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Das Hauptwerk des großen italienischen Romanciers am Beginn der Moderne, in glänzender Neuübersetzung: Unvergesslich erzählt Giovanni Verga vom Niedergang einer angesehenen und eigentlich ehrenwerten Familie. Ein Bild des alten Sizilien von elementarer Wucht. Hätte Padron 'Ntoni nur nicht die Idee mit den Lupinen gehabt – wenigstens einmal wollte auch er seinen Profit mit einem klandestinen Geschäft machen –, dann wäre es nie so weit gekommen. Aber sein Boot mit der sowieso schon verdorbenen und auf Pump gekauften Ware zerschellt am Felsen, die Besatzung einschließlich seines einzigen Sohns ertrinkt. Nun wollen die Schulden bezahlt werden. Der Familiensitz, das Haus mit dem Mispelbaum, geht verloren, aber die Enkel müssen trotzdem ordentlich großgezogen und verheiratet werden. Die Malavoglia arbeiten und schinden sich, und immer wenn es so aussieht, als könnten sie wieder auf die Füße fallen, kommt neues Ungemach. Der Älteste findet nach seiner Militärzeit nie wieder in die richtige Bahn und hadert mit der endlosen Schufterei, der Zweite stirbt im Krieg. Und kaum sind die Fässer voll mit eingesalzenen Sardellen, stürzen die Preise ab. Der eindrücklichen Geschichte der Familie Malavoglia ist das Bild des kleinen Orts Aci Trezza nahe Catania gegenübergestellt – ein Nest voller Eigenbrötler, deren Lebensläufe im ständigen Parlando von Unterhaltungen, Lebensweisheiten, Klagen und Pläneschmieden ausgebreitet werden. »Die Malavoglia« wurde 1948 unter dem Titel »La terra trema« von Luchino Visconti fürs Kino adaptiert, der Film gilt als herausragendes Werk des Neorealismo.
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Seitenzahl: 491
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Aus dem Italienischen neu übersetzt von Anna Leube. Mit einem Nachwort von Roberto Saviano
Die Arbeit der Übersetzerin am vorliegenden Text wurde vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert im Rahmen des Programms »NEUSTART KULTUR« aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Verlag und Übersetzerin danken Roberto Saviano für die freundliche Genehmigung zum Abdruck des eigens für die deutsche Neuausgabe geschriebenen Nachworts.
E-Book-Ausgabe 2022
© 2022 für diese Ausgabe: Verlag Klaus Wagenbach,
Emser Straße 40/41, 10719 Berlin, www.wagenbach.de
© 2022 für das Nachwort: Roberto Saviano
© 2022 für diese Ausgabe: Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41, 10719 Berlin
Covergestaltung: Julie August. Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.
Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.
ISBN: 9783803143365
Auch in gedruckter Form erhältlich: 978 3 8031 3346 5
www.wagenbach.de
Grundlage der vorliegenden Übersetzung ist die 1995 im Verlag Einaudi erschienene, von Ferruccio Cecco herausgegebene Ausgabe I Malavoglia. Testo critico, die wiederum auf der 1881 im Verlag Treves, Mailand, publizierten Erstausgabe des Romans beruht. Ceccos Edition enthält eine Einführung, eine Chronologie zu Vergas Leben und Werk, eine umfangreiche Bibliographie sowie ausführliche Fußnoten. Besonders hervorzuheben ist Leo Spitzers Aufsatz »L’originalità della narrazione nei Malavoglia« (erstmals in Belfagor, 31. 1. 1956), in dem der berühmte österreichische Romanist sich mit der »choralen Rede« und dem Stilmittel der erlebten Rede beschäftigt. Zum Anhang gehören ein in der italienischen Erstausgabe nicht enthaltenes Vorwort von Verga, seine Notizen zum Verlauf der Handlung und zur Charakterisierung der Personen, ein Register der in den Fußnoten kommentierten Begriffe und ein Verzeichnis der 295 im Text erscheinenden Sprichwörter.
Die erste deutsche Ausgabe erschien 1940 in Dresden im Wilhelm Heyne Verlag in der Übertragung von Charlotte Sauer. Unter dem Titel Die Malavoglias: Eine sizilianische Dorfgeschichte publizierte 1953 der Aufbau Verlag in Berlin eine Übersetzung von Ruth Macchi. Die erstmals 1945 in der Büchergilde Gutenberg in Zürich erschienene Übersetzung von René König wurde bis in die späten achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts mehrfach von verschiedenen Verlagen wiederaufgelegt.
Früher einmal hatte es so viele Malavoglia gegeben wie Steine auf der alten Straße nach Trezza; es gab sogar welche in Ognina und in Aci Castello, lauter gute, rechtschaffene Fischersleute, ganz im Gegensatz zu dem, was der Spitzname hätte vermuten lassen, wie es Brauch ist. Eigentlich hießen sie Toscano, so stand es im Kirchenbuch, doch das hatte nichts zu bedeuten, denn seit Urzeiten kannte man sie, Väter wie Söhne, in Ognina, in Trezza und in Aci Castello als die Malavoglia, Leute, die immer ein Boot auf dem Meer und Dachziegel an der Sonne gehabt hatten. Jetzt lebten in Trezza nur noch die Malavoglia von Padron ’Ntoni, die vom Haus mit dem Mispelbaum, deren Boot, die Provvidenza, auf dem Kies unterhalb vom Waschhaus vertäut war, neben der Concetta von Onkel Cola und dem Boot von Padron Fortunato Cipolla.
Die Stürme, die die anderen Malavoglia überallhin zerstreut hatten, waren über das Haus mit dem Mispelbaum und das unter dem Waschhaus vertäute Boot hinweggegangen, ohne größeren Schaden anzurichten, und um dieses Wunder zu erklären, pflegte Padron ’Ntoni eine Faust zu machen – eine Faust wie aus Nussbaumholz – und zu sagen: »Beim Rudern müssen sich die fünf Finger gegenseitig helfen.«
Er sagte auch: »Die Menschen sind wie die Finger einer Hand: Der Daumen muss ein Daumen sein und der kleine Finger ein kleiner Finger.«
Und tatsächlich war es mit der kleinen Familie von Padron ’Ntoni wie mit den Fingern einer Hand. Zuerst kam er selbst, der Daumen, er bestimmte, was zu tun war; dann sein Sohn Bastiano, genannt Bastianazzo, weil er groß und stark war wie der San Cristoforo, der unter den Arkaden des Fischmarkts in der Stadt abgebildet war, und so groß und stark er auch war, gehorchte er doch aufs Wort, und er hätte sich nicht die Nase geputzt, wenn sein Vater ihm nicht gesagt hätte: »Putz dir die Nase!«, und so hatte er auch die Longa geheiratet, als man ihm gesagt hatte: »Nimm sie.« Nach ihm kam die Longa, eine kleine Frau, die webte, Sardellen einsalzte, Kinder zur Welt brachte, eben eine gute Hausfrau; schließlich die Enkel, dem Alter nach: ’Ntoni, der Älteste, ein Tagedieb von zwanzig Jahren, der sich noch immer hin und wieder eine Ohrfeige vom Großvater holte und manchmal auch einen Fußtritt etwas tiefer, damit das Gleichgewicht wiederhergestellt wurde, wenn die Ohrfeige zu heftig gewesen war; Luca, »der mehr Verstand hatte als der Ältere«, wie der Großvater oft sagte; Mena, Filomena, auch genannt Sant’Agata, weil sie immer am Webstuhl saß, und es heißt ja: »Die Frau am Webstuhl, das Huhn im Stall, die Rotbarbe im Meer«; Alessi, Alessio, eine kleine Rotznase, ganz der Großvater!, und Lia, Rosalia, noch nicht Fisch und noch nicht Fleisch. Wenn sie sonntags hintereinander in die Kirche kamen, sah es aus wie eine Prozession.
Padron ’Ntoni kannte manche Redensarten und Sprichwörter, die er von den Alten gehört hatte, »denn das Wort der Alten spricht immer wahr«: »Kein Boot fährt ohne Steuermann.« »Will man Papst werden, muss man erst Sakristan sein.« Oder: »Bleib bei dem, was du gelernt hast, wirst du auch nicht reich dabei, hast du doch zu leben.« »Sei zufrieden mit dem, was dein Vater gemacht hat, so wirst du zumindest kein Spitzbub.« Und er kannte noch mehr solcher Lebensweisheiten.
Deshalb gedieh das Haus mit dem Mispelbaum, und Padron ’Ntoni galt als vernünftiger Kopf, weshalb man ihn in Trezza zum Gemeinderat gewählt hätte, wenn nicht der Sekretär Don Silvestro, ein rechter Schlaumeier, herumerzählt hätte, der sei ein Ewiggestriger, ein Erzreaktionär von dem Schlag, der die Bourbonen verteidigte, und setze sich heimlich für die Rückkehr Franceschellos ein, damit er im Dorf den Herrn spielen könnte, so wie er es im eigenen Haus tat.
