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Die großen buddhistischen Weisheitstexte über die Liebe alltagsnah erklärt vom weltweit bekannten Zen-Lehrer Wie können wir unsere Beziehungen liebevoller und ehrlicher gestalten und mit Konflikten konstruktiver umgehen? Der bekannte buddhistische Meister Thich Nhat Hanh vermittelt in diesem spirituellen Ratgeber sehr lebensnah, wie wir die Kunst erlernen können, wirklich zu lieben. Ein zentraler Stellenwert kommt dabei der Liebe zu, die wir für uns selbst entwickeln, denn nur wer sich selbst annehmen kann, besitzt die Fähigkeit, auch für andere da zu sein. Für diese Selbstakzeptanz müssen wir uns mit unseren schmerzhaften Erfahrungen in der Vergangenheit auseinandersetzen, unsere Wunden tief betrachten, um Versöhnung möglich zu machen. Gefühle wie Angst, Wut und Sorge können verwandelt und die Samen der Liebe und des Glücks in uns genährt werden. Zahlreiche Meditationen, Achtsamkeits-Übungen und Selbstreflexionen helfen, unsere Liebesfähigkeit zu entwickeln, negative Beziehungsstrukturen zu verändern und liebevoll mit uns und anderen zu sein. Damit bereichern wir nicht nur unser Leben, sondern leisten auch einen Beitrag für eine friedlichere Welt.
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Seitenzahl: 271
Thich Nhat Hanh
Aus dem amerikanischen Englisch von Karen Siebert und Ursula Richard
Knaur eBooks
Die großen buddhistischen Weisheitstexte über die Liebe alltagsnah erklärt vom weltweit bekannten Zen-Lehrer
Wie können wir unsere Beziehungen liebevoller und ehrlicher gestalten und mit Konflikten konstruktiver umgehen? Der bekannte buddhistische Meister Thich Nhat Hanh vermittelt anschaulich, wie wir die Kunst erlernen können, wirklich zu lieben.
Ein zentraler Stellenwert kommt dabei der Liebe zu, die wir für uns selbst entwickeln, denn nur wer sich selbst annehmen kann, besitzt die Fähigkeit, auch für andere da zu sein. Für diese Selbstakzeptanz müssen wir uns mit unseren schmerzhaften Erfahrungen in der Vergangenheit auseinandersetzen, unsere Wunden tief betrachten, um Versöhnung möglich zu machen. Gefühle wie Angst, Wut und Sorge können verwandelt und die Samen der Liebe und des Glücks in uns genährt werden.
Zahlreiche Meditationen, Achtsamkeits-Übungen und Selbstreflexionen helfen, unsere Liebesfähigkeit zu entwickeln, negative Beziehungsstrukturen zu verändern und liebevoll mit uns und anderen zu sein.
Damit bereichern wir nicht nur unser Leben, sondern leisten auch einen Beitrag für eine friedlichere Welt.
Einleitung
Die Vier Unermesslichen Geisteshaltungen
Liebe (Maitri)
Mitgefühl (Karuna)
Freude
Gleichmut (Upeksha)
Liebesmeditation
Wahrhaftige Liebe
Liebe zu sich selbst
Liebe und Verstehen
Nährendes Glück
Aufmerksames Zuhören und liebevolles Sprechen
Achtsam miteinander leben
Eine Rose für deine Tasche
Neubeginn
Die Fünf Achtsamkeitsübungen
Die erste Achtsamkeitsübung: Ehrfurcht vor dem Leben
Die zweite Achtsamkeitsübung: Wahres Glück
Die dritte Achtsamkeitsübung: Wahre Liebe
Die vierte Achtsamkeitsübung: Liebevolles Sprechen und tiefes Zuhören
Die fünfte Achtsamkeitsübung: Nahrung und Heilung
Sangha / Gemeinschaft
Die Sechs Erdberührungen
Die erste Erdberührung
Die zweite Erdberührung
Die dritte Erdberührung
Die vierte Erdberührung
Die fünfte Erdberührung
Die sechste Erdberührung
Die Drei Niederwerfungen
Die erste Niederwerfung
Die zweite Niederwerfung
Die dritte Niederwerfung
Glücklich können wir nur sein, wenn wir auch lieben können. Wahre Liebe vermag die Situation, in der wir leben, zu heilen und zu transformieren, und sie gibt unserem Leben einen tieferen Sinn. Die Lehren des Buddha über die Liebe sind klar, wissenschaftlich fundiert und leicht auf das tägliche Leben anwendbar. Wir alle können von diesen Lehren profitieren.
Als der Sohn des Buddha, Rahula, ein junger Novize war, empfahl der Buddha ihm, sich darin zu üben, wie die Erde mit ihren Meeren und Flüssen zu sein. Ganz gleich, was die Menschen auf die Erde schütten, ob Milch, Blumen oder Kompost, die Erde nimmt alles auf. Warum? Weil die Erde groß und weit ist und die Kraft hat, alles in Erdreich, Pflanzen und Blumen zu verwandeln. Wenn man eine Handvoll Salz in eine Tasse Wasser schüttet, wird das Wasser ungenießbar. Aber wird die gleiche Menge Salz in einen Fluss geschüttet, kann das Wasser von Menschen weiterhin zum Kochen, Waschen und Trinken verwendet werden. Der Fluss enthält so unermesslich viel Wasser, und er vermag alles zu empfangen, zu umarmen und zu verwandeln.
