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Thomas Jefferson, der dritte Präsident der USA, gilt als hauptsächlicher Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Er verstand sich als Christ, wobei er die Bibel größtenteils als Märchenbuch betrachtete. Also machte er sich daran, das Neue Testament auf seinen wahren Kern zu reduzieren, indem er alle Passagen ausließ, die von übernatürlichen Phänomenen berichten. Dadurch wurde er zu einem frühen Vertreter der historischen Jesusforschung. Der Journalist Tobias Huch hat sich früh und intensiv mit der Jefferson-Bibel befasst. Fast zweihundert Jahre nachdem das Original erschienen ist, legt er nun die erste modernisierte deutsche Übersetzung in Buchform vor und bietet somit jedem die Möglichkeit, diesen wichtigen Text zu entdecken.
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1. Auflage 2018
© 2018 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
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Redaktion: Sabine Franke Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer
Umschlagabbildung: istockphoto.com/trigga
Satz: inpunkt[w]o, Haiger (www.inpunktwo.de)
ISBN Print 978-3-7423-0572-5
ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0124-3
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0125-0
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VORWORT von Tobias Huch
EINLEITUNGvon Prof. Dr. Claus Dierksmeier
DAS LEBEN UND DIE MORAL DES JESUS VON NAZARETH von Thomas Jefferson
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
Kapitel XII
Kapitel XIII
Kapitel XIV
Kapitel XV
Kapitel XVI
Kapitel XVII
Dieses Buch widme ich meiner Nichte Pia.
Möge Dir und allen jungen Menschen die universelle Moral Jesu helfen, im Leben festen Halt und einen aufrechten Weg zu finden.
Zur Bibel hatte ich mein Leben lang einen besonderen Bezug, vor allem bedingt durch mein katholisches Elternhaus. Ich war als Kind froh, dass es die Bibel als Hörspiel gab. Zuerst hörte ich das Alte und dann das Neue Testament. Das war mein erster direkter Kontakt mit der Bibel.
Dank der humanistischen Bildung meines Vaters und meiner sehr offenen, auch kritisch-politischen Erziehung waren Diskussionen über Religion bei uns zu Hause so gut wie ständig an der Tagesordnung. Das Konzept einer Amtskirche befremdete mich zunehmend, mehr als einmal habe ich mich von der Kirche distanziert, weil ich das Handeln ihrer Vertreter als heuchlerisch und zuweilen unchristlich empfand. Außerdem war mir ein Festhalten an starren Dogmen zuwider, und der Glaube an Unfehlbarkeit oder ewige Wahrheiten verstörte mich, da ich seit jeher gewohnt war, alles zu hinterfragen und kritisch zu betrachten. In dieser gesunden Skepsis haben mich meine Eltern bestärkt und ermutigt – auch wenn sie es sich damit selbst nicht gerade leichter machten.
Ich habe nie verstanden, warum die christliche Botschaft so komplex sein muss, dass sie den Menschen von heute oft so verklausuliert und weltfremd erscheint. Gewiss: Die Bibel wurde wieder und wieder übersetzt, wobei es zu inhaltlichen Deutungen und sprachlichen Fehlern kam. Die Sprache Jesu war das Ur-Aramäische, aus diesem wurden die Bibeltexte ins Altgriechische übertragen, von dort ins Latein, und viel später dann – dank Martin Luther – schließlich ins Deutsche, womit sich ihr Inhalt in unserem Kulturkreis zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit erschloss. Und jede Übersetzung brachte Veränderungen mit sich. Je nach politischem und kulturellem Zeitgeist wurden einzelne ihrer Passagen verstärkt oder abgeschwächt, wurden neue Begriffe geprägt und sprachliche Bilder hinzugefügt. Auch die Kirche selbst, zahllose Gelehrte und in Konzilen gefasste Beschlüsse hatten Verzerrungen und teilweise Entstellungen des Urtextes zur Folge. Aus ehemals klaren Botschaften wurden so im Lauf der Epochen teilweise schwer verständliche und mit Hinzudichtungen überladene Inhalte. Diese Quellengeschichte der Bibel war mir zwar bewusst, und nur zu gern hätte ich die heutige Bibel mit dem einstigen Originalstoff verglichen; weil ich aber kein Alt-Aramäisch verstehe und auch des Altgriechischen und Lateinischen nur bedingt mächtig bin, konnte ich mich dieser reizvollen Aufgabe leider nie vertieft widmen.
