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Sie leben unter uns. Sie bringen den Tod! Doch sie lieben auch. Seit Jahrhunderten leben die Wesen der alten Welt unter uns: die Jäger aus Araukna. Sie haben nur eine einzige Aufgabe, die Suche nach den Halbwesen, die sich in der Welt der Menschen und in ihren Augen die größte Gefahr für die alte Welt bedeuten. Sie zu töten, ist die Aufgabe der Venturo, doch nach vielen Jahrhunderten kommen plötzlich Zweifel auf. Sind die Halbwesen eine Gefahr oder ist es ein womöglich tödlicher Fehler, sie auszuschalten? Als Jarius und seine Freunde auf einige stoßen, erkennen sie, dass nichts so ist, wie es scheint. Einer von ihnen weckt in Laros, dem gefährlichsten Venturo, etwas auf, das er nie zulassen wollte. Und auch das Blut, das nie lügt, spricht zu Sirius. Doch kann das wirklich sein? Oder ist es ein Bann, ein gefährlicher Zauber, den die Halbwesen auf die Jäger legen?
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Die Jäger von Araukna
Miamo Zesi
miamo-zesi.de
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Namen und Handlungen sind allesamt fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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(c) Roman Samborskyi / Shutterstock.com
Covergestaltung: TomJay – www.tomjay.de
Korrektorat: Sabrina Cremer
ISBN E-book: 978-3-947255-65-8
ISBN Print: 978-3-947255-66-5
Miamo Zesi
2020
Widmung
Meinem Mann
Autorin
Miamo Zesi ist das Pseudonym einer Autorin aus dem schwäbischen Biberach. Sie lebt dort mit ihrem Mann, zwei erwachsenen Kindern und Hund Mex. Sie liebt lange Spaziergänge im Wald. Dabei fallen ihr viele Geschichten ein. Mit der Reihe »The endless love« hat sie ihren Jungs Leben eingehaucht. Wer sie fragt, wie sie darauf kommt zu schreiben, dem antwortet sie: »Keine Ahnung – weil es Spaß macht.«
Sie wünscht viel Spaß mit der Lektüre!
Hinweis:
Dieser Roman enthält ausgedachte, fiktive Sexszenen. Sie sind nicht für Minderjährige geeignet und keine Ratgeber. Einen Rat allerdings sollte jeder beherzigen:
Sei safe. Mach’s mit Kondom!
Inhaltsverzeichnis
1. Araukna vor vielen hunderten von Jahren5
2. Die Versammlung11
3. Jarias16
4. Training21
5. Die Jagd – Jahre später27
6. New York – Riala30
7. Riala33
8. New York - Riala40
9. Jarias44
10. Sirius46
11. Miari48
12. Sirius52
13. Jarias57
14. Sirius59
15. Banalf65
16. Laros69
17. Shiras78
18. Banalf82
19. Las Vegas - Sirius89
20. Las Vegas – geheimes Treffen92
21. Avariella101
22. Riala104
23. Die Alte Welt – Vater von Jarias115
24. Gefangennahme von Sirius125
25. Banalf und Laros129
26. Ewikikili – Hauptstadt Ewikil137
27. Miari143
28. Laros145
29. Sirius – Monate später147
30. Miari152
31. Shiras159
32. Alter Rat – Vetustas Concilium. Sechs Monate später167
33. Araukna – Eine Dekade später179
34. Leseprobe: Ist ja Elfig – Ein Weihnachtself sucht die Liebe185
35. Brief an den Weihnachtsmann185
36. Griffin186
Der erste Blick auf die Hauptstadt, auf unser aller Zentrum, ist unbeschreiblich. Araukna umgeben von den weiten Ebenen der Arauknasavannen, den fruchtbaren Feldern und Wiesen und den Ansiedlungen aller Wesen, die Frieden suchen. Rundum die steil aufsteigenden und mit jahrhunderte alten Bäumen gesäumten Berghänge. In der Mitte des erloschenen Vulkankegels: die Stadt. Sie kann man nur erahnen. Auch der Anblick, der im Zentrum stehenden, jahrtausendealten Burg ist fantastisch. Alles sieht von der Ferne anders aus, älter und geheimnisvoller. Der Ort ist unser aller Heiligtum. Egal ob verfeindet oder nicht, in Araukna und drum herum herrscht Frieden. Jeder muss sich daran halten, aber auch jedem wird Schutz gewährt. Ein Ort, wie es ihn nur in der Alten Welt gibt. Kein Mensch darf von diesem Platz wissen und doch passiert es täglich, dass sich welche in die Übergänge verirren oder sensibel genug sind, uns zu finden. Sie werden von uns gesucht und betreut. Nach Hause können sie nicht mehr gehen, denn ihre Welt, wie sie sie kennen, gibt es nicht mehr und der Schock dies zu erleben wäre zu groß.
»Beeindruckend nicht wahr, mein Sohn?«
»Ja, Vater. Das ist es jedes Mal aufs Neue. Es hat sich nichts verändert, seit ich zuletzt hier war.« Er lacht.
»Oh ja, damals warst du noch sehr grün hinter den Ohren. Du hast ängstlich geschaut und die Schönheit des Ortes nicht erkannt.«
»Ich musste hierbleiben, weit weg von zu Hause. Von Mutter und allem, was mir lieb war. Und ich sollte lernen, Vater. Zusammenleben mit anderen Elfen, Drachen Wandlern und mit den Zwergen in einem Saal schlafen. Mit Vampiren und Kobolden unter einem Dach leben. Hier sind Kreaturen, von denen selbst viele Elfen keine Ahnung haben. Ich wette, auch du hast noch nicht alle Wesen von Araukna kennengelernt.«
»Die Wette würde ich nicht eingehen. Vergiss nicht, auch ich habe hier gelernt und viele Jahre gelebt.«
»Weiß ich, das sagt man aber doch so. Jedenfalls, das war für mich eine ziemlich beängstigende Vorstellung, alleine das hat mich fertiggemacht. Außerdem hast du meinen Bruder Nurion erst später hierhergebracht. Ich war alleine und auf mich gestellt.«
»Aber es hat dir dort gefallen. Bereits nach kurzer Zeit. Du warst immer einer der Besten. Wurdest schneller erwachsen. Der Flegel in dir hat seine Kraft richtig kanalisiert. Du konntest hier Flügel bekommen, ohne dass dir jemand Vorhaltungen gemacht hat, ohne im Schatten deines Bruders zu stehen.«
»Weißt du, Vater, es stimmt was du sagst. Nach anfänglichen Schwierigkeiten war es okay. War es das, was du erreichen wolltest?«
»Dass du Schwierigkeiten bekommst?«
Ich schmunzle und Vater lächelt mir wissend zu. »Ja, auch das. Du solltest aus dem Schatten deines Bruders Nurion treten können und dich von ihm lösen. Mir ist sehr wohl bewusst, dass es nicht einfach ist, der Zweite zu sein. Ersatzmann zu spielen. Eigentlich nie die Chance zu erhalten, Familienvorstand zu werden und wenn, dass dem der Tod deines Bruders vorangehen müsste, den du liebst. Trotzdem aber wird von dir erwartet, dass du die Anforderungen, die an einen Thronfolger gestellt werden, erfüllst und du den Ansprüchen gewachsen bist, solltest du gebraucht werden. Alle Elfen erwarten von dir, dass du in diesem Fall die Erwartungen erfüllst, die damit verbunden wären. Dieser Druck und auch unter den Augen aller erwachsen zu werden, das wollte ich für dich nicht, mein Sohn. Deshalb solltest du hierher nach Araukna, alleine. Du durftest hier deinen Weg finden und hast das sehr gut gemacht. Und was dein »Okay« angeht. Ich will sagen, dass ich oft Nachricht von deinen Streichen und Ungehorsam erhalten habe. Du und deine Freunde wart wild, ungestüm und nicht sonderlich folg- und strebsam. Oft war eine harte Hand von Nöten.«
»Wir waren jung, Vater.«
»Das stimmt. Ob das eure Lehrer auch so sahen, ist fraglich. Wir werden sehen. Da wir mit Sicherheit einige Tage hier sein werden, ist es gut möglich, dass du auf den einen oder anderen Lehrer triffst.«
»Oje.«
»Jarias!«
»Schon gut, Vater. Das war spaßig gemeint.«
Wir reiten weiter, ich bin tief in Gedanken an diese Zeit. Sie war schön.
