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Wenn Gereon Klug nicht gerade Songs (etwa Deichkinds »Leider geil«) erfindet, oder revolutionäre, den Alltag verschönernde, noch nicht zur Marktreife gelangte Gegenstände (das bisher einzig essbare Kochbuch der Welt) entwickelt, dann schreibt er »psychedelische Schlachtengemälde« (taz) oder als Hans E. Platte den »besten Newsletter Deutschlands« (FAZ). Klug publiziert(e) in »DIE ZEIT«, »titanic« und angeblich auch im »Handelsblatt«. Da kommt über die Jahre natürlich ein ordentlicher Batzen Text zusammen. Zeit also für ein neues (leider nicht essbares) Klug-Buch. »Die Nachteile von Menschen« enthält sämtliche ZEIT-Kolumnen, sowie noch mehr zuvor unveröffentlichte Texte. Allein schon das Inhaltsverzeichnis ist das Geld wert, da sieht man gleich: Hier prosten sich Hirn und Zwerchfell zu. Klug ist nicht nur Tüftler, Bonvivant, Songerfinder und Listenschreiber, sondern übrigens auch der einzige Mensch, den Harry Rowohlt vom Deutschen ins Englische übersetzte (und nicht umgekehrt) – womit seine Welt auch ganz gut umschrieben ist: Seine Texte machen Ernst mit lustig und erfinden die Wahrheit. Mit einem Vorwort von Jan Weiler
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Seitenzahl: 208
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GEREON KLUG
132 Beschädigungen aus dem reflektierten Leben
Deutsch von Gereon Peter David Leonard KlugMit einem Vorwort von Jan Weilerund Zeichnungen von Carsten Meyer
© Ventil Verlag UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG, Mainz 2023
Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werks für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG vorbehalten. Jegliche unbefugte Nutzung ausgeschlossen.
In Kooperation mit Tapete Records
ISBN print 978-3-95575-210-1
ISBN epub 978-3-95575-629-1
Lektorat: Heiko Arntz, Gunther Buskies
Covergestaltung: Oliver Schmitt
Cover »Zum Scheißen reicht’s«: Galia Kodsi
Ventil Verlag, Boppstr. 25, 55118 Mainz
www.ventil-verlag.de
Vorwort
Heute, Mittwochmorgen
Die Nachteile von Menschen
Die Nachteile von Tieren
Feelingsgefühle
Wie heißt das bloß …
Der neue Axl Rose
Hamburg, 6. 4. 2032 (dpa)
Die neuen Erwachsenenpuzzle sind da!
Time is the Masterin
Mit Ei versucht, was Leiden nicht schaffte
Pressemitteilung Golden Pudel Club
Brief an Mensch
Unser Deutscher soll schöner werden
Liebe Eselsohren des Buch Gottes
Die Natur hat immer recht
Geschenktipp
Bürohumor
Das Original
Das Comeback
Das Buch von der Kundschaft
Die tägliche Sackgasse
Liebe politisch Interessanten
Heute geht’s um Vinyl!
Ironie ist die Waffe der Meinungslosen
Liebe Hidenseeler, Sylter und Berliner
Die 10 besten Stellen bei der Rede von Ben Becker vor den Böhsen Onkelz 2014
Thema Musik
Hallo, ihr Astronautinnen und Kosmonauten des Landes
Eine Band
The first cut is the Beatles
Kundenbestand
Die unwichtigen Fragen der Woche
Sängerkrieg der Blasehasen
Welt im Bild
Hallo Pilger:innen!
Pfannenfertig
Dialektik in Hektik
Krankheit als Weg
Tipps für die heiße Zeit
Fantasie ist wie Beton
Das Mensch ist die beste Hund von Tier
Arme Beine
Geschäftsidee
Mails
Was macht Jochen Distelmeyer eigentlich so?
Neumännlich
Freie Gegenrede
Die Nachteile von großen Bands
Eine kleine Sommergeschichte
Na, Metropolinskis!
Nach seinem 7. Platz in den deutschen Charts: Was DJ Koze als nächstes schafft
Im Flow
Wenn Affen whoo-hoo singen
Freitagmorgen, kurz vor 11 Uhr
Die neuen Urlaubs-Challenges sind da
Die Nachteile von deutschen Bands
Nochmal das Thema Musik
The Detectorists
Eine Frage an dich als Mensch
1. Kapitel Eckart
2. Kapitel Eckart
3. Kapitel Eckart
4. und letztes Kapitel Eckart
Eins von beiden
Kaffee, hell wie Tee
Liebe Wasserflöhe!
