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Gilbert Markham ist fasziniert von Helen Graham, einer schönen und geheimnisvollen jungen Frau, die mit ihrem kleinen Sohn in das nahe gelegene Wildfell Hall gezogen ist. Er bietet Helen schnell seine Freundschaft an, aber als ihr zurückgezogenes Verhalten zum Gegenstand von lokalem Klatsch und Spekulationen wird, beginnt Gilbert sich zu fragen, ob sein Vertrauen in sie fehl am Platz war. Erst als sie Gilbert erlaubt, ihr Tagebuch zu lesen, kommt die Wahrheit ans Licht und er erfährt die schockierenden Gründe für ihre Schwierigkeiten, Nähe und Vertrauen zuzulassen. Mit großer Unmittelbarkeit, Witz und Ironie erzählt, ist „Die Herrin von Wildfell Hall“ eine kraftvolle Darstellung des Kampfes einer Frau um häusliche Unabhängigkeit und kreative Freiheit. Dies ist der vierte von vier Bänden.
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Seitenzahl: 221
Anne Brontë
Die Herrin von
Wildfell Hall
Roman
in vier Bänden
Band 4
In der überarbeiteten Übersetzungvon
W. E. Drugulin.
DIE HERRIN VON WILDFELL HALL wurde in der englischsprachigen Originalfassung (The Tenant of Wildfell Hall) zuerst veröffentlicht von T. C. Newby, London 1848.
Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
2024
V 1.0
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
Band 4
ISBN 978-3-96130-649-7
Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de
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Inhaltsverzeichnis
Die Herrin von Wildfell Hall. Band 4
Impressum
Vierter Teil.
Erstes Kapitel. Die Grenzlinie ist übersprungen.
Zweites Kapitel. Das Asyl.
Drittes Kapitel. Die Aussöhnung.
Viertes Kapitel. Freundschaftliche Ratschläge.
Fünftes Kapitel. Überraschende Nachrichten.
Sechstes Kapitel. Weitere Nachrichten.
Siebentes Kapitel. Da nun ein Platzregen fiel, und kam ein Gewässer und wehten die Winde und stießen an das Haus, da fiel es und tat einen großen Fall.
Achtes Kapitel. Zweifel und getäuschte Erwartung.
Neuntes Kapitel. Ein unerwartetes Ereignis.
Zehntes Kapitel. Schwankungen.
Elftes Kapitel. Schluß.
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Zu guter Letzt
Den 10. Oktober. — Mr. Huntingdon ist vor etwa drei Wochen zurückgekehrt; ich werde mir nicht die Mühe geben, sein Äußeres, sein Benehmen und seine Gespräche zu beschreiben. Am Tage nach seiner Ankunft überraschte er mich jedoch durch die Mitteilung der Absicht, dem kleinen Arthur eine Gouvernante zu geben. Ich antwortete ihm, dass es jetzt vollkommen unötig, um nicht zu sagen, lächerlich sei; ich glaube, seiner Erziehung wenigstens auf einige Jahre noch vollkommen gewachsen zu seine die Erziehung des Kindes sei das einzige Geschäft und die einzige Freude meines Lebens, und da er mir jede andere Beschäftigung geraubt, könne er mir doch diese sicher lassen.
Er sagte, dass ich nicht dazu geeignet sei, Kinder zu belehren oder mit ihnen umzugehen, ich habe bereits den Knaben zu einem Automaten herabgebracht, seinen Lebensmut mit meiner Strenge gebrochen und werde allen Sonnenschein aus seinem Herzen frieren und ihn zu einen eben so düstern Asceten machen, wie ich selbst sei, wenn ich ihn noch länger unter den Händen behalte.
Auch die arme Rahel erhielt, wie gewöhnlich, ihren Teil an seinen Schmähungen — er kann Rahel nicht ausstehen, weil er weiß, dass sie ihn gehörig durchschaut.
