus entfernt. Diese riesige Mauer, die das ganze Königreich Aventana umschloss und das dunkle Land und Aventana voneinander trennten. Sie wurde vor langer Zeit gebaut als die damaligen Nomaden das Tal fanden und sich hier niederließen. Nach vielen Jahren wurde sie mit einem Zauber des großen Magiers Pentor verstärkt und so gut wie unzerstörbar gemacht. Und das hatte der große Zauberer aus gutem Grund getan. Die Mauer schützte nicht etwa vor gegnerischen Soldaten oder vor Räubern, sondern vor etwas weit Tödlicherem. Etwas vor dem alle Bewohner Aventanas Angst hatten. Das dunkle Land bedeutete Tod und Verderben. Das wurde schon den kleinsten Kindern beigebracht. Dort lebten bösartige Kreaturen, die alles töteten, was ihnen auf der Jagd begegnete. Riesige, menschenfressende Trolle. Grüne hässliche Kobolde, die in Massen in den Wäldern lebten und unvorsichtige Menschen oder Tiere hinterhältig überfielen und entweder auffraßen oder einfach an Ort und Stelle liegen ließen. Vielköpfige, hochgiftige Hydras, die sich auf dem Hochland versteckten und auf Beute wartete. Aber das Tödlichste, war der riesige, unverwundbare und feuerspeiende Drache, der irgendwo im dunklen Land lebte. Der Drache war der Gefährlichste. Er war ein gnadenloser und bösartiger Jäger, der zur Freude aller Einwohner schon lange nicht mehr aufgetaucht war. Wegen dieser Gefahren war jedem verboten das Gebiet zu betreten. Außer es war unbedingt notwendig. Aber so ein Fall war mehr als nur selten. Trotzdem existierten sie. Sein Vater war gezwungen hin und wieder dieses gefährliche Gebiet zu betreten, um die magischen Zutaten zu holen, die er für seine Tränke benötigt wurden. Die Soldaten benötigten die magische Unterstützung seines Vaters, um sich gegen die Kreaturen zu wehren die hin und wieder auf leichte Beute hoffend, versuchten die Mauer zu durchbrechen. Vor langer Zeit, als die Menschen die schützende Mauer noch nicht errichtet hatte, lebten sie im Wald, der nicht weit von der heutigen Mauer entfernt lag. Das Volk von damals lebte ein gefährliches Leben.

Die Bäume und das Unterholz war alles, was ihnen Schutz geboten hatte. So war es jedenfalls, bis die Bewohner die Mauer erbaut hatten und in die Ebene gezogen waren, die das heutige Aventana darstellte. Cargo sah noch ein letztes Mal zu der ausladenden Mauer und schauderte, als er daran dachte, was sich alles hinter dieser Mauer befinden konnte und nur noch darauf wartete, dass sich eine Möglichkeit ergab die Mauer einzureißen und jeden aufzufressen der ihm in den Weg kam. Natürlich wurden die Mauern Tag und Nacht von den Soldaten des großen Shiron, dem jungen König von Aventana bewacht. Diese hatten noch dazu die Unterstützung seines Vaters und Pentor. Aber niemand konnte genau wissen (oder noch davon erzählen) was sich noch dort draußen befand.

Erst jetzt fiel Cargo der Eistrank wieder ein. Schnell wandte er sich wieder dem Drahtgestell zu, auf das er die Flasche gestellt hatte. Ein Stein viel ihm vom Herzen, als er sah, dass die Flüssigkeit seine Farbe behalten hatte. Cargo berührte das Glas und stellte zufrieden fest, dass das Glas sich eisigkalt anfühlte. Der Trank war fertig.

2. Kapitel

Es war nichts explodiert und auch zu sonst keiner katastrophalen Nebenwirkung gekommen. Das allein war schon eine gut Nachricht, aber vor allem hatte Fang seine Abwesenheit nicht bemerkt. Er würde es „noch einmal gut gegangen nennen“, wenn Fang ihm den Kopf abriss, sollte er ihn später fragen wo gewesen war. Stolz nahm Cargo sein Notizbuch mit dem dicken Ledereinband aus seiner Tasche und schrieb die verwendete Mischung auf.