Der Goldene-Handschuh-Film
Die 10 »Wieder da«-Regeln
Bücher
Liebe Youtubbies
No Spam
Brief an einen Vertrieb
Hallo aus Hamburg
Das Rolling-Stones-Konzert
Aktuelle Gedanken des Mannes K. am Tresen
Dreimal: Glückwunsch!
In da Natur
Die neuen Specials
Das Leben als Schallplatte
Dinge
Hahahaha!
Was man alles nicht mit Raritäten machen sollte
Die Nachteile von Vorteilen
Kolumnisti
Die 10 bizarrsten Gerüchte über Heinz Strunk
Geehrte Weggefährten
Gedanken zu Jochen Distelmeyers Platte »Gefühlte Wahrheiten«
Boy Division
Gitarre
Die Nachteile von Gitarristen
Das Kamel des Pop
Musik, was ist das eigentlich?
Lebenskniffe (formerly known as Trick 17)
K.
Die kommen die Platten
Herbstdepressiver aufgepasst!
Das Meeting
Gereons internationaler DJ-Promotext
Taylor Swifts vergifteter Apfel
Guten Tag
Wer teilt sich den Reim auf Not?
Werte Kulturellis
Die aktuellen Essens-Meldungen der Woche
Liebe Auto-Motor-und-Sport-Newsletter-Abonnenten
Fragen zum Urin
Statt Stille
Die Elbphilharmonie
Hallo Bücherfreaks
Stempelkuss
The three Pauls
Hallo!
Newsletter I
Newsletter II
Newsletter III
Newsletter IV
Der Odem des Seins
Die 10 Vorteile von Kids
Anruf bei Gott
Er
Die 10 klaren Vorteile von Konzerten
»Black Friday«: Was wir bisher wissen
Geradeaus
Dasselbe Denken
Zeit, um Stellung zu beziehen
Porepp – Das Foto
Porepp – Die Frau
Die Unglücksformel
Älter, aber Fidel
Liebe Hobby-Atheisten
Service
Die Nachteile von Geld
PS: Carsten the Meyer
Gereon Klug
Gereon Klug entstammt einer Familie aus Wissenschaftlern, Schamanen und Leistungsdenksportlern. Sein Onkel Sergei zählt zu den Pionieren des abstrakten russischen Realismus, seine Tante Mareike erfand das Käsemesser. Seit Jahrhunderten ist es immer wieder ein oder eine Klug, die das europäische Geistesleben oder den Alltag von Menschen aus allen Epochen seit dem achten Jahrhundert mit blitzgescheiten Ideen und scheinbar absurden, aber lebensnahen Gedanken auf das Erquicklichste bereichert haben.
Denken wir an Klaus Klug und seine schwatzhaften Heringe auf den Jahrmärkten Frieslands im neunzehnten Jahrhundert. Oder an Berta Klug, die während der französischen Revolution gerne vorlaute Adlige mit der singenden Säge zerteilte. Oder an den Psychotherapeuten Modest Klug, der nicht wenige seiner Patienten vor dem Selbstmord abhielt, indem er ihnen vorspielte, dass das Leben ein einziger Witz sei, über den man bis zum natürlichen Lebensende lachen kann.
Das alles könnten Vorbilder für Gereon Klug gewesen sein. Sind nicht Deichkind die legitimen Nachkommen jener schwatzhaften Heringe, mit denen Klaus von Markt zu Markt tingelte? Sind seine schmerzhaften Sottisen über die Mächtigen nicht so etwas ähnliches wie Bertas Säge? Und hat er nicht etwas von Modest, dem heilenden Lacharzt? Sicher ist da etwas dran. Aber niemand dürfte Gereon Klug stärker geprägt haben als Chlodwig Klug, der im zwölften Jahrhundert als Hofnarr und Häretiker wirkte und bloß deshalb wenig Spuren in der deutschen Kulturgeschichte hinterlassen hat, weil er sehr früh starb, nämlich noch vor sieben Uhr morgens und zudem an einem Sonntag, weswegen Influencer und Berichterstatter noch schliefen und es versäumten, ihn gebührend in schriftlicher Form zu würdigen. Manchmal sind es diese kleinen Dinge, die den Weltruhm verhindern. Oder zu großen Karrieren verhelfen. Beispiel: Hätte Elvis Aaron Presley seiner Mutter eine Schachtel Pralinen statt einem selbst aufgenommenen Song geschenkt, gäbe es heute keine Elvis-Imitatoren mit Hochzeitskapellen in Las Vegas. Aber ich schweife ab, eine Kunstform, die Gereon Klug übrigens wie kaum ein anderer beherrscht. Bei ihm besteht ungefähr die Hälfte seiner Kunst aus ins thematische Abseits führenden Gedankengassen, in denen sich Thunfisch und Schattenmorelle Gute Nacht sagen. Aber das führt zu weit. Was die andere Hälfte von Gereon Klugs Fertigkeiten darstellt: Immer weiter zu mäandern und uns an diesem Flow von Ideen teilhaben zu lassen. Abschweifen und dann weit treiben lassen: Was für ein schönes und freies Konzept das ist.
