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In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. »Also ich sage dir, wenn die Erzieherin es tatsächlich wagen sollte zu kommen, dann werden wir ihr einen Empfang bereiten, daß ihr Hören und Sehen vergeht!« Der etwa zwölfjährige Junge, der diese unheilverkündenden Worte eben ausgestoßen hatte, sah das kleine, vielleicht zehnjährige Mädchen mit den langen blonden Zöpfen, das ihm auf der gepolsterten Bank des Zugabteils gegenübersaß, beifallheischend an. »Und ob wir das werden! Die soll ihr blaues Wunder erleben!« stimmte die Kleine ihm eifrig bei. »Und ich weiß auch schon, wie wir die Alte am besten fortgrafieren!« Die schönen, tiefbraunen Augen in dem runden Lausbubengesicht strahlten. »Ja? Erzähle!« forderte ihn die Schwester neugierig auf. Der Junge warf einen kurzen Blick zu der jungen Dame hinüber, die am Gangfenster saß und in ein Buch vertieft schien, dann flüsterte er aufgeregt: »Wir werden ihr erzählen, es spuke auf Schloß Birkenhöh, und dann spielen wir nachts Gespenst. – Nun, wie findest du das?« »Großartig!« jubelte die Kleine, und die großen, fast kornblumenblauen Augen blitzten vor Übermut. »Aber Papa darf natürlich nichts merken!« »Nein, natürlich nicht. Wo denkst du hin?« »Und Alexa?« »Na, die natürlich auch nicht. Die petzt womöglich alles«
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Seitenzahl: 149
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»Also ich sage dir, wenn die Erzieherin es tatsächlich wagen sollte zu kommen, dann werden wir ihr einen Empfang bereiten, daß ihr Hören und Sehen vergeht!«
Der etwa zwölfjährige Junge, der diese unheilverkündenden Worte eben ausgestoßen hatte, sah das kleine, vielleicht zehnjährige Mädchen mit den langen blonden Zöpfen, das ihm auf der gepolsterten Bank des Zugabteils gegenübersaß, beifallheischend an.
»Und ob wir das werden! Die soll ihr blaues Wunder erleben!« stimmte die Kleine ihm eifrig bei.
»Und ich weiß auch schon, wie wir die Alte am besten fortgrafieren!«
Die schönen, tiefbraunen Augen in dem runden Lausbubengesicht strahlten.
»Ja? Erzähle!« forderte ihn die Schwester neugierig auf.
Der Junge warf einen kurzen Blick zu der jungen Dame hinüber, die am Gangfenster saß und in ein Buch vertieft schien, dann flüsterte er aufgeregt: »Wir werden ihr erzählen, es spuke auf Schloß Birkenhöh, und dann spielen wir nachts Gespenst. – Nun, wie findest du das?«
»Großartig!« jubelte die Kleine, und die großen, fast kornblumenblauen Augen blitzten vor Übermut. »Aber Papa darf natürlich nichts merken!«
»Nein, natürlich nicht. Wo denkst du hin?«
»Und Alexa?«
»Na, die natürlich auch nicht. Die petzt womöglich alles«, meinte die blondhaarige Kleine bedenklich.
»Ach geh, Alexa ist doch keine Petze!« sagte der Bruder beinahe böse.
»Das nicht, aber sie ist doch noch so klein. Sie könnte sich verraten, ohne daß sie es will.«
»Ja, das stimmt. Da könntest du recht haben«, gab der Bruder zu.
Gleich darauf lachte er schadenfroh. »Ha, ich sehe die Alte schon angstschlotternd, mit dem Kneifer auf der Nase, im langen Nachthemd durch die Gänge rennen, verfolgt von irgendeinem gruseligen Gespenst!«
»O ja, großartig!« Die Kleine wollte sich ebenfalls ausschütten vor Lachen.
Die junge Dame lachte auch hinter ihrem Buch.
Lieber Himmel, wenn sie sich das vorstellte, wie sie, einen Kneifer auf der Nase, durch die langen dunklen Gänge eines alten Schlosses rannte, auf der Flucht vor einem Schloßgespenst, das kettenrasselnd hinter ihr herkam, dann war das schon ein erheiternder Gedanke.
