Die große Suche - Anne Hensgen - E-Book

Die große Suche E-Book

Anne Hensgen

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Beschreibung

"Die große Suche" ist ein Fantasy-Kinderroman mal ganz anders. Es gibt keine Hexen, Zauberer, Prinzessinnen oder Drachen, dafür ein kleines Mädchen, einen Jugendlichen, eine Oma, einen erwachsenen Erfinder und eine Katze. Die abenteuerliche Suche nach den Erbauern ihrer Stadt führt diese Vier an Orte, die es nur in diesem Buch gibt, zum Beispiel ein lebendiges Monopoly-Spiel, ein weiches Land, ein Meer, das am Anfang der Welt entspringt und auf dem allerlei Dinge treiben oder zu einem Mann, der Bahnhöfe sammelt. Am Schluss finden Sie die Erbauer ihrer Stadt in der Stadt "Irgendwo", mit der man an jeden Ort kommen kann. Nachdem sie alle prüfungen bestanden haben, wird auch ihre Stadt in den Baumwipfeln gerettet. Das Buch ist ein Feuerweerk von Ideen. Ein Buch, das die Oma gerne ihren Enkeln vorliest, denn es ist spannend, witzig und warmherzig. Testleserkinder jeden Alters waren begeistert. Erwachsenen fehlt zwar manchmal der moralische Zeigefinger, aber die Zusammenarbeit des außergewöhnlichen Teams beeindruckt.

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Seitenzahl: 179

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Anne Hensgen

Die

große Suche

Impressum

Text: © Copyright Anne Hensgen

Zeichnungen und Cover: © Anne Hensgen

Verlag:

Anne Hensgen

Heinkelstr. 17

53125 Bonn

[email protected]

Auflage November 2022

1. Kapitel

In dem die Stadt der tausend Vogelnester und ihre Bewohner vorgestellt werden

Die Helden dieser Geschichte wohnen in der Stadt der tausend Vogelnester. Die Stadt der tausend Vogelnester liegt in einem großen Wald, genau in der Mitte. Je weiter es in den Wald hineingeht, desto größer werden die Bäume. Zum Einkaufen und Post abholen in der Stadt vor dem Wald müssen Eze, Tim und Herr Pit Lampen mitnehmen, so dunkel ist es im Wald. Deshalb leben die Bewohner auch nicht auf dem Boden, sondern oben in den Baumwipfeln. Eine Holztreppe führt im Zickzack vom dunklen Boden hinauf in die hellen Baumwipfel. Sie endet auf der hölzernen Plattform, wo die vier Häuser stehen. Früher gab es noch viele weitere Plattformen und Häuser. Jetzt sind sie aber verlassen und morsch. Nur die Vögel wohnen noch dort.

Wenn Eze, Tim und Herr Pit nach dem langen Weg wieder die Sonne durch die Baumwipfel scheinen sehen, kommen sie als erstes zu Mama Kongos Haus. Mama Kongo wohnt in einer runden Hütte mit einem Dach aus Stroh. Damit sie und ihre fünf Töchter genug Platz haben, hat sie zwei Stockwerke. Mama Kongo und ihre Töchter schlafen im zweiten Stockwerk im Heu. Unten gibt es ein Sofa und eine Kuckucksuhr. Sie hat kein Zifferblatt. Wenn es Essenszeit ist, oder Aufstehzeit, oder Zeit für einen Spaziergang, kommt statt des Kuckucks ein Nashorn aus der Klappe. Es niest zwei- oder dreimal und verschwindet wieder.

Mama Kongo kommt aus Afrika. Sie ist so dick, dass man aus ihrem Kleid ein Zelt machen könnte. Mama Kongo ist immer fröhlich und nörgelt nicht herum wie andere Mütter. Außerdem kann sie schöne Geschichten erzählen. So kamen in Afrika Mädchen zu ihr, die keine Eltern mehr hatten, und blieben als ihre Töchter. Als es ihr in Afrika zu heiß wurde, wanderte sie mit Eze, Francine, Wamba, Josi und Mohru aus. Sie wanderten und wanderten, bis Sie in den großen Wald und die Stadt der tausend Vogelnester kamen. Mama Kongo kann köstlich kochen. Deshalb essen meistens alle Bewohner der Stadt bei ihr.