Jede Mischung die ihm je gelungen war füllten die vergilbten Seiten des unscheinbaren, kleinen Buches, das er immer in einer kleinen Tasche mit sich herumtrug. Schon sein Vater hatte in seinem Alter mit diesem kleinen Buch gearbeitet und die Mischungen, die er gebraut hatte, auf diese Seiten geschrieben. Vom vergleichsweise leichtem Feuersekret bis zum anspruchsvollen Eistrank stand in den Seiten dieses Buches, ein nützlicher Trank neben dem anderen. „Einer mehr.“, murmelte er stolz zu sich selbst.

Nachdem er die verwendete Mischung notiert hatte, blätterte er noch ein wenig gedankenverloren, die noch leeren Seiten seines Buches durch. Cargo hatte es genauso wenig wie Fang bisher geschafft, die gesamten Möglichkeiten der Kräuter, die im dunklen Land wuchsen zu nutzen. Deswegen war das kleine Notizbuch erst zur Hälfte gefüllt. Aber diese würden sich sicher auch bald füllen. Cargo schloss das Buch und steckte es in seine Umhängetasche, die für diesen Zweck immer bei sich trug. Das kleine Buch war ein Geschenk von Fang. Cargo hatte es von ihm zu seinem zehnten Geburtstag bekommen. Dabei hatte er seinem Vater aber schwören müssen, dass er nur das tat, was in dem Buch stand und nicht von den Angaben abwich, oder sogar eigene Mischungen versuchte.

Er schloss, denn kleinen Verschluss, der die Tasche zuverlässig seit fünf Jahren zusammenhielt und betrachtete die weiß-bläuliche Flüssigkeit, die nach wie vor auf dem kleinen Drahtstativ stand. Während Cargo den Blasen zusahen, wie sie vom Boden der kleinen Flasche zum Hals aufstiegen, wurde ihm auf einmal klar, was er da vor sich stehen hatte. Er hatte einen Trank gebraut der rechtlich verboten war. Außer man hieß Fang Calligis und hatte die Erlaubnis des Königs, alles zu brauen was waffenfähig war.

Plötzlich klang ein ekelhaftes Blubbern über die Wiese. Erstaunt richtete sich Cargo auf und sah verblüfft in die Richtung, aus der das Blubbern zu kommen schien. Was immer es auch war, weder er noch Fang hatten etwas damit zu tun.

Das laute Blubbern schien direkt aus der ausladenden schwarzen Mauer zu kommen. Cargo kniff die Augen zusammen. Er schnappte nach Luft, als er sah, was das Blubbern verursachte. Es sah aus, als würde Lilafarbiger Schleim aus den schmalen Spalten der Wand tropfen. Mit großen Augen sah Cargo zu wie immer mehr Schleim aus der Mauer zu rinnen schien bis es schließlich so aussah, als würde sich eine zwei Meter hohe und zwei Meter breite, lila-schwarze Tür aus Schleim in der Mauer befinden. Es waberte dunkler, dicker Nebel aus der Stelle, wo eben noch die feste unbewegliche Mauer gestanden hatte und nun eine zitternde, unförmige Masse geworden war, die die nicht einmal so stabil aussah, als könnte sie einem Kieselstein standhalten. Gleichzeitig schien der bisher nur leichte Wind von Moment zu Moment stärker zu werden. Bis er zu einer Staub aufwirbelnder Windböe wurde. Cargo konnte noch immer nicht glauben was dort vor sich ging. Welcher Zauber auch immer dafür verantwortlich war, er musste stärker sein als der Schutzzauber den Pentor über die Mauer gelegt hatte, denn dieser verhinderte, dass Zauberei vom dunklen Land nach Aventana gelangen konnte.

