Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Mord im Schatten der Kriemhildmühle Wie jedes Jahr im Mai findet in der Nibelungenstadt Xanten das große mittelalterliche Siegfriedspektakel statt. Isa Bocholt – besser bekannt unter ihrem Künstlernamen "Die grüne Fee von Absinth" – will dort mit ihrer Band Manus Furis zwischen blühenden Bäumen und feuerspeienden Drachen die Marktbesucher unterhalten. Als sie einen kopflosen Leichnam im Zelt der Turnierreiter entdeckt und einer ihrer Freunde unvermittelt zum Tatverdächtigen wird, ist es aus mit der Idylle. Die grüne Fee beschließt, eigene Ermittlungen anzustellen – und stößt dabei nicht nur auf sture Dorfbullen und scharfe Schwerter, sondern auch auf Geheimnisse, die noch finsterer sind als das Mittelalter selbst. Isa bleiben nur drei Tage, um den Fall zu lösen. Was sie nicht weiß: Der Tote im Zelt war erst der Anfang …
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 486
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Von der Autorin bisher bei KBV erschienen:
Die grüne Fee und der kalte Tod
Nina Röttger wurde am Freitag, den 13. September 1991, in Troisdorf geboren und lebt auch heute noch dort. Nachdem sie Germanistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn studiert und sich dabei besonders auf mittelalterliche Literatur (und deren morbidere Aspekte) spezialisiert hat, schreibt sie nun an ihrer Doktorarbeit. Die grüne Fee und das rote Blut ist ihr zweiter Roman um die neugierige Gauklerin und Hobby-Detektivin Isa Bocholt.
Nina Röttger
Originalausgabe
© 2018 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim
www.kbv-verlag.de
E-Mail: [email protected]
Telefon: 0 65 93 - 998 96-0
Fax: 0 65 93 - 998 96-20
Umschlaggestaltung: Ralf Kramp
unter Verwendung von: © woverwolf - Fotolia.com
und © Henri Bibow
Lektorat: Nicola Härms, Rheinbach
Druck: CPI books, Ebner & Spiegel GmbH, Ulm
Printed in Germany
Print-ISBN 978-3-95441-414-7
E-Book-ISBN 978-3-95441-424-6
Für Talena, weil sie ein Herzfür im Laden herumlungernde Schreiberlinge hat.
Für meinen Verleger Ralf und meine Lektorin Nicola,weil sie dieses Abenteuer mit mir bestreiten.
Für Yanicka, weil ich Xanten ohne sievielleicht nie kennengelernt hätte.
Und für Pascha, dem einst das gleiche Schicksalwiderfuhr wie Isas Katze.
Werte Recken und holde Maiden, das Siegfriedspektakel in Xanten gibt es natürlich wirklich. Die Figuren in diesem Roman sind jedoch allesamt frei erfunden – sie haben nichts mit den echten Darstellern des Marktes zu tun.
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Epilog
Es war die dritte Leiche, die Isa Bocholt in ihrem Leben zu Gesicht bekam. Und mit Abstand die blutigste.
Die erste war ihr Onkel Konrad gewesen. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie als Neunjährige nach dem Trauergottesdienst heimlich zurück in die Kapelle geschlichen war, um einen Blick in den Sarg zu werfen, obwohl ihre Eltern es ihr verboten hatten. Die Neugier, wie wohl eine echte Leiche aussehen mochte, war einfach zu groß gewesen. Deshalb war sie in einem unbeobachteten Moment durch die Tür geschlüpft, wie hypnotisiert auf die mit Satin ausgekleidete Holzkiste zugegangen und hatte den leblosen Körper betrachtet, der einmal ein Oberstaatsanwalt mit fatalem Hang zu stinkenden Zigarren gewesen war.
Diese Leiche hatte ihr keine Angst gemacht. Wächserne Haut, nikotingelbe Finger, ein schlecht sitzender Anzug – der tote Onkel Konrad unterschied sich nicht sehr von der lebendigen Version, nicht einmal vom Geruch her. Aber tot war tot, und der Reiz des Unbekannten, des Verbotenen hatte Isa damals in seinen Bann geschlagen. Deshalb war sie in der Kapelle geblieben, obwohl ihr von dem Duft des Weihrauchs und der vielen Lilien fast schlecht geworden war, und hatte ihren kleinen Akt der Rebellion in vollen Zügen genossen. Zumindest bis ihre ältere Schwester sie schließlich erwischt und mit dem größten Vergnügen verpetzt hatte.
Die zweite Leiche war Isa vor nicht allzu langer Zeit in Gestalt eines ermordeten Schankwirts begegnet. Der Anblick des toten Oliver Katz, der in einem Pranger auf dem mittelalterlichen Weihnachtsmarkt zu Siegburg hing, hatte sich ihr nur so lange geboten, bis sie von ein paar ziemlich verärgerten Polizisten vom Tatort eskortiert worden war. Trotzdem hatten die blau gefrorenen Glieder und die offenen, blind ins Jenseits starrenden Augen des Mannes einen ziemlichen Eindruck hinterlassen. Er hatte ausgesehen wie eine erbärmlich schlechte Kopie seiner selbst, nicht gemacht aus lebendig warmem Fleisch und Knochen, sondern aus dünnem Porzellan und bereit, beim kleinsten Windhauch zu zerspringen. Doch selbst dieses unheimliche Bild hatte Isa nicht davon abhalten können, ihrer Neugier ein weiteres Mal nachzugeben. Die Stimme in ihrem Inneren, die sie jedes Mal an die Orte lockte, vor denen andere die Flucht ergriffen, hatte wieder einmal alle Bedenken übertönt. So wie damals, am Sarg ihres Onkels. Mit einem Unterschied: Am Ende hatte ihre Neugier sie fast selbst ins Grab gebracht und außerdem zu einem Mörder geführt.
Trotzdem bereute sie nichts.
Doch dieses Mal war es anders.
Dieses Mal überzog eine Gänsehaut ihren gesamten Körper, obwohl die Hitze des Tages das Zelt in eine Sauna verwandelt hatte. Es war dunkel; Feuerschein drang von außen durch die roten Stoffwände und warf unheimliche, tanzende Schemen auf die Gegenstände im Inneren: auf schwere Kisten und mit Fellen verhangene Holztruhen. Auf den Ständer mit den Schwertern und Lanzen, deren eiserne Klingen kalt und silbern schimmerten. Und auf das Gerüst, in dem die Spieße mit den falschen Menschenköpfen aus Plastik steckten, die die Ritter manchmal bei ihren Aufführungen benutzten, um das Publikum zu erschrecken.
Isas Herz hämmerte in ihrer Brust. Ihr Verstand hatte sich kurz dagegen gesträubt zu akzeptieren, was sie da im schwachen Lichtschein sah, doch dann hatte er mit einem mentalen Schrei des Entsetzens kapituliert. Die mittelalterliche Laterne, die sie am ausgestreckten Arm vor sich hielt und einfach nicht absenken konnte, zitterte leicht.
Nur zwei der Köpfe waren unecht.
Der dritte war aus Fleisch und Blut.
Als sie langsam den Blick senkte, entdeckte sie nicht nur den auf dem Bauch liegenden schlaffen Körper am Boden, sondern auch eine dunkelrot schimmernde Lache, in die sie aus Versehen getreten war. Mechanisch hob Isa einen Fuß und sah, wie das Blut glänzend von der Sohle ihres Schnabelschuhs herunterrann. Dunkler, zäher Lack, dessen Geruch nach rostigem Metall mit einem Mal das ganze Zelt erfüllte.
In diesem Augenblick bekam Isa es zum ersten Mal in ihrem Leben in Gegenwart einer Leiche mit der Angst zu tun. Was aber nicht an dem Toten lag, sondern an dem Mörder, der aus der Dunkelheit hinter den Truhen huschte und mit ausgestreckten Armen auf sie zukam.
DONNERSTAGZehn Stunden zuvor.Noch neunundfünfzig Stunden bis zum Tod.
Immer wieder schlug die Axt zu. Immer wieder fand sie mit einem hässlichen Knirschen ihr Ziel. Isa versuchte wegzusehen, doch sie konnte es nicht. Eine Stimme in ihrem Inneren schrie sie an, dass sie sich umdrehen und davonlaufen sollte – weit, weit fort –, doch ihr Körper war zu Stein erstarrt.
Hitze und Helligkeit machten das, was sich vor ihren Augen abspielte, nur noch unerträglicher. Erneut ließ der Mann die Axt mit einem Schwung nach unten sausen und lachte, als das Krachen ertönte. Eisen schimmerte im Licht der gleißenden Sonne, und Leinenstoff wurde nass. Färbte sich dunkelrot.
Als sich der Wind drehte, wurde der Geruch bis zu ihrem Versteck getragen, und Isa drehte sich der Magen um. Aber sie war zu dicht dran, als dass sie es wagen konnte, auch nur das leiseste Geräusch zu machen. Wenn sie das tat, würde er sie ganz sicher hören. Er würde wissen, dass sie ihn beobachtete. Und dann würde er die Axt nehmen, langsam auf sie zugehen und sich ihr in aller Ausführlichkeit widmen …
»Isa, was treibst du denn hier? Wir haben gleich einen Auftritt!«
Erschrocken riss die junge Gauklerin den Blick von dem schauderhaften Spektakel los, das sich vor ihr auf der Wiese abspielte.
Neben ihrem grün-schwarz gestreiften Zelt, in dessen Eingang sie gerade verharrte, stand Lena, ihre beste Freundin und Bandkollegin, und schaute sie fragend an.
