Die Küste der Barbaren - Ross Macdonald - E-Book

Die Küste der Barbaren E-Book

Ross Macdonald

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Beschreibung

Basset, der Direktor des exklusiven Channel Club, läßt den Privatdetektiv Lew Archer kommen, weil er vom Journalisten George Wall bedroht wird. Dieser sucht wiederum seine Frau Hester, die vor ihrem mysteriösen Verschwinden beim Channel Club gearbeitet hat. Es folgt eine Odyssee durch Los Angeles, Hollywood und Las Vegas, bei der Egoismus, Gier und Sadismus unter der Oberfläche sichtbar werden.

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Ross Macdonald

Die Küste der Barbaren

Roman

Aus dem Amerikanischen von Marianne Lipcowitz

Diogenes

{5}1

Der Channel Club lag auf einem Felsplateau der Steilküste, ziemlich hoch über dem Meer, und sah auf den südlichen Zipfel des Malibu-Strandes hinunter. Hinter dem langgestreckten braunen Gebäudekomplex kletterten Gartenterrassen zur Straße hinauf wie große, teppichbelegte Treppen. Um das ganze Grundstück lief ein hoher Drahtzaun mit dreifacher Stacheldrahtlitze, den Oleanderhecken verdeckten.

Ich hielt vor dem Tor an und hupte. Ein Mann in blauer Uniform mit amtlich wirkender Schirmmütze kam aus dem Pförtnerhaus. Das schwarze, buschige Haar, das unter der Mütze hervorsah, war graugesprenkelt. Trotz der Blumenkohl-Ohren und der eingedrückten Nase war sein Gesicht zugleich weich und energisch – eine Mischung, die man manchmal in Gesichtern alter Indianer findet. Seine Haut war dunkel.

»Ich hab gesehen, daß Sie kommen«, sagte er freundlich. »Sie hätten nicht hupen müssen, das tut bloß den Ohren weh.«

»’tschuldigung.«

»Schon gut.« Er schlurfte heran; sein Bauch quoll über den Gürtel, an dem eine Pistolentasche hing. Er lehnte sich behäbig mit den Ellbogen auf die Autotür. »Sie wünschen?«

»Mr. Bassett hat mich herbestellt. Mein Name ist Archer.«

»Ach ja, er wartet schon auf Sie. Fahren Sie gleich durch. Er ist in seinem Büro.«

Schlüsselklappernd ging er zum Tor, das ebenfalls mit Stacheldraht gesichert war. Da tauchte aus der Oleanderhecke ein Mann auf und rannte an meinem Wagen vorbei. Es war ein lang aufgeschossener junger Mann in blauem {6}Anzug, ohne Hut, mit wehendem roten Haar. Er lief leise auf Zehenspitzen auf das Tor zu, das gerade aufging.

Für sein Alter reagierte der Pförtner erstaunlich rasch. Er fuhr herum, fing den jungen Mann ab und hakte ihm den Arm um die Mitte. Der schlug um sich und drängte den Pförtner zum Torpfosten zurück. Er keuchte und sagte etwas, es klang guttural und war nicht zu verstehen. Mit einem Ruck stieß er die Schulter vor und schlug dem Pförtner die Mütze vom Kopf.

Der Pförtner lehnte sich gegen den Torpfosten und griff zur Waffe. Blut tropfte ihm von der Nase auf das blaue Hemd, wo es sich über dem Bauch spannte. Jetzt hob er die Pistole. Ich sprang aus dem Wagen.

Der junge Mann blieb mitten im Tor stehen, den Kopf zur Seite geneigt. Sein Profil war wie mit der Axt aus rohem Holz gehauen; die blauen Augen blickten starr. Er sagte:

»Ich will zu Bassett. Sie können mich nicht aufhalten.«

»Eine Kugel im Bauch hält Sie schon auf«, sagte der Pförtner gelassen. »Wenn Sie nicht draußen bleiben, schieß ich. Das ist ein Privatgrundstück.«

»Sagen Sie Bassett, daß ich zu ihm will.«

»Das hab ich ihm doch schon gesagt. Er will Sie nicht sehen.« Der Pförtner schlurfte vorwärts, die linke Schulter voran, die Waffe fest in der Hand. »Heben Sie meine Mütze auf und verduften Sie.«

Der junge Mann rührte sich eine Weile nicht. Dann bückte er sich, hob die Mütze auf und klopfte sie oberflächlich ab, ehe er sie dem alten Mann zurückgab.

»Tut mir leid. Ich wollte Ihnen nicht … Gegen Sie hab ich nichts.«

»Aber ich hab was gegen Sie, mein Junge.« Der Pförtner riß ihm die Mütze aus der Hand. »Jetzt verkrümle dich, ehe ich dir die Birne einschlage.«

Ich faßte den jungen Mann an den Schultern, die breit und muskulös waren. »Seien Sie lieber vernünftig.«

{7}Er drehte sich zu mir um, während er sich mit der Hand über das Kinn fuhr. Seine Kiefer schlossen sich kampflustig. Aber die hellen Augenbrauen und der wenig ausgeprägte Mund gaben seinem Gesicht etwas Kindliches. Wie ein Schuljunge hetzte er:

»Sind Sie auch einer von Bassetts Muskelprotzen?«

»Ich kenne Bassett gar nicht.«

»Aber Sie haben doch nach ihm gefragt.«

»Ich weiß nur eins: Offenbar will man Sie hier nicht sehen. Und wenn Sie weiter so herumtoben und die Leute beschimpfen, dann werden Sie eine kaputte Nase beziehen. Wenn nichts Schlimmeres passiert.«

Er ballte die Rechte zur Faust und blickte mich zögernd an. Ich verlagerte mein Gewicht ein bißchen, bereit, zuzuschlagen.

»Soll das eine Drohung sein?« fragte er.

»Nur eine freundliche Warnung. Ich habe keine Ahnung, was Sie so ärgert. Aber ich empfehle Ihnen: denken Sie nicht mehr daran.«

»Nicht, ehe ich mit Bassett gesprochen habe.«

»Und, um alles in der Welt, lassen Sie alte Männer in Ruhe.«

»Ich habe mich doch schon entschuldigt.« Aber er wurde rot.