Klug kann das, weil er niemandem und keiner Form verpflichtet ist. Er darf das, weil er sich selbst beauftragt in seinem Newsletter und nicht weisungsgebunden für irgendwen oder irgendwas in die Harfe greift. Das ist heute sehr selten geworden und übrigens ebenfalls ein Erbe des mittelalterlichen Chlodwig Klug, der damals an mehreren Höfen nacheinander als Hofnarr und Häretiker wirkte, manchmal nur kurz, weil er das Kunststück fertigbrachte, sowohl Könige als auch Knechte abwechselnd zu unterhalten und zu verärgern. Entweder er wurde von den Regenten verjagt oder von den Untergebenen verdroschen, was ihn nicht weiter verdross. Es bestärkte ihn jedenfalls mehr, als wenn er von allen mit Gold und Lob überschüttet worden wäre, was ja immer auf eine gewisse korrupte Gefallsucht hinweist.
Gereon Klug wird seinem Ahnen Chlodwig schon sehr gerecht, auch wenn man ihm dessen Ende nicht wünscht. In manchen Schriften über Chlodwig – sie sind nur in Bibliotheken zugänglich, im Internet findet man das gar nicht – wird berichtet, er sei auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden, aber das entspricht nicht ganz der Wahrheit. Vielmehr hat es sich so zugetragen, dass er mit dem Scharfrichter kurz vor der Hinrichtung darüber stritt, wie man bei einer ordnungsgemäßen Menschenverbrennung Reisig, Grillanzünder und Fidibusse im richtigen Mengenverhältnis korrekt einschichtet, um einerseits das gewünschte Ergebnis und andererseits eine kosteneffiziente Exekution zu erhalten. Um zu beweisen, dass er mehr Ahnung davon hatte als sein Henker, übernahm er die Vorbereitung selbst und zündete den Haufen auch eigenhändig an, der dann ausgesprochen professionell abbrannte, wie Augenzeugen nicht ohne Bewunderung vermerkten. Dazu passen auch die letzten Worte von Chlodwig Klug, die da lauten: »Die scheiß Streichhölzer bringen’s nicht, hat mal einer einen Crème-brûlée-Brenner?«
Nichts von alldem ist wahr, natürlich. Aber so könnte es sich lesen, wenn man Gereon Klugs Buch liest und sich Gedanken darüber macht, woher der Wahnsinn bei ihm wohl kommen mag. Dann macht man ähnliche Kurven wie er sie hier und da mit Leichtigkeit nimmt. Und kommt trotzdem nicht dahinter, wie Klugs Kunst genau funktioniert.
Sie besteht in einem immerwährenden Fluss von Ideen, manchmal nur in die Tastatur geklappert und ohne jeden Zusammenhang als Einzeiler serviert, manchmal länger, ausgedachter und feiner. Natürlich ist es von Wert, dass Gereon Klug ziemlich viel Ahnung hat von dem, worüber er schreibt. Musik zum Beispiel. Er versteht davon so viel wie Chlodwig vom Entzünden eines Scheiterhaufens und er schreibt gerne darüber, ohne je belehrend zu wirken. Das liegt daran, dass er weiß, dass ein Song in zweieinhalb Minuten das Leben eines Menschen verändern kann. Ein Text darüber sollte nicht länger sein, sonst nimmt er dem Lied seine Wirkung. Gereon Klug ist das Musterbeispiel eines Experten: Weiß alles, kann darüber berichten, langweilt nie.
Die hier vorliegenden Texte sind unveröffentlicht oder stammen aus seinem Hanseplatte-Newsletter, in dem er neue Produkte aus deren Shop sowie sprunghafte Gedanken dazu und zu allem Möglichen präsentiert. Dann enthält dieses Buch natürlich seine Kolumnen für die ZEIT und Texte für andere Auftraggeber, die das Glück hatten, von ihm mit seinen einzigartigen, manchmal kruden und immer lustigen Texten beliefert zu werden.