Dabei kannte Padron ’Ntoni Franceschello nicht einmal vom Sehen, er kümmerte sich um seine eigenen Angelegenheiten und pflegte zu sagen: »Wer für sein Haus verantwortlich ist, der kann nicht schlafen, wann er will, denn: Wer befiehlt, der muss Rechenschaft ablegen.«
Im Dezember 1863 war ’Ntoni, der älteste Enkel, zur Marine einberufen worden. Damals war Padron ’Ntoni zu den Notabeln des Dorfs gelaufen, denn sie sind diejenigen, die einem helfen können. Doch Don Giammaria, der Pfarrer, hatte gesagt, es geschehe ihm ganz recht, und das sei das Ergebnis dieser teuflischen Revolution, bei der sie die Trikolore am Kirchturm aufgehängt hatten. Hingegen lachte Don Franco, der Apotheker, in seinen langen Bart und schwor ihm händereibend, wenn sie es schafften, ein Stück Republik einzuführen, würden alle, die die Einberufung und die Erhebung der Steuern betrieben, mit Fußtritten in den Hintern davongejagt, und Berufssoldaten werde es keine mehr geben, sondern alle miteinander würden, wenn nötig, in den Krieg ziehen. Da flehte ihn Padron ’Ntoni an, er solle sich doch um der Liebe Christi willen mit der Republik beeilen, bevor sein Enkel ’Ntoni einrücken müsse, so als hätte Don Franco das in seiner Hand, bis der Apotheker wütend wurde. Beim Anhören dieser Reden lachte sich Don Silvestro, der Gemeindesekretär, schief und sagte schließlich, wenn man dieser und jener Person, die er kenne, diskret ein Sümmchen zustecken würde, könnte man schon irgendeinen Makel an seinem Enkel finden, sodass er zurückgestellt würde. Leider Gottes war der Junge solide gebaut, so wie es noch heute in Aci Trezza die Regel ist. Und als der Militärarzt dieses Prachtstück von einem jungen Mann vor sich sah, sagte er zu ihm, sein einziger Makel sei, dass er wie eine Säule auf seinen riesigen Füßen stehe, die aussahen wie die breiten Blätter des Feigenkaktus; aber Füße, die aussehen wie die Blätter eines Feigenkaktus, taugen an manchen schlimmen Tagen auf der Brücke eines Kreuzers besser als enge Stiefel; und deshalb holten sie ’Ntoni, ohne auch nur »Gestatten!« zu sagen. Als die Rekruten in die Kaserne gebracht wurden, trabte die Longa keuchend neben den großen Schritten des Söhnchens her und ermahnte ihn, stets das Amulett der Madonna auf der Brust zu tragen und ihnen jedes Mal, wenn ein Bekannter aus der Stadt zurückkam, eine Nachricht für sie mitzugeben, das Geld fürs Briefpapier würden sie ihm dann schicken.
Der Großvater schwieg, weil er ein Mann war; doch auch er spürte einen Kloß in der Kehle, und er vermied es, die Schwiegertochter anzusehen, fast als sei er wütend auf sie. So kehrten sie nach Aci Trezza zurück, schweigend und mit gesenktem Kopf. Bastianazzo, der sich beeilt hatte, um die Segel der Provvidenza zu bergen, und dann am Anfang der Straße auf sie wartete, traute sich nicht, den Mund aufzumachen, als er sie so trübselig und mit den Schuhen in der Hand auftauchen sah, und ging mit ihnen nach Hause. Die Longa zog sich sofort in die Küche zurück, als hätte sie es eilig, mit den alten Töpfen und Pfannen allein zu sein, und Padron ’Ntoni sagte zu seinem Sohn: »Geh und sag was zu ihr, der Armen, sie kann nicht mehr.«
Am darauffolgenden Tag gingen alle zum Bahnhof von Aci Castello, um die Kolonne der Rekruten vorbeimarschieren zu sehen, die nach Messina fuhren, und warteten über eine Stunde lang hinter dem Zaun, eingezwängt in der Menge. Schließlich kam der Zug, und man sah all die jungen Männer, die mit den Armen fuchtelten und den Kopf zum Fenster hinausstreckten, wie die Ochsen, wenn man sie zum Markt bringt. Es wurde gesungen, gelacht und gelärmt, dass man hätte meinen können, auf dem Fest von Trecastagni zu sein, und in dem Gedränge und dem Trubel vergaß man sogar die Beklemmung des Herzens, die man zuvor gespürt hatte.
»Addio, ’Ntoni!« »Addio, Mama!« »Addio, vergiss uns nicht! Vergiss uns nicht!« Ganz in der Nähe, am Straßenrand, stand Sara, die Tochter von Comare Tudda, und schnitt Gras für das Kalb; aber Comare Venera Zuppidda ging umher und munkelte, das Mädchen sei gekommen, um von ’Ntoni, dem Enkel von Padron ’Ntoni, mit dem sie sich oft von der Mauer des Gärtchens aus unterhalten hatte, Abschied zu nehmen, mit eigenen Augen hatte sie die beiden gesehen, die Würmer sollten sie fressen, wenn das nicht stimmte. Fest stand, dass ’Ntoni Sara zuwinkte, und sie blieb mit der Sichel in der Hand stehen, bis der Zug sich in Bewegung setzte. Der Longa kam es vor, als hätte man ihr diesen Abschiedsgruß gestohlen, und noch lange danach drehte sie Sara, der Tochter von Comare Tudda, wann immer sie sie auf der Piazza oder am Waschhaus traf, den Rücken zu.
Dann war der Zug abgefahren unter Pfiffen und Getöse, und Lieder und Abschiedsrufe gingen darin unter. Und nachdem sich die Neugierigen zerstreut hatten, blieben nur noch ein paar Weiblein und einige arme Teufel zurück, die sich an den Zaunlatten festhielten, ohne zu wissen, warum. Dann verzogen auch sie sich allmählich, und Padron ’Ntoni, der ahnte, dass seiner Schwiegertochter ein bitterer Geschmack im Mund zurückgeblieben war, spendierte ihr Zitronenwasser für zwei Centesimi.
Comare Venera Zuppidda sagte als Trost zu der Longa: »Findet Euch damit ab, fünf Jahre lang müsst Ihr jetzt so tun, als wäre Euer Sohn gestorben, und Ihr dürft nicht mehr an ihn denken.«
Dennoch dachten sie ständig an ihn im Haus mit dem Mispelbaum, entweder weil der Longa tagtäglich beim Tischdecken ein bestimmter Teller in die Hände geriet oder wenn ein Knoten ins Tau geknüpft werden musste, worauf sich ’Ntoni besser als alle anderen verstand, oder wenn man ein Seil so fest wie eine Geigensaite spannen musste oder so straffen, dass man eigentlich eine Winde gebraucht hätte. Der Großvater keuchte oh und ach und rief zwischendurch: »Jetzt könnte man ’Ntoni brauchen« oder »Glaubt ihr denn, ich hätte so viel Kraft wie der Junge?« Die Mutter dachte, während sie den Kamm am Webstuhl zurückschlug – eins! zwei! drei! –, an das Rattern der Lokomotive, die ihr den Sohn mitgenommen hatte, und sie spürte es noch in ihrem Herzen, eine große Verwirrung, und es klopfte noch in ihrer Brust: eins! zwei! drei!
Der Großvater hatte wiederum sonderbare Argumente, um sich und die anderen zu trösten: »Überhaupt, was soll ich euch sagen? Dem Jungen wird es guttun, wenn er ein bisschen den Soldaten spielt; er hat lieber seine zwei Arme sonntags spazieren getragen als sich damit sein Brot verdient.«
Oder er sagte: »Wenn er erst von dem salzigen Brot probiert hat, das man anderswo isst, wird er sich nicht mehr über das Essen daheim beschweren.«
Schließlich kam aus Neapel der erste Brief von ’Ntoni und versetzte die ganze Nachbarschaft in Aufruhr. Er schrieb, die Frauen in dieser Gegend fegten die Straße in ihren seidenen Röcken, an der Mole führte man Stücke mit Pulcinella auf und verkaufte eine Pizza, wie sie die besseren Leute aßen, um zwei Centesimi, ohne Geld konnte man nicht leben, es war nicht wie in Trezza, wo man gar nicht wusste, wie man einen Baiocco ausgeben sollte, außer man ging ins Wirtshaus der Santuzza.
»Schicken wir ihm Geld, dem Vielfraß, damit er sich eine Pizza kaufen kann«, brummte Padron ’Ntoni. »Er kann nichts dafür, so ist er eben. Wie ein Kabeljau, der auch noch nach einem rostigen Nagel schnappt. Hätte ich ihn bei der Taufe nicht auf den eigenen Armen gehalten, würde ich meinen, dass ihm Don Giammaria nicht Salz, sondern Zucker in den Mund gegeben hat.«
Wenn Sara, die Tochter von Comare Tudda, im Waschhaus dabei war, sagte die Mangiacarrubbe: »Ist doch klar! Die Frauen in den seidenen Röcken haben ausgerechnet auf ’Ntoni von Padron ’Ntoni gewartet, um sich ihn zu angeln. So eine Gurke haben sie dort droben noch nie gesehen!«
Die anderen hielten sich die Seiten vor Lachen, und von da an nannten ihn die boshaften Mädchen nur noch die Gurke.