Nach einem weiteren Tagesritt erreichen wir die Berge von Araukna und werden von den Hütern, den Lesamen, in die Stadt eingelassen. Als Vertreter der Elfen haben wir einen Sonderstatus. Vater wird vor dem Großen Rat sprechen, der Versammlung aller Wesen von Araukna. Alle Vertreter der verschiedenen Geschöpfe sind eingeladen. Von überall her aus Araukna sind sie angereist. Dies hier ist immer ein denkwürdiger Tag. Selbst verfeindete Linien und bösartige Wesen, die nicht miteinander auskommen und seit Jahrhunderten Krieg führen, haben ihre Vertreter gesandt, um zu erfahren, was in der Alten Welt vor sich geht. Was beschlossen werden soll. Diese Versammlung ist seit vielen Jahren die erste ihrer Art und wurde von den sieben großen Völkern einberufen. Noch vor Hunderten von Jahren gab es diese Versammlungen regelmäßig, aber wie so oft wurde auch in Araukna Krieg geführt und Rituale gerieten in Vergessenheit oder wurden nur noch von bestimmten Gruppen durchgeführt. Meistens von den vorhin genannten großen sieben Völkern. Jede Art, jeder Stamm, alle dürfen Vertreter aussenden und in der großen Halle tief unter der Erde bei der Zusammenkunft anwesend sein. Reden dürfen allerdings nur die großen Sieben, die seit jeher in Araukna das Sagen haben. Die anderen Völker tragen ihre Anliegen an diese Vertreter heran. Diese gehören zu den reinsten und ältesten Geschöpfen in Araukna. Auch ich zähle dazu. Ich bin der Sohn einer Linie, die ohne Unterbrechungen stets dem Elfenvolk gedient hat. In der Menschenwelt wäre ich ein Prinz. Hier nennt man mich Ernil Jarias. Dieses Mal ist es eine Zusammenkunft wie sie nur alle paar hundert Jahre geschieht. Wenn es etwas so Wichtiges zu besprechen und zu beschließen gilt, das alle Wesen der Alten Welt, alle Wesen von Araukna angeht. Dies heute ist gewiss ein Ereignis, von dem noch jahrelang gesprochen werden wird. Bei Treffen wie diesen entstehen oft Ehen, Freundschaften, Verbündete – aber auch neue Fehden. Gerade aus letzterem Grund nahmen viele Völker nicht mehr teil. Heute aber herrscht reges Treiben in der Stadt.
Araukna ist das Zentrum der Alten Welt, unser aller Heiligtum. In der Burg ist das gesamte alte Wissen sämtlicher Völker von Araukna gesammelt. In den unterirdischen, großen Hallen und Sälen werden von den Auserwählten eines jeden Volkes sämtliche Mythen, Gebräuche, Riten, einfach unsere komplette Geschichte, behütet und umsorgt. Die Bewacher sind für uns etwa wie die Priester oder Nonnen für die Menschen. Sie leisten einen Eid ab und leben nur hier, völlig von der Außenwelt abgeschottet, bewacht von vielen Kriegern aller Völker. Ihnen wird stets mit Ehrerbietung begegnet.
Es gibt keine Übergänge von der Alten zur Neuen Welt in diesem Bereich. Der Ort wurde von unseren Urvätern bewusst ausgewählt und gilt als der sicherste in der Alten Welt. Umringt von den hohen Bergen des Arauknagebirges. Sollte es irgendwann einmal Krieg zwischen den Menschen und den alten Völkern geben, wird dies die letzte Bastion sein, die unsere Feinde einnehmen und die wir beschützen und verteidigen werden, mit unser aller Kraft und Blut.
Die Menschen würden Araukna eine Nationalbibliothek nennen, aber es ist viel mehr. International würde dem näher kommen, jedoch kommt hinzu, dass das Wissen seit tausenden von Jahren gesammelt und gehütet wird. Nicht digital, denn dies funktioniert hier nicht, sondern in Schriften und Büchern. Wie viele Stockwerke tief das Bauwerk ist, weiß niemand so richtig. Die Priester sind eingeweiht und auch die Herrscher der sieben Völker. Sie legen am Tag ihrer Krönung einen Eid ab. Dürfen dieses Wissen an niemanden weitergeben. Nach ihrem Tod reist der neue Vertreter nach Araukna und wird unterwiesen, wie weitläufig die Tunnel unter dem erloschenen Vulkan sind. Nur die Hüter des Wissens und sie haben zu diesen Bereichen Zutritt. Die Hüter sammeln und lernen. Sie lehren auch. Viele bringen ihre Kinder nach Araukna, um hier zur Schule zu gehen. Im Prinzip ist es jedem Bewohner erlaubt, hier zu studieren, aber in den vergangenen Jahrhunderten kamen immer nur die Nachkommen der sieben reinen Stämme hierher. Die Töchter und Söhne der Clanoberhäupter und ihrer Familien. Ein Eliteinternat sozusagen.