Wenn unser Herz groß und weit ist, können wir wie ein solcher Fluss sein. Ist unser Herz klein und eng, sind auch unser Verstehen und unser Mitgefühl begrenzt, und wir leiden. Wir können andere in ihren Schwächen nicht akzeptieren oder tolerieren, und wir wollen, dass sie sich ändern. Doch hat sich unser Herz geöffnet, leiden wir nicht mehr darunter, wie die anderen sind. Wir haben viel mehr Verständnis und Mitgefühl für sie, können sie so annehmen und umarmen, wie sie sind. Das gibt den anderen die Chance, sich zu verändern. Die große Frage ist also: Wie helfen wir unserem Herz zu wachsen, sich zu öffnen? Durch Übung kann unser Herz unendlich groß werden, so groß wie das Herz des Buddha, imstande, den ganzen Kosmos zu umarmen.
Der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry hat geschrieben, dass Liebe nicht nur bedeute, einander anzuschauen, sondern gemeinsam in dieselbe Richtung zu schauen. Über diese Aussage habe ich oft nachgedacht. Eines Tages stellte ich mir ein Paar vor, das zusammen in die gleiche Richtung schaut. Ich musste lachen, denn in der Richtung, in die sie schauten, stand der Fernseher. Wenn zwei Menschen keine Freude mehr daran finden, einander anzuschauen, und stattdessen dahin schauen, wo es Ablenkung gibt, ist das keine wahre Liebe.
Was bedeutet es also zu lieben? Lieben heißt, einander anzuschauen und gemeinsam in dieselbe Richtung zu blicken. Wenn wir wirklich wissen, wie man schaut, dann ist es wunderbar, sich gegenseitig anzuschauen. Denn wenn man weiß, wie man die andere Person anschaut, und so ihre grundlegende Güte und Schönheit entdeckt, hat man die Chance, diese Qualitäten in sich selbst zu entdecken. Den anderen Menschen anzuschauen heißt auch, sich selbst anzuschauen. So werden wir entdecken können, dass Liebe etwas zutiefst Reales ist; allen von uns wird so die Möglichkeit zuteil, Liebe als etwas zu erfahren, das wirklich existiert. Liebe ist die Energie, die uns hilft, stark zu sein und uns um das Wohlergehen anderer Menschen und anderer Lebewesen zu kümmern.
Weil wir die Kunst des achtsamen Lebens noch nicht kennen, unterlaufen uns in unserem täglichen Leben immer wieder Fehler, und das setzt in uns und den Menschen um uns herum leidvolle Prozesse in Gang. Wir bereiten unseren Familien, Freundinnen und Kollegen Leid, weil wir sie nicht gut genug verstehen und zu ungeduldig mit ihnen sind. Das belastet unsere Beziehungen zunehmend immer mehr, und eines Tages stellen wir fest, dass es gar keine Verständigung zwischen uns mehr gibt, dass die Kommunikation vollkommen blockiert ist.
Wir alle brauchen das Gefühl, geliebt zu werden, und wir alle brauchen das Gefühl zu lieben.
Am Morgen seiner Erleuchtung hat der Buddha erkannt, dass uns allen die Fähigkeit, zu lieben und zu verstehen, innewohnt. Aber oftmals scheinen wir das nicht zu glauben und bereiten uns selbst und anderen weiterhin Leid. Vielleicht haben wir noch nicht ausreichend Zeit gehabt, um tief in die Natur unserer Liebe zu schauen, um uns klar darüber zu werden, worum es in unserer Liebe geht, und um zu verstehen, warum, wenn wir lieben, so oft Leid daraus erwächst.
Im Buddhismus hat die Liebe eine sehr tiefe, sehr klare Bedeutung. In diesem Buch erforsche ich die Elemente wahrer Liebe und beschreibe Übungen, mit denen wir wahre Liebe in uns selbst entwickeln.
Zu Lebzeiten des Buddha beteten die Menschen brahmanischen Glaubens darum, dass sie in den Himmel gelangten und dort mit Brahma, dem universellen Gott, weilen dürften. Eines Tages fragte ein Brahmane den Buddha: »Was kann ich tun, um sicherzugehen, dass ich nach meinem Tode wirklich mit Brahma vereint sein werde?« Der Buddha antwortete ihm: »Da Brahma die Quelle der Liebe ist, so musst du, um mit ihm vereint zu sein, die Brahmaviharas1 praktizieren – Liebe, Mitgefühl, Freude und Gleichmut.« Ein vihara ist eine Unterkunft oder ein Aufenthaltsort. Liebe (liebende Güte) heißt auf Sanskrit maitri, auf Pali metta. Mitgefühl heißt in beiden Sprachen karuna, Freude mudita. Gleichmut heißt auf Sanskrit upeksha und auf Pali upekkha. Die Brahmaviharas sind vier Bestandteile wirklicher Liebe. Sie werden »unermesslich« genannt, weil sie mit jedem Tag, den du sie praktizierst, wachsen, bis sie schließlich die ganze Welt umfassen. Du wirst dabei glücklicher, und die Menschen um dich herum werden es auch.