Sie sah belustigt zu den Kindern hinüber, die dieses Attentat auf sie planten, ohne allerdings zu ahnen, daß ihr Opfer neben ihnen saß und in aller Seelenruhe zuhörte, was ihm Schauriges bevorstand.
Birgit Verenbach ließ ihr Buch sinken und sah, plötzlich nachdenklich geworden, zum Fenster hinaus.
Eigentlich hatte sie sich ihren Empfang auf Schloß Birkenhöh ganz anders vorgestellt.
Drei einsame Kinder, liebevoll und anschmiegsam, suchen nette junge Dame, die sie betreut – Pädagogin bevorzugt – hatte in der Annonce gestanden, auf die sie sich gemeldet hatte.
Aber allem Anschein nach waren die drei Kleinen alles andere als anschmiegsam, sondern hatten die Absicht, sich höchst aufsässig zu benehmen, um sie wieder fortzugrafieren.
Vielleicht wäre es am besten, sie führe wieder zurück?
Einen Augenblick lang erwog sie diesen Gedanken ernsthaft. Aber dann sah sie sich die beiden Kinder noch einmal aufmerksam an und studierte ihre Gesichter.
Sie konnte nichts Bösartiges darin entdecken, im Gegenteil – in der Art, wie der Junge jetzt dem Schwesterchen den aufgegangenen Schuhriemen zuknöpfte, lag so viel liebevolle Aufmerksamkeit, wie man sie einem Zwölfjährigen eigentlich gar nicht zutraute.
Und die Kleine warf ihm einen dankbar-zärtlichen Blick zu. »Vielen Dank, Torsten. Es ist richtig albern, daß ich mich seit dem Sturz mit Filou immer noch nicht richtig bücken kann, nicht?«
»Ach was, albern finde ich das gar nicht. Mußt du nicht mal wieder zum Doktor deshalb?«
»Ja morgen. Aber ich mag nicht. Es tut immer so weh.«
»Aber es ist doch schon viel besser geworden! Denk mal, zuerst konntest du überhaupt nicht gehen!«
»Ja, ja, das schon. Meinst du, daß ich wieder ganz gesund werde?«
»Na bestimmt«, sagte der Bruder zuversichtlich und gab der Schwester einen liebevollen Stubs.
Der Zug fuhr jetzt langsamer, und die ersten Häuser eines kleinen Ortes tauchten auf.
»Wir sind da!«
Der Junge sprang auf und nahm seine Schulmappe aus dem Gepäcknetz. Dann nahm er auch die Mappe der Schwester herunter und half ihr beim Aussteigen, als der Zug gleich darauf hielt.
»Auf Wiedersehen«, hatte er höflich zu Birgit gesagt, und sie hatte seinen Gruß lächelnd erwidert.
Sie wartete ein wenig mit dem Aussteigen, bis die Kinder den Bahnsteig verlassen hatten. Dann kletterte sie langsam heraus und machte sich dann langsam auf den Weg zum Bahnhofsausgang.
Der Fahrer eines einsam am Straßenrand haltenden Taxis kam sofort auf sie zugestürzt, als er ihrer ansichtig wurde.
Er musterte die elegant gekleidete junge Dame neugierig und erkundigte sich, wohin er sie bringen dürfe.
»Zum Schloß«, sagte Birgit freundlich und reichte ihm den schweinsledernen Koffer und die Reisetasche.
»Ah, zum Schloß«, wiederholte er, während er das Gepäck hinten im Wagen verstaute, »na, da werden sich die Kinder sicher freuen. Besuch gibt’s ja so selten da oben, seit die Gnädige tot ist. Sie sind sicher eine Verwandte vom Herrn Baron, ja?«
Birgit lächelte ein bißchen gezwungen. Dann sagte sie fest: »Nein. Ich bin keine Verwandte des Barons. Ich bin die neue Erzieherin.«
Über kurz oder lang würde es sich hier im Ort herumgesprochen haben.