Ich verteidigte ruhig unsere Gaben als Wärterin und Gouvernante und widersetzte mich der vorgeschlagenen Vermehrung unseres Hausstandes — er schnitt mir das Wort jedoch dadurch ab, dass er sagte, es nutze nichts, ihn weiter mit der Sache zu quälen, denn er habe bereits eine engagiert, und sie komme nächste Woche, so dass ich weiser nichts zu tun habe, als Alles zu ihrem Empfange bereit zu halten.
Dies war eine etwas auffallende Nachricht. Ich erlaubte mir, nach ihrem Namen und ihrer Adresse zu fragen und mich zu erkundigen, wer sie empfohlen habe, oder wie er sich veranlaßt gefunden, sie zu wählen.
»Sie ist eine äußerst schätzbares, fromme, junge Person,« sagte er, »Du brauchst Dich nicht zu fürchten; ihr Name ist, glaube ich, Myers, und sie ist mir,von einer respektablen alten Wittwe, einer Dame von hohem Rufe in der religiösen Welt, empfohlen worden. Ich habe sie selbst nicht gesehen, und kann Dir daher nicht mit einem ausführlichen Berichte über ihre Persönlichkeit, Conversation u. s. w. Dienen; wenn aber die Lobreden der alten Dame richtig sind, so wirst Du finden, dass sie alle wünschenswerten Eigenschaften ihres Standes — wozu auch eine unmäßige Kindesliebe gehört — besitzt.«
Alles dies wurde ernsthaft und ruhig gesprochen; in seinem halb abgewendeten Auge zeigte sich aber ein lachender Dämon, der mir nichts Gutes zu bedeuten schien. Ich dachte jedoch an mein Asyl in —shire und machte keine weiteren Einwendungen.
Als Mrs. Myers ankam, war ich nicht geneigt, ihr einen besonders herzlichen Empfang zu Teil werden zu lassen. Ihr Äußeres war nicht von der Art, dass es beim ersten Anblick einen günstigen Eindruck gemacht hätte, und ihre Manieren und ihr späteres Benehmen entfernten nicht im mindesten mein bereits gegen sie gefaßtes Vorurteil. Ihre Talente waren beschränkt, ihr Verstand erhob sich keineswegs über die Mittelmäßigkeit; sie hatte eine schöne Stimme und konnte singen wie eine Nachtigall und sich so ziemlich auf dem Pianoforte begleiten, aber dies waren ihre einzigen Fertigkeiten.
In ihrem Gesicht lag List und Schlauheit, welche sich auch in ihrer Stimme verrieten. Sie schien sich vor mir zu fürchten und schrak zusammen, wenn ich mich ihr plötzlich näherte. In ihrem Benehmen war sie respektvoll und gefällig bis zur Servilität. Sie versuchte mir anfänglich zu schmeicheln, ich tat dem jedoch bald Einhalt. Ihre Liebe zu ihrem kleinen Schüler war übertrieben und ich sah mich genötigt, ihr wegen übermäßiger Nachsicht und unverständigem Lobe, Vorstellungen zu machen; sie konnte sich jedoch sein Herz nicht gewinnen. Ihre Frömmigkeit bestand aus Seufzern und Augenverdrehen und dem Aussprechen einiger pietistischer Redensarten. Sie sagte mir, dass sie die Tochter eines Geistlichen und in früher Jugend Waise geworden sei, aber das Glück gehabt habe, eine Anstellung in einer sehr frommen Familie zu erlangen, und dann sprach sie so dankbar von der Güte, die sie von ihren verschiedenen Mitgliedern erfahren, dass ich mir selbst Vorwürfe über meine unchristlichen Gedanken und mein unfreundliches Benehmen machte; aber nicht auf lange. Die Gründe meines Widerwillens waren dafür zu vernünftig, mein Argwohn zu gut begründet, und ich wußte, dass es meine Pflicht sei, zu warten und zu forschen, bis dieser Verdacht entweder zu meiner Zufriedenheit entfernt oder bestätigt sein würde.