Der Pförtner trat hinter ihn und stieß ihn mit der Waffe vorwärts. »Erst frech werden und sich dann entschuldigen! Das hab ich gern. Früher hätte ich zwei von deiner Sorte mit einer Hand fertiggemacht. Also verduftest du jetzt, oder soll ich dir Beine machen?«

»Ich gehe schon«, sagte der junge Mann über die Schulter. »Nur – die Straße kannst du mir nicht verbieten, und irgendwann muß er ja mal rauskommen.«

»Was haben Sie denn bloß gegen Bassett?«

»Das werde ich gerade einem Wildfremden auf die Nase binden. Ich muß mit ihm selber reden.« Er sah mich an und {8}nagte an seiner Unterlippe. »Würden Sie ihm sagen, daß ich ihn sprechen muß? Daß es für mich sehr wichtig ist?«

»Das kann ich ihm natürlich mitteilen. Von wem, sagten Sie, soll ich das ausrichten?«

»Von George Wall. Ich komme von Toronto.« Er schwieg einen Moment. Dann sagte er: »Es ist wegen meiner Frau. Sagen Sie ihm, ich gehe nicht weg, ehe ich nicht mit ihm gesprochen habe.«

Betont langsam schlenderte George Wall auf die Straße zurück. Der Pförtner steckte die Waffe weg und wischte sich die blutige Nase mit dem Handrücken.

»Der ist ja ’n Püscho … ein Psicho … der ist ja bekloppt«, sagte er. »Mr. Bassett kennt ihn überhaupt nicht.«

»Ob mich Bassett seinetwegen sprechen will?«

»Schon möglich. Hab keine Ahnung.« Er hob die Arme und zuckte mit den Achseln.

»Lungert er denn hier schon lange herum?«

»Diese ganze Zeit heute, seit ich am Tor bin. Ich glaube, er hat im Gebüsch übernachtet. Eigentlich wollte ich ihn festnehmen lassen, aber Mr. Bassett sagt, ich soll nicht. Mr. Bassett ist viel zu weichherzig, und dadurch brockt er sich bloß was ein. Befaß du dich mit ihm, sagt er, wir wollen keinen Ärger mit der Polizei.«

»Sie sind ja auch prima mit ihm fertig geworden.«

»Na klar. Früher, da hätte ich zwei von seiner Sorte fertiggemacht, wie gesagt.« Er spannte die Muskeln des rechten Arms und knetete sie bewundernd. Er lächelte mich freundlich an. »Ich war mal Boxer … und was für einer. Tony Torres – haben Sie den Namen mal gehört? Der Kampfhahn von Fresno?«

»Aber ja, natürlich. Sie haben sechs Runden gegen Armstrong durchgestanden.«

»Ja.« Er blickte würdevoll. »Da war ich schon alt, fünfunddreißig, sechsunddreißig. Meine Beine waren schon hin. Er hat mir die Beine unterm Bauch weggezogen, sonst hätte {9}ich zehn durchgehalten. Ich war in prima Form, nur die Beine … Woher wissen Sie denn das? Haben Sie den Boxkampf gesehen?«

»Am Radio angehört. Ich war damals noch ein Schuljunge, ich hatte kein Geld für Karten.«

»Dann wissen Sie nichts«, sagte er genießerisch. »Am Radio angehört!«

2

Ich ließ meinen Wagen auf dem asphaltierten Parkplatz vor dem Hauptgebäude stehen. Ein rotlackierter Weihnachtsbaum hing verkehrt herum über dem Eingang. Das Clubhaus war eine Art Fachwerkhaus aus Natursteinen und Holz und hatte ein flaches Dach. Seine langgestreckten Linien und die schlichte Form täuschten – erst als ich hineinkam, merkte ich, wie groß es war. Durch die rückwärtige Glastür der Vorhalle konnte ich das fünfzig Meter lange Schwimmbecken sehen, das zwischen den U-förmigen Flügeln des Gebäudes lag. Zur See hin war der Blick frei – nichts als blauleuchtende Helle bis zum Horizont.

Die Tür war abgeschlossen. Niemand war zu sehen außer einem jungen Schwarzen, den eine knappe weiße Badehose in zwei Teile teilte. Er säuberte den Boden des Schwimmbeckens mit einem langstieligen Unterwasser-Reinigungsgerät. Mit einem Geldstück klopfte ich an die Glasscheibe.

Es dauerte eine Weile, bis er mich hörte und herangetrabt kam. Mit dunklen, gescheiten Augen sah er mich von oben bis unten an; er schien alle Welt in zwei Gruppen einzuteilen: in die Reichen und die nicht ganz so Reichen. Anscheinend zählte er mich zur zweiten Gruppe. Als er die Tür aufschloß, sagte er:

»Wenn Sie Vertreter sind, haben Sie sich eine schlechte Zeit ausgesucht. Wir haben jetzt sowieso tote Saison, und Mr. Bassett hat eine Stinklaune. Eben hat er mich schon {10}angepfiffen. Ich kann doch nichts dafür, daß sie die Tropenfische in das Schwimmbecken geschmissen haben.«

»Wer macht denn so was?«

»Die Leute gestern abend. Das gechlorte Wasser hat ihnen den Rest gegeben, den armen Viechern. Und jetzt muß ich sie rausholen. Die Leute veranstalten ’ne Party und besaufen sich, und dann ist ihnen alles egal. Und jetzt soll ich es ausbaden, denkt sich Mr. Basset.«

»Ach, machen Sie sich nichts draus. Meine Kunden haben immer schlechte Laune, wenn sie mich bestellen.«

»Sind Sie von ’ner Beerdigungsfirma oder so was Ähnliches?«

»Ja, so was Ähnliches. Gehört Bassett der Laden hier?«

»Das könnte man meinen, wenn man ihn so reden hört; aber der Club gehört den Mitgliedern, er ist nur der Manager.«

Der jugendliche Bademeister ging voran, und ich folgte ihm nach. Schließlich gelangten wir an eine Tür mit der Aufschrift ›Manager‹. Er klopfte. Eine schrille Stimme antwortete. Als ob Kreide auf einer feuchten Schiefertafel entlangquietschte … Ich bekam richtig eine Gänsehaut.

»Wer ist da?«

»Archer«, sagte ich zu dem Bademeister.

»Mr. Archer möchte Sie sprechen.«

»Gut. Augenblick.«

Der Bademeister blinzelte mir zu und trabte davon, seine Füße klatschten auf den Fliesen. Ein Schlüssel bewegte sich im Türschloß, und die Tür ging einen Spalt weit auf. In dem Spalt tauchte ein Gesicht auf, ein bißchen unterhalb meines eigenen. Die Augen waren hell und standen zu weit auseinander; sie traten etwas hervor, wie Fischaugen. Dem dünnen, altjüngferlichen Mund entfuhr ein Seufzer.

»Gott sei Dank, daß Sie da sind. Bitte, kommen Sie rein.«

Er schloß hinter mir die Tür wieder ab und bot mir mit nervös-übertriebener Geste einen Stuhl vor dem Schreibtisch {11}an. Er selber setzte sich hinter den Schreibtisch, griff nach einem schweinsledernen Tabakbeutel und fing an, eine große Bruyère-Pfeife mit dunklem, englischem Tabak zu stopfen. Pfeife und Tabak paßten zu seinem Jackett aus Harris Tweed, den Oxford-Hosen, den plumpen, dicksohligen Schuhen und zu seinem New England-Akzent.

