Die Prinzessin von Clèves - Marie-Madeleine de La Fayette - E-Book

Die Prinzessin von Clèves E-Book

Marie-Madeleine de La Fayette

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Beschreibung

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Marie-Madeleine de La Fayette

Die Prinzessin von Clèves

Roman

Impressum

Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016
ISBN: 978-3-95923-070-4
Für Fragen und Anregungen: [email protected]
RUTHeBooks
Am Kirchplatz 7
D 82340 Feldafing
Tel. +49 (0) 8157 9266 280

Inhalt

Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Viertes Buch

Erstes Buch

In den letzten Jahren der Regierung Heinrichs des Zweiten war der Französische Hof eine Feenwelt mit Menschen bevölkert. Pracht, Galanterie, Ritterwesen und Schöngeistern liefen in einem Punkt zusammen, und gewährten ein Schauspiel, dessen Glanz auch den blendete, der es wußte, dass es in dem Labyrinthe tausendfacher Cabalen gegeben wurde.

Diane von Poitiers, Herzogin von Valentinois, hielt schon seit zwanzig Jahren die Neigung des Königs gefesselt, und die Feste und Feierlichkeiten, die sich bei Hofe drängten, waren alle ihr zu Ehren angestellt. Ihr Nahmenzug und ihre Farben zeigten sich überall, und sie selbst konnte sich überall zeigen, weil die Gegenwart der Königin sie berechtigte, überall zu sein, wo diese war.

Die Königin, Catharine von Medicis, war noch schön, obgleich nicht mehr in der ersten Jugendblüte. Sie liebte Pracht, Aufwand und Vergnügungen, aber Begierde zu herrschen war ihre Leidenschaft. Es schien, als ob ihr die Neigung des Königs für die Herzogin nicht schmerzlich fiele, und nie ließ sie Eifersucht laut werden; aber sie verstand die Kunst der Verstellung in hohem Grade, und es war sehr schwer, ihre Gefühle und Gedanken zu ergründen. Politik bestimmte sie, Jene in ihrer Nähe zu behalten, weil sie dadurch den König in ihrer Nähe behielt.

Der König fand großen Geschmack an dem Umgang mit Weibern, selbst mit solchen, in die er nicht verliebt war. Wenn Cirkel bei der Königin war, fehlte er nie, weil sich da alles, was Schönes und Reitzendes von beiden Geschlechtern bei Hofe war, zusammen fand.

Nie muß ein Hof so viel schöne Männer und Weiber aufzuweisen gehabt haben. Die Natur schien hier Schönheit mit Größe vermählen zu wollen. Die Prinzessin Elisabeth, nachmahlige Königin von Spanien, entwickelte damals schon einen außerordentlichen Geist und die siegende Schönheit, die nach der Zeit so traurige Folgen für sie hatte. Marie Stuart, Königin von Schottland, mit welcher sich vor kurzem der Dauphin vermählt hatte, und die man die Königin Dauphine nannte, war an Geist und Körper gleich vollkommen. Die Erziehung, die sie am Französischen Hofe erhalten hatte, gab ihr alle Bildung und Feinheit desselben, ein natürlicher Hang zog sie zu allem, was schön war, und schon in früher Jugend war sie Liebhaberin und Kennerin desselben. Die Königin Catharine fand, wie des Königs Schwester, viel Geschmack an Versen, am Theater und an Musik, die Vorliebe Franz des Ersten zu den Musenkünsten, lebte noch in Frankreich, und da sein Sohn Vergnügen an Jagden, Turnieren und andern Ritterspielen fand, so wechselten Unterhaltungen jeder Art bei Hofe. Was ihm aber die höchste Würde und Majestät gab, war eine große Anzahl von Männern, die jeder in seiner Art die Bewunderung und der Ruhm ihres Zeitalters waren.