Ich fragte sie nach dem Namen dieser frommen und gütigen Familie; sie nannte einen gewöhnlichen Namen und einen unbekannten fernen Wohnort, sagte mir aber, dass sie jetzt auf dem Continente sei und sie ihre gegenwärtige Adresse nicht wisse.
Ich sah sie nie viel mit Mr. Huntingdon sprechen, aber er kam häufig in das Schulzimmer, wenn ich nicht dort war, um zu sehen, wie sich der kleine Arthur mit seiner neuen Gefährtin vertrage. Des Abends setzte sie sich zu uns in das Gesellschaftszimmer und sang und spielte, um ihn zu unterhalten, oder uns, — wie sie vorgab — und war sehr aufmerksam für seine Bedürfnisse, und wachsam, um denselben zuvorzukommen, obgleich sie nur mit mir sprach.
Freilich befand er sich selten in dem Zustande, worin man mit ihm sprechen konnte. Wäre sie anders gewesen, so würde ich gefühlt haben, dass ihre Gegenwart zwischen uns eine große Erleichterung war, außer, dass ich mich von Herzen geschämt haben würde, wenn ihn eine anständige Person so gesehen hätte, wie er oft war.
Ich sprach von meinem Verdachte nie gegen Rahel; aber sie, die ein halbes Jahrhundert in diesem Lande der Sünde und des Schmerzes gelebt, hatte selbst argwöhnisch werden gelernt. Sie erzählte mir gleich anfänglich, dass sie die neue Gouvernante durchschaue, und ich fand bald, dass sie sie eben so aufmerksam beobachtete, wie ich es tat; und dies war mir lieb, denn ich sehnte mich, die Wahrheit zu erfahren, die Atmosphäre von Graßdale schien mich zu ersticken und ich konnte nur leben, wenn ich an Wildfell Hall dachte.
Endlich, eines Morgens, trat sie mit solchen Nachrichten in mein Zimmer, dass mein Entschluß gefaßt war, noch ehe sie zu sprechen aufgehört hatte. Während sie mich ankleidete, teilte ich ihr meine Absichten mit, und welchen Beistand ich von ihr bedürfen würde, und sagte ihr, was sie von meinen Sachen einpacken und was sie für sich selbst zurücklassen solle, da ich keine andern Mittel besaß, sie für diese plötzliche Entlassung nach ihren langen, treuen Diensten zu belohnen, — ein Umstand, den ich tief bedauerte, aber nicht ändern konnte.
»Und was wirst Du tun, Rahel? wirst Du nach Hause gehen oder Dir eine andere Stelle suchen?«
»Ich habe keine Heimat, Madame, außer bei Ihnen,« antwortete sie, »und wenn ich Sie verlasse, gehe ich — so lange ich lebe, nie wieder in Dienste.«
»Aber ich kann es nicht bestreiten, jetzt wie eine große Dame zu leben,« entgegnete ich, »ich muß meine eigene Magd und die Wärterin meines Kindes sein.«
»Was tut das?« rief sie etwas aufgeregt. »Sie werden doch Jemand zum Reinmachen und Waschen und Kochen brauchen, nicht wahr? Ich kann alles das tun, und kümmern Sie sich nicht um den Lohn, — ich habe noch meine kleinen Ersparnisse, und wenn Sie mich nicht nehmen wollten, so würde ich damit doch irgendwo Kost und Wohnung zu bestreiten haben, oder unter fremden Menschen arbeiten müssen — und daran bin ich nicht gewöhnt — Sie dürfen mir also den Genuß gönnen, Madame.«
Ihre Stimme zitterte bei diesen Worten und die Tränen standen ihr im Auge.
Ich würde es mit dem größten Vergnügen annehmen, Rahel, und Dir so viel Lohn, als ich bestreiten könnte — so viel, wie ich meiner Magd geben würde, zahlen; aber siehst Du nicht, dass ich Dich nur mit mir hinabzöge, während Du doch nichts getan hast, um ein solches Loos zu verdienen.«
»O dummes Zeug!« rief sie.