Vor drei Jahren stieß ich dann zufällig auf die Jefferson-Bibel, von der ich zuvor noch nie gehört hatte. Die Lebensgeschichte und die Lehren Jesu von Nazareth stehen im Mittelpunkt dieses Anfang des 19. Jahrhunderts entstandenen Werkes, das sowohl für die Jesusforschung als auch die amerikanische Geschichte eine große Bedeutung hat und von ihrem dritten Präsidenten Thomas Jefferson (1743–1826) erstellt wurde. Dieser hatte sich zeitlebens als Christ verstanden, aber an die Wundererzählungen der Bibel konnte er einfach nicht glauben. Deshalb machte er sich 1804 erstmals daran, das Neue Testament auf seinen wahren Kern zu reduzieren. Als Grundlage dienten ihm mehrere Bibeln in griechischer, lateinischer, französischer und englischer Sprache. Bewusst ließ er alle übernatürlichen Phänomene aus und verzichtete auf die – aus seiner Sicht – historischen Fehler. Die relevanten Passagen aus den vier Evangelien schnitt er aus und fügte sie neu und in chronologischer Reihenfolge wieder zusammen. Ein komplexes Flickwerk war das Ergebnis, das er zwischen 1818 und 1820 in seine heutige Form brachte.
Jeffersons Bibel beginnt mit der Geburt Jesu (nach Lukas 2,1–7) und endet mit der Schilderung seiner Beerdigung und des Verschließens des Grabes (nach Johannes 19 und Matthäus 27,60). Die Auferstehung ist also kein Teil des Berichts, was typisch für Jeffersons Vorgehensweise ist, da er konsequent auf alle Wunder, Prophezeiungen und Verkündigungen durch Engel verzichtet.
Jefferson selbst veröffentlichte sein Werk zu Lebzeiten nicht. Es blieb auch nach seinem Tod nahezu unbekannt. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde seine Arbeit wiederentdeckt und durch die Veröffentlichung einer breiten Öffentlichkeit bekannt. In den USA gilt die Jefferson-Bibel längst als Standardwerk, das von vielen auch als Ausgangspunkt der heutigen Jesusforschung betrachtet wird.
Nach der ersten Lektüre wurde mir bewusst, dass Thomas Jefferson schon vor 200 Jahren demselben Verlangen gefolgt war, das auch mich mit Blick auf die Bibel erfüllt hatte: nämlich die Kernbotschaft – die Moral, die Lehre und das Leben Jesu – kompakt, schlicht und auf die wesentliche Substanz reduziert zusammenzufassen, befreit vom fantasievollen Ballast der Jahrhunderte, der nach und nach hinzugedichtet worden war. So entstand die Jefferson-Bibel – die reine Botschaft der Evangelien ohne Wunder, ohne kirchlich-religiös motivierte spätere Ergänzungen und ohne jedes schmückende Beiwerk, das nur vom eigentlichen Kern ablenkt. Die Kernbotschaft, auf der die Werte der abendländischen, aufgeklärten, christlichen Gesellschaft basieren, auf knapp 100 Seiten – das erschien mir sensationell.