Obwohl sein braunes Haar prima gefärbt war und er eine lebhafte Gesichtsfarbe hatte, schätzte ich ihn auf beinahe sechzig. Ich sah mich in seinem Büro um. Es war fensterlos und wurde durch eine Klimaanlage belüftet. Das Licht kam aus irgendwelchen unsichtbaren Leuchtröhren. Die Möbel waren dunkel und wuchtig. An den Wänden hingen Fotos von Segeljachten mit voller Takelung und von Tennisspielern, die einander mit gezwungenem Lächeln gratulierten. Auf dem Schreibtisch standen, gestützt von zwei schwarzen Marmorelefanten, ein paar Bücher.

Bassett steckte seine Pfeife mit einem Gasfeuerzeug an und atmete eine blaue Rauchwolke aus: »Ich habe gehört, daß Sie, Mr. Archer, ein sehr tüchtiger Leibwächter sind.«

»Kann schon sein. Solche Aufträge übernehme ich nur selten.«

»Aber man hat mir gesagt … Warum nur selten?«

»Weil man dann so einen ekelhaften Kerl zu dicht auf der Pelle hat. Meistens wollen sie einen Leibwächter, weil sie einfach niemand haben, der mit ihnen redet. Oder sie bilden sich sonst was ein.«

Er grinste gezwungen. »Das kann ich nicht gerade als Kompliment auffassen. Oder vielleicht sollte ich es nicht so verstehen?«

»Sie haben also Bedarf an einem Leibwächter?«

»Ich weiß es noch nicht recht.« Er überlegte seine Worte genau: »Ehe sich die Dinge nicht entwickelt haben, kann ich noch gar nicht sagen, was ich brauche. Oder warum.«

»Wer hat mich Ihnen denn empfohlen?«

»Ein Clubmitglied hat vor längerer Zeit einmal mir {12}gegenüber Ihren Namen erwähnt. Es war übrigens Joshua Severn, der Fernsehproduzent. Er hält große Stücke auf Sie.«

»Ach du liebe Zeit.« Wenn die Leute einem Schmeicheleien sagen, heißt das immer, daß sie selber auch welche hören wollen. »Und warum brauchen Sie einen Detektiv, Mr. Bassett?«

»Weil ich mich bedroht fühle. Ein junger Mann hat mich gestern angerufen … Sie hätten nur mal hören sollen, was er alles gesagt hat.«

»Sie haben also schon mit ihm gesprochen?«

»Nur knapp eine Minute, gestern abend. Hier war eine Party im Gange – unsere Nach-Weihnachts-Party, wie jedes Jahr –, und er hat von Los Angeles angerufen. Er hat mir gedroht, er kommt hierher und schlägt mich zusammen, wenn ich ihm nicht etwas Bestimmtes … wenn ich ihm nicht sage, was er wissen will. Es hat mich schrecklich aufgeregt.«

»Hm. Was will er denn von Ihnen wissen?«

»Etwas, wovon ich überhaupt nichts weiß. Ich fürchte, er ist jetzt draußen vorm Haus und lauert mir auf. Die Party ging bis heute früh, da bin ich gar nicht erst nach Hause gegangen. Heute morgen hat mich der Pförtner angerufen. Da wäre ein junger Mann, sagte er, der mich sprechen will. Ich hab ihm gesagt, er soll ihn nicht reinlassen. Und dann, als ich meine fünf Sinne wieder beieinander hatte, habe ich Sie angerufen.«

»Und was erwarten Sie nun konkret von mir?«

»Schaffen Sie ihn mir vom Hals. Sie wissen doch, wie man so etwas macht. Keine Gewalt, das möchte ich natürlich nicht – außer, wenn es gar nicht anders geht.« Seine Augen glühten schwach durch neue Rauchwolken. »Es könnte allerdings notwendig werden. Haben Sie eine Waffe bei sich?«

»Im Wagen habe ich eine. Ich verleihe Sie aber nicht.«

»Das meine ich ja nicht. Sie mißverstehen mich, alter Freund. Na ja, vielleicht habe ich mich auch nicht ganz klar ausgedrückt. Niemand hat eine so große Abscheu vor {13}Gewaltanwendung wie ich. Ich meinte nur, daß eine Waffe … daß Sie eine Waffe brauchen könnten, um sanften Druck auszuüben. Bringen Sie ihn doch zum Bahnhof, oder besser noch zum Flughafen und setzen Sie ihn in ein Flugzeug.«

»Bedaure, das geht nicht.« Ich stand auf.

Er folgte mir zur Tür und faßte mich am Arm. Seine Anbiederei war mir ekelhaft, und ich schüttelte ihn ab.

»Hören Sie zu, Archer. Ich bin nicht reich, aber ich habe ein bißchen was auf der hohen Kante. Ich bin bereit, Ihnen dreihundert Dollar zu zahlen, wenn Sie mir den Kerl beseitigen.«

»Beseitigen, haben Sie gesagt?«

»Ohne Gewaltanwendung, versteht sich.«

»Tut mir leid. Nichts zu machen.«

»Fünfhundert Dollar.«

»Ausgeschlossen. Was Sie von mir verlangen, ist nach kalifornischem Gesetz Kidnapping.«

»Großer Gott, das habe ich doch nicht gemeint.« Er war wirklich erschrocken.

»Überlegen Sie sich das genau, Mr. Bassett. Für einen Mann in Ihrer Position sind Sie ziemlich schwach in Rechtskunde. Zeigen Sie ihn doch an – warum soll sich eigentlich die Polizei nicht darum kümmern? Sie sagen doch, er bedroht Sie.«

»Ja, schon. Er hat sogar gedroht, mich mit der Reitpeitsche … Aber mit so etwas kann man doch nicht gut zur Polizei gehen.«

»Natürlich kann man das.«

»Nein, auf gar keinen Fall. Ich mache mich ja zum Gespött in ganz Kalifornien. Ich bin Manager und Schriftführer von einem sehr, sehr exklusiven Club. Die besten Familien hier an der Küste vertrauen mir ihre Kinder, ihre Töchter an. Ich muß über jeden Verdacht erhaben sein – wie Cäsars Weib, Sie wissen doch.«

»Und in welchen Verdacht könnten Sie geraten?«

Calpurnia nahm die Pfeife aus dem Mund und blies einen zittrigen Rauchring von sich.

