Die idiopathische Epilepsie des Hundes - Andrea Fischer - E-Book

Die idiopathische Epilepsie des Hundes E-Book

Andrea Fischer

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  • Herausgeber: Enke
  • Kategorie: Fachliteratur
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2013
Beschreibung

Epilepsie aktuell: Tierneurologen aus Hochschule und Praxis beantworten die häufigsten Fragen rund um die idiopathische Epilepsie des Hundes. Welche Diagnostik ist nach einem Krampfanfall Pflicht? Wann wird eine antiepileptische Therapie begonnen? Gibt es Alternativen für therapieresistente Patienten? Dieser Praxisleitfaden greift alle wichtigen Punkte auf und informiert umfangreich über: - Ätiologie und Pathogenese - Rasseprädispositionen - klinische Symptomatik und Klassifikation - Diagnostik inkl. diagnostischem Leitfaden - Differentialdiagnostik - Pharmakologie - Therapie - inkl. Dosierschemata, Kontaktadressen und Epilepsie-Tagebuch Von A wie Anfall bis Z wie Zuchtempfehlung - Expertenwissen auf den Punkt

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Seitenzahl: 229

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Heidrun Potschka, Veronika Stein

Die idiopathische Epilepsie des Hundes

1

35 Abbildungen

Vorwort

Epilepsien gehören bei Mensch und Hund zu den häufigsten chronisch-neurologischen Erkrankungen. Sie sind durch spontan und wiederholt auftretende epileptische Anfälle charakterisiert, die unbehandelt zur Progression der Epilepsie und zum Tod führen können.

Sowohl die Diagnostik als auch die Behandlung von Epilepsien ist komplexer als weithin angenommen wird. In der Humanmedizin gibt es deshalb Epilepsiezentren oder -ambulanzen in allen Bundesländern, in die komplizierte Fälle überwiesen werden können. Ein vergleichbares System existiert in der Tiermedizin nur in Form der auf Neurologie spezialisierten Tierarztpraxen, insbesondere der Diplomates ECVN – European College of Veterinary Neurology, sodass epileptische Hunde in aller Regel in einer nicht spezialisierten Kleintierpraxis behandelt werden. Es war deshalb an der Zeit, das Wissen über die Epilepsie des Hundes und ihre Behandlung in Form eines Buches zusammenzutragen, das über alle Aspekte dieses komplexen Themas informiert.

Das Buch ist klar gegliedert und behandelt Ätiologie und Pathogenese der Epilepsie inklusive der Bedeutung von Rassedispositionen, klinische Symptomatik und Klassifikation sowie deren Bedeutung für die Prognose, Diagnostik, Differenzialdiagnostik sowie die Therapie. Dabei werden die drei für die Therapie des epileptischen Hundes zugelassenen Substanzen (Phenobarbital, Kaliumbromid, Imepitoin) detailliert beschrieben, Vor- und Nachteile verglichen und Therapieempfehlungen gegeben. Auch die Rolle nur humanmedizinisch zugelassener Antiepileptika in der Kombinationstherapie pharmakoresistenter Hunde wird besprochen. Pharmakoresistente Patienten haben in Abhängigkeit von der Schwere und Häufigkeit der Anfälle eine deutlich erniedrigte Lebenserwartung und ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleiterkrankungen. Die Entwicklung neuer effektiver Antiepileptika ist daher ein wichtiges Ziel für die Pharmakotherapie in Human- und Veterinärmedizin.

Im Februar 2013 erhielt ein neues Antiepileptikum die europäische Zulassung. Der Autor dieser Zeilen hat die Entwicklung des Wirkstoffs Imepitoin rund 20 Jahre begleitet, erste präklinische Studien zur antiepileptischen Wirkung der Substanz beim Hund durchgeführt und an der ersten klinischen Studie an der Kleintierklinik in Hannover mitgewirkt, in der Imepitoin mit Phenobarbital bei Hunden mit Epilepsie verglichen wurde. Der positive Eindruck aus diesen ersten Studien wurde seitdem in mehreren kontrollierten multizentrischen klinischen Studien bei Hunden mit Epilepsie bestätigt. 

Experten aus Hochschule und Praxis haben dieses Buch geschrieben, um praktizierende Tierärzte auf den neuesten Stand in allen Bereichen der Epilepsie des Hundes zu bringen. Es schließt damit eine wichtige Lücke, da es ein vergleichbares Werk im deutschsprachigen Raum bisher nicht gab und ist mit Nachdruck allen Tierärzten zu empfehlen, die Hunde mit Epilepsie in ihrer Praxis oder Klinik sehen und behandeln.

Hannover, im April 2013

Prof. Dr. Wolfgang Löscher

Abkürzungsverzeichnis

ADAM 

„a disintegrin and metalloproteinase”

AMPA 

α-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolpropionsäure

BZD 

Benzodiazepin

CECS 

„canine epileptoid cramping syndrome”

cPLI 

„canine pancreatic lipase immunoreactivity”; kanine pankreatische Lipase-Immunreaktivität

CT 

Computertomografie

DNM1 

Dynamin-1-Mutation

EEG 

Elektroenzephalogramm

EIC 

„exercise induced collapse“; episodischer anstrengungsabhängiger Kollaps

FLAIR 

„fluid attenuated inversion recovery”

GABA 

γ-Aminobuttersäure

GlyT2 

Glyzin-Transporter-2

GME 

granulomatöse Meningoenzephalitis

HVA 

„high-voltage activated“

ILAE 

International League against Epilepsy; Internationale Liga gegen Epilepsie

IR 

„inversion recovery”

KA 

Kainat

KN 

Kopfnerv

LGI1/2 

„leucine-rich, glioma inactivated 1/2"; Leucin-reiches, gliom-inaktiviertes Protein 1/2

MDR1 

„multidrug resistance transporter 1“

MRT 

Magnetresonanztomografie

MUA 

„meningoencephalitis of unknown aetiology“; Meningoenzephalitis unbekannter Ursache

