Die Nordischen Sagen. Odin und die Schöpfer der Welt - Katharina Neuschaefer - E-Book

Die Nordischen Sagen. Odin und die Schöpfer der Welt E-Book

Katharina Neuschaefer

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Beschreibung

Was hat sich zugetragen zwischen Asgard und Nilfheim? Von der Entstehung der Welten bis zum Untergang der alten Götter.  Über die nordischen Göttermythen weiß man hierzulande meist deutlich weniger als über die griechischen und römischen. Dabei tummeln sich dort gewaltige Riesen, Zwerge, Schlangen, Walküren, achtbeinige Pferde. Gar nicht zu reden von Odin, dem Göttervater, vom hammerschwingenden Thor oder dem gütigen Balder. Und was ist eigentlich mit Loki, der charmanten Kanaille, dem Zerstörer und seinen drei furchtbaren Kindern: dem Fenriswolf, der Midgardschlange und Hel? Wie hängen Niflheim und Asgard zusammen, und was ist mit Midgard? Fragen über Fragen! Katharina Neuschaefer erzählt die Geschichte all dieser Wesen und Götter, damit Klein und Groß es jetzt endlich mal ganz genau wissen.

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Seitenzahl: 49

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Die Nordischen Sagen

Odin und die Schöpfer der Welt

Neu erzählt von Katharina Neuschaefer

Mit Bildern von Dieter Wiesmüller

Ragnarök, das Schicksal, ist unabwendbar. Wenn die Zeit sich dem Ende neigt, bricht der Fimbulwinter an. Drei Jahre lang wird sich die Kälte durch alle Tage ziehen. Es sind die Jahre des Wolfs. Ein Wolf so groß, dass sein Kiefer Himmel und Erde berührt, an seiner Seite eine Schlange, deren Leib ganz Midgard umschlingt, und Hel, die Totengöttin selbst.

Yaggdrasil, der Weltenbaum, wird welken , und das Licht wird erlöschen.

Die Weltenfeinde werden kommen und den Göttern das Ende bereiten auf dem Wigridfeld, denn sie sind vom selben Blut.

Gellend heult Garm vor Gnipahellir,

es reißt die Fessel, es rennt der Wolf.

Dann beginnt eine neue Zeit.

Von Riesen und Göttern

Es gab eine Zeit vor der Zeit, da herrschte das Nichts. Es gab nicht Sand noch See noch kalte Woge oder Himmel. Die Leere war endlos, und es gab nur Stille und Dunkelheit. Es gab weder Götter noch Menschen, keine Zwerge und keine Riesen. Nicht ein einziges lebendes Geschöpf. Es gab nur das Nichts, die gähnende Leere: Ginnungagap.

So war es lange. Dann aber erwärmte sich das Nichts im Süden. Am Anfang nur ganz wenig, dann wurde es immer wärmer, dann heiß, und schließlich schlugen sogar Funken in die Leere, und es qualmte und schwelte. Aus diesen Flammen formte sich das Land des ewigen Feuers, das Land Muspellheim.

Es gibt keinen Ort, der mit Muspellheim vergleichbar wäre. Eine Insel aus Feuer mitten in der schwarzen Nacht der Vorzeit. So hell und glühend, dass nichts dort existieren konnte außer dem, was das Feuer selbst hervorbrachte. Zunächst gebaren die Flammen immer nur weiteres Feuer. Muspellheim wuchs und wucherte in die Dunkelheit hinein wie ein Geschwür, das sich andauernd veränderte. Das sich ausdehnte und größer wurde. Es hatte weder Grenzen noch Konturen, ein lodernder Organismus, pulsierend und furchterregend. Dort, wo das Feuer sich zurückzog, ließ es eine Landschaft aus schwarzem Lavagestein zurück. Endlose Geröll-Steppen, über denen die Hitze flimmerte. Wüsten aus schwarzem Sand, aus Asche und Staub, die von heißen Windstößen aufgewirbelt wurden und die Luft verdunkelten. Und dann auch wieder Gebirgszüge aus aufgetürmter Magma, die in den Himmel wuchsen und sich gegen den orangeroten Horizont abhoben wie schwarze Städte. Glühende Lava brach in Fontainen aus den Berggipfeln hervor und durchzog das Land als brennende Ströme. Ja, Muspellheim brannte. Und sein Schein leuchtete hinaus in die Leere Ginnungagap und erhellte sie.

