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Magisterarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, Universität Potsdam (Institut für Germanistik), Sprache: Deutsch, Abstract: Protagonisten popliterarischer Texte zeichnen sich dadurch aus, dass ihr jugendliches Verhalten mit ihrem Erwachsenenstatus kollidiert. Durch das Aufwachsen in einer sich stetig verändernden und schnell wachsenden Medien- und Konsumgesellschaft in eine frühe Erwachsenenrolle gedrängt, holen sie sich als “Post-Adoleszente“ zwischen Anfang Zwanzig und Mitte Dreißig, eben das zurück, was ihnen während der Adoleszenz verwehrt blieb: das kindliche Freiheitsgefühl durch die Abgabe jeglicher Verantwortung. Meist sozial isoliert befinden sie sich auf der Suche nach Bindungen, Orientierung und nicht zuletzt der eigenen Identität. Den Reifeprozess, der zum Erwachsensein bzw. zur Eingliederung in die Gesellschaft nötig ist und der eigentlich während der Pubertät bzw. der Adoleszenzphase hätte ablaufen sollen, erleben sie verspätet. Popliterarische Texte sind somit durch ihre jugendlichen bzw. jugendlich gebliebenen Protagonisten prädestiniert, um Initiationen (Übergänge) in Individuations- und Sozialisationsprozesse zu schildern. Die Ausgangsfrage der Magisterarbeit ist diejenige, ob der deutschsprachige Pop-Roman der Jahrtausendwende als Initiationstext gelesen werden kann. Zur Beantwortung dieser Frage werden drei ausgewählte Romane der jüngeren deutschen Popliteratur auf diesen Gesichtspunkt hin untersucht. Es handelt sich hierbei um Christian Krachts "Faserland" (1995), der die Ära der neuen deutschen Popliteratur einläutete und somit von „initialer Bedeutung“ für die Generation nachfolgender junger Pop-Autoren war, Selim Özdogans "Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist" (1995) und Benjamin von Stuckrad–Barres "Soloalbum" (1998). Weiterhin beleuchtet die Arbeit das Phänomen Popliteratur und beschreibt das Aufkommen und die Veränderung der Initiationsthematik innerhalb der amerikanischen und deutschen Literaturgeschichte.
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2.Selim Özdogan:Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist
2.1. Autor und autobiografischer Gehalt des Textes 2.1.1. Özdogan undMigrationsliteratur2.2. Inhaltsangabe 2.3. Zukunftsangst 2.3.1 Literatur als Refugium 2.3.2 Alkohol und Esther: von Mitteln der Betäubung
2.4. Verlustängste 2.4.1. Freundschaft
2.5.Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist- ein Initiationstext?
3. Benjamin von Stuckrad-Barre:Soloalbum
3.1. Autor und autobiografischer Gehalt des Textes 3.2. Inhaltsangabe 3.3. Einsamkeit
3.3.1. Ende einer Liebesbeziehung 3.3.2. Alkohol und Musik: von Spendern des Trostes 3.3.3. Ironie und Indifferenz als Resultat des Alleinseins 3.4.Soloalbum- ein Initiationstext? 162
Fazit
Literaturverzeichnis3
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Einleitung
„Wir sind wie Tom Hanks inBig.Kleine Jungen und Mädchen, die in Erwachsenenkörpern stecken und das Beste daraus machen müssen.“1
Mit diesen Worten beschreibt Laura in Nick Hornbys Pop-RomanHigh Fidelity2das typische Problem ihrer Generation, deren Mitglieder sich in einem „privilegierten und gleichzeitig beängstigenden Zustand des Nicht-mehr-und-noch nicht“3befinden. Protagonisten popliterarischer Texte zeichnen sich dadurch aus, dass ihr jugendliches Verhalten mit ihrem Erwachsenenstatus kollidiert. Durch das Aufwachsen in einer sich stetig verändernden und schnell wachsenden Medien- und Konsumgesellschaft in eine frühe Erwachsenenrolle gedrängt, holen sie sich nun, als “Post-Adoleszente“ zwischen Anfang Zwanzig und Mitte Dreißig, eben das zurück, was ihnen während der Adoleszenz verwehrt blieb: das kindliche Freiheitsgefühl durch die Abgabe jeglicher Verantwortung. Meist sozial isoliert befinden sie sich auf der Suche nach Bindungen, Orientierung und nicht zuletzt der eigenen Identität. Den Reifeprozess, der zum Erwachsensein bzw. zur Eingliederung in die Gesellschaft nötig ist und der eigentlich während der Pubertät bzw. der Adoleszenzphase hätte ablaufen sollen, erleben sie verspätet. Popliterarische Texte sind somit durch ihre jugendlichen bzw. jugendlich gebliebenen Protagonisten prädestiniert, um Initiationen (Übergänge) in Individuations- und Sozialisationsprozesse zu schildern.
Die Ausgangsfrage der vorliegenden Magisterarbeit4ist diejenige, ob der deutschsprachige Pop-Roman der Jahrtausendwende als Initiationstext gelesen und verstanden werden kann, d.h., ob sich das Thema der Initiation in diesem finden lässt. Zur Beantwortung dieser Frage werden drei ausgewählte Romane der jüngeren deutschen Popliteratur5auf diesen Gesichtspunkt hin untersucht. Es handelt sich hierbei um Christian KrachtsFaserland(1995), der die Ära der neuen
1 Hornby, Nick: High Fidelity. London:Indigo.1995.S.247.
2 Nick Hornby wird meist im popliterarischen Kontext zur Kenntnis genommen. Vgl. dazu Nünning, Vera: Brit-Pop im literarischen Gewand? Erzählerische Vermittlung und die Inszenierung ethischer Fragen in Nick Hornbys About a Boy. In: Literatur in Wissenschaft und Unterricht / hrsg. von Rudolf Böhm [u.a.] 2003, S.31-49.S.32.
3 Vgl.:Messmer, Susanne: Helden wie wir. die tageszeitung,11./12.8.2001.
4 Diese Arbeit folgt der neuen Rechtschreibung. Zitate behalten jedoch die ihnen entsprechende Rechtschreibung und Zeichensetzung bei.
5 Christian Kracht ist Schweizer und darf daher im eigentlichen Sinne nicht zur „deutschen“ Popliteratur gezählt werden. Diesem Umstand wird im Titel der Arbeit mit dem Verweis auf „deutschsprachige“ Literatur Rechnung getragen. Im Verlauf der Arbeit verwende ich jedoch hauptsächlich den Begriff „deutsche Popliteratur“. Dieser schließt die „deutschsprachige Popliteratur“ im Folgenden mit ein.