NCL 

neuronale Ceroid-Lipofuszinose

NLE 

nekrotisierende Leukoenzephalitis

NME 

nekrotisierende Meningoenzephalitis

NMDA 

N-Methyl-D-Aspartat

OMN 

oberes motorisches Neuronsystem

PET 

Positronenemissionstomografie

Pgp 

P-Glykoprotein

SPECT 

Einzelphoton-Emissionscomputertomografie

SV2A 

„synaptic vesicle protein 2A“; synaptisches Vesikelprotein 2A

UCC 

Urin-Kortisol-Kreatinin-Verhältnis

UMN 

unteres motorisches Neuronsystem

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Abkürzungsverzeichnis

1 Ätiologie und Pathogenese

1.1 Definition

1.2 Pathophysiologie

1.2.1 Erregbarkeit von Neuronen

1.2.2 Die wichtigsten Neurotransmittersysteme

1.2.3 Epileptogene Strukturen

1.3 Genetik der idiopathischen Epilepsie des Hundes

1.3.1 Mutation im kaninen LGI2-Gen beim Lagotto Romagnolo

1.3.2 Genetischer Hintergrund bei progressiver Myoklonusepilepsie

1.3.3 Pharmakogenomische Untersuchungen

1.3.4 Idiopathische Epilepsie – eine Ausschlussdiagnose

1.3.5 Zuchtempfehlungen

1.4 Rasseprädispositionen und Prävalenz der idiopathischen Epilepsie

1.4.1 Australian Shepherd

1.4.2 Belgischer Schäferhund

1.4.3 Berner Sennenhund

1.4.4 Border Collie

1.4.5 Border Terrier

1.4.6 Englischer Springer Spaniel

1.4.7 Finnischer Spitz

1.4.8 Golden Retriever

1.4.9 Irischer Wolfshund

1.4.10 Labrador Retriever

1.4.11 Lagotto Romagnolo (Italienischer Trüffelhund)

1.4.12 Magyar Vizsla

1.4.13 Petit Basson Griffon Vendeen

1.4.14 Shetland Sheepdog (Sheltie)

1.4.15 Standardpudel

1.4.16 Cavalier King Charles Spaniel

1.4.17 Deutscher Schäferhund, Beagle, Dackel und Wolfsspitz

1.4.18 Mischlinge

1.5 Literatur

2 Klinische Symptomatik

2.1 Klassifikation von Anfällen

2.1.1 Klassifikation in der Humanmedizin

2.1.2 Klassifikation in der Tiermedizin

2.2 Anfallsstadien

2.2.1 Prodromalstadium

2.2.2 Aura

2.2.3 Iktus

2.2.4 Postiktale Phase

2.3 Monitoring

2.3.1 Epilepsie-Tagebuch

2.3.2 Videodokumentation

2.4 Literatur

3 Diagnostik

3.1 Einleitung

3.2 Signalement

3.2.1 Alter

3.2.2 Rasse

3.2.3 Geschlecht

3.3 Anamnese

3.3.1 Eltern und Wurfgeschwister

3.3.2 Herkunft

3.3.3 Patientenalter beim 1. Anfall

3.3.4 Auslöser des Anfalls

3.3.5 Ablauf des Anfalls

3.3.6 Interiktales Verhalten

3.3.7 Anfallshäufigkeit

3.4 Klinische Untersuchung

3.4.1 Allgemeine Untersuchung

3.4.2 Neurologische Untersuchung

3.4.3 Interpretation der neurologischen Untersuchung

3.5 Differenzialdiagnosen

3.5.1 VETAMIN-D

3.5.2 Eingrenzung der Differenzialdiagnosen

3.5.3 Weitere Differenzialdiagnosen

3.6 Labordiagnostik

3.6.1 Blutuntersuchung

3.6.2 Urinuntersuchung

3.6.3 Liquoruntersuchung

3.7 Bildgebende Diagnostik

3.7.1 Röntgen

3.7.2 Ultraschall

3.7.3 Computertomografie und Magnetresonanztomografie

3.7.4 EEG

3.8 Prognose

3.9 Literatur

4 Therapie

4.1 Allgemeines zur Therapie

4.1.1 Therapieziele

4.1.2 Tierhalterkommunikation

4.2 Pharmakologie der Antiepileptika

4.2.1 Zielstrukturen und Wirkungsmechanismen

4.2.2 Pharmakokinetik und Wechselwirkungen

4.3 Therapieprotokolle

4.3.1 Einleitung

4.3.2 Wahl des Antiepileptikums

4.3.3 Behandlungserfolg

4.3.4 Monotherapie

4.3.5 Kombinationstherapie

4.3.6 Absetzen eines Antiepileptikums

4.4 Therapieeinschränkungen

4.4.1 Hepatopathie

4.4.2 Nephropathie

4.4.3 Dermatopathie

4.4.4 Herzinsuffizienz

4.4.5 Trächtigkeit

4.4.6 Pankreatitis

4.4.7 Blutbildveränderungen

4.4.8 Hyperlipidämie

4.4.9 Gewichtszunahme

4.4.10 Einfluss auf das Endokrinium

4.5 Pharmakoresistenz

4.5.1 Hintergrund

4.5.2 Therapiealternativen

4.5.3 Tierschutz

4.6 Notfallmanagement

4.6.1 Pathophysiologie

4.6.2 Pharmakokinetische Überlegung

4.6.3 Diagnose und Therapie

4.6.4 Behandlung

4.7 Literatur

Anhang

Übersicht Antiepileptika

Epilepsie-Tagebuch

Anfallsübersicht

Nützliche Adressen

Blutspiegelkontrollen

Phenobarbital, Bromid

Phenobarbital, Bromid, Levetiracetam, Zonisamid

Toxikologische Untersuchungen

Untersuchung auf Speicherkrankheiten

Gentests

Webadressen

Autorenvorstellung

Anschriften

Sachverzeichnis

Impressum

1 Ätiologie und Pathogenese

Andrea Fischer, Velia Hülsmeyer

1.1 Definition

Andrea Fischer

Ein epileptischer Anfall ist die klinische Manifestation von episodisch auftretender, exzessiver und hypersynchroner elektrischer Aktivität des Gehirns. Die klinischen Symptome des epileptischen Anfalls variieren von leichtem Bewusstseinsverlust und geringgradigen motorischen Symptomen bis hin zu charakteristischer generalisierter Krampfaktivität mit tonisch-klonischen Krämpfen und vollständigem Bewusstseinsverlust. Häufig tritt begleitend eine erhöhte autonome Aktivität mit Speichelfluss, Mydriasis und Urinabsatz auf. Die klinischen Symptome eines epileptischen Anfalls treten dabei in Assoziation mit epileptiformer, elektroenzephalografisch nachweisbarer Aktivität des Gehirns auf.

Epilepsie ist eine Erkrankung, die durch das rezidivierende Auftreten von epileptischen Anfällen definiert ist. Die epileptischen Anfälle sind Folge einer andauernd veränderten Erregbarkeit und erniedrigten Krampfschwelle des Gehirns. Die Ursachen für die veränderte Erregbarkeit des Gehirns sind vielfältig. Dies sind im Falle der idiopathischen Epilepsie rein funktionelle Erkrankungen des Großhirns und im Falle der symptomatischen Epilepsie strukturelle Erkrankungen des Großhirns einschließlich bestimmter Gehirnstoffwechselstörungen. Epilepsie stellt somit die gemeinsame klinische Ausprägung einer Gruppe ätiologisch sehr unterschiedlich definierter Krankheiten dar. Nur im Fall der idiopathischen Epilepsie handelt es sich um eine per se genetisch definierte Krankheit (▶ Abb. 1.1).