»Schhh!«, machte Isa und zog Lena an ihrem Rock ein Stück zurück. »Sei leise oder willst du, dass mein neuer Nachbar uns hört und auf ein kleines Schwätzchen vorbeikommt?«
Mit diesen Worten zeigte sie auf den Mann, den sie die ganze Zeit beobachtet hatte. Keine zehn Meter von ihnen entfernt stand er mit freiem Oberkörper zwischen zwei Zelten und hackte Holz für das große Kochfeuer des Heerlagers. Auf seiner roten, viel zu engen Stoffhose breiteten sich großflächig dunkle Schweißflecken aus. Darüber quoll ein gigantischer käsebleicher Bauch aus dem Bund wie ein schottischer Haggis, den man in ein Kindersöckchen gestopft hatte, und schwabbelte rettungslos, wenn das Axtblatt einen Holzscheit traf und der Aufprall den ganzen Körper in Wallung brachte. Auf dem Kopf trug der behaarte Koloss eine speckige Bundhaube, unter der sein Hirn langsam von der Frühlingssonne gebraten wurde.
Lenas Augen weiteten sich entsetzt. »Iiih!«, machte sie. »Das ist ja eklig.«
Eigentlich hatte Isa ihr Zelt rechtzeitig für den Auftritt mit ihrer Band verlassen wollen. Zumindest rechtzeitig für ihre Verhältnisse, denn die junge Spielfrau mit den Dreadlocks, die unter dem Namen »die grüne Fee von Absinth« von Mittelaltermarkt zu Mittelaltermarkt zog, war nicht gerade für ihre Pünktlichkeit bekannt. Doch der Anblick, der sich ihr beim Zurückschlagen der Zeltplane geboten hatte, war einfach zu paradox gewesen, um ihn zu ignorieren: Zu ihrer Linken ragten die runden, gemauerten Eulentürme des Klever Tors ehrwürdig in den strahlend blauen Himmel über Xanten. Von diesem äußeren Teil des Doppel-Stadttors aus führte eine Steinbrücke, auf der sich Besucher in mittelalterlichen und neuzeitlichen Gewändern tummelten, zum zweiten, inneren Tor und zum Nord- und Westwall, die die Grenze zum Stadtkern markierten. Blühende Bäume standen davor, duftend und voller zwitschernder Vögel; das Heerlager, das sich nach rechts über die Wiese hin ausbreitete, sah prachtvoll aus mit all den weißen und bunten Zelten, den Feuerkörben, Wimpeln, Heuballen und geschäftigen Gestalten. Von der anderen Seite der Brücke, die das Gelände wie eine Schwertklinge in zwei Teile spaltete, ging ein geschäftiges Brummen aus. Der Markt des großen Siegfriedspektakels zu Xanten hatte zwar erst vor wenigen Stunden seine Pforten geöffnet, war allerdings schon gut besucht. Donnerstag. Christi Himmelfahrt. Der Beginn eines wundervoll langen, sonnigen und mittelalterlichen Wochenendes im Mai.
Und ausgerechnet vor dieser Kulisse, die Isa seit Jahren liebte, reckte eine Mischung aus Troll und Bierfass voll blindem Vertrauen in die eigene maskuline Ausstrahlung ihre pelzige Wampe in die Sonne. Gnädigerweise änderte der Wind in diesem Moment die Richtung, sodass der Körpergeruch des Axtschwingers, der ein ganzes Heer für Stunden hätte außer Gefecht setzen können, in Richtung Innenstadt davongetragen wurde.
»Wenn der Kerl abends rüberkommen sollte, um mich zu fragen, ob ich seinen Spießbraten probieren will, muss ich ihn vermutlich mit einer Silberkugel erlegen«, murmelte Isa, drehte sich um und fing an, im Inneren ihres Zelts nach ihrer Trommel zu suchen.
Lena – auch »die wilde Helena« genannt – kicherte, wurde aber schnell wieder ernst. »Apropos, du und die Männer.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und hob die Augenbrauen, ihre typische Körperhaltung bei Standpauken oder Krisengesprächen. Schnell versuchte Isa abzuschätzen, zu welcher Kategorie der nächste Satz gehören würde.
»Ich habe gesehen, wie du Lennox vorhin begrüßt hast.«
Die grüne Fee seufzte innerlich. Eindeutig eine – ach was, die Standpauke. »Und?«, fragte sie betont unschuldig.
»Nichts ›und‹. Ich wollte nur anmerken, dass wir seit nicht einmal vier Stunden in Xanten sind und du dir schon wieder einen neuen Kerl geangelt hast. Das ist neuer Rekord.«
Wenn sie nicht gewusst hätte, dass ihre beste Freundin es im Grunde gut mit ihr meinte, wäre Isa in diesem Moment vermutlich ziemlich beleidigt gewesen. Seit sie sich ein halbes Jahr zuvor auf dem mittelalterlichen Weihnachtsmarkt zu Siegburg als Hobbydetektivin betätigt und dabei ihren eigenen Freund als Mörder entlarvt hatte, war die grüne Fee zugegebenermaßen nicht besonders scharf darauf gewesen, sich wieder auf eine ernsthafte Beziehung einzulassen. Ihrer Meinung nach hatte sie nach Marek und der Nacht, in der er ihr ein Messer an die Kehle gehalten hatte, durchaus ein bisschen Spaß verdient. Lena sah das allerdings anders und schwadronierte bei jeder sich bietenden Gelegenheit über Verdrängung, Bindungsängste und andere, ähnlich furchterregende Fachbegriffe.
»Was spricht dagegen?«, fragte Isa und zog die Trommel und eine grüne Umhängetasche aus dem Chaos, das sie beim Auspacken im Zelt veranstaltet hatte. »Lennox ist süß.«
»Er verkauft an seinem Stand LARP-Waffen für einen Großunternehmer! Du kannst weder Schaumstoff-Schwerter noch diese Mittelalter-Kaufhausketten leiden!«
»Ja und? Er soll nur gut aussehen und nett sein, nicht für die nächsten sechzig Jahre unser gemeinsames Reihenhäuschen finanzieren. Sei nicht so spießig.«
Lena legte ihr eine Hand auf den Arm. »Isa, ich mache mir Sorgen um dich. Du bist ja mittlerweile fast so schlimm wie Alex.«
Wie aufs Stichwort ertönte von der Brücke her ein langgezogenes Tuten, das jeden hochnäsigen Engländer bis in die letzte Ahnenreihe schmerzen musste und über das gesamte Marktgelände schallte. Auf der brusthohen Mauer, die die erhöhte Brücke zwischen den Stadttoren zum Heerlager hin absicherte, stand ein großer, gut gebauter Kerl mit langem Haar und blies kräftig in einen Dudelsack. Alexander Grün alias Alec MacPipe vom Clan der MacPipes, selbsternannter Highlander und Frauenversteher, hatte an diesem heißen Tag ebenfalls auf sein Oberteil verzichtet und trug nichts weiter als einen rot karierten Kilt. Im Gegensatz zu dem axtschwingenden Werwolf stand ihm dieser Look aber, was ihm leider nur zu bewusst war. Breitbeinig wie ein Krieger kurz vor der Schlacht stand er da, wo ihn alle Maiden im Umkreis von einem Kilometer hören und sehen konnten, ließ den Ton langsam ausklingen und gab dann seinen beiden Bandkolleginnen mit einem auffordernden Winken zu verstehen, dass sie sich ein bisschen beeilen sollten. Dann grinste er, hüpfte von der Mauer zurück auf die Brücke und verschwand außer Sicht.
Isa schulterte ihre Tasche und tätschelte Lena beruhigend den Arm. »Wenn ich eines Tages auch oben ohne auf dieser Mauer stehe, um potenzielle Partner anzulocken, dann darfst du dir Sorgen machen. Vorher nicht.«
Die große Wiese, auf der das Siegfriedspektakel jedes Jahr seine Zelte aufschlägt, schmiegt sich an Xantens Nordwall wie ein Kätzchen an einen warmen Ofen. Sie erstreckt sich abseits der beschaulichen Innenstadt vom Klever Tor aus fast bis zu den Ausläufern des Archäologischen Parks.
Als die beiden Gauklerinnen die Mauern der Eulentürme umrundeten, wuselten bereits unzählige Besucher zwischen den verschiedenen Buden hin und her. Bärtige Metalheads schlürften Undefinierbares aus riesigen Trinkhörnern, während weißer Rauch unter der Zeltdecke des Hanffladen-Ladens hervorquoll und sich in den Himmel kringelte. Mütter schoben ihre Kinderwagen über den Kiesweg, der einmal längs über das ganze Marktgelände führte. Väter hielten den krakeelenden Nachwuchs davon ab, mit Holzschwertern unschuldige Passanten zu massakrieren. Am ersten Stand, an dem Lena und Isa vorbeikamen, versuchte eine Gruppe gewandeter Edeldamen kichernd, in Fett gebackene ungarische Langosch-Fladen zu essen, ohne sich die Samtroben mit Knoblauchsoße vollzukleckern. Bei den Eulentürmen hatte ein Händler seine Waren – Glasflaschen voll Met – in kleinen Holzkisten auf der Wiese verteilt. Die bauchigen Gefäße mit den langen Hälsen schimmerten im Sonnenlicht und enthielten praktisch alles von feurig scharfem Chili-Met bis hin zu giftgrünem Waldmeister-Met.