’Ntoni hatte auch sein Bild geschickt, alle Mädchen vom Waschhaus hatten es gesehen, als die Sara von Comare Tudda es unter der Schürze von Hand zu Hand weiterreichte, und die Mangiacarrubbe platzte schier vor Eifersucht. Er sah aus wie der leibhaftige Erzengel Michael, mit diesen beiden Füßen auf einem Teppich und diesem Vorhang über dem Kopf, wie bei der Madonna von Ognina, so schön, so schmuck und herausgeputzt, dass ihn die eigene Mutter kaum wiedererkannte; und die arme Longa konnte sich nicht sattsehen an dem Teppich und dem Vorhang und der Säule, an die sich ihr Sohn kerzengerade lehnte, während er mit der einen Hand die Lehne eines schönen Sessels berührte; und sie dankte Gott und allen Heiligen, dass sie ihren Sohn unter all diesen kostbaren Dingen hingestellt hatten. Sie platzierte das Porträt auf die Kommode, unter die Glasglocke mit dem Guten Hirten – um dort das Avemaria zu beten, behauptete die Zuppidda – und glaubte wohl, einen Schatz auf der Kommode zu haben, dabei hatte doch Schwester Mariangela, die Santuzza, auch einen, ganz genau so einen, wer wollte, konnte ihn sich ansehen, den hatte ihr Compare Mariano Cinghialenta geschenkt, und sie bewahrte ihn am Tresen des Wirtshauses auf, hinter den Gläsern.
Doch nach einiger Zeit hatte ’Ntoni einen Kameraden aufgetan, der lesen und schreiben konnte, und er ließ sich über das schreckliche Leben an Bord aus und beklagte sich über die strenge Disziplin, die Vorgesetzten, den verkochten Reis und die engen Stiefel. »Der Brief war nicht die zwanzig Centesimi fürs Porto wert«, schimpfte Padron ’Ntoni. Die Longa ärgerte sich über das Gekritzel, das aussah wie Angelhaken für Mondfische und nichts Gutes verhieß. Bastianazzo schüttelte missbilligend den Kopf, und wäre es nach ihm gegangen, dann hätte er immer nur von lustigen Sachen geschrieben, damit die andern etwas zum Lachen hätten, auf dem Papier hier – und er deutete darauf mit einem Finger, so kräftig wie der Pflock, der in die Rudergabel gesteckt wird –, allein schon aus Mitleid mit der Longa, der Armen, die keine Ruhe fand und umherschlich wie eine Katze, der man die Jungen weggenommen hat. Padron ’Ntoni ging heimlich zum Apotheker, um sich den Brief vorlesen zu lassen, und dann zu Don Giammaria von der Gegenpartei, um zweierlei Glocken zu hören, und als er sich überzeugt hatte, dass das wirklich alles so dastand, wiederholte er zusammen mit Bastianazzo und dessen Frau: »Ich hab euch doch gesagt, der Junge hätte reich auf die Welt kommen sollen, so wie der Sohn von Padron Cipolla, dann könnte er sich am Bauch kratzen und die Hände in den Schoß legen.«
Aber es war ein schlechtes Jahr, und den Fisch musste man praktisch verschenken, jetzt, wo die Christenmenschen gelernt hatten, wie die Türken auch am Freitag Fleisch zu essen. Außerdem reichten die Arme der Männer, die daheim geblieben waren, nicht mehr aus, das Boot zu führen, und manchmal musste man Menico, den Sohn der Locca, oder jemand anders tageweise anheuern. Der König holte sich die jungen Männer zum Militärdienst, sobald sie imstande waren, sich ihr Brot zu verdienen, doch solange sie der Familie zur Last fielen, musste man sie aufziehen, bis sie dann Soldaten wurden. Und es war auch zu bedenken, dass Mena schon bald siebzehn würde und die jungen Männer sich nach ihr umdrehten, wenn sie zur Messe ging. »Der Mann ist die Flamme, die Frau der Docht: Dann kommt der Teufel und bläst.« Deshalb musste man sich mit allen Mitteln helfen, um das Boot auf dem Wasser zu halten, das zum Haus mit dem Mispelbaum gehörte.
Padron ’Ntoni hatte sich daher mit dem Onkel Crocifisso Campana di legno ein Geschäft ausgedacht: Auf Kredit wollte er Lupinen kaufen und dann in Riposto weiterverkaufen, wo ein Schiff aus Triest, hatte Compare Cinghialenta gesagt, Fracht aufnehmen sollte. Eigentlich waren die Lupinen schon ein bisschen verdorben, doch es gab keine anderen in Trezza, und Campana di legno, dieser alte Fuchs, wusste auch, dass die Provvidenza ganz nutzlos Sonne und Wasser ausgesetzt war, dort am Waschhaus, wo sie vertäut war, ohne irgendetwas einzubringen. Deshalb stellte er sich dumm. »Wenn es Euch nicht passt, lasst es bleiben! Aber ich kann sie Euch nicht um einen einzigen Centesimo weniger verkaufen, ganz ehrlich, schließlich muss ich mich vor dem Herrgott verantworten.« Und dabei wiegte er den Kopf, sodass er tatsächlich aussah wie eine Glocke ohne Klöppel. Dieses Gespräch führten sie vor dem Portal der Kirche von Ognina, am ersten Sonntag im September, dem Fest der Madonna, bei dem alle Nachbardörfer mitmachten. Auch Compare Agostino Piedipapera war dabei, der es mit seinen Witzeleien fertigbrachte, dass sie sich auf zwei Unzen und zehn Tarì pro Salma einigten, die in soundso vielen Monatsraten abzubezahlen waren. Beim Onkel Crocifisso war es immer so, man musste ihn mit Gewalt dazu bringen, dass er zustimmte, wie Peppinino, weil er die verfluchte Unart hatte, nicht nein sagen zu können. »Ihr könnt einfach nicht nein sagen, selbst wenn es besser für Euch wäre«, sagte Piedipapera und grinste. »Ihr seid wie die …«, und er sagte, wie wer.
Als die Longa von dem Geschäft mit den Lupinen erfuhr, nach dem Abendessen, während man sich, die Ellbogen auf dem Tischtuch, noch unterhielt, blieb ihr der Mund offen stehen, als wäre ihr diese große Summe von vierzig Unzen auf den Magen geschlagen. Aber die Frauen haben ein kleines Herz, und Padron ’Ntoni musste ihr erklären, wenn das Geschäft gut lief, gab es Brot für den Winter und Ohrringe für Mena, und Bastiano würde mit Menico, dem Sohn der Locca, innerhalb einer Woche nach Riposto und zurück fahren können. Bastiano schnäuzte indessen die Kerze und sagte nichts. So wurde das Geschäft mit den Lupinen und die Fahrt mit der Provvidenza beschlossen, dem ältesten Boot im ganzen Dorf, das aber den glückverheißenden Namen trug. Maruzza war immer noch schwer ums Herz, doch sie machte den Mund nicht auf, denn es ging sie nichts an, und still und leise machte sie sich daran, das Boot herzurichten und alles, was für die Fahrt nötig war, das frische Brot, den Krug mit dem Öl, die Zwiebeln, den mit Leder gefütterten Mantel, und alles wurde unter der Bank und in der Seekiste verstaut.
Die Männer hatten sich den ganzen Tag mit Onkel Crocifissso gestritten, diesem Wucherer, der ihnen die Katze im Sack verkauft hatte, denn die Lupinen waren verdorben. Campana di legno sagte, er wisse bei Gott von nichts! »Vertrag ist Vertrag.« Er verkaufe doch nicht sein Seelenheil. Und Piedipapera tobte und fluchte wie ein Besessener, damit der Handel doch noch zustande kam, er schwor hoch und heilig, noch nie sei ihm so etwas untergekommen; und er steckte die Hände in die aufgehäuften Lupinen, hob sie in die Höhe und rief Gott und die Madonna als Zeugen an. Schließlich machte er, rot im Gesicht, verschwitzt und völlig außer sich, einen verzweifelten Vorschlag, schleuderte ihn dem verstörten Onkel Crocifisso und den Malavoglia, die mit den Säcken in der Hand da standen, ins Gesicht: »Da! Dann zahlt eben an Weihnachten statt in Monatsraten, und ihr spart einen Tarì pro Salma! Und jetzt Schluss damit, zum Teufel!« Und er begann, die Säcke zu füllen: »In Gottes Namen, der erste Sack!«
Die Provvidenza legte am Samstag gegen Abend ab, und es war wohl nach dem Ave-Maria-Läuten, auch wenn man die Glocke nicht gehört hatte, denn Mastro Cirino, der Sakristan, hatte Don Silvestro, dem Gemeindesekretär, ein Paar neuer Stiefel bringen müssen. Um diese Zeit tauchten die Mädchen wie ein Schwarm Spatzen am Brunnen auf, und der Abendstern leuchtete bereits schön wie eine an der Rahe der Provvidenza aufgehängte Laterne. Maruzza stand mit dem kleinen Mädchen auf dem Arm stumm am Ufer, während ihr Mann die Segel setzte und die Provvidenza wie eine Ente auf den Wellen schaukelte, die sich an den Fariglioni brachen. »Bläst der Schirokko von Süden und die Tramontana von Nord, segelst du sicher an deinen Ort«, sagte Padron ’Ntoni vom Ufer her und schaute hoch zum schwarz umwölkten Berg.