Abb. 1.1 Schematische Übersicht über epileptische Anfälle.

Innerhalb der Epilepsien ist die idiopathische Epilepsie die häufigste neurologische Erkrankung des Hundes. Sie ist definiert durch das wiederholte Auftreten von fokalen und/oder generalisierten epileptischen Anfällen ohne nachweisbare Ursache, die aufgrund einer genetischen Prädisposition auftreten. Meist liegt eine lebenslange Erkrankung vor. Dabei wird die idiopathische Epilepsie als eine eigenständige Erkrankung betrachtet, die durch genetisch bedingte Veränderungen in der Erregbarkeit von Neuronenpopulationen und neuronalen Netzwerken bedingt ist bzw. auch auf einem Zusammenwirken von genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen beruhen kann. Mögliche Ursachen sind Imbalanzen zwischen exzitatorischen und inhibitorischen Einflüssen auf der Ebene von Neurotransmittern und deren Rezeptoren, Ionenkanälen und neuronalen Netzwerken, die in vielen Fällen genetisch bedingt sind und Fokus aktueller Forschung bei Mensch und Tier sind.

Epilepsie ohne nachweisbare Ursache ist eine häufige Diagnose bei Hunden, die in den ersten 5 Lebensjahren an Epilepsie erkranken. Diese wird bei bis zu 75 % der epileptischen Hunde in dieser Altersgruppe gestellt. Es ist davon auszugehen, dass ein großer Teil dieser Hunde an einer idiopathisch-genetischen Epilepsie leidet ▶ [2],▶ [82]. Aus klinischer Sicht wird die idiopathische Epilepsie daher aktuell definiert als das Auftreten wiederholter epileptischer Anfälle ohne nachweisbare Ursache bei Hunden, die beim 1. Anfall häufig zwischen 0,5 und 5 Jahren alt sind, und die daher wahrscheinlich genetisch bedingt ist. Ein begründeter Verdacht auf idiopathische Epilepsie besteht, wenn zusätzlich in der Familie des betroffenen Hundes vom gehäuften Auftreten von idiopathischer Epilepsie berichtet wird. Der Ausschluss nicht genetischer Ursachen für Epilepsie und assoziierte Erkrankungen muss dabei möglichst sorgfältig erfolgen. Die Abklärung sollte auf einer ausführlichen Anamneseerhebung, einer neurologischen Untersuchung und Laboruntersuchung sowie auf der Durchführung einer Magnetresonanztomografie und Liquoranalyse basieren.

Kryptogene Epilepsie ist eine Epilepsie, bei der trotz intensiver Untersuchungen keine Grundkrankheit gefunden wurde und eine genetische Ursache z. B. aufgrund eines höheren Alters beim 1. Anfall unwahrscheinlich erscheint.

Merke

Die Begriffe idiopathische Epilepsie und Epilepsie ohne nachweisbare Ursache sollten nicht beliebig austauschbar verwendet werden. Der Begriff idiopathische Epilepsie impliziert immer eine genetisch bedingte Neigung für das Auftreten der Epilepsie, die sich mit einer familiären Häufung innerhalb bestimmter Familien oder auch bestimmter Rassen bemerkbar macht.

Angebrachter wäre es – wie auch von einigen Autoren bereits verwendet ▶ [70] –, von idiopathisch-genetischer Epilepsie zu sprechen.

Die idiopathische Epilepsie ist häufig eine lebenslange Erkrankung, die eine dauerhafte medikamentöse Therapie mit antiepileptisch wirksamen Medikamenten erfordert.

Zusammenfassung

Idiopathische Epilepsie ist eine Epilepsie ohne nachweisbare Ursache, die auf einer erhöhten genetischen Prädisposition für das Auftreten von epileptischen Anfällen beruht.

1.2 Pathophysiologie

Andrea Fischer, Velia Hülsmeyer

Ein epileptischer Anfall ist die klinische Manifestation von exzessiver und/oder hypersynchroner elektrischer Aktivität in Großhirn und Thalamus (Prosencephalon), die einen plötzlichen Beginn hat, spontan wieder nachlässt und eine Tendenz zur Wiederholung zeigt. Das kortikale Neuronennetzwerk stellt ein konstant exzitatorisch aktives Gewebe dar, dessen Aktivität durch umgebende inhibitorische Einflüsse andauernd ausbalanciert wird. Ein epileptischer Anfall kann durch exzessive neuronale Exzitation oder durch einen Zusammenbruch der Inhibition entstehen. Das Versagen der Inhibition wird dabei als der Hauptmechanismus bei der Entstehung epileptischer Anfälle verstanden. Dies begünstigt dann die Ausbreitung der hypersynchronen exzessiven Aktivität von einer Neuronengruppe aus auf angrenzende kortikale Areale (fokale Anfälle) oder auch zum Thalamus und von dort über kortikale Projektionen auf beide Großhirnhemisphären.

Unmittelbarer Auslöser für einen epileptischen Anfall kann dabei jede Veränderung exzitatorischer und inhibitorischer Einflüsse von Neuronen und deren Umgebung im zerebralen Kortex und im Thalamus sein:

Strukturelle intrakranielle Erkrankungen im Bereich des Großhirns: Dies sind Missbildungen wie kortikale Dysplasie, Lissenzephalie, Porenzephalie oder Hydrozephalus, Tumoren, Entzündungen oder zerebrovaskuläre Erkrankungen (Infarkt, Blutung, auch im Zusammenhang mit Hypertension). Auch Gehirnstoffwechselstörungen, die zu strukturellen Veränderungen und neuronaler Degeneration führen, z. B. einige neuronale Ceroid-Lipofuszinosen oder mitochondriale Enzephalopathien oder auch die Myoklonusepilepsie des Hundes, sollten hier eingeordnet werden.

Primär extrakranielle Erkrankungen, die die Homöostase von Neuronen und deren Metabolismus beeinflussen: Dies sind z. B. Elektrolytstörungen und Störungen in der Osmolalität der Extrazellularflüssigkeit, Hypoglykämie, Hypoxie und hepatische Enzephalopathie. In schweren Fällen können diese auch zu sekundärer Degeneration von Neuronen führen.