»Und übrigens wird meine künftige Lebensweise von der frühern — von Allem, woran Du gewöhnt bist, so weit verschieden sein, dass —«
»Denken Sie, Madame, dass ich nicht ertragen kann, was meine Herrin im Stande ist? So stolz und anspruchsvoll bin ich nicht, und mein kleiner Herr ebenfalls, Gott segne ihn.«
»Aber ich bin jung, Rahel, ich werde mir nichts daraus machen, — und Arthur ist ebenfalls jung, es wird ihm gleichgültig sein.«
»Mir auch. Ich bin nicht so alt, dass ich nicht geringe Kost und schwere Arbeit aushalten könnte, wenn es nur geschieht, um Diejenigen zu unterstützen und zu trösten, die ich wie meine eignen Kinder geliebt habet denn ich bin zu alt, um den Gedanken zu ertragen, Sie in Not und Gefahr zu verlassen und selbst unter Fremde zu gehen.«
»Dann sollst Du es auch nicht, Rahel! rief ich, meine treue Freundin umarmend. »Wir wollen Alle zusammen gehen und Du sollst sehen, wie das neue Leben für Dich paßt.«
»Gott segne Sie, Honigpüppchen!« rief sie, indem sie liebevoll meine Umarmung erwiderte. »Wenn wir nur erst aus diesem gottlosen Hause sind, wird es uns schon gut genug gehen, das sollen Sie sehen.«
»So denke ich auch,« war meine Antwort — und dieser Punkt war also abgemacht. Mit der Post dieses Morgens schrieb ich ein paar hastige Zeilen an Frederik, worin ich ihn bat, mein Asyl zu meinem sofortigen Empfange bereit zu halten, da ich wahrscheinlich einen Tag nach dem Empfange dieses Billets kommen würde, und ihm in wenigen Worten den Grund meines plötzlichen Entschlusses mitteilte. Dann schrieb ich drei Abschiedsbriefe; den ersten an Esther Hangrave; worin ich ihr sagte, dass ich es unmöglich finde, länger in Graßdale zu bleiben, oder meinen Sohn unter dem Schutze seines Vaters zu lassen, und da es von der äußersten Wichtigkeit sei, dass unser künftiger Aufenthaltsort ihn und seinen Freunden unbekannt bleibe, denselben Niemandem als meinem Bruder mitteilen würde, durch dessen Vermittelung ich noch mit meinen Freunden zu korrespondieren hoffe. Dann gab ich ihr seine Adresse, ermahnte sie, häufig zu schreiben, wiederholte einige von meinen frühern Ratschlägen über ihre eigenen Angelegenheiten und nahm zärtlichen Abschied von ihr.
Der zweite war an Millizent, des gleichen Inhalts, aber etwas vertraulicher, wie es unserer längeren Freundschaft und ihrer größeren Erfahrung und besseren Bekanntschaft mit meinen Umständen geziemte.
Der dritte war an meine Taute, — ein weit schwierigeres und peinlicheres Unternehmen, weshalb ich es auch bis zuletzt verspart hatte; aber ich mußte ihr einige Erläuterungen in Bezug auf den von mir getanen außerordentlichen Schritt geben, und das schnell, da sie und mein Onkel ohne Zweifel in ein paar Tagen nach meinem Verschwinden hören würden, da alle Aussicht vorhanden war, dass sich Mr. Huntingdon bald an sie wenden werde, um zu erfahren, was aus mir geworden sei.