Auch ich wurde von Vater hierher zur Schule geschickt und habe hier Freunde gefunden. Nicht nur Elfen, im Gegenteil: Mein bester Freund ist auch heute noch Leon, ein Wandler, und wie der Name schon sagt ein Löwe. Sein Bruder wird einmal König der Wandler von Ewikikili werden und Leon ist sozusagen wie ich die Reserve, falls seinem Bruder etwas passiert. Wir teilen dasselbe Schicksal und wir beide sind glücklich mit dieser Situation. Mein zweiter bester Freund ist Sirius, ein Vampir. Auch er ist ein Prinz. Der Sohn des großen Vampirkönigs Waldor. Die erste Zeit habe ich ihn bis aufs Blut gehasst, bis wir in einer bestimmten Situation Freunde fürs Leben wurden. Ich lächle bei dem Gedanken daran. Mein Bruder Nurion wird ein guter Vertreter der Elfen werden. Er ist noch immer hier in Araukna und lernt. Er ist der besonnenere von uns beiden und deshalb wird dies auch eine Art Familientreffen. Unser Haus gilt von jeher als das Haus der Weisen, der Vermittler. Dazu muss aber auch Weisheit in einem sein. Meinem Zwillingsbruder Nurion liegt dies von jeher. Mir weniger. Ich bin aufbrausend und längst nicht so geduldig wie er. Es passt, wie es ist. Und Leon geht es nicht anders. Auch Sirius ist nicht der zukünftige Herrscher der Vampire. Leider wohnen beide viel zu weit entfernt. Reisen nach Ewikikili dauern lange und dort in den weitläufigen Urwäldern wohnt Leon. Ich war erst einmal bei ihm zu Besuch. Sirius lebt in einem anderen Teil dieses wundervollen Landes, tief in den Hochebenen von Ewikikili. Ich habe mir erzählen lassen, dass es dort wunderschön ist. Ich war noch nie so weit weg von zuhause und in die Vampirstadt Kiwikil, wie die Hauptstadt dort heißt, muss man erst einmal eingelassen werden. Ob eine Elfe dort Zugang erhält, auch wenn er der Freund des Prinzen ist, scheint mir fraglich zu sein. Ich schweife ab.
Meine Heimat ist Nemka, das Land der Elfen. Ein wundervolles Land mit großen, weiten Grassteppen und riesigen Wäldern. Berge durchziehen das Land und inmitten von ihnen liegen wunderschöne Täler. Auch große Flüsse und Seen sind Bestandteil von Nemka. Die verschiedenen Häuser der Elfen sind auch die Hüter der verschiedenen Gebiete. Das Haus Annorn, aus dem ich komme, lebt in einem tiefen Tal, umgeben von den Berghängen des Nemkagebirges. Der Wohnsitz des Vorstehers liegt in der Mitte des Tales genau an dem Punkt, an dem die Schatten der Berghänge nie auftreffen. Man nennt den Ort Nori. Es ist wunderschön in meiner Heimat. Vater ist das Oberhaupt der Elfen und viele kommen zu ihm, wenn sie Probleme haben oder Rat von ihm benötigen. Er ist zudem der Richter der Elfen. Da es in der Alten Welt innerhalb der Völker nicht viel anders zugeht als bei den Menschen, wird ein weiser Mann oder Schlichter dringend benötigt. Diesen Job hat mein Vater und später wird dies mein Bruder übernehmen.
Für Gesetzesübertretungen der schlimmeren Art, wie Mord oder etwas, was die Alte Welt gefährdet, hat man in Araunkna Dektete beschlossen, die alle anwenden sollten. Ob sie es tun wird jedoch nicht nachgeprüft, es liegt an den einzelnen Herrschern, doch es ist ein Leitfaden.
Das Hause Beor kümmert sich in Nemka um die Bestellung der Felder und sie halten viele Nutztiere. Sie sind Bauern und die Hüter des Waldes.
Die Elfen aus dem Hause Coron sind die Wächter der weiten Ebenen. Sie züchten und versorgen unsere Pferde und sind exzellente Reiter.
Meine Verwandten vom Hause Melwer sind die Hüter unserer Seen und Fische. Und zuletzt das Haus Finwe, sie sind Kämpferelfen. Ich fühle mich ihnen sehr nah. In mir schlummert dieses Gen. Sie schützen unsere Grenzen und haben die wichtige Aufgabe, die Übergänge zur Menschenwelt zu suchen und vor allem zu sichern. Niemand darf ohne unser Wissen in das Alte Land eindringen. Es ist gefährlich, wir müssen für die Menschen Myhten bleiben. Leider gibt es nicht nur im Elfenland diese Übergänge, sondern im kompletten Alten Land. Jeder Stamm schützt diese bis aufs Blut, oft schon hat es schlimme Kämpfe gegeben. Und trotzdem schafft es immer wieder ein Mensch oder Tier hindurchzuschlüpfen. Da Menschen im Alten Land extrem langsam altern, schafft es Probleme, wenn sie zurückgehen und bemerken, dass die Menschen in ihrer Welt gealtert sind. Dass ihre Kinder bereits Greisen oder verstorben sind, sie selber jedoch nicht. Hier in Araukna läuft die Zeit anders. Zudem werden die Bewohner hier uralt. Es mag am Land selber liegen oder am Wasser, vielleicht auch an der Luft. Niemand weiß es genau. Es kann auch an den Bewohnern selbst liegen. Den Menschen kommt es meist nicht lange vor, wenn sie hier in Araukna weilen, da die Zeit völlig anders verläuft. Es ist eine Parallelwelt, jedoch können Jahrzehnte in ihrer Welt vergangen sein. Das große Problem ist, dass sich diese Lücken oft spontan öffnen. Oder sie sind da, aber von uns noch nicht entdeckt worden. Manche schließen sich auch wieder. Ohne jegliche Systematik. In Irland und Island sind diese Stellen vermehrt, oft verborgen in kleinen Hügeln oder von Menschen und Druiden in Steinkreise gezeichnet. Für uns ist dies kein Problem. Wir bewegen uns in beiden Welten, zu Hause aber ist für mich Araukna, besser gesagt Annorn. Wie sehr ich dieses Land liebe. Ich würde alles dafür tun, es zu beschützen.
»Träumst du?«
»Entschuldige, Vater. Du hast recht, ich war tief in Gedanken.«
»Wir sind bald da. Trotzdem schlage ich vor, machen wir noch einen kurzen Halt und ruhen uns aus. Es liegen einige anstrengende Tage vor uns.«
Nach einer längeren Pause satteln wir erneut die Pferde und reiten los. Ich freue mich geradezu auf ein Bett. Die Reise nach Araukna war zeitintensiv und lange. Wir sind seit fast zwei Monaten unterwegs. Das zehrt auch an den Kräften von Elfen.
Es geht hitzig zu. Alle reden durcheinander.