Inhärent genetisch bedingte Prädispositionen, die eine generell erniedrigte Krampfschwelle zur Folge haben, wie dies bei der idiopathischen Epilepsie des Hundes gegeben ist: Hier gibt es aktuell auch Hinweise darauf, dass Defekte in der postnatalen Reifungsphase des Gehirns an der Ausprägung von epileptogenen neuronalen Netzwerken beteiligt sein können ▶ [71].

1.2.1 Erregbarkeit von Neuronen

„Alle Nervenzellen haben die Fähigkeit, elektrische Potenziale als Aktionspotenziale weiterzuleiten“ ▶ [77]. Das häufigste Neuron des Nervensystems ist das multipolare Neuron. Es besteht aus einem Zellkörper (Perikaryon, Soma), einem Axon (Neuriten) und vielen einzelnen Dendriten. Das Axon dient der Erregungsweiterleitung und bildet Synapsen mit anderen Neuronen, während die stark verzweigten Dendriten dem Erregungsempfang dienen. Jedes Neuron bekommt über zahlreiche Synapsen an Dendriten am Zellkörper (axodentritische und axosomatische Synapsen), teilweise auch am Axon (axoaxonale Synapsen), Informationen von anderen Neuronen. Diese verändern das Membranpotenzial durch das Öffnen von Ionenkanälen und den Ein- oder Ausstrom von Ionen im Sinne einer Erregung oder Hemmung. Dabei wirkt z. B. eine Erhöhung der intrazellulären Chloridkonzentration hemmend durch eine Erhöhung der intra-extrazellulären Ionendifferenz und somit einer Erhöhung des Ruhemembranpotenzials. Letztendlich bestimmt dann die Summe der erregenden (z. B. Natrium- und Kalziumeinstrom) und hemmenden Ionenflüsse (z. B. Chlorideinstrom) den Erregungszustand des Neurons.

Daneben hat aber auch die Homöostase in der extrazellulären Umgebung einen wichtigen Einfluss auf den Erregungszustand der kortikalen Neurone. Für die Aufrechterhaltung optimaler Elektrolytkonzentrationen im extrazellulären Milieu und die Aufnahme und den Abbau von Neurotransmittern spielen die Gliazellen des Nervensystems, vor allem die Astroglia, eine wichtige regulatorische Rolle.

1.2.2 Die wichtigsten Neurotransmittersysteme

Es gibt primär exzitatorisch und inhibitorisch wirkende Neurotransmitter. Unmittelbarer Auslöser für die Freisetzung von Neurotransmittern in den synaptischen Spalt ist die Ankunft eines Aktionspotenzials am Axonende und ein Anstieg der intrazellulären Kalziumkonzentration.

Die Exzitation von Neuronen wird hauptsächlich durch die Neurotransmitter Glutamat (auch Aspartat, Azetylcholin) und deren Rezeptoren vermittelt, wobei Adenosin als wichtiger Botenstoff für die Freisetzung von Glutamat fungiert. Die Inhibition von Neuronen beruht auf der Wirkung der Neurotransmitter GABA (γ-Aminobuttersäure; aber auch Glyzin, Taurin und Norepinephrin) und deren Rezeptoren. Im Detail wird die Wirkung dieser Neurotransmitter jedoch durch spezifische Rezeptoren an der postsynaptischen Membran und die Zielneurone bestimmt, mit denen sie interagieren.

Die Neurotransmitterrezeptoren sind komplexe multimere Moleküle, die in unterschiedlichen Konformationen vorliegen können. Ihre inhibitorische oder exzitatorische Wirkung wird durch die Öffnung von Ionenkanälen vermittelt, die den Einstrom oder Ausfluss von Ionen ermöglichen. Daneben gibt es verschiedene Andockstellen, über die dann die Wirkung von antiepileptischen Medikamenten vermittelt wird.

1.2.2.1 Glutamatrezeptoren

Es gibt inotrope und metabotrope Glutamatrezeptoren (exzitatorisch) mit jeweils verschiedenen Subtypen ▶ [64].

Die großen Pyramidenzellen der Hirnrinde verwenden ausschließlich Glutamat als Neurotransmitter und fungieren als exzitatorische glutaminerge Neurone. Ihre Axone stellen das Hauptausgangssystem des Kortex nach ventral mit Verbindung zu tiefer gelegenen Strukturen dar. Daneben bilden sie Verbindungen zu anderen kortikalen Strukturen als Assoziations- und Kommissuralfasern. Das elektrische Potenzial auf den Perikarya der Pyramidenzellen bzw. die Summe vieler Potenziale bilden die Grundlage für die elektrische Aktivität, die als EEG auf der Gehirnoberfläche aufgezeichnet werden kann.

1.2.2.2 GABA-Rezeptoren

Es gibt 2 Klassen von GABA-Rezeptoren (inhibitorisch), GABAA- und GABAB-Rezeptoren. GABAA-Rezeptoren fungieren als Chloridkanäle.

Die Interneurone (Nicht-Pyramidenzellen) der Hirnrinde in der Molekular- und Körnerschicht verwenden vorwiegend GABA als Neurotransmitter und sind somit inhibitorische Neurone. Im Gegensatz zu den Pyramidenzellen verlassen sie die Hirnrinde nicht.

1.2.2.3 Wirkungen von Neurotransmittern

Wichtige Wirkungen von Neurotransmittern und deren Rezeptoren bei Epilepsien wurden vor allem in experimentellen Tiermodellen charakterisiert:

Reduzierte Inhibition durch GABAA-Rezeptoren: Diesem Mechanismus wird eine bedeutende Rolle bei der Pathogenese der Epilepsie zugesprochen.

Veränderungen in der Konformation und Expression von GABAA-Rezeptoren im Verlauf der Epilepsie und bei schweren langandauernden epileptischen Anfällen beeinflussen möglicherweise die Ansprechbarkeit auf Medikamente ▶ [24].

Bei lang andauernden und wiederholten epileptischen Anfällen führt eine exzessive Glutamat-vermittelte Aktivierung über einen erhöhten Kalzium- und Natriumeinstrom zur Zellschwellung, zum Ödem sowie zu Kalzium-vermittelten Enzymkaskaden. Diese führen letztendlich zu neuronaler Nekrose und Zelluntergängen. Dieser gesamte Mechanismus wird unter dem Begriff der Glutamat-vermittelten Exzitotoxizität zusammengefasst ▶ [64].

Wenn eine erhöhte Prädisposition für epileptische Anfälle und eine allgemein erniedrigte Krampfschwelle mit erhöhter neuronaler Exzitabilität vorliegt, können epileptische Anfälle aber auch durch Faktoren, die die Erregbarkeit von Neuronen allgemein erhöhen, entstehen ▶ [25].