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deutschen Popliteratur einläutete und somit von „initialer Bedeutung“6für die Generation nachfolgender junger Pop-Autoren war, Selim ÖzdogansEs ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist(1995) und Benjamin von Stuckrad-BarresSoloalbum(1998). Die Kriterien meiner Romanauswahl sind neben ihrem Erscheinungsdatum7und persönlichem Interesse auch pragmatischer Natur: Alle drei Autoren und ihre Protagonisten sind männlichen Geschlechts, was die Untersuchung erleichtert, da die gleichen Kriterien angewendet werden können und ein späterer Vergleich repräsentativ erscheint. Auf den Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Initiation (oder die Beschreibung männlicher Initiation aus der Sicht einer weiblichen Autorin wie z.B. in Alexa Henning von LangesRelax8) in der deutschen Popliteratur wird in dieser Arbeit, unter Berücksichtigung des Umfanges, nicht eingegangen. Die Arbeit gliedert sich in drei ungleich umfangreiche Teile, wobei das Hauptaugenmerk auf der Initiationsthematik (Teil I) und der eigentlichen praktischen Textuntersuchung (Teil III) liegt; im zweiten Teil der Arbeit werden knapp und präzise die Schwierigkeiten der Definitionsbestimmung des Pop-Begriffs aufgezeigt.
Teil I der Arbeit befasst sich mit der Initiationsthematik in der Literatur und nennt neben verschiedenen Definitionsansätzen auch Kriterien zur Untersuchung von Initiationstexten. Weiterhin werden Schauplätze, Handlungen und Nebeneffekte von Initiationserlebnissen erwähnt. Der erste Teil endet damit, dass die amerikanische9und deutsche Literaturgeschichte im Hinblick auf den Umgang mit der Initiationsthematik näher beleuchtet werden: Es werden ausgewählte Definitionsansätze, u.a. von Heinrich Kaulen, Carsten Gansel und Hans-Heino Ewers, zumAdoleszenzromanundBildungsromanherangezogen, um Unterschiede zumInitiationsromanbzw. -text aufzuzeigen und eine Einordnung vorzunehmen. Weiterhin wird Bezug auf einige ausgewählte amerikanische Beispieltexte genommen, um den Stellenwert der Initiationsthematik in der US-Literatur zu verdeutlichen. Zu diesen Texten gehören Mark TwainsThe Adventures of Tom SawyerundThe Adventures of Huckleberry Finn,Kate ChopinsThe
6 Vgl. Baßler, Moritz: Der deutsche Pop-Roman: Die neuen Archivisten.München:Verlag C.H.Beck. 2002.S.111.
7 Nach der Jahrtausendwende war ein Meinungsumschwung der Kritiker zu spüren: 2001 war in Max vom „Ende der Popliteratur“zu lesen und die Berliner Morgenpost veröffentlichte eine Rezension zu Krachts zweitem Roman1979,in der von einer „Läuterung der Spaßfraktion“ (Hoyer 2001) die Rede war. Die Debatte um den Fortbestand bzw. das Ende der Ära Popliteratur dauert bis heute an, findet im begrenzten Rahmen dieser Arbeit jedoch keine weitere Erwähnung. Vgl. dazu Manati, Bernhard: Das Ende der Popliteratur?, Max, 4.10.2001; Hoyer, Lutz: Läuterung der Spaßfraktion. Junge Literatur: Berluti-Schuhe sind im Iran nicht geländetauglich: Krachts neuer Roman 1979.Berliner Morgenpost, 11.10.2001; Assheuer, Thomas: Im Reich des Scheins. Zehn Thesen zur Krise des Pop, Die Zeit, 11.04. 2001 und Borchardt, Rudolf: Wir bitten uns Ruhe aus: Schluss mit der Popliteratur, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.11. 2001.
8 Henning von Lange, Alexa:Relax.Hamburg:Rogner&Bernhard.1997.
9 Unter dem Begriff “amerikanische Literatur“ soll im Folgenden “US-Literatur“ bzw.“nordamerikanische Literatur“ verstanden werden.
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Awakeningund J.D. SalingersThe Catcher in the Rye.Die amerikanische Literaturgeschichte soll aus zwei Gründen in dieser Arbeit Erwähnung finden: Initiation und Probleme mit dem Erwachsenwerden sind Hauptthemen in über sechshundert Romanen und unzähligen Kurzgeschichten der amerikanischen Literatur spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts.10In Bezug auf die hier zu besprechende Thematik nimmt die US-Literatur daher eine Vorbildfunktion ein und hat umfassende Forschungsliteratur hervorgebracht, die bei der Untersuchung der deutschsprachigen Texte in Teil III herangezogen werden. Ein weiterer Grund ist die inhaltliche Nähe zwischen den Autoren Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad-Barre zu ihren angeblichen Vorbildern Bret Easton Ellis und Nick Hornby11, deren Protagonisten ausLess than Zero12undHigh Fidelitysich in vergleichbaren Lebensphasen befinden. Diese beiden Autoren werden in Teil II der Arbeit berücksichtigt, in dessen Mittelpunkt das Phänomen Popliteratur zur Jahrtausendwende steht. Verschiedene Definitionsversuche von Pop und Popliteratur werden vorgestellt und neben der kurzen Erläuterung des BegriffsPop-Romanwird die deutsche Popliteratur der Jahrtausendwende im Hinblick auf ihre charakteristischen Merkmale und Themen untersucht. Am Schluss dieses Kapitels wird die Frage aufgeworfen, ob es sich bei popliterarischen Texten der Jahrtausendwende um so genannte `verspätete´ Initiationsgeschichten handelt. Zur Klärung werden die vorherrschenden Themen innerhalb der Popliteratur betrachtet, die Nähe zu englischsprachigen Initiationsromanen von J.D. Salinger13, Bret Easton Ellis und Nick Hornby aufgezeigt und auf das Problem der `Früherwachsenheit´ bzw. der daraus resultierenden `Post-Adoleszenz´ hingewiesen. Auf die Erwähnung der Ursprünge der Popliteratur, die Thomas Ernst im Dadaismus und sowohl innerhalb als auch außerhalb der literarischen Strömung der Beat Generation sieht, die Anfänge der Popliteratur in Deutschland mit ihrem wichtigsten Vertreter Rolf Dieter Brinkmann, Diedrich Diederichsens´ Unterscheidung
10 Vgl. Bergmann, Ina: And Then the Child Becomes a Woman. Weibliche Initiation in der amerikanischen Kurzgeschichte 1865-1970. Heidelberg: Universitätsverlag Winter.2003.S.11.
11 Nick Hornby kommt im Rahmen dieser Arbeit eine Außenseiterrolle zu, da er als britischer Autor natürlich nicht als Teil der amerikanischen Literaturszene gilt.