»So, die Erzieherin für die Kinder sind Sie also«, sagte der Mann langsam, und ein mitleidiges Lächeln erschien auf seinem breiten Gesicht. »Sie, da beneide ich Sie aber nicht. Die Kinder sind in der ganzen Gegend gefürchtet wegen ihrer Streiche.«
Birgit sah den Mann fast unwillig an. »Wahrscheinlich sind sie zuviel sich selbst überlassen. Daran wird es liegen, daß sie sich Streiche ausdenken und die Leute dadurch schockieren.«
Sie öffnete die Tür des uralten Mercedes und stieg ein.
»So. Dann können wir wohl fahren«, sagte sie kurz.
»Ja, ja. Natürlich.« Der Mann schloß umständlich die Tür hinter ihr und setzte sich nach vorn auf den Fahrersitz.
Er sagte nichts mehr, aber seine nachdenkliche Miene bewies, daß er sich so seine Gedanken um die Zukunft der jungen Dame machte, die er da zum Schloß hinauffuhr.
Der Wagen bog in eine nicht sehr breite, von Birken gesäumte Allee ein, die sich einen kleinen Abhang hinaufzog, bis sie vor einem breiten schmiedeeisernen Tor hielt.
Der Fahrer stieg aus und setzte eine altmodische Glocke in Bewegung.
»Die sieht nur so altmodisch aus«, verriet er Birgit. »In Wirklichkeit funktioniert sie vollautomatisch. – Da, sehen Sie?«
Und tatsächlich setzten sich die beiden Torflügel lautlos in Bewegung und öffneten sich zur Mitte hin.
»Großartig, nicht?« grinste der Mann und stieg wieder in seinen Wagen.
Birgit klopfte das Herz bis zum Halse hinauf.
Natürlich würden die beiden Kinder sie sofort wiedererkennen. – Wie würden sie reagieren?
Ein freundliches Hausmädchen in weißem Spitzenhäubchen nahm sie in Empfang.
»Der Herr Baron hatte das gnädige Fräulein erst mit dem nächsten Zug erwartet. Deshalb war Friedrich nicht mit dem Wagen an der Bahn«, sagte sie entschuldigend.
Sie ließ sich von dem Chauffeur das Gepäck geben und bat Birgit, ihr zu folgen.
Birgit entlohnte den Mann und stieg hinter dem Mädchen die breite Freitreppe hinauf.
Die schwere Eichentür war etwas geöffnet und gab den Blick in die große, geräumige Halle frei.
»Sie wollen sich sicher erst etwas frisch machen, nicht? Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.«
Sie bogen in einen Seitengang ein, der nur spärlich von ein paar Glühlampen erhellt wurde.
»So, da sind wir schon.«
Das Mädchen stellte den Koffer ab und öffnete eine weißlackierte Tür.
Das Zimmer war überraschend hell und groß. Es war mit Chippendalemöbeln geschmackvoll eingerichtet und gefiel Birgit sofort. Sie trat ans Fenster und warf einen Blick hinaus.
»Oh, da ist ja sogar ein Balkon!« rief sie überrascht.
»Ja. Er gehört Ihnen und den Kindern, die ihr Zimmer gleich nebenan haben.«
Birgit trat hinaus und schaute in einen verwilderten Park hinunter, über dessen tiefverwachsenen Wegen ein Hauch von Vergessenheit lag.
»Ja, da ist lange nichts mehr gemacht worden. Seit die Frau Baronin vor vier Jahren da unten einen Herzschlag gekriegt hat.«
Das ältliche Mädchen sah Birgit mit einem bekümmerten Ausdruck an.
»Ja, ja. So geht das halt im Leben«, seufzte sie. »Und sie waren so glücklich miteinander, die zwei – so glücklich. Aber die junge Frau Baronin war halt immer schon sehr anfällig gewesen. Schon als junges Mädchen, ja. Und dann die drei Kinder. Das hat sie wohl auch sehr angestrengt. Eins hätt’s bloß sein sollen, hat der Doktor gesagt. Aber dann kamen die beiden anderen auch noch.
Nach der Geburt von Petra hat sich die Baronin ja wieder erholt. Aber nachdem Alexa geboren war, kam sie nie wieder so recht auf die Beine. Und sie war eine so schöne junge Frau!«
»Sagen Sie –«
»Fränzi heiß ich, wenn’s recht ist«, sagte das Mädchen schnell.