Wie er das macht, ist mir ein Rätsel. An einer Stelle gibt er Tipps, wie man sein Karma verbessern kann. Einer lautet: »Jedes Tier, dem Sie begegnen, sieht aufgeblasen anders aus. Malen Sie es!« Das ist albern. Aber es könnte trotzdem gut sein, dass es mich weiterbrächte. Es ist immer nicht ganz ausgeschlossen, dass Gereon Klug einfach Recht hat, besonders mit den scheinbar absurdesten Aphorismen. Und manchmal sind sie wirklich sehr sehr schön. Wie dieses Ding hier:
»Für alles gibt es das richtige Flüssige!
Für alles!
Für Fische gibt es Wasser (zum Ficken).
Für Kinder gibt es Schnodder (zum richtig Kindsein).
Für Teenager Bushauche (zum Herz- oder Pimmelreinmalen).
Für Ufer gibt es Flüsse.«
Bushauche! Es ist sauschwer, so etwas hinzubekommen. Und dann noch in dieser Schlagzahl. Unbegreiflich. »Fantasie ist wie Beton« schreibt er an anderer Stelle. Und es stimmt: Das leichte, flüchtige, zarteste ist am Ende am härtesten in der Herstellung.
Aber bei ihm scheint das so leicht zu sein. Vielleicht ist es das für ihn ja auch wirklich. Ich wünsche es ihm. Dafür spricht, dass Gereon Klug so ein wandelbarer Künstler ist. Er hat das erste kochbare Kochbuch erfunden, als wohl einziger Autor mal was für die »titanic« und das »Handelsblatt« (unter Pseudonym) geschrieben, das Musical »Der König der Möwen« kreiert, Kinderbücher herausgebracht, zwei wunderbare Plattenläden gegründet und es wurde ihm die große Ehre zuteil, von Harry Rowohlt übersetzt zu werden. Und zwar nicht vom Englischen ins Deutsche, sondern umgekehrt. Das hat außer ihm meines Wissens niemand geschafft.
Wie dem auch sei. Gereon Klugs Textsammlung ist eine Offenbarung an geistvoller Unterhaltung. Man wünschte sich, der Mann würde sich jetzt mal zusammennehmen, Urlaub nehmen und dann über die Langstrecke gehen. Oder anders gesagt: Gereon Klug ist der einzige Autor, von dem ich mir den großen deutschen Wenderoman wünsche.
Los! Raus mit dem Schinken!
Jan Weiler
Jetzt ist das auch schon wieder 10 Jahre her, dass mein Versuch, diese unsägliche ZEIT-Rubrik durch einen Sexismus zu zerstören, keinen Erfolg hatte.
Ich will meine psychischen Batterien aufladen und gehe auf den Markt. Also auf einen hauptsächlich an Obst und Gemüse orientierten, zudem mit zwei Fleisch-, einer Fisch-, zwei Käsebuden und Gewürzstand wie Eierhuhnmann ergänzten Markt, diese Art von Markt. Mein Ziel ist, von der irre gesund aussehenden und immer frisch gelaunten Standbedienung eine gute Dosis Karma und Positivität abzugreifen. Auf den Draußen-Märkten sehen die Mitarbeiter immer dreimal so propper aus wie im Biomarkt, warum auch immer. Hier wohlgenährt und fröhlich lebensbejahend an der Luft, dort im korrekten, aber öden Ladenlicht verhärmt und freudlos den Tofu vor sich hin räumend. Nirgendwo sehen Menschen so krank aus wie im Biomarkt, nicht mal beim Urologen. Ich also für Obst immer nach draußen, da hat man richtig was von.
Der Obstmann erklärt der Frau vor mir die Schmorgurke. Ob sie denn wisse, wie man die zubereite? Dafür müsse man nämlich wissen, wo bei der Schmorgurke oben und unten ist. Wieso das denn, fragen die Frau und ich gleichzeitig, denn wir sind von der uns umgebenden Frische und agilen Gesamtstimmung wissbegierig und offen. Weil man die Schmorgurke, wenn man sie schneidet, von oben nach unten teilen müsse, sonst würde sie bitter. Bitter?! Oha! Nie gehört davon! Ist das wahr? Sagenhaft! Die Information wird umgehend allen um uns rumstehenden Leuten kundgetan, spontan bilden sich mehrere Schmorgurken-Workshops und das Symposium »Bitteres Gemüse«. Man verlangt nach einem Messer, um das Gelernte auszuprobieren. Dicht gedrängt umringen uns nun Hausfrauen, IT-Spezialisten, Optikerinnengatten und Müßiggänger, also alle Bestandteile des ganzen Volkes, wir schließen niemand aus.