Der Buddha respektierte das Bedürfnis der Menschen, ihren eigenen Glauben zu praktizieren. Deshalb wählte er auf die Frage des Brahmanen eine Antwort, die diesen dazu ermutigte. Wenn du Freude an der Sitzmeditation hast, so übe dich in Sitzmeditation. Magst du Gehmeditation, übe dich in Gehmeditation. Aber bleibe bei deinen jüdischen, christlichen oder moslemischen Wurzeln. Auf diese Weise trägst du den Geist Buddhas weiter. Bist du von deinen Wurzeln abgeschnitten, kannst du nicht glücklich sein.
Nagarjuna, der buddhistische Philosoph des 2. Jahrhunderts, sagte Folgendes:
Den unermesslichen Geisteszustand der Liebe zu praktizieren beseitigt den Ärger in den Herzen der Lebewesen. Den unermesslichen Geisteszustand des Mitgefühls zu praktizieren beseitigt allen Kummer und alle Angst in den Herzen der Lebewesen. Den unermesslichen Geisteszustand der Freude zu praktizieren beseitigt Traurigkeit und Freudlosigkeit in den Herzen der Lebewesen. Den unermesslichen Geisteszustand des Gleichmuts zu praktizieren beseitigt Hass, Abneigung und Anhaftung in den Herzen der Lebewesen.2
Wenn wir lernen, uns in Liebe, Mitgefühl, Freude und Gleichmut zu üben, werden wir in der Lage sein, die Krankheiten Ärger, Kummer, Unsicherheit, Traurigkeit, Hass, Einsamkeit und unheilsame Anhaftungen zu heilen. Im Anguttara Nikaya lehrt der Buddha: »Wenn der Geisteszustand des Ärgers aufkommt, kann der bikkhu, der Mönch, die Meditation der Liebe, des Mitgefühls oder des Gleichmuts für die Person üben, durch die der Ärger entstanden ist.«3
Einige Kommentatoren der Sutras halten die Brahmaviharas nicht für die höchsten Lehren des Buddha, da sie ihrer Meinung nach nicht dazu beitragen, dem Leid und den Verstrickungen ein Ende zu setzen. Das ist nicht richtig. Einmal sagte der Buddha zu seinem treuen Diener Ananda: »Wenn du die jungen Mönche diese vier unermesslichen Geisteshaltungen lehrst, so werden sie Sicherheit, Stärke und Freude empfinden, ohne jegliche Verstrickung des Körpers und des Geistes. Für ihr gesamtes Leben werden sie ein gutes Rüstzeug besitzen, den reinen Weg der Mönche zu gehen.«4 Ein andermal besuchte eine Gruppe von Schülern des Buddha das nahe gelegene Kloster einer anderen spirituellen Schule, und die Mönche dort stellten die Frage: »Wir haben gehört, dass euer Lehrer Gautama die vier unermesslichen Geisteshaltungen der Liebe, des Mitgefühls, der Freude und des Gleichmuts lehrt. Auch unser Lehrer lehrt sie. Welches ist dann der Unterschied?« Die Schüler des Buddha wussten darauf keine Antwort. Als sie zu ihrem Kloster zurückkehrten, sagte der Buddha zu ihnen: »Wer die vier unermesslichen Geisteshaltungen zusammen mit den sieben Erleuchtungsfaktoren, den vier edlen Wahrheiten und dem edlen achtfachen Pfad praktiziert, wird tiefe Erleuchtung erfahren.«5
Liebe, Mitgefühl, Freude und Gleichmut sind die wahre Natur eines erleuchteten Menschen. Sie sind die vier Aspekte wirklicher Liebe in uns, in den anderen Lebewesen und in allem, was existiert.
Der erste Aspekt wirklicher Liebe ist maitri, die Absicht und Fähigkeit, Freude und Glück zu schenken. Wollen wir diese Fähigkeit entwickeln, so müssen wir uns darin üben, wirklich tief in alles hineinzuschauen und hineinzuhören, um zu erkennen, was wir tun oder lassen sollten, um andere glücklich zu machen.
Wenn du dem Menschen, den du liebst, etwas schenkst, das er nicht gebrauchen kann, so ist das kein Maitri. Du musst seine wirkliche Situation erkennen, sonst macht dein Geschenk ihn eher unglücklich.
In Südostasien lieben die Menschen eine Frucht ganz besonders: Sie ist groß und stachelig und wird Durian genannt. Man könnte sogar sagen, die Menschen seien süchtig danach. Die Frucht hat einen intensiven Geruch, und wenn die Leute sie verzehrt haben, legen sie noch die Schale unters Bett, damit sie sich weiterhin an dem Geruch erfreuen können. Ich hingegen finde den Geruch der Durian sehr unangenehm. Als ich eines Tages allein in einem Tempel in Vietnam in Meditation saß, lag da eine Durian auf dem Altar, als Opfergabe für den Buddha. Ich wollte das Lotus-Sutra rezitieren und mich dabei mit einer hölzernen Trommel und einer großen Klangschale begleiten. Es gelang mir jedoch nicht, mich zu konzentrieren. Schließlich nahm ich die Klangschale mit nach vorne zum Altar und stülpte sie über die Durian, sodass sie darin gefangen war. Nun konnte ich endlich das Sutra rezitieren. Nachdem ich es beendet hatte, verbeugte ich mich vor dem Buddha und befreite die Durian. Wenn ihr jetzt zu mir kommen und sagen würdet: »Thây, wir lieben dich so sehr, und wir möchten gern, dass du etwas von dieser Durian isst«, dann wäre das für mich sehr schlimm. Ihr liebt mich, wollt mich glücklich sehen, aber ihr wollt mich zwingen, eine Durian zu essen. Das ist ein Beispiel für Liebe ohne Verstehen. Eure Absicht ist gut, aber ihr habt noch kein richtiges Verständnis.