Cargo wollte gerade nach Fang rufen, als er einen Umriss in dem Nebel wahrnahm. Ihm blieb der Ruf im Hals stecken. Er sah genauer hin. Etwas schlängelte sich durch den Schleim und den Nebel und erreichte die Wiese. Erschrocken sah Cargo, was gerade aus dem dunklen Schleim an der Mauer gekrochen war.

Ein länglicher Körper lag auf dem saftig grünen Gras. Es hatte blau-grüne Schuppen, die im Sonnenlicht glänzten und sich kaum vom Gras abhoben. Sein Kopf aber ließ Cargo einen Schauer über den Rücken laufen. Ein grauenerregender Schlangenkopf saß am Ende des länglichen Körpers. Lange, gefährlich aussehende Giftzähne schmückten das aufgerissen Maul der Schlange. Alle paar Sekunden schnellte eine rosafarbene, gespaltene Zunge aus dem Maul. Zwischen ihrem Kopf und dem Hals lagen viele nach hingerichtete Stacheln, die fast so spitz aussahen wie die unzähligen Zähne. Aber was Cargo am meisten Angst machte, waren die gierig leuchtenden, gelben Augen mit den starren Pupillen, die genau auf ihn gerichtet waren.

Es war eine Serpentina. Eine Riesenschlange. Fang hatte es für nötig gehalten Cargo alles über die Kreaturen beizubringen, die außerhalb der Mauer lebten, falls Cargo später ebenfalls als königlicher Alchemist tätig war und die schützenden Mauern hinter sich lassen musste. Cargo machte ein paar langsame Schritte zurück. Diese Wesen verfügten über gefährliche Giftzähne, die im ganzen Reich gefürchtet wurden. Wenn man von ihnen gebissen wurde, hatte man keine fünf Minuten mehr zu leben. Aber aufgrund der Größe der Schlange war es sehr unwahrscheinlich überhaupt den Biss an sich zu überleben. Dazu kam, dass diese Kreaturen hoch intelligent waren und logisch denken konnten.

Cargo war sich nicht sicher, ob die Schlange in sah, da sie ihn zwar anstarrte aber keine Anstalten machte ihn anzugreifen. Diese Wesen ernährten sich von allem, was sie in der Lage waren zu fressen und konnten ausgewachsen riesig werden. Kurz gesagt zählten sie zu den tödlichsten bekanntesten Wesen, die außerhalb der Mauer lebten. Cargo gab sich Mühe so still wie möglich stehen zu bleiben und hoffte das die Riesenschlange schlecht sah. Es vergingen vier lange Sekunden in denen Cargo hoffte, die Schlange würde wieder verschwinden. Doch plötzlich setzte sich die Kreatur in Bewegung. Mit einem gierigen Leuchten in den starren Augen schlängelte sich die Serpentina den Hügel in Richtung Haus hinauf. Cargo schrie, drehte dem Monster den Rücken zu und versuchte so schnell wie möglich die rettende Tür des Hauses zu erreichen.

Hinter sich konnte er das Zischen und Fauchen der Serpentina hören, während sie sich den Hügel nach oben schlängelte. Er drehte sich nicht einmal um, als er hörte, wie die Serpentina den oberen Teil des Hanges erreicht hatte, sondern rannte um sein Leben. Obwohl diese Kreaturen keine Beine hatten, waren sie beängstigend schnell. Viel zu schnell. Trotzdem sah es so aus, als könnte Cargo es schaffen das Haus zu erreichen, doch kurz bevor er den Griff Tür, die Wohnzimmer und Terrasse verband, erreichte, wurde er plötzlich nach hinten gestoßen. Der rettende Türgriff schien unendlich weit weg geschleudert zu werden, als er hart auf dem Boden landete. Die Kreatur hatte die Tür vor Cargo erreicht und ihm mit ihrem dicken Körper den Weg versperrt. Nun sah Cargo sie erst aus der Nähe. Sie war das Furchterregendste, was jemals vor ihm gestanden hatte. Die Giftzähne, die den Oberkiefer schmückten, sahen nun noch gefährlicher aus als vorhin schon. Die vielen Stacheln zitterten bei jedem Zischen und waren bis zu einem Meter lang. Sie hatte wunderschöne große Schuppen, die rund um den Kopf verliefen und im Sonnenlicht glänzten. Aber das furchterregendste an ihr waren immer noch die bösartig leuchtenden Augen. Sie fauchte Cargo triumphierend an. Cargos Puls schien formlich zu fliegen, als er nach ein paar Sekunden die Augen zusammen kniff und machte sich darauf gefasst von dem herabschnellenden Kiefer verschlungen zu werden, während er am Rücken liegend genau vor dem Monster lag.