{14}»Kann ich mich auf Sie verlassen – wirklich verlassen?«

»Solange alles im Rahmen der Gesetze bleibt …«

»Ach, Himmel noch mal, es bleibt ja im Rahmen der Gesetze! Ich bin eben ein bißchen in der Klemme, aber es ist nicht meine Schuld. Es geht nicht darum, daß ich irgend etwas getan habe, sondern darum, daß die Leute glauben könnten, ich hätte was getan. Es handelt sich nämlich um eine Frau …«

»Etwa die Frau von George Wall?«

Sein Gesicht ging aus dem Leim. Er klemmte die Pfeife zwischen die Zähne, aber das Zucken der Gesichtsmuskeln konnte er nicht unterdrücken.

»O Gott, Sie kennen sie? Weiß denn alle Welt schon …?«

»Alle Welt wird es bald wissen, wenn George Wall noch länger draußen herumlungert. Er ist mir übern Weg gelaufen, als ich hierher …«

»Großer Gott – ist er schon im Haus?« Bassett lief aufgeschreckt durchs Zimmer und rannte wieder zum Schreibtisch zurück. Er zog eine Schublade auf und nahm eine Pistole heraus.

»Legen Sie das weg«, sagte ich. »Sie haben doch Angst um Ihren Ruf – wenn es hier knallt, ist der bestimmt zum Teufel. Wall war draußen vor dem Tor und wollte unbedingt herein. Aber er hat damit kein Glück gehabt. Ich soll Ihnen was von ihm ausrichten: Daß er nicht weggeht, ehe er mit Ihnen gesprochen hat. Punkt.«

»Verflucht noch mal, Mann, warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Hier sitzen wir herum und vergeuden die Zeit.«

»Sie vergeuden die Zeit.«

»Also meinetwegen … Streiten wir uns nicht. Er muß weg, ehe noch irgendwelche Clubmitglieder auftauchen.«

Er sah auf die Armbanduhr an seinem rechten Handgelenk, und zufällig zeigte die Waffe dabei auf mich.

»Legen Sie das Ding hin, Bassett. Sie sind so aufgeregt – Sie sollten nicht damit herumspielen.«

{15}Er legte die Waffe auf das Mitgliedsregister, einen Lederband mit Goldprägung, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag, und grinste mich beschämt an. »’tschuldigung. Ich bin zu nervös. Solche Aufregungen bin ich nicht gewöhnt.«

»Aber weshalb regen Sie sich eigentlich so auf?«

»Der junge Wall hat mich offenbar im Verdacht, ich hätte ihm seine Frau ausgespannt.«

»Und stimmt das?«

»Also hören Sie mal! Sie ist so jung – sie könnte meine Tochter sein.« Seine Augen wurden vor Verlegenheit feucht. »Meine Beziehungen zu ihr sind immer vollkommen korrekt gewesen.«

»Sie kennen sie also?«

»Selbstverständlich kenne ich sie. Seit Jahren schon – viel länger als George Wall sie kennt. Sie hat hier im Club Turmspringen trainiert – damals schon, als sie noch ein Schulmädchen war. Sie ist übrigens jetzt auch erst knapp über zwanzig. Höchstens ein- oder zweiundzwanzig.«

»Und wie heißt sie?«

»Sie heißt Hester Campbell. Sehr sportlich … großartig im Turmspringen. Vor ein paar Jahren wäre sie beinahe Landesmeister geworden. Aber dann zog ihre Familie von hier fort, und man hörte nichts mehr von ihr. Sie hat sich auch an keinen Amateurwettbewerben mehr beteiligt. Daß sie geheiratet hat, wußte ich gar nicht, ehe sie hier wieder aufgetaucht ist.«

»Und wann war das?«

»Vor fünf oder sechs Monaten. Nein, vor sechs Monaten, im Juni. Es muß ihr in der Zwischenzeit nicht besonders gutgegangen sein. Eine Weile ist sie mit einer Gruppe, die Schauschwimmen und -springen veranstaltet, auf Tournee gewesen, hat dann ihren Job verloren und ist in Toronto hängengeblieben. Da hat sie diesen jungen kanadischen Sportjournalisten kennengelernt und ihn aus Verzweiflung geheiratet. Die Ehe war offensichtlich ein Mißerfolg; sie hat {16}nicht einmal ein ganzes Jahr gedauert. Dann hat sie ihn verlassen und ist hierher zurückgekommen. Sie war richtig heruntergekommen und furchtbar niedergeschlagen. Ich sah es als meine Pflicht an, ihr zu helfen. Ich habe den Vorstand überredet, sie als Trainerin für Turmspringen einzustellen – auf Kommissionsbasis. Während der Saison ging alles ganz gut. Und als sie dann weniger Schüler hatte, habe ich ihr finanziell ein bißchen unter die Arme gegriffen.« Er breitete schlapp seine Hände aus. »Wenn das ein Verbrechen ist, dann bin ich eben ein Verbrecher.«

»Und das ist alles? Dann verstehe ich nicht, wovor Sie eigentlich Angst haben.«

»Sie begreifen nicht … Sie begreifen meine Lage nicht … die Anfeindungen … und die Intrigen, mit denen ich hier zu kämpfen habe. Ein paar von den Mitgliedern wollen mich raushaben. Wenn George Wall die Sache so darstellt, daß ich meine Stellung dazu benutze, junge Frauen zu verkuppeln …«

»Aber wie kann er denn das?«

»Ich meine, wenn er mich anzeigt – damit hat er doch schon gedroht … Die junge Frau hat mir gesagt, daß sie sich scheiden lassen will, und ich fürchte, ich war etwas unvorsichtig. Ich bin ein paarmal mit ihr ausgegangen. Na ja, und dann habe ich sie manchmal bei mir zum Essen eingeladen.« Er bekam einen roten Kopf. »Kochen ist mein Steckenpferd. Jetzt sehe ich ja ein, daß es nicht gerade klug war, sie in meine Wohnung einzuladen.«

»Aber das ist doch kalter Kaffee … Wir leben schließlich nicht mehr im vorigen Jahrhundert.«

»Sagen Sie das nicht, Mr. Archer. Meine Lage ist wirklich prekär. Ich fürchte, wenn es zu einer Strafanzeige kommt, dann bin ich erledigt.«

»Dann rate ich Ihnen eins: Verständigen Sie sich mit Wall. Sagen Sie ihm, wie die Dinge liegen.«

»Das habe ich doch versucht, gestern abend. Er wollte mich {17}nicht einmal anhören. Der Mann ist vor Eifersucht verrückt. Als ob ich seine Frau irgendwo versteckt hielte.«

»Und das ist nicht der Fall, oder?«

»Natürlich nicht. Seit Anfang September habe ich sie nicht mehr gesehen. Sie ist plötzlich auf und davon gegangen, ohne nur ›Auf Wiedersehen‹ oder ›Danke schön‹ zu sagen. Nicht einmal eine Adresse für ihre Post hat sie hinterlassen.«

»Ist sie mit einem Mann fortgegangen?«

»Höchstwahrscheinlich«, sagte er.