12 Ellis, Bret Easton: Less than Zero.New York: Random House.1985.
13The Catcher in the Ryewird inzwischen auch als “älterer“ Pop-Roman bezeichnet. Vgl. dazu: Gansel, Carsten: Adoleszenz, Ritual und Inszenierung in der Pop-Literatur. In: Arnold, Heinz Ludwig und Jörgen Schäfer (Hrsg.): Pop-Literatur. München: Text + Kritik. Sonderband X/03. 2003.S.234-257.S.248.
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inPop I und II14und deren Folgediskussionen, sowie die aktuelle Diskussion über die Lebendigkeit der Popliteratur wird hier im Hinblick auf die gewählte Fragestellung verzichtet.15In Teil III der Arbeit liegt der Fokus auf der Interpretation und inhaltlichen Analyse der ausgewählten drei Romane. Die Romane werden, chronologisch nach dem Jahr ihres Erscheinens geordnet, vorgestellt, indem erst auf den Autor und den autobiografischen Gehalt des Textes eingegangen wird, bevor eine kurze Inhaltseingabe die Textuntersuchung einleitet. Innerhalb dieser werden dann hervorstechende romanspezifische Themen und Merkmale erarbeitet, die jeweils in eigene Unterkapitel gegliedert sind, und die neben einem genaueren inhaltlichen Überblick auch Aufschluss über den Ablauf des Reifeprozesses des Protagonisten geben. Im letzten Unterkapitel jeder Romanuntersuchung wird der jeweilige Text unter initiatorischen Aspekten beleuchtet: Es wird geklärt, ob die in Kapitel I.1.3. erarbeitete Definition von Initiation hier zutrifft und wenn ja, inwiefern die vier Untersuchungskriterien von Peter Freese anwendbar sind. Zudem werden untersucht welche von Peter Freese16, Mordecai Marcus17, Ina Bergmann und R.W.B Lewis18entwickelten Arten von Initiation (vgl. Kap. I.2.) im Roman vorliegen. Da die Initiationsthematik “a favourite with American authors“19ist, und die amerikanische Literaturgeschichte das gemeinsame Forschungsgebiet der o.g. Literaturwissenschaftler20ist, kommen die von ihnen entwickelten Kriterien und Definitionen hier zur Anwendung.
14 Diederichsen, Diedrich 1999: Der lange Weg nach Mitte. Der Sound und die Stadt. Köln: Kiepenheuer & Witsch. 1999. S.275. In dieser Arbeit beziehe ich mich auf die Popliteratur der 1990er Jahre, also den `Pop II´.
15 Für einen historischen Überblick zum Thema Popliteratur, der sowohl die Einflüsse von Geschichte, Politik und Theoriedebatten auf die Popkultur als auch auf die literarischen Formen, die sich in der Nähe der Popliteratur bewegen eingeht, vgl. Thomas Ernst: Popliteratur. Hamburg: Rotbuch. 2001 sowie insbesondere die Kapitel 2,3 und 4 in Ullmaier, Johannes: Von Acid nach Adlon und zurück. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur. Mainz:Ventil Verlag. 2001.
16 Vgl. u.a. Freese, Peter: Die Initiationsreise. Studien zum jugendlichen Helden im modernen amerikanischen Roman. Tübingen: Stauffenburg Verlag.1998 und Freese, Peter: The American Short Story I: Initiation. Interpretations and Suggestions for Teaching by Peter Freese. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh.1986.
17 Mordecai, Marcus: What is an Initiation Story? In: Journal of Aesthetics and Art Critisism 14,1960, S.221-227.
18 Lewis, R.W.B.: The Amerian Adam:Innocence, Tragedy, and the Tradition in the Nineteenth Century. Chicago: University of Chicago Press.1955.
19 Vgl. Bergmann, S.11.
20 Hier und im Folgenden verwende ich die männliche Schreibweise.
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Der BegriffInitiationwird nicht nur in der Literaturwissenschaft benutzt, sondern unter anderem auch in den Feldern der Anthropologie, Mythologie und Religion21. Im Deutschen istInitiationhauptsächlich als ein Fremdwort innerhalb der vergleichenden Religionswissenschaft und der Anthropologie bekannt; im angelsächsischen und romanischen Sprachraum ist es dagegen ein normal verwendetes Substantiv, das Vorgänge wie `Einführung´ oder auch `Einleitung´ bezeichnet. Ethnologen, Anthropologen, Theologen, Soziologen und auch Psychologen mögen sich sicher sein, was, zumindest innerhalb ihres Bereiches, mit dem Wort Initiation bezeichnet werden soll; innerhalb der literaturwissenschaftlichen Forschung differieren die Definitionen jedoch.22Es erscheint daher sinnvoll, sich erst einmal mit dem Ursprung des Wortes und seinen Bedeutungen zu befassen. Der TerminusInitiationkommt vom lateinischeninitium(= `Anfang´) und bedeutet soviel wie Einführung in ein Wissensgut, Einweihung in eine Wissenschaft bzw. Einweihung als Segnung oder Ordinierung. Im profanen Bereich meintInitiationeine Einführung in etwas Neues.Webster´s Dictionarydefiniert den Begriff wie folgt:
1a: the act or an instance of formally initiating (as into an office, sect, or society): the process of being formally initiated
1b (1): the rites, ceremonies, ordeals, or instructions with which one is made a member of a sect or society or is invested with a particular function or status 1b (2): the ceremonies and ordeals with which a youth is formally invested with adult status in a primitive community
1c (1): the process or an instance of being initiated into some experience or sphere of activity: INTRODUCTION
1c (2): the condition of being initiated or an initiate: KNOWLEDGEABLENESS 2: the act, process, or an instance of beginning, setting foot, or originating: the condition of being begun: ORIGINATION, BEGINNING.23
Initiation bezeichnet die Einführung eines Außenstehenden in eine Gruppe oder Gemeinschaft bzw. seinen Aufstieg in einen anderen personellen Seinszustand, z.B. vom Kind zum Mann. Der
21 Eine umfassende Definition des Begriff aus religiöser und mythologischer Sicht wird aufgrund der Fragestellung außer Acht gelassen. Eine ausführliche Einführung in die komplexe Geschichte des Begriffs und dessen Verwendung in anderen Forschungsbereichen kann man in Freese, The American Short Story I, S.11-34 finden.
22 Zur Verdeutlichung dieser Problematik schreibt Peter Freese: „Hardly any two critics use the term to designate the same thing, and the resulting terminological confusion is mostly due to the fact that the initial meaning of the term underwent the most perplexing mutations when it was turned into an instrument of literary scholarship.” (Freese, The American Short Story I, S.11.)