Wieder vergingen grausame Sekunden, in denen nichts passierte. Cargo öffnete die Augen und sah verwundert zu dem Kopf der Schlange hoch. Mit der leisen Hoffnung das die Schlange nicht vorhatte ihn zu fressen. Diese Hoffnung verschwand sofort, als er die Augen des Monsters wieder sah. Ein bösartiges, freudiges Glitzern lag in ihren starren Augen. Es war das gleiche freudige und doch bösartige Glänzen, dass man manchmal in den Augen von Katzen beobachten konnte, wenn sie eine Maus in die Enge getrieben hatten und noch ein wenig mit ihrer Beute spielten, bevor sie sie fraßen.

Cargo schauderte. Es war beängstigend, dass sich diese Kreatur einen Spaß daraus machte ihre Beute zu ängstigen und zu jagen. Auch wenn es eine grausame Angewohnheit war, war es wohl Cargos größte Chance sein Leben doch noch zu retten. Er atmete noch einmal durch, um sich den Kopf freizumachen, dann stand er auf. Er würde sicher keines natürlichen Todes sterben. Wahrscheinlich würde er sich irgendwann in die Luft sprengen, oder auf der Suche nach Zutaten im dunklen Land von irgendeinem Monster gefressen werden, aber der Tag seines Todes war ganz sicher nicht heute!

Kurz tat Cargo so, als wurde er versuchen über den langen Körper der Schlange zu klettern. Als die Schlange ihren Kopf senkte und ihn mit höhnischem Zischeln ansah, drehte Cargo sich blitzschnell um und versuchte so schnell wie möglich in die andere Richtung zu entkommen. Aber die Serpentina erkannte zu schnell, was ihre Beute vorhatte, und schlängelte sich flink um ihn herum und versperrte den rettenden Fluchtweg. Cargo blieb trotzdem nicht stehen, sondern nahm alle Kraft zusammen und versuchte über den länglichen Körper zu springen. Doch plötzlich holte die Schlange mit ihrem langen dicken Schwanz aus und traf Cargo, bevor dieser überhaupt den Boden berührt hatte, mit zerstörerischer Kraft in den Rippen. Seine gesamte Luft wurde aus seinen Lungen gedrückt. Für einem kurzen Moment wurde ihm schwarz vor Augen und es drehte sich alles. Er fiel mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden und blieb für ein paar Sekunden liegen. Seine Rippen schmerzten von dem Schlag und er rang um jeden Atemzug. Cargo tastete panisch seine Brust mit der Hand ab und atmete so gut es ihm im Moment möglich war auf, als er feststellte, dass er sich nichts gebrochen hatte. Trotzdem blieb er, stoßweiße atmend noch ein paar Sekunden liegen. Bei jedem Atemzug schmerzten seine Rippen.