Vor allem junge Menschen suchen nach klaren, eingängigen und überzeugenden Botschaften, nach geistiger Orientierung. Durch meinen politischen Kampf gegen den derzeitigen Vormarsch radikaler Ideologien auf unseren Straßen ist mir nur zu gut bekannt, dass Jugendliche und junge Erwachsene durchaus nach innerer Struktur, nach einem Wertesystem suchen. Dieses Wertesystem muss attraktiv und vor allem verständlich sein. Und all das ist die Bibel heute leider nicht mehr; sie ist zu umfangreich, zu komplex, zu unverständlich. Doch geistige Inhalte dürfen sich nicht allein »angestaubten« Theologen und Akademikern erschließen; sie sollten auch einfache Menschen ansprechen und gerade der jüngeren Generation einen Zugang erlauben. In der Jefferson-Bibel erkannte ich die Chance, auch junge Menschen für christliche Werte zu gewinnen. Würde man das Interesse an dieser schnörkellosen, auf das Wesentliche reduzieren Bibelversion wecken können, so dachte ich mir, dann wäre etwa im Kampf gegen islamistische Verblendung einiges gewonnen.
Leider tat sich ein Problem auf: Tatsächlich gab es die Jefferson-Bibel nicht auf Deutsch. Eben hierin fand ich ein Projekt für mich. So begann ich mit der Übersetzung von Jeffersons Textauswahl. Zunächst orientierte ich mich an entsprechenden Passagen der Lutherbibel. Später dann vereinfachte ich die Sprache, jedoch ohne den Inhalt zu verfälschen. Mein Ziel war stets klar: Die deutsche Jefferson-Bibel sollte ein einfach zu lesendes, gut verständliches Buch werden, welches Menschen Halt und Orientierung in jeder Situation ihres Lebens zu bieten vermag.
Für mich selbst kann ich sagen, dass mir die Lektüre und die intensive Arbeit an und mit der Jefferson-Bibel persönlichen Halt gegeben haben. Der Stoff erdete mich immer wieder und motivierte mich, in wirklich dunklen Stunden weiterzumachen. Was Letzteres betrifft, so fiel meine Beschäftigung mit der Jefferson-Bibel gerade in die richtige Zeit, da ich seit 2014 als ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer in den Kriegsgebieten des Iraks und Syriens unterwegs bin; ich sah dort unfassbare Schrecken und Leid, die mich bis heute verfolgen. Doch die Lektüre und Bearbeitung dieser zeitlosen Bibeltexte hat mir geholfen, alle noch so schrecklichen Eindrücke unbeschadet durchzustehen. Dafür bin ich sehr dankbar.
Ich hoffe, dass auch Sie Halt, Hilfe, Ermutigung und Erkenntnis durch dieses Buch gewinnen können.
Ich will die Chance nutzen, mich bei den Menschen zu bedanken, die mich in den letzten Jahren besonders unterstützt, ermutigt und aufgefangen haben. Als Erstes ist hierbei meine Familie zu nennen, die jederzeit für mich da war. Seien es meine Eltern, meine Schwester Verena, meine Tante Irene oder mein Onkel Günther. Besonderer Dank für die Unterstützung bei diesem Buch gebührt zudem meinem alten Freund Daniel Matissek, der für die ein oder andere Formulierung in diesem Buch gesorgt hat, wenn ich nicht weiterwusste. Aus meiner liberalen Familie, der FDP, habe ich besondere Unterstützung für all meine Projekte von Menschen wie Moritz Mergen, Burkhardt Müller-Sönksen und Christoph Giesa erfahren. Auch der streittüchtige Felix Leidecker, Christdemokrat, war immer für ein offenes Wort zu haben und ist ein enger, echter Freund. Wundervollen Menschen wie Ann-Kathrin Lehmann und Diego Kacic danke ich. Es ist schön, dass es euch gibt und wir uns kennengelernt haben. Und am Schluss will ich zwei ganz besonderen Menschen danken. Menschen, die mich in meiner Arbeit in den Kriegsgebieten von Kurdistan, dem Irak und Syrien unglaublich unterstützt haben. Menschen, die Übermenschliches geleistet haben und weiterhin leisten: Rosa Karim und Gunter Völker. Ohne Rosa und Gunter hätte ich niemals das leisten können, was ich seit 2014 ehrenamtlich auf die Beine gestellt habe. Rosa und Gunter sind zwei tragende Säulen für das Dach der Menschlichkeit.
