Die Jagd nach Millionen - David Christie Murray - E-Book

Die Jagd nach Millionen E-Book

David Christie Murray

0,0

Beschreibung

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Sir Jonas. Mit Ihnen zu arbeiten, war mir immer eine Ehre.« »Sie würden im Notfall auch reisen?« fragte Sir Jonas. »Natürlich«, erwiderte Prickett. »Wann und wohin es sein muß.« »Fremde Sprachen sind nicht Ihre starke Seite, was?« »Es geht an! Im Französischen reicht's so ziemlich, um mich durchzuschlagen, und im Italienischen ebenso. Mit dem Deutschen werde ich am ehesten fertig; ich hatte eine Zeit lang viel in Deutschland zu tun.«

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 206

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Jagd nach Millionen

1901

idb

ISBN 9783962243715

Erstes Kapitel.

Der Polizeiinspektor Prickett war weder ein Wundermann, der kraft seines Geistes das Unmögliche möglich macht, noch ein ausgemachter Schafskopf, wie man die Vertreter seines Berufs in der Posse mit Vorliebe darstellt. Er war ganz einfach ein gescheiter Mensch, der sein Handwerk manch ein Jahr ausgeübt und wohlverdienten Erfolg darin geerntet hatte, aber sobald es ruchbar wurde, daß Prickett einen Fall in Arbeit nehme, fühlte sich der gewerbsmäßige Übeltäter etwas beunruhigt und sah mit wehmütiger Gewißheit einer ungemütlichen Zukunft entgegen, denn Prickett hatte während seiner Laufbahn in der weitaus größeren Mehrzahl der von ihm behandelten Fälle das Wild zur Strecke gebracht.

Ohne persönlichen Mut kann niemand den berufsmäßigen Kampf mit dem Verbrechertum aufnehmen und führen, und Prickett hatte Nerven von Stahl. Wer es in der Kriminalpolizei zu Erfolgen bringen will, muß im Besitz scharfer Augen und angeborener Beobachtungsgabe sein, und Prickett war die verkörperte Wachsamkeit. Im vorigen Jahre hatte er sich in den Ruhestand zurückgezogen, bis dahin aber war er in London eine sehr bekannte Persönlichkeit gewesen, Tausenden vom Sehen bekannt, die nie gefragt hatten, wie der Mann wohl sein persönliches Leben führe. Er hatte von jeher großen Wert auf seine äußere Erscheinung gelegt, besonders Hut und Stiefel, Wäsche und Handschuhe waren stets tadellos, der ganze Mann peinlich sauber, wie aus dem Ei gepellt, aber obwohl er in London geboren, in London aufgewachsen, Londoner bis ins Mark war, hatte er im Äußern einen Anflug vom Kleinstädter. Dazu trug die frische, blühende Gesichtsfarbe bei und eine gewisse Stetigkeit, um nicht zu sagen, Starrheit im Blick, dabei machte er nie den Eindruck, daß er in Eile wäre, und allem, was um ihn her vorging, jedem Menschen, der an ihm vorüber eilte, schenkte er eine gelassene Beachtung. Großstädter sind meist hastig in ihren Bewegungen und gänzlich von sich selbst in Anspruch genommen, an Menschen und Straßen viel zu sehr gewöhnt, um sie aufmerksam in Augenschein zu nehmen. Pricketts ruhige, aber unausgesetzte Aufmerksamkeit für die alltäglichsten Vorgänge und Erscheinungen veranlaßten manche, in ihm den Provinzler zu vermuten, der sich die Hauptstadt besieht.

Es war auch sehr wohl möglich, hundertmal an dem Mann vorüber zu gehen, ohne ihn zu bemerken oder Auffallendes an ihm zu entdecken. Wußte man aber einmal, wer und was er war, dann fiel einem mancherlei auf. Sein ruhiger Blick ruhte bedächtig auf allem, was in seinen Sehwinkel fiel, und man konnte deutlich sehen, daß er von Natur und durch Übung ein merkwürdig genauer Beobachter war.