Endlich sagte ich ihr jedoch, dass ich meinen Irrtum eingesehen habe, nicht über die Strafe desselben klage und es mir leid tue, meine Freunde mit den Folgen desselben beunruhigen zu müssen; ich sei es aber meinem Sohne schuldig, mich nicht langer zu fügen, da es absolut notwendig wäre, dass er von dem verderblichen Einflusse seines Vaters befreit würde. Ich wolle selbst ihr nicht meinen Zufluchtsort mitteilen, damit sie und mein Onkel mit Wahrheit alle Kenntnis desselben leugnen könnten; aber alle unter Couvert an meinen Bruder an mich adressierten Briefe würden mir sicher zu Händen kommen. Ich hoffte; sie und mein Onkel würden den Schritt verzeihen, den ich eingeschlagen, da sie, wenn sie Alles wüßten, mich sicher nicht tadeln könnten, und hoffte, sie würden sich nicht um meinetwegen betrüben, denn wenn ich nur meinen Zufluchtsort mit Sicherheit erreichen und dort bleiben könnte, würde ich mich, außer in Beziehung auf sie, dort ganz glücklich fühlen und vollkommen damit zufrieden sein, mein Leben in Dunkelheit zuzubringen, mich der Erziehung meines Sohnes zu weihen und ihm die Irrtümer seiner beiden Eltern vermeiden zu lehren.
Diese Dinge sind gestern geschehen; ich habe zwei ganze Tage auf die Vorbereitungen zu unserer Abreise verwendet, um Frederik und Rahel mehr Zeit zu geben; dem Ersteren, die Zimmer in Ordnung zu bringen, Letzterer, die Sachen zu packen — denn dies muß mit der größten Sorgfalt und Heimlichkeit geschehen — sie hat außer mir Niemanden, der ihr beistände. Ich kann ihr die Gegenstände zusammensuchen helfen, verstehe aber die Kunst nicht, sie so in die Koffer zu packen, dass sie den geringstmöglichen Raum einnehmen, und dann hat sie außer meinen und Arthurs Effekten auch noch die ihrigen zu besorgen. Ich kann nicht wohl etwas zurücklassen, da ich, außer einigen Guineen in meinem Beutel, kein Geld habe — und übrigens, wie Rahel bemerkte — was ich zurückließ, höchst wahrscheinlich der Mrs. Myers zufallen würde, — und das wäre mir nicht angenehm.
Welche Mühe hat es mir aber in diesen beiden Tagen gekostet, ruhig und gesammelt zu erscheinen — ihn und ihr wie gewöhnlich zu begegnen, wenn ich ihnen begegnen mußte, und mich zu zwingen, meinen kleinen Arthur stundenlang in ihren Händen zu lassen! Aber ich hoffe, dass diese Prüfungen jetzt vorüber sind. Ich habe ihn der größeren Sicherheit willen in mein Bett gelegt und hoffe, dass seine unschuldigen Lippen weder durch ihre Küsse, noch seine jungen Ohren durch ihre Worte beschmutzt werden. Aber können wir auch in Sicherheit flüchten? — O wäre doch der Morgen da und wir wenigstens unterwegs. Heute Abend, als ich Rahel allen möglichen Beistand geleistet und nichts mehr zu tun hatte, als zu warten und zu wünschen und zu zittern, wurde ich so ungemein aufgeregt, dass ich nicht wußte, was ich anfangen sollte. Ich ging zum Essen hinab, konnte mich aber nicht überwinden, einen Bissen zu verzehren.
Mr. Huntingdon bemerkte es.
»Was giebt es jetzt wieder mit Dir?« fragte er, als das Abtragen des zweiten Ganges ihm Zeit ließ, sich umzusehen.
»Mir ist nicht wohl,« antwortete ich, »ich denke, ich werde mich ein wenig niederlegen müssen — ich werde Dir wohl nicht sehr fehlen!«
»Nicht im mindesten. Wenn Du Deinen Stuhl verlassen, wird es gerade so gut wie sonst, vielleicht noch besser sein,« murmelte er, als ich das Zimmer verließ, »denn ich kann mir dann vorstellen , dass ihn jemand Anderes ausfüllt.«
»Morgen wird ihn vielleicht jemand Anderes ausfüllen,« dachte ich, sagte es aber nicht.