Des Weiteren kann auch jede strukturelle Läsion des Großhirns die Exzitabilität kortikaler Neurone in lokalisierten Arealen im Bereich der Läsion auf Dauer verändern. Dies ist vor allem für Schädel-Hirn-Traumata bekannt, die auch beim Hund einen Prozess der Epileptogenese in Gang setzen können, der letztendlich zu einer posttraumatische Epilepsie führt ▶ [20],▶ [76]. Auch können Infektionen mit dem kaninen Staupevirus zu morphologisch und funktionell fassbaren Veränderungen in epileptogenen Strukturen im Hippocampus von Hunden führen ▶ [67].

1.2.3 Epileptogene Strukturen

Epileptische Anfälle sind ein Symptom, das dem Großhirn und dem Thalamus (Prosencephalon) zugeordnet wird. Jede Veränderung in der Struktur und Homöostase thalamokortikaler Strukturen kann die Entstehung epileptischer Anfälle beeinflussen. Innerhalb des Großhirns ist die langandauernde Depolarisation einer Gruppe von Pyramidenzellen das initiale Event eines jedes Anfalls. Dieses wird als paroxysmaler Depolarisationsshift bezeichnet. Je nachdem, ob diese ausgeprägte andauernde Depolarisation nur eine Gruppe von Neuronen betrifft oder gleichzeitig in beiden Großhirnhemisphären auftritt, kommt es zu primär fokalen oder primär generalisierten Anfällen. Der Depolarisationsshift kann sich auch – initial von einer Neuronengruppe ausgehend – sekundär in einer Welle über das gesamte kortikale Areal ausbreiten, was dann einem generalisierten Anfall mit fokalem Beginn entspricht.

Bedeutende epileptogene Strukturen sind der Hippocampus, die Amygdala, der temporale Kortex und das Septum ▶ [25]. Veränderungen im Hippocampus können die Bereitschaft zu epileptischen Anfällen ganz wesentlich erhöhen. Im Zusammenhang mit Epilepsien wurden sekundäre Veränderungen im Hippocampus – anders als beim Menschen – nur selten beim Hund nachgewiesen.

1.3 Genetik der idiopathischen Epilepsie des Hundes

Velia Hülsmeyer, Andrea Fischer

Prinzipiell kann jeder Hund – sowohl Rassehund als auch Mischling – an einer idiopathischen Epilepsie erkranken. Da bei sehr vielen Hunderassen jedoch ein überproportional häufiges Auftreten wie auch ein familiär gehäuftes Vorkommen beobachtet wird, wird beim Hund in Analogie zur Humanmedizin schon lange eine starke genetische Prädisposition für die idiopathische Epilepsie vermutet ▶ [8],▶ [41]. Bei vielen Hunderassen wird auf Basis von Stammbaum- und Segregationsanalysen eine genetische Ursache für die idiopathische Epilepsie inzwischen als mehr oder weniger erwiesen angesehen. Es bleibt jedoch zu beachten, dass in der Vergangenheit sogar innerhalb derselben Rasse unterschiedliche Vererbungsmuster postuliert wurden (▶ Tab. 1.1) ▶ [14].

Tab. 1.1

 Überblick über die vermuteten genetischen Grundlagen der idiopathischen Epilepsie beim Hund, modifiziert nach Ekenstedt et al.

▶ [14]

. Bei vielen weiteren Rassen gibt es Hinweise auf eine genetische Prädisposition . Zuverlässige Daten zu Stammbaum- oder Segregationsanalysen fehlen hier jedoch noch, weshalb sie an dieser Stelle nicht gelistet sind. Die gesicherte Identifikation einer kausalen Mutation in einem Epilepsie-Gen gelang bisher nur beim Lagotto Romagnolo.

Rasse

möglicher Erbgang

kausale Mutation

Australian Shepherd ▶ [81]

Gründereffekt eines Vorfahren

Beagle ▶ [6]

Gründereffekt eines Vorfahren; Rüden überrepräsentiert

Belgischer Schäferhund (Tervueren) ▶ [3],▶ [17],▶ [18],▶ [59],▶ [60],▶ [70]

variable Ergebnisse in Bezug auf den vermuteten Erbgang (monogen, Effekt eines Majorgens, polygen)

Heritabilitätsindex 0,77

eventuell erhöhtes Epilepsierisiko bei einem Polymorphismus im ADAM23-Gen

Berner Sennenhund ▶ [37]

polygen, Rüden überrepräsentiert

Border Collie ▶ [34]

autosomal-rezessiv, komplexe oder polygene Vererbung möglich

Deutscher Schäferhund ▶ [16]

Gründereffekt eines Vorfahren; Rüden überrepräsentiert

Englischer Springer Spaniel ▶ [62]

autosomal-rezessiv mit unvollständiger Penetranz oder polygen

Golden Retriever ▶ [73]

autosomal-rezessiv und multifaktoriell, Rüden überrepräsentiert

Irischer Wolfshund ▶ [7]

autosomal-rezessiv mit unvollständiger Penetranz , höheres Erkrankungsrisiko für Rüden, Heritabilitätsindex 0,87

Labrador Retriever ▶ [35]

polygen rezessiv

Lagotto Romagnolo (Italienischer Trüffelhund) ▶ [71]

einfach autosomal-rezessiv

Mutation im LGI2-Gen (Trunkierung)

Standard Pudel ▶ [46]

einfach autosomal-rezessiv mit vermutlich vollständiger oder nahezu vollständiger Penetranz

Wolfsspitz ▶ [80]

Gründereffekt eines Vorfahren

Wolfsspitz ▶ [29]

einfach autosomal-rezessiv

Vizsla ▶ [63]

autosomal-rezessiv, großer Effekt eines einzelnen Genlocus (Effekt eines Majorgens) oder polygen; Rüden ganz ggr. überrepräsentiert

In Anlehnung an Daten aus der Humanmedizin werden als mögliche veränderte Epilepsie-assoziierte Strukturen beim Hund vor allem Ionenkanal- oder Rezeptormutationen diskutiert ▶ [15]. Trotz extensiver Bemühungen und umfangreicher molekulargenetischer Analysen bei zahlreichen Hunderassen gelang der endgültige Durchbruch bislang nur bei einer einzigen Hunderasse, dem Italienischen Trüffelhund (Lagotto Romagnolo). Bei anderen Hunderassen verlief die Suche nach möglichen involvierten Genen bisher überwiegend unbefriedigend. Gründe hierfür könnten eine polygene komplexe Vererbung der Erkrankung, eine variable Penetranz des Merkmals oder eine unzureichende Phänotypisierung der Patientengruppen sein. So lieferte auch die Analyse von 52 möglichen Kandidatengenen bei 4 unterschiedlichen Hunderassen (Vizsla, Großer Schweizer Sennenhund, Englischer Springer Spaniel und Beagle) bisher keine zufriedenstellenden Ergebnisse ▶ [15]. Im Rahmen der europäischen LUPA-Initiative wurden jedoch neue potenzielle Genloci auf unterschiedlichen Chromosomen beim Belgischen Schäferhund, Norwich Terrier, Border Terrier, Schipperke und beim Finnischen Spitz kartiert. Doch auch hier steht die gesicherte Identifikation kausaler Mutationen weiterhin aus ▶ [44].