Das Bemerkenswerteste an dem Mann aber war für jeden, der ihn kannte und sich die Mühe gab, etwas schärfer zuzusehen, der Ausdruck fortwährender Bereitschaft, eines geistigen Gestiefelt- und Gesporntseins sozusagen, wodurch jede Überrumpelung ausgeschlossen erschien.

Das Behagen des Ruhestandes hatte sich zwar von fern sehr angenehm und verlockend ausgenommen, aber Prickett fand es nach einiger Zeit doch etwas schal und eintönig. Nach Verlauf von zwei Monaten fing er sogar an, das Leben als drückende Last zu empfinden, und es erschütterte ihn förmlich, als er eines Tages in der Bondstraße jählings zum Bewußtsein kam, daß er etliche hundert Schritte gedankenlos wie ein Nachtwandler zurückgelegt hatte, ohne –

»Wahrhaftig«, brummte er vor sich hin, »keines von den Gesichtern, die in den letzten zwei Minuten an mir vorüberhuschten, könnte ich eidlich feststellen!«

Diese Tatsache stimmte ihn sehr trübe. Das Ausgeschlossensein von beruflichen Interessen schien seinem Leben allen Reiz benommen zu haben. Da fuhr ein feiner Herr, der schon manchen Namen geführt hatte, in einem prächtig bespannten, pikfeinen Wagen mit tadellosem Kutscher an ihm vorüber und ließ den goldgefaßten Kneifer müßig auf dem tadellosen Handschuh tanzen. Es war wohl fünf Jahre her, daß Prickett ihn nicht mehr gesehen hatte, und der andere hatte den größten Teil dieser fünf Jahre in stiller Zurückgezogenheit verlebt. Prickett hatte ihm seiner Zeit zu dieser Erholungsreise verholfen und ihn jetzt im Nu wieder erkannt. Ein entsagungsvoller Seufzer entrang sich seiner Brust.

»So, so, wir wären auch wieder im Lande?« sagte er im Weitergehen vor sich hin. »Vor sechs Monaten hätte mir das einen Riesenspaß gemacht – was habe ich jetzt davon? Ach Gott! Was doch der Müßiggang für saure Arbeit ist!«

Da berührte ihn eine Hand leicht an der Schulter und er drehte sich um.

»Sie kommen mir gerade recht«, sagte der Besitzer dieser Hand. »Haben Sie vielleicht eine halbe Stunde Zeit für mich?«

Prickett antwortete nur durch ein leichtes Hinaufziehen der Augenbrauen und ein kaum merkliches Kopfnicken, aber dem andern genügte das vollkommen.

»Gut«, sagte er, mit dem aufgehobenen fadendünnen Regenschirm eine Droschke herbeiwinkend. »Steigen Sie ein. Wir können die Sache unterwegs besprechen.«

Der Kutscher mußte seinen Fahrgast kennen, denn er fuhr ohne Anweisung davon.

»Sie haben sich pensionieren lassen, Prickett?«

»Ja, Sir Jonas; vor zwei Monaten habe ich den dummen Streich gemacht.«

»Aha! Sie finden das Nichsthun unbekömmlich?«

»Sehr«, gestand Prickett mit Wehmut. »Mir ist's, als ob mein Gehirn einrosten wollte – nichts flößt mir Interesse ein, bei allem muß ich mir ja sagen, es geht dich nichts an.«

»Nun, dem Einrosten wollen wir vorbeugen«, erwiderte Sir Jonas, »ich habe einen ganz appetitlichen Fall für Sie. Öffentliche Ehren wird er Ihnen zwar schwerlich eintragen, denn er soll womöglich gar nicht an die Öffentlichkeit kommen, aber ein schlechtes Geschäft machen Sie nicht, wenn Sie die Sache übernehmen, und sie verspricht interessant zu werden – recht interessant sogar.«

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Sir Jonas. Mit Ihnen zu arbeiten, war mir immer eine Ehre.«

»Sie würden im Notfall auch reisen?« fragte Sir Jonas.

