Die Möwen von Sultanahmet - Jochen Kelter - E-Book

Die Möwen von Sultanahmet E-Book

Jochen Kelter

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Beschreibung

Die Liebe und das Leben, die Natur und die oft schrecklichen, oft komischen Beziehungen von Menschen - das sind die Themen des sanften Melancholikers Jochen Kelter. Und seine Gedichte sind leise Lieder, formvollendet und schön, wie gezeichnet von einem nüchternen Pathetiker, der weiß, dass er die meiste Zeit des Seins hinter sich gebracht hat. Die Blicke zurück häufen sich, Bilanzen werden gezogen, und mehr und mehr wird nach dem Sinn dessen gefragt, was einer getan - und unterlassen hat. Immer aber tröstet: die Präsenz der Natur. Kelter versteht es, "Landschaften, Jahreszeiten, Gerüche oder Erinnerungsbilder vor das Auge des Lesers zu zaubern." (Roman Bucheli, NZZ) Und ihn, den Leser, zu verzaubern.

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Seitenzahl: 39

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Impressum

Jochen Kelter

Die Möwen von Sultanahmet

Gedichte

© Weissbooks GMBH Frankfurt am Main 2015

Alle Rechte vorbehalten

Konzept Design

Gottschalk+Ash Int’l

Umschlag

Julia Borgwardt, borgwardt design

unter Verwendung eines Motivs von

© Sayanny/fotolia.com

Foto Jochen Kelter

© Franzis von Stechow

Satz

Publikations Atelier, Dreieich

Erste Auflage 2015

ISBN 978-3-86337-091-6

Dieses Buch ist auch als Printversion erhältlich

ISBN 978-3-86337-017-6

weissbooks.com

 

Jochen Kelter

Die Möwenvon Sultanahmet

Gedichte

Die Möwenvon Sultanahmet

Der Autor dankt der Kulturstiftung des Kantons Thurgau für die Unterstützung der Arbeit an diesem Buch.

Jochen Kelter, geboren 1946 in Köln, Studium der Romanistik und Germanistik in Deutschland und Frankreich. Erzähler, Lyriker, Essayist. Lebt im schweizerischen Ermatingen am Bodensee. Verschiedene Literaturpreise und Auszeichnungen. Wichtige Publikationen: Bodenseegeschichten, hrsg. zusammen mit Hermann Kinder, Eine Ahnung von dem was ist (Gedichte), Verweilen in der Welt (Gedichte), Hall oder Die Erfindung der Fremde (Roman). Zuletzt erschien bei weissbooks.w Hier nicht wo alles herrscht (Gedichte, 2014).

I

Arabischer Frühling

Die Bildnisse werden abgehängt

in memoriam Johannes Poethen

Dein Foto hängt

im engen Treppengang

im handtuchschmalen Haus

unter dem von Thaddäus: Zigarre

im verschmitzten Mund

beinahe eine Dynastie

Seither ist keines mehr

dazugekommen: die Zeit verebbt

nun werden die Despoten

wieder über Nacht verjagt

Luft zu atmen anstelle

der Erstickungsbilder

Bleiben wird von uns nichts

nichts von denen auch

die ihre Völker beraubten

und nichts von jenen

die sie vertrieben Staub

wird am Ende übrig sein

Zwei Verse in einem Buch

das vergilbt wir werden immer

auf ihrer Seite gewesen sein

nie auf jener der Bildnisse

wir hängen uns ab

unsere einzige Zierde

Arabische Revolution

Ein armer Mann

bleibt auch in der Wüste

ein armer Mann

eine Frau ohne das Recht

den Blick zu heben kann

in den Himmel schauen

sie bleibt unter den anderen

und auch in ihrem Hof

allein eine blicklose Frau

ein Jüngling kann

weit über das Meer sehen

bis zu der Linie an der sich

Himmel und Wasser berühren

umdrehen kann er sich nicht

ein Taxifahrer erbricht

mit seinem klapprigen Gefährt

das Brot für seine Familie

seinen Mithäftlingen

den Polizisten entkommt

er nicht der zahnlose Alte

weiss dass es immer so war

seit der Prophet uns verliess

Frühjahrssaat

Ist es dieser März

nun in dem ausgesät wird

was die Menschen ernten werden?

Kleine Fächer so vernehm ich

blühen auf zu weissen Segeln

auf dem Fluss und an den Küsten

Starker Wind so hör ich

bläht sie auf zu runden Bäuchen

doch die Winde fürcht ich

könnten fallen Frühjahr

könnte in den Sommer blauen

und wir würden die Bilanzen

Neu anschauen Märzenlust

Frühjahrsband doch der Sommer

schaut genau auf die Zahlen

die das Jahr beenden werden

und uns ist nun mal bestimmt

allem Ende hier auf Erden

Vorzubauen haben wir uns

nicht schon einmal verrechnet

am Strand des Euphrat dazumal?

Ach da wehten keine Winde?

Richtig doch das ist der

Rechnung einerlei ist das Jahr

Dannzumal vorbei wenn wir

nur den Winden trauten

und den Strömen die uns treiben

könnten wir den Grund verlieren

allen Scheins der festen Dinge

die allein uns bleiben

Stummer Freund

für Sinan Gudzevic

Du gibst weder Laut

noch Wort antwortest nicht

durch die fernen Wellen

des Äthers und nicht

auf Papier: unserem Grund

Wir wollten keine Berge

versetzen sondern Gedichte

damals als sie noch

die Welt aufschlossen

in Belgrad Sarajevo Salerno

Ist der Vesuv implodiert?

Sind die Balkane verkauft?

Ist die Welt im Tsunami

verschwunden? Kämpfst du

als Weltsoldat in Benghasi?

Rettest du »Partizan«?

Welche Springflut lässt dich

verstummen? Entdeckst du

das Geheimnis Silber zu

verwandeln in Schweigen?

Sag mir die neue Welt

Gemälde

Zwei Herren im Gehrock

mit Bart und Zylinder

betrachten von ihrem Balkon

die Fassaden der hohen

Haussmannschen Häuser auf

der anderen Seite der Avenue

über den dichtgrünen Bäumen

es könnte gestern gewesen sein

nur die Natur braucht noch

zwei Wochen und Arabien

wohl noch viel länger

allein auf diesem Bild blühen

die Bäume regungslos

ans Ende nun endlich gerückt

der Menschheitsgeschichte

währt das Frühjahr ewig

Damaskus

Das Frühjahr lang

und breit und schattenlos

die Blüte früh schon weiss

und gelb und rot und gross

im Winter ging das Frühjahr los

bald würden wir ja auf der

anderen Seite des kleinen

Meeres sein das uns trennt

im Frühling in Arabien

Oasen der Omayaden

kanalisiertes Wasser der Kalifen

Bethäuser nah dem Paradies

das Visum wird nicht mehr

gebraucht wir bleiben sie

sind dort wo Schüsse hallen

Menschen fallen ist kein Ort

ausser für sie alle vereint

gegen den Tod erst danach

kommt das Wort

Vormärz

Wie viele Winter später

wie viele Sommer vorbei

Frühjahr scheint von weit

oben her durch den Äther

und du wirst müde dabei