»Nun, ich habe Dich hoffentlich zum letzten Male gesehen,« murmelte ich, als ich hinter mir die Tier schloß.
Rahel drang in mich, sogleich mein Bett zu suchen, um meine Kräfte für die, morgende Reise zu sammeln, da wir vor Tagesanbruch gehen müssen; aber in meiner gegenwärtigen Nervenaufregung war dies vollkommen unmöglich.
Eben so unmöglich war es, sitzen zu bleiben oder im Zimmer umherzuwandern, die Stunden und Minuten zwischen mir und der festgesetzten Zeit zu zählen, die Ohren zu spannen und bei jedem Laute zu zittern, dass uns vielleicht doch noch Jemand entdecken und verraten könne. Ich nahm ein Buch und versuchte zu lesen. Meine Augen wanderten über die Seiten hin; es war jedoch unmöglich, meine Gedanken an ihren Inhalt zu binden. Warum nicht zu meinem alten Auskunftsmittel Zuflucht nehmen und dieses letzte Ereignis zu meiner Chronik fügen? Ich öffnete das Buch wieder und schrieb das Obige anfänglich mit Schwierigkeit, allmälig aber mit größerer Ruhe und Festigkeit.
So sind mehrere Stunden vergangen. Die Zeit nähert sich — und jetzt werden mir die Augenlider schwer — und mein Körper fühlt sich erschöpft. Ich will meine Sache Gott empfehlen und mich dann niederlegen und ein paar Stunden schlafen, und dann! —
Der kleine Arthur schläft gesund, das ganze Haus ist ruhig, Niemand kann mehr wachen. Die Koffer sind alle von Benson zugeschnürt und nach Einbruch der Nacht in der Stille über die Hintertreppe hinab und in einem Karren nach dem M— Postkutschen-Büreau geschafft worden. Der Name, welchen ich auf die Adressen geschrieben hatte, war Mrs. Graham, welchen ich von jetzt an zu führen gedenke. Meine Mutter war eine geborene Graham und ich glaube daher einiges Recht darauf zu haben, und ich ziehe ihn jedem andern, mit Ausnahme meines eignen, den ich nicht wieder annehmen darf, vor.
Den 24. Oktober. — Dem Himmel sei Dank, endlich bin ich frei und in Sicherheit, —
Wir standen früh auf kleideten uns schnell und still an und stiegen langsam und leise die Halle herab, wo Benson mit einem Lichte bereit stand, um die Tür zu öffnen und hinter uns wieder zu verschließen. Mir waren genötigt, einen Mann wegen der Koffer u.s.w. in unser Geheimnis zu ziehen. Die ganze Dienerschaft war nur zu gut mit dem Benehmen ihres Herrn bekannt und sowohl John wie Benson würde mir mit Freuden seine Dienste geleistet haben; da aber der Erstere zuverlässiger und älter und überdies ein alter Freund Rahels war, trug ich ihr natürlich auf, ihn diesmal, so weit es die Notwendigkeit erforderte, in’s Vertrauen zu ziehen. Ich hoffe nur, dass er dadurch nicht in Ungelegenheiten kommen wird und möchte ihn für den gefährlichen Dienst, zu dem er so schnell bereit war, belohnen zu können. Ich ließ zwei Guineen in seine Hand schlüpfen, als er im Torwege stand und mit einer Träne in seinem ehrlichen, grauen Auge und einem Heere guter Wünsche auf seinem ernsthaften alten Gesichte, das Licht hielt, um uns bei der Abreise zu leuchten. Ich konnte ihm leider nicht mehr anbiete; ich hatte kaum genug für die wahrscheinlichen Kosten meiner Reise.
Mit welcher zitternden Freude sah ich das kleine Pförtchen hinter uns zufallen, als wir aus dem Park traten. Jetzt blieb ich auf einen Augenblick stehen, um die kühle, stärkende Luft einzuatmen und noch einmal nach dem Hause zurückzublicken. Alles war dunkel und still, kein Licht schimmerte in den Fenstern, keine Rauchsäule verdunkelte die Steme, welche oben an dem frostigen Himmel schimmerten.