»Sagen Sie das Wall, und zwar persönlich.«

»Um Gottes willen, nein. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Der Mann ist tobsüchtig, der fällt mich an.«

Bassett fuhr sich mit verkrampften Fingern durchs Haar. An den Schläfen war es schweißnaß, und kleine Rinnsale schlängelten sich an seinen Ohren vorbei zum Kinn.

Er zog aus der Rocktasche ein zusammengefaltetes Taschentuch und fuhr sich damit übers Gesicht. Er tat mir beinahe etwas leid.

»Also gut. Ich werde schon mit ihm fertig«, sagte ich. »Rufen Sie den Pförtner an. Wenn er noch dort ist, gehe ich raus und hole ihn her.«

»Aber doch nicht hierher?«

»Wohin denn sonst? Haben Sie einen besseren Vorschlag?«

Nervös dachte er einen Augenblick nach. Dann sagte er: »Eigentlich sollte ich doch mit ihm reden. Ich kann ihn nicht dort draußen rumlungern lassen. Jeden Augenblick können Clubmitglieder, die zum Schwimmen gehen, hierherkommen.«

In seiner Stimme bebte jedesmal, wenn er von den Clubmitgliedern sprach, ein ehrfürchtiger Unterton – als ob sie höherstehende Lebewesen seien oder Übermenschen. Widerstrebend nahm er den Hörer des Hausapparats ab.

»Tony? Ich bin’s, Bassett. Treibt sich der verrückte junge Mann noch da draußen rum? … Wissen Sie das genau? {18}Ganz genau? … Na gut, sehr schön. Sagen Sie mir sofort Bescheid, wenn er wieder auftaucht.« Er legte den Hörer auf.

»Ist er weg?«

»Sieht so aus.« Er holte mit offenem Mund tief Luft. »Torres sagt, er ist endlich abgehauen, zu Fuß. Trotzdem wäre es mir lieb, wenn Sie noch ein bißchen hierblieben – für alle Fälle.«

»Wie Sie wollen. Die Geschichte kostet Sie sowieso fünfundzwanzig Dollar.«

Er verstand die Anspielung. Er öffnete die Schreibtischschublade und reichte mir das Geld in bar. Dann holte er aus einer anderen Schublade einen elektrischen Rasierapparat und einen Spiegel. Ich saß da und sah zu, wie er sich Gesicht und Hals rasierte. Mit einer kleinen Schere schnitt er die Haare in den Nasenlöchern ab und rupfte sich ein paar Haare aus den Augenbrauen. Solche Sachen machen mir den Job des Leibwächters verhaßt.

Ich sah mir die Bücher auf dem Schreibtisch an: ein Register der Regierungsbeamten und der Society von Südkalifornien, ein Filmalmanach des abgelaufenen Jahres und ein dickleibiger Band, in abgegriffenes grünes Leinen gebunden, der den überraschenden Titel trug: DIE FAMILIE BASSETT. Ich schlug die innere Titelseite auf. Es hieß dort, dies sei ein Bericht über die Vorfahren und über die Leistungen der Nachkommen von William Bassett, der 1634 in Massachusetts an Land gegangen sei, bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914. Verfasser: Clarence Bassett.

»Ich glaube nicht, daß Sie das interessiert«, sagte Bassett. »Aber für einen Familienangehörigen ist das eine recht aufschlußreiche Geschichte. Als mein Vater pensioniert wurde, hat er das Buch geschrieben. Tatsächlich haben wir in New England eine einheimische Aristokratie gehabt – Gouverneure, Professoren, Geistliche, Geschäftsleute, müssen Sie wissen.«

»Ich hab davon schon mal läuten hören.«

{19}»’tschuldigung. Ich wollte Sie nicht anöden«, sagte er leichthin, beinahe mit Selbstironie. »Ich bin der letzte der Familie Bassett. Ich hatte nie Interesse daran gehabt, zu heiraten und eine Familie zu gründen – aber wenn ich daran denke, tut es mir beinahe ein bißchen leid.«

Er beugte sich näher zum Spiegel und quetschte einen Mitesser neben seiner Nase aus. Ich stand auf und besah mir die Fotos, die an der Wand hingen. Eines interessierte mich – es zeigte drei Turmspringer, einen Mann und zwei junge Mädchen, die gleichzeitig vom Sprungturm absprangen. Ihre Leiber hatten sich schon vom Brett gelöst und schwebten als Silhouetten vor dem hellen Sommerhimmel; alle drei streckten sich mit ausgebreiteten Armen zur Figur der ›Schwalbe‹. Das Foto war in dem Augenblick geknipst, in dem sie den Scheitelpunkt ihrer Parabel erreicht hatten, ehe die Schwerkraft sie packen und zur Erde zurückreißen mußte.

»Das Mädchen links – das ist Hester«, sagte Bassett hinter mir.

Ihr Leib war wie ein Pfeil. Der Wind kämmte ihr helles Haar vom Gesicht zurück. Das Mädchen rechts war dunkelhaarig und ebenso faszinierend mit ihrer vollbusigen Figur. Auch der Mann in der Mitte war dunkel, er hatte schwarzes Kraushaar und Muskeln, die aus Bronze gehämmert schienen.

»Eines meiner Lieblingsfotos«, sagte Bassett. »Es ist vor ein paar Jahren aufgenommen worden, als Hester für die Nationalmeisterschaft trainierte.«

»Wo aufgenommen – hier?«

»Ja. Wie ich schon sagte, hatten wir ihr erlaubt, hier zu trainieren.«

»Und wer sind die beiden anderen auf dem Bild?«

»Der Junge war damals unser Rettungsschwimmer. Das Mädchen war Hesters Freundin. Sie hatte hier eine Stellung in der Snackbar, und Hester bildete sie im Turmspringen aus.«

»Ist sie immer noch hier?«

{20}»Leider nein.« Sein Gesicht wurde wieder ernst. »Gabrielle ist tot.«

»Beim Turmspringen verunglückt?«

»Nein. Erschossen.«

»Umgebracht?«

Er nickte stumm.