23 Webster´s Third New International Dictionary. Springfield: Merriam.1993.S.1164.
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Initiationsritus gestaltet die Initiation. Der Initiand wird durch die Initiation verändert, gegebenenfalls “stirbt“ sein altes Ich symbolisch. Danach tritt er in eine "neue Welt"ein, weshalb bei vielen Initiationsriten eine symbolische Geburt vollzogen wird. Spirituelle Beispiele für Initiationsriten sind u.a. die christliche Taufe, Kommunion, Konfirmation und Firmung oder im Judentum die Bar Mizwa für 13-jährige Jungen bzw. die Bat Mizwa für Mädchen. Diese Riten haben aufgrund ihrer Symbolkraft initiierenden Charakter. Hierbei tritt die spirituelle Bedeutung in den Mittelpunkt der Zeremonie. Der Errettung der Seele durch die Aufnahme in den Kreis der Gläubigen ist für viele Religionen das zentrale Element einer Initiation. Nichtreligiöse Beispiele für Initiationsriten sind z.B. Angst-, Ausdauer- und Schmerzproben, Körperverletzung oder Verstümmelungen, wie man sie z.B. bei Naturvölkern findet.24In der westlichen zivilisierten Welt finden sich Initiationsformen in der Berufswelt (z.B. in Form der Gesellenprüfung oder dem Universitätsdiplom), in der Schule (die Aufnahme in die Klassengemeinschaft) oder bei Studentenverbindungen, Orden oder Sekten, deren Aufnahmezeremonien festgelegte Initiationsrituale beinhalten. Innerhalb von Studentenverbindungen werden Neumitglieder nach einer Probezeit von ein bis zwei Semestern vom Status desFuxoderFuchsmittels einerBurschunggenannten Initiation zum Vollmitglied ernannt.25Diesen Ausformungen ist noch dermilitary initiation processhinzuzufügen. Der Zivilist wird hier seiner individuellen Identität entkleidet und zum normierten Mitglied einer Truppe transformiert, wobei das Abscheren der Haare deutliche Parallelen zu primitiven Initiationsabläufen aufweist. Hier wird mit der äußeren Veränderung zugleich eine innere Wandlung bewirkt. Eine andere Form des Initiationsprozesses ist die typisch amerikanische Form des gesellschaftlichen Debüts. Im Verlauf einer einjährigen Initiationsperiode, der Saison, werden die höheren Töchter formell in die Gesellschaft eingeführt. Diese Einführung beginnt mit einem Ball, auf dem die Debütantinnen als Bewerberinnen für das Erwachsensein und dessen greifbarste Verwirklichung, der Heirat, vorgestellt werden, gipfelt nach der Graduierung von der High School in einerIntroduction Party,dem ritualisierten Abschied von der Kindheit und Unselbstständigkeit, und endet nach einer Saison voller gesellschaftlicher Verpflichtungen, Begegnungen und Lernerlebnisse in einem erneuten Ball, auf dem die Mädchen in die Freiheit und Selbstverantwortung erwachsener Existenz entlassen werden. DerDirector of Debutante Partiesspielt dabei die Rolle des Initiationshelfers, weshalb
24 Vgl. Popp, Volker: Initiation. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.1969 sowie http://de.wikipedia.org/wiki/Initiation (Zugriff am 3.4.07) sowie http://en.wikipedia.org/wiki/Rite_of_passage (Zugriff am 3.4.07).
25 Vgl. hierzu auch : http://www.coburgerconvent.de/faq/mitgliedschaft.html#akzeption_admission_rezeption (Zugriff am 23.4.07)
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dieses Ritual als eine moderne Variante der Stammesinitiation verstanden werden kann. Initiationsrituale sind auch bei (Jugend-) Banden üblich, wobei der Anwärter gewöhnlich eine Mutprobe (z.B. Diebstahl) bestehen muss. Auch werden Neuankömmlinge vor Ekel- und Gewaltproben gestellt, um ihre Unterwerfung zu erzwingen. Diese geschilderten Initiationsprozesse sind daher genauer als Sozialisationsprozesse zu bezeichnen. Die rituelle Neugeburt zu erwachsener Existenz wird abgelöst durch einen Prozess der schrittweisen Aneignung der Informationen und Techniken, Rollen und Werte der Gesellschaft, in die dermeist junge - Mensch so hineinwachsen muss, dass er in ihr “funktionieren“ kann. Aus einem gemeinschaftlichen Ritus ist in der zivilisierten modernen Welt ein individuell durchlaufener Lernprozess geworden. Der moderne Sozialisationsprozess kann also als ein individualisierter, differenzierter und verinnerlichter Initiationsvorgang betrachtet werden, der entritualisiert ist und damit an Konkretheit verloren hat, der entinstitutionalisiert wurde und damit seiner leitenden Funktion verlustig ging, und der entmythologisiert bzw. entheiligt wurde und damit seiner transzendenten Bedeutung beraubt wurde. Diese Veränderungen bedeuten besonders für Jugendliche zwar einen größeren Spielraum für die individuelle Entfaltung, aber sie bewirken andererseits, dass die Aufgabe des Heranwachsens immer schwieriger wird und immer größere Anforderungen stellt. Die Adoleszenz, die in vielen Kulturen eine völlig unproblematische Lebensphase ist, ist daher für die modernen westlichen Gesellschaften zu der krisenhaften und konfliktgeladenen Entwicklungsstufe par excellence geworden.26
Innerhalb der Literaturwissenschaft beschreibt der TerminusInitiationdie Thematik des Heranwachsens und die damit verbundenen Probleme der Identitätsfindung. Allerdings ist er in seiner Bedeutung umstritten und durch unterschiedliche Verwendung, z.B. als Synonym für `Adoleszenz´ oder `Pubertät´, recht vage geblieben.27Die Literaturwissenschaft vermischt Aspekte des anthropologischen Begriffs der Initiation und der Adoleszenz, um ihren eigenen
26 Vgl. Freese, Initiationsreise, S.128-135. Freese reduziert das Phänomen innerhalb dieses Fazits auf die pubertäre Initiation und unterschlägt, dass Existenzwenden auch über das Jugendalter hinaus nachweisbar bleiben. Vgl. dazu Kapitel I.1.3., in dem auf diese Problematik ausführlich eingegangen wird.