»Sagen Sie, Fränzi – wissen die Kinder schon, daß ich da bin?«
»Nein. Ich glaube nicht. Sie sind ausgeritten, als sie von der Schule kamen. Der Friedrich hat sie von der Bahn abgeholt, und dann sind sie gleich auf ihre Pferde und weg. Und die Kleine, die ist sicher bei den Ställen. Die mag doch Tiere so gern, wissen Sie? Da ist die rein narrisch nach.«
»Die Kleine, das ist die Alexa, ja?«
»Ja. Ein süßes kleines Ding! Sie werden sie sicher gern haben.«
Fränzi machte ein paar Schritte auf die Tür zu, dann kam sie noch einmal zurück und sagte leise, hinter vorgehaltener Hand:
»Es ist gut, daß sich jetzt jemand um die Kinder kümmern wird. So konnte das jedenfalls nicht weitergehn!«
Draußen auf dem Gang ertönte eine Klingel.
»Der Herr Baron!« sagte Fränzi erklärend und verließ eilig das Zimmer. Birgit öffnete vorsichtig eine kleine Tapetentür, die ins Bad führte. Es war hellgrün gekachelt und wies allen Komfort auf, den man sich in einem modernen Bad wünscht.
»Herrlich!« entfuhr es Birgit. »Das Bad ist noch das Schönste von allem!«
»Badest du denn so gern, Tante?« ertönte hinter ihr ein feines Stimmchen.
Birgit fuhr herum.
Ein kleines, etwa vierjähriges Mädchen stand hinter ihr und betrachtete sie aufmerksam aus unwahrscheinlich großen, fast nachtschwarzen Augen. Lange schwarze Locken fielen ihm über die schmalen Schultern und weit in das rotbäckige Gesichtchen hinein. In den kleinen Händchen hielt es vorsichtig einen Jagdhundwelpen, der leise fiepte.
»Du bist Alexa, nicht wahr?« fragte Birgit freundlich.
Die Kleine nickte. »Ja. Und wer bist du?«
Sie streichelte den kleinen Hund und sah Birgit gespannt an.
Die überlegte kurz, dann sagte sie: »Ich bin gekommen, damit du nicht mehr so allein bist!«
Sie streckte vorsichtig die Hand aus und ließ den Welpen daran schnuppern.
»Aber ich bin doch nie allein«, sagte das Kind erstaunt.
»Du bist nie allein?«
»Aber nein – bestimmt nicht! Vorhin war ich bei Lisa. Sie hat ein Kälbchen bekommen, ein süßes, kleines, und sie ließ mich es streicheln. Ich war sehr lange bei Lisa, denn wir mußten uns doch einen Namen für das Kälbchen ausdenken, nicht? Ich habe Lisa dabei geholfen. Ihr fiel gar keiner ein, weißt du?«
»Aha«, lächelte Birgit. »Und habt ihr einen gefunden?«
»Ja. Wir haben es Bertelchen getauft. Gefällt dir der Name?« Sie sah Birgit ernsthaft an.
»O ja, sehr. Meinst du, daß dein Papa ihn auch mögen wird?«
»Sicher, ich werde ihn nachher gleich einmal fragen. Kommst du mit?«
»Ja. Ich will mich nur schnell ein bißchen waschen. Wartest du solange auf mich?«
Die Kleine nickte. »Ja. Wohnst du jetzt hier, in diesem Zimmer?«
»Ja.«
»Aha.«
Die Kleine setzte sich in den Sessel am Fenster und behielt den kleinen Hund auf dem Schoß.
»Aber beeil dich! Rexi muß mal, glaube ich«, rief sie Birgit nach.
Als Birgit ein paar Minuten später wieder ins Zimmer trat, staunte Alexa: »Hast du aber ein schönes Kleid an! Ist das nicht zu schade für die Woche?«
Birgit lachte. »Ich glaube nicht. Wie kommst du denn darauf?«
»Ach«, Alexa drehte verlegen einen Schwanz ihres langen Haares zwischen den Fingerspitzen. »Frau Thomsen sagt immer, wenn ich mein hübsches blaues Kleidchen anziehen will, das ist zu schade für die Woche. Und dann muß ich dies anziehen. Und das mag ich gar nicht«, vertraute sie Birgit an.