Zu beiden Seiten des Kieswegs blieben viele der Besucher neugierig stehen und bildeten eine Gasse, als das rhythmische Geläut einer Handglocke erklang. An der Spitze einer kleinen, dafür umso skurrileren Prozession ging ein Bader, der sich so scheußlich zurechtgeschminkt hatte, dass er aussah wie frisch von der Beulenpest befallen. Sein Gewand, eine monströse Robe mit Dutzenden von Taschen und scheinbar ein paar mehr Ärmeln als nötig, umwogte seine schmächtige Gestalt. Mit der einen Hand schwenkte er eine Glocke, während er in der anderen drei feingliedrig geschmiedete Ketten hielt. Diese führten zu ledernen Halsbändern an den Kehlen zweier junger Männer und einer jungen Frau. Allesamt steckten sie in kratzigen Leinenhemden, die bis knapp über die nackten Füße reichten, und während die beiden Jungs etwas verschämt grinsten, giggelte das Mädchen die ganze Zeit und unterhielt sich mit ihren vor Lachen kreischenden Freundinnen, die der Prozession am Rand des Weges hinterherliefen.
»Büßer! Frische Büßer!«, rief der Bader wichtigtuerisch und beäugte schelmisch die Zuschauer, während er vorbeimarschierte. »Na, möchte sich noch jemand anschließen und ein reinigendes Bad im kühlen Nass nehmen? Hm? Wie wäre es mit dem Weibsvolk vom Spielleutewagen? Wollt ihr euch nicht ein paar Sünden abwaschen und die Mannsbilder damit erfreuen? Natürlich nur zum Wohle des Herrn!«
Die grüne Fee rollte mit den Augen. Natürlich konnte der Anführer der kleinen Mittelalter-SM-Parade nicht an ihnen vorbeigehen, ohne einen seiner Sprüche loszulassen. Doch so gern es sich Isa auf Mittelaltermärkten in einem Badezuber gut gehen ließ – herrlich heißes Wasser, nette Menschen, Honigwein –, bei der Show, die der Bader veranstaltete, um das Marktvolk zu unterhalten und Kunden anzulocken, wollte sie ausnahmsweise einmal nicht im Mittelpunkt stehen. Manche Besucher fanden es unterhaltsam, sich auf Mittelaltermärkten probeweise in Pranger stecken zu lassen. In diesem Fall aber wurden die »Büßer« nach einem Rundgang über das ganze Gelände nacheinander am Badehaus gut sichtbar auf eine Art Schaukel aus grober Jute gesetzt, die über einem tiefen, gefüllten Zuber angebracht war. Dann betätigte der Bader einen Mechanismus, die Schaukel löste sich aus der Halterung, und unter dem Gelächter des Pöbels plumpste der Delinquent ins Wasser.
Vor der dem Marktgelände zugewandten Längsseite der Brücke hatten die Veranstalter ein Stück Wiese zum Tanzen freigelassen, weil sich direkt neben dem Stadttor die große Marktbühne befand. Und das feierwütige Volk, das sich bereits dort versammelt hatte, scharrte schon ungeduldig mit den Hufen.
»Komm, wir sind spät dran!« Ungeduldig zupfte Lena an Isas Bluse. Doch die hatte etwas entdeckt, nach dem sie schon seit ihrer Ankunft in Xanten Ausschau gehalten hatte, und vergaß mit einem Mal, warum sie sich eigentlich so abhetzten. »Guck mal, da ist Felix!«
Statt auf die Bühne lief Isa geradewegs am Met-Stand vorbei auf ein kleines, aus allen Nähten platzendes Marktzelt zu. Sie hörte, wie Lena entnervt aufseufzte, aber das kümmerte sie wenig. Bei Mittelalterfestivals wie dem Xantener Siegfriedspektakel konnte man vorher nie genau wissen, welche Händler und Musiker auftauchen würden und welche nicht. In einem Jahr entdeckte man nur ein paar bekannte Gesichter, während einem im nächsten ständig Leute um den Hals fielen wie alte Kriegskameraden, die man seit den Dschungeln Vietnams nicht mehr gesehen hatte. Deshalb musste man jede Gelegenheit nutzen, einen alten Freund zu begrüßen, fand Isa. Und Felix Falk, Herr über einen Stand mit Büchern, CDs und Filmen rund ums Mittelalter und außerdem absoluter Ober-Nerd, war ein solcher Freund.
Sein Zelt hatte blau-weiße Streifen und war im Inneren mit Plakaten verschiedener Mittelalterbands dekoriert. Inmitten all der Banner, Romane und magischen Silberscheiben mit Musik hockte ein junger Mann mit Brille und zerzaustem blonden Haarschopf. Als er die grüne Fee entdeckte, sprang er auf, stieß fast einen Aufsteller mit Zeitschriften um und wedelte aufgeregt mit einer CD. »Ich hab heute schon zehn davon verkauft! Und dabei seid ihr noch gar nicht aufgetreten!«, rief er ihr zu. Sein Grinsen war breiter als der Hintern einer alten Straßendirne.
Isa kannte das Cover der CD nur allzu gut. Ganz oben zierte der verschnörkelte Manus-Furis-Schriftzug das Bild. Darunter waren alle fünf Mitglieder der Band in einem finsteren Kerker zu sehen: Isa selbst mit ihren grünen Röcken und den Dreadlocks, Alex in seinem Schottenrock, Lena in einem gefährlich eng geschnürten Korsett, der schlaksige Kevin alias »Herr Ludger der Verderbte« und schließlich Valentin, der Bandleader, der sich wegen seines gefiederten Baretts und der Pluderhosen den Spitznamen »Graf Galgenstrick« gegeben hatte. Auf dem Bild holte er gerade mit einem Henkersbeil zum Schlag aus, während seine Freunde die Hand des protestierenden Scharfrichters auf einem Richtblock festhielten. Darunter prangte der Name des Opus: Diebeslohn. Es war das erste richtige Studioalbum der Band. Oder des Grafen Erstgeborener, wie Isa die Scheibe im Stillen nannte. Valentin hatte tatsächlich wie ein stolzer Vater ein paar Tränchen vergossen, als er die fertige CD zum ersten Mal in der Hand gehalten hatte. Aber auch sie selbst fühlte jedes Mal ein aufgeregtes Kribbeln im Bauch, wenn sie daran dachte, dass die Leute die Musik, die sie auf Mittelaltermärkten zum Besten gaben, jetzt auch zu Hause hören konnten.
Erfreut ging Isa auf Felix zu. »Die Leute hier wissen eben, was gut ist. Ein Glück, dass wir uns auf diesen Titel geeinigt haben. Kevin wollte das Album wegen des Covers ›Lieber arm dran als Arm ab‹ nennen, aber wir haben ihn am Ende doch noch überzeugen kö–« Als sie eben in den Stand schlüpfen wollte, um Felix zu umarmen, wurde sie von einem Kläffen unterbrochen und blieb erschrocken stehen. Eine kleine, braun-schwarze Kanonenkugel mit riesigen Ohren und einer wahnwitzig nassen Zunge schoss unter der Decke aus geschecktem Kuhfell hervor, die vom Tisch herabhing, und fiel ungefähr auf Kniehöhe über sie her.
»Verdammt!« Blitzschnell griff Felix nach einem Seil, das ans Halsband der Kanonenkugel geknotet war. Die versuchte derweil freudig wedelnd, Isas Beine hochzuspringen, und jaulte dabei laut vor sich hin.
»Darf ich vorstellen?«, keuchte Felix und deutete auf das quirlige Fellbündel. »Mein neuer Geschäftspartner.«
Isa betrachtete den kleinen Bluthund-Welpen, der mit seinen Pfötchen feine feuchte Abdrücke auf den grünen Stoffpartien ihres Rockes hinterließ. Er schien fast nur aus knuddeligen Fellfalten zu bestehen und bemühte sich redlich, zu heulen wie ein böser Wolf. Oder wenigstens wie ein richtiger Wachhund, allerdings mit mäßigem Erfolg. Vorsichtig ging sie in die Knie, was sofort zu einem Freudentanz und noch mehr Gejaule führte. Eigentlich mochte Isa Katzen lieber als Hunde, aber ihr Herz schmolz trotzdem schneller dahin als eine Kugel Pistazieneis auf einem Scheiterhaufen. Die kleine, raue Zunge kitzelte auf der nackten Haut an ihren Armen. »Hat dein Bodyguard auch einen Namen?«, fragte sie Felix.
Der nickte. »Er hört auf den Namen Sandor«, antwortete er und grinste erwartungsvoll.
Isa hob die Augenbrauen. »Sandor?«
»Jep.«
»Wie Sandor Clegane, der riesige, brutale Ritter mit dem verbrannten Gesicht aus Game of Thrones? Der auch ›der Bluthund‹ genannt wird?«
Felix nickte mit vor Stolz geschwellter Brust.
Spöttisch blickte Isa auf den Welpen hinab und kraulte den kleinen Kerl hinter den Ohren. »Du bist also ein Krieger, hm? Ein blutrünstiger, erbarmungsloser Schlächter, der mordend und plündernd durch die Lande zieht und seine Opfer tötet, ohne auch nur ein einziges Mal mit der Wimper zu zucken? Ja? Bist du das?«
Sandor hechelte sie an, warf sich auf den Rücken und präsentierte ihr seinen kleinen, pfirsichfarbenen Bauch. Dabei streckte er auffordernd die Vorderpfoten nach ihr aus. Isa kicherte. »Stimmt. Ein kaltblütiger Killer.«
Felix seufzte resigniert und ließ sich zurück auf seinen Schemel fallen. »Wir arbeiten noch daran.« Er wollte noch etwas hinzufügen, zuckte jedoch zusammen, als plötzlich ein durchdringender Pfiff ertönte. Sandor, der Schrecken von Xanten und Westeros, setzte sich abrupt auf und guckte verdutzt.