»Sie sind monströs!«
»Eine Gefahr für uns.«
»Keiner weiß, was sie vorhaben!«
»Wir wissen doch alle, wie hinterhältig diese Wesen sind. Noch sind sie im Untergrund und halten sich zurück. Doch keiner von uns hat eine Ahnung, was für Fähigkeiten sie entwickeln.«
»Sie können zur Gefahr werden.«
»Wenn Sie sich mit den Menschen verbinden, ihnen von uns erzählen … Ihnen womöglich die Übergänge zeigen.«
»Gemeinsame Sache mit ihnen machen!«
Ein schockiertes Raunen geht durch den Raum. Im Augenblick spricht der König der Vampire. Die von den Menschen in den letzten hunderten von Jahren bis auf das Blut gejagt werden und kein gutes Haar an ihnen lassen. Sie sind den Menschen um ein Vielfaches überlegen, jedoch wird ihr Lebensraum in der menschlichen Welt immer mehr eingeengt und viele der Familien sind zurück in die Alte Welt gezogen. Ihre Hauptstadt ist umgeben von einer unüberwindbaren Mauer. Sie befindet sich am Eingang des großen Tales. Die Stadt und das dahinterliegende Land sind unendlich gut bewacht. Keiner darf das große Tor passieren oder war überhaupt jemals in diesem Teil des Reiches. Viele Sagen umranken dieses Gebiet, vieles davon stimmt hoffentlich nicht. Geschichten von blutrünstigen Vampiren, die das Gesetz nicht akzeptieren wollen. Als kleines Kind hatte ich fürchterliche Angst vor den Vampiren. Heute weiß ich, dass vieles nicht der Wahrheit entspricht. Allerdings hat Sirius sicher nur einen Bruchteil erzählt und das meiste ist unklar. Nachdem Waldor, der Sprecher der Vampire, fertig ist, erhebt sich als letzter Redner mein Vater. Der Sprecher der Elfen aus dem Hause Annorn. Ihm wird zugehört, auf sein Wort ist Verlass, und auch Waldor respektiert meinen Vater, der, wie viele sagen, ein weiser Elf ist. Ich durfte ihn auf dieser langen Reise in die Mitte des Reiches begleiten, bis hierher zum Zentrum von Araukna, dem Treffpunkt aller Wesen. Das Elfenland Nemka liegt weit im Norden. Wir lieben die weiten Ebenen, haben aber unsere Wohnsiedlungen und Städte in den Tiefen der Wälder und Täler. Umringt von Bergen leben wir meist versteckt im Nemkagebirge. Es gibt keinen schöneren Ort für mich. Das grüne Gras der Weiden, die alten Bäume und Wälder. Die großen Flüsse und Seen. Es ist ein wundervolles Land. Dort komme ich her. Ich träume schon wieder, Vater spricht und wie so oft wird ihm genau zugehört.
»Wir müssen uns dieser Gefahr stellen. Sie zu ignorieren kann fatal werden. Ich möchte einen Vorschlag einbringen. Jedes Volk kann darüber entscheiden und es diskutieren.«
»Rede, König des Hauses Annorn, Sprecher der Elfen. Wie ist dein Vorschlag?«, ruft einer der Zwerge.
»Wir brauchen eine Gruppe von Elitekämpfern, die ausgebildet wird, diese Halbwesen zu suchen und zu eliminieren. Sie müssen herausfinden, wer die Verräter unter uns sind, die sich mit Menschenfrauen verbinden. Jedes Volk braucht seine eigenen Jäger. Ich schlage vor, dass sie zusammen hier in Araukna leben und von den Besten unter allen Völkern ausgebildet werden. Das hier ist eine Schule, ein Camp. Sie können von den Priestern den Umgang mit den Riten und Gebräuchen der Menschen lernen, damit sie sich in der Menschenwelt zurechtfinden. Kämpfer müssen ihnen aufzeigen, wie sie die Halbwesen aufstöbern können. Sie müssen lernen, woran sie diese erkennen. Hier in Araukna ist das Wissen unserer Völker versammelt, nur hier. Wir schicken die Besten hierher, damit sie von den verdientesten Kämpfern in Waffenkunde und im Nahkampf unterrichtet werden. Wir bilden eine Gruppe von Kriegern, nein Jägern aus, die nur das Ziel haben, diese gefährlichen Halbwesen zu eliminieren. Es wird eine Zeit dauern, bis diese Gruppe steht, aber danach sind wir gerüstet. Diese Männer und Frauen müssen eine Art Bruderschaft werden, eine Gemeinschaft. Mein Vorschlag: Lasst sie uns Venatoren nennen, die Jäger von Araukna!« Es ist still, niemand spricht ein Wort. Kein Räuspern, nichts. War alles zuvor ein Durcheinander, ist es nun dagegen gespenstisch ruhig.
Erneut unterbricht der Zwerg die Stille. »Wird das Haus Annorn ebenfalls einen ihrer Söhne nach Araukna senden, um hier zu lernen?«
»Selbstverständlich.« Erstaunt sehe ich zu Vater. Wen will er aussenden? Mein Zwillingsbruder ist der Erstgeborene und Nachfolger von Vater und mein jüngerer Bruder ist noch zu jung. Seine Neffen sind alle, zumindest in meinen Augen, keine Krieger, keine Kämpfer. Elfen sind schlau und manche auch gute Kämpfer. Aber Jäger? Venatoren? Elitekämpfer? Sein nächster Satz lässt mich wie erstarrt zu ihm blicken.
»Meinen Sohn Jarias.« Ein Raunen geht durch den Saal. Ich bin selber völlig geschockt, sehe ungläubig zu Vater. Unvermittelt steht der König der Vampire Waldor auf.
»Ihr wollt euren Sohn, euren zweitgeborenen Sohn, der eventuell der Nachfolger des Hauses Annorn sein wird, hierher senden, um zu studieren? Ihr wollt aus ihm einen Krieger machen, der in die Welt der Menschen zieht? Der durchaus auch getötet werden könnte? Keiner weiß, wie stark diese Wesen sind.«
»Richtig, Waldor. Wir, die Elfen, senden nur die Besten unter uns hierher. Jarias wird die Elfen stolz machen und vertreten und nicht nur er alleine. Aus allen großen Häusern wurde ein Vertreter ausgewählt. Und nur die Besten sollen in den Krieg ziehen.« Danach lässt er die Bombe wirklich platzen, indem er die Namen nennt. »Wir haben bereits vor Monaten, als wir die Gefahr als solche erkannt haben, beschlossen, wer diese sein werden. Aus dem Hause Annorn Jarias, das Haus Beor hat Asien gewählt. Das Hause Coron schickt Lifaen, vom Hause Melwer Gilderien und zuletzt das Haus Finwe wird Vanir hier lernen lassen.«
Es ist nun totenstill. Denn es handelt sich ausschließlich um Söhne der Clanführer, der herrschenden Familien. Mein Vater redet weiter. »Wir, die Elfen, sind der Meinung, dass wir dieser Gefahr mit all unserer Kraft entgegentreten müssen.« Mit diesen Worten verlässt er das Podium. Immer noch ist es still.
Waldor steht erneut auf, erhebt seine Stimme und ruft: »Der Vorschlag, den die Elfen machen, ist gut und vernünftig. Wir, die Vampire, schließen uns an. Wir werden auch unsere Vertreter hierherschicken. Ich selber werde meinen Sohn Sirius zur Ausbildung aussenden.«
Erfreut sehe ich zu meinem Freund, den ich in der Menge erblicke. Sein Gesicht ist ausdruckslos, aber auch erstaunt. Als er spürt, dass ich zu ihm blicke, zwinkert er mir zu. Neben ihm steht Leon, der hoffentlich von den Wandlern ebenfalls ausgewählt wird. Irgendwie bin ich erfreut darüber, das wird gewiss ein Erlebnis. Nur das mit dem Töten … das ist nicht unbedingt etwas, was mich beruhigt. Ich musste noch nie töten. Bisher. Doch nun ist unser Land in Gefahr.