Menico, der Sohn der Locca, der zusammen mit Bastianazzo im Boot saß, rief etwas, was aber das Meer übertönte. »Er sagt, das Geld sollt ihr seiner Mutter, der Locca, schicken, weil sein Bruder keine Arbeit hat«, fügte Bastianazzo hinzu, und das waren die letzten Worte, die man von ihm hörte.
Im ganzen Dorf sprach man von nichts anderem als von dem Geschäft mit den Lupinen, und als die Longa mit Lia auf dem Arm nach Hause zurückkehrte, traten die Nachbarinnen vor die Türen, um sie vorbeigehen zu sehen.
»Ein Bombengeschäft«, schrie Piedipapera, als er mit seinem krummen Bein Padron ’Ntoni hinterherhinkte, der sich auf die Stufen vor der Kirche gesetzt hatte, neben Padron Fortunato Cipolla und den Bruder von Menico, Sohn der Locca, die ein wenig frische Luft schnappten. »Onkel Crocifisso hat gebrüllt, als wollte man ihm die Schwungfedern ausreißen, aber das muss einen nicht kümmern, denn er hat ja jede Menge Federn, der Alte.« »Ja, das war ein schönes Stück Arbeit! Davon könnt auch Ihr ein Lied singen, Padron ’Ntoni!« Aber für Padron ’Ntoni hätte er sich vom Fariglione hinuntergestürzt, bei Gott, auf ihn hörte Onkel Crocifisso, denn er, Piedipapera, war der Schöpflöffel im Topf, einem großen Topf, in dem über zweihundert Unzen im Jahr schmorten! Ohne ihn hätte sich Campana di legno nicht einmal die Nase putzen können.
Als der Sohn der Locca von den Reichtümern seines Onkels reden hörte, der als Bruder der Locca sein echter Onkel war, empfand er plötzlich eine große Zuneigung gegenüber der Sippe.
»Wir sind Verwandte«, wiederholte er. »Wenn ich im Taglohn für ihn arbeite, gibt er mir nur den halben Lohn und keinen Wein, weil wir verwandt sind.«
Piedipapera lachte höhnisch.
»Das tut er nur zu deinem Besten, damit du dich nicht betrinkst und damit du mehr erbst, wenn er krepiert.«
Compare Piedipapera sprach gern schlecht über den einen oder anderen, wie es ihm gerade einfiel, doch es kam so von Herzen und er war dabei so ohne Arg, dass niemand sich darüber aufregte.
»Mastro Filippo ist schon zweimal am Wirtshaus vorbeigegangen«, sagte er zum Beispiel, »und er wartet auf ein Zeichen von der Santuzza, sie im Stall zu treffen, wo sie dann gemeinsam den heiligen Rosenkranz beten.«
Oder er sagte zum Sohn der Locca: »Dein Onkel Crocifisso versucht, deiner Base, der Vespa, ihr Grundstück abzuluchsen; er will ihr nur die Hälfte von dem bezahlen, was es wert ist, und lässt durchblicken, dass er sie heiraten will. Wenn es der Vespa aber gelingt, sich etwas anderes stehlen zu lassen, dann kannst du die Hoffnung auf eine Erbschaft fahrenlassen und verlierst das Geld und den Wein, den er dir nicht gegeben hat.«
Dann fingen sie an zu streiten, denn Padron ’Ntoni erklärte, Onkel Crocifisso sei ja schließlich ein Christenmensch und nicht so übergeschnappt, dass er die Tochter seines Bruders heiraten wolle.
»Was haben Christenmenschen und Türken damit zu tun?«, konterte Piedipapera. »Er ist verrückt, wollt Ihr damit sagen. Er ist stinkreich, aber die Vespa hat nichts außer diesem Grundstück, das so groß ist wie ein Taschentuch.«
»Mir braucht Ihr das nicht zu sagen, ich hab ja genau daneben meinen Weinberg«, sagte darauf Padron Cipolla und plusterte sich auf wie ein Truthahn.
»Das nennt Ihr Weinberg, diese vier Feigenkakteen?«, erwiderte Piedipapera.
»Die Reben wachsen zwischen den Feigenkakteen, und wenn uns San Francesco einen ordentlichen Regen schickt, werdet Ihr schon sehen, was für einen Most das gibt. Heute war es bei Sonnenuntergang bewölkt – Wasser oder Wind.«
»Ist es bei Sonnenuntergang bewölkt, kommt der Wind von Westen«, ergänzte Padron ’Ntoni.
Piedipapera konnte Padron Cipolla, diesen Besserwisser, nicht ausstehen; bloß weil er reich war, glaubte er alles zu wissen und wollte denen, die kein Geld hatten, jeden Unsinn einreden.
»Der eine mag’s gekocht, der andere roh«, erklärte er. »Padron Cipolla hofft auf Regen für seine Rebstöcke und Ihr auf den Westwind für die Provvidenza. Ihr kennt doch das Sprichwort: Der frische Wind kräuselt die Wellen. Heute Abend sieht man die Sterne, und um Mitternacht schlägt der Wind um: Habt Ihr den Windstoß gerade gemerkt?«
Auf der Straße hörte man langsam Karren vorbeifahren.
»Tag und Nacht, immer sind Menschen auf der Welt unterwegs«, bemerkte dann Compare Cipolla.
Und nun, da weder Meer noch Land zu sehen war, schien es, als gäbe es auf der Welt nur noch Trezza, und jeder fragte sich, wohin diese Karren um diese Zeit fahren mochten.
»Vor Mitternacht wird die Provvidenza den Capo dei Mulini umrundet haben«, sagte Padron ’Ntoni, »und der auffrischende Wind kann sie dann nicht mehr stören.«
Padron ’Ntoni dachte an nichts anderes als an die Provvidenza, und wenn er nicht von seinen Angelegenheiten redete, sagte er gar nichts und stand bei der Unterhaltung dabei wie ein Besenstiel.
»Ihr solltet Euch den Leuten von der Apotheke anschließen«, sagte daher Piedipapera zu ihm. »Die reden über Gott und die Welt. Da würdet auch Ihr eine gute Figur machen! Hört Ihr, wie sie krakeelen?«
»Das ist Don Giammaria, der mit dem Apotheker streitet«, sagte der Sohn der Locca.
Der Apotheker stand auf der Schwelle seines Ladens und unterhielt sich im Freien mit dem Pfarrer und noch jemand anders. Da er gebildet war, las er die Gazzetta und gab sie den anderen zum Lesen, und er besaß auch die Geschichte der französischen Revolution, hatte sie in Reichweite unter dem gläsernen Mörser. Also debattierte er zum Zeitvertreib den ganzen Tag mit Don Giammaria, dem Pfarrer, bis sie Gallenschmerzen davon bekamen; trotzdem hätten sie es keinen Tag lang ohne einander ausgehalten. Wenn dann am Samstag die Zeitung kam, ging Don Franco sogar so weit, auf die Gefahr hin, von seiner Frau geschimpft zu werden, die Kerze für eine halbe, ja sogar eine ganze Stunde anzuzünden, um seine Ideen zu verkünden, statt mit den Hühnern ins Bett zu gehen, wie Compare Cipolla oder Compare Malavoglia. Im Sommer brauchte er dann nicht einmal die Kerze, man konnte unter der Tür stehen, im Schein der Straßenlaterne, wenn Mastro Cirino sie angezündet hatte, und manchmal kam Don Michele hinzu, der Brigadiere von der Zollwache, und sogar Don Silvestro, der Gemeindesekretär, blieb eine Weile bei ihnen stehen, wenn er von seinen Rebstöcken zurückkehrte.
Dann rieb sich Don Franco die Hände und sagte, es sehe aus wie ein kleines Parlament, pflanzte sich hinter dem Ladentisch auf und kämmte sich mit den Fingern den langen Bart, mit einem gewissen schlauen Lächeln, als wolle er jemanden zum Frühstück verspeisen; und manchmal ließ er halblaut ein paar Andeutungen vor den Zuhörern fallen, wobei er sich auf seinen kurzen Beinen in die Höhe streckte, und man merkte ihm an, dass er sich für schlauer hielt als die anderen, weshalb Don Giammaria ihn nicht ausstehen konnte und ihm wutschnaubend lateinische Wörter an den Kopf warf. Don Silvestro hingegen amüsierte sich, wenn er sah, wie sie sich aufregten um des Kaisers Bart, weil es ja nicht das Geringste zu gewinnen gab; jedenfalls wurde er nicht so wütend wie die beiden, und deshalb, hieß es im Dorf, besaß er auch die schönsten Äcker von ganz Trezza – dabei war er einst barfuß hierhergekommen, fügte Piedipapera hinzu. Er hetzte den einen gegen den anderen auf und hielt sich gern den Bauch vor Lachen, ha, ha, ha, was sich anhörte wie das Gackern eines Huhns.
»Don Silvestro legt gerade ein Ei«, bemerkte der Sohn der Locca.
»Don Silvestro legt goldene Eier, dort im Rathaus«, erwiderte Piedipapera.
»Ha!«, stieß Padron Fortunato hervor, »dieser Geizkragen! Comare Zuppidda hat ihm ihre Tochter nicht geben wollen.«
»Das heißt, Mastro Turi Zuppiddu sind die Eier von seinen eigenen Hühnern lieber«, antwortete Padron ’Ntoni.