Eine der Heldinnen unserer Geschichte ist Eze. Sie ist die älteste Tochter von Mama Kongo. Eze ist 9 Jahre alt und heißt eigentlich Ezekiel Ngatambho. Eze ist neugierig. Sie will wissen, was Politik ist oder wie man Schokoladeneis macht. Wenn Mama Kongo keine Antwort weiß, fragt sie Herrn Pit. Außerdem mag sie Tiere. Sie kann pfeifen wie ein Vogel und Eichhörnchen fressen ihr aus der Hand.

Oma Gregor wohnt im nächsten Haus. Es ist ein ganz normales kleines Haus mit Veranda, Schaukelstuhl, einem Gemüsegarten, Gardinen und Blumen im Fenster. Sie hat einen dicken grauen Kater, genannt „Opa Kater“, der meistens schläft. Oma Gregor ist schon sehr alt. Sie vergisst viele Dinge, zum Beispiel, wo sie ihre Brille hingelegt hat. Manchmal hört sie auch etwas schlecht. Sie hält viel von gutem Benehmen und Höflichkeit. Aber sie macht auch allen Unsinn mit und benimmt sich manchmal gar nicht wie eine Oma. Oma Gregor heißt Gregor und nicht beispielsweise Gregorine, weil ihr verstorbener Mann, der Bürgermeister, Herr Gregor hieß.

Schräg gegenüber, unter den Baumkronen versteckt, wohnt Tim. Tim ist 16 Jahre alt. Er streift oft durch die verfallenen Teile der Stadt und sammelt nebenbei Früchte, Nüsse und Eier für Mama Kongo. Tims Haus ist kein ganzes Haus (wozu braucht ein Junge ein ganzes Haus?) sondern nur ein großer Dachboden. Er ist voll mit Kisten und Truhen und Staub. In diesen Kisten und Truhen finden sich die erstaunlichsten Dinge wie zum Beispiel ein Korb, der immer größer wird, je mehr man hineinlegt oder die Kuckucksnashornuhr, die jetzt in Mama Kongos Hütte hängt. Tim ist eines Tages einfach in die Stadt gekommen und geblieben. Er hat nie erzählt, woher er kommt und wo seine Eltern sind. Er will auchkeine Ersatzeltern. So lebt er für sich auf seinem Dachboden. Mama Kongo kocht für ihn und er geht bei Herrn Pit in die Lehre.

Herr Pit ist Erfinder. Herrn Pits Werkstatt liegt vor Tims Dachboden. Hinter der Werkstatt hat er ein kleines Haus zum Schlafen. Wenn er bei Mama Kongo zum Essen eingeladen ist, einkaufen geht oder bei sonstigen wichtigen Anlässen zieht er sich fein an. Er trägt dann einen schwarzen Hut, eine Krawatte und einen dunklen Anzug mit einem weißen Hemd. Bei der Arbeit hat er eine blaue Latzhose und ein kariertes Hemd an. Er redet nicht gerne und ist oft etwas steif und förmlich. Aber man kann ihn alles fragen und er ist immer bereit, zu helfen. Manchmal erfindet Herr Pit hilfreiche Sachen, wie sich selbst deckende Tische oder Krawattenbindemaschinen. Andere Erfindungen, wie die Grashalmzählmaschine, baut er wieder auseinander, weil keiner sie haben will. Wenn Herr Pit gerade nichts erfindet, spielt er gerne auf seiner Geige.

Damit kennt ihr alle Bewohner der Stadt, und es wird Zeit, die Ereignisse beginnen zu lassen.

2. Kapitel

In dem Eze abstürzt

Der Tag war sonnig und so friedlich, wie die meisten Tage in der Stadt der tausend Vogelnester.

Tim kam mit zwei Körben aus dem Wald hinter seinem Dachboden. Ein Korb war leer, im Anderen lagen vier große Eier mit roten und grünen Punkten. Neben seinem Dachboden saß Eze mit einem vergilbten Blatt Papier in der Hand. Sie zuckte zusammen, als hätte Tim sie bei etwas Verbotenem erwischt. Dann sah sie die Eier und klatsche in die Hände.