»Natürlich«, erwiderte Prickett. »Wann und wohin es sein muß.«

»Fremde Sprachen sind nicht Ihre starke Seite, was?«

»Es geht an! Im Französischen reicht's so ziemlich, um mich durchzuschlagen, und im Italienischen ebenso. Mit dem Deutschen werde ich am ehesten fertig; ich hatte eine Zeit lang viel in Deutschland zu tun.«

»Das ist ja famos, ganz famos!« sagte Sir Jonas befriedigt. »Derartige Fertigkeiten hatte ich Ihnen nicht einmal zugetraut.«

Weitere Mitteilungen unterblieben vorderhand. Sir Jonas steckte sich eine Zigarette an und lehnte nachdenklich in die Wagenecke. Prickett, dessen Teilnahme am Leben wieder hell wach war, saß, die Hände auf die Kniee legend, stramm aufgerichtet im Wagen und beobachtete das Stück Welt, an dem sie vorüber rasselten.

»Der General wird pünktlich sein«, bemerkte Sir Jonas, seine Uhr herausziehend, »wir sind aber auch auf die Minute da.«

Die Droschke hielt, Sir Jonas reichte dem Kutscher den bereit gehaltenen Schilling und trat mit raschen Schritten in seine Geschäftsräume, Prickett folgte ihm, ohne sich umzusehen, denn die Räume waren ihm vertraut, dabei nahm sein ruhiger, forschender Blick aber doch jede kleinste Einzelheit in sich auf. Ein großer Mann mit breiten, stark gewölbten Schultern studierte einen an der Wand hängenden Kalender, drehte sich aber sofort um, als der berühmteste Kriminalist unter den Anwälten und der ehemalige Polizeibeamte in seine Nähe kamen.

»Nun, General«, sagte Sir Jonas, »wir sind mit dem Glockenschlag auf dem Platz. Bitte, kommen Sie in mein Privatzimmer.«

»Ei, ei!« machte Prickett innerlich. »Ein netter Anfang auf alle Fälle!«

Eine Sekunde lang zwinkerte sein Auge ironisch, dann glich das ruhige, aufmerksame Gesicht einer Maske.

Sir Jonas zog einen zierlichen Schlüssel aus der Hosentasche, schloß eine Tür auf und ging seinen Besuchern voran. Nachdem sie hinter ihm eingetreten waren, machte er die Tür wieder zu, nahm Hut und Handschuhe ab und ließ sich vor dem umfangreichen, mit Aktenstücken bedeckten Schreibtisch in der Mitte des Raumes nieder.

»Herr Prickett – General von Felthorn«, stellte er vor.

Prickett verbeugte sich.

»Herr Prickett«, fuhr der Anwalt erläuternd fort, »ist für unsern Zweck der geeignetste Mann in ganz England. Er hat sich im Dienste der öffentlichen Sicherheit sehr ausgezeichnet, jetzt aber in den Ruhestand zurückgezogen und kann sich deshalb vollständig zu unsrer Verfügung stellen.«

Jetzt verbeugte sich der General gegen Prickett.

»Während Sie ihm den Fall auseinandersetzen, gestatten Sie wohl, daß ich diese Papiere durchsehe«, schloß Sir Jonas und vergrub sich sofort in die Arbeit.

Prickett wartete mit ziemlicher Spannung auf die ihm zugedachten Eröffnungen.

»Es wird am besten sein, ich beginne beim Anfang«, hob der General an.

Er sprach vorzüglich englisch, ein besseres Englisch sogar als die Mehrzahl der Engländer, aber ein leiser Anflug von deutscher Betonung war doch unverkennbar. Das Erste, was einem bei seinem Anblick auffiel, war eine Narbe, die quer über die Nase lief, gerade als ob das Nasenbein einmal gespalten worden wäre. Dem Alter nach mochte er so zwischen fünfzig und sechzig stehen; Haar, Bart und Augenbrauen waren dicht und borstig, einst rot gewesen, waren sie jetzt größtenteils grau. Rücksichtslose Entschlossenheit sprach sich in seinen Zügen aus; die blauen Augen hatten einen harten, scharfen Blick.