Und Padron Cipolla nickte zustimmend.
»Gleich und gleich gesellt sich gern«, fügte Padron Malavoglia hinzu.
Darauf wandte Piedipapera ein, wenn Don Silvestro sich begnügt hätte, sich zu seinesgleichen zu gesellen, dann hätte er jetzt die Hacke in der Hand und nicht die Feder.
»Würdet Ihr ihm Eure Enkelin Mena geben?«, fragte schließlich Padron Cipolla, an Padron ’Ntoni gewandt.
»Sie soll einen nehmen, der das gleiche Gewerbe treibt wie ihr Vater.«
Padron Cipolla nickte weiter zustimmend, schließlich hatte er mit Padron ’Ntoni schon angelegentlich darüber gesprochen, dass Mena seinen Sohn Brasi heiraten sollte, und wenn das Geschäft mit den Lupinen unter Dach und Fach wäre, könnte Mena ihre Mitgift bar bekommen, und die Angelegenheit wäre bald geregelt.
»Ein gut erzogenes Mädchen ist wie ein gut gewebtes Leinen«, sagte schließlich Padron Malavoglia, und Padron Cipolla bestätigte, alle im Dorf wüssten, dass die Longa ihre Tochter gut erzogen habe, und wer immer um diese Zeit die kleine Gasse entlangging und das Klappern ihres Webstuhls hörte, sagte, dass Comare Maruzza das Öl für die Lampe nicht verschwendete.
Gleich nachdem die Longa nach Hause gekommen war, hatte sie das Licht angezündet und sich mit der Garnwinde vors Haus gesetzt, um ein paar Spulen für die Arbeit der kommenden Woche herzurichten.
»Comare Mena sieht man nicht, aber man hört sie, Tag und Nacht sitzt sie am Webstuhl, wie Sant’Agata«, sagten die Nachbarinnen.
»Die Mädchen müssen sich daran gewöhnen«, erwiderte Maruzza, »statt am Fenster zu stehen. Einer Frau, die am Fenster steht, soll man keine schönen Augen machen.«
»Manche, die am Fenster standen, haben sich aber unter all denen, die vorbeigingen, einen Mann geangelt«, bemerkte Base Anna von der Haustür gegenüber.
Die Base Anna wusste, wovon sie sprach, denn ihr Sohn Rocco, dieser Einfaltspinsel, hatte sich von den Röcken der Mangiacarrubbe einfangen lassen, eine von der Sorte, die immer frech am Fenster standen.
Als Comare Grazia Piedipapera hörte, dass man sich auf der Straße unterhielt, trat auch sie unter die Tür, die Schürze voller Bohnen, die sie auspulte, und regte sich auf über die Mäuse, die ihr den Sack durchlöchert hatten wie ein Sieb, so als hätten sie es mit Fleiß getan und hätten so viel Verstand wie ein Christenmensch. Dann beteiligten sich auch die anderen am Gespräch, denn bei Maruzza hatten sie schon großen Schaden angerichtet, die verdammten Biester! Das ganze Haus der Base Anna wimmelte von ihnen, seit die Katze gestorben war, ein wahres Goldstück, und sie war gestorben, weil Compare Tino ihr einen Fußtritt verpasst hatte. »Die grauen Katzen sind die besten zum Mäusefangen, die finden sie noch in einem Nadelöhr.« Aber man durfte den Katzen nicht nachts die Tür aufmachen, denn eine alte Frau aus Aci di Sant’Antonio hatte man so umgebracht: Die Diebe hatten ihr drei Tage davor die Katze gestohlen und sie dann halbverhungert zurückgebracht, und sie hatte vor der Tür miaut; und die arme Frau brachte es nicht übers Herz, das Tierchen um diese Zeit auf der Straße zu lassen, hatte aufgesperrt, und so waren die Diebe ins Haus eingedrungen. Heutzutage denken sich die Spitzbuben alles mögliche aus, um ihre Gaunereien zu verüben; und in Trezza sah man auf den Klippen Leute, die sich nie zuvor dort hatten blicken lassen, unter dem Vorwand, angeln zu wollen, und die ließen dann bei Gelegenheit die zum Trocknen ausgelegte Wäsche mitgehen. Der armen Nunziata hatten sie auf diese Weise ein neues Bettlaken gestohlen. Das arme Mädchen! Ausgerechnet sie zu bestehlen, die sich abarbeitete, um all die kleinen Geschwister zu füttern, die der Vater ihr aufgehalst hatte, als er sie sitzenließ, um in Alexandria sein Glück zu suchen! Nunziata erging es nicht anders als der Base Anna, nachdem der Mann gestorben war und ihr diese Schar kleiner Kinder hinterlassen hatte, als Rocco, der Älteste, ihr noch nicht einmal bis zu den Knien reichte. Und dann hatte Base Anna diesen Nichtsnutz aufziehen müssen, bloß damit sich ihn dann die Mangiacarrubbe einfing.
Mitten in diesem Gespräch tauchte die Zuppidda auf, die Frau von Mastro Turi, dem Kalfaterer, die am Ende der Straße wohnte und immer ganz plötzlich erschien wie der Teufel im Gebetbuch und sich einmischte, und niemand wusste, woher sie auf einmal kam.
»Und überhaupt«, schimpfte sie, »Euer Rocco hat Euch auch nicht geholfen, und wenn er mal einen Baiocco verdient hat, hat er ihn gleich wieder im Wirtshaus vertrunken.«
Die Zuppidda wusste alles, was im Dorf passierte, und man erzählte sich, sie gehe zum Spionieren den ganzen Tag barfuß herum unter dem Vorwand, sie müsse ihre Spindel hochhalten, damit sie nicht auf den Steinen klapperte. Sie sagte stets die Wahrheit, wie das Heilige Evangelium, das war ihr Laster, und deshalb behaupteten diejenigen, denen es nicht gefiel, wenn man ihnen klipp und klar die Meinung sagte, sie habe eine böse Zunge, die Geifer absondere. »Bitterer Mund spuckt Galle.« Und sie hatte tatsächlich einen bitteren Mund wegen ihrer Tochter, die sie noch nicht unter die Haube hatte bringen können, weil die Barbara so hochmütig und ruppig war, und trotzdem hätte sie ihr am liebsten den Sohn von Vittorio Emanuele gegeben.
»Ein schlimmes Frauenzimmer, die Mangiacarrubbe«, fuhr die Zuppidda fort, »eine unverschämte Person, die das ganze Dorf vor ihrem Fenster hat aufmarschieren lassen. Einer Frau, die am Fenster steht, soll man keine schönen Augen machen.« Und Vanni Pizzuto brachte ihr die Kaktusfeigen als Geschenk, die er bei Massaro Filippo, dem Gärtner, gestohlen hatte, und sie aßen sie zusammen bei den Reben unter dem Mandelbaum, das hatte sie mit eigenen Augen gesehen.
Und als Peppi Naso, der Metzger, eifersüchtig auf Compare Mariano Cinghialenta, den Fuhrmann, geworden war, warf er der Mangiacarrubbe die Hörner aller Ochsen, die er geschlachtet hatte, vor die Haustür, sodass es hieß, es seien die Hörner, die ihm die Frau aufgesetzt habe.
Die Base Anna, dieses fröhliche Herz, nahm die Sache von der heiteren Seite. »Don Giammaria sagt, dass Ihr eine Todsünde begeht, wenn Ihr schlecht über Euren Nächsten redet!«
»Don Giammaria sollte lieber seiner Schwester, Donna Rosolina, die Leviten lesen«, erwiderte die Zuppidda, »damit sie sich nicht wie ein junges Ding aufführt, wenn Don Silvestro vorbeikommt oder Don Michele, der Brigadiere; die will ja unbedingt heiraten, und das in ihrem Alter und dick noch dazu, die Ärmste!«
»Es ist alles Gottes Wille!«, schloss Base Anna. »Als mein Mann gestorben ist, war Rocco nicht größer als der Spinnrocken hier, und seine Schwestern waren alle noch jünger. Habe ich mir deshalb den Schneid abkaufen lassen? Gegen die Nöte wächst einem eine Hornhaut, und die Töchter helfen einem auch bei der Arbeit. Sie werden es so machen wie ich, und solange es Steine am Waschhaus gibt, werden sie sich ihren Unterhalt verdienen können. Schaut euch Nunziata an, sie hat inzwischen mehr Verstand als eine alte Frau und schafft es, die Kleinen aufzuziehen, als wären es ihre eigenen.«
»Wo bleibt eigentlich Nunziata? Sie hat sich noch gar nicht blicken lassen«, fragte die Longa eine Schar zerlumpter Kinder, die greinend vor dem Häuschen gegenüber warteten und nun, als von der Schwester die Rede war, im Chor zu plärren anfingen.
»Ich hab gesehen, wie sie zur Sciara hinaufging, um ein paar Büschel Ginster zu pflücken, und Euer Alessi, der hat sie begleitet«, antwortete Base Anna.