Auch alle anderen Völker schließen sich dem Vorschlag meines Vaters an diesem Tag an. Die Versammlung löst sich nach diesem Paukenschlag relativ zügig auf. Alle wollen das, was sich zugetragen hat, zuhause erzählen, um ebenfalls reagieren zu können. Vater und ich reisen kurz darauf zusammen mit unserem Gefolge ab, um schnellstmöglich nach Hause zu kommen. Kurz bevor wir uns verabschieden, treffen wir noch meinen Bruder Nurion. Es ist jetzt schon ersichtlich, dass er einmal, wenn die Zeit kommt, ein guter Elfenführer sein wird. Nurion ist völlig anders als ich. Nicht aufbrausend, sondern wissbegierig und für einen Elfen sehr fremdartig. Er ist ehrlich, lügt äußerst selten oder anders gesagt, er verdreht die Wahrheit nicht unbedingt. Ein Spiel, das wir Elfen perfekt beherrschen.
Wochen später, als wir Zuhause sind, packe ich. Nehme die lange Reise nach Araukna erneut auf mich, zusammen mit meinen Cousins und Freunden. Ich blicke nicht zurück. Dennoch bin ich wehmütig. Mir ist bewusst, dass ich meine Heimat für sehr lange Zeit nicht mehr wiedersehen werde. Dass ich nun erwachsen bin und meinen Teil, die Verantwortung gegenüber den Elfen und der Alten Welt, übernehmen muss.
Drei Monate nach unserer Abreise aus Araukna, nach der großen Versammlung, verlassen wir, die erwählten Elfen, unsere Heimat, um zurückzureisen. Um zu lernen, ein Venturo zu werden.
Im Laufe der Jahrhunderte werden viele Krieger ausgebildet und viele haben es nicht geschafft. Ein Venturo zu werden ist nicht leicht. Nach der bestandenen Prüfung werden wir gezeichnet. Eine Tätowierung am Handgelenk lässt uns erkennen, wer zu uns gehört, wer wir sind und zu wem wir gehören. Dass wir einer Gruppe angehören, die elitär ist. Immer wenn ich in den folgenden Jahren zweifle, streichle ich über die Schriftzeichen an meinen Handgelenken. Doch die Zweifel – sie nehmen zu.
Der Beginn damals war gut, aber noch viel besser ist, was sich daraus entwickelt hat. Unsere jungen Männer und Frauen werden auch heute noch hierher gesendet, um ausgebildet zu werden. Nicht nur zu Venatoren. Krieger, Beschützer und Hüter werden hier ausgebildet. Nur wenige werden zu Venatoren, aber es gibt sie. Bei einer drohenden Gefahr können wir im Alten Land auf gut ausgebildete Elfen, Vampire, Wandler, Drachen, Feen, Orks und Zwerge zurückgreifen. Eine Armee von Kriegern. Auch niedrigere Wesen dürfen nach Araukna, um zu lernen. Was nicht nur einmal Anlass zum Streit zwischen den Völkern wurde. Einige waren und sind auch in Araukna der Meinung, besser oder reiner zu sein. Es gibt auch hier Streit zwischen den Völkern. Die Einigkeit der Bewohner, die es an jenem Tag vor vielen hunderten von Jahren gab, gibt es seit langer Zeit in dieser Form nicht mehr. Es wird viel gestritten und auch untereinander gekämpft. Was aber geblieben ist, ist die Schule der Venatoren. Sie ist jedem Volk bis heute heilig und ihre Notwendigkeit wurde nie in Frage gestellt.
»Hallo, Jarias! Du bist wie immer der Letzte.«
»Wenn du damit sagen willst, dass ich oben im Stockbett liege, kannst du das gleich mal vergessen.«
Sirius lacht. »Wir werden sehen.«
»Nichts da. Ist Leon schon da?«
»Sicher bin ich da. Ich habe sogar noch eine Überraschung mitgebracht.«
Langsam drehe ich mich um und mein freudiges Grinsen erstarrt. »Laros? Ich fasse es nicht. Du?«
»Tja, was soll ich sagen? Leons Mutter und Vater sind der Meinung, dass ich vielleicht dazu tauge.«
»Laros!«
»Was, Leon? Das ist doch so. Sie ist froh, wenn sie mich los ist und nicht mehr jeden Tag sehen muss. Jetzt zieh nicht so ein Gesicht. Ich bin froh, hier zu sein, da kann ich zumindest Avariella oder Rufus jeden Tag ärgern. Oder aber ich sorge dafür, dass Lucas endlich die Nerven verliert und ich ihm eine reinhauen kann.«
»Er ist auch dein Vater.«
Laros schnaubt abwertend und ich sage laut und deutlich: »Wird alles nicht passieren, du wirst dich gefälligst zusammenreißen, Laros.«
»Sicher doch, Jarias. Immer doch. Sag mal, seit wann bist du der Boss?«
Ich blicke angespannt zu Laros. Er ist ein Fehltritt, ein Bastard und so führt er sich auch auf. Sein Vater hat sich mit einer anderen Frau vergnügt, diese wurde schwanger. Das Brisante daran ist, dass Leon und Laros zeitgleich geboren wurden. Ein Konflikt. Ihr Vater hat sich für Leons Mutter entschieden. Es ging gar nicht anders, alles andere wäre ein Affront gewesen. Sie, die Löwenkönigin, konnte er nicht einfach so verlassen. Ich denke, er büßt jeden Tag. Ich habe Leons Mutter nur einmal gesehen und kennengelernt. Wenn ich in mich gehe, kann ich Leons Vater verstehen. Diese Frau ist furchtbar. Warum er sie geheiratet hat und wie daraus so grandiose Söhne entstehen konnten, kann ich nicht nachvollziehen. Wenn Laros ihr Sohn wäre, das würde passen. Laros ist ein Ärgernis, nicht nur für Leon. Als Laros sehr klein war, ist seine Mutter in der Menschenwelt bei einem Ausflug getötet worden. Leons Vater hat seinen Sohn zu sich genommen und er wuchs zusammen mit den zwei anderen Söhnen auf. Laros musste die Kränkungen und den Hass von Leons Mutter ertragen. Der wiederum hält zu ihm. Liebt ihn, verteidigt ihn und nimmt ihn immer unter seine Fittiche. Laros jedoch macht keinen Hehl daraus, was er von der Familie hält, doch Leon liebt er. Unzählige Tätowierungen zieren seinen Körper. Narben, die er sich bei Raufereien zugezogen hat. Er ist in Menschenform ein Anblick, den man nicht so schnell vergisst. Er wirkt nicht nur aggressiv, er ist es auch. Seine Augen sind tiefschwarz und es ist ein Leuchten in ihnen, das einem Angst macht. In Löwengestalt aber ist er, wie mir Leon mitteilt, noch angriffslustiger und in dieser Gestalt ist er, wann immer es geht. Er verschwindet oft für Tage oder gar Wochen. Niemand weiß dann, wo er ist. Dass er nun hier ist wird interessant werden. In der Schule war er immer ein Einzelgänger. Mal sehen, ob er das auch weiterhin ist. Meine Vermutung ist dahingehend, dass dem so sein wird.