»Und wer hat sie umgebracht?«

»Tja, das weiß man nicht. Bis heute ist die Sache nicht aufgeklärt worden. Und ich glaube nicht, daß sie jetzt noch geklärt werden kann. Es ist ja beinahe zwei Jahre her – im März vor einem Jahr ist es passiert.«

»Und wie, sagten Sie, hieß das Mädchen?«

»Gabrielle. Gabrielle Torres.«

»Ach – mit Tony irgendwie verwandt?«

»Ja, seine Tochter.«

3

Es klopfte an der Tür. Bassett fuhr zusammen wie ein nervöses Pferd.

»Wer ist da?«

Wieder klopfte es. Ich ging an die Tür. Bassett wieherte mir zu:

»Nicht aufmachen!«

Ich drehte den Schlüssel um, machte die Tür ein paar Zentimeter weit auf und stemmte Fuß und Schulter dagegen. Draußen stand George Wall. Durch einen Riß in seinem Hosenbein konnte ich eine Schramme auf seiner Haut sehen. Er keuchte:

»Ist er da drin?«

»Wie sind Sie hier reingekommen?«

»Über den Zaun. Ist Bassett da?«

Ich sah zu Bassett hin. Er kauerte hinter dem Schreibtisch, nur die hellen Augen sahen über die Tischplatte – und die {21}Waffe. »Nicht reinkommen lassen! Halten Sie ihn mir vom Leib!«

»Er tut Ihnen ja nichts. Legen Sie das Ding hin.«

»Nein – ich denke nicht dran. Ich verteidige mich selbst, wenn Sie’s nicht tun.«

Ich drehte seinem Schießeisen den Rücken zu. »Haben Sie gehört, Wall? Er hat eine Pistole.«

»Ist mir ganz egal. Ich muß mit ihm reden. Ist Hester hier?«

»Wer hat Ihnen bloß diese fixe Idee in den Kopf gesetzt? Er hat sie seit Monaten nicht mehr gesehen.«

»Behauptet er.«

»Aber es stimmt. Sie hat im Sommer hier gearbeitet und ist im September weggegangen.«

Sein Blick wurde noch unsicherer. »Warum will er dann nicht mit mir reden, wenn sie nicht bei ihm ist?«

»Sie haben mit den wildesten Drohungen herumgeworfen, wissen Sie das nicht mehr? Das war nicht gerade eine diplomatische Eröffnung.«

»Für Diplomatie habe ich keine Zeit. Ich muß morgen zurückfliegen.«

»Ausgezeichnet.«

Er stemmte die Schultern gegen die Tür, so daß ich sein ganzes Gewicht spürte. Bassetts Stimme schrillte:

»Halten Sie ihn mir vom Leib!«

Bassett stand dicht hinter mir. Ich drehte mich um, drückte den Rücken gegen die Tür, wand Bassett die Waffe aus der Hand und steckte sie in die Tasche. Er war so wütend und so verängstigt, daß er kein Wort rausbrachte. Ich drehte mich wieder Wall zu, der sich immer noch gegen die Tür stemmte. Aber seine Kraft ließ nach. Er sah verstört aus. Ich packte ihn mit einer Hand an der Brust, drückte ihn hoch und hielt ihn fest.

In diesem Augenblick kam ein untersetzter, breitschultriger Mann die Stufen der Vorhalle herunter. Er kam näher, {22}in übertrieben forschem Gang, und sah über das Schwimmbecken und zur offenen See hin, als seien sie sein persönlicher Besitz. Der Wind zauste sein silberweißes Haar. Selbstbewußtsein und Fett schwellten seinen wunderschönen maßgeschneiderten blauen Flanell-Blazer. Die Frau, die er im Schlepptau hatte, beachtete er überhaupt nicht.

»Großer Gott«, flüsterte Bassett. »Mr. und Mrs. Graff. Es geht nicht, daß wir in Graffs Gegenwart eine Auseinandersetzung haben. Wall soll reinkommen. Schnell, Mann!«

Ich ließ ihn ein. Bassett trat in die Tür, verbeugte sich und lächelte. Der silberhaarige Mann kam auf ihn zu.

»Ah, Bassett – haben Sie genügend Aushilfspersonal für heute abend? Tanzkapelle da? Genug zu essen?«

»Ja, Mr. Graff.«

»Wegen der Getränke – wir nehmen gewöhnlichen Whisky aus der Bar, nicht meine Privat-Vorräte. Das sind sowieso alles Barbaren – keiner merkt den Unterschied.«

»Ja, Mr. Graff. Viel Vergnügen beim Schwimmen.«

Die Frau, die hinter ihm herging, kam näher. Sie bewegte sich langsam, fast benommen, als ob sie unter der Sonnenhelle litte. Ihr schwarzes Haar war streng zurückgekämmt. Sie hatte breite, gerade Augenbrauen, die über der griechischen Nase zusammenliefen. Ihr Gesicht war blaß und leblos, abgesehen von ihren Augen: alle Energie und Empfindung schien in den schwarzen Scheinwerfern zu liegen. Sie trug ein schwarzes Jerseykleid ohne jeden Schmuck.

Bassett wünschte ihr guten Morgen. Ihr Gesicht belebte sich, als sie den Gruß erwiderte, dann folgte sie ihrem Mann zu den cabañas, den Privatkabinen. Sie wirkte wie sein abgelöster Schatten. Bassett seufzte erleichtert auf.

»Ist er der Graff von Helio-Graff?« fragte ich.

»Ja.«

Bassett drückte sich an Wall vorbei, hockte sich auf eine Ecke der Schreibtischplatte und fummelte mit Pfeife und Tabakbeutel herum. Seine Hände zitterten. Wall hatte sich nicht {23}von der Tür weggerührt. Er hatte rote Flecken im Gesicht; sein eiskalter, starrer Blick gefiel mir gar nicht. Ich postierte meine Körpermasse zwischen die beiden und ließ sie nicht aus den Augen. Wall sagte heiser: »Hören Sie, Bassett, Sie können sich hier nicht rausschwindeln. Sie wissen bestimmt, wo sie ist. Sie haben doch ihre Ballettstunden bezahlt.«

»Ballettstunden? Ich?« Bassetts Verwunderung klang echt.