Die Kinder merkten auf, fingen dann gleichzeitig wieder an zu greinen, und der Größte, der auf einem Steinbrocken hockte, erklärte nach einer Weile: »Ich weiß nicht, wo sie ist.«
Die Nachbarinnen waren wie die Schnecken bei Regen alle herausgekommen, und auf der ganzen Gasse hörte man von einer Haustür zur anderen ein beständiges Geplauder. Selbst das Fenster von Compare Alfio, der mit dem Eselskarren, stand offen, und dichter Rauch von Ginsterbüscheln zog heraus. Mena hatte ihren Webstuhl im Stich gelassen und stand nun auch im Hof.
»Oh, Sant’Agata!«, riefen ihr die Nachbarinnen fröhlich zu.
»Denkt Ihr denn nicht daran, Eure Mena zu verheiraten?«, fragte die Zuppidda leise Comare Maruzza. »Sie wird doch an Ostern achtzehn, ich weiß es, sie ist ja auch im Jahr des Erdbebens geboren, wie meine Barbara. Wer meine Tochter haben will, der muss zuerst einmal mir gefallen.«
In diesem Augenblick hörte man das Rascheln von Zweigen auf der Gasse, und es kamen Alessi und Nunziata an, die man unter den Bündeln von Ginster gar nicht sah, so klein waren sie noch.
»He, Nunziata!«, riefen die Nachbarinnen. »Hast du nicht Angst gehabt, um diese Zeit auf der Sciara?«
»Ich war ja dabei«, antwortete Alessi.
»Ich hab mich mit Comare Anna am Waschhaus verspätet, und dann hatte ich kein Holz für den Herd.«
Das Mädchen zündete das Licht an und begann, rasch alles für das Abendessen vorzubereiten, während die kleinen Geschwister in dem Zimmerchen hinter ihr herliefen wie die Küken hinter der Glucke. Alessi hatte sein Bündel abgelegt und sah von der Tür her aufmerksam zu, die Hände in den Taschen.
»He, Nunziata!«, rief Mena von der Treppe her. »Komm doch mal her, wenn du den Topf aufgesetzt hast.«
Nunziata überließ es Alessi, das Herdfeuer zu überwachen, lief zur Treppe und hockte sich neben Sant’Agata, um Hand in Hand mit ihr die Ruhe zu genießen.
»Compare Alfio Mosca kocht gerade seine Bohnen«, bemerkte Nunziata nach einer Weile.
»Der Arme, ihm geht’s genau so wie dir! Ihr habt auch keinen daheim, der euch das Essen zubereitet, wenn ihr abends müde heimkommt.«
»Stimmt, und er kann sogar nähen und Wäsche waschen und flickt seine Hemden selber ...« Nunziata wusste genau, was ihr Nachbar Alfio machte, und sie kannte sein Haus wie die eigene Westentasche. »Bald holt er das Brennholz«, sagte sie, »dann kümmert er sich um den Esel.« Man sah das Licht im Hof oder unter dem Vordach. Sant’Agata lachte, und Nunziata sagte, um eine richtige Frau zu sein, fehle Compare Alfio nur noch die Schürze.
»Dann wird also seine Frau«, schloss Mena, »wenn er heiratet, mit dem Eselskarren herumfahren, und er bleibt daheim und zieht die Kinder auf.«
Auch die Mütter, die auf der Straße zusammenstanden, sprachen über Alfio Mosca; selbst die Vespa schwöre, den wolle sie nicht zum Mann haben, sagte die Zuppidda, denn die Vespa hatte ihr schönes Grundstück, und wenn sie heiraten wollte, würde sie keinen nehmen, der nur einen Eselskarren besaß. »Ein Karren ist wie eine Bahre«, sagt das Sprichwort. »Sie hat ein Auge auf ihren Onkel Campana di legno geworfen, diese durchtriebene Person!«
Die Mädchen hingegen ergriffen die Partei von Mosca, gegen diese hässliche Vespaccia; und Nunziata bedauerte ihn, weil sie Compare Alfio verachteten, bloß weil er arm war und niemand auf der Welt hatte, und auf einmal sagte sie zu Mena: »Wenn ich größer wäre, würde ich ihn nehmen, wenn man ihn mir geben würde.«
Auch Mena hatte etwas sagen wollen, redete aber plötzlich von etwas anderem.
»Gehst du in die Stadt zu Allerseelen?«
»Nein, ich geh nicht, weil ich das Haus nicht allein lassen kann.«
»Wir gehen hin, wenn das Geschäft mit den Lupinen klappt; das hat der Großvater gesagt.«
Dann überlegte sie und fügte hinzu: »Auch Compare Alfio geht immer hin und verkauft seine Nüsse.«
Und beide schwiegen und dachten an das Fest der Toten, bei dem Compare Alfio seine Nüsse verkaufte.
»Onkel Crocifisso, der sich immer so dumm stellt, wird die Vespa in die Tasche stecken!«, fing Base Anna wieder an.
»Darauf legt sie es doch an!«, antwortete prompt die Zuppidda. »Die Vespa will ja gar nichts anderes, als dass er sie in die Tasche steckt! Immer treibt sie sich bei ihm im Haus herum, wie eine Katze, unter dem Vorwand, ihm Leckerbissen zu bringen, und der Alte sagt nicht nein, erst recht nicht, weil’s ihn nichts kostet. Sie mästet ihn wie ein Schwein, bevor man es schlachtet. Ich sag’s euch, die Vespa will unbedingt in seine Tasche schlüpfen!«
Alle gaben nun ihre Meinung zu Onkel Crocifisso zum Besten, der immer jammerte und klagte wie Christus zwischen den Schächern, und dabei hatte er Geld wie Heu, und die Zuppidda hatte einmal, als der Alte krank war, eine große Kiste unter seinem Bett gesehen – riesengroß!
Der Longa lagen die vierzig Unzen, die sie für die Lupinen schuldeten, schwer im Magen, und sie wechselte das Thema, denn Ohren hören selbst im Dunkeln, und man konnte Onkel Crocifisso im Gespräch mit Don Giammaria hören, während sie die Piazza überquerten, so nah, dass die Zuppidda ihre Schmähreden gegen ihn unterbrechen musste, um ihn zu grüßen.
Don Silvestro gackerte wie ein Huhn, und dieses Lachen reizte den Apotheker, der im Übrigen noch nie viel Geduld gehabt hatte, die Geduld überließ er den Eseln und denjenigen, die kein zweites Mal die Revolution machen wollten.
»Natürlich, Geduld habt Ihr noch nie gehabt, Ihr wüsstet ja auch gar nicht, wozu!«, schrie ihn Don Giammaria an. Und Don Franco, der ein kleiner Mann war, wurde wütend und bedachte den Pfarrer mit Schimpfworten, die man im Dunkeln vom einen Ende der Piazza zum anderen hören konnte. Campana di legno, unbewegt wie ein Stein, zuckte die Schultern und wiederholte immer nur, dass ihm das egal sei und er sich nur um seine Angelegenheiten kümmere. »Als wären das nicht auch Eure Angelegenheiten, die von der Bruderschaft zum Guten Tod, für die kein Mensch mehr einen Baiocco zahlen will!«, sagte Don Giammaria. »Wenn die Leute die Geldbörse aufmachen sollen, werden sie zu einer Bande von Protestanten, schlimmer als der Apotheker, und mir lassen sie die leere Kasse der Bruderschaft, damit darin die Mäuse tanzen können, eine echte Schweinerei!«
Von seinem Laden aus lachte Don Franco höhnisch hinter ihnen her und versuchte, das gackernde Lachen Don Silvestros nachzuahmen, das die Leute so aufbrachte. Doch der Apotheker gehörte zur Sekte, das war bekannt; und Don Giammaria rief ihm von der Piazza her zu: »Das Geld würdet Ihr schon auftreiben, wenn es um Schulen oder Straßenlaternen ginge.«
Der Apotheker antwortete nicht, weil seine Frau am Fenster aufgetaucht war; und Onkel Crocifisso wiederholte, nachdem er weit genug weg war, um nicht befürchten zu müssen, dass ihn der Gemeindesekretär hören konnte, der sich obendrein noch das bescheidene Gehalt eines Volksschullehrers geschnappt hatte: »Mir ist es ja egal, aber zu meiner Zeit hat es nicht so viele Laternen und auch nicht so viele Schulen gegeben. Man hat den Hund nicht zum Jagen getragen, und es ging einem besser so.«
»In der Schule seid Ihr nicht gewesen, aber trotzdem versteht Ihr Euch aufs Geschäftemachen.«
»Und meinen Katechismus kenne ich«, füge Onkel Crocifisso hinzu, um ihm nichts schuldig zu bleiben.
In der Hitze des Gefechts hatte Don Giammaria den Weg verfehlt, auf dem er die Piazza sonst auch mit geschlossenen Augen überquert hätte, und beinahe hätte er sich den Hals gebrochen und sich, Gott behüte, ein grobes Wort entschlüpfen lassen.
»Wenn sie ihre Laternen doch wenigstens anzünden würden!«
»Heutzutage darf man sich nur um seine eigenen Dinge kümmern«, schloss Onkel Crocifisso.