»Mein Vater, der wie ich auch in der deutschen Armee diente«, begann er seine Erzählung, »hatte einen Ruf als Forschungsreisender. Im Alter von etwa dreißig Jahren – vor seiner Verheiratung – hatte er sogar Alaska besucht, eine damals beinahe unentdeckte Gegend, und brachte von dort ein seltsames Andenken mit, wirklich eine Kuriosität, wenn man den Fundort bedenkt – ein kleines, einfaches Holzkistchen. Hier!« Damit zog er ein viereckiges Holzkistchen, etwa einen Zoll dick und nicht mehr als drei breit und lang, aus der Westentasche und hielt es dem Fahnder hin. »Dieses Kästchen enthielt zwei Silbermünzen ganz genau vom Umfang eines englischen Fünfschillingsstücks, mit eingekerbten Buchstaben am Rand, genau wie an jedem englischen Fünfschillingstück. Hier ist eine von diesen Münzen –« er öffnete das Kästchen und bot es Prickett hin, der es jetzt in die Hand nahm und genau betrachtete.

Ein dünnes kreisrundes Stück Silber, auf beiden Seiten glatt geschliffen und auf beiden Seiten mit zahllosen Strichen und Strichelchen bedeckt, lag darin. Offenbar mußten die scharf eingeschnittenen Zeichen eine Inschrift sein, die aber wenigstens für Pricketts Augen vollständig unleserlich war. Nach genauer Besichtigung gab er das Kästchen schweigend zurück, worauf der General es zumachte und es wieder in die Tasche steckte.

»Ich war noch ein Kind, als mein Vater starb, aber meine Mutter erzählte mir oft, daß er diese beiden Münzen als ungeheuer wertvoll bezeichnet habe. Was mich betrifft, so fehlte mir's vielleicht an Phantasie, kurz, ich legte der Familienlegende vom fabelhaften Wert der Silberstückchen wenig Beachtung bei, bis eine Reihe von außerordentlich seltsamen Umständen eintrat. Zweimal wurde in meiner Wohnung in Berlin eingebrochen, und obwohl man deutlich sah, daß alle Zimmer durchsucht, Schränke durchwühlt worden waren, fehlte auch nicht eine Kleinigkeit. In der möblierten Wohnung am Hydepark, die ich in London bewohne, wiederholte sich dieser Vorgang – zum zweitenmal am letzten Mittwoch, diesesmal aber mit dem Unterschied, daß eine von den Münzen aus dem Kästchen verschwunden ist. Die eine ist gestohlen, die andre zurückgelassen worden.«

»Und das bringt Sie auf die Vermutung«, sagte Prickett, »daß diese verschiedenen Diebsbesuche insgesamt dieser Münze galten?«

»Gewiß, das ist für mich nicht Vermutung, sondern Gewißheit«, versetzte der General.

»Und haben Sie irgend einen Anhaltspunkt für den eigentlichen Wert dieser Silberscheiben?«

»Den sichersten! Ich habe das Ding« – er deutete auf seine Westentasche – »einem Sachverständigen vorgelegt, einem Schriftkundigen, der die Schrift entziffert hat. Sie gibt genau den Weg zu einem Versteck und dessen Beschaffenheit an, ein Versteck, wo fünfzehn Tonnen Gold liegen.«

»Wieviel?« fragte Prickett mit leisem Hohn.

»Fünfzehn Tonnen«, wiederholte der General gelassen. »Nach englischer Rechnung zwei Millionen Pfund Sterling.«

Prickett lächelte nicht mehr. Sein Gesicht verriet Geschäftsinteresse.

»Ein nettes Sümmchen«, bemerkte er ruhig.

»Ja, eine bedeutende Summe«, versetzte der General, »die mein Eigentum ist, sobald ich die andre Münze wieder erlange –« er klopfte wieder auf die Westentasche, worin sich das Holzkästchen befand. »Eine Summe, die mich in Stand setzen wird, den Mann, der mir dazu verhilft, angemessen zu belohnen.«

»Das sollte ich allerdings meinen«, warf Prickett trocken hin.