»Ja doch! In Antons Ballettschule. Ich habe gestern nachmittag mit Anton gesprochen. Er hat mir gesagt, daß sie bei ihm Stunden genommen hat und daß sie mit einem Scheck von Ihnen bezahlt hat.«

»Also das hat sie mit dem Geld gemacht, das ich ihr gegeben habe.«

Walls Mund verzog sich. »Um keine Ausrede verlegen, was? Und warum haben Sie ihr Geld gegeben?«

»Weil ich sie leiden mag und sie mir leid tat.«

»Das kann ich mir vorstellen. Also: wo ist sie jetzt?«

»Offen gestanden, ich weiß es nicht. Sie ist im September weggegangen. Seitdem habe ich von Miss Campbell nichts gehört.«

»Sie heißt Mrs. Wall, Mrs. George Wall, wenn ich bitten darf. Sie ist meine Frau.«

»Ich habe da langsam so meine Zweifel, alter Freund. Sie hat ihren Mädchennamen gebraucht, als sie hier bei uns war. Sie wollte sich scheiden lassen, soviel ich weiß.«

»Und wer hat sie dazu beredet, he? Sie vielleicht?«

Bassett warf ihm einen Leidensblick zu. »Wenn Sie die Wahrheit hören wollen – ich habe versucht, es ihr auszureden. Ich habe ihr geraten, nach Kanada zurückzugehen, zu Ihnen. Aber sie hatte andere Pläne.«

»Was für andere Pläne?«

»Sie wollte unbedingt Karriere machen«, sagte Bassett mit einer Spur Ironie. »Sie ist doch hier im Süden aufgewachsen, nicht wahr, und ihr liegt das Filmfieber im Blut. Und dann hat ihr natürlich die Turmspringerei einen Vorgeschmack {24}vom Reiz der Jupiterlampen gegeben. Ich habe ehrlich versucht, ihr das auszureden. Aber ich glaube, das hat überhaupt keinen Eindruck auf sie gemacht. Sie war nun mal entschlossen, ein Ventil für ihr Talent zu finden – wahrscheinlich erklären sich damit auch die Ballettstunden.«

»Hat sie denn Talent?« fragte ich.

Wall antwortete: »Sie selber glaubt, ja.«

»Nun hören Sie mal zu«, sagte Bassett mit müdem Lächeln. »Lassen wir der Dame doch Gerechtigkeit widerfahren. Sie ist eine reizende Person, und sie könnte sich entwickeln …«

»Also haben Sie doch ihre Ballettstunden bezahlt.«

»Nein – ich habe ihr Geld geliehen. Ich hatte keine Ahnung, wofür sie es ausgegeben hat. Sie ist dann ganz plötzlich von hier weggegangen, wie ich Archer schon erzählt habe. Den einen Tag hat sie hier noch ganz friedlich in Malibu gelebt, sie hatte inzwischen ein paar Leute kennengelernt und Verbindungen angeknüpft, und am nächsten Tag war sie verschwunden.«

»Merkwürdig. Und was sind das für Verbindungen, die sie hier angeknüpft hat?« fragte ich.

»Eine ganze Reihe unserer Clubmitglieder sind beim Film.«

»Könnte sie mit einem von ihnen durchgegangen sein?«

Bassetts Blick wurde düster. »Das kann ich nicht sagen. Als sie weg war, habe ich auch nichts unternommen, um festzustellen, wo sie ist. Wenn sie weggehen wollte, dann stand es mir nicht zu, mich da einzumischen.«

»Aber ich … mir steht es zu.« Walls Stimme klang halb erstickt. »Ich glaube nicht, daß Sie die Wahrheit sagen. Sie wissen, wo sie ist, und Sie wollen mich bloß hinhalten.«

Seine Unterlippe und sein Unterkiefer schoben sich vor und machten sein Gesicht formlos und häßlich. Ich sah, daß er die Fäuste ballte und daß seine Knöchel weiß wurden.

»Seien Sie nicht kindisch«, sagte ich.

»Ich muß doch rauskriegen, wo sie ist und was mit ihr passiert ist.«

{25}»Moment mal, George …« Bassett deutete mit der Pfeife auf ihn, als sei sie eine Spielzeugwaffe; ein Rauchwölkchen kam aus dem Mundstück.

»Für Sie Mr. Wall, wenn ich bitten darf.«

»Also, Mr. Wall, wenn Sie darauf bestehen. Ich wollte sagen, ich bedaure, daß wir dieser Sache wegen Streit haben. Wirklich, ich bedaure es sehr. Ich bin ein friedlicher Mensch, glauben Sie mir, und ich wünsche Ihnen nichts Böses.«

»Aber warum helfen Sie mir dann nicht? Sagen Sie mir die Wahrheit: ist Hester noch am Leben?«

Bassett sah ihn entsetzt an.

Ich sagte: »Befürchten Sie denn das Gegenteil?«

»Ja. Weil sie Angst hatte. Angst, daß man sie umbringt.«

»Woher wissen Sie das?«

»Sie hat mich in Toronto angerufen. Vorgestern nacht. Am Weihnachtstag. Sie war schrecklich aufgeregt und hat beim Telefonieren geweint.«

»Aber weshalb denn?«

»Jemand hat ihr gedroht, daß er sie umbringt – sie hat nicht gesagt, wer. Sie wollte weg aus Kalifornien. Sie hat mich gefragt, ob sie zu mir zurückkommen dürfte. Natürlich durfte sie das. Aber ehe wir noch etwas ausmachen konnten, war das Gespräch unterbrochen. Auf einmal war sie nicht mehr da – die Leitung war tot.«

»Von wo aus hat sie telefoniert?«

»Aus der Ballettschule am Sunset Boulevard. Es war ein R-Gespräch, deswegen habe ich es rauskriegen können. Ich bin so rasch wie möglich hergeflogen, und gestern war ich bei Anton. Er hat nichts von dem Telefongespräch gewußt, jedenfalls behauptet er das. Er hat gestern abend eine Party für seine Schüler gegeben, und da wäre ein ziemliches Durcheinander gewesen.«

»Nimmt Ihre Frau immer noch Stunden bei ihm?«

»Ich weiß nicht. Ich glaube, ja.«

»Dann müßte er eigentlich ihre Adresse haben.«

{26}»Er sagt, nein, er hätte sie nicht. Sie hat als Adresse nur den Channel Club angegeben.« Er warf Bassett einen mißtrauischen Blick zu. »Wissen Sie genau, daß sie nicht hier wohnt?«

»Hören Sie doch auf mit dem albernen Gerede. Sie hat nie hier gewohnt. Wenn Sie wollen, können Sie sich danach erkundigen. Sie hat ein Strandhäuschen in Malibu gemietet – ich kann Ihnen die Adresse nachsehen. Die Wirtin wohnt, glaube ich, im Nachbarhaus, und Sie können ja mit ihr reden. Mrs. Sarah Lamb heißt sie – sie ist eine gute Bekannte von mir. Sie hat mal für mich gearbeitet. Berufen Sie sich nur auf mich.«

»Sie lügt also Ihnen zu Gefallen, was?« sagte Wall.