Als ich auf ewig von diesem Hause, der Szene von so viel Schuld und Elend, Abschied nahm, freute ich mich, es nicht früher verlassen zu haben, denn jetzt konnte kein Zweifel über das Geziemende eines solchen Schrittes — kein Schatten von Bedauern für denjenigen, den ich zurückließ, obwalten. Meine Freude wurde durch nichts mehr getrübt, als die Furcht vor Entdeckung und jeder Schritt entfernte uns weiter von der Möglichkeit derselben.
Graßdale lag schon viele Meilen weit hinter uns, als sich die runde rote Sonne erhob, um unsere Befreiung zu bewillkommnen, und wenn uns irgend ein Bewohner der Nachbarschaft bemerkt hätte, als wir oben auf der Kutsche dahin rollten, so würde er schwerlich unsere Identität vermutet haben. Da ich mich für eine Witwe auszugeben gedenke, halte ich es für rätlich, meine neue Wohnung in Trauerkleidung zu betreten; ich war daher in ein einfaches, schwarz-seidenes Kleid und einen eben solchen Mantel, einen schwarzen Schleier (den ich die ersten zwanzig bis dreißig Meilen der Reise sorgfältig herabgelassen hielt) und einen schwarz-seidenen Hut gekleidet, den ich von Rahel borgen mußte, da es mir selbst an einem solchen Artikel fehlt — er war nicht nach der neuesten Mode, deshalb aber unter den obwaltenden Umständen um nichts schlechter.
Arthur war in seinen einfachsten Kleidern und in einen groben, wollenen Shawl gehüllt und Rahel mit einem grauen Mantel und einer Kapuze angetan, die bessere Zeiten gesehen hatten und ihr mehr das Aussehen eines gewöhnlichen, wiewohl anständigen, alten Weibes, als einer Kammerfrau verlieh.
O wie köstlich war es, so in der Höhe zu sitzen, auf der breiten, sonnenbeschienenen Landstraße dahinzurollen, während mir die frische Morgenluft ins Gesicht wehte und mich eine unbekannte Gegend lächelnd, heiter, herrlich, im gelben Scheine der frühen Morgenstrahlen anlachte, mit meinem lieben Kinde in den Armen, das fast eben so glücklich ist, wie ich, und meiner treuen Freundin neben mir, ein Gefängnis und Verzweiflung hinter mir und immer weiter, weiter zurück mit jedem Hufschlag der Pferde — und Freiheit und Hoffnung vor mir. Ich konnte mich nicht enthalten, Gott laut für meine Befreiung zu danken oder meine Reisegefährten durch einen erstaunlichen Ausbruch von Heiterkeit zu überraschen.
Die Reise war aber sehr lang und wir Alle müde genug, ehe sie zu Ende kam; es war tief in der Nacht, als wir in der Stadt L. anlangten, und noch befanden wir uns sieben Meilen vom Ziele der Reise entfernt und bis dahin gingen keine Landkutschen, nach irgend ein anderes Fuhrwerk, außer einem gemeiner, zweiräderigen Karren, und dieser war nur mit der größten Schwierigkeit zu erhalten, denn die halbe Stadt lag im Bette.
Und er war eine traurige Fahrt, diese letzte Station unserer Reise; kalt und müde, wie wir waren, auf unsern Koffern sitzend, mit nichts, an das wir uns halten, nichts, an das wir uns lehnen konnten, während wir langsam über die rauhe Bergstraße hin geschleppt und furchtbar durchrüttelt wurden. Arthur schlief aber auf Rahels Schooße und es gelang uns Beiden, ihn so ziemlich vor der kalten Nachtluft zu schützen.