»Herr Prickett«, sagte der General scharf, »Sie sind offenbar nicht geneigt, meinen Aussagen Glauben zu schenken. Das tut mir leid, denn ich spreche in vollem Ernst und mit überzeugungslosem Beistand ist mir nicht gedient. So gewiß als ich hier sitze und Sie dort, hängt der Besitz von zwei Millionen Pfund Sterling von der Wiedererlangung dieser Silberscheibe ab. Die ganze Reise, die zur Sicherung des Schatzes gemacht werden muß, ist bis zu einem gewissen Punkt klar und deutlich auf der einen Scheibe angegeben, aber mitten im Satz bricht die Beschreibung ab. Ich muß also den Kameraden haben, der unfehlbar die Fortsetzung trägt, und dem, der mir dazu verhilft, ist eine glänzende Belohnung sicher.«

»Nun, Herr General, fünfzehn Tonnen Gold sind eine Sache, die einem schon warm machen kann, und wenn sie wirklich an dem bezeichneten Ort sind, so lohnt's wohl der Mühe, sich ein wenig anzustrengen. Nannten Sie nicht Alaska als Fundort? Das ist ja wohl die Gegend, wo all diese neuen Goldentdeckungen gemacht werden?«

»Neu sind sie keineswegs«, erklärte der General, »denn sie sind vor mehreren Menschenaltern schon gemacht worden. Der Schatz, die Goldmasse, um die sich's handelt, wurde von englischen Abenteurern angehäuft, die keine Möglichkeit hatten, sie wegzuschaffen, und die schließlich dem nordischen Winter erlegen sind.«

»Das ist einleuchtend«, sagte Prickett. »Ich stehe zu Ihren Diensten, aber Sie müssen mich in die Lage versetzen, das Werk anzufangen – ich könnte wohl in Ihrer Wohnung vorsprechen?«

»Gewiß, und zwar sofort, falls Sie Herr Ihrer Zeit sind.«

»Ich stehe vollständig zur Verfügung.«

Prickett stand auf, nahm seinen Hut vom Teppich auf, wo er ihn hingestellt hatte, strich beinahe liebkosend mit dem seidenen Taschentuch darüber und wartete das Weitere ab.

»Guten Tag für heute, Sir Jonas!« sagte der General.

»Ach so! Sie sind schon im Reinen mit Herrn Prickett? In besseren Händen könnten Sie gar nicht sein! Guten Tag – Prickett, Sie halten mich wohl in Kenntnis von Ihren Schritten? Guten Tag, meine Herren!«

Der General und Prickett durchschritten die Schreibstuben und traten auf die Straße, wo Prickett mit befremdlicher Vertraulichkeit seinen Arm durch den des Generals schob und ihn gleichsam in Besitz nahm.

»Wie klein die Welt doch ist ... Herr General?« sagte er. »Der Tausend! Ich glaube, daß außer mir kein einziger von der englischen Polizei Sie erkannt haben würde! Alle Achtung vor Ihren Nerven, General! Sir Jonas vor die Augen zu treten, ist ein starkes Stück! Jetzt müssen wir uns in Ruhe aussprechen. Ganz in der Nähe ist ein sehr anständiges, ruhiges Gasthaus, wo ich bekannt bin, und wo wir eine stille Ecke finden werden. Denn wir haben einander viel zu sagen, nicht wahr, General? Wie klein die Welt doch ist – nein! Wie winzig klein!«

Zweites Kapitel.

Prickett geleitete oder schleppte seinen »neuen« Bekannten richtig in ein etwas altväterisches ehrbares Gasthaus, wo er wirklich wohl bekannt sein mußte, denn man wies den beiden Herren sofort ein Privatzimmer an. Prickett bestellte für sich und seinen Gast ein bescheidenes Frühstück und steckte sich eine Zigarre an.

»Und nun«, sagte er im Ton freundschaftlichster Teilnahme, »können Sie mir alles erklären.«

Der General, der wütend und zugleich merkwürdig niedergeschlagen aussah, legte jedoch nicht das geringste Mitteilungsbedürfnis an den Tag.