27 Vgl. Bergmann, S.35.
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Terminus von Initiation zu definieren.28Daher gilt es, zuerst den Begriff der Initiation aus anthropologischer Sicht zu klären: Ursprünglich bezeichneteinitia(von lateinisch `inire´, `hineingehen´) den Eintritt in die orientalischen und hellenistischen Mysterienkulte. Nachdem der französische Jesuit und Missionar Joseph Francois Lafitau 1724 diesen Begriff auf bestimmte Reifezeremonien kanadischer Indianer angewandt und ihn als „le principe, le commencement, l´entrée de la vie“29bezeichnet hatte, erlangte er schließlich den Status eines anthropologischen Fachterminus. In der Anthropologie bezeichnet Initiation die bei primitiven Völkern angewandten zeremoniellen Riten, die den Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter und zur vollen Mitgliedschaft in der Stammesgesellschaft bilden. Sie sind zeitlich eng begrenzt und beinhalten meist Eingriffe an verschiedenen Stellen des Körpers, z.B. Beschneidungen, außerdem Fasten sowie Isolation und Einführung in den geheimen Stammesglauben. Funktion dieser Riten ist es vor allem, die Ausdauer des Heranwachsenden zu testen, sich seiner Loyalität gegenüber dem Stamm zu versichern und damit die Macht der Gemeinschaft der Erwachsenen zu erhalten.30Der Verlauf der Initiation ist hier dreiphasig: Zu Beginn werden die Initianden von den übrigen Stammesgenossen getrennt, vor allem von den Müttern. Diese Trennung wird als symbolischer Tod aufgefasst. Ihr folgt die Phase des Übergangs, in der der Jugendliche gewöhnlich durch einen älteren, meist männlichen Mentor auf das Leben der Erwachsenen vorbereitet wird und die er im Wald oder einer dunklen Hütte verbringt. Der Initiationsvorgang endet mit der Rückkehr und Eingliederung in den Stamm, die zeremoniell als Wiedergeburt gefeiert wird. Der zum Mann Gereifte erhält schließlich einen festen Platz in der Gemeinschaft.31Peter Freese fasst dies folgendermaßen zusammen:
„An initiation is thus no longer […] voluntarily and totally independent of the novice´s age, but it is a collective tribal ceremony which is obligatory for all male or female members of the community, which has to be undergone at a certain age, and through which the social, sexual, psychological and religious development of a new generation is directed into channels conducive to the peaceful perpetuation of the tribal culture. Primitive societies (and `primitive´ is here used in the value-free sense of anthropology) do
28 Dass der Terminus Initiation aus der anthropologischen Forschung kommt, bestätigen sowohl Mordecai Marcus - „The name and the analytic concept of the initiation story derive basically from anthropology“ - als auch William Coyle - „initiation,…has been borrowed from anthropology“. Freese,Initiationsreise,S.103.
29 Lafitau zit. nach: Freese, Peter:`Rising in the World´ and `Wanting to Know Why.´ The Socialisation Process as Theme of the American Short Story. Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 218 (1981), S.286-302.S.289.
30 Vgl. Marcus, S.221.
31 Vgl. Bergmann, S.36f.
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not know the transitional phase of adolescence: the child becomes, through the very ceremony of initiation, an adult.”32
Die Initiationen machen das geschlechtslose und verantwortungsfreie Kind zum sexuell aktiven und verantwortungsvollen Mann, den Abhängigen zum Freien, den natürlichen und profanen zum kulturtragenden und “heiligen“ Menschen. Sie stellen die Entwicklung des Einzelnen in den größeren Zusammenhang nicht nur seiner Generation, sondern der Stammesgeschichte, des Naturgeschehens und des kosmischen Entwicklungsablaufs. Wo es Initiationen gibt, sind von der Norm abweichende individuelle Entwicklungen zwar kaum möglich, aber Wachstumskrisen und Jugendprobleme sind dafür unbekannt.33In der modernen Gesellschaft finden sich, wie schon in Kapitel I.1. erläutert, Aufnahmezeremonien mit Ritualcharakter, neben religiösen Initiationen wie Taufe, Beschneidung, Kommunion, Jugendweihe, Firmung oder Konfirmation, nur noch bei Studentenverbindungen, Freimaurerlogen oder jugendlichen Mutproben. Der Aspekt des Rituals wird mehr und mehr durch Erfahrung ersetzt, obwohl sich während der Analyse der Romane zeigen wird, dass einige Aspekte des oben beschriebenen Initiationsrituals, wie z.B. die Trennung von Bezugspersonen oder der Rückzug aus der Gesellschaft in die Isolation, immer wieder auftauchen.
Auch wenn sich die Definition vonAdoleszenzhäufig mit dem literarischen Konzept derInitiationdeckt, sollten die beiden Termini jedoch als unterschiedlich betrachtet werden. Das Wort selbst wird von dem lateinischen Begriffadolescere,was `wachsen´ bedeutet, abgeleitet und bezeichnet laut Annette Dahmen-Eisenberg den Übergang von der Pubertät zum reifen Erwachsenenstatus:
„Adoleszenz [ist ein] bedeutsames Stadium der Persönlichkeitsentwicklung, an dessen Endpunkt das Erwachsenenalter beginnt. […] Adoleszenz, die auf die Aufgaben des Erwachsenenalters vorbereitet, ist
32 Freese, The American Short Story I, S.13f.
33 Freese, Initiationsreise, S.117.
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demzufolge ein Zustand der “transition“ zwischen Kindheit und Erwachsensein, in dem bestimmte, an die Jugendlichen gerichtete sogenannte Entwicklungsaufgaben erfüllt werden müssen.“34
Carsten Gansel sieht die „Vielschichtigkeit von Adoleszenz“ auf folgenden Ebenen: „Physiologisch umfasst Adoleszenz die Gesamtheit der somatischen Veränderungen, wobei die körperliche Entwicklung wie die sexuelle Reifung von besonderer Bedeutung sind.Psychologischmeint Adoleszenz den Komplex individueller Vorgänge, die das Erfahren, die Auseinandersetzung und Bewältigung somatischer und sozialer Veränderungen betreffen, […].“Soziologischbetrachtet, definiert Gansel Adoleszenz als das Stadium, in dem Jugendliche oft mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert werden, sich nach Möglichkeit eigenverantwortlich und realitätsgerecht in die Erwachsenenwelt hineinzufinden.35Es ist eine Lebensphase, in der sich der ambivalente Adoleszent nach Freiheit sehnt und Autorität sucht, sich zwischen zwei Welten, der Vergangenheit und der Zukunft, gefangen fühlt und durch Rollenexperimente versucht, eine Balance in seinem Leben herzustellen.36Adoleszenz ist daher nicht als ein Stadium, sondern vielmehr als ein Prozess der Erkenntnis und der Anpassung zu verstehen, der ein „Wachsen des Selbst“, bzw. eine Initiation mit einschließt.37G. Stanley Halls´ StudieAdolescence:Its Psychology, and its Relations to Physiology, Anthropology, Sociology, Sex, Crime, Religion, and Educationdefiniert Adoleszenz als eine dramatisch von der Phase der Kindheit abweichende Stufe der Entwicklung und als einen längeren Zeitraum physischen und psychischen Wachstums. Für Hall ist sie eine Zeit der Turbulenzen; der Heranwachsende erfährt eine Vielzahl von Gegensätzlichkeiten und oszilliert zwischen „antithetic impulses“38, wie Trägheit und Begeisterung, Selbstbewusstsein und Bescheidenheit, Egoismus und Altruismus. Der Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein wird also als längerer, oft Jahre dauernder Reifungsprozess und als entscheidende Phase im Leben eines Menschen angesehen und ist nicht, wie in der Anthropologie, ein zeitlich eng begrenztes oder sogar punktuelles Ereignis.39
34 Vgl. : Dahmen-Eisenberg, Annette, Helene Decke-Cornill, Claudia Gdaniec u. Corinna Stupka: `Satin Slippers´ und `Electrician´s Boots´. Literaturdidaktische Überlegungen zum Thema Initiation und Geschlecht.Gulliver 18, 1985,S.7-28.S.27.