Isa drehte sich um. Vorne auf der Bühne stand Valentin und pfiff auf den Fingern nach ihr. Als er sah, dass sie ihn gehört hatte, deutete er auf eine imaginäre Armbanduhr an seinem Handgelenk. »Wer zu spät kommt, darf vom Publikum mit Kohl beworfen werden!«, schrie er über den Platz. Die anwesenden Zuschauer, die das Ganze mitverfolgten, lachten.
Felix sah die grüne Fee verschmitzt an. »Mir geht es gut. Aber ich glaube, du fliegst gleich aus der Band.«
Isa strich sich ungerührt eine ihrer Dreadlocks hinters Ohr. »Ach, das ist noch gar nichts. Kevin hat mal damit gedroht, mich an einem Seil hinter seinem Bus herzuschleifen, wenn ich noch einmal zu spät zur Abfahrt komme.«
Trotzdem wusste sie, dass sie ihre Kollegen und das Publikum nicht ewig warten lassen konnte. Deshalb schnappte sie sich ihre Trommel, bevor Sandor noch auf den Geschmack kam und den mit Rohhaut umwickelten Haltegriff anknabberte.
Felix runzelte nachdenklich die Stirn. »Kevins Bus … ist das dieses bunt angemalte Ungetüm mit dem schlechten Wortspiel auf der Motorhaube, das hinten auf dem Parkplatz steht? Der ›ExcaliBus‹?«
»Wie hast du das nur erraten? Seine Witze sind doch sonst so geschmackvoll und von hoher Qualität.«
»Och, war bloß so ein Gedanke … Sehen wir uns später noch?«
»Na klar!«, antwortete Isa, wirbelte herum, um flugs hinüber zur Bühne zu laufen – und sah plötzlich nur noch verbeultes Metall in der Sonne blitzen.
»Vorsicht!«
Eine große raue Hand schaffte es gerade noch so, sie mit überraschend sanftem Griff in der Senkrechten zu halten, andernfalls wäre sie rücklings in einen Stapel Mittelalter-Kochbücher gefallen. Isa taumelte ein Stück zurück, fand ihr Gleichgewicht aber schnell wieder und blickte auf. Direkt vor ihr stand, wie aus dem Nichts erschienen, ein fremder Ritter in voller Rüstung. Seinen Helm hatte er sich unter den Arm geklemmt, sodass man sein wettergegerbtes Gesicht und die schwarz-grau melierten Haare sehen konnte. Seine bernsteinfarbenen Augen funkelten belustigt.
»Alles in Ordnung?«, fragte er mit tiefer, sonorer Stimme.
Obwohl sie mit der Grazie eines einbeinigen Wikingers in ihn hineingerannt war und sich an seinem Harnisch fast eine blutige Nase geholt hatte, wollte sich Isa doch noch ein kleines bisschen Würde bewahren. Deshalb löste sie sich schnell aus seinem unterstützenden Griff, aber bevor sie etwas Schlagfertiges erwidern konnte, kam ein zweiter Ritter hinter dem ersten zum Vorschein. Und dessen dunkler Lockenkopf war der grünen Fee alles andere als fremd.
»Habt ihr euch etwa im Anschleichen geübt, Jasper?«, begrüßte sie Felix’ Freund sarkastisch. »Normalerweise hört man euch in der Plattenrüstung doch noch in drei Kilometer Entfernung scheppern.«
Jasper Straat, der bei den Turnieren auf dem Xantener Mittelaltermarkt den starken Prinz Siegfried spielte, verdrehte in gespielter Empörung die Augen. »Was, wir und scheppern? Wie kommst du denn darauf?« Er stellte sich vor seinen gerüsteten Kumpan, und die beiden Ritter sprangen sich gegenseitig krachend vor die Brust wie zwei Handballer nach einem Siegestreffer. Der fremde Schaukämpfer lachte dabei übermütig. Zuerst hatte er ruhig, beinahe ernst gewirkt, doch nun blitzte der Schalk in seinen Augen. »Ich schleiche, weil ich Jagd auf kleine Gauklerinnen mache. Hat sich das noch nicht herumgesprochen? Ich hab ja schon viel erlegt, aber so eine Spielfrau, die fehlt mir noch.« Selbstsicher legte er die Hand auf das Schwert an seiner Hüfte.
Wow, dachte Isa. Egal, was für eine Art Anmache das hatte werden sollen – sie war völlig in die Hose gegangen. Abschätzig hob sie die Augenbrauen. »Mein Lieber, so wie ich die Kerben in deinem Bettpfosten einschätze, hast du garantiert noch nicht viel erlegt.«
Mit Genugtuung sah sie, wie dem Ritter die Gesichtszüge entgleisten. Dann fing Jasper an zu lachen, und auch Bernsteinauge verzog den Mund zu einem Grinsen.
»Leg dich lieber nicht mit der grünen Fee von Absinth an, Dom. An dem Mundwerk sind schon ganz andere gescheitert.« Jasper ging zu Felix hinüber und gab ihm einen Kuss. Als ein paar Teenager vor dem Stand daraufhin komisch guckten, feuerte er einen seiner berühmten »Ja, der Ritter hat einen Kerl geküsst. Kommt nur her mit euren Fackeln und Forken, wenn’s euch nicht passt«-Blicke auf sie ab. Danach verkrümelten sie sich ziemlich schnell.
Der fremde Ritter namens Dom deutete eine Verbeugung an, was gut zu seinem leicht ergrauten Haar und dem eleganten, aber verwegenen Musketierbart passte. »Entschuldige. Das war wirklich nicht sehr ritterlich von mir. Ich bin zum ersten Mal hier dabei und spiele beim Turnier den Schurken. Vielleicht färbt die Rolle langsam ab«, brummte er. Dann hielt er der grünen Fee seine Hand hin. »Ich bin Dom. Also, eigentlich Dominik. Oder auch der schwarze Oswald von Worms.«
Dass er sich für seinen blöden Spruch entschuldigte, beeindruckte Isa. Die meisten Männer waren entweder eingeschnappt, polterten los wie wildgewordene Schimpansen oder jammerten herum, wenn sie ihre spitze Zunge zu spüren bekamen. Dass einer seine Niederlage eingestand, kam selten vor.
»Ich bin Isa«, erwiderte sie deshalb versöhnlich, ergriff seine Hand und schüttelte sie.
Die Innenseite seiner Finger fühlte sich rau und vernarbt an. Verheilte Schwielen vom stundenlangen Training mit Schwert und Schild, überlegte die grüne Fee im Stillen. Zu einer weiteren schlauen Vermutung kam sie allerdings nicht, weil plötzlich ein halbnackter Dudelsackspieler vor ihr auftauchte und ohne ein weiteres Wort seine Schulter in ihren Bauch schob. Im nächsten Moment verlor Isa auch schon den Boden unter den Füßen und keuchte erschrocken auf.
»Alex! Lass mich runter!«, rief sie, aber er schulterte sie einfach wie einen Hafersack und ließ sich auch nicht davon beeindrucken, dass sie ihm mit der Faust gegen den Rücken boxte. Unter ihr wippten Gras und Kilt hin und her, während er sie ohne viel Federlesens zur Bühne schleppte.
»Ich dachte, Mylady braucht eine deutlichere Aufforderung.« Isa konnte das fette Grinsen in seinem Gesicht zwar nicht sehen, aber sie wusste, dass es da war.
»Ist ja gut, ich hab’s verstanden! Ich bin spät dran! Jetzt lass mich runter!«, verlangte sie noch einmal und spürte, wie ihr Gesicht rot anlief, weil sie fast kopfüber hing und Pfiffe aus der Menge vor der Bühne kamen.
Der große Alec MacPipe vom Clan der MacPipes dachte allerdings gar nicht daran, sie loszulassen, sondern trabte seelenruhig weiter. Jedenfalls so lange, bis Isa eine Idee hatte, sich streckte und eine Handvoll karierten Stoff zu fassen bekam. »Lass mich sofort runter oder wir lüften das große Geheimnis, ob Schotten wirklich nichts unter ihren Röcken tragen!«
Abrupt blieb er stehen, hielt ihre Beine aber noch immer mit einem Arm umschlungen. »Das traust du dich nicht.«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher – he, Finger weg!«
Durch das Gejohle der Zuschauer hörte Isa den schwarzen Oswald von Worms und Siegfried von Xanten miteinander schachern.
»Fünf Euro auf den Dudelsackspieler.«
»Ha! Die Wette gilt.«
Der straffe Zeitplan, der die einzelnen Auftritte der Bands, Gaukler und Schaukämpfer auf dem Siegfriedspektakel regelte, erlaubte Isa und ihren Freunden danach eine zweistündige Pause bis zum nächsten Konzert. Damit blieb ihnen gerade genug Zeit für ein paar Vorbereitungen, den ein oder anderen Besuch und, in Isas Fall, für ein längst überfälliges zweites Frühstück.