»Nur heraus mit der Sprache, nur heraus!« sagte Prickett aufmunternd, »Sie sind doch nicht verstimmt? Natürlich ist's ja verdrießlich, daß Sie gerade mir in die Hände laufen müssen, aber Sie haben ja hinreichend Zeit gehabt, sich mit dieser Tatsache vertraut zu machen, und als verständiger Mann, der Sie sind, mußten Sie ja in dem Augenblick, als ich auf der Bildfläche erschien, ganz genau wissen, was Sie zu erwarten haben. Sie haben sich ausgezeichnet hergerichtet, und die Narbe ist ein Einfall erster Güte! Mit einem echten Farbstoff gemacht, nicht wahr? Das hat den Vorzug, daß nicht jeder Regentropfen, der einem auf die Nase fällt, die Geschichte abwäscht, andrerseits ziehe ich Aquarellfarben vor – für den Fall, daß man rasch eine Veränderung nötig hat. Narben haben immer etwas für sich; sie gelten für unveränderlich und kommen in den Steckbrief – ist dann keine Narbe da, so sind sie blamiert! Aber jetzt heraus mit der Sprache, General – was beabsichtigen Sie mit der Schatzgeschichte?«

»Sie täuschen sich gründlich, wenn Sie glauben, daß ich Ihnen irgend etwas sagen werde.«

»Hm ... nur Geduld«, sagte Prickett, das sich ablösende Deckblatt seiner Zigarre mit der Zunge befeuchtend und sorgfältig andrückend. »Stellen Sie sich nicht auf die Hinterbeine, ohne die Sache reiflich überlegt zu haben. Auf alle Fälle wird's wohl meine Pflicht sein, dafür zu sorgen, daß man Sie im Auge behält. Selbstverständlich, und das wissen Sie so gut als ich selbst, brauche ich nur ein Wort hinaussagen zu lassen und Sie marschieren nach der Bogenstraße – Sie haben doch schon von der Bogenstraße gehört? Die Gegend ist Ihnen bekannt? Nun gut, was kommt also heraus bei dem törichten Eigensinn?«

»Sie sind ein Maulheld, ein eitler Hanswurst! Da vollführen Sie ein Gegacker, als ob Sie wunder was vollbracht hätten!«

»Der Ton gefällt mir nicht, General, und spricht nicht zu Ihren Gunsten«, bemerkte Prickett mit mildem Vorwurf. »Ich sitze Ihnen hier als Privatmann gegenüber, denn Sie haben ja gehört, daß ich nicht mehr im Dienst bin, der Unterschied zwischen mir und Ihnen ist aber der, daß ich Gesetz, Ordnung und Macht auf meiner Seite habe, Sie dafür alle diese schönen Dinge gegen sich. Es wundert mich wirklich, daß Sie mir Renommisterei vorwerfen, während Sie ganz genau wissen, daß ich Sie in der Hand habe.«

»Nun«, sagte der General etwas gefügiger, »was wollen Sie denn eigentlich von mir erfahren?«

»So, das läßt sich eher hören!« rief Prickett, immer noch mit dem Deckblatt seiner Zigarre beschäftigt, als ob diese die oberste Stelle in seinem Gemüt einnähme. »Bei unserm Wiedersehen finde ich Sie im besten Zug, Sir Jonas Cohen blauen Dunst vorzumachen! Ob's Ihnen gelungen ist oder nicht – wer kann es sagen? Der Mann ist unergründlich und wenn es ihm in sein Spiel paßt, läßt er Sie lebenslang glauben, er sei darauf reingefallen, Sie aber, Sie spielen sehr hoch, und der Einsatz bedeutet Ihr Leben – darum frage ich Sie, wozu?«

»Ich habe Rechtsgeschäfte mit Sir Jonas«, erwiderte der General, »vollkommen ehrliche Geschäfte, die aber nur ein geschickter Anwalt besorgen kann. Einfach aus diesem Grunde ging ich zu Sir Jonas.«

»Mit der Fabel von den zwei Silberscheiben? Wertester, das ist starker Tabak!«

»Was Sie Fabel zu nennen belieben, ist schlichte Wahrheit«, gab der General ganz gelassen zurück. »Beide Stücke waren in meinem Besitz. Die eine Münze ist mir gestohlen worden, und gerade die muß ich haben.«

»Daran mag ja etwas Wahres sein«, sagte Prickett überlegend. »Die Frage ist nur, wie kamen sie in Ihren Besitz?«

»Wie ich Ihnen sagte. Mein Vater hat sie von einer seiner Reisen aus Alaska mitgebracht.«