Von ganz hinten wird ein Messer über die Köpfe gereicht. Laute Jubelschreie in Erwartung der Schneideprobe, gleich wird das neue Wissen angewendet werden! Hunderte Augenpaare verfolgen nun die Aktion an der Schmorgurke, nein, an zwei Schmorgurken. Unser inzwischen auf Insta als »#Bitterman« zum Star gewordener Obstverkäufer teilt eine von unten nach oben, die andere von oben nach unten, um kleine Stücke von beiden unter uns, seinen neuen Fans, zu verteilen. Begeistert wegen der erwarteten Geschmackspendelei von bäh bis spitze greifen wir zu und schieben uns die Schmorgurken in die Münder.
Unter die zahlreichen »Genau!«- und »Ist ja irre!«-Ausrufe hochschwelliger Nahrungsästheten mischen sich zwar auch ein paar »Schmeckt doch gleich, häh?«-Mäkler, aber diese werden umgehend mit gezielten Fußtritten zwischen die Augen auf Spur gebracht. Stumpfheit und diese verdammte Egalhaltung der gestopften Bessermenschen werden von uns nicht geduldet. Sollen die doch Gewürzgurken fressen, die mit Silberzwiebeln in Essig schrumpfkrüppeln und Spreewäldern entrissen wurden. Die sollen mal klar kommen. Sensibilität ist keine Einbahnstraße, da muss was zurückkommen.
Wir feiern den Obstmann so hart! Ich habe niemals in so kurzer Zeit so gute Laune bekommen wie vorhin. Vielleicht können Sie, ja Sie als nun durch dieses Ereignis aufgeladener Mensch, davon etwas abknuspern und auch wieder bessere Stimmung bekommen?
Ich würde es Ihnen wünschen, denn Ihre Lebenszeit ist identisch mit Ihrem Leben.
WEISSE: Haben eine zu leichte Geburt.
KONSUMENTEN: Wollen kritisch sein, werfen aber bei einem einzigen Logarithmus alles über Bord.
KLUGSCHEISSER: Korrigieren Logarithmus in Algorithmus, das ist ja wohl gemeint, oder wie, was? Ja?
HANDWERKER: Gas, Wasser, Scheiße. Mit Betonung auf Scheiße.
FRAUEN: Besitzen 51 Prozent der Menschheit, machen wegen 49 Prozent zu wenig draus.
BESOFFENE: Sehen doppelt, gehen gezockelt, fühlen entkoppelt, wirken bedröppelt.
MÄNNER: Finden Schweine gut.
SCHWULE: Finden Männer gut.
PSYCHIATER: Finden sowas interessant.
TEENIES: Ungenaue Lebensführung: Als Kind überreif, als Erwachsene noch zu grün.
BANKER: Man sieht sie nicht, wenn sie traurig sind.
ELTERN: Alles andere Leben erscheint ihnen trivial.
KRANKE: Liegen allen auf der Tasche und sich wund, »danke«.
SOLDATEN: Job ohne Zukunft mit Zukunft, schizophren hoch zwei.
PUNKS: Haben Widerstand alles genommen, selbst die Würde.
SCHWANGERE: Jeder weiß es, aber keiner sagt was, weil sie schwanger sind.
VERLIEBTE: Unerfreulich monogam.
NORMALOS: Mehrheit einer Minderheit von einer Mehrheit, geht’s noch komplizierter?
RAPPER: Null Geduld beim Warten auf die nächste Silbe.
KEYBOARDER: Verharren in Schwarz-Weiß-Denke.
APOTHEKER: Perverse Sippe: Sehen gerne Pferde vor ihrer Arbeitsstätte kotzen.
BÜRGER: Außen zu human.
ADEL: Falsche Schale, weiches Hirn.
PFERD: Großer Kopf und trotzdem sieht man nie beide Augen zugleich.
HUND: Im Schritt keine Schamhaare, sondern nur da Haare, wo man sich nicht schämen sollte als Tier. Cringe.
SCHNECKE: Selbst für Selbstmord zu langsam.
ENTE: Indiskret.
BULLE: Hinterlassen überall Samen, selbst auf geliehenen Sachen.
WALWEIB: So dumm, lässt als Alleinerziehende bei einem Rendezvous sogar den Kindersattel auf dem Rad.
REGENWURM: Bauch, Beine, Po – von allem zu wenig bis nichts.
IGEL: Mal devot, dann wieder äußerst herrisch – findet nie den richtigen Ton.
LÖWE: Übertreibt’s maßlos mit allem: Frisur, Gebiss, Auslaufradius, Nahrungskettenposition.
KABELJAU: Ist echt kein Held beim Rückwärtsfahren in der Bahn.