»Bist du so enttäuscht darüber, dass ich auch hier bin, dass es dir die Stimme verschlagen hat, Elfe?«
»Nein, Laros, ich habe dich angeschaut, du bist nicht gerade hübscher geworden die letzten Jahre. Einen Modelwettbewerb wirst du nicht gewinnen und mit den Frauen wird es sicher nicht einfacher werden.«
Er bleckt die Zähne und sein Gesicht verformt sich ein wenig, der Löwe will hervorbrechen. Leon legt ihm beruhigend seine Hand auf die Schulter.
»Jarias, musst du ihn so reizen? Und du, Laros, bleib ruhig. Bitte.«
Dieser schüttelt sich und steht tief atmend vor mir. Ich strecke ihm die Hand hin.
»Frieden? Ich versuche, dich nicht auf hundertachtzig zu bringen, und du machst einen großen Bogen um mich. Ich will hier lernen. Nicht meine Kräfte für eine private Fehde aufbrauchen.«
»Leck mich, Jarias.« Er geht weg und lässt mich stehen. Super.
»Ich kann nichts dafür, Jarias. Vermutlich ist es genauso, wie er denkt. Mutter hat darauf bestanden das er mich begleitet.«
»Passt schon, Leon.« Ich sehe meinen Freund an. Er hat dunkle Augenringe. »Laros macht es dir nicht einfach, oder?«
»Nein. Manchmal glaube ich, dass er sich vorsätzlich in Gefahr begibt, um irgendwann getötet zu werden. Er hängt nicht besonders am Leben und doch ist er mein Bruder. Ich liebe ihn, Jarias. Er gibt es zwar nicht zu, aber er mich auch. Er würde für mich – und ob du es nun glaubst oder nicht, auch für dich, Sirius und Lucas – bis aufs Blut und darüber hinaus kämpfen. Tief in seinem Herzen will er einfach nur dazugehören.«
»Hm, wenn du meinst, egal. Du bist auf jeden Fall das komplette Gegenteil von ihm. Die Frauen rennen dir sicher immer noch haufenweise nach, gib es zu.«
Ein schelmisches Grinsen überzieht sein Gesicht. So gefällt er mir besser.
»Kann nicht klagen.«
Sirius schnaubt. Leon hat volles blondes Haar, das in der Sonne magisch glänzt. Einen Körper, der wie gemeißelt ist. Wer ihn mal als Löwe erlebt hat, ist einfach nur fasziniert. Ein wunderhübscher Mann und Löwe. Er strahlt Zufriedenheit und puren Sex aus. Aus jeder Pore. Er zieht die Frauen nur so an. Er war sicher auch der Erste von uns, der in diesem Bereich aktiv wurde und hat, denke ich, alles ausgetestet, was es gibt. Gewiss lagen viele Frauen und Mädchen unter ihm. Und ich bin mir sicher das es keinesfalls nur Wandlerfrauen sind. Nicht, dass ich etwas zu klagen hätte. Sirius kann, was sein Aussehen betrifft ebenfalls nicht klagen. Er ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Schwarze lange Haare, ein blasses Gesicht. Wenn seine Fänge ausgefahren sind, machen sie ihn unwiderstehlich. Seine Ausstrahlung ist eine Mischung aus Gefahr und Macht und die Anziehung des Bösen. So hat es mir mal eine junge Vampirin in einer stillen Stunde erklärt, als ich sie danach fragte, was so besonders an ihm ist. All das ist er nicht für mich. Aber Frauen stehen anscheinend auf das, was er ausstrahlt. Und wenn es nur die Mythen sind, die sich um die Vampire ranken. Das vieles nicht stimmt, weiß ich erst, seit ich Sirius kenne und ihn meinen Freund nenne. Vampire sind von Hause aus sehr verschwiegen, was ihre Rasse angeht. Gerade weil viele Lügen und Unwahrheiten über sie verbreitet werden. Deshalb weiß ich auch nicht, mit welchen Mädchen er in der Kiste war. Er schweigt, was dies anbelangt. Allerdings, vielleicht ist vieles ja auch tatsächlich wahr. Das mit dem Blut und dem Leersaugen oder Töten, dem Beißen … Keiner von uns hat sich bisher getraut nachzufragen, wie das so ist. Selbst Laros hält sich, was diese Frage betrifft, zurück. Sirius ist jedenfalls sportlich und kampferprobt. Dass Vampire die Sonne nicht vertragen ist nicht gänzlich richtig. Er mag sie nicht und reagiert empfindlich darauf, mit Sonnenbrand. Er trägt immer eine Sonnenbrille und langärmlige Shirts und Hosen. Sein Markenzeichen. Alles an ihm ist schwarz. Tagsüber zieht er sich gerne ins kühle Haus zurück, schläft viel. Jedoch sicher nicht im Sarg oder einer Gruft, sondern sehr unspektakulär im Bett. Gegen Abend taut er so richtig auf. Das wiederum bedeutet auch für uns lange, sehr lange Nächte. Sirius wird nachts nie müde. Ich lache. Nachdem wir uns ausgesprochen haben, war das Dreamteam mit Leon perfekt. Laros wurde so mitgezogen. So wie nun auch wieder. Eine Vierer-WG. Super. Dass Lucas und weitere Freunde von früher hier sind, ist toll. Es wird eine gute Zeit werden, ich bin gespannt.
»Also, wo kann ich mein Zeugs hinbringen, Leon?«
»Komm mit. In einer Stunde gibt es Essen und heute Abend wird und mitgeteilt, was auf uns zukommt.«
Es ist nicht anstrengend, es ist heftig. Wir werden von den Besten der Besten getrimmt. Unsere Lehrer, die Priester, weisen uns in die Gepflogenheiten der Menschen ein. Nicht nur einem Stamm, wie sie die Menschen nennen. Es gibt Völker in Europa und Asien oder in der Neuen Welt. Wir werden darauf vorbereitet, uns in dieser anderen Welt zurechtzufinden, und uns wird das Handwerkszeug mitgegeben, damit wir uns weiterbilden. Die Menschen entwickeln sich. Die ersten Zivilisationen, das Mittelalter. In jedem Zeitalter gibt es Halbwesen, die wir suchen müssen. Wir werden alle finden müssen, um unsere Welt zu beschützen. Deshalb lernen wir. Wir werden in Kampftechniken unterwiesen. Und wir lernen, schnell und zügig zu töten. Es ist nicht unser Ziel, jemanden zu foltern oder leiden zu lassen. Nein, ein schneller Tod möglichst ohne dass derjenige überhaupt mitbekommt, dass er in Sekunden nicht mehr am Leben sein wird.
»Sirius, verflucht nochmal!«
»Was ist los, Jarias? Große Klappe, nix dahinter?« Er hat die Frechheit, mir ins Gesicht zu lachen.