Vielversprechendere Ergebnisse resultieren aus einer genomweiten Assoziationsstudie beim Belgischen Schäferhund: Ein erhöhtes Epilepsierisiko war hier mit einem homozygoten two-SNP Haplotyp im ADAM23-Gen assoziiert ▶ [70]. Der ADAM23-Rezeptor stellt durch seine Interaktion mit den wichtigen „Epilepsieproteinen“ LGI1 und LGI2 und der synaptischen Remodellierung ein aus funktioneller Sicht vielversprechendes Kandidatengen dar ▶ [71]. Endgültige Ergebnisse stehen aber auch hier noch aus.

1.3.1 Mutation im kaninen LGI2-Gen beim Lagotto Romagnolo

Bei der autosomal-rezessiv vererbten benignen familiären juvenilen Epilepsie des Lagotto Romagnolo (Italienischer Trüffelhund) konnte eine Mutation im kaninen LGI2-Gen nachgewiesen und an Kontrollpopulationen evaluiert werden ▶ [71]. Das LGI2-Protein wird in der frühen postnatalen Phase im Gehirn exprimiert, und es wird vermutet, dass es ähnlich dem LGI1-Protein über eine Interaktion mit der ADAM-Rezeptor-Familie zur Aufrechterhaltung der elektrischen Stabilität und der postnatalen Reifung des Gehirns beiträgt. In der späten postnatalen Phase wird die Funktion des LGI2-Proteins von dem Protein LGI1 übernommen. Dies erklärt auch die beim Italienischen Trüffelhund charakteristische spontan einsetzende Anfallsremission im Alter von ca. 4 Monaten infolge einer LGI2-zu-LGI1-Transmission ▶ [71].

Die benigne familiäre juvenile Epilepsie des Lagotto Romagnolo stellt beim Hund die bislang einzige Epilepsie dar, bei der eine zugrundeliegende genetische Mutation identifiziert wurde. Darüberhinaus konnte eine tragfähige funktionelle Erklärung für die verantwortlichen pathophysiologischen Vorgänge im Gehirn und den Verlauf der Epilepsie gegeben werden. Besonders interessant ist hierbei auch, dass eine ähnliche Epilepsieform und Mutation in der Humanmedizin bekannt ist.

1.3.2 Genetischer Hintergrund bei progressiver Myoklonusepilepsie

Eine Sonderstellung nimmt die autosomal-rezessiv vererbte progressive Myoklonusepilepsie beim Zwerg-Rauhaardackel und beim Basset ein. Genau betrachtet handelt es sich hierbei jedoch nicht um eine idiopathische Epilepsie, sondern vielmehr um eine Speicherkrankheit im Sinne einer Gehirnstoffwechselstörung (strukturell-metabolische Epilepsie). Durch eine Störung im Glykogenstoffwechsel kommt es zur intrazellulären Ablagerung von Polyglukosanen (lafora bodies), die morphologisch im Gehirn, in der Leber und im Muskel nachweisbar sind. Verantwortlich ist eine Mutation (tandem repeat expansion) im EPM2B-Gen, auch NHLRC1-Gen genannt ▶ [49].

Beim Zwerg-Rauhaardackel liegt das typische Manifestationsalter zwischen dem 6. und 9. Lebensjahr. Klinisch zeigen die Hunde generalisierten Tremor, Myoklonien, Zuckungen im Kopfbereich und generalisierte myoklonische Krampfanfälle ▶ [49]. Die Symptome sind häufig durch visuelle Stimuli oder Geräusche auslösbar. Für den Zwerg-Rauhaardackel und den Basset steht ein Gentest zur Verfügung. Myoklonusepilepsie, auch Lafora-Epilepsie genannt, ist aber auch bei anderen Hunderassen beschrieben, z. B. beim Pudel, Beagle, Pointer und Corgi. Hier existiert jedoch kein Gentest ▶ [11],▶ [32],▶ [69].

Auch die bei vielen Rassen dokumentierte neuronale Ceroid-Lipofuszinose (NCL), die zu progressiven Wesensänderungen und visuellen Störungen führt und im Spätstadium auch zu epileptischen Anfällen, wird wie die progessive Myoklonusepilepsie zu den Speicherkrankheiten gerechnet. Je nach Rasse stehen spezifische kommerzielle genetische Tests für das Vorkommen der NCL zur Verfügung.

1.3.3 Pharmakogenomische Untersuchungen

Nicht nur die Suche nach epilepsieauslösenden Genen, sondern auch die sogenannte Pharmakogenetik gewinnt immer mehr an Relevanz. Pharmakogenomische Analysen charakterisieren den Einfluss individueller genetischer Modifikationen auf die Ausprägung verschiedener Krankheitsverläufe wie das Vorkommen von Pharmakoresistenzen innerhalb einer betroffenen Population. So konnte bei der Rasse Border Collie eine bestimmte genetische Variation im Intron 1 des ABCB1-Gens (MDR1-Gen) mit phenobarbitalresistenter Epilepsie und einem schwereren Krankheitsverlauf assoziiert werden ▶ [1]. Diese Mutation könnte mit einer Hochregulation des Multidrug-Transporters (Pgp) und somit mit niedrigeren Konzentrationen bestimmter Antiepileptika am Wirkungsort assoziiert sein. Bei der Rasse Collie sprachen an Epilepsie erkrankte Hunde mit einem MDR1-Gendefekt insgesamt besser auf eine antiepileptische Therapie an als Hunde mit dem intakten Gen bzw. zeigten einen milderen Verlauf der Epilepsie. Ob dies jedoch tatsächlich mit der Funktionseinschränkung des Multidrug-Transporters (Pgp) oder mit anderen modulierenden Mechanismen zusammenhängt, ist bisher nicht endgültig geklärt ▶ [57].