„Du hast Ostervogeleier gefunden. Die mag ich so gern!“

„Und was hast du gefunden?“, fragte Tim und zeigte auf das Papier in ihrer Hand.

„Oooch, nichts Besonderes.“

Schnell steckte sie das Papier in ihre Hosentasche.

„Kannst du mir einen Korb leihen? Ich will Nitzkis suchen.“

„Was sind denn Nitzkis?“, fragte Tim und gab ihr den leeren Korb.

„Das verrate ich nicht! Ich will euch überraschen!“, sagte Eze.

„Nun sag schon, was sind Nitzkis?“, beharrte Tim.

„Sag ich nicht!“ Sie streckte Tim ihre rosa Zunge heraus und lief schnell auf Oma Gregors Haus zu.

Tim schüttelte den Kopf. „Kleine Mädchen!“

Herr Pit saß in seiner Werkstatt vor einem großen weißen Blatt Papier und kaute am Ende eines Bleistifts. Er wollte ein Flugzeug erfinden, aber nicht so groß und nicht so laut. Es könnte auch irgendetwas anderes sein. Hauptsache, es würde fliegen und wäre nicht zu groß und zu laut. Als das Ende des Bleistifts schon ganz abgekaut war, beschloss er, dass es Zeit für eine Pause sei. Er nahm seinen Hut und ließ sich von seiner Krawattenbindemaschine eine Krawatte binden. In Gedanken beim Erfinden, zog er die Anzugjacke über das karierte Hemd. Auch die blaue Latzhose behielt er an. Unruhig ging er vor seiner Werkstatt auf und ab. Schließlich schlug er den Weg zu Mama Kongos Hütte ein. Er setzte sich auf einen Ast. Die Sonne schien durch die Baumwipfel, dass er blinzeln musste.

Mama Kongo kochte einen riesigen Topf Nudeln auf dem Holzfeuer und sang dabei.

„Klappt das Erfinden nicht oder hast du Hunger?“, fragte sie.

Dabei rührte sie so kräftig im Topf, dass der hölzerne Rührstab zerbrach.

„Kannst du nicht mal etwas Haltbares zum Umrühren erfinden?“

Herr Pit kaute nachdenklich an seiner Lippe.

„So einfach ist das Erfinden nicht.“

„Also klappt´s im Moment nicht“, meinte Mama Kongo lachend.

Über die Schulter rief sie: „Mach doch bitte mal einen Kakao Francine, die Nudeln sind gleich fertig.“

Das Kuckucksuhrnashorn nieste.

„Also, ich habe Hunger“, sagte Tim, der gerade dazugekommen war.

„Hast du Eze gesehen?“, fragte Mama Kongo.

„Ja, die ist Nitzkis suchen gegangen“, erwiderte Tim.

„Was?“, fragte Mama Kongo.

„Nitzkis!“

„Wenn die Frage gestattet ist, was sind Nitzkis?“, sagte Herr Pit.

„Das wollte sie mir nicht sagen“ antwortete Tim, „aber es muss etwas Besonderes sein und in einen Tragekorb passen. Eze tat sehr geheimnisvoll. Sie sagte, wir würden noch eine Überraschung erleben.“

„Was höre ich da, es gibt eine Überraschung? Gibt es heute die Nudeln mit Schokoladensoße? Und was ist mit Eze?“, tönte es aus dem Hintergrund.

„Verehrte Oma Gregor, Eze ist Nitzkis suchen gegangen. Wissen Sie vielleicht, was Nitzkis sind?“, antwortete Herr Pit höflich.

Oma Gregor schüttelte den Kopf.

„Ich kenne mich mit allem, was hier wächst, sehr gut aus, aber von Nitzkis habe ich noch nie gehört.“

Plötzlich gab es ein gewaltiges Krachen, Holz splitterte und ein lauter, ängstlicher Schrei ertönte.

„Das kam von Oma Gregors Gemüsegarten und hörte sich nach Eze an!“, rief Herr Pit entsetzt.

Tim und Mama Kongo liefen schon los.