»Du mich auch, der Schlag war weit unter der Gürtellinie.«
»Hast du etwa Angst um dein bestes Stück?«
»Lach du nur!« Ohne Vorwarnung packe ich ihn und stoße ihn auf die Matte, werfe mich quasi auf ihn, um Sirius dort zu halten. Mit dem Dolch drücke ich gegen seine Kronjuwelen. »Jetzt vielleicht du auch?«
Sein Gesichtsausdruck ist einfach nur köstlich. Ich rolle mich von ihm runter und kriege mich nicht mehr ein vor Lachen. Leon, der die Szene beobachtet hat, schnappt sich einen Becher Wasser und prostet mir zu. »Das war verdammt gut, Jarias. Ich würde sagen, perfekt gekontert. Gib es zu, Sirius, du hattest keine Chance. Mir scheint, du solltest mal wieder einen deiner Artgenossen besuchen und deine Beißerchen in einer Vene versenken, damit du gegen uns eine Chance hast.«
»Haha.« Aber auch Sirius schmunzelt, steht auf und reicht mir die Hand. Ich Idiot. Im selben Moment, als ich in seine Augen sehe, weiß ich, dass ich einen Fehler begangen habe. Sirius ist verflucht stark und ich habe niemals körperlich eine Chance gegen einen Vampir. Gegen einen, der der Blutlinie einer der reinen Familien angehört, schon gleich gar nicht. Diesen auch noch herauszufordern war frech, und in diesen Sekunden stelle ich fest, wie dumm das war. Ein klitzekleiner Fehler, denn ich fliege quasi durch die Luft, krache vor Leon auf den Boden und dieser liegt lachend nur Sekunden später neben mir. Auf uns sitzt Sirius mit blitzenden Augen. Seine ausgefahrenen Fangzähne lassen ihn noch gefährlicher aussehen. Die er – und jetzt ist es dann nicht mehr lustig – in meine Halsvene sinken lässt und Blut von mir trinkt. Nicht viel, aber er tut es. Er beißt mich, saugt an mir. Er hat MICH gebissen! Ohne, dass ich nun weiß, was passiert. Tausend Gedanken stürmen durch meinen Kopf. Werde ich jetzt sterben? Ein Vampir werden? Will er mich wirklich töten? Habe ich mich so sehr in ihm getäuscht? Die Wut bricht aus mir hervor, nachdem ich vor Schock wie gelähmt bin. Und Leon ist kurz davor, durchzudrehen. Er knurrt, sein Gesicht ist dabei, sich zu wandeln. Da lässt mich Sirius mit einer Hand los. Mit einer Geschwindigkeit, die ich noch nie bei ihm erlebt habe, packt er Leon, drückt ihn zu Boden und beißt ihn, ohne zu zögern, ebenfalls in die Halsvene. Meine Hand ist unbewusst an der Bissstelle, währenddessen beobachte ich, was dort vor sich geht. Immer noch bin ich nicht fähig, mich zu bewegen. Jetzt ist Schluss mit lustig und Leon wandelt sich vollständig. Noch bevor das Ganze eskaliert, lässt ihn Sirius los, hält die Hände über den Kopf und ergibt sich.
»Hört auf! Ich tue euch nichts, ihr Idioten. Aber das musste sein!«
Leon knurrt ihn an und ist kurz davor, ihn anzufallen. Ich rufe ihm zu: »Leon, stopp!« Das bringt ihn zum Glück zur Besinnung. Zu Sirius rufe ich immer noch geschockt: »Was sollte das? Bist du irre?«
Leon steht, nachdem er sich wieder in seine menschliche Gestalt zurückgewandelt hat, nackt vor uns. Seine Klamotten wurden bei der Wandlung zerstört. Er ist so wütend, dass es ihn nicht einmal stört, und brüllt kraftvoll mit seiner Löwenstimme: »WAS sollte das! Antworte gefälligst!«
»Jetzt kann ich euch überall aufspüren. Ich weiß nun, wie ihr schmeckt. Mein Blut wird euch finden, wo auch immer ihr seid, versteht ihr? Das ist gegen alle Regeln, ich darf dies nicht tun, nur mit Vampiren, den Personen, von denen ich mich nähre, die zu meiner Familie gehören oder der meiner Frau. Ich kann jeden aufspüren, wenn einem von ihnen Gefahr droht. Das Blut spricht dann zu mir. Aber ihr seid meine Freunde, wir werden oft in Gefahr sein und dies ist meine Waffe, die ich zusätzlich zu bieten habe. Und bevor ihr weiter redet, dass ich das auch anders hätte haben können, muss ich das verneinen. Ihr seid keine Vampire. Euer Blut musste erregt sein, wütend, geschockt. Adrenalin musste in Strömen fließen, damit ihr nach irgendwas schmeckt. Ehrlich, schlafen will ich nicht mit euch.«
»Ich fass es nicht. Hast du vor, das bei … Wie bitte willst du das bei Laros schaffen und überleben? Da will ich dabei sein.«
»Laros! Das wird einfach sein, der ist immer wütend. Nur muss ich dir zustimmen, ich habe keine Ahnung, ob ich das überlebe und … ob ich das auch will. Sorgen bereitet mir Lucas. Er wird der schwierigste Fall sein. Ich hab noch keine Idee, wie ich ihn aus der Fassung bringen soll, geschweige denn wie ich ihn wütend machen kann.«
Langsam beruhige ich mich.