»Das sagten Sie allerdings, aber ich möchte jetzt die Wahrheit wissen.«

»Und die habe ich Ihnen gesagt.«

»So, so! Daß diese Auskunft befriedigend wäre, könnte ich nicht behaupten. Das werden Sie ja einsehen, daß für Sie hier kein Boden zu neuen – sagen wir Unternehmungen ist? Sie täten besser, das Stückchen Silber meiner Obhut anzuvertrauen, und dann könnten wir auf der Stelle zu Sir Jonas gehen, und ich würde mir dort meine Anweisungen holen. Überlegen Sie sich's – ich lasse Ihnen gern ein paar Minuten Zeit. – Furchtbar heiß, nicht wahr?«

Der General hatte den Hut abgenommen, um sich die Stirn zu wischen. Prickett nahm ebenfalls den Hut ab und legte ihn auf den Tisch.

»Sie sind ein eigensinniger Wichtigthuer und auf falscher Fährte«, sagte der General. »Es würde sich für Sie wahrhaftig der Mühe lohnen, für mich zu arbeiten, statt dessen handeln Sie geradezu wie ein Narr. Wenn Sie sich auf meine Seite schlagen, kann ich Sie zum reichen Manne machen, denn ich schwöre Ihnen bei meiner Hoffnung auf ewige Seligkeit, daß zwei Millionen Pfund Sterling, fünfzehn Tonnen Gold, auf mich warten. Was ist dagegen das bißchen Ehre oder das armselige Geld, das Ihnen meine Verhaftung eintragen wird? Das Gold ist an dem bezeichneten Ort; die Leute, die den Schatz dort verborgen haben, sind seit Jahren tot, er gehört also dem, der ihn zu finden weiß. Ketten Sie Ihr Schicksal an das meinige, und ich mache Sie zum Millionär!«

»Sehr liebenswürdig«, sagte Prickett, »aber ich muß Ihr Anerbieten ablehnen. Wer so lange ehrlich verdientes Brot gegessen hat, beißt an diesen Köter nicht an.«

»Dann sind Sie eben ein Esel!« rief der General.

»Lassen wir diese Frage unentschieden«, erwiderte Prickett. »Jedenfalls muß der Diebstahl des Silberstückes angezeigt werden, und dann wird der rechtmäßige Besitzer, wenn er vorhanden ist, seine Ansprüche nachweisen können und es zurückerhalten. Aber, General – Ihnen läuft ja das Wasser von der Stirn! Nächstens fange ich an, die Sache verdächtig zu finden – geben Sie mir doch lieber das Silberstück in Verwahrung.«

»Und ich sage Ihnen«, rief der General in höchster Erregung vom Stuhl aufstehend, »daß es mein rechtmäßiges Eigentum ist. Falls Sie den Versuch machen, es mir mit Gewalt zu entreißen, sollen Sie's teuer bezahlen!«

»Fällt mir ja gar nicht ein, diesen Versuch zu machen«, sagte Prickett ruhig. »Aber wenn Sie sich so gebärden, haben Sie mir auf der Stelle zu folgen.«

»Da täuschen Sie sich aber gründlich«, brummte der General ingrimmig. »Keinen Fuß rühre ich auf Ihr Geheiß. Sie haben ja nicht die Spur von einer Amtsgewalt mehr, und wenn Sie Hand an mich legen wollen, so geschieht's einzig und allein auf Ihre Gefahr.«

»Wollen Sie jetzt Ruhe geben«, fragte Prickett statt jeder Widerlegung, »oder soll ich mir Beistand holen?«

Der General fiel schwerfällig wieder auf seinen Stuhl und starrte trotzig vor sich hin.

»Nach Ihren Erfahrungen könnten Sie schon eher wissen, woran Sie sind«, sagte Prickett, »aber Sie sollen's haben, wie Sie wollen.«

Sein Blick überflog das Zimmer. Das einzige Fenster ging, wie er wußte, auf einen kleinen Hof, der keinen andern Ausgang hatte als durchs Schenkzimmer nach vorne. Ein Glockenzug war nicht vorhanden. Nachdem sich Prickett diese Einzelheiten angesehen hatte, stand er auf, öffnete die Türe, trat in die Wirtsstube hinaus, wobei er jedoch die Klinke in der Hand behielt, und winkte den Wirt vom Schenktische zu sich her.