35 Vgl: Gansel, Carsten: Forschungsbericht: Adoleszenz und Adoleszenzroman als Gegenstand literaturwissenschaftlicher Forschung. In: Zeitschrift für Germanistik N.F. 14, 2004, H.1,S.130-149.S.132.
36 Vgl. Hassan, Ihab: The Idea of Adolescence in American Fiction. American Quarterly 10:3,1958, S.312-23.S.314 zit. nach: Bergmann, S.39.
37 Vgl. Bergmann, S.39.
38 Hall, G. Stanley: Adolescence: Its Psychology, and ist Relations to Physiology, Anthropology, Sociology, Sex, Crime, Religion, and Education. New York: Appleton: 1924.S.40.
39 Vgl. Bergmann, S.40f.
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1.3 Initiation als literaturwissenschaftlicher Terminus
Seit den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts wenden Literaturwissenschaftler den aus der Anthropologie entlehnten Begriff der Initiation auf die Literatur an. Als zeitlich frühester Beleg innerhalb der Literaturkritik für die Benennung der Initiation als literarische Form oder einen Vorgang gilt Cleanth Brooks´ und Robert Penn Warrens InterpretationsbandUnderstanding Fiction,in dem sie HemingwaysThe Killersals „the story of the process of the initiation, the discovery of evil and disorder, and the first step toward the mastery of the discipline [the code]”40beschreiben. In Bezug auf seine eigene Initiationsgeschichte verweist Robert Penn Warren in seinem Essay`Blackberry Winter´: A Recollectionauf den Ursprung des Terminus, indem er erklärt, dass es sich bei der Erfahrung, die der Protagonist macht, um „what the anthropologists call a rite of passage“41handle. Ina Bergmann erwähnt in der bearbeiteten Fassung ihrer DissertationAnd Then the Child Becomes a Woman. Weibliche Initiation in der amerikanischen Kurzgeschichte 1865-1970u.a. Hans-Günther Kruppa, der die Initiationsgeschichte wie folgt definiert:„Hier werden Kinder und heranwachsende junge Menschen mit ihnen bis jetzt unbekannten Problemen konfrontiert, durch irgendein erschütterndes Ereignis werden sie - oft recht unsanft - auf dem Weg zur eigenen Ichfindung ein Stück weitergeschoben.“42Adrian H. Jaffe und Virgil Scott stellen inStudies in the Short Storydie These auf, bei der Initiation handle es sich um einen Lernprozess, in dem der Initiand Wissen erlangen muss, bevor er vollständig in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommen werden kann. So heißt es:„[A]ninitiationstory [is] a story of dealing with growing up - that is, it is concerned with the emotional problems of a character who suddenly, by means of a crisis situation, learns something important about life of which he has been heretofore unaware.“43Der Autor Ray B. West beschreibt inThe Short Story in America 1900-195044die Initiationsgeschichte als„[a]kindof story [that]usually portrays the progress of a character from innocence to knowledge”.45InDie Initiationsreise. Studien zum
40 Brooks, Cleanth u. Robert Penn Warren. Understanding Fiction. 2. Aufl. New York: ACC.1959.S.309. Auch Mordecai Marcus meint, die Verwendung des Terminus initiation „to describe a theme and a type of story“ sei „apparently beginning with Brooks and Warren´s comments” (Freese, Initiationsreise, S.95).
41 Brooks/Warren, S.640.
42 Kruppa, Hans Günther: Das Kind und der junge Mensch in der modernen amerikanischen Short Story. Die Neueren Sprachen 66 (1967), S.611-614.S.611.
43 Jaffe, Adrian H. u. Virgil Scott. Studies in the Short Story. New York: William Sloane.1949. S.208.
44 West, Ray B.,Jr.: The Short Story in America 1900-1950.Freeport:Books for Libraries.1968.
45 Vgl. Bergmann, S.42f.
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jugendlichen Helden im modernen amerikanischen Romanlistet Peter Freese einige Romane auf, in denen der BegriffInitiationauf die verschiedensten Vorgänge angewendet wird. Die Belege reichen dabei von einer allgemeinen Verwendung des Begriffs, bei derInitiationkaum mehr ist als ein Synonym für `Einführung´, bis hin zu einer speziellen Verwendung, bei derInitiationdie konkreten Einweihungsriten in Bünde und Bruderschaften bezeichnet. Zwischen diesen beiden Extremen liegen die weiteren Bedeutungen, welche die Einführung in neue Lebens- und Erfahrungsbereiche wie den der Sexualität und des Alkoholgenusses oder die Lebensart fremder Länder und die Erlangung neuer Einsichten und Erkenntnisse bezeichnen. Der Begriff entspricht hier nicht mehr seiner ursprünglichen ethnologisch-anthropologischen Bedeutung eines punktuellen Ereignisses im Leben eines Heranwachsenden, das an einen einmaligen Akt der Einführung in eine neue, veränderte Sozialform gebunden ist, sondern wird sehr weit gedehnt. Freese bezeichnet den Vorgang der Initiation als „Bewegung von einer Welt in eine andere, die Überschreitung der Grenze zwischen zwei Lebensbereichen” und weiterhin als einen „menschlichen Wandlungs- und Entwicklungsvorgang, der sich im innermenschlichen Bereich als Individuationsprozess“ vollzieht. Ergebnis ist eine so vollständige, existenzielle Wandlung, dass sie mit dem „Tod des alten und der Wiedergeburt des neuen Menschen symbolisiert wird“.46Er fasst weiterhin die Untersuchungsergebnisse von etwa einhundert amerikanischen und englischen Kritikern im Hinblick auf Initiationsgeschichten zusammen und nennt vier wichtige Aspekte, die die Analyse von Initiationstexten vereinfachen sollen:
Zum einen kann Initiation einen schmerzhaften und desillusionierenden Prozess der „Entdeckung der Existenz des Bösen“47in der Welt darstellen: Der (unschuldige) Protagonist wird mit Schuld, Einsamkeit oder dem Verlust eines Vorbilds konfrontiert, was als schockierendes Erlebnis angesehen werden kann. Diese Konfrontation markiert den ersten Schritt des Protagonisten auf seinem Weg hin zum Selbstverständnis. Die Figur erhält Einblick und Erfahrung und geht einen entscheidenden Schritt innerhalb des eigenen Reifeprozesses. Das Wissen um die Existenz des Bösen und das eigene Vermögen, mit diesem Wissen umzugehen und leben zu können, ist es, was den gereiften Charakter auszeichnet. Initiation wird also als ein Erkenntnisprozess und Erfahrungsgewinn dargestellt und damit als eine wichtige Phase der menschlichen Entwicklung von der Kindheit zum Erwachsensein bezeichnet.