Die Kreatur stieß Laute aus die wie verächtliches Lachen klangen, während sie zusah, wie Cargo versuchte wieder auf die Beine zu kommen. Als er es nach mehreren Versuchen keuchend wieder auf den Beinen stand, sah er zu dem Monster hoch. Das grausame Leuchten war nicht schwächer geworden, geschweige denn verschwunden. Im Gegenteil. Es sah aus, als würde ihr das ganze Spiel mehr Spaß machen als vorher. Cargo sah sich hektisch nach etwas um womit er sich verteidigen konnte. Ein zweites Mal würde ihn die Serpentina ganz sicher nicht in Ruhe lassen, während er am Boden lag. Alles in Reichweite waren der Terrassentisch, die Holzbank und drei Stühle. Schnell überlegte er, was mit diesen Möglichkeiten anfangen konnte, ohne die Schlange aus den Augen zu lassen.

Der Tisch und die Holzbank konnte Cargo nicht einmal anheben, geschweige damit nach der Kreatur schlagen.

Die Schlange machte nun mit ihrem Spiel weiter, während sie ihre Kreise um Cargo langsam aber sicher immer enger zog, überlegte dieser fieberhaft weiter, wie er es schaffen konnte die Serpentina zu vertreiben oder besser noch zu töten (Was mehr als unwahrscheinlich war, aber man darf ja noch hoffen). Er würde es niemals schaffen rechtzeitig seinen Trank zu erreichen. Wenn dieser überhaupt funktionierte. Aber wenn er es schaffen sollte die Flasche zu erreichen und wenn der Trank funktionierte, könnte er die Schlange töten, oder bewegungsunfähig machen. Doch die Schlange war schneller als er und sie müsste ihm nur mit ihren Zähnen einen Kratzer verpassen und er war in Kürze tot. Cargo musste es schaffen das Monster abzulenken, um den Trank zu erreichen. Für alle Fälle trug Cargo normalerweise einen Ledergürtel mit ein paar schwächeren Verteidungstränken, für den Fall, dass er in Schwierigkeiten kam. Aber dieser hing in der Küche, da Cargo überstürzt Nachschub für seinen Trank hatte holen müssen. Aber die Chancen das Haus zu erreichen waren noch schlechter als die das Drahtgestell an das andere Ende des Tisches zu kommen. Cargos Kopf arbeitete auf Hochtouren. Seine einzige Chance war der Eistrank, das war ihm klar. Nicht klar war allerdings, wie er ihn erreichen sollte.

Plötzlich hallte ein gellender Schrei über den Garten. Es war Fang. Er hatte eben das Haus verlassen und sah nun mit vor Schreck geweiteten Augen über die Wiese. Ganz offensichtlich hatte er es bei dem Anblick der Schlange es nicht genauso geschafft einen kühlen Kopf zu behalten wie sein Sohn. Er hatte einen großen Vorschlaghammer in der Hand und sich einen Stapel Bretter unter den Arm geklemmt. Die Serpentina wandte ihren schuppigen Kopf, mit einem erstaunten Zischen zu Fang. Kurz wirkte sie irritiert und war sich nicht ganz sicher, wenn sie nun angreifen sollte. Nach ein paar Sekunden warf sie noch einen kurzen Blick auf Cargo, dann zischelte noch sie noch einmal und wandte sich Fang zu. Offenbar war die Entscheidung nicht sehr schwierig gewesen und Fang ein verlockenderes Ziel als der fünfzehnjährige schmächtige Junge. Sie drehte Cargo den Rücken zu, um Fang anzugreifen.

Damit machte sie einen schweren Fehler. Cargo nutzte die Chance und griff geistesgegenwärtig nach dem nächstbesten Stuhl, den er in die Finger bekam. Er holte aus und schlug mit aller Kraft zu. Mit einem lauten Krachen brach der Stuhl an dem schuppigen Kopf des Monsters. Die Schlange kreischte auf und fiel benommen zu Boden.

3. Kapitel

Cargo kletterte so schnell er konnte über den schuppigen Schwanz der Schlange, der vor wenigen Momenten noch eine unüberwindbare Sperre gewesen war. Er rannte so schnell er konnte zu dem Drahtgestell, das noch immer am anderen Ende des Tisches stand, schnappte sich das Fläschchen und sprintete, ohne sich noch einmal umzusehen zu seinem Vater.

Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte er vor Stolz gejubelt. Er hatte gerade eine Serpentina mit einem Holzstuhl bewusstlos geschlagen. Cargo machte noch einen großen Schritt und hatte seinen Vater erreicht. Seine Augen waren vor Schreck riesig geworden. Keuchen sah er von dem Ungeheuer und Cargo hin und her. „Kannst du mir erklären was um Himmelswillen hier passiert ist!“

Cargo musste einmal durchatmen, bevor er seinem Vater antworten konnte. „Eine Serpentina ist durch eine Art Portal durch die Mauer gekommen und hat versucht mich zu fressen. Dann bist du gekommen, die Schlange hat mir den Rücken zugedreht und dann habe ich ihr den Stuhl über den Schädel gezogen.“

Fang sah noch einmal fassungslos, zur immer noch benommenen Serpentina, die sich langsam wieder zu erholen schien. „Ich war keine fünf Minuten weg! Was passiert, wenn ich dich eine Stunde allein lasse?“

Cargo zwang sich zu einem Lächeln. „Ich schätze, ich würde in einem Kleid um die Ruine unseres Hauses herumlaufen, während ich von singenden Kobolden gejagt werde.“

Seinen Humor hatte sein Vater nicht verloren, da konnte eine noch so große Katastrophe passieren. Fang hatte aber keine Zeit eine weitere Frage zu stellen. Die Schlange hatte sich viel zu schnell von dem Schlag auf den Kopf erholt. Und dieser hatte sie wütend gemacht. Zornig fauchend sah sie sich nach ihrer entkommenden Beute um. Als sie Cargo entdeckte, starrte sie ihn wütend an.

Fang hob den großen Hammer, den er wahrscheinlich zur Reparatur des Gartenzaunes gebraucht hätte. „Ich habe einen Plan. Hör zu! Ich renne zur Wiese und lenke sie ab.“

Cargo sah ihn skeptisch an. „Wie willst du das Vieh ablenken? Die ist fünf Mal so lang wie du.“

Fang schüttelte, mit einem leichten Lächeln, vielsagend seinen Hammer. „Währenddessen läufst du ins Haus, du holst den Gürtel und stellst dich wieder zur Terassentür. Sobald du drinnen bist, schreist du so laut wie möglich, damit sie zu dir sieht. Wenn sie abgelenkt ist, renne ich zum Nachbarhaus und hole Hilfe. Im Haus kann dir nichts passieren.“, beendete er seinen Plan.

Cargo hatte keine Zeit, über den zweifelhaften Einfall seines Vaters zu diskutieren, denn Fang rannte schon der Kreatur entgegen. Die Serpentina hatte ihre Beute erwartet. Stattdessen sah sie den kräftigen Mann, der mit gehobenem Hammer und lautem Geschrei auf sie zustürmte. Die Schlange schoss mit weit aufgerissenem Maul nach vorne. Nun sahen ihre langen Giftzähne noch viel bedrohlicher aus. Fang ließ sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen. Mit einer schnellen Rolle zur Seite schaffte er es, sich in Sicherheit zu bringen. Er stand sofort wieder auf und schlug mit dem großen Hammer auf den langgezogenen Bauch der Schlange, der nun direkt vor ihm lag. Die Schlange kreischte vor Schmerz auf und wandte ihren Kopf. Dann schoss sie erneut vor. Auch dieses Mal schaffte es Fang dem Stoß zu entkommen, doch dieses Mal war es so knapp, dass das Ungeheuer den Hammer zwischen die Zähne bekam und ihm Fang aus der Hand zog. Cargo hatte das Ganze mit solcher Spannung und Angst verfolgt, dass er gar nicht darüber nachgedacht hatte, dass er ja zum Haus laufen sollte. Voller Angst sah er zu, wie Fang, dessen Hammer und damit einzige Waffe in unerreichbare Ferne gerückt wurde. Fang ächzte und versuchte nun, sich mit den Fäusten zu wehren. Schreiend prügelte er auf den Bauch des Monsters ein, doch das schien die Schlange nicht einmal wahrzunehmen. Mit höhnischem Kreischen hob die Serpentina ihren Schwanz, um damit auf Fang einzuschlagen. Fang machte sich bereit erneut auszuweichen, aber diesmal hatte er seine Beweglichkeit überschätzt.