»Georg, lassen Sie das Fenster gegen den Hof bewachen und dann rufen Sie mir den nächsten besten Schutzmann, den Sie finden.«

Es mochte etwa dreißig Sekunden gedauert haben, bis der Wirt auf ihn aufmerksam geworden war, und im ganzen hatte Prickett das Zimmer höchstens eine Minute lang verlassen gehabt. Als er wieder hineintrat, saß der General in unveränderter Stellung auf seinem Platz und unverändert war auch sein Ausdruck herausfordernden Trotzes. Prickett setzte sich ihm gegenüber und behielt ihn fest im Auge. Nach fünf Minuten wurde an die Tür geklopft.

»Herein«, sagte Prickett.

Ein Schutzmann trat ein.

»Guten Tag, Herr Prickett.«

»Guten Morgen, Williams. Ich habe hier eine Partei unter verdächtigen Umständen. Der Herr weigert sich, mir zu folgen, weil ich nicht im Amt bin, worin er ja recht hat. Nun, Sie sind im Dienst, und er wird vielleicht so verständig sein, Ihnen zu gehorchen. Kommen Sie mit, General?«

Der General stand auf und griff nach seinem Hut; auch Prickett nahm den seinigen vom Tisch und setzte ihn auf.

»So, jetzt wären wir so weit«, sagte er. »Behalten Sie ihn aber scharf im Auge, ich kenne den Kunden.«

Der General ergab sich ins Unvermeidliche und die kleine Gesellschaft begab sich zu Sir Jonas. Der Anwalt war noch an der Arbeit und sie wurde sofort vorgelassen.

»Die Partei ist uns sehr genau bekannt, Sir Jonas«, erklärte ihm Prickett. »Er hat in Deutschland, Frankreich und in den Vereinigten Staaten gesessen. Sein ursprünglicher Name ist vermutlich Julius Engel, aber er führt eine Menge falscher. Ich erkannte ihn auf den ersten Blick, wollte ihm aber zunächst ein wenig auf den Zahn fühlen. Nach unserm Plauderstündchen neige ich zu der Ansicht, daß er nicht im rechtmäßigen Besitz des Silberstücks ist, und ich würde es für ratsam halten, ihn einige Zeit zu beaufsichtigen und Nachforschungen anzustellen.«

Die meisten Anwälte würden eine derartige Rückkehr eines Klienten in Bestürzung versetzt haben, Sir Jonas aber hatte in seinem Leben so viel Überraschendes erfahren, daß er sich das Staunen abgewöhnt hatte.

»Handeln Sie ganz nach Ihrem Gutdünken, Prickett«, sagte er, »und benachrichtigen Sie mich, wenn ich nötig werde. Nehmen Sie aber meine Zeit so wenig als möglich in Anspruch.«

Prickett verbeugte sich und begab sich mit seinem Gefangenen und dem früheren Untergebenen sofort nach dem Polizeigefängnis in der Bogenstraße, wo »General Felthorn« vor allen Dingen durchsucht wurde. Er hatte viel Bargeld bei sich, auch hübsche Wertsachen, als da sind Uhr, Kette und Ring. Das kleine Holzkästchen befand sich auch noch in seiner Westentasche – aber die Silberscheibe war nicht mehr darin. Der Gefangene wurde mit berufsmäßiger Gewandtheit und Pünktlichkeit abermals durchsucht – die Silberscheibe fehlte. Dieser Umstand war für Prickett ein Beweis.

»Ich kann darauf schwören, daß er nicht eine Stecknadel weggeworfen haben kann, seit ich ihn in Obhut genommen«, beteuerte der Schutzmann.

»Das ist selbstverständlich, Williams«, sagte Prickett verweisend, »machen Sie aber Ihre Angaben erst, wenn Sie gefragt werden.«

Hierauf ging er sofort in das Wirtshaus zurück und in das stille Hinterstübchen, wo er mit dem General gesessen hatte.

»Ist jemand in diesem Zimmer gewesen seit ich es verlassen habe, Georg?«

»Nein, Herr Prickett, keine Seele.«