»So, so, na. Das ist auch wirklich nicht mehr so sehr schön. Und herausgewachsen bist du auch«, stellte Birgit kritisch fest. »Wir werden den Papa fragen, ob du das nicht forttun kannst.«
»O ja!« stimmte die Kleine begeistert zu. »Denn gehen wir nun, ja?«
»Ja. Dann gehen wir jetzt«, lächelte Birgit. »Sag mal«, sagte sie, während sie nebeneinander die Treppe hinunterstiegen, »muß der kleine Hund nicht zu seiner Mami? Der ist doch sicher hungrig, nicht wahr?«
»Meinst du?« fragte die Kleine zweifelnd und streichelte das winzige Tierchen zärtlich. »Er hat erst vorhin furchtbar viel getrunken und die anderen immer weggeschubst. Darum habe ich ihn mitgenommen. Aber vielleicht hat er ja schon wieder Hunger. Dann wollen wir ihn erst zurückbringen, nicht?«
»Ja, das wollen wir. Es wird wohl besser sein.«
Die große Jagdhündin schleckte ihren Sohn zärtlich ab und stubste ihn gleich unter sich, damit er seinen Hunger stillte.
»Die freut sich, daß sie ihn wiederhat«, sagte Alexa ernst. »Er ist ihr Liebling, glaube ich. Aber es geht doch nicht, daß er den anderen immer alles wegtrinkt, nicht?«
»Nein. Das geht natürlich nicht«, sagte Birgit lächelnd.
»Ich sehe, Sie haben bereits die Bekanntschaft meiner jüngsten Tochter gemacht«, ertönte eine tiefe, wohlklingende Stimme hinter Birgit.
Sie wandte sich langsam um und sah sich einem großen schlanken Mann mit blondem Haar gegenüber, der sie aufmerksam musterte.
»Sie sind Fräulein Verenbach, nicht wahr?«
»Ja«, sagte sie einfach und streckte ihm die schlanke Hand entgegen.
Er nahm sie und hielt sie einen Augenblick fest. »Wir kennen uns zwar nur durch unsere Korrespondenz, aber ich glaube, ich kann zufrieden sein mit meiner Wahl. Sie haben Kinder gern, nicht wahr?«
»Ja, sehr«, sagte sie leise.
»Und ich verstehe nur sehr wenig von ihnen«, sagte er mit einem bedauernden Unterton in der Stimme. »Ich glaube, es ist auch schwierig, sie zu verstehen, denn sie möchten ständig etwas anderes und sind eigentlich nie zufrieden. Haben Sie Petra und Torsten auch schon gesehen?«
»Nein – das heißt –«, sie stockte.
»Nun, sie sind sicher gleich von ihrem Ausritt zurück. Ich hatte ihnen nicht erzählt, daß Sie schon heute kommen, sonst hätten sie sich am Ende versteckt. Sie haben nämlich anscheinend etwas gegen Erzieherinnen. Sie mögen es nicht, wenn jemand sie beaufsichtigt. Aber offenbar ist dies doch nötig«, sagte er und sah einen Moment lang sorgenvoll aus. »Aber bitte, kommen Sie doch hinein. Da können wir besser reden. – Und du, Spätzchen, läßt dir von Fränzi beim Händewaschen helfen, hörst du?«
»Das kann ich doch schon ganz allein«, sagte Alexa beleidigt und lief ins Haus.
»Sie gehorcht noch am besten«, sagte der Gutsherr leise. »Bei den beiden anderen ist das leider anders. Sie sind es gewohnt, ihren Kopf durchzusetzen.«
Sie betraten durch einen Nebeneingang wieder das Schloß und gelangten durch einen kurzen Gang in die Eingangshalle.