AAL: Fettet unangenehm nach.
FLIEGEN: Wollen oft ihre Kindheit nachholen, wie soll das gehen in einem Tag?
MÜCKE: Nur sehr begrenzt hilfsbereit, wenn man eine Panne in der Wüste hat.
LACHS: Null Sitzfleisch, zappelt sogar an Land.
CHAMÄLEON: Fremdsprachen mangelhaft, wohl ironische »Absicht«.
ELEFANTEN: Können sich nicht überholen.
SCHWEINE: Lassen zu oft den Zahnpastatubendeckel im Dreck liegen.
KUH: Extrem vegan – und die Umwelt leidet unter den Flatulenzen.
Ich sehe es ganz deutlich: Der Frühling ist die beste Zeit des Jahres. Meteorologisch betrachtet, seelisch gespiegelt.
So warm die Tage auch sind, die skeptischen kalten Brisen schaffen immer wieder Klarheit für den Kopf. Das Licht kommt und geht zum richtigen Zeitpunkt. Die Menschen überall sind praktisch freundlich. Noch hat der psychische Wundbrand des Sommers nicht eingesetzt! Die meisten Allergiker harren noch aufrecht der kommenden Pein.
Denn sonnig und kühl, das ist einfach die beste Kombi. Der Schlaf ist kein Schrottplatz des Wachseins, sondern tief und erholend. Frieden und Gewinn können zugelassen werden. Im Sommer werden Sie sich beim Schwimmen die Klamotten stehlen lassen und nicht mehr wissen, wie man aus dem Teich kommt. Jetzt ist best of the best! Nutzen Sie diese Gratisportion Muttermilch, die die Erde Ihnen gerade gibt! Lecken Sie das Leben bis in die hinterste kleine Zutzelspalte aus! Und das gemeinsam! Uns fallen doch noch mehr Farben für einen Regenbogen ein! Wir sind Menschen, keine Leute! Wir haben Feelingsgefühle! Viele Feelingsgefühle! Fee-, Fee-, Fee-, Feelingsgefühle! Yeah, yeah und nochmals yeah!
Wie heißt das bloß, wenn man mit vollem Mund niesen muss, das aber unterdrücken will, dadurch ins Husten gerät, alles im Gesicht gleichzeitig ziehdrückt und explodiert und man sich beim scheingeschäftlichen Mittagessen mit dem oder der aus dem Büro befindet? Wozu man sich extra eng und körperbetont anzog, also alle Taschen noch zugenäht oder gar keine dran sind, man kein Tempo einstecken konnte und diese moderne Lokalität auch keine Serviette auf dem Tisch hat. Sondern nur verkackte iPads zum Bestellen, was man schon vor dem Ausbruch bissig-ironisch kommentiert hat und auf die jetzt der ganze Schmodder draufspraddotzt, den man einfach nicht mehr halten kann. Egal jetzt, wie das heißt, das Rote-Bete-Carpaccio mit Büffelmozzarella war einen halben Mund voll lang wirklich »superlecker«. Die Erinnerung ist noch so frisch. Und nun: Ist »umbrische Art« beim Zanderfilet das Kartoffel-Gurken-Gemüse oder der Senfschaum? Das kommt doch gewiss gleich, hoffentlich jetzt sofort. Mit der Frage könnte man ablenkende Zeit gewinnen. Manchmal antwortet ja einer, obwohl er die Frage gar nicht kennt, das gibt’s. Aller Blicke sind mit ausgeschamter Teilnahme gesegnet. Wenn auf einer Tür wie der da hinten »Hier« steht, sind da sicher für beide Geschlechter die Toiletten hinter, sonst müsste ja eine daneben sein, auf der »Hier auch« steht. Gastronomischer Humor sollte seine verdammten Grenzen haben.
Aus meinem Romanfragment »Nahbedienung«.
Thunder! Axl Rose hat ihn, den Satz, den er so lange suchte. »Es gibt Systeme mit der Fähigkeit, Beziehungen zu sich selbst herzustellen und diese Beziehungen zu differenzieren gegen Beziehungen zu ihrer Umwelt.« Luhmann, mal wieder, schmunzelt Rose in sein Patschuli-Kopftuch. Der alte Systemrocker Niklas, der erklärt einem das komplizierte Ding mit den Beziehungen einfach immer am besten. Muss man nur lange genug im virtuell komplett aufbereiteten Zettelkasten (50 000 Einträge!) des Lüneburger Soziologen blättern. Easy to navigate, easy to understand.