Die Frühlingssonne brannte immer noch ungewöhnlich heiß vom Himmel. Kurz überlegte die grüne Fee, dass sie mit ihrer schulterfreien Bluse wahrscheinlich einen Sonnenbrand riskierte, aber im Grunde kümmerte sie das wenig. Zu sehr genoss sie das Gefühl von warmem Kies unter ihren nackten Füßen, während sie, die Schnabelschuhe in der einen Hand, eine Portion Spanferkel vom Spieß in der anderen, an Verkaufsständen mit indischen Gewürzen, Langbögen und Silberschmuck vorbeischlenderte. Als sie bei der großen Turnierbahn ankam, waren die Ränge zu beiden Seiten des Platzes bereits voll besetzt. Martialische Mittelaltermusik drang aus Lautsprechern, und an den Absperrseilen bewegten sich bunte Wimpel träge im Wind. Die Atmosphäre fühlte sich aufgeheizt an, beinahe elektrisiert. Nur noch wenige Minuten, dann würden zum ersten Mal in diesem Jahr Lanzen brechen und Schwerter klirren. Knappen in Rüstungen und Wappenröcken liefen zwischen zwei Zelten hin und her, holten Waffen und schafften Requisiten herbei.
»Deine Ähnlichkeit mit einem Hobbit beschränkt sich wirklich nicht nur auf deine Größe«, stichelte Lena, die nahe der Absperrung auf sie wartete. Anklagend zeigte sie auf das Stück Spießbraten, in das ihre Freundin gerade herzhaft hineinbeißen wollte. »Wie kann eine dermaßen kleine Person nur so viel essen?«
Isa streckte ihr die Zunge heraus und schob sich geschickt durch eine Lücke zwischen zwei Tempelrittern, bis sie freie Sicht auf die Turnierbahn hatte. Dort ließ sie ihre Tasche zu Boden fallen. »Das ist Arbeitsteilung. Ich esse, und du bildest dir ein, schon allein vom Anblick zuzunehmen.«
»Ich habe zugenommen! Da und da!« Entrüstet zeigte Lena auf ihren Bauch und auf ihr Kinn, wo scheinbar irgendetwas Imaginäres schwabbeln sollte. Isa rollte mit den Augen und vertiefte sich wieder in das köstliche tote Tier auf ihrem Brot. »Lena, wenn du nicht damit aufhörst, kriegst du zum Geburtstag einen Exorzismus.«
Hinter ihnen gluckste es plötzlich vergnügt.
»Jedes Jahr dasselbe mit euch beiden … wie die kleinen Kinder. Nur mit größeren Komplexen.« Ein Wanderstab schob sich zwischen den Templern hindurch, und Walburga vom See, ein Urgestein der Mittelalter-Szene, bahnte sich majestätisch einen Weg durch den gerüsteten Pöbel.
So manche alte Dame strickt hässliche Pullover für ihre Enkel, belauert hinter der Gardine ihre Nachbarn und verströmt diesen typischen Geruch, der nach Katzenfutter, staubigen Platzdeckchen und Gevatter Tods ungelüfteter Kutte duftet. Walburga dagegen war eine kugelrunde, herzensgute, aber auch exzentrische Lady, deren knallharter Geschäftssinn schon so manchen konkurrierenden Zünftler zum Heulen gebracht hatte. Gerüchten zufolge war sie schon mit Burgfräulein-Hüten, geflochtenen Jungfernkränzen und anderen Klein-Mädchenträumen auf Mittelaltermärkten unterwegs gewesen, als gerade die ersten Kreuzzüge zu Ende gingen; Isa jedenfalls konnte sich an kein Siegfriedspektakel ohne Walburgas kleine Bude mit den Korkenzieher-Haselzweigen an den Zeltpfosten erinnern. Sie mochte ihre raue, aber herzensgute Art.
»Das sind keine Komplexe«, murrte Lena und zupfte an dem Tuch, das sie sich über dem Rock um die Hüften gebunden hatte. »Das sind schwerwiegende Fakten.«
Die grüne Fee knuffte sie freundschaftlich in die Seite. »Eher eine schwerwiegende Meise, würde ich sagen.«
Walburga paffte eine Pfeife mit langem gebogenen Stiel und umhüllte ihren spitzen Filzhut mit einer Wolke aus duftendem weißen Rauch. »Hört jetzt auf euch zu zanken. Ich will mir in Ruhe die starken Kerle ansehen, und da schnattert ihr mir nicht dazwischen. Heute Morgen haben mir schon zwei von den hübschen Knappen beim Aufbauen geholfen … ein paar Sachen hätte ich wirklich selbst geschafft, aber wer kann zu so was schon Nein sagen, hm?«
Ausnahmsweise hörte Isa wirklich mit der Stichelei auf. Versonnen betrachtete sie stattdessen Walburgas schwarzen Wanderstock, dessen Spitze ein geschnitzter Rabenschädel zierte. »Toller Stab.«
Liebevoll tätschelte die Händlerin den Schnabel mit ihren dick beringten Fingern. »Danke, Schätzchen. Gehhilfen und Pillendöschen sind was für alte Schachteln. Ich brauche ein bisschen mehr Extravaganz.« Mit einem kräftigen Ruck bohrte sie das Ende des Stabs in die trockene Erde. Der Ritter neben ihr reagierte entsprechend und rückte stumm ein wenig ab, damit sie besser sehen konnte.
Plötzlich verstummte die stampfende Musik, und aus den Lautsprechern ertönte eine Fanfare. Fast augenblicklich wurde es still im Publikum.
Eingequetscht zwischen Lena, der voluminösen Walburga und einem Templer mit einem Topfhelm auf dem Kopf ließ Isa den Blick über die Menge schweifen. Offenbar hatten viele Händler und Darsteller beschlossen, dem ersten Turnier des Jahres einen kurzen Besuch abzustatten. Auf der anderen Seite des Platzes, nahe der beiden Zelte, entdeckte sie die rothaarige Emmy, die vorn auf dem Marktplatz mit ihrem Ehemann Thorbjörn die kleine Langosch-Bude unterhielt. Ein junger Knilch mit blonder Wallemähne und einem schwarzen Schnürhemd ohne Ärmel, auf dessen Rückenpartie ein roter Drache prangte, schien ohne Pause auf sie einzureden. Isa überkam Mitleid, als sie erkannte, dass es Kris war, der nervige und wenig heiße Kollege des wiederum ziemlich heißen LARP-Waffen-Verkäufers Lennox.
Neben dem ungleichen Paar stand eine Gruppe Leute mit einheitlichen weißen Hemden, schwarzen Kopftüchern und dicken schwarzen Lederbeuteln an den Gürteln. Isa kannte zwar ihre Gesichter nicht, aber sie wusste trotzdem, wer sie waren: Verkäufer vom »Sau am Spieß«-Stand, an dem sie ihr Essen organisiert hatte. Dort versorgte ein gutes Dutzend dieser Gestalten die hungrigen Gäste, und alle trugen die gleiche Gewandung.
Nachdem die Fanfare für Ruhe gesorgt hatte, wurde die Wand des roten Turnierzelts mit Schwung zurückgeschlagen und heraus kam Gerrick, der Herold und Moderator der Show. Die Größe seines Backenbartes wurde im Allgemeinen nur noch von der seines Egos übertroffen.
»Ich begrüße das Xantener Volk zu unserem großen Turnier!«, rief er, wobei seine Stimme durch das Mikro an seinem Ohr um ein Vielfaches verstärkt wurde. So konnten ihn nicht nur die Zuschauer in der letzten Reihe, sondern vermutlich auch noch die toten Römer im Boden unter der Stadt hören.
»Heute werden vier edle Kämpen um eine Auszeichnung fechten, wie es sie noch nie zu erringen galt in dieser schönen Stadt!« Salbungsvoll schritt Gerrick bis zur Mitte der Turnierbahn, wobei die Fasanenfeder an seinem Hut auf und ab wippte. »Unser junger Prinz, der prächtige Siegfried von Xanten, wurde auf das Niederträchtigste herausgefordert und hat deswegen einen Schatz aus seinen eigenen Besitztümern als Preis ausgelobt. Ihr Recken, verbeugt euch tief und Mägdlein, macht einen ordentlichen Knicks – begrüßt mit mir seine Majestät, Prinz Siegfried von Xanten!«
Erneut erklang die Fanfare und Applaus brandete auf, als Jasper auf einem Schimmel zwischen den beiden Turnierzelten hindurchpreschte. Seine dunklen Locken wehten im Wind, während er einmal die gesamte Turnierbahn abritt und das Pferd schließlich direkt neben Gerrick steigen ließ. Ganz locker, so als sei es die leichteste Übung von der Welt, sich bei so einem Manöver in Kettenhemd und Rüstung im Sattel zu halten, winkte er ins Publikum.
Lena lehnte sich zu Isa hinüber. »Ich habe gehört, dass Jasper und seine Truppe dieses Jahr auch eine Frau dabeihaben«, rief sie ihr über den Lärm hinweg ins Ohr, während die beiden applaudierten.
Das war der grünen Fee neu. Neugierig sah sie zu den beiden Turnierzelten hinüber, vor denen ein großes Gerüst mit verschiedenen Lanzen stand. Davor lehnten nebeneinander vier bunt bemalte Schilde mit den Wappen der kämpfenden Ritter. Jaspers Schild war der erste in der Reihe. Er zeigte einen Falken auf blauem Grund. Isa musste daran zurückdenken, wie der junge Holländer ihr vor Jahren erklärt hatte, dass der Falke für ihn nicht nur das klassische Symbol Siegfrieds aus dem Nibelungenlied war, sondern auch für Felix und seinen Nachnamen Falk stand. Schon damals fand sie diese Geste ziemlich süß, und Isa fragte sich gerne, was ihre eigenen Eltern wohl zu dieser versteckten Liebeserklärung gesagt hätten. Beide waren Professoren für mittelalterliche Literatur und so erzkonservativ, dass sie bei der Erkenntnis, dass Siegfried nicht Kriemhild, sondern den Nerd drei Zelte weiter liebte, wahrscheinlich kreischend zu Staub zerfallen wären wie Vampire im Sonnenlicht.