Ohne Verständnis ist eure Liebe keine wirkliche Liebe. Ihr müsst sehr tief schauen, um die Bedürfnisse, Hoffnungen und das Leid der Menschen zu erkennen und zu verstehen. Wir alle brauchen Liebe. Liebe bringt uns Freude und ein Wohlgefühl. Sie ist so natürlich wie die Luft. Wir werden von der Luft geliebt; frische Luft brauchen wir, um uns glücklich und wohl zu fühlen. Die Bäume lieben uns. Sie brauchen wir, um gesund zu sein. Um geliebt zu werden, müssen wir selbst lieben, und das bedeutet, wir müssen verstehen. Damit unsere Liebe weiterfließen kann, müssen wir lernen, in jeweils angemessener Weise zu handeln oder nicht zu handeln, um die Luft, die Erde, die Bäume und die Menschen, die wir lieben, zu beschützen.
Maitri kann übersetzt werden mit »Liebe« oder mit »Liebende Güte«. Manche Lehrenden bevorzugen den Begriff »Liebende Güte«, denn sie empfinden das Wort »Liebe« als zu verfänglich. Ich hingegen ziehe den Ausdruck »Liebe« vor. Manchmal werden Wörter richtiggehend krank, und dann müssen wir sie heilen. Das Wort Liebe benutzen wir zumeist im Sinne von Appetit oder Verlangen, so sagen wir zumBeispiel: »Ich liebe Hamburger.« Sprache sollten wir mit mehr Vorsicht und Sorgfalt benutzen. Die Bedeutung des Wortes Liebe müssen wir wiederherstellen, denn Liebe ist ein sehr schönes Wort. Der Ausdruck maitri hat seine Wurzel im Wort mitra, was Freund bedeutet. Im Buddhismus ist Freundschaft die ursprüngliche Bedeutung von Liebe.
Alle tragen wir die Samen der Liebe in uns. Diese wundervolle Energiequelle können wir entwickeln, indem wir die Liebe in uns nähren, die nicht an Bedingungen geknüpft ist, die keinerlei Gegenleistung verlangt. Wenn wir für jemanden tiefes Verständnis entwickeln, und sei es für einen Menschen, der uns Schlimmes angetan hat, dann können wir gar nicht anders, als ihn zu lieben. Der Buddha Shakyamuni hat verkündet, dass der zukünftige Buddha Maitreya heißen wird, Buddha der Liebe.
Der zweite Aspekt wirklicher Liebe ist karuna, die Absicht und die Fähigkeit, Leid von jemandem zu nehmen und zu transformieren und Kummer zu lindern. Karuna wird häufig mit »Mitleid« (»compassion«) übersetzt, aber das ist nicht richtig, ist ungenau. »Mitleid« setzt sich zusammen aus »mit« (zusammen mit) und »leiden«. Wir brauchen aber nicht zu leiden, um einen anderen Menschen von seinem Leid zu befreien. Ärztinnen können beispielsweise das Leiden ihrer Patienten lindern, ohne selbst die jeweilige Krankheit zu erleiden. Wenn wir zu sehr leiden, sind wir viel zu mitgenommen, um noch jemandem helfen zu können. So sollten wir eher das Wort »Mitgefühl« benutzen, um Karuna zu übersetzen.
Um Mitgefühl in uns zu entwickeln, müssen wir achtsames Atmen praktizieren, aufmerksames Zuhören und tiefes Schauen. Das Lotus-Sutra beschreibt Avalokiteshvara als Bodhisattva, der oder die »mit den Augen des Mitgefühls schaut und mit aller Aufmerksamkeit auf die Schreie der Welt hört«. Mitgefühl beinhaltet ein tiefes Sich-betroffen-Fühlen, bedeutet engagiert sein. Wenn du weißt, dass die andere Person leidet, so setzt du dich ganz nahe zu ihr. Du schaust sie intensiv an und hörst ihr zu, damit du ihr Leid berühren kannst. Du befindest dich in tiefer Kommunikation, tiefer Verbindung mit ihr, und allein das bringt ihr schon Erleichterung.
Ein Wort, eine Handlung, ein Gedanke allein kann schon ausreichen, um das Leid eines Menschen zu lindern und ihm Freude zu bereiten. Ein Wort kann Trost und Vertrauen schenken, Zweifel zerstreuen, jemandem helfen, einen Fehler zu vermeiden, kann einen Konflikt beilegen oder das Tor zur Befreiung öffnen. Eine Handlung vermag das Leben eines Menschen zu retten oder ihm dabei zu helfen, eine einzigartige Chance wahrzunehmen. Das Gleiche kann ein Gedanke bewirken, denn Gedanken führen stets zu Worten und Handlungen. Haben wir Mitgefühl im Herzen, so kann jeder Gedanke von uns, jedes Wort und jede Tat ein Wunder vollbringen.