Don Giammaria hielt ihn am Jackenärmel fest, um über diesen und jenen zu schimpfen, mitten auf der Piazza, im Dunkeln; über den Laternenanzünder, der das Öl stahl, über Don Silvestro, der gern ein Auge zudrückte, und »Giufà«, den Bürgermeister, der sich an der Nase herumführen ließ. Über Mastro Cirino, der, seit er bei der Gemeinde angestellt war, den Sekretär wie Judas spielte und das Angelus nur läutete, wenn er sonst nichts zu tun hatte, und als Messwein kaufte er von der Sorte, die Jesus am Kreuz getrunken hatte, ein wahres Sakrileg. Campana di legno nickte mechanisch, auch wenn sich beide nicht ansahen, und Don Giammaria nahm sich einen nach dem anderen vor und sagte: »Der da ist ein Dieb, der ist ein Gauner, der da ist ein Jakobiner. Hört Ihr, wie Piedipapera mit Padron Malavoglia und Padron Cipolla debattiert? Das ist ebenfalls einer von der Sekte, ein Volksaufwiegler, der mit seinem krummen Bein!« Und wenn er ihn über die Piazza humpeln sah, machte er einen weiten Bogen um ihn und sah ihm mit misstrauischem Blick nach, um auszuforschen, was der mit seinem Hinkegang wieder ausheckte. »Der da hat den Fuß des Teufels!«, murmelte er. Onkel Crocifisso zuckte die Schultern und wiederholte, er sei ein Ehrenmann und wolle sich da nicht einmischen. »Padron Cipolla, noch so ein eingebildeter Dummkopf, der sich von Piedipapera übers Ohr hauen lässt … und Padron ’Ntoni, der wird auch noch auf ihn hereinfallen …! Heutzutage muss man auf alles gefasst sein!«
»Ein Ehrenmann kümmert sich nur um seine eigenen Angelegenheiten«, wiederholte Onkel Crocifisso.
Compare Tino hingegen, der wie ein Präsident auf den Stufen vor der Kirche saß, ließ einen Spruch nach dem anderen vom Stapel: »Glaubt mir, vor der Revolution war das ganz was anderes. Ich sag euch, sogar die Fische haben dazugelernt.«
»Nein. Die Sardellen spüren nur den Nordostwind vierundzwanzig Stunden vorher«, erwiderte Padron ’Ntoni. »Das war schon immer so; die Sardelle ist schlauer als der Thunfisch. Jetzt fangen sie die Thunfische hinter dem Capo dei Mulini alle auf einmal, ganze Netze voll.«
»Ich sag Euch, woran’s liegt«, antwortete Compare Fortunato. »Es sind die verfluchten Dampfschiffe, die hin- und herfahren und mit ihren Schrauben das Wasser aufwühlen. Ist doch klar, die Fische bekommen Angst und lassen sich nicht mehr blicken. Daran liegt’s.«
Der Sohn der Locca stand mit offenem Mund da und kratzte sich am Kopf. »Wenn’s nur so wäre!«, sagte er. »Dann würde es auch in Syrakus und in Messina, wo die Dampfer verkehren, keine Fische mehr geben. Aber stattdessen bringen sie sie zentnerweise mit der Bahn von dort.«
»Woran immer es liegt«, rief Padron Cipolla aufgebracht, »ich wasche meine Hände in Unschuld, und es interessiert mich nicht die Spur, schließlich hab ich meine Felder und meine Rebstöcke und verdiene mir damit mein Brot.«
Und Piedipapera gab dem Sohn der Locca eine Ohrfeige, um ihm Manieren beizubringen. »Du Rindvieh, halt den Rand, wenn Leute reden, die älter sind als du.«
Da ging der Junge heulend davon und schlug sich mit den Fäusten auf den Kopf, weil alle ihn wie einen Dummkopf behandelten, bloß weil er der Sohn der Locca war. Und Padron ’Ntoni zog die Luft ein und bemerkte: »Wenn der Mistral nicht vor Mitternacht aufkommt, hat die Provvidenza genügend Zeit, das Kap zu umsegeln.«
Von der Höhe des Campanile ertönten gemessen dumpfe Glockenschläge. »Die erste Stunde der Nacht«, bemerkte Padron Cipolla.
Padron ’Ntoni bekreuzigte sich und erwiderte: »Friede den Lebenden und Ruhe den Toten.«
»Bei Don Giammaria gibt es heute Abend gebratene Vermicelli«, bemerkte Piedipapera und schnupperte in Richtung der Pfarrhausfenster.
Don Giammaria, der auf dem Heimweg in der Nähe vorbeikam, grüßte auch Piedipapera, denn in Zeiten wie diesen muss man sich sogar die Spitzbuben warmhalten; und Compare Tino, dem das Wasser im Mund zusammenlief, rief hinter ihm her: »Holla! Gebratene Vermicelli heute Abend, Don Giammaria!«
»Habt Ihr gehört? Man weiß sogar, was ich esse«, murmelte Don Giammaria zwischen den Zähnen. »Sogar den Dienern Gottes spionieren sie hinterher, um ihnen die Bissen nachzuzählen! Alles aus Hass auf die Kirche!« Und traf plötzlich, Nase auf Nase, auf Don Michele, den Brigadiere der Zollwache, der mit der Pistole auf dem Bauch und mit in die Stiefel gestopfter Hose auf der Suche nach Schmugglern war. »Denen rechnen sie nicht vor, was sie essen.«
»Die da, die gefallen mir!«, erwiderte Campana di legno. »Die, die auf die Sachen der anständigen Leute aufpassen, gefallen mir!«
Wenn man den mitmachen ließe, wäre er auch in ihrer Sekte, sagte Don Giammaria bei sich, als er an die Haustür klopfte. Alles eine Bande von Dieben! Und er murrte weiter vor sich hin, den Türklopfer in der Hand, während er misstrauisch die Schritte des Brigadiere verfolgte, die sich im Dunkeln in Richtung Wirtshaus verloren, und grübelte darüber nach, warum der da über die Interessen der anständigen Leute im Wirtshaus wachen wollte!
Doch Compare Tino wusste freilich, warum Don Michele über die Interessen der anständigen Leute im Wirtshaus wachen wollte; er hatte nämlich ganze Nächte damit zugebracht, das herauszufinden, gleich hinter der Ulme versteckt. Und er berichtete: »Er geht hin, um sich heimlich mit Onkel Santoro, dem Vater von der Santuzza, zu besprechen. Die, die das Brot des Königs essen, müssen alle den Aufpasser spielen und in Erfahrung bringen, was die Leute in Trezza und überall sonstwo treiben, und obwohl Onkel Santoro so blind ist wie eine Fledermaus in der Sonne und immer nur an der Tür zum Wirtshaus sitzt, weiß er alles, was im Dorf passiert, und könnte jeden einzelnen von uns erkennen, allein am Geräusch seiner Schritte. Und er hört bloß dann nichts, wenn Massaro Filippo mit der Santuzza den Rosenkranz betet, und er ist ein großartiger Aufpasser, besser, als wenn man ihm ein Tuch vor die Augen gebunden hätte.«
Maruzza war schnell ins Haus gegangen, als sie die Uhr hatte schlagen hören, und breitete das Tischtuch aus; die Nachbarinnen hatten sich allmählich zerstreut, und da sich das Dorf zur Ruhe begab, hörte man ganz nahe, am Ende der Gasse, das Meer schnarchen, und hin und wieder schnaufte es, wie einer, der sich von Zeit zu Zeit im Bett wälzt. Nur unten im Wirtshaus, wo man das rote Lämpchen sah, ging der Krach weiter, und man hörte das Geschrei von Rocco Spatu, für den jeder Tag ein Festtag war.
»Compare Rocco ist immer guter Dinge«, sagte nach einer Weile Alfio Mosca von seinem Fenster her, als es schien, keiner sei mehr da.
»Ach, Ihr seid noch da, Compare Alfio!«, erwiderte Mena, die auf der Treppe auf den Großvater wartete.
»Ja, ich bin hier, Comare Mena; ich esse hier draußen, denn wenn ich euch alle unter der Lampe bei Tisch sehe, komme ich mir nicht so allein vor, es vergeht einem sonst der Appetit.«
»Seid Ihr denn nicht guter Dinge?«
»Eh, dafür bräucht’s viel.«
Mena sagte nichts, und nach einem erneuten Schweigen fügte Compare Alfio hinzu: »Morgen fahre ich in die Stadt mit einer Ladung Salz.«
»Fahrt Ihr dann auch an Allerseelen?«, fragte Mena.
»Das weiß nur der liebe Gott, dieses Jahr sind die paar Nüsse ganz verfault.«
»Compare Alfio geht in die Stadt, um sich eine Frau zu suchen«, sagte Nunziata von der Haustür gegenüber.
»Stimmt das?«, fragte Mena.
»Hört, Comare Mena, als hätte ich sonst keine Sorgen. In meinem Dorf gibt es ja schon genug Mädchen, da braucht man nicht in der Ferne suchen.«
»Seht mal, wie viele Sterne dort oben funkeln!«, antwortete Mena nach einer Weile. »Es heißt, das sind die Seelen aus dem Fegefeuer, die ins Paradies gehen.«
»Hört zu«, sagte Alfio, nachdem auch er die Sterne betrachtet hatte, »Ihr seid doch Sant’Agata, wenn Ihr einmal von einer guten Lottozahl träumt, dann sagt sie mir, und ich werde mein letztes Hemd darauf setzen, und dann kann ich daran denken, mir eine Frau zu nehmen …«
»Guten Abend!«, erwiderte Mena.