Tobias Huch
Mit der durch Tobias Huch besorgten Übersetzung der Jefferson-Bibel ist nun endlich ein historisch wie philosophisch eminent wichtiges Werk auf Deutsch erhältlich. Jeffersons Text spielte zu Anfang des 19. Jahrhunderts in den USA eine gewaltige Rolle.1 Er hat uns aber auch hier und heute noch viel zu sagen. Denn was Thomas Jefferson (1743–1826) tat und was dies bedeutet, ist zweierlei. Schnell erzählt und unstrittig ist, dass er die Schriften des Neuen Testaments zusammenkürzte auf eine Erzählung des Lebens und der moralischen Kernbotschaft Jesus von Nazareths, abzüglich aller Berichte von übernatürlichen Ereignissen. Komplizierter und umstritten ist dagegen, was Jefferson damit ins Werk setzte.
Jeffersons Redigieren der Evangelien muss vor dem ideengeschichtlichen Hintergrund seiner Zeit verstanden werden. Spätestens seit den religionsphilosophischen Schriften von Baruch de Spinoza (1632–1677) war es in Europa durchaus üblich, die Religion mit philosophischen Mitteln einer moralischen Auslese zu unterziehen.2 Niemand Geringerer als Immanuel Kant (1724–1804) etwa legte die Bibel ähnlich, »innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft«, auf ihre moralische Kernbotschaft hin aus.3 Der Zeitgeist der Aufklärung, verdichtet in Kants Aufruf zum Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, begünstigte eine rationale Auslegung der Glaubenswahrheiten. Doch damals wie heute regte sich auch Widerstand dagegen, dass jemand Hand an einen Text legte, der, dem Glauben vieler Menschen zufolge, wenn nicht geradezu vom Heiligen Geist diktiert, so doch wenigstens inspiriert war. Darf ein Mensch sich zum Richter über Gottes Wort aufschwingen?
Diese Frage stellt sich ähnlich in allen Buchreligionen. Antworten ließe sich zunächst, dass wir überhaupt keine andere Alternative haben: Von den ersten Chronisten des göttlichen Wortes über die Redaktoren der heiligen Schriften und die heutigen Übersetzer, die jene Texte in andere Sprachen übertragen oder fortlaufend dem aktuellen Sprachgebrauch anpassen, bis hin zu editorischen Kommentatoren – stets tritt der menschliche Geist nicht nur als passiver Empfänger, sondern als aktiver Interpret von Offenbarung auf. Zu einer Botschaft gehören eben nicht nur Sender, sondern auch Personen, die sie zu lesen bzw. zu hören verstehen. Die Verständnisbedingungen der Empfänger sind Teil der Übermittlung. Demnach wäre Jeffersons Textredaktion möglicherweise nur dem Grad, aber nicht der Art nach von solchen gewöhnlichen Aneignungsleistungen verschieden.
Aber eine solche Erklärung scheint doch zu kurz zu greifen und weder zu treffen, was religiösen Kritikern negativ aufstößt, noch was Jefferson selbst positiv erreichen wollte. Er hat seine Auslegung der Bibel ja nicht als Dienst am überlieferten Text, sondern an einer von jenem Text separaten Sache verstanden: Damit aber wird das Mitzuteilende über das Mitgeteilte gestellt. Jefferson glaubte, salopp gesagt, da er ihren Geist erfasst habe, die Buchstaben des biblischen Texts verändern zu dürfen. Und es ist diese Annahme, die vielen bis heute als unerhörte Anmaßung erscheint.
