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Klassiker der Schauerliteratur Eine tödliche Seuche greift um sich. Prinz Prospero hat sich in eine von ihm selbst im gotischen Stil entworfene Abtei zurückgezogen, wo er mit seinen Gästen ein ausschweifendes, gespenstisches Maskenfest feiert. Er wähnt sich scheinbar in Sicherheit … Der amerikanische Autor Edgar Allan Poe (1809–1849), Meister des Horrors und der Spannung, erzählt in seinen Geschichten von seelischen Abgründen und albtraumhaften Geschehnissen. Neben der Maske des Roten Todes enthält der Band Die Tatsachen im Fall Waldemar sowie die Detektiverzählung Der entwendete Brief, die Poe selbst für seine beste hielt. Mit Anmerkungen und einer Nachbemerkung.
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Seitenzahl: 74
Edgar Allan Poe
Unheimliche Geschichten
Reclam
RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962302
2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2024
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-962302-3
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014608-8
www.reclam.de
Die Maske des Roten Todes
Die Tatsachen im Fall Waldemar
Der entwendete Brief
Anhang
Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Nachbemerkung
Lange schon wütete der ›Rote Tod‹ im Land; nie war eine Pest verheerender, nie eine Krankheit grässlicher gewesen. Blut war der Anfang, Blut das Ende – überall das Rot und der Schrecken des Blutes. Mit stechenden Schmerzen und Schwindelanfällen setzte es ein, dann quoll Blut aus allen Poren, und das war der Beginn der Auflösung. Die scharlachroten Tupfen am ganzen Körper der unglücklichen Opfer – und besonders im Gesicht – waren die Bannsiegel des Roten Todes, das die Gezeichneten von der Hilfe und der Teilnahme ihrer Mitmenschen ausschloss; und alles, vom ersten Anfall bis zum tödlichen Ende, war das Werk einer halben Stunde.
Prinz Prospero aber war fröhlich und unerschrocken und weise. Als sein Land schon zur Hälfte entvölkert war, wählte er sich unter den Rittern und Damen des Hofes eine Gesellschaft von tausend heiteren und leichtlebigen Kameraden und zog sich mit ihnen in die stille Abgeschiedenheit einer befestigten Abtei zurück. Es war ein ausgedehnter prächtiger Bau, eine Schöpfung nach dem eigenen exzentrischen, aber vornehmen Geschmack des Prinzen. Das Ganze war von einer hohen, mächtigen Mauer umschlossen, die eiserne Tore hatte. Nachdem die Schar der Höflinge dort eingezogen war, brachten die Ritter Schmelzöfen und schwere Hämmer und schmiedeten die Riegel der Tore fest. Es sollte weder für die draußen wütende Verzweiflung noch für ein etwaiges unkluges Verlangen der Eingeschlossenen eine Türe offen sein. Da die Abtei reichlich mit Proviant versehen war und alle erdenklichen Vorsichtsmaßregeln getroffen worden waren, glaubte die Gesellschaft der Pestgefahr trotzen zu können. Die Welt da draußen sollte für sich selbst sorgen! Jedenfalls schien es unsinnig, sich vorläufig ängstlichen Gedanken hinzugeben. Außerdem hatte der Prinz für allerlei Zerstreuungen gesorgt. Da waren Gaukler und Komödianten, Musikanten und Tänzer – da war Schönheit und Wein. All dies und dazu das Gefühl der Sicherheit waren drinnen in der Burg – draußen war der Rote Tod.
Im fünften oder sechsten Monat der fröhlichen Zurückgezogenheit versammelte Prinz Prospero – während draußen die Pest noch mit ungebrochener Gewalt wütete – seine tausend Freunde auf einem Maskenball mit unerhörter Pracht. Reichtum und zügellose Lust herrschten auf dem Fest. Doch ich will zunächst die Räumlichkeiten schildern, in denen das Fest abgehalten wurde.
Es waren sieben wahrhaft königliche Gemächer. Im Allgemeinen bilden in den Palästen solche Festräume – da die Flügeltüren nach beiden Seiten bis an die Wand zurückgeschoben werden können – eine lange Zimmerflucht, die einen weiten Durchblick gewährt. Dies war hier jedoch nicht der Fall. Die Vorliebe des Prinzen für alles Absonderliche hatte die Räume vielmehr so zusammengesetzt, dass man von jedem Standort immer nur einen Saal überschauen konnte. Nachdem man einen Einzelraum durchquert hatte, gelangte man jedes Mal an eine Biegung, und jede dieser Wendungen brachte ein neues Bild. In der Mitte jeder Seitenwand befand sich ein hohes, schmales gotisches Fenster, hinter dem eine schmale Galerie den Windungen der Zimmerreihe folgte. Diese Fenster hatten Scheiben aus Glasmosaik, dessen Farbe immer mit dem vorherrschenden Farbton des betreffenden Raums übereinstimmte. Das am Ostende gelegene Zimmer zum Beispiel war in Blau gehalten, und so waren auch seine Fenster leuchtend blau. Das folgende Gemach war in Wandbekleidung und Ausstattung purpurrot, und auch seine Fenster waren purpurfarben. Das dritte war ganz in Grün und hatte dementsprechend grüne Fensterscheiben. Das vierte war orangefarben eingerichtet und hatte orangefarbene Beleuchtung. Das fünfte war weiß, das sechste violett. Die Wände des siebten Zimmers aber waren dicht mit schwarzem Samt bezogen, der sich auch über die Deckenwölbung spannte und in schweren Falten auf einen Teppich aus gleichem Stoff niederfiel. Und nur in diesem Raum glich die Farbe der Fenster nicht derjenigen der Dekoration: hier waren die Scheiben scharlachrot – wie Blut.