1.3.4 Idiopathische Epilepsie – eine Ausschlussdiagnose

Zusammenfassend spiegelt die derzeitige Situation bei der idiopathischen Epilepsie des Hundes die Situation in der Humanmedizin wider. Auch hier gelang die Identifikation ursächlicher Genmutationen bislang nur bei sehr seltenen und monogen vererbten Epilepsien ▶ [51],▶ [75]. Die Diagnose idiopathische Epilepsie ist somit bei fast allen betroffenen Hunderassen in Ermangelung zur Verfügung stehender Gentests nach wie vor nur als Verdachts- bzw. Ausschlussdiagnose möglich. Unterstützt wird die Diagnose einer idiopathisch-genetischen Epilepsie und deren Abgrenzung von Epilepsien unbekannter Ursache durch eine mögliche Rasseprädisposition oder eine familiäre Vorbelastung und das charakteristische Alter bei Anfallsbeginn sowie unauffällige Untersuchungsbefunde. Erschwerend kommt hinzu, dass auch innerhalb ein und derselben Hunderasse die Penetranz der Epilepsie variieren kann. Ursachen für individuelle Unterschiede in der Penetranz können modifizierende Gene oder modulierende Umwelteinflüsse sein, die das Auftreten von variablen Krankheitsausprägungen und Krankheitsverläufen begünstigen. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die idiopathische Epilepsie des Hundes – wie auch beim Menschen – eine komplex genetische Erkrankung darstellt, die durch verschiedene intrinsische genetische und extrinsische Faktoren modifiziert wird.

Als wichtige Differenzialdiagnose zur idiopathischen Epilepsie muss neuen Daten zufolge auch beim Hund ein eventuell schon länger zurückliegendes Schädel-Hirn-Trauma berücksichtigt werden. Dieses kann, wie bei der posttraumatischen Epilepsie des Menschen, auch erst Monate oder Jahre später zur Ausprägung epileptischer Anfälle führen. Die Prävalenz der posttraumatischen Epilepsie bei Hunden mit einem Schädel-Hirn-Trauma liegt je nach Studie bei 6,6–6,8 % ▶ [20],▶ [76]. Hunde mit einem Schädel-Hirn-Trauma hatten einer aktuellen Studie zufolge im Vergleich zu einer Kontrollpopulation ein 3,4-mal höheres Risiko, eine Epilepsie zu entwickeln ▶ [76]. Diese Daten zeigen auf, wie wichtig und unerlässlich eine ausführliche Anamnese in der Diagnostik der idiopathischen Epilepsie ist.

1.3.5 Zuchtempfehlungen

Die bei vielen Hunderassen vermutete rezessive oder polygene Vererbung der idiopathischen Epilepsie und deren Prävalenz lassen vermuten, dass potenzielle Anlageträger innerhalb einer Rasse weitverbreitet sind. Züchterisch bedeutet dies, dass – ohne die Möglichkeit, Anlageträger durch Gentests zu erfassen – eine weitere Verbreitung der bei einer Epilepsie beteiligten Gene in der Population nur schwer verhindert werden kann.

Erschwerend kommt hinzu , dass häufig schon in einem frühen Alter – also vor der Erstmanifestation der Epilepsie – gezüchtet wird. Der „Epilepsiestatus“ der eingesetzten Zuchthunde ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar. An idiopathischer Epilepsie erkrankte Hunde und soweit möglich auch deren direkte Verwandte (Elterntiere, Geschwister, direkte Nachkommen) sollten von der Zucht ausgeschlossen werden. Besonders wünschenswert wäre es auch, dass Hunde mit Verdacht auf idiopathische Epilepsie von den Zuchtverbänden erfasst und deren Daten/Linien öffentlich zugänglich gemacht werden, damit verantwortungsbewusste Züchter und Käufer eine sinnvolle Zuchtwahl treffen können. Dabei muss jedoch eine Stigmatisierung betroffener Züchter verhindert werden, denn nur durch Transparenz und verantwortungsvollen Umgang mit betroffenen Hunden durch die Züchter wird es in Zukunft möglich sein, sinnvolle Zuchtempfehlungen zu geben. Hier besteht – anders als im Ausland – bei vielen Rassehundeverbänden noch großer Handlungsbedarf.

1.4 Rasseprädispositionen und Prävalenz der idiopathischen Epilepsie

Velia Hülsmeyer, Andrea Fischer

Epileptische Anfälle stellen eine der häufigsten chronischen neurologischen Erkrankungen des Hundes dar. In einer aktuellen Prävalenzstudie waren 0,6 % aller Hunde von Epilepsie unbekannter Ursache betroffen ▶ [39]. Basierend auf älteren Daten wurden oft höhere Prävalenzen von ca. 0,5–5,7 % angegeben, wobei zur Datenerhebung aber oft Klinikpopulationen und unterschiedliche Einschlusskriterien herangezogen wurden. Aktuell wird davon ausgegangen, dass die Prävalenz der Epilepsie beim Hund 0,5–1 % beträgt. Die Prävalenz kann aber zum Teil – insbesondere in bestimmten Rassen oder Familien mit genetischer Prädisposition zur Epilepsie – auch deutlich höher liegen (▶ Tab. 1.2).

In den vergangenen Jahren entstanden viele detaillierte Studien hinsichtlich klinischer Charakterisierung und Epidemiologie bei einzelnen betroffenen Hunderassen. Über diese soll im Folgenden ein kurzer Überblick gegeben werden. Es bleibt jedoch anzumerken, dass die idiopathische Epilepsie potenziell bei jeder Hunderasse auftreten kann und auch bei anderen als den hier aufgeführten Hunderassen eine Rasseprädisposition und erhöhte Prävalenz vorliegen kann.

Tab. 1.2

 Häufigkeit der idiopathischen Epilepsie innerhalb bestimmter Hunderassen und Populationen. Die Angaben zur Häufigkeit basieren auf Untersuchungen in bestimmten geografischen Regionen und auf unterschiedlichen Berechnungsmethoden. Sie können somit nicht uneingeschränkt auf eine gesamte Rasse angewendet werden. Je nach Studie wurde die Prävalenz bzw. Inzidenz untersucht.