Die Sterne funkelten noch heller, fast als würden sie angezündet, und die Drei Könige blitzten über den Fariglioni mit gekreuzten Armen, wie Sant’ Andrea. Das Meer schnarchte ganz leise am Ende des Gässchens, und in großen Abständen hörte man einen Karren, der im Dunkeln auf dem Pflaster vorbeirumpelte und in die Welt hinausfuhr, die so groß ist, dass einer, selbst wenn er Tag und Nacht gehen könnte, niemals ankommen würde, und es gab Menschen, die um diese Zeit unterwegs waren und nichts von Compare Alfio wussten und nichts von der Provvidenza draußen auf dem Meer und auch nichts von Allerseelen, dachte Mena, während sie auf der Veranda auf den Großvater wartete.
Noch ein paarmal trat der Großvater vors Haus, bevor er die Tür schloss, und sah zu den Sternen hinauf, die heller als sonst funkelten, und dann murmelte er: »Schlimm ist das Meer!«
Rocco Spatu schrie sich an der Wirtshaustür unter der Laterne die Seele aus dem Leib. »Wer guter Dinge ist, kann immer singen«, schloss Padron ’Ntoni.
Nach Mitternacht hatte der Wind angefangen zu toben, als wären alle Katzen des Dorfs auf dem Dach, und an den Fensterläden zu rütteln. Man hörte das Meer rings um die Fariglioni brüllen, als ob sämtliche Ochsen der Kirmes von Sant’ Alfio versammelt wären, und der Tag, der dann anbrach, war schwärzer als die Seele des Judas. Wirklich ein schlimmer Sonntag im September, so einem trügerischen September, der einem eine Sturzsee zwischen Kopf und Kragen schleudert, die einem vorkommt wie ein Flintenschuss in den Feigenkakteen. Die Boote waren hochgezogen auf den Strand und gut vertäut an den großen Steinen unterhalb des Waschhauses; die Kinder vergnügten sich damit, zu schreien und zu pfeifen, wenn man in der Ferne inmitten von Wind und Nebel ein zerfetztes Segel vorbeiziehen sah, als säße der Teufel im Heck; doch die Frauen bekreuzigten sich, fast als sähen sie mit eigenen Augen die armen Männer, die im Boot waren.
Die Longa sagte nichts, wie es ihr zukam, doch sie konnte nicht einen Augenblick still stehen und sie ging in Haus und Hof hin und her wie ein Huhn, das ein Ei legen will. Die Männer waren alle im Wirtshaus, im Laden von Pizzuto oder beim Metzger unter dem Vordach, reckten die Nase in die Luft und sahen zu, wie es regnete. Am Ufer war nur Padron ’Ntoni wegen der Fracht Lupinen, die mit der Provvidenza auf dem Meer unterwegs war und dazu noch mit seinem Sohn Bastianazzo, und außer ihm war da noch der Sohn der Locca, der selber nichts zu verlieren hatte; auf dem Meer, auf dem Boot mit den Lupinen, hatte er nichts außer seinem Bruder Menico. Padron Fortunato Cipolla sagte im Laden von Pizzuto, während er sich rasieren ließ, für Bastianazzo und Menico, den Sohn der Locca, mitsamt der Provvidenza und der Ladung Lupinen gebe er keinen Pfifferling.
»Jetzt wollen alle Händler sein und reich werden«, sagte er und zuckte die Schultern. »Und wenn sie dann das Maultier verloren haben, suchen sie noch nach dem Halfter.«
In der Kneipe von Schwester Mariangela, der Santuzza, war Hochbetrieb: der Säufer Rocco Spatu, der für zehn spuckte und krakeelte; Compare Tino Piedipapera, Mastro Turi Zuppiddu, Compare Mangiacarrubbe, Don Michele, der Brigadiere von der Zollwache, der mit den Hosenbeinen in den Stiefelschäften und der vor dem Bauch baumelnden Pistole aussah, als müsse er bei diesem Sauwetter gleich auf Schmugglerjagd gehen, und Compare Mariano Cinghialenta. Mastro Turi Zuppiddu, dieser Elefant, teilte im Scherz den Freunden Fausthiebe aus, die einen Ochsen zu Fall gebracht hätten, als hielte er noch seinen Kalfatererhammer in der Hand, und dann fing Compare Cinghialenta an zu schreien und zu fluchen, um zu zeigen, dass er ein Mann von echtem Schrot und Korn war und ein richtiger Fuhrmann.
Onkel Santoro wartete, zusammengekauert an der Tür unter dem dürftigen Vordach, mit ausgestreckter Hand auf Passanten, um Almosen zu erbetteln. »Zusammen müssen die beiden, Vater und Tochter«, sagte Compare Turi Zuppiddu, »ganz schön viel verdienen an einem Tag wie heute, wenn so viele Leute ins Wirtshaus kommen.«
»Bastianazzo Malavoglia geht es um diese Zeit schlechter als ihm«, erwiderte Piedipapera, »und Mastro Cirino kann noch so lang zur Messe läuten, die Malavoglia gehen heute trotzdem nicht zur Kirche; sie sind wütend auf den Herrgott wegen der Ladung Lupinen, die auf dem Meer unterwegs ist.«
Der Wind brachte Röcke und trockene Blätter zum Rascheln, sodass Vanni Pizzuto, das Rasiermesser in der einen Hand, den Kunden, den er gerade rasierte, an der Nase festhielt, um sich umzudrehen und zu schauen, wer gerade vorbeiging, die Faust in die Hüfte gestützt und die lockigen Haare glänzend wie Seide. Der Apotheker stand mit seinem riesigen Hut vor der Tür seines Ladens, sodass es aussah, als hielte er einen Regenschirm über den Kopf, und tat, als habe er Wichtiges zu besprechen mit Don Silvestro, dem Gemeindesekretär, damit ihn seine Frau nicht mit Gewalt in die Kirche schickte; und er lachte über diesen Vorwand in seinen langen Bart und zwinkerte den Mädchen zu, die über die Pfützen hüpften.
»Heute«, sagte Piedipapera, »spielt Padron ’Ntoni den Protestanten, gerade so wie Don Franco der Apotheker.«
»Wenn du dich auch nur umdrehst und zu diesem unverschämten Don Silvestro hinschaust, fängst du eine schallende Ohrfeige, gleich hier auf der Stelle«, murmelte die Zuppidda der Tochter zu, während sie die Piazza überquerten. »Der da gefällt mir nicht.«
Beim letzten Glockenschlag hatte die Santuzza das Wirtshaus in der Obhut ihres Vater gelassen und war in die Kirche gegangen, gefolgt von ihrer Kundschaft. Da der arme Onkel Santoro blind war, beging er keine Sünde, wenn er nicht zur Messe ging; so verlor man keine Zeit im Wirtshaus, und auch wenn er nicht sehen konnte, behielt er aus dem Augenwinkel die Theke im Blick, schließlich erkannte er jeden einzelnen Gast allein schon am Klang seiner Schritte, wenn er auf ein Glas vorbeischaute.
»Die Strümpfe der Santuzza«, bemerkte Piedipapera, als sie wie eine Katze auf den Zehenspitzen daherkam, »die Strümpfe der Santuzza, einerlei ob’s stürmt oder regnet, die hat noch niemand gesehen außer Massaro Filippo der Gärtner; das ist die reine Wahrheit.«
»Heute sind alle Teufel unterwegs«, sagte die Santuzza, während sie sich mit dem Weihwasser bekreuzigte. »Ein Tag zum Sündigen!«
Ganz in ihrer Nähe leierte die Zuppidda ihre Avemarias herunter; sie hockte auf den Fersen und warf grimmige Blicke um sich, als wäre sie auf das ganze Dorf wütend, und wer Ohren hatte, zu hören, dem wiederholte sie: »Comare Maruzza geht nicht in die Kirche, obwohl ihr Mann bei diesem schauderhaften Wetter draußen auf dem Meer ist! Da braucht man sich nicht wundern, wenn der Herr einen straft!« Sogar die Mutter von Menico war in der Kirche, war allerdings mit nichts anderem beschäftigt, als den Fliegen zuzuschauen.
»Man muss auch für die Sünder beten«, sagte darauf die Santuzza. »Dafür sind die frommen Seelen da.«
»Ja, so wie die Mangiacarrubbe betet, die Nase im Mantel versteckt, und Gott weiß, was für Sünden die jungen Männer wegen ihr begehen!«
Die Santuzza schüttelte den Kopf und sagte, in der Kirche dürfe man nicht über den Nächsten lästern. »Ein Wirt muss allen ein freundliches Gesicht zeigen«, antwortete die Zuppidda, und dann flüsterte sie der Vespa ins Ohr: »Die Santuzza möchte nicht, dass es heißt, sie verkauft Wasser für Wein, aber sie täte besser daran, Massaro Filippo nicht zur Todsünde zu verführen, schließlich hat er Frau und Kind.«
»Ich jedenfalls«, antwortete die Vespa, »hab Don Giammaria gesagt, dass ich nicht mehr zu den Töchtern Mariens gehören will, wenn die Santuzza die Oberin bleibt.«
»Heißt das, dass Ihr einen Mann gefunden habt?«, fragte die Zuppidda.