Dem Könige von Navarra verschafften hohe Abkunft und Hoheit der Seele allgemeine Achtung. Er glänzte im Felde, und sein Wetteifer mit dem Herzog von Guise, hatte oft bei ihm den Mut und das Auge des Generals in Tollkühnheit und Faust des gemeinen Soldaten verwandelt. Jener hatte aber auch Proben von einer glücklichen Unerschrockenheit gegeben, die des Neides der größten Generale wert waren. Sein Mut hatte noch andere Vorzüge im Gefolge. Er hatte einen umfassenden, scharfen Blick, eine große Seele, und war für kriegerische und politische Geschäfte gleich geschickt. Sein Bruder, der Cardinal von Lothringen, verband mit einem nie zu befriedigenden Ehrgeitze, einen lebhaften, feinen Geist, und die Gabe einer siegenden Beredsamkeit, während ein dritter Guise, Chevalier, nachmals Großmeister von Guese, durch wahre, männliche Schönheit, durch Witz und feinen Verstand den Zankapfel der Weiber und durch Heldentaten die Bewunderung von Europa wurde. Der Prinz von Conde war in Absicht des Körpers von der Natur stiefmütterlich versorgt worden, aber er hatte eine stolze Seele voller Ansprüche, und eine reichliche Gabe von Witz und Verstand, die ihn selbst in den Augen der schönsten Weiber sehr liebenswürdig machten. Der Herzog von Nevers war im Geräusche der Waffen und in dem Wirbel großer Würden und Geschäfte schon gealtert, aber immer noch war er der Abgott des Hofes. Er hatte drei Söhne, wovon der mittlere, den man den Prinzen von Cleves nannte, es wert war, seinen glänzenden Nahmen zu tragen, und zu erheben: er verband mit Mut und Liebe zur Pracht und Größe, eine kluge Vorsicht, die selten ein Vorzug der Jugend zu sein pflegt. Der Vidame von Chartres war in der Kunst des Krieges wie der Liebe gleich geübt und berühmt. Eine männliche Schönheit, durch den Zauber eines edlen Anstandes, durch Mut, Unternehmungsgeist und Freigebigkeit gehoben, gab ihm einen Glanz, der ihn einer Vergleichung mit dem Herzog von Nemours wert gemacht hätte, wenn mit diesem Meisterwerke der Natur irgend ein Wesen hätte verglichen werden können.

Daß der Herzog von Nemours einer der schönsten Männer war, die je gelebt haben, war an ihm nur ein Vorzug vom zweiten Range: was ihn über alle übrige hinaufsetzte, war eine gewisse, alles besiegende Wendung seines Verstandes, seiner Züge, seiner Worte und seiner Handlungen, die ihm ausschließend eigen blieb. Ein Frohsinn, dessen Ergießungen Männern so sehr als Weibern gefielen, eine geschmeidige Leichtigkeit im Tanzsaale wie in den Schranken, und eine Art sich zu kleiden, die Alle nachahmten, aber keiner nachmachen konnte: dies zusammengenommen gab seinem Wesen einen Zauber, der Auge und Ohr fesselte, wenn er erschien, und wo er erschien. Keine Dame bei Hofe, die sich durch seinen nähern Anteil nicht geschmeichelt gefunden, hätte, wenige, denen er diesen Anteil kund gab, die ihm widerstanden hätten, einige sogar, denen er denselben nie zeigte, und die ihn darum doch sehnsuchtsvoll im Herzen trugen.

Er hatte ein so gutes Herz und einen so starken Hang zur Galanterie, dass er in diesem Puncte nie etwas mit Undank aufnahm, wenn ihm auch von mehr als Einer Hand geboten wurde, und mithin hatte er gewöhnlich mehr als Eine Liebschaft; aber es war schwer, zu bestimmen, wohin seine wahre Liebe gefallen wäre. Er kam oft zur Königin Dauphine, und ihre Schönheit und ihr sanftes Herz, das gern jedermann gefallen und gefällig sein wollte, verbunden mit der besonderen Achtung, die sie für den Herzog blicken ließ, hatten oft der Vermutung Raum gegeben, dass er seine Wünsche bis zu ihr hinauf flattern ließe.