Der zweite Schild war schwarz und mit verbeulten Metallbeschlägen versehen. In der Mitte prangte ein grimmig aussehender Wolfskopf. Der schwarze Oswald von Worms … Das musste Doms Wappen sein. Ein für einen Bösewicht mehr als passender Schild, das musste man ihm lassen. Daneben lehnte der gelbe Schild mit dem aufgemalten Pfeil von Jaspers Kumpel Sagi, doch das vierte Motiv am Ende der Reihe sagte Isa nichts. Es war eine weiße Rose auf eisengrauem Grund. Kriegerisch, aber feminin. Vielleicht hatte Lena ja recht.
Inzwischen hatte sich Jasper aus dem Sattel geschwungen und stand neben Gerrick, der mit großen Gesten weiterdeklamierte. »Sperrt Ohren auf! Prinz Siegfried bietet demjenigen, der heute als Sieger aus dem Turnier hervorgeht, sein Wunderschwert Balmung als Lohn. Ja, ganz recht, verehrtes Publikum. Mit dieser unzerstörbaren Klinge wurden nicht nur Hunderte und Aberhunderte Gegner gerichtet, nein, auch einen großen, Feuer speienden Drachen hat der heldenhafte Siegfried damit erschlagen. Mein Prinz, wenn ich bitten darf: Zeigt Euer Schwert!«
Die Zuschauer applaudierten, als Jasper einen wunderschön gearbeiteten Anderthalbhänder aus der Scheide zog. Blitzend glitt das Sonnenlicht über die messerscharfen Kanten der Klinge, tanzte über die stählerne Blutrinne und blieb schließlich funkelnd am Schwertknauf hängen. Der Griff war mit dunklem Leder umwickelt und der Knauf wie ein Drachenkopf geformt, dessen grüne Edelsteinaugen selbst auf die Entfernung noch geheimnisvoll zu glitzern schienen. Isa hörte, wie einer der Templer neben ihr anerkennend durch die Zähne pfiff.
Jasper übergab die Zügel seines Schimmels an Gerrick und lief einen kleinen Kreis ab, während er das Schwert in die Höhe hielt, sodass es jeder im Publikum sehen konnte. Dabei setzte die Dudelsackmusik aus den Lautsprechern leise wieder ein. Sie vermischte sich mit dem Klirren von Jaspers Rüstung und dem Summen, das nur über hundert Menschen erzeugen können, die gespannt darauf warten zu sehen, wie andere Leute sich endlich die Schädel spalten. Isa war sich sicher – wenn Gerrick die Zuschauer in diesem Moment aufgefordert hätte, zu den Waffen zu greifen und sich unter Jaspers Befehl den Armeen Mordors entgegenzustellen, hätte es kaum jemanden auf dem Sitz gehalten.
Als Jasper auch an ihnen vorbeikam, zwinkerte er den drei Frauen zu, bevor er, das Schwert mit dem DrachenkopfKnauf weiterhin in der hoch erhobenen linken Hand, in sein Headset sprach. »Ich habe diese Waffe dem König der Nibelungen abgenommen!« Breitbeinig blieb er in der Mitte der Bahn stehen. Direkt neben dem Tilt – der hölzernen Schranke, die die aufeinander zureitenden Ritter bei Turnieren voneinander trennt – war eine aus Pflöcken, Sandsäcken und Rüstungsteilen zusammengebastelte Ritterfigur aufgebaut. Die Musik wurde lauter, doch Jasper übertönte sie noch immer mühelos. »Balmung wurde aus dem stärksten Stahl geschmiedet und durchdringt die Rüstung eines jeden Mannes, der sich mir in den Weg stellt. Seht selbst!«
Der junge Kämpfer packte den Griff des Schwerts mit beiden Händen, holte aus und schlug der Figur mit einem einzigen kraftvollen Hieb einen der Holzarme ab. Den Schwung ausnutzend, wirbelte er einmal um die eigene Achse, hackte den zweiten Arm mit einem eleganten Schlag von unten ab und ließ die Klinge dann herunter auf den Brustpanzer sausen. Balmung schnitt durch die eiserne Rüstung, als bestünde sie aus Esspapier. Funken flogen, als Metall auf Metall traf, und der Panzer fiel scheppernd in das zertrampelte Gras, sauber in zwei Hälften geteilt. Einen Herzschlag lang verharrte das Publikum in ungläubigem Erstaunen. Dann jubelte die Menge lauter als bei einer geglückten Hinrichtung.
Isa applaudierte auch, obwohl sie den Trick hinter dem Kunststück kannte. Weder war Jaspers Schwert wirklich magisch noch war der Harnisch ein richtiger Harnisch. Jasper und Gerrick hatten vor Jahren mit einer befreundeten Bühnenzauberin aus Maastricht herumexperimentiert und schließlich diese kleine Nummer entwickelt, bei der die angebliche Wunderklinge den dünn gearbeiteten Brustpanzer an einer unsichtbaren Bruchstelle zerteilte. Ein wenig Pyrotechnik lenkte die Zuschauer dabei von dem ab, was sie nicht sehen sollten, sodass sie im entscheidenden Moment nur das vor Augen hatten, was sie sehen wollten. Einfach, aber wirkungsvoll.
»Und wegen dieser sagenumwobenen Klinge«, rief Gerrick über die Musik und den Applaus hinweg, »veranstalten wir heute dieses schöne Turnier. Denn vor einiger Zeit hat ein Ritter bei Hofe deswegen einen Streit vom Zaun gebrochen und behauptet, dass der Prinz jeden Kampf, den er bisher ausgefochten hat, nur wegen der Zauberkräfte seines Schwerts gewonnen habe! Um diese freche Behauptung zu widerlegen, wurde für das heutige Turnier eine besondere Regel aufgestellt: Ich werde Balmung in Verwahrung nehmen. Kann unser Prinz beweisen, dass er auch ohne sein Kleinod den Sieg zu erringen vermag, erhält er es zurück; unterliegt Siegfried aber, erhält sein Gegner den Preis. Und diesen Preis, da bin ich sicher, will vor allem der Mann für sich gewinnen, dessen Beleidigung der Stein des Anstoßes war. Begrüßt einen entfernten Verwandten des finsteren Hagen von Tronje: Hier kommt der schwarze Oswald von Worms!«
Gerrick hatte die Worte kaum in sein Mikro gesprochen, als Dom auch schon auf einem pechschwarzen Hengst zwischen den Zelten hindurchflog. Obwohl sie wusste, dass alles nur Show war, erschrak Isa doch ein wenig, als er in vollem Galopp mit einem Morgenstern ausholte und nach Jasper schlug, der sich erst im letzten Moment wegduckte.
»Na na, edle Herren!«, rief Gerrick und stellte sich mit ausgebreiteten Armen zwischen Siegfried und den schwarzen Ritter, der sein Pferd wendete und auf der Stelle tänzeln ließ. »Spart euch eure Kräfte, denn es kommen noch zwei weitere Kämpfer, die es auf die Trophäe abgesehen haben. Und einer von ihnen ist zufällig der beste Bogenschütze der Gegend: Rudolf vom Dämmerwald!«
Die grüne Fee hatte keine Ahnung, wie Sagi eigentlich wirklich hieß. Von Beginn an kannte sie ihn nur unter seinem Spitznamen, der sich von »Sagittarius«, dem lateinischen Wort für Schütze, ableitete. Und den hatte er sich verdient, wie er wieder einmal unter Beweis stellte. Mindestens so schnell wie Dom ritt er auf die Turnierbahn, doch anstelle eines Morgensterns hielt er einen Bogen in der Hand. Er war leichter gerüstet und trug mehr dickes Leder als Metall unter dem gelben Wappenrock. Ohne langsamer zu werden, preschte er am Tilt entlang, griff über die Schulter nach einem Pfeil aus seinem Köcher und jagte das gefiederte Geschoss in einen hölzernen Eber, der direkt neben der kaputt geschlagenen Ritter-Figur stand. Das schaffte er ganze fünfmal, bevor er am anderen Ende der Bahn ankam, wobei er sich für die letzten beiden Schüsse auf dem Pferd gefährlich weit nach hinten lehnen musste. Danach verbeugte er sich im Sattel und sonnte sich in dem aufbrandenden Applaus.
Wie einige andere Darsteller, die in Xanten, einer Stadt in der Nähe der Grenze, auftraten, kam auch Sagi aus den Niederlanden. Obwohl er mit der Weisheit und Unverblümtheit eines angriffslustigen Sechzigjährigen gesegnet war, hatte er in Wahrheit gerade einmal zweiundzwanzig Sommer erlebt, wirkte wegen der Aknenarben auf Stirn und Wangen aber wie sechzehn. Dass er es deshalb umso mehr genoss, wenn die Leute ihn wegen seiner Schießkünste feierten, fand Isa nur gerecht.
Vielleicht geht es uns ja allen irgendwo darum, dachte sie in einem Anflug von Melancholie: um Anerkennung. Sagi mit dem Pizzagesicht, Jasper, der schwule Krieger, Lena, das Blondchen – und die grüne Fee, die kaum über einen Tavernentresen gucken kann. Und was sind wir trotz alledem geworden? Rampensäue. Selbstbewusste Narren im Gaukelspiel des Lebens.