Als Novize konnte ich nicht verstehen, weshalb der Buddha so ein wundervolles Lächeln zeigt, wo die Welt doch voller Leiden ist. Weshalb macht ihm all das Leiden nichts aus? Erst später fand ich heraus, dass der Buddha so viel Verstehen, Ruhe und Stärke besitzt, dass ihn das Leiden nicht überwältigt. So ist er in der Lage, dem Leiden zuzulächeln, denn er weiß, wie er damit umgehen muss und wie er es verwandeln kann. Wir müssen das Leiden erkennen, aber wir müssen dabei auch unsere Klarheit, Ruhe und Stärke behalten, damit wir die Situation verändern können. Ist Mitgefühl vorhanden, so brauchen wir nicht im Ozean der Tränen zu versinken. Diese Haltung erlaubt dem Buddha, solch ein Lächeln zu zeigen.
Das dritte Element wirklicher Liebe ist mudita, Freude. Wirkliche Liebe bringt stets uns und denen, die wir lieben, Freude. Tut sie das nicht, so ist es keine wirkliche Liebe.
Einige Kommentatoren haben erklärt, dass Glück sich stets auf Körper und Geist bezieht, Freude aber vornehmlich auf den Geist, und sie haben diese Unterscheidung mit folgendem Beispiel illustriert: Ein Mensch, der durch die Wüste reist, entdeckt einen Fluss mit klarem Wasser und empfindet Freude darüber. Wenn er das Wasser trinkt, empfindet er Glück. Ditthadhamma sukhavihari bedeutet »glücklich im gegenwärtigen Moment verweilen«. Wir eilen nicht in die Zukunft, wissen wir doch, dass alles hier im gegenwärtigen Moment vorhanden ist. Viele kleine Dinge können uns unglaubliche Freude bereiten, so die Feststellung, dass wir Augen haben, die gut funktionieren. Wir brauchen bloß die Augen zu öffnen, und wir sehen den blauen Himmel, die lila Blumen, die Kinder, die Bäume und noch viele andere Formen und Farben. Wenn wir in Achtsamkeit verweilen, können wir diese wundervollen und beglückenden Dinge berühren, und der Geist der Freude steigt ganz natürlich in uns auf. Freude enthält Glück, und Glück enthält Freude.
Es gibt Kommentatoren, die sagen, dass Mudita »mitfühlende Freude« oder »altruistische Freude« bedeute, das Glück also, das wir fühlen, wenn andere glücklich sind. Aber das ist eine zu enge Betrachtungsweise, denn sie unterscheidet zwischen uns und anderen. Eine tiefer gehende Definition von Mudita ist Freude, die Frieden und Zufriedenheit beinhaltet. Wir freuen uns, wenn wir andere glücklich sehen, aber unser eigenes Wohlergehen schätzen wir auch. Wie können wir denn Freude für jemand anderes empfinden, wenn wir keine Freude uns selbst gegenüber empfinden? Freude ist für alle da.
Das vierte Element wirklicher Liebe ist upeksha, was Gleichmut, Nicht-Anhaften, Nicht-Unterscheiden, Ausgeglichenheit im Geiste oder Loslassen bedeutet. Upa heißt »über«, und iksh heißt »schauen«. Du kletterst auf einen Berg, um dir eine Übersicht über die gesamte Situation zu verschaffen, ohne an die eine oder andere Seite gebunden zu sein. Wenn es in deiner Liebe Anhaftung, Unterscheidung, Voreingenommenheit oder Festklammern gibt, so ist das keine wirkliche Liebe. Menschen, die den Buddhismus nicht verstehen, glauben manchmal, Upeksha bedeute Gleichgültigkeit, aber wirklicher Gleichmut ist weder kalt noch gleichgültig. Du hast nicht nur ein Kind, sondern alle sind deine Kinder. Upeksha bedeutet nicht, dass du nicht liebst. Vielmehr liebst du auf eine Weise, dass alle deine Kinder deine Liebe spüren, du liebst, ohne Unterschiede zu machen.
Upeksha beinhaltet auch den Aspekt von samatajnana, der »Weisheit der Gleichheit«, die Fähigkeit also, alle als gleichwertig zu erkennen, nicht zu unterscheiden zwischen uns und anderen. In einem Konflikt bleiben wir, selbst bei großer Betroffenheit, unparteiisch, sind in der Lage, beide Seiten zu lieben und zu verstehen. Wir werfen alle Unterscheidung und alle Voreingenommenheit ab, beseitigen die Trennlinien zwischen uns und anderen. Solange wir nämlich uns als die Liebenden und die anderen als die, die geliebt werden, betrachten, solange wir uns selbst höher schätzen als die anderen oder uns als von ihnen verschieden sehen, so lange besitzen wir keinen wirklichen Gleichmut. Wir müssen »in die Haut der anderen schlüpfen«, eins werden mit ihnen, wenn wir sie wirklich lieben und verstehen wollen. Geschieht dies, so gibt es kein »ich« und »andere«.
Ohne Gleichmut kann unsere Liebe leicht besitzergreifend werden. Eine Sommerbrise kann sehr erfrischend sein; wollen wir sie aber in einer Dose verschließen, um sie ganz allein zu besitzen, so stirbt die Brise. Mit dem geliebten Menschen ist es genauso. Er ist wie eine Wolke, eine Brise, eine Blume. Stecken wir ihn in eine Konservendose, so stirbt er. Dennoch tun viele Menschen genau das. Sie berauben ihren geliebten Partner der Freiheit, bis er nicht mehr er selbst sein kann. Sie leben nur, um sich selbst Befriedigung zu verschaffen, und dabei benutzen sie den anderen zur Erfüllung ihrer Wünsche. Das ist keine Liebe – das ist zerstörerisch. Du sagst, du liebst den anderen Menschen, aber wenn du seine Hoffnungen, seine Bedürfnisse und Schwierigkeiten nicht verstehst, so befindet er sich in einem Gefängnis, Liebe genannt. Wirkliche Liebe ermöglicht dir, deine Freiheit und die des geliebten Menschen zu bewahren. Das ist Upeksha.