»Du meinst das wirklich ernst, oder? Stimmt das? Und hast du keine Angst, dass dein Vater dich dafür bestrafen wird?«
»Nein, ich habe ihn darum gebeten, ihn gefragt, ob ich darf.«
»Himmel, Sirius, echt noch so eine Aktion und ich vergesse mich. Das war unterste Schublade. Aber ein interessantes Detail. Wusstest du, dass die Vampire das können, Leon?«
»Nein. Das ist auch der Grund, weshalb uns dein Bruder überall aufspürt, mir wird so einiges klar. Ihr könnt so euersgleichen spüren, oder?«
»Nicht jeden, aber alle, die der Linie angehören. Wir Kinder bekommen bei der Geburt etwas Blut unserer Eltern und sie von uns, dadurch ist die Bindung unter der Familie sehr groß. Aber auch alle anderen, die dasselbe Blut in sich tragen, können wir erkennen. Wenn wir heiraten, ist es genauso. Meine Frau wird von mir nehmen, wie auch ich von ihr. Darum ja, wir erkennen viele. Ich speziell, da ich von der Urlinie abstamme wie Vater, eigentlich alle. Ihr habt einen Eid abgelegt, Stillschweigen über das, was wir hier lernen und erfahren, geschworen. Ihr werdet dieses Wissen für euch behalten. Denn Vater wird sonst keine Gnade walten lassen. So wie auch eure Führer dies nicht tun werden, sollte jemand Geheimnisse ausplaudern.«
»Eins noch …«
»Was?«
»Kannst du im Blut noch etwas anderes herauslesen oder erspüren? Das würde mich auch interessieren.«
»Wenn ihr damit meint, ob ich eure Gedanken lesen kann: Nein, dazu brauche ich kein Blut. Du, Jarias, bist in die kleine Cousine von Leon verknallt, traust dich aber nicht, sie anzusprechen. Und du, Leon, …«
»Hör auf!«
»Gerne. Können wir also jetzt das Thema wechseln? Ich hab Hunger. Und du bist nackt, Leon, vielleicht solltest du dir etwas anziehen.«
»Danke, Sirius.«
»Wofür, Jarias?«
»Das weißt du genau. Im Prinzip bist du der Erste von uns, der klargemacht hat, dass er zu den Venatoren gehören und ein Elitekämpfer sein will. Araukna mit allen Mitteln beschützen wird. Du hast etwas Bedeutungsvolles eingebracht.« Ich reiche ihm die Hand. »Freunde, Venatoren, Brüder für immer. Leon?«
Auch er schlägt ein. »Allerdings …«
»Was?«
»Ich will zusehen, wenn du Laros und Lucas … du weißt schon.«
Es werden vier lange und anstrengende Jahre, in denen wir nicht nur Kämpfer, sondern auch erwachsen werden. Stolze Krieger, die alles dafür tun, unsere Heimat zu beschützen. Der Biss, das Blut, das Sirius von Laros benötigt, klappt wunderbar. Die beiden kämpfen in einem internen Turnier gegeneinander und als Laros am Boden liegt, beißt Sirius ohne zu zögern zu. Dass er spät am Abend ein blaues Auge hat, seine Rippen angeknackst sind, er humpelt und dabei flucht, dürfte jedem klar sein. Laros, der immer voller Wut ist, hat den Biss nicht unbedingt gut aufgenommen. Allerdings war dies jedem von uns klar. Nachdem er darüber aufgeklärt wurde, was es damit auf sich hatte, lässt er von Sirius ab. Da Lucas an diesem Tag mit einem anderen Team unterrichtet wurde, hat er vom Tumult rund um die zwei nichts mitbekommen. Allerdings am späten Abend, als er Sirius sieht und dieser ihm einfach so mitteilt, dass Laros ein hinterhälterischer Mistkerl ist, den er nie mehr seinen Freund nennen wird, wundert er sich, dass Sirius das überhaupt überlebt hat. Zuerst glaubt Lucas an einen Witz, als jedoch Laros ins Zimmer tritt und Sirius sich wie von Sinnen auf ihn stürzt, um ihn zu verprügeln, beginnt seine ruhige Fassade etwas zu bröckeln.
»Leon! Was bitte ist hier los, willst du deinem Bruder nicht helfen?«
»Nein. Ich kann seine Launen einfach nicht mehr ertragen. Soll er doch hin, wo der Pfeffer wächst.« Jetzt wird er so richtig nervös. Sirius und Laros kämpfen wirklich mit harten Bandagen, erst als Blut fließt, Laros‘ Lippe aufgeplatzt und seine Nase unschön verformt ist, bricht es aus Lucas hervor. In Sekunden steht ein gefährlich aussehender, fast verwandelter Luchs im Raum. Bevor die Wandlung vollständig ist, greift Sirius an und lässt seine Fangzähne in seine Halsvene versinken. Nur Sekunden später lässt er ihn los, zieht sich in eine Ecke des Raumes zurück. Laros wischt sich das Blut aus dem Gesicht, stellt sich dicht neben ihn.
»Wenn meine Nase gebrochen ist, bekommst du das zurück.«
Leon und ich halten Lucas zurück. Als er Laros ruhig zu Sirius sprechen hört, beruhigt er sich fast augenblicklich.
»Was war das? Seid ihr bescheuert? Ich meine, was bitte sollte das werden? Habt ihr sie noch alle?« Er schüttelt Leon und mich verärgert ab und stolziert nackt aus dem Zimmer.
»Wow, ist der angepisst, Sirius. So habe ich ihn ja noch nie erlebt. Ich will ja nicht unhöflich erscheinen, aber sein Geschmack muss ja exquisit gewesen sein. Du solltest zu ihm gehen und mit ihm reden.«
»Ihr seid Idioten. Was für einen Geschmack bitte? Fad wie ungewürztes Essen, so schmeckt ihr, nur Laros‘ Blut hat zumindest etwas Würze in sich.« Mit diesen Worten schlendert er hinaus. Laros, der nie, aber wirklich nie lächelt, grinst. Was wiederum so seltsam ist, dass es mich fast ängstigt.
Am Ende der Ausbildungszeit sind Prüfungen, und die haben es in sich. Unsere Lehrer, die aus allen Völkern stammen, fordern uns nicht nur körperlich, auch schriftlich sind die Hürden sehr groß. Es wird zwei Wochen unter den Augen der Vertreter geprüft, die jedes Volk geschickt hat. Nicht alle schaffen es. Allerdings von meinen Freunden schon. Auch Laros, er ist sogar der Beste. Er und Lucas kommen in der Zwischenzeit gut miteinander aus, zwei Pole. Der eine ruhig, still, besonnen, der andere aufbrausend und wütend. Aber es klappt. Am Ende der zwei Wochen haben es zwanzig geschafft. Aus jedem Volk hat mindestens ein Vertreter bestanden. Von den Elfen und Wandlern sind es mehr, aber wir waren auch zu Beginn bereits mehrere. In den kommenden Jahren werden weitere Schüler hierher reisen, um zu lernen. Aber wir zwanzig sind die Ersten. Die ersten Venatoren in der Alten Welt, aus Araukna.
Am Abend werden wir in die große Halle eingelassen und jeder von uns bekommt ein Zeichen gestochen, ein Tattoo am Handgelenk. Dies wird uns als Venatoren für alle Zeiten auszeichnen. Ich bin stolz, es geschafft zu haben. Mein Vater ist hier zusammen mit Mutter und meinem Bruder, und auch viele andere sind gekommen, um friedlich mit uns zu feiern. Am folgenden Morgen werden wir feierlich ausgesandt.
Leon, Sirius, Laros, Lucas und ich tun uns erst einmal zusammen und reisen gemeinsam. Jagen gemeinsam – und töten gemeinsam. Das erste Halbwesen, das ich umbringe, werde ich nie vergessen. Es ist, wie man es uns beigebracht hat. Ein Jammern und ein Flehen. Tränen laufen diesem falschen Ding aus den Augen. Es stammelt Beschwörungen, dass es nichts Falsches oder Gefährliches im Sinne hat und nur leben will. Ich bin unbarmherzig als ich den Dolch in sein Herz stoße, genauso wie es mich gelehrt wurde. Doch der Blick, den er mir zuwirft, sät ein Korn. Einen Samen, der in den folgenden Jahren keimt und Zweifel sät, ob das, was wir tun, das Richtige ist. Ob die Berichte, dass sie Monster sind und der Untergang den Alten Welt bedeuten, der Wahrheit entsprechen. Diesen Blick von ihm werde ich nie vergessen. Wir nehmen von seinem Blut mit, um in Araukna herauszufinden, wer sein Vater war. Dieser wird für seine Tat eliminiert oder in den tiefen Höhlen von Araukna festgehalten werden. Eingesperrt, damit er niemals wieder diesen Frevel, diesen Fehler, begeht und unsere Welt dieser Gefahr aussetzt.