Bassett stand auf und ging zögernd auf ihn zu. »Nun seien Sie doch mal vernünftig, alter Freund. Ich habe mich um Ihre Frau gekümmert. Aus reiner Menschenliebe, aber das hat man nun davon. Ich habe keine Zeit, mich den ganzen Tag mit Ihnen herumzustreiten. Wir haben heute abend eine große Party hier.«

»Das ist mir schnuppe.«

»Das kann ich ja begreifen. Hören Sie, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Mr. Archer ist Privatdetektiv. Ich bin bereit, ihn zu bezahlen – und zwar aus meiner eigenen Tasche –, damit er Ihnen hilft, Ihre Frau ausfindig zu machen. Unter einer Bedingung: daß Sie Ruhe geben mit diesen Drohungen und Erpressungen. Also – ist das ein faires Angebot oder nicht?«

»Sie sind Detektiv?« fragte Wall.

Ich nickte.

Er sah mich zweifelnd an. »Wollen Sie mich auch nicht nur damit hinhalten? Sie sind mit Bassett befreundet?«

»Ich habe ihn heute morgen zum erstenmal gesehen. Nebenbei – bei diesem Vorschlag bin ich überhaupt nicht gefragt worden.«

»Aber Sie nehmen ihn doch an, nicht wahr?« drängte Bassett. »Oder haben Sie was dagegen?«

{27}Ich hatte nichts dagegen, außer daß Unannehmlichkeiten in der Luft lagen und daß ich – nach einem langen, anstrengenden Jahr – ein bißchen erschöpft war. Ich sah mir George Walls roten Rebellenkopf an: der geborene Unheilstifter. Diese Typen bringen sich selbst und möglicherweise auch andere in Gefahr … Aber vielleicht konnte ich mir den Kerl unter den Arm klemmen und ihm den Ärger vom Hals halten, auf den er aus war? Ich bin immer schon ein Optimist gewesen.

»Was meinen Sie dazu, Wall?«

»Ich hätte schon gern Ihre Hilfe«, sagte er langsam. »Aber ich würde Sie lieber selbst bezahlen.«

»Kommt überhaupt nicht in Frage«, sagte Bassett. »Sie müssen mich auch etwas beitragen lassen – ich bin eben trotz allem an Hesters Wohlergehen interessiert.«

»Das ist mir sonnenklar.« Walls Stimme war schroff.

Ich sagte: »Knobeln wir doch. Figur – Bassett bezahlt. Adler – Wall bezahlt.«

Ich schnellte ein 50-Cent-Stück auf die Tischplatte. Adler. Ich war George Walls Mann. Oder er war meiner.

4

Graff ließ sich auf dem Rücken vom Wasser treiben, als George und ich am Schwimmbecken entlanggingen. Sein brauner Bauch ragte über die Wasseroberfläche wie der Schild einer Galapagos-Schildkröte. Mrs. Graff saß in ihrem schwarzen Kleid allein in einer sonnigen Ecke. Gesicht und Gestalt zeigten die vornehme Würde, die bei manchen Menschen nach langer und schwerer Leidenszeit an die Stelle der Schönheit tritt.

Sie interessierte mich, aber ich war für sie uninteressant. Sie blickte nicht einmal auf, als wir an ihr vorbeikamen.

Ich ging mit Wall zu meinem Wagen. »Sie ducken sich am {28}besten, wenn wir ans Tor kommen. Tony könnte vielleicht auf Sie schießen.«

»Glauben Sie?«

»Ich halte es schon für möglich. Alte Boxer werden furchtbar schnell wild, besonders wenn man ihnen eine langt.«

»Das habe ich wirklich nicht gewollt. Zu dumm von mir.«

»Na, besonders schlau war es nicht. Sie haben heute zwei Leute so weit provoziert, daß die glatt geschossen hätten. Bassett aus Angst und Tony aus Wut. Ich weiß nicht, wie das in Kanada ist, aber hier sollten Sie lieber vorsichtig sein. Hier haben eine ganze Menge Leute eine Waffe in der Schublade.«

Sein Kopf sank ein bißchen tiefer. »Es tut mir leid.«

Das kam wieder in diesem Schuljungenton. Ich mochte ihn eigentlich ganz gern. Er hatte das Zeug, sich herauszumachen – wenn er lange genug am Leben bleiben würde.

Ich lenkte den Wagen nach links auf die Küstenstraße zu. Sie folgte den Konturen des braunen Steilufers, dann senkte sie sich langsam zur See hinunter. Strandhäuser tauchten auf und fuhren vorüber wie ein endloser, schäbiger Güterzug.

»Was müssen Sie nur für einen Eindruck von mir haben«, platzte George plötzlich heraus. »Normalerweise bin ich gar nicht so.«

»Um so besser.«

»Nein, bestimmt«, sagte er. »Es ist nur – weil … also, ich habe ein scheußliches Jahr hinter mir.«

Er erzählte mir von seinem scheußlichen Jahr. Es hatte mit der kanadischen Nationalausstellung angefangen, im August des vorletzten Jahres. Als Sportreporter beim Toronto Star hatte er den Auftrag, über das Kunstspringen zu berichten. Hester gehörte zu den Stars der Turmspringer. Kunstspringen hatte ihn vorher nie interessiert – Fußball war sein Sport –, aber von Hester ging etwas Besonderes aus; etwas Strahlendes, Blendendes. In seiner freien Zeit suchte er sie noch einmal auf und ging dann nach den Veranstaltungen mit ihr aus.

{29}Am dritten Abend mißlang ihr ein zweieinhalbfacher Salto, sie prallte flach auf die Wasseroberfläche und wurde ohnmächtig aus dem Wasser gezogen. Am nächsten Abend trat sie nicht zu den Wettkämpfen an. Schließlich machte er sie in einem Hotel in der unteren Yone Street ausfindig. Sie hatte einen Bluterguß unter beiden Augen und fühlte sich hundeelend. Sie sagte, sie hätte die Nase voll vom Turmspringen, und dann bekam sie einen richtigen Nervenzusammenbruch.

Sie weinte sich an seiner Schulter aus. Er wußte nicht, wie er sie trösten sollte.

So kam er zu seiner ersten Erfahrung mit einer Frau – ein paar Fälle ausgenommen, die nicht zählen. Im Laufe der Nacht bat er sie, seine Frau zu werden. Sie nahm seinen Antrag am nächsten Morgen an. Drei Tage später heirateten sie.

Vielleicht hatte er Hester nicht ganz reinen Wein eingeschenkt, was sicher besser gewesen wäre. Er hatte in den paar Tagen eine ganze Menge Geld ausgegeben, und so mußte sie annehmen, daß er ganz gut gepolstert wäre. Vielleicht hatte er auch so getan, als spiele er bei der Presse in Toronto eine ziemlich bedeutende Rolle. Das stimmte nicht. Er war knapp ein Jahr aus dem College und verdiente fünfundfünfzig Dollar die Woche.