Wenn es sich um wirkliche Liebe handeln soll, so muss sie Mitgefühl, Freude und Gleichmut beinhalten. Wahres Mitgefühl trägt Liebe, Freude und Gleichmut in sich. Wirkliche Freude beinhaltet Liebe, Mitgefühl und Gleichmut. Und wirklicher Gleichmut trägt Liebe, Mitgefühl und Freude in sich. Das ist die Natur des Ineinander-verwoben-Seins der vier unermesslichen Geisteshaltungen. Als der Buddha den Brahmanen aufforderte, die vier unermesslichen Geisteshaltungen zu praktizieren, schenkte er uns allen damit eine sehr wertvolle Lehre. Wir müssen sie jedoch tiefgehend betrachten und sie praktizieren, damit wir diese vier Aspekte in unser Leben und das derjenigen, die wir lieben, einbeziehen können.
Im Laufe seines Lebens hat der Buddha viele Meditationen über die Liebe entwickelt. Eines Tages erzählte ihm eine Gruppe von Mönchen, dass die Geister, die im Wald in der Nähe ihres Klosters lebten, andere quälten und ihnen Leid bereiteten. Der Buddha erwiderte, dass diese Geister sich so verhielten, weil sie selbst litten, und er lehrte das Metta Sutta6, die Rede über die Liebe:
Wer Frieden erlangen möchte, sei aufrichtig und bescheiden, sei fähig zu liebevollem Sprechen. Er oder sie wird wissen, wie man einfach und glücklich leben kann – mit ruhigen Sinnen, ohne Habsucht und unbeeinflusst von den Gefühlen der Mehrheit. Nichts sollte eine solche Person tun, das von den Weisen missbilligt werden könnte.
(Und dies wird sie sich stets vergegenwärtigen:)
Mögen alle Wesen glücklich und wohlbehalten sein, und mögen ihre Herzen von Freude erfüllt sein. Mögen sie alle in Sicherheit und Frieden leben – ob sie nun schwach sind oder stark, lang oder kurz, groß oder klein, sichtbar oder unsichtbar, nah oder fern, bereits geboren oder noch nicht geboren. Mögen sie alle in vollkommener Gelassenheit weilen.
Kein Wesen verletze je ein anderes, noch gefährde es das Leben eines anderen; kein Wesen wünsche einem anderen aus Ärger oder Übelwollen je Kummer oder Leid.
Genau so, wie eine Mutter ihr einziges Kind liebt und unter Einsatz ihres Lebens schützt, sollten auch wir grenzenlose, allumfassende Liebe für alle Lebewesen entwickeln, wo immer sie sich auch befinden mögen. Unsere grenzenlose Liebe sollte das ganze Universum durchdringen, nach oben, nach unten und überallhin. Unsere Liebe wird keine Hindernisse kennen, und unsere Herzen werden vollkommen frei von Hass und Feindseligkeit sein. Ob wir stehen oder gehen, sitzen oder liegen – solange wir wach sind, sollten wir diese liebende Achtsamkeit in unseren Herzen bewahren. Das ist die vornehmste Lebensweise. Frei von falschen Ansichten, von Gier und sinnlichem Verlangen sind die, die grenzenlose Liebe praktizieren; sie leben in Schönheit, verwirklichen vollkommenes Verstehen und werden mit Gewissheit über Geburt und Tod hinausgelangen.
Nachdem die Mönche einige Monate das Metta Sutta rezitiert und praktiziert hatten, verstanden sie schließlich das Leiden der armen Geister. Die Folge war, dass auch die Geister zu praktizieren begannen. Die Energie der Liebe erfüllte sie, und der ganze Wald war erfüllt von Frieden.
Der Buddha bot seinen Schülern viele besondere Übungen an, um ihnen in ihrer Praxis und in ihrer Verwirklichung der vier unermesslichen Geisteshaltungen zu helfen:
Wenn dein Herz von Liebe erfüllt ist, dann sende sie in eine Richtung, danach in eine andere, in eine dritte, dann in eine vierte, schließlich nach oben und nach unten. Identifiziere dich mit allen und allem, ohne Hass, Ablehnung, Ärger oder Feindseligkeit. Dieser Geist der Liebe ist weit offen. Er wächst ins Unermessliche und vermag es schließlich, die ganze Welt zu umarmen. Auf gleiche Weise praktiziere, wenn dein Geist erfüllt ist von Mitgefühl, dann von Freude und schließlich von Gleichmut.7
Ist sein Geist erfüllt von Liebe, schickt der Mönch sie in eine Richtung, danach in eine zweite, eine dritte und eine vierte, nach oben und nach unten und rings um sich herum. Überall identifiziert er sich mit allen und allem. Er durchdringt die ganze Welt mit seinem Geist voller Liebe, einem Geist, der in die Weite reicht, der entwickelt ist sowie ungebunden und frei von Hass und Übelwollen. So verfährt er auch mit seinem Geist, der erfüllt ist von Mitgefühl, Freude und Gleichmut.8
Wenn die Energie der Liebe stark ist in uns, können wir sie unzähligen Wesen in allen Richtungen zukommen lassen. Dabei müssen wir jedoch aufpassen, dass wir die Liebesmeditation nicht lediglich als bloße Vorstellung verstehen – wir stellen uns unsere Liebe als Wellen von Klang oder Licht vor oder als eine reine, weiße Wolke, die sich langsam formt und ausdehnt, bis sie die ganze Welt umhüllt. Eine wirkliche Wolke erzeugt Regen. Klang und Licht durchdringen alles, und genauso muss es unsere Liebe tun. Wir müssen beobachten, ob unser Geist der Liebe mitten im Alltag, in unserem Kontakt mit anderen wirklich da ist. Ist er gegenwärtig, so zeigt sich das an der Art, wie wir reden und handeln. Liebesmeditation im Sitzen zu praktizieren ist nur der Anfang.