Nun waren sämtliche Zimmer zwar reich an goldenen Dekorationsgegenständen, die an den Wänden entlang standen oder von der Decke herabhingen, aber kein einziges besaß einen Kerzenständer oder Kronleuchter. Es gab weder Lampen- noch Kerzenlicht. Stattdessen war draußen in der an den Zimmern entlanglaufenden Galerie vor jedem Fenster ein schwerer Dreifuß aufgestellt, der ein kupfernes Feuerbecken trug, dessen Flamme ihren Schein durch das farbige Fenster hereinwarf und so den Raum schimmernd erhellte. Dadurch wurden die phantastischsten Wirkungen erzielt. In dem westlichsten oder schwarzen Raum aber war der Glanz der Flammenglut, der durch die blutig roten Scheiben auf die schwarzen Samtfalten fiel, so gespenstisch und gab den Gesichtern der hier Eintretenden ein derart erschreckendes Aussehen, dass nur wenige aus der Gesellschaft kühn genug waren, den Fuß über die Schwelle zu setzen.
In diesem Raum befand sich an der westlichen Wand auch eine hohe Standuhr in einem riesenhaften Ebenholzkasten. Ihr Pendel schwang mit dumpfem, wuchtigem, eintönigem Schlag hin und her; und wenn der Minutenzeiger seinen Kreislauf über das Zifferblatt beendet hatte und die Stunde schlug, so kam aus den eisernen Lungen der Uhr ein voller, tiefer, wohlklingender Ton, dessen Klang so sonderbar ernst und so feierlich war, dass bei jedem Stundenschlag die Musikanten des Orchesters, von einer unerklärlichen Gewalt gezwungen, ihr Spiel unterbrachen, um diesem Ton zu lauschen. So musste der Tanz plötzlich aussetzen, und eine kurze Missstimmung befiel die heitere Gesellschaft. Solange die Schläge der Uhr ertönten, sah man selbst die Fröhlichsten erbleichen, und die Älteren und Besonneneren strichen mit der Hand über die Stirn, als ob sie wirre Traumbilder oder unliebsame Gedanken verscheuchen wollten. Kaum aber war der letzte Nachhall verklungen, durchlief ein lustiges Lachen die Versammlung. Die Musikanten schämten sich lächelnd für ihre Empfindsamkeit und Unvernunft, und flüsternd vereinbarten sie, dass der nächste Stundenschlag sie nicht wieder derart aus der Fassung bringen solle. Wenn allerdings nach wiederum sechzig Minuten (dreitausendsechshundert Sekunden der flüchtigen Zeit) die Uhr von neuem schlug, trat dasselbe allgemeine Unbehagen ein, dieselbe Angst und Nachdenklichkeit wie vorher.
Doch wenn man hiervon absah, war es eine prächtige Lustbarkeit. Der Prinz hatte einen eigenartigen Geschmack bewiesen. Er hatte ein feines Empfinden für Farbwirkungen. Alles Herkömmliche und Modische war ihm zuwider, er hatte seine eigenen kühnen Ideen, und seine Phantasie liebte seltsame glühende Bilder. Es gab Leute, die ihn für wahnsinnig hielten. Sein Gefolge aber wusste, dass er es nicht war. Doch man musste ihn sehen und kennen, um sich sicher zu sein.
Die Einrichtung und Ausschmückung der sieben Säle war eigens für dieses Fest ganz nach den eigenen Angaben des Prinzen gemacht worden, und sein eigener merkwürdiger Geschmack hatte auch den Charakter der Maskerade bestimmt. Gewiss, sie war grotesk genug. Da gab es viel Prunkvolles und Glitzerndes, viel Phantastisches und Pikantes. Da gab es Masken mit seltsam verrenkten Gliedmaßen, die Arabesken darstellen sollten, und andere, die man nur mit den Hirngespinsten eines Wahnsinnigen vergleichen konnte. Es gab viel Schönes und viel Üppiges, viel Übermütiges und viel Groteskes, und auch einiges Schaurige – aber nichts, was irgendwie widerwärtig gewirkt hätte. In der Tat, es schien, als wogten in den sieben Räumen eine Unzahl von Träumen durcheinander. Und diese Träume wanden sich durch die Säle, von denen sie jeder mit seinem besonderen Licht umspielte, und die ausgelassenen Klänge des Orchesters schienen wie ein Echo ihres Schreitens. Von Zeit zu Zeit aber schlugen die Stunden der schwarzen Riesenuhr in dem Samtsaal, und eine kurze Weile herrschte eisiges Schweigen – nur die Stimme der Uhr erdröhnte. Die Träume erstarrten. Doch das Geläut verhallte – und ein leichtes halbunterdrücktes Lachen folgte seinem Verstummen. Die Musik rauschte wieder, die Träume belebten sich von neuem und wogten noch fröhlicher hin und her, farbig beleuchtet durch das Strahlenlicht der Flammenbecken, das durch die vielen bunten Scheiben strömte. Aber in das westliche der sieben Gemächer wagte sich jetzt niemand mehr hinein, denn die Nacht war schon weit vorgeschritten, und das Licht floss noch greller durch die blutroten Scheiben und überflammte die Schwärze der düsteren Vorhangfalten; wer den Fuß hier auf den dunklen Teppich setzte, dem dröhnte das dumpfe, schwere Atmen der nahen Riesenuhr warnender, schauerlicher ins Ohr als all jenen, die sich in der Fröhlichkeit der anderen Gemächer umhertummelten.