Seit bereits zwölf Jahren beschäftigt sich der ehemalige, aktuelle Ex- oder Wiedermal-Sänger von Guns N’ Roses mit Soziologie. Im Fernstudium. Alle zwei Tage kommen inzwischen die Aufgaben, oft im geliebten Multiple-Choice-Verfahren. Bis zur Zwischenprüfung waren es sogar täglich Fragen, die man nach dem morgendlichen Whiskey weggurgeln musste. Interpenetration, Ego und Alter, Kontingenz. Funktionssysteme, lebende Systeme, soziale Systeme. Hat man einmal angefangen, kann man nicht mehr aufhören. Das Soziologiefieber hat Axl Rose längst gepackt. Es hat ihn gerettet in seiner unklaren Phase, die jetzt nun auch schon zweiundzwanzig Jahre andauert.
Nach dem Ende seiner Band steckte er jahrelang im tiefen Graben der Sinnlosigkeit. Er hatte ja alles erreicht: 100 Millionen verkaufte Platten, Rock and Roll Hall of Fame, Alkohol, Drogen mit Frauen nehmen, Frauen mit Drogen nehmen, Gewichtszunahme, Bedeutungsabnahme. Eine normale Superstarkarriere, anklopfend am Himmelstor. Drei Villen in Malibu, dreißig abgebrochene Comebacks, dreihundert weiche Schanker im harten Rock. Sein Hunger nach Zerstörung war gestillt, nicht einmal sein gepflegter Lockenhass brachte ihn weiter. Slash war irgendwann auch egal.
Lustigerweise brachte ihm, der zeitweise sechs Psychologen gleichzeitig beschäftigte, dann doch ein Besuch bei einem der Seelenklempner Hilfe. Der für die Hauptpsychose zuständige Dr. Mokassin empfahl ihm, mit der Selbstkreiselung aufzuhören: »Lass schlafende Hunde lügen oder lügende Hunde schlafen.« »Was? Ja, genau, beziehungsweise, wie meinen?« Der Doc blieb fordernd, lockte den aufgedunsenen Sänger mit Fragen, die Axl sich so noch nie gestellt hatte: »Wenn du ein Glas zersingst, woraus willst du dann trinken?« »Ja, keine Ahnung, respektive: Einfach ein neues bestellen?« Aber so leicht ließ ihn ein Arzt, der schon Ozzy wieder in Spur gebracht hatte, nicht davon: »Denk über das System nach, in dem du atmest! Entschlüssele deine Matrix. Novemberregen, chinesische Demokratie, Illusionsgebrauch – hat das alles nicht mit allem zu tun?« »Ja, zweifellos, ist alles von mir«, denkt Axl versonnen. »Dann beobachte, nimm wahr, differenziere! Geh rein in die Philosophie! Geh dahin, wo du noch nie warst. Geh zur Uni!«
Und das hat Axl Rose gemacht. Damit es keiner bemerkt, natürlich nur im Fernstudium. Aber seitdem geht es dermaßen ab in seinem Kopf, als hätte man das ewige Rollo der Selbstzufriedenheit am Bändsel wegschnappen lassen. Axl stellt sich nun jede Frage, die ihm einfällt: Ist Rock ein körperprozessierendes System? Benutze ich die Liebe als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium? Wie kommt der Wurm in den Tequila? Das Licht des Fragestellens erhellt nun die Nächte im Haus des Sängers. Große philosophische Energie strömt ihm durch die Mähne. All seine Tattoos scheinen von innen zu leuchten. Was für ein schöner Zustand. Ein Mann ward neugeboren, erleuchtet durch Eigensophie.
Jahrelang unmöglich Erscheinendes wird nun machbar. Erst die einfachen Sachen: eine neue Brille kaufen, die dazu passende Schlafbrille, und einen neuen Belag auf der täglichen Pizza wagen. Danach die etwas schwierigeren Dinge: die Haut auch unter den Klamotten reinigen, die Vegetarier unter den Bediensteten grüßen, mehr ayurvedische Sitzlandschaften bestellen. Und dann sogar ein Comeback von Guns N’ Roses! Mit den Feinden aus dem eigenen Bett spielen. Sogar mit dem Typen, dessen Gesicht keine von Axls letzten zwölf Frauen kennt. Eine Welttournee in den größten Stadien wird angesetzt. Axl ist einfach besser drauf als je zuvor. Er pusht sich unaufhörlich redend selbst: »Hohe Kontingenz von Ereignissen bedeutet, dass alles, was ist, auch anders sein könnte!«
Yeah, welcome to the jungle, Axl! Die neue Power wird auch wieder in Richtung seiner Urdomäne, der Musik, gelenkt: Wenn jetzt noch ein Anruf von Queen oder AC/DC käme, ob er nicht bei denen auch noch singen wolle, selbst das würde er machen! Die beiden fand er schon immer gut. Gut gelaunt segwayt Axl die leicht geschwungene Anhöhe zum Helikopterlandeplatz empor. Heute will er sich die besten Philosophiesätze aller Zeiten in Abkürzungen tätowieren lassen. Da hell-bellt das Telefon. Als hätte er es geahnt.