Hunderasse

Häufigkeit

Belgischer Schäferhund (Tervueren, USA) ▶ [18]

17 %

Belgischer Schäferhund (Tervueren) und Belgischer Sheepdog (USA) ▶ [60]

12,2 % bzw. 12,7 %

Belgischer Schäferhund (Groenendael und Tervueren, Dänemark) ▶ [4]

9,5 %

Belgischer Schäferhund (Groenendael und Tervueren, Dänemark) ▶ [3]

33 % innerhalb einer großen betroffenen Familie

Berner Sennenhund (Schweiz) ▶ [37]

1,25 %

Border Terrier (Deutschland) ▶ [40]

13,1 %

Dänischer Labrador Retriever (Dänemark) ▶ [5]

3,1 %

Irischer Wolfshund (USA) ▶ [7]

18,3 %

Petit Basset Griffon Vendeen (Dänemark) ▶ [27]

8,9 %

Rasseprädispositionen

Hunderassen, bei denen das gehäufte Vorkommen von idiopathischer Epilepsie als sehr wahrscheinlich bzw. erwiesen gilt (modifiziert nach Lorenz et al. ▶ [50]):

Australian Shepherd ▶ [81]

Beagle ▶ [6],▶ [14],▶ [21]

Belgischer Schäferhund ▶ [3],▶ [4],▶ [17],▶ [18],▶ [26],▶ [59],▶ [60],▶ [70]

Berner Sennenhund ▶ [37]

Border Collie ▶ [34]

Border Terrier ▶ [40]

Dackel (Dachshund) ▶ [33]

Deutscher Schäferhund (Alsatian) ▶ [16]

Englischer Springer Spaniel ▶ [62]

Finnischer Spitz ▶ [79]

Golden Retriever ▶ [43],▶ [72],▶ [73]

Irischer Wolfshund ▶ [7]

Wolfsspitz (Keeshond) ▶ [29],▶ [80]

Lagotto Romganolo (Italienischer Trüffelhund) ▶ [71]

Labrador Retriever ▶ [5],▶ [31],▶ [35]

Petit Basset Griffon Vendeen ▶ [27]

Standardpudel ▶ [46],▶ [47]

Vizsla ▶ [63]

Weitere Hunderassen mit Hinweisen auf ein gehäuftes Vorkommen einer idiopathischen Epilepsie basierend auf klinischen Beobachtungen:

Cocker Spaniel, Collie, Irischer Setter, Zwergschnauzer, Bernhardiner, Sibirischer Husky, Drahthaar Fox Terrier ▶ [48],▶ [50]

Boxer ▶ [28],▶ [58]

Collie ▶ [57]

Dalmatiner ▶ [47]

Cavalier King Charles Spaniel ▶ [13],▶ [68]

1.4.1 Australian Shepherd

In einer Studie wurden 50 betroffene Australian Shepherds untersucht ▶ [130]. Das mediane Alter bei Anfallsbeginn lag bei 2,5 Jahren (0,3–5 Jahre). Rüden waren überrepräsentiert. Primär generalisierte Anfälle traten bei 36 % der untersuchten Hunde auf, 26 % der Hunde zeigten primär fokal sekundär generalisierte Anfälle, und bei 38 % traten beide Anfallstypen auf; 52 % der Hunde zeigten neben den generalisierten Anfällen auch isoliert fokale Anfälle. Ein milder Krankheitsverlauf mit singulären epileptischen Anfällen lag bei 20 % vor. Weitere 20 % zeigten einen moderaten Krankheitsverlauf mit Clusteranfällen, und 60 % der Hunde zeigten einen schweren Krankheitsverlauf mit Auftreten eines Status epilepticus. 56 % der Hunde, die mindestens mit Phenobarbital behandelt wurden, sprachen unzureichend auf die Therapie an. Hunde, die bei Anfallsbeginn jünger waren oder einen Non-merle-Phänotyp aufwiesen, sprachen schlechter auf eine Therapie an. Das mediane Todesalter lag bei 3,1 Jahren (1,8–4,7 Jahre). Kürzere Überlebenszeiten zeigten pharmakoresistente Hunde sowie Hunde mit einem sehr jungen Alter bei Anfallsbeginn (< 2 Jahren), Non-merle-Hunde und Hunde mit einer initial hohen Anfallsfrequenz (≥ 10 Anfallstage in den ersten 6 Monaten). 29 der betroffenen Hunde konnten auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückverfolgt werden. Die Identifikation eines verantwortlichen Gendefekts gelang bislang nicht ▶ [81].

Beim Australian Shepherd muss differenzialdiagnostisch zur idiopathischen Epilepsie das Vorkommen der neuronalen Ceroid-Lipofuszinose (NCL) berücksichtigt werden. Hier kommt es jedoch in der Regel zu schweren neurologischen Störungen, wie z. B. Blindheit, Tremor, Fliegenschnappen, und erst im Spätstadium zu epileptischen Anfällen. Ein Gentest für die NCL steht zur Verfügung ▶ [38],▶ [61].

1.4.2 Belgischer Schäferhund

Der Belgische Schäferhund ist die am intensivsten untersuchte Hunderasse im Bereich der idiopathischen Epilepsie. Bereits 1968 wurde eine starke genetische Prädisposition für die Epilepsie beim Belgischen Schäferhund postuliert ▶ [78]. Dies wurde später mittels Segregationsanalysen bestätigt ▶ [17],▶ [18]. Der Heritabilitätsindex lag in einer der durchgeführten Studien bei 0,77 ▶ [18]. Die Prävalenzen und vermuteten Erbgänge unterscheiden sich je nach Population und Untersuchung (▶ Tab. 1.2). In einer weiteren Studie wurde detailliert die klinische Manifestation der Epilepsie beim Belgischen Schäferhund untersucht. Der 1. Anfall trat durchschnittlich im Alter von 3,3 Jahren auf. Erkrankte Hündinnen waren im Vergleich zu erkrankten Rüden überrepräsentiert. Bei 25 % der Hunde manifestierten sich die Anfälle fokal, 53 % zeigten fokale Anfälle mit sekundärer Generalisation und 18 % hatten primär generalisierte Anfälle. In 4 % der Fälle konnten die Anfälle nicht eindeutig klassifiziert werden. Die mediane Überlebensdauer nach dem 1. Anfall lag bei 2,5 Jahren ▶ [4]. Die eindeutige Identifikation eines verantwortlichen Gens gelang bislang nicht. Es konnte aber kürzlich ein erhöhtes Epilepsierisiko in Assoziation zu einem homozygoten two-SNP Haplotyp im ADAM23-Gen nachgewiesen werden ▶ [70].

1.4.3 Berner Sennenhund

In einer Studie wurden 50 Berner Sennenhunde mit epileptischen Anfällen untersucht ▶ [37]. Das durchschnittliche Alter bei Krankheitsbeginn betrug 26,5 Monate (2–70,5 Monate); wobei 62 % der Hunde den 1. Anfall zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr zeigten, 20 % der Hunde waren bei Krankheitsbeginn jünger als 1 Jahr und 18 % älter als 3 Jahre. Betroffene Hunde mit ebenfalls erkrankten Eltern waren bei Anfallsbeginn signifikant jünger als betroffene Hunde mit gesunden Eltern. Rüden waren signifikant häufiger betroffen als Hündinnen. Fast alle Hunde zeigten generalisierte tonisch-klonische Anfälle