Es ist allerdings ein wichtiger Anfang. Still sitzen wir da und schauen tief in uns hinein. Während wir praktizieren, wird unsere Liebe ganz natürlich anwachsen, wird schließlich allumfassend, schließt alles in ihre Arme. Indem wir lernen, mit den Augen der Liebe zu sehen, leeren wir unseren Geist von Ärger und Hass. Solange sich diese negativen Geistesformationen oder geistigen Gebilde noch in uns befinden, ist unsere Liebe unvollkommen. Wir denken vielleicht, wir verstehen und akzeptieren andere, aber in Wirklichkeit sind wir dazu noch keineswegs in der Lage. Nagarjuna sagt: »Immer, wenn ihr die unermessliche Geisteshaltung der Liebe praktiziert, müsst ihr tief in die Dinge hineinschauen und euch mit eurem Ärger und Hass konfrontieren.«9
In seiner Einführung zu Nagarjunas Mahaprajnaparamita Shastra schrieb Étienne Lamotte, der Übersetzer: »Die vier unermesslichen Geisteshaltungen sind nur ein platonisches Ideal« – also reine Vorstellungen und nicht etwas, das man realisieren kann. Professor Lamotte war gewiss ein ausgezeichneter Übersetzer, aber er war mit buddhistischer Praxis nicht sehr vertraut. In dem Augenblick, in dem wir in uns den Wunsch erstehen lassen, dass alle Wesen glücklich und in Frieden leben mögen, bildet sich in unserem Geist die Energie der Liebe. Geschieht dies, so werden all unsere Gefühle, Vorstellungen, geistigen Formationen und unser Bewusstsein von Liebe durchdrungen, und tatsächlich werden sie Liebe. Das ist nicht bloß ein »Ideal«.
Nagarjuna spricht dies direkt an:
Wenn wir möchten, dass die Wesen aller Richtungen glücklich sind, so entsteht in uns das Bedürfnis, die Absicht, zu lieben. Dieser Wunsch, zu lieben, dringt in unsere Gefühle, Vorstellungen, Geistesformationen und unser Bewusstsein; er manifestiert sich schließlich in all unseren Handlungen, unserer Rede und unseren anderen geistigen Aktivitäten. Die Dinge, die sodann entstehen und weder geistiger noch körperlicher Natur sind, stehen in Einklang mit der Liebe und können selbst Liebe genannt werden, da Liebe ihre Wurzel ist. Solche Ereignisse bestimmen unsere späteren Handlungen, und sie werden von unserem Willen gesteuert, der nun verschmolzen ist mit der Liebe. Der Wille ist die Energie, die unser Tun und Reden lenkt. Das Gleiche gilt für das Entstehen von Mitgefühl, Freude und Gleichmut.10
Achtsamkeit ist die Energie, die uns erlaubt, tief in unseren Körper, unsere Gefühle, Vorstellungen, unsere Geistesformationen und unser Bewusstsein hineinzuschauen und unsere wahren Bedürfnisse klar zu erkennen. Dann versinken wir nicht im Meer des Leidens. Schließlich erfüllt Liebe unseren Geist und unseren Willen11, und von da an manifestieren sich all unsere Handlungen als Liebe. So sprechen wir nur liebende und aufbauende Worte, und wir handeln nur in einer Weise, die Glück bringt und Leiden beseitigt. Rede und Handlungsweise sind die Früchte des Willens; also werden, wenn unser Wille durchdrungen ist von Liebe, unsere Rede und unsere Handlungen ebenfalls von Liebe durchdrungen sein.