Endlich fingen wir einen furchtbar steilen und steinigen Heckenweg hinauf zu fahren an, dessen sich Rahel, wie sie sagte, trotz der Finsternis nach gut erinnerte; sie war oft mit mir auf ihren Armen in demselben auf und abgegangen und hatte nicht gedacht, dass sie nach so vielen Jahren,unter Umständen wie die jetzigen, hierher zurückkehren werde.
Da Arthur jetzt den dem Rütteln und häufigen Anhalten munter geworden war, stiegen wir Alle aus und gingen zu Fuße. Wir hatten nicht weit zu gehen. Wie aber, wenn Frederik meinen Brief nicht erhalten, oder wenn er keine Zeit gehabt hatte, die Zimmer zu unserm Empfang bereit zu machen und wir sie alle finster, feucht und trostlos, ohne Nahrung, Feuer und Möbel finden sollten, nachdem wir uns so sehr abgemühet hatten?
Endlich erschien das finstern große Gebäude vor uns. Der Weg führte uns zu der Hintertür desselben. Wir traten in den öden Hof und betrachteten die Ruinen mit atemloser Besorgnis. War es alles Nacht und Verödung? — Nein, Von einem Fenster, dessen Holzwerke sich in gutem Zustande befand, begrüßte uns ein schwacher, roter Schimmers die Tür war verschlossen, aber nach gehörigen Klopfen und Warten und einigem Parlamentieren mit einer Stimme aus einem oberen Fenster, wurden wir von einer alten Frau, die den Auftrag erhalten hatte, das Haus bis zu unserer Ankunft zu bewachen und in Ordnung zu erhalten, in ein ziemlich nettes, kleines Zimmer geführt, das früher das Aufwaschhaus des Gebäudes gewesen, von Frederik aber als Küche eingerichtet worden war. Hier machte sie Licht, schürte das Feuer zu munterer Glut an und bereitete bald eins einfaches Mahl zu unserer Erquickung, während wir uns unserer Reisekleider entledigten und hastige Umschau ins unserer neuen Wohnung hielten.
Außer der Küche besaß dieselbe zwei Schlafzimmer, ein ziemlich großes Wohnzimmer und ein zweites, kleineres, das ich für mein Atelier bestimmte; sie waren alle gut gelüftet und wie es schien in vollkommen baulichem Zustande, aber nur zum Teil mit einigen alten Möbeln, hauptsächlich von schwerem, schwarzen Eichenholze, versehen — denselben, welche vorher dort gewesen und in dem jetzigen Hause meines Bruders als altertümliche Reliquien aufbewahrt, jetzt aber in aller Eile wieder zurücktransportiert worden waren.
Die alte Frau brachte mein und Arthurs Abendessen in das Wohnzimmer und sagte mir mit den gehörigen Förmlichkeiten, dass der Herr der Mrs. Graham sein Kompliment sagen läßt und er hätte die Zimmer so gut, wie es bei so kurzer Notiz möglich gewesen, herrichten lassen; er würde sich aber morgen die Ehre geben, ihr persönlich seine Aufwartung zu machen und ihre weiteren Befehle entgegenzunehmen.
Ich s war froh, als ich die finstere, alte Steintreppe hinaufsteigen und mich in dem düstern, altmodischen Bett neben meinem kleinen Arthur niederlegen konnte. Er war augenblicklich eingeschlafen; so müde ich aber auch war, erhielten mich doch meine aufgeregten Gefühle und ruhelosen Gedanken munter, bis die Dämmerung mit der Dunkelheit zu kämpfen begann.
Der Schlaf war aber, als er kam, süß und erquickend und das Erwachen unaussprechlich heiter. Es war der kleine Arthur, der mich mit seinen liebevollen Küssen aufweckte. Er befand sich also hier — sicher von meinen Armen umschlungen und viele — viele Meilen weit von seinem unwürdigen Vater entfernt. —
Das helle Licht des Tages erglänzte im Zimmer, denn die Sonne stand hoch am Himmel, obgleich sie von dichten, herbstlichen Wolkenmassen verdunkelt wurde.