Jefferson, falls wir ihn dazu befragen könnten, würde wohl sagen, dass seine Fokussierung der Evangelien auf ihre moralische Kernbotschaft deren innerstem Anliegen diene; durch den Abrieb unedler Stoffe verhelfe er dem eigentlichen Edelmetall des christlichen Glaubens zu neuem Glanz. Umgekehrt würden seine Gegner behaupten, durch die Verkürzung auf Moral habe Jefferson die menschliche Vernunft über den Glauben erhoben und so die christliche Religion erniedrigt. Wer hat recht?
Die Antwort hat unmittelbare Relevanz für unser Leben heute. Wenn etwa einige Muslime im Mittleren Osten sich berufen fühlen, Anders- und Nichtgläubige zu töten, und umgekehrt andere Muslime weltweit die Pflicht und das Recht zu solchen Taten im Namen ihrer Religion bestreiten; wenn einige christliche Gruppen in den USA Abtreibungsbefürworter attackieren und andere Christen sich aufgrund ihres Glaubens dem entgegensetzen; wenn israelische Juden darüber uneins sind, ob ihre Religion einen separatistischen oder integrativen Umgang mit ihren palästinensischen Mitbürgern verlangt – in all diesen Fällen liegt das Problem im ungeklärten Spannungsfeld von Religion und Moral. Darf die Ethik dem Glauben Grenzen ziehen oder muss umgekehrt die Moral der Religion Folge leisten?
Angesichts der Gräueltaten religiöser Fanatiker, welche selbst grundlegendste moralische Gebote – wie Du sollst nicht töten! – außer Kraft setzen, fühlen sich heute zusehends mehr Menschen zu einer Haltung hingezogen, die man als säkularen Fundamentalismus bezeichnen könnte: Sie versuchen, jegliche Beimengung von Religion und Glauben im öffentlichen Leben zurückzudrängen.
Vordenker dessen war August Comte (1798–1857). Ihm zufolge befindet sich die Menschheit auf einem Pfad der räumlichen wie geistigen Erweiterung, der letztlich von der Religion wegführt. Mit der Zeit verlassen menschliche Gemeinschaften ihre lokalen Ursprünge und weiten ihre Lebenskreise übers Regionale und Nationale bis ins Globale aus. Ebenso das menschliche Denken: Anfangs ist es befangen: abergläubisch, an Lokalgottheiten gebunden. Mit jedem Schritt in die räumliche Weite geht aber eine intellektuelle Horizonterweiterung einher. Die Religionen hätten dabei zunächst einen durchaus wichtigen moralischen Schritt über Sippe und Clan hinaus dargestellt. Den nächsten Schritt auf dem Weg zur geistigen Weite unternahm dann aber die Metaphysik, welche die Vernunft zum Interpreten des Glaubens machte – und der letzte Schritt der Menschheit liege in der Emanzipation des Denkens durch die Wissenschaft. Erst mit ihr sei eine streng universale sowie säkulare Grundlage geschaffen, auf der die Menschheit eine ihrer globalisierten Lebenssituation angemessene Ethik errichten könne. So sei auch erst mit der Ära der Aufklärung das Zeitalter der Menschenrechte gekommen.
Damit ist der säkulareFundamentalismus das Gegenstück zum religiösen Fundamentalismus. Dieser behauptet, das moralisch Richtige ergebe sich aus dem Glauben allein, während jener vertritt, man erreiche es nur in der Abkehr von der Religion. Klarerweise ist also Jeffersons Bibel religiösen Fundamentalisten ein Dorn im Auge. Aber sollte man sie darum schon dem säkularen Fundamentalismus zurechnen?
Ich hielte dies für überzogen, gibt es doch eine dritte Alternative, die zwischen diesen Extremen eine gesunde Mittelposition formuliert und mit der sich Jeffersons Unterfangen meines Erachtens besser erfassen lässt. Es liegt viel daran, dass wir diese Mittelposition genau in den Blick bekommen, weil wir uns (nur) von ihr eine tragfähige Befriedung des Spannungsfeldes von Religion und Ethik versprechen dürfen. Dazu müssen wir sowohl religiöse wie säkulare Fundamentalisten in die Schranken weisen.