So geschah es im Süden.

Im Norden jedoch wurde das Nichts kalt. Die Dunkelheit zog sich zu einem Ort der Finsternis zusammen und gebar das Land Niflheim, das Reich der Nebel. Niflheim war riesig, es wuchs zu einer gewaltigen Fläche heran, vielfach so groß wie das benachbarte Feuerland. Über dem Boden lagen weißgraue Nebelschwaden wie schwere Wolken. Dann kamen Stürme auf. Orkanböen trieben Sand und Schneekristalle vor sich her und schufen aus dem Nichts eine Landschaft. Weite Schneefelder, schwarze Gebirge voller Schluchten und Spalten und in ihrem Schatten Eis. Überall Eis. Höhlen aus Eis, Grotten, gigantische Dome und bizarre Säulen.

Hätte Muspellheim die Leere Ginnungagap nicht erhellt wie eine Sonne aus Feuer, wäre all diese böse Schönheit wohl für immer im Dunkeln geblieben. So aber fiel ein matter Schein auch auf das kalte Land. Das Zwielicht ließ die Eismassive Niflheims türkisgrün leuchten, und die Schneefelder glühten wie hellblaue Dünen vor dem schwarzen Himmel.

Hier im Lande Niflheim, zwischen Eis und Schnee, gab es einen Brunnen. Einen Schacht im Fels, der so tief war, dass nicht einmal die Götter, wenn es sie schon gegeben hätte, bis auf seinen Grund hätten blicken können. Aber das Murmeln der Quelle tief unten drang hinauf bis an die Oberfläche, und so trug sie den Namen Hvergelmir, der brausende Kessel.

Das Wasser dieser verborgenen Quelle war pechschwarz und so giftig, dass es sich durch den Felsen fraß und ins Freie drängte. Schäumend und gurgelnd ergoss es sich in elf schwarze Flüsse, die von nun an die Ödnis Niflheims durchzogen wie hässliche Adern, bevor sie sich in einem donnernden Wasserfall sammelten und hinabstürzten ins Nichts. Aus den Flüssen stieg übel riechender Nebel auf, und auf dem Wasser trieb ätzender Schaum, der zu Eis erstarrte und bald ganz Niflheim bedeckte. Der Nebel gefror zu Reif, und im Norden der Leere Ginnungagap herrschte nun ewiger Winter.

Mit der Zeit jedoch wuchsen die Elemente aufeinander zu, und der Wind trug die Funken aus dem brennenden Land Muspellheim hinüber in das Reich der Kälte. Dort, wo sich Feuer und Eis berührten, zischte und dampfte es, und es bildeten sich Tautropfen. Diese Tautropfen waren der Anfang des Lebens. Aus ihnen entstand das erste atmende Wesen: der Urriese Ymir, was so viel heißt wie: Zwitter oder der gewaltig Rauschende.

Ymir war ein sehr eigenartiges Geschöpf. Er war zugleich Mann und Frau, war groß wie ein Berg und hatte langes zotteliges Haar. Weil Ymir ziemlich dumm war und weil es um ihn herum nichts zu sehen gab, das ihn interessierte, schlief er die meiste Zeit. Er ließ sich einfach in den Schnee fallen, und kaum hatte sein riesiger Schädel den Boden berührt, da schnarchte er auch schon so laut, dass selbst die Leere Ginnungagap davon widerhallte.

Ymir bemerkte nicht, dass es wärmer wurde. Die heißen Winde von Muspellheim erwärmten nach und nach die Luft, und es begann zu tauen. Ymir aber störte sich nicht am Knacken und Plätschern um ihn herum. Er schlief auch weiter, als ganze Eisberge donnernd auseinanderbrachen, und er grunzte nur, als er bereits in einem See aus Schmelzwasser lag. Dann endlich öffnete er ein Auge, aber auch nur eine Handbreit und sagte mit gewaltiger Stimme die ersten Worte, die je gesprochen wurden:

»Äh … nass … äh … schlafen …«

Schon war das Auge wieder zu, und Ymir löste mit seinem Schnarchen eine Lawine aus.