46 Freese, Initiationsreise, S.155 Vgl. Hierzu auch Freese, The American Short Story I, S.45.
47 Freese, Initiationsreise, S.95.
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Ein zweiter Aspekt des Initiationsvorganges ist der „Verlust der Unschuld und Gewinn der Reife“.48Das Augenmerk wird hier nicht so stark auf die Bekanntschaft mit dem Bösen als Initiationsmoment gelegt, sondern vielmehr auf die Effekte und Nachwirkungen dieser Erfahrung. Das Ergebnis des Erkenntnisprozesses steht somit im Mittelpunkt. Zusammenfassend beschreibt Freese den Verlust der kindlichen Unschuld als das entscheidende Moment der Initiation, was sowohl positiv als auch negativ gesehen werden kann: Im positiven Sinne kann die Initiation als Voraussetzung für den Übergang in eine reifere Existenzphase gesehen werden, d.h. als ein Ereignis, dem man hoffnungsvoll entgegentreten kann. Andererseits markiert der Übergang in die Erwachsenenwelt auch den endgültigen Verlust der Kindheit und der damit verbundenen Sorglosigkeit. Dieses Trauma, das Paradies der Kindheit auf ewig verloren zu haben, ist ein schmerzhafter, jedoch notwendiger Prozess, um Reife und damit eigene Identität zu erlangen. R.W.B. Lewis charakterisiert diese beiden Haltungen als die `Party of Memory´ und die `Party of Hope´.49In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem Resultat des Initiationsprozesses, d.h., ob es zum Erfolg oder Scheitern der Initiation kommt. Dies kann niemals allein von dem Initianden50selbst beantwortet werden, sondern muss immer in Beziehung zur jeweils vorhandenen Gesellschaft und zur Stellung des Initianden in ihr gesetzt werden. Dem dritten Aspekt, der “Einführung in die Gesellschaft“51, kommt daher eine große Bedeutung zu, da neben den bisher betrachteten individualpsychologischen Aspekten die Initiation auch immer einen wesentlichen sozialen Aspekt hat. Initiation wird als ein Prozess angesehen, durch den der Protagonist sozialisiert wird, d.h. zum vollständigen Mitglied einer vorhandenen Gesellschaft geformt wird indem er in seine Rechte und Pflichten eingeführt und mit dem gesellschaftlichen Verhaltenskodex konfrontiert wird, dem er sich von nun an zu fügen hat. Leslie Fiedler sieht die Initiation demnach als„fallthrough knowledge to maturity“52und Stanley Trachtenberg definiert den Vorgang als„aquiringthrough trial and suffering the wisdom
48 Vgl.: ebd.,S.97.
49 Lewis, R.W.B.: The Amerian Adam:Innocence, Tragedy, and the Tradition in the Nineteenth Century. Chicago: University of Chicago Press.1955.S.274.
50 Reinhard Tschapke unterscheidet hier zwischenInitiant,d.h. einer aktiven und aufbruchsbereiten Persönlichkeit, undInitiand,d.h. jemandem, der zur Initiation ansteht und sich mithin in einer passiven Situation befindet. Tschapke, Reinhard: Hölle und zurück. Das Initiationsthema in den Jugenderinnerungen Thomas Bernhards. Hildesheim [u.a.]:Georg Olms Verlag.1984.S.1. Innerhalb der hier verwendeten Forschungsliteratur ist mir ausschließlich der Begriff Initiand begegnet, der allgemein für Personen verwendet wird, die eine Initiation durchlaufen. Die Einteilung in aktive oder passive bzw. freiwillige und unfreiwillige Initiation wird in Kapitel 2. näher behandelt. Im Folgenden schließe ich mich den Autoren der Sekundärliteratur an und verwende den neutralen BegriffInitiand.
51 Freese, Initiationsreise, S.99.
52 Fiedler, Leslie A.: From Redemption to Initiation. New Leader XLI (26. Mai 1958), S.20-23.S.22.
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of the community, a movement from innocence to experience.”53Ein Problem, das sich aus dieser Definition der Initiation in dieser seiner sozialen Bedeutung heraus ergibt, ist z.B., dass diese sowohl auf die Eingliederung eines Tom Sawyersindie Gesellschaft als auch auf die Flucht eines Huckleberry Finnausder Gesellschaft angewandt wird. Für Romane mit entgegengesetzten Handlungsverläufen wird also derselbe Begriff benutzt, was R.W.B. Lewis zu der Unterscheidung zwischeninitiationunddenitiation,d.h. also der Initiation weg von der Gesellschaft, brachte. Diese Unterscheidung der beiden Hauptrichtungen der durch den Initiationsvorgang ausgelösten Entwicklung ist nur durch die Betrachtung des sozialen Aspekts der Initiation möglich geworden. Sie betrifft zunächst allerdings nur das Ergebnis, d.h., ob es zur Vergesellschaftung oder zur Vereinzelung kommt, nicht aber den Erfolg oder Misserfolg des Initiationsvorgangs. Es wird nicht unterschieden, ob dieses jeweilige Ergebnis ein erfolgreiches und erfülltes oder ein erfolgloses und gescheitertes Leben bedingt oder ob die Darstellung eines solchen Vorgangs an einem Punkt endet, an dem diese Frage offen und unbeantwortet bleibt. Welches dieser Ergebnisse eintritt, wird einerseits durch die Umwelt beeinflusst - ob Huck Finnsdenitiationerfolgreich genannt werden kann, hängt z.B. mit seinen Überlebenschancen im “territory“ zusammen -, ist aber andererseits auch davon abhängig, inwieweit der Initiand seine schockhaften Erfahrungen verwinden und seine Individuationskrise überstehen kann. Das führt zum vierten und letzten Aspekt der Initiation: der Selbstfindung.54
Ray B. West beschreibt die Initiation nicht nur als Entdeckung des Bösen, sondern zugleich als „an important stage in the process of self-understanding"55, James E. Miller Jr. nennt sie „a voyage...of selfdiscovery"56und Brooks und Warren sprechen von einem „first step toward the mastery of discipline"57. Damit haben sie auf die Bedeutung der Initiation als ein wesentliches Ereignis innerhalb des menschlichen Entwicklungsprozesses hingewiesen und sie als einen wichtigen Schritt auf der Reise zur Selbstfindung und Selbstverwirklichung bestimmt. Diesen Aspekt stellt auch Paul Levine in den Vordergrund, wenn er sagt: „The story of initiation is the search for identity“. Levines Definition ist deshalb auch besonders interessant, weil sie folgendes Gedankenspiel zulässt: Wenn die Initiation eine Suche ist, heißt das, dass sie durch den sich auf die Suche begebenden Initianden selbst in Gang gesetzt werden kann, was wiederum bedeutet,