In einer anderen Passage des Mahaprajnaparamita Shastra sagt Nagarjuna allerdings, dass die vier unermesslichen Geisteshaltungen lediglich ein Bestreben, ein Trachten, seien und nur in unserem Geist existierten. Dies entspricht Professor Lamottes platonischen Idealen. So hat Nagarjuna Professor Lamotte die Worte quasi bereits in den Mund gelegt! Wir müssen uns in diesem Zusammenhang aber vergegenwärtigen, dass Nagarjuna die Sichtweise des sich entwickelnden Mahayana-Buddhismus populär machen wollte, als er schrieb: »Die Anhänger des Hinayana praktizieren die vier unermesslichen Geisteshaltungen, aber was sie praktizieren, existiert nur in der Form eines Bestrebens, einer Bemühung. Die unermesslichen Geisteshaltungen werden aber erst, wenn sie mit den Paramitas des Mahayana verbunden werden, zu den unermesslichen Geisteshaltungen der Bodhisattvas, die die Welt verwandeln können.«
In seinem Bemühen, dem Mahayana Geltung zu verschaffen, irrte Nagarjuna mit der Behauptung, die vier unermesslichen Geisteshaltungen im Hinayana seien rein innerlich und würden sich nicht im Außen manifestieren. Damit widerspricht er aber auch dem, was er zuvor gesagt hatte, nämlich, dass, wenn der Geist der Liebe aufsteige, er sich in unseren Worten und Taten manifestiere. Es ist nicht korrekt zu sagen, Liebe, Mitgefühl, Freude und Gleichmut seien lediglich etwas Erstrebenswertes und existierten nur in unserem Geist. Wir praktizieren nicht nur, um die vier unermesslichen Geisteshaltungen in unserem Geist entstehen zu lassen, sondern um sie auch in unsere Worte und Taten einfließen zu lassen.
Wenn wir die Liebesmeditation praktizieren, stellen wir uns nicht nur einfach vor, wie unsere Liebe sich in den Raum hinein ausbreitet. Tatsächlich berühren wir die tiefen Quellen der Liebe, die sich bereits in uns befinden. Dann zeigen und teilen wir mitten im realen Alltag im Umgang mit anderen unsere Liebe. Wir praktizieren das so lange, bis wir die konkreten Auswirkungen unserer Liebe auf andere Wesen erkennen, bis wir in der Lage sind, selbst denen Frieden und Liebe zu schenken, die sich in eigentlich unliebenswerter Weise verhalten.
Nach Buddhaghosa, dem Autor des Pfad der Reinigung (Visuddhimagga), können wir, wenn unsere Meditation beginnt Früchte zu tragen, diese Zeichen eines liebenden Geistes in uns selbst wahrnehmen: 1. Unser Schlaf ist entspannter. 2. Wir haben keine Albträume. 3. Beim Aufwachen sind wir gelöster. 4. Wir sind weder ängstlich noch niedergedrückt. 5. Wir werden von allen und allem um uns herum geliebt und beschützt.
Im Anguttara Nikaya nennt der Buddha elf Vorteile, die die Praxis der Liebesmeditation mit sich bringt. Er spricht von Vorteilen und Nachteilen, weil dies die Menschen zur Praxis ermutigt.
Praktizierende können gut schlafen.
Beim Aufwachen ist ihnen leicht ums Herz.
Sie haben keine bösen Träume.
Wer praktiziert, ist bei vielen Menschen beliebt. Er oder sie kommt mit allen gut zurecht. Andere, vor allem Kinder, sind gern in der Nähe eines solchen Menschen.
Wer praktiziert, wird von den anderen nicht-menschlichen Lebewesen geschätzt: den Vögeln, Fischen, Elefanten, Eichhörnchen. Sichtbare und unsichtbare Wesen sind gern in der Nähe von Praktizierenden.
Praktizierende werden von Devas beschützt.
Sie werden vom Feuer, Gift und dem Schwert verschont, ohne diese aktiv meiden zu müssen.
Praktizierende erreichen leicht meditative Sammlung.
Sie haben strahlende, klare Gesichtszüge.
Sie gehen mit klarem Geist in die Stunde des Todes.
Sie werden im Brahma-Himmel wiedergeboren. Dort können sie mit der Praxis fortfahren, denn es gibt dort bereits eine Sangha, die die vier unermesslichen Geisteshaltungen praktiziert.
Im Itivuttaka sagt der Buddha: Zählten wir all unsere tugendhaften Taten zusammen, die wir auf der Welt vollbracht haben, dann kommen sie nicht der tugendhaften Tat gleich, Liebesmeditation zu praktizieren. Meditationszentren aufbauen, Altarbilder anfertigen lassen, Glocken gießen, Sozialarbeit – all dies macht nur ein Sechzehntel des Verdienstes aus, das wir mit Liebesmeditation erringen. Sammeln wir alles Sternenlicht, so reicht es nicht an das Licht des Mondes heran. Genauso ist Liebesmeditation zu praktizieren großartiger als alle anderen verdienstvollen Taten zusammen.
Liebesmeditation ist in gewisser Weise so, als würden wir tief im Boden graben, bis wir an reines Wasser gelangen. Tief schauen wir in uns hinein, bis Einsicht entsteht, und dann fließt unsere Liebe an die Oberfläche wie das reinste Wasser. Unsere Augen strahlen Freude und Glück aus, und jeder Mensch in unserer Umgebung kommt in den Genuss unseres Lächelns, unserer Gegenwart.
Im Anguttara Nikaya wird in dem Kapitel über die Eine Sache gesagt: Wenn ein Mönch auch nur für die Zeitdauer eines Fingerschnipsens den Geist der Liebe in sich erstehen lässt, dann ist er es wert, ein Mönch zu sein. »Dieser Mönch wird die meditative Sammlung nicht verfehlen. Er ist fähig, die Lehren zu verwirklichen, die ihm die Lehrer des Pfades geben; und das Essen, das man ihm als Almosen anbietet, ist nicht vergeudet. Wenn dieser Mönch nun jeden Tag im Geist der Liebe praktiziert, kann es da überhaupt ein größeres Verdienst geben?« Dies sind die Worte des Buddha.