Eine Glosse für die ZEIT von 2016 anlässlich Axls Nebentätigkeit als Sänger bei AC/DC: Nach Jahren des Herumdümpelns war dieser Mann plötzlich nicht mehr zu stoppen. Grund genug, mir darüber Gedanken zu machen, woher er seine Energie nahm.
Der Trend in der Hansestadt zum Museum hält unvermindert an.
Nachdem zum neunten Mal das 5. BEATLE-MUSEUM wegen Klagen der Witwe der eventuell ehelichen Tochter des sechsten Beatle vorübergehend schließen musste und erst nächste Woche wieder seine Pforten öffnet, begrüßt die Erste Bürgermeisterin DR. ANDREA ROTHAUG heute die lokale Prominenz in Harburg.
Grund: Nach Wandsbek, Harvestehude, Pöseldorf, Fuhlsbüttel und Neue Mitte Altona eröffnet auch in Harburg eine neue Dependance der UDO LINDENBERG-MUSEUMSKETTE »GALERIA UL«. Schwerpunkt der Ausstellung »Meine Jahre mit Jan Delay« sind Udos Jahre mit Jan Delay. Das rote Band durchschneidet »Harburgs Gesicht 2019 bis in alle Ewigkeit« HEINZ STRUNK, der damit in die Fußstapfen von Krustenbraten-Star TIM MÄLZER tritt, der ja im vergangenen Jahr »Udos Smudo«, das Themenhaus über Lindenbergs rätselhafterweise fehlende Connection zu Fanta 4, aufschloss.
Auch das legendäre 187-MUSEUM wird wieder öffnen – die Kasse, die das ehemalige 187-Mitglied GZUZ während der »Samen aus Plastik«-Matinee 2022 entwendete, brachte der Sünder reumütig zurück. Er wusste angeblich nicht, dass er ausgerechnet das Haus schädigte, das ihm zu Ehren errichtet worden war. Honi soit qui mal y pense!
Nur zu eingeschränkten Öffnungszeiten ist das KETTCAR-MUSEUM an den Landungsbrücken begehbar: Die Flut überschwemmt, seitdem die Stadt durch die Polverschiebung an der Nordostsee liegt, bekanntlich das schmucke Kleinod Hamburger Musik regelmäßig und hinterlässt eine nur schwer zu entfernende klebrige Schicht aus Tang, Met, Tran und Weichholz. Bitte einfach im Interinternet nachschauen!
Ob nun ANDREAS DORAU oder CARSTEN EROBIQUE MEYER eine eigene Abteilung im Museumsshop des Kinderspaßbades an der Kreativmeile »Altes neues Land« bekommen, entscheidet sich laut Minderheiten-Kurator SAMY DELUXE erst im Herbst ihres Lebens. Kann also dauern.
Eine gute Meldung zum Schluss: Der inzwischen nur noch gegen Eintritt begehbare Plattenladen HANSEPLATTE überzeugt mit seinem neuen Retrokonzept »Musik auf VHS« sämtliche Blogs von New York bis Lüneburg. Das sympathische Power-Betreiberpaar Jakob und Sina schmunzelte unlängst via Live-Stream: »Die Zukunft ist einfach unsere Lieblingszeit!«
• SPIEGELBILD EINES PUZZELNDEN (Nur 100 mit Spiegelschicht überzogene Teile, eigentlich easy: Sie verändern sich ständig, stimmen aber immer)
• BILD MIT KLEINFAMILIE AUF STRASSE, WO DER MANN FRÖHLICH ENTSPANNT GUCKT UND NICHT AUFS HANDY (Total verrücktes Dingen, 500 crazy Teile)
• BILD MIT SINN DES LEBENS (5000 bis unendlich Teile, je nach Geldbeutel. Obacht: weniger Teile kosten mehr!)
• BILD MIT VON PEGIDA-DEMO WEGGEHENDEN MENSCHEN (Im Stil der Bilder von Flüchtlingsströmen vom Balkan, aus dem neuen »Reality meets Fantasy«-Segment, das Irrsinn und Sinn zielgruppenungerecht zusammendenkt, sehr schwierige 8000 Teile)