53 Trachtenberg, Stanley: Beyond Initiation: Some Recent Novels.The Yale Review 56:1, 1966, S.131-138. S.131.
54 Freese, Initiationsreise,S.101.
55 West, Ray B.,Jr.: The Short Story in America 1900-1950.Freeport:Books for Libraries.1968.S.97.
56 Miller, James E. zit. nach: Freese, Initiationsreise,S.101.
57 Brooks/Warren,S.309.
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dass man zwischen einer freiwilligen und einer gezwungenen Initiation, d.h. dem „adolescent who struggles for maturity“ und dem „adolescent actively or passively resisting initiation“, unterscheiden muss.Initiationist demzufolge ein individualpsychologisch zu betrachtender innermenschlicher und ein soziologisch zu deutender zwischenmenschlicher Vorgang, der sich in verschiedenen Stadien entwickelt. Freeses 1986 entwickelteworking definitiondes Begriffs bündelt alle Elemente der seiner Untersuchung vorangegangenen Diskussion und zeigt seine eher phänomenologisch zu bezeichnende Sichtweise:
„The protagonist of a story of initiation belongs to the transitory phase of `adolescence´. He gains his experiences in the course of a journey which consists of the three phases of exit, transition, and (re-) entrance and leads the protagonist from innocence to experience. During this - real or metaphoricaljourney the initiate experiences different, mostly unexpected, bewildering and disillusioning confrontations with representatives of a world hitherto unknown58, and is exposed to the various temptations of a devilish tempter figure but can, on the other hand, find help and advice from a fatherly or motherly mentor. The initiate´s experiences culminate in recognition or an insight bringing about an irreversible change, which often refers to the painful discovery of the disparity between appearance and reality.”59
Freese legt in dieser Definition die Phase, in der die Initiation stattfindet, in die Adoleszenz, konstatiert einen dreiphasigen Verlauf einer Initiationsreise60und betont die Figuren destempterundmentor.Freeses Begriffsbestimmung kann allerdings nicht unreflektiert übernommen werden, weil in dieser das Phänomen auf die pubertäre Initiation reduziert wird. Freese
58 Beispiele für unbekannte Welten, die erkundet werden, finden sich z.B. bei der Figur des Huckleberry Finn, der an Ende vonThe Adventures of Tom Sawyervon der Witwe Douglas aus seiner "wilderness“ in die ihm unbekannte Welt der Zivilisation geführt wird, in der nicht die Regeln der Natur, sondern die Regeln Gottes und des Gesetzes befolgt werden, und bei Holden Caulfield, der sich am Ende seiner Reise von seiner alten Welt, der Kindheit, abwendet, und, nachdem er sich selbst eingestanden hat, dass er nicht für immer der „Catcher in the Rye“ sein kann, seinen ersten Schritt in ein neues ungewisses Dasein als Erwachsener geht.
59 Freese, The American Short Story I, S.52.
60 Durch die Initiationsreise wird in vielen literarischen Werken der innere Bewusstseinsablauf des Protagonisten nach außen projiziert. Auf dieser Reise zeigt sich seine Entwicklung von Unschuld zu Erfahrung, vom Weg in die Verantwortung hinein oder aus ihr heraus, oder auch vom Weg aus der Kindheit hinein in den Erwachsenenstatus. Durch die oft in diesem Zusammenhang genutzten psychologischen Erzählformen wie z.B. innerer Monolog, Bewusstseinsdarstellung oderstream of consciousness(dt. Bewusstseinsstrom) ist es ebenfalls möglich, den Fokus auf die innere Bewegung von einer Lebensphase in die Folgende zu legen, weshalb es nicht unbedingt einer realen, d.h. einer geografisch lokalisierbaren Reise bedarf, um die Bewusstseinserweiterung des Protagonisten aufzuzeigen. Von einer Initiationsreise ist somit allgemein die Rede, wenn der Initiationsvorgang sich als eine Abenteuerfahrt durch die Welt, auch durch die Gefühls- oder Gedankenwelt, konstatiert. Vgl.: Bergmann, S.49, Tschapke,S.32f. und S.52 sowie Freese,Initiationsreise,S.157 und S.167. Auf die Thematik der Initiationsreise wird in Kapitel III.1.3.3 in Zusammenhang mit Christian KrachtsFaserlandnäher eingegangen.
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unterschlägt, dass Existenzwenden auch über das Jugendalter hinaus nachweisbar bleiben, und auch andere Literaturwissenschaftler beziehen diesen Aspekt nicht in ihre Begriffsbestimmung mit ein. Definieren wir Initiationsmomente jedoch als Momente des Erwachens, in denen neue Erkenntnisse gewonnen, Ideen geformt, Mut bewiesen und Schwächen wie Stärken erkannt und genutzt werden, ist eine Beschränkung auf eine festgelegte Altersspanne zu einseitig und eng, da Lernprozesse sowohl in jungen wie auch in reiferen Jahren möglich sind und nicht durch eine fiktive Altersgrenze aufgehalten werden können. Die Meinung, dass der Prozess der Initiation im Hinblick auf das Alter des Initianden unbeschränkt ist, vertritt auch Joseph Campbell, der Initiation inThe Hero with a Thousand Facesals „Entwicklungsstufe, die in jeglichem Lebensalter auftreten kann“61beschreibt. Es finden sich durchaus mehrere Geschichten, deren Helden Erwachsene mittleren Alters sind und die ebenso einschneidende Veränderungen bezüglich ihres Wissens und ihrer Charakterbildung durchlaufen.62Goetsch schreibt hierzu: „[M]anche Autoren [stellen] Erwachsene in den Mittelpunkt von Initiationsgeschichten […]. Die Probleme des Jugendlichen sind auch noch jene des Erwachsenen, der verwirrt nach Maßstäben und Leitbildern für sein Verhalten sucht.“63