Als sie den letzten Reiter zwischen den Zelten entdeckte, erkannte Isa, dass ihre innere Philosophin bei dieser Überlegung eine wichtige Figur vergessen hatte: die feine Dame, die ihrem Gatten die Rüstung klaut, ihm zum Abschied Bibel und Spitzenhäubchen um die Ohren schlägt und ins ferne Abenteuer reitet, um Kerlen die Ärsche aufzureißen.
Gerrick hatte inzwischen Jaspers Waffe an sich genommen. »Aber sagt mal, Prinz Siegfried: Ihr habt vorhin behauptet, dass Euer Schwert die Rüstung eines jeden Mannes durchdringen könne, der sich Euch in den Weg stellt, richtig?« Als Jasper nickte, kratzte sich der Herold scheinbar nachdenklich am Bart. »Nun, dann würdet Ihr der Person, die ich nun ankündigen darf, damit wohl nicht beikommen. Denn der vierte und letzte Kämpfer, und ich wage kaum, diese unerhörte Tatsache laut auszusprechen – ist gar kein Mann! Sehet und staunet: Aus dem kalten Norden kommt hier die starke und schöne Aslaug von Dänemark!«
»Siehst du?«, rief Lena, während sie applaudierte.
Eine junge, ziemlich große Frau in einer silbern schimmernden Rüstung ritt auf einem zweiten Schimmel auf den Platz. Ihr hellbraunes Haar war zu einem Zopf geflochten, der fast bis auf den Sattel hing. Die Armpartien ihres Panzers zierten nordische Symbole, die das Metall in der Sonne zum Funkeln brachten. Ein Raunen ging durch die Menge, und Isa bemerkte vergnügt, wie einem Templer an ihrer Seite der blöde Spruch, den er der Kämpferin wohl hatte zurufen wollen, beim Anblick ihres Schwerts und ihrer grimmigen Miene im Hals stecken blieb.
»Gut, dass Alex nicht hier ist«, spottete sie. »Bei diesem Traum in Eisen würde er wahrscheinlich sofort in Ohnmacht fallen.«
Alle vier Reiter lenkten ihre Pferde zu dem Ende der Turnierbahn, an dem Isa und ihre Freunde standen. Die Tiere schnaubten und schlugen mit den Schweifen, während sie in eine Reihe dirigiert wurden. Ihre Hufe stampften den Duft von zertrampeltem Gras aus dem Boden. Dann erklang zum letzten Mal das Scheppern der Fanfaren aus den Lautsprechern. Gerrick breitete die Arme aus wie Kate Winslet am Bug der Titanic, nur bärtiger. »Lasst das Turnier beginnen!«
Was dann folgte, war ein einziges furioses Spektakel. Lanzen splitterten, und Schwerter tanzten wilde, verschlungene Tänze miteinander, während die Zuschauer jubelten und Kinder so laut kreischten, dass es jeden Drachen im Umkreis von zehn Kilometern aus dem Schlaf gerissen hätte.
Die junge Kriegerin mit dem Zopf fegte Sagi geradezu vom Feld und entschied das erste Lanzenstechen damit für sich. Doch nach den übrigen Tjosten standen sich im finalen Kampf – wie hätte es anders sein können – Jasper und Dom gegenüber. Siegfried von Xanten musste gegen seinen schurkischen Widersacher antreten.
Beide Reiter stellten sich an den gegenüberliegenden Enden der Bahn in Positur. Der Rappe tänzelte bei den Zelten hin und her, während sich der Schimmel dicht bei Isa unter seiner gescheckten Couverture schüttelte. Für den Tjost hatten die Ritter Helme aufgesetzt, um ihre Köpfe zu schützen. Jaspers blank polierter Stahl funkelte bei jeder Bewegung, während das schwarz brünierte Metall von Doms Rüstung nur ab und zu schwach einen Sonnenstrahl zurückwarf. Über das Publikum senkte sich angespannte Stille, denn jeder wollte sehen, wie der Held den Bösewicht in seine Schranken wies.
Gerrick hob die Hand. Als er sie nach unten fallen ließ, ritten die Kämpfer los.
Beschlagene Hufe knallten auf den Boden, als ein schwarzer und ein blau-weißer Blitz am Tilt entlang aufeinander zuschossen und dabei die Lanzen absenkten. Einen Herzschlag später ertönte ein Krachen, und Jasper schleuderte Dom mit seiner Waffe aus dem Sattel.
Alle applaudierten frenetisch.
Nur Isa nicht.
Vielleicht lag es daran, dass sie kleiner war als viele Zuschauer und das, was passierte, deshalb aus einem anderen Blickwinkel beobachten konnte. Vielleicht war es aber auch ihr verdrehter Verstand, der von jeder Ungereimtheit angezogen wurde wie die Motte vom Licht. Er ließ sie bestimmte Dinge wahrnehmen, während andere lachten und nicht wussten, dass direkt vor ihren Augen etwas Schlimmes geschah.
Isa hatte keine Ahnung, warum ausgerechnet sie als Einzige bemerkte, was wirklich passierte. Sie wusste nur, dass sie das Knirschen förmlich hören konnte, mit dem Doms Knochen brach.
In der Sekunde, in der er krachend auf dem Boden aufschlug und das Pferd wiehernd weitergaloppierte, verdrehte sich sein linkes Handgelenk zwischen Armschutz und Panzerfäustling in die falsche Richtung. Es knickte um wie ein Zweig, den man über dem Knie in Stücke schlägt, bevor er mit seinem ganzen Gewicht darauffiel und regungslos liegen blieb. Das Ganze war nur einen Wimpernschlag lang zu erkennen gewesen, aber doch lange genug, dass Isa sich die Nackenhaare sträubten. Aufgeregt stieß sie Lena in die Seite. »Hast du das gesehen?«
Nur widerwillig löste die wilde Helena ihre Aufmerksamkeit von der Szene. Der Jubel hatte auch sie mitgerissen. »Was?«
»Was da gerade passiert ist, der Sturz! Das war nicht Teil der Show.«
Mittlerweile lag Dom nicht mehr wie ein Haufen schwarzen Altmetalls auf dem Rasen. Er hatte sich aufgerappelt und hielt den Arm an die Seite gepresst, doch ansonsten verriet nichts, dass er sich verletzt hatte. Sein Mienenspiel blieb unter dem Helm verborgen. Aufrecht stand er da, während ein Knappe das Pferd wieder einfing und der siegreiche Jasper eine Ehrenrunde drehte.
»Jaha, Jubel! Damit ist der ehrenwerte Siegfried von Xanten der Gewinner unseres Turniers!«
Gerricks Fasanenfeder wackelte wie wild, als er zurück zur Mitte der Bahn stolzierte. Isa musterte sein Gesicht, doch sie wusste, dass er sich nicht einmal dann etwas hätte anmerken lassen, wenn während einer Vorstellung Dschingis Khan mit seinen Truppen eingefallen wäre. Von dem, der auf der Bühne steht, wird erwartet, dass er abliefert, komme, was da wolle. Sie kannte das nur zu gut.
»Oswald, du wirst das Wunderschwert Balmung heute nicht bekommen«, rief Gerrick und hob mahnend den Zeigefinger. »Ich hoffe, dass dir das eine Lehre ist und du dem heldenhaften Siegfried in Zukunft ein bisschen mehr Respekt zollst.«
Das Publikum begann, Dom bei diesen Worten genüsslich auszubuhen. Der schwarze Ritter nahm den Helm nicht ab, sondern machte mit dem gesunden Arm nur eine verächtliche Geste und trottete, scheinbar geschlagen und enttäuscht, unter den Pfiffen der Zuschauer in das rote Zelt.
»Seine Hand ist nach innen weggeknickt, und zwar richtig übel. Hast du das nicht gesehen?« Isa starrte ihre beste Freundin fassungslos an, aber die schaute ebenso verwirrt zurück. »Alles, was ich gesehen habe, war ein ziemlich überzeugender Stunt. Dieser schwarze Ritter … wie heißt der noch mal?«
»Oswald, der einarmige Bandit?«
»Isa!«
Die grüne Fee hob ihre Umhängetasche vom Boden auf und wandte sich ab. »Dom. Er heißt Dom.«
»Genau. Der ist gut, mit dem hat Gerrick wirklich einen Glückgriff … wo willst du hin?«
»Ich weiß, was ich gesehen habe«, beharrte Isa.
Seufzend wandte sich Lena an Walburga. »Sag ihr bitte, dass sich vor unseren Augen gerade kein Drama abgespielt hat und dass sie langsam paranoid wird durch die vielen Krimis, die sie immer mit sich rumschleppt.«
Der Blick der alten Zünftlerin war durch die dicken Brillengläser schwer zu deuten. Sie musterte erst Isa, dann Lena und machte dann ein belustigtes Geräusch, das die grüne Fee irgendwo zwischen Lachen, Schnauben und Ersticken einordnete. »Was würde das denn schon nützen?«, fragte sie.
Isa zwinkerte ihr dankbar zu, bevor sie sich durch die Templer aus dem Gedränge schob. »Überhaupt nichts.«
Der schwere Stoff, aus dem die rote Zeltwand bestand, fühlte sich warm unter ihren Fingern an. Vorsichtig zog Isa das Tuch beiseite.