„Der Schwanz! Pass auf!“, schrie Cargo entsetzt.

Aber es war zu spät. Mit Entsetzen musste Cargo zusehen, wie der Schwanz erneut mit der Wucht eines zwei Meter großen Vorschlaghammers zuschlug. Fang schrie als ihn der Schwanz noch stärker als zuvor Cargo in die Rippen traf. Er flog durch die Luft und landete, nach einer gefühlten Ewigkeit, krachend auf den Steinplatten der Terrasse. Benommen blieb er am Boden liegen. Cargo versuchte seinen Vater zu erreichen aber die Serpentina versperrte ihm mit ihrem langem Körper erneut den Weg.

Höhnisch sah sie auf ihn herab, als wolle sie sagen: Du bist erledigt!

Nun ging es dem Monster nicht mehr um Jagd. Nun ging nur noch darum das kleine Wesen mit den braunen Haaren zu töten. Eine widerspenstige Beute, die mehr Ärger verursachte als sie wert war.

Das Monster fauchte noch einmal, aber diesmal wich Cargo nicht zurück. Im Gegenteil, er ging einen Schritt auf das Wesen zu. Grimmig sah er ihr entgegen. Es konnte Wut, Verzweiflung, oder auch beides sein, jedenfalls fürchtete Cargo sich nicht mehr. Seine Angst, die er gehabt hatte, und die ihn dazu gebracht hatte wie ein Irrer vor der Schlange wegzulaufen, war verschwunden.

Er stand nur da und sah der Schlange in die leuchtenden Augen. Keiner von beiden wagte den ersten Schritt zu machen. Die Schlange hatte das Gefühl der völligen Überlegenheit nach dem Schlag mit dem Hammer und dem Stuhl verloren.

Cargo rümpfte die Nase. Der Wind hatte gedreht und trug den leicht fauligen Geruch der Serpentina ihm. Cargos Brustkorb schmerzte immer noch stark von dem Schlag, den er hatte einstecken müssen. Er versuchte es zu ignorieren so gut er konnte. Es gab nur die eine Möglichkeit seinem Vater helfen zu können, und zwar in dem er es schaffte die Schlange irgendwie abzulenken oder zu vertreiben. Er atmete noch einmal tief durch, dann ging ein Schritt auf das Ungeheuer zu.

„Komm nur her, wenn du dich traust!“, schrie er dem Wesen entgegen, in der leisen Hoffnung das Wesen würde zurückweichen.

Die Antwort der Schlange war aber nur ein zorniges Fauchen.

Es schien, als würde eine Ewigkeit vergehen, während die beiden sich gegenüberstanden und sich gegenseitig anstarrten. Hilfe für Cargo würde sicher nicht kommen, das war beiden bewusst. Er hatte immer noch den Eistrank. Er war wohl sein größter Vorteil. Aber die Serpentina wahr sehr schnell und er hatte nur einen Versuch. Noch dazu war die Schlange nun vorsichtig. Sie hatte aus dem Erlebnis mit dem Stuhl gelernt. Einschätzend und berechnend sah sie Cargo an. Es sah aus, als würde sie überlegen was der Junge vor ihr wohl als nächstes tun würde. Dann kam langsam Bewegung in die Sache. Ganz langsam entfernte sich Cargo von dem Gartenzaun und stellte sich auf die offene Wiese. Die Schlange folgte seiner Bewegung misstrauisch. Nun stand Cargo am freien Feld und jetzt schützte ihn nichts mehr. Aber es hinderte ihn aber auch nichts auszuweichen. Ihn konnte nichts mehr daran hindern zur Seite zu springen, wenn er angegriffen wurde. Die Serpentina schlängelte sich langsam auf Cargo zu. Auch Cargo machte zwei Schritte nach vorne. Für einen kurzen Moment passierte nichts. Die Vögel hatten aufgehört zu singen, die Grillen hatten mit dem Spielen aufgehört und auch sonst war kein Laut mehr zu hören außer das gelegentliche Zischen der riesigen Schlange und Cargos schnelles Atmen.