Eine Schönheit erschien um diese Zeit bei Hofe, die außerordentlich sein mußte, weil sie selbst hier, wo man das Schöne selbst zu sehen gewohnt war, Bewunderung erregte. Sie staunte aus gleichem Haufe mit dem Vidame von Chartres und war eine der reichsten Erbinnen im Lande. Ihr Vater war früh gestorben, und hatte sie unter der Aufsicht seiner Gattin, der Frau von Chartres, einer Dame von außerordentlich sanftem und tugendhaftem Caracter zurückgelassen. Diese hatte nach dem Verlust ihres Gemahls mehrere Jahres vom Hofe entfernt gelebt, und während dieser Zeit ihre ganze Sorgfalt auf die Erziehung ihrer Tochter verwandt. Aber nicht bloß ihren Verstand und ihre körperlichen Vorzüge hatten sie auszubilden, auch Tugend und Liebe zur Tugend hatte sie ihr einzuflößen gesucht. Viele Mütter der großen Welt meinen, es sei genug, unter den Augen der Tochter nie von Liebe und Galanterie zu sprechen, um sie davor zu schützen. Frau von Chartres war der entgegengesetzten Meinung: sie machte ihrer Tochter oft Gemälde von Liebe, und zeigte ihr die schönen Seiten derselben, um sie desto glaubhafter vor ihren gefährlicheren warnen zu können; sie erzählte ihr von der Verstellungskunst und Flatterhaftigkeit der Männer; machte sie auf die häuslichen Zerrüttungen, die eine Liebschaft im feinen Tone im Gefolge hätte, aufmerksam, und ließ sie auf der andern Seite bemerken, wie ruhig und heiter das Leben einer gewissenhaften Gattin dahin flösse, und welchen Glanz und welche Erhabenheit Tugend einem schönen Weibe von hoher Geburt gewährte. Aber diese Tugend, sagte sie ihr, könnte sie nur durch das strengste Mißtrauen gegen sich selbst und durch feste Anhänglichkeit an ihren Gemahl in ihrer Stärke erhalten.

Fräulein von Chartres war eine der glänzendsten Partien damahliger Zeit, und in einem sehr frühen Alter hatte man ihr schon mehr als Eine Verbindung vorgeschlagen; aber ihre Mutter, die großen Stolz in ihrer Tochter setzte, hatte sie alle ihrer unwert gefunden. Jetzt, als sie sechszehn Jahre alt war, sollte sie bei Hofe erscheinen. Der Vidame von Chartres kam ihr und der Mutter entgegen, und war über ihre außerordentliche Schönheit erstaunt, aber mit Recht: eine Haut von ungewöhnlicher Weiße, ein blondes Haar, regelmäßige Züge, und ein gewisser Reitz in ihrem Wesen gaben ein Ganzes, das blendend ausfiel, und ihr ausschließend eigen blieb.

Den Tag nach ihrer Ankunft fuhr sie, um sich einen Schmuck auszusuchen, zu einem Italiener, der mit dergleichen durch die ganze Welt handelte. Dieser Mann war mit der Königin von Florenz gekommen, und hatte sich durch seine Geschäfte so bereichert, dass sein Haus mehr dem Hause eines Großen, als eines Kaufmanns glich. Fräulein von Chartres war kaum dort, als der Prinz von Cleves vorfuhr. Er ward durch ihre Schönheit so überrascht, dass er es nicht bergen konnte. Sie errötete über den Ausbruch seiner Bewunderung, fasste sich aber, und gab auf das, was der Prinz sagte und tat, nur in sofern Acht, als es die Regeln der Höflichkeit gegen einen Mann, wie er zu sein schien, verlangten. Er war voll Verwunderung mit ihr beschäftiget und konnte nicht begreifen, wer dies schöne Weib sein möchte. das ihm ganz unbekannt war. An ihrem Wesen und ihrer Begleitung sah er wohl, dass sie von hohem Range sein; ihre Jugend bewies ihm auch, dass sie noch Mädchen sein