„Hoffentlich ist Eze nichts passiert!“, sorgte sich Oma Gregor.

Zusammen mit den Ezes Schwestern liefen nun auch Oma Gregor und Herr Pit so schnell es ging den beiden nach.

Die Nudeln kochten weiter auf dem Feuer und die Vögel pickten ungestört Streusel vom Streuselkuchen für den Nachtisch.

Mama Kongo rief verzweifelt: „Eze! Eze!“, und stürmte voran in den Gemüsegarten. Hier klaffte in der Mitte ein großes Loch.

„Halt!“, schrie Tim „Das ist gefährlich! Du bist zu schwer! Das Holz kann einbrechen!“

Er wollte Mama Kongo festhalten.

Zu spät!

Es knarrte, Holz brach!

Mama Kongo fiel auf den Rücken. Der Boden neigte sich und sie rutschte langsam auf das Loch zu. Dabei zog es ihr das Kleid bis über den Kopf. Tim hatte sich schnell auf den Bauch geworfen und erwischte noch den letzten Zipfel von Mama Kongos Kleid.

Zum Glück war ihr Kleid aus selbst gewebtem Spinnenfadenstoff. Spinnennetze sind ja, wie man weiß, sehr reißfest.

Zum Glück brach auch der Boden nicht weiter ein, denn Tim war viel leichter als Mama Kongo und sein Gewicht verteilte sich im Liegen auf eine größere Fläche.

Zum Glück waren schließlich auch Oma Gregor, Herr Pit und Ezes Schwestern angekommen. Mama Kongos Gewicht hätte sonst auch Tim in den Abgrund gezogen.

Nun packten sie Tims Beine und zogen. Tim hielt Mama Kongos Kleid ganz fest. So wurde Tim, und mit ihm Mama Kongo ganz langsam wieder auf festen Boden gezogen. Mama Kongo schluchzte und rief weiter verzweifelt nach Eze.

Wie sollte man zu dem großen Loch kommen, ohne einzubrechen? War Eze dort unten? Lebte Eze überhaupt noch?

„Ich brauche ein Seil“, sagte Herr Pit, „Das binde ich an den Baum, und sehe ich nach, ob Eze in das Loch gefallen ist.“

„Nein, ich gehe! Ich bin leichter!“, sagte Tim entschlossen.

Oma Gregor holte schnell lange Seile und eine Taschenlampe. Ihr Haus war ja direkt nebenan. Als sie die Seile am Goldblattbaum festbinden wollte, sah sie neben dem Baum einen umgefallenen Korb und drei längliche Früchte liegen. Eine war angebissen.

„Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, dass dies die geheimnisvollen Nitzkis sind“, meinte Herr Pit, der nun auch zum Baum gekommen war.

Tim band sich das Seil um den Bauch. Er robbte vorsichtig auf das Loch zu. Es ging tief hinunter. In den Ästen und Zweigen unter ihm hingen Zwiebeln, Tomaten, Salat und Regenwürmer aus Oma Gregors abgestürztem Gemüsegarten. Tim leuchtete mit einer Taschenlampe hinunter. Aber von Eze war nichts zu sehen. Hoffentlich hatten die Bäume sie aufgefangen. Sie standen dort sehr dicht.

Laut rief er: „Eze! Eze!“, und horchte auf eine Antwort.

Ganz schwach und leise hörte er nun: „Hilfe! Hilfe!“

„Sie lebt!“, rief er.

Mama Kongo weinte vor Erleichterung. Auch Oma Gregor und Herr Pit atmeten auf.

Tim rief: „Noch ein Seil!“

Oma Gregor warf es ihm zu.

Er nahm die Taschenlampe zwischen die Zähne und kletterte vorsichtig herunter. Viele Meter musste er klettern, bis er Eze in einer Astgabel hängen sah.

„Dem Himmel sei Dank, dass du kommst“, sagte Eze kläglich.

„Wie geht es dir? Hast du dich verletzt?“, fragte Tim besorgt.

„Mein Bein tut weh. Ich glaube, es ist gebrochen.“

Tim sah sich das Bein an.

„Du Ärmste! Aber von außen ist nichts zu sehen“, sagte er. „Wir ziehen dich erst einmal hoch.“

Dann band er Eze ein Seil um.

„Ich bin aber furchtbar schwer jetzt“, sagte Eze verzweifelt. „Heb doch mal meinen Arm hoch.“

Tim versuchte es. Der Arm war so schwer wie eine Kiste voller Bücher.

„Donnerwetter, woher kommt denn das?“

„Das ist, - weil ich von dem Nitzki gegessen habe. Davon soll man ganz leicht werden und fliegen können, stand auf dem Papier. Aber ich bin ganz schwer geworden und vom Baum gefallen.“

Tim sah Eze ungläubig an. Aber er hatte ja gespürt, wie schwer ihr Arm jetzt war.

„Ihr könnt Eze hoch ziehen“, rief er nach oben. „Ein Bein tut ihr weh und sie ist sehr schwer. Aber sonst ist alles in Ordnung.“

Herr Pit und Oma Gregor zogen am Seil, aber es bewegte sich nichts.

„Du hast nicht zufällig den Baum mit angebunden?“, rief Oma Gregor.

„Nein!“, antwortete Tim von unten. „Eze ist so schwer geworden!“

Nun zogen alle gemeinsam mit voller Kraft am Seil. Es ging nur langsam voran, mit Pausen und Stöhnen. Tim kletterte hinter Eze an seinem Seil hoch und passte auf, dass sie nicht in den Zweigen hängenblieb. Endlich kam Eze auf der Plattform an. Mama Kongo schloss sie ganz fest in ihre Arme.

„Au, mein Bein!“, jammerte Eze und weinte ein bisschen an Mama Kongos großer Brust.

„Arme Eze!“, bedauerte Oma Gregor sie.

„Wie schaffen wir dich nur zu Mama Kongos Hütte? Zum Tragen bist du zu schwer.“

„Ich habe noch ein altes Kutschenbett aus Holz, damit können wir sie fahren.“

Tim lief zu seinem Dachboden und kam mit einem kleinen Himmelbett auf Rädern zurück. Vorne hatte es zwei Stangen, damit man ein Pferd dort einspannen konnte, aber in der Stadt der tausend Vogelnester gab es natürlich keine Pferde. Wie sollten sie auch die Treppe heraufkommen? Das Bett war voller Staub, wie alles von Tims Dachboden. Oma Gregor schüttelte das Bettzeug aus und mit vereinten Kräften legten sie Eze sanft in das Himmelbett. Dann tastete Oma Gregor vorsichtig das Bein ab.

„Glatter Durchbruch!“, entschied sie. „Du bekommst einen schönen Gipsverband und bald kannst du wieder herumtoben.“

Zärtlich streichelte sie über den schwarzen Lockenkopf.

3. Kapitel

In dem das Geheimnis der Nitzkis gelöst wird

Gemeinsam zogen sie Eze in ihrem Himmelbett zu Mama Kongos Hütte. Sie bekam ihren Gipsverband und heilende Salbe auf die vielen Schürfwunden. Das Bein tat zwar noch weh, aber es war schön, so verwöhnt zu werden. Nun wurde sie mit Fragen überstürmt.

„Was sind denn nun Nitzkis?“

„Möchtest du einen Kakao?“

„Warum bist du so schwer geworden?“

„Was für ein Zettel ist das, von dem du geredet hast?“

„Geht es dir jetzt besser?“

„Noch ein Stück Kuchen? Oder lieber Spagetti?“

„Nicht alle auf einmal – in meiner Hosentasche ist der Zettel“, murmelte Eze etwas undeutlich.

Sie hatte den Mund voll Streuselkuchen ohne Streusel.

Tim zog schnell das klein zusammengefaltete Papier aus ihrer Tasche.

„Was ist das für ein Schriftstück, was hat es damit auf sich?“, fragte Herr Pit.

Tim faltete den Zettel auseinander und las. Dann erklärte er. „Die Früchte neben dem Korb heißen Nitzkis. Ich habe sie schon gesehen, aber nicht für essbar oder sonst wie nützlich gehalten. Der Zettel ist ein altes Pergament, auf dem steht, dass man von Nitzkis ganz leicht wird und fliegen kann.“

„Na, leicht ist Eze nicht gerade geworden“, meinte Oma Gregor.

„Jetzt zeig uns endlich den Zettel!“, bettelte Francine.

Tim ließ sie etwas zappeln. Dann hielt er das Pergament hoch, damit alle es sehen konnten.

„Da fehlt doch ein Teil!“, stellte Oma Gregor fest. „Hast du nur dieses Blatt?“

Eze nickte.

„Wo hast du es gefunden?“, fragte Tim.

„Hinter deinem Haus in einem Baum zwischen den Ästen, aber mehr Seiten waren bestimmt nicht da. Ich hab gründlich gesucht.“

„Wir müssen noch einmal suchen. Das Geheimnis der Schwere wird sich vielleicht auf dem nächsten Blatt lüften“, sagte Herr Pit.

„Hast du auch auf meinem Dachboden gesucht?“ Tim hatte eine Idee.

„Nein, ich wollte ja nicht, dass ihr etwas mitbekommt von der Überraschung“, antwortete Eze.

„Na, dann werden wir mal suchen gehen“, sagte Oma Gregor.

Sonnenstrahlen schienen durch die Ritzen auf Tims Dachboden. Staub tanzte im Licht. Herr Pit hustete und schaute Tim missbilligend an. Wie konnte Tim nur in diesem Staub leben. Er selbst hielt seine Werkstatt immer blitzsauber.

Unzählige Kisten, Truhen und alte Koffer standen auf Tims Dachboden herum, manche bunt und andere braun vom Alter.

„Wenn wir die alle durchsehen wollen, brauchen wir Jahre!“, seufzte Oma Gregor.

„Dann lasst uns doch erst einmal nachdenken.“ Herr Pit wischte den Staub von einer grün karierten Kiste und setzte sich.

„Die Kisten, die Tim schon durchsucht hat, können wir uns sparen. Von den übrigen sollten wir zuerst die durchsehen, die direkt an der Wand stehen, wo Eze das Pergament gefunden hat.“

Tim stürzte sich sofort auf die erste Kiste. Staub wirbelte auf.

Eine Zeitlang sagte keiner etwas. Nur leises Husten und Rascheln beim Auspacken der Kisten war zu hören. Tim war begeistert. Kisten zu durchstöbern war für ihn das größte Vergnügen.

„Seht mal, ein Regenschirm!“, rief er.

„Ein Regenschirm ist doch nichts besonderes“, entgegnete Oma Gregor.

„Dieser schon!“ Tim klappte ihn auf.

Sofort begann es, aus dem Schirm zu regnen.

„Für wahr sehr ungewöhnlich! Aber wenn du so weitermachst, bist du morgen noch an der gleichen Kiste. Schließlich suchen wir ein Pergament.“ Herr Pit rief zur Ordnung.

„Du hast ja recht. Aber so in Eile macht es keinen Spaß.“ Widerstrebend fügte Tim sich.

Er versuchte, die vielen schönen Sachen zu übersehen und nur nach dem Pergament zu suchen. Sie hatten schon vier Kisten durchsucht, da nahm Tim die nächste herunter und sah etwas.

„Hier ist eine kaputte Truhe und hier liegt auch Papier herum!“

Oma Gregor und Herr Pit ließen ihre Kisten stehen und liefen zu Tim herüber. Gemeinsam zogen sie die Truhe hervor.

„Gehen wir zum Eingang, hier kann man ja vor lauter Staub nichts lesen.“ Herr Pit packte einen Stapel Papiere und ging voran.

Tim und Oma Gregor folgten. Es waren schöne Papiere dabei, mit geheimnisvollen Zeichnungen und Geschichten. Tim hätte sie am liebsten gleich gelesen. Aber jetzt suchten sie nur nach einem Pergament, das zum dem von Eze passte. Herr Pit fand es bei seinem Stapel. Er las vor.

„So, dann wollen wir Eze mal wieder leicht machen“, sagte Oma Gregor befriedigt.

Sie gingen hinüber zu Mama Kongos Hütte. Dann musste Eze so viel von dem dünnen Ende abbeißen, wie am dicken Ende fehlte. Kaum hatte sie es heruntergeschluckt, sah man schon, wie sich das tief eingedrückte Kopfkissen hob.

Dieser Erfolg wurde mit Kakao und zu lange gekochten Nudeln gefeiert.

Dann wollten Tim und Herr Pit und auch Oma Gregor das Fliegen ausprobieren. Zuerst knabberte Herr Pit am oberen Ende eines Nitzkis. Mit jedem Bissen wurde er ein wenig leichter. Erst schwebte er nur ein Handbreit über dem Sofa, dann auf der Höhe der Kuckucksnashornuhr. Aber dann wurde es schwierig mit dem Gleichgewicht. Herr Pit trudelte über ihren Köpfen und ruderte wild mit den Armen.

„Das Fliegen scheint nicht so einfach zu sein!“ Oma Gregor hielt sich den Bauch vor Lachen.

Herr Pit klammerte sich erschöpft an einem Dachbalken. Auch Tim knabberte an einem Nitzki und stieg langsam zu Herrn Pit auf. Oma Gregor nahm einen zu großen Bissen und stieß sich den Kopf an der Decke der Hütte.

Da es in der Hütte sehr eng war, setzten sie ihre Flugversuche auf dem Versammlungsplatz fort. Am besten ging das Fliegen, wenn man so tat, als wollte man schwimmen. Trotzdem stießen sie immer wieder irgendwo an und bekamen blaue Flecken. Bei Einbruch der Dämmerung hörten sie auf, denn Mama Kongo hatte ein afrikanisches Abendessen für alle vorbereitet. Mit einem Bissen vom dicken Ende des Nitzkis kamen sie schnell wieder auf den Boden.

Von nun an wurden Nitzkis gesucht und Fliegen lernen wurde zu einer Hauptbeschäftigung in der Stadt der tausend Vogelnester. Oma Gregor war besonders gut darin. Sie bewegte sich nur langsam und würdevoll, während Tim, Eze und ihre Schwestern herumtollten wie kleine Katzen. Selbst Mama Kongo erhob sich in die Lüfte. Sie sah aus wie ein großer bunter Luftballon. Aber Sie hatte keine Freude am Fliegen.

4. Kapitel

In dem ein Entschluss gefasst wird

Beim Üben blieb es nicht aus, dass jemand einen zu großen Bissen nahm und beim Landen hart aufkam. Bald hatte der Holzboden etliche Löcher und angebrochene Bretter. Man musste vorsichtig gehen und es knarrte an vielen Stellen. Die Bewohner der Stadt machten sich mit Nitzkis etwas leichter und es wurden Warnschilder an den gefährlichsten Orten aufgestellt.

Eines Tages bat Herr Pit alle Bewohner der Stadt auf den Versammlungsplatz zu kommen. Er wollte etwas Wichtiges besprechen. Alle kamen und waren sehr neugierig. Herr Pit stand auf und sofort wurde es still.

„Um direkt zur Sache zu kommen – wie ihr alle wisst, ist der Boden unserer Stadt morsch. Wir können uns mit den Nitzkis leichter machen, aber unsere Häuser nicht. Wir müssen uns jetzt dringend überlegen, wie wir unsere Stadt retten können. Unten im Wald ist es zu dunkel zum Leben.“

Er setzte sich wieder. Mama Kongos Töchter klatschten.

Oma Gregor wandte sich an Herrn Pit, „Haben Sie schon eine Idee? Sie sind doch unser bester Erfinder.“

„Nein“, Herr Pit schüttelte den Kopf. „Einen neuen Bretterboden können wir nicht bauen. Wir haben nicht so hartes Holz hier im Wald. Uns fehlen auch die Werkzeuge und Maschinen. Man braucht dazu außerdem mehr Leute als wir sind. Es soll ja lange Zeit halten.“

Alle saßen still da, den Kopf in die Hände gestützt, selbst die jüngsten von Mama Kongos Töchtern. Aber alles, was ihnen durch den Kopf ging, wie: Löcher zukleben, Beton über die Bretter, Luftballons darunter legen, war auf Dauer keine Lösung.

„Müssen wir umziehen? In die Stadt vor dem Wald?“, fragte Mama Kongo leise.