Doch dann geschah es. Plötzlich schoss die Serpentina ohne Vorwarnung nach vorne. Mit aufgerissenem Maul und lautem Fauchen stürzte sie sich auf Cargo. Um Haaresbreite konnte sich dieser zur Seite rollen. Er keuchte als er sich wieder auf die Beine kämpfte. Wenn Cargo an seiner alten Position diesem Angriff ausgeliefert wäre, hätte ihm der Zaun den Weg versperrt und die Serpentina hätte ihn erwischt. Das Ungeheuer sah nicht so aus, als wäre es sauer nicht getroffen zu haben. Stattdessen drehte sie sich in sekundenschnelle um und schoss erneut vor. Cargo konnte genau in ihr aufgerissenes Maul mit den gefährlichen Giftzähnen sehen. Nun erkannte er die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte. Er holte aus, warf die Flasche und betete, dass der Trank funktionierte.

Das Fläschchen mit seiner gefährlichen Flüssigkeit traf mitten in den aufgerissenen Rachen der Serpentina und zerbrach mit einem unangenehmen Klirren in tausend Teile. Ein explosionsartiger, eisiger Luftschwall schlug Cargo entgegen, wie eine Wand aus Schnee. Er schloss die Augen und hielte sich schützend den Arm vor sein Gesicht. Er hörte ein grausiges Knirschen, dass sich wie sich aneinanderreibende Glasscherben anhörte. Das Knirschen wurde von Sekunde zu Sekunde lauter. Eisige Luft zog an ihm vorbei und ließ ihn zittern. Es fühlte sich an, als würde Cargo mitten in einem Schneesturm stehen, der keinen Schnee, sondern nur Hagel mit sich trug. Doch nach ein paar Sekunden die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, war plötzlich Ruhe. Keine Kälte und kein Knirschen mehr. Cargo öffnete verwundert die Augen. Es war, als hätte sich der gesamte Wind und die Kälte mit einem Schlag verflüchtigt. Sicherheitshalber schloss er die Augen aber sofort wieder. Erst nach dem er sich sicher war, dass es vorbei war, öffnete er langsam die Augen und sah sich um. Er erschrak. Die Serpentina war von einem dicken Eispanzer eingeschlossen, der ihren Kopf bis zur Mitte ihres Bauches alles eingeschlossen hatte. Und dieser Eispanzer befand sich keinen halben Meter von Cargos Kopf entfernt. Das Maul war immer noch zum Angriff geöffnet. Hätte er seinen Trank eine Sekunde später geworfen, oder wäre dieser nur kurz nachher zerbrochen, hätte das Monster ihn sicher noch mit seinen Zähnen erwischt und getötet, bevor sie der feste Eispanzer eingeschlossen hatte. Hinter der Eiswand leuchteten die Augen noch einmal bösartig und zornig auf, dann erlosch das Feuer. Die Serpentina war tot.

Cargo ließ sich erschöpft ins Gras fallen. Er atmete auf. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Er brauchte einen Moment, bis er überhaupt begriff, was er gerade geschafft hatte. Er hatte eines der tödlichsten bekannten Wesen des dunklen Landes getötet. Obwohl ihm von seinen Ausweichmanövern noch alles weh tat, brach er in Jubelschreie aus und trat gegen den riesigen Eispanzer, der sich vor ihm auftürmte. „Versuch jetzt mich zu fressen du riesengroßer Haufen Schuppen! Ich bin …“