Sie hatte sich nicht geirrt. Dom saß auf einer mit Eisen beschlagenen Holzkiste. Seinen Helm hatte er achtlos in eine Ecke geworfen. Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte er, sich den linken Panzerfäustling auszuziehen, und obwohl er keinen Laut von sich gab, sah Isa, dass er Schmerzen hatte. Sie wollte ihn nicht erschrecken. Deshalb sprach sie leise, als sie ins Zelt hineinschlüpfte. »Brauchst du Hilfe?«
Ruckartig hob er den Kopf. Er brauchte einen Moment, um zu erkennen, wer da auf ihn zukam. Dann senkte er den Blick wieder. Wie er da in seiner Rüstung saß, groß, die verschwitzten Haare halb im Gesicht, sah er eigentlich ziemlich gut aus. Seine Bernsteinaugen glommen in dem rot eingefärbten Licht. »Du hast es bemerkt, hm?«, knurrte er. »Ich habe gehofft, es überspielen zu können. Hat wohl nicht funktioniert.«
Ohne darauf zu warten, dass er ihre Frage beantwortete, setzte sich die Gauklerin neben ihn auf die Truhe. Draußen ebbte der Jubel langsam ab, und durch die Zeltwände war zu hören, wie sich die Menschenmenge allmählich auflöste. Vorsichtig nahm Isa seinen gepanzerten Arm und legte ihn auf ihren Schoß. Das brünierte Metall strahlte wegen der Sonne und Doms Körperwärme eine fast fiebrige Hitze aus. Das Handgelenk, ungeschützt durch die schmale Lücke zwischen der Armschiene und dem dicken Lederhandschuh unter dem Panzerfäustling, war schon ziemlich angeschwollen. Dom fixierte mit der anderen Hand seinen Unterarm und zog eine Grimasse, als ihm der Schmerz durch die Glieder schoss.
»Vielleicht sollte ich rüber zu Martell gehen«, brummte er unwillig. »Der kann mich einfach aus dem Ding rausschneiden.«
Sanft bewegte Isa den Metallhandschuh. Ein bisschen rührte er sich noch, deshalb schüttelte sie den Kopf. »Dafür brauchst du keinen Schmied. Halt einfach still.«
Sie hörte, wie er neben ihr scharf Luft holte, als sie ihre Finger um die Stelle legte, an der die beiden Stahlplatten des Handschuhs miteinander vernietet waren. Die Form, die das Metall bildete, erinnerte an eine Sanduhr, und die schmalste Stelle saß genau vor Doms Gelenk.
Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, tat Isa das, was sie am besten konnte: reden. »Außer mir hat übrigens niemand mitbekommen, was passiert ist.«
»Und woran hast du es gemerkt?« Seine sonst schon tiefe Stimme wurde ein wenig heiser.
»Keine Ahnung. Ich hatte wohl einen günstigen Blickwinkel.« Sie schaute ihn von der Seite an. »Wag es ja nicht, jetzt so was wie: ›Den hatten die anderen kleinen Mädchen unter ein Meter fünfzig auch‹ zu sagen. Dann kannst du dich von deiner Hand verabschieden.«
Der Spruch war blöd, aber er brachte ihn zum Lachen, und das war es, was sie gewollt hatte. In der Sekunde, in der sich sein Mund zu einem Grinsen verzog, zog sie ihm mit einem Ruck den Panzerfäustling von der Hand. Doms Fluchen hätte selbst einem gestandenen Seeräuber die Schamesröte ins Gesicht getrieben. »Das war gemein«, keuchte er, als er wieder Luft bekam. »Du bist eine fiese, fiese Gauklerin.«
»Soll ich mich jetzt beleidigt oder geschmeichelt fühlen?«
Die Farbe seiner Augen wurde durch das rötliche Licht noch intensiver. Wo vorher zwei honigfarbene Tropfen Met gefunkelt hatten, loderten auf einmal magmafarbene Flammen. Isa wurde sich plötzlich bewusst, wie eng sie auf der Truhe nebeneinander saßen: Seine linke Seite, teils Stoff, teils Leder, teils hartes Metall, schmiegte sich an sie, seine verletzte Hand ruhte auf ihrem Schoß. Noch immer starrte er sie an. Nagelte sie fest mit einem Blick, der ihr Herz überraschend schnell zum Rasen brachte. Dann lehnte er sich plötzlich zu ihr nach vorne.
Ein heller Streifen Sonnenschein durchschnitt das Dämmerlicht im Zelt, und der Bann zwischen ihnen brach so abrupt, wie er entstanden war. Die Zeltplane wurde zurückgeschlagen und Jasper stürmte herein, die junge Kriegerin Aslaug im Schlepptau. »Hey Dom, ist alles okay mit … Isa? Was machst du denn hier?«
Blitzschnell rückte der schwarze Ritter von ihr ab. Er richtete den Blick scheinbar ungerührt auf seine Freunde, und Isa strich sich blinzelnd eine ihrer Dreadlocks hinters Ohr. Sie hatte keinen Schimmer, was da gerade zwischen ihm und ihr passiert war, aber eines wusste sie mit Sicherheit: Davon durfte sie Lena auf keinen Fall erzählen. Die Litaneien darüber würde sie sich sonst bis zu ihrer Beerdigung anhören müssen.
»Euer Kollege hat sich bei seinem Sturz das Handgelenk gebrochen«, erklärte sie ein wenig schnippischer als beabsichtigt und zog Dom kurzerhand den dicken Lederhandschuh von den Fingern. Sozusagen als kleine Rache dafür, dass er den Schalter so schnell wieder umgelegt hatte.
»Au! Verdammt!«
Obwohl das flexible Leder nicht so sehr schmerzen konnte wie das Metall davor, zog Dom seinen Arm an sich und funkelte sie böse an. »Ich dachte, du wolltest mir helfen!«, protestierte er. Doch während er sprach, glaubte Isa zu erkennen, wie er ihr unter seinen schwarzen Haarsträhnen zuzwinkerte.
Das wurde ja immer verwirrender.
»Lass mich mal sehen, Dom.« Aslaug von Dänemark, deren holländischer Akzent eher an Tulpen und Käse erinnerte als an Wikinger und Drachenboote, schob sich trotz ihrer Größe und ihrer schweren Rüstung erstaunlich graziös an Jasper vorbei. Die Metallschienen an ihren Beinen klirrten leise, als sie sich vor Dom hinkniete und seine Hand abtastete. Ihre Miene verriet ein gewisses fachliches Verständnis und kühle Konzentration. Nicht mehr, nicht weniger. So stellte sich Isa den unbeteiligten Gesichtsausdruck einer Pathologin vor, die ausnahmsweise keine Leiche sezieren, sondern einem weinenden Dreijährigen ein Pflaster aufs Knie kleben sollte.
»Wieso bist du überhaupt vom Pferd gefallen?«, fragte die Reiterin.
»War meine Schuld, nicht Jaspers. Hab mich ablenken lassen.«
»Von was?«
Dom zuckte mit den Schultern. »Dem Lärm, der Sonne – was weiß ich. Ich hab nicht aufgepasst, Roos. Scheiße, ich hab gekämpft wie ein blutiger Anfänger.«
Isas Verstand brauchte wegen der stickigen Luft im Zelt einen kurzen Moment, bevor er verarbeiten konnte, was sie gerade gehört hatte. Dann aber fiel der Groschen: Roos. Deshalb also die weiße Rose auf dem Schild.
Hinter ihnen flappte die Zeltplane zum zweiten Mal auf. Eine wippende Fasanenfeder kitzelte den roten Stoff.
»Super Show, Leute. Su-per Show! Vor allem diese spontane Einlage – Dom, ernsthaft, ich hätte mir fast in die Hosen gemacht vor Schreck, mach das bitte nie wieder. Oder doch, den Leuten hat’s gefallen. Und, mal ehrlich: Du sahst absolut spektakulär aus! Wenn das so weitergeht, sind wir für die nächsten drei Jahre ausgebucht. Das nenne ich einen gelungenen Auftakt.« Gerrick klopfte zufrieden einen Trommelrhythmus auf seinen Oberschenkel. Erst als niemand auf sein Geschwätz reagierte, bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. Sein Blick glitt erst über die ernsten Gesichter der Anwesenden, dann über Dom und die vor ihm kniende Roos. »Was soll das? Was ist hier los?«
Roos stand auf. »Dom ist verletzt. Er wird in den nächsten Tagen wohl ausfallen«, erklärte sie nüchtern.
»Wie bitte? Willst du mich verarschen?« Gerricks Geduldsfaden war schon immer ziemlich dünn gewesen, und Isa beobachtete fasziniert, wie ihn diese einfache Information mit einem lauten »Schnipp!« zum Reißen brachte. Der Herold wurde erst rot und dann bleich wie ein Leichentuch.
»Er kann nicht ausfallen!«, rief er so laut, als könnte er die feststehenden Tatsachen ins Gegenteil verkehren, wenn er sie nur autoritär genug leugnete. Als müsste sich die Realität vor ihm beugen wie der Knecht vor seinem König. »Er ist der schwarze Ritter! Jedes gute Turnier braucht einen schwarzen Ritter. Ohne ihn können wir einpacken!« Er sah hektisch von einem zum anderen und blieb schließlich an Isa hängen. »Und was macht die überhaupt hier?«, rief er anklagend und zeigte mit dem Finger auf sie.
Isa verschränkte die Arme. »Freut mich auch, dich zu sehen, Gerrick. Besonders deine charmante Art hat mir das ganze Jahr über gefehlt.«
Ohne auf ihre Worte zu achten, rauschte er auf Dom zu, der noch immer auf der Truhe hockte. »Komm schon, Mann, rede mit mir. Dir geht’s gut, oder? Roos hat nur einen Witz gemacht, ja?«