»Bitte hier herein!« sagte der Baron liebenswürdig und öffnete die Tür zu einem großen Raum, der mit Büchern tapeziert zu sein schien, die in hohen Regalen bis zur Decke hinaufstanden. Es mußten Tausende sein. – Außer in der Lehrerbibliothek hatte Birgit noch nie so viele Bücher auf einem Fleck gesehen.
Sie konnte den Blick gar nicht davon losreißen und versuchte, ein paar Titel zu entziffern.
Der Baron bemerkte ihr Interesse für seine Bibliothek wohl, und es bereitete ihm Freude.
»Sie können sich natürlich ausleihen, was Sie möchten«, sagte er freundlich.
»Oh, vielen Dank. Ich lese furchtbar gern«, entgegnete sie schnell und setzte sich in den Sessel, den er ihr hinschob.
Er öffnete eine schweinslederne Schreibmappe und entnahm ihr einen Briefbogen, in dem sie ihre Bewerbung erkannte.
»Über die Gehaltsfrage waren wir uns ja schon einig. Dabei bleibt es also«, sagte er und nahm hinter einem altmodischen Eichenschreibtisch Platz.
»Ja«, sagte Birgit leise.
»Ihr Zimmer haben Sie sicher schon gesehen. Gefällt es Ihnen?« fragte er und sah sie kurz an.
»Ja, sehr«, sagte sie schnell. »Der Blick hinunter in den Park ist zauberhaft.«
Eine steile Falte erschien auf seiner Stirn, und sein eben noch so offen und freundlich wirkendes Gesicht wurde ernst und nahm einen abweisenden Ausdruck an.
Sie hätte sich selbst ohrfeigen können. Jetzt fiel ihr wieder ein, was Fränzi ihr erzählt hatte. Lieber Himmel, wie hatte sie so taktlos sein können! Sie senkte verlegen den Blick und biß sich auf die Lippen.
»Was nun meine Kinder anbelangt, die Sie ja von nun an beaufsichtigen sollen«, er unterbrach sich, um ihr eine Zigarette anzubieten und nahm sich selbst eine aus dem silbernen Zigarettendöschen, das vor ihm auf dem Schreibtisch stand, »da hat es also in der letzten Zeit eine Menge Beschwerden gegeben. Das müssen Sie natürlich wissen. Es liegt wohl daran, daß die drei zu viel sich selbst überlassen sind. Da denken sie sich eben Streiche aus, um sich die Zeit zu vertreiben. – Du lieber Himmel, als ich in Torstens Alter war, habe ich das auch gemacht! Aber Sie wissen ja, wie die Leute sind – wenn drei Kinder ohne Mutter aufwachsen, beobachten sie sie besonders kritisch und halten sich für berechtigt, sie stets und ständig zur Ordnung zu rufen und den armen Vater davon in Kenntnis zu setzen, daß seine Kinder dabei sind, total zu verwildern.«
Baron von Steegen seufzte kummervoll und lächelte gequält. »In der Schule sind leider in der letzten Zeit ebenfalls Klagen laut geworden, und Torsten und Petra haben schlechte Zensuren mitgebracht. Sie reiten viel lieber aus, als hinter den Büchern zu hocken. Das ist verständlich. Aber es geht nun mal nicht.«
Er sah Birgit, die ihm aufmerksam zuhörte, nachdenklich an. »Ich hoffe, Sie werden gut mit den dreien auskommen! Ich glaube nicht, daß sie besonders schwierige Kinder sind.« Er zögerte kurz. – »Ich glaube eher, daß sie sehr viel Liebe brauchen.«
Birgit kam nicht dazu zu antworten. Im Hof erscholl Pferdegetrappel, und der Baron erhob sich und ging zum Fenster.
»Aha, da sind sie schon«, sagte er befriedigt. »Ich werde sie gleich mal herrufen.«
Er öffnete den einen Fensterflügel etwas und beugte sich hinaus. »Torsten – Petra – bitte, kommt doch gleich einmal zu mir herein, ja?«
»Ja, Papa!« ertönte die frische Jungenstimme, und der Baron lächelte freundlich hinunter, bevor er das Fenster wieder schloß.
»Sie werden gleich hier sein«, sagte er und setzte sich Birgit wieder gegenüber.
Tatsächlich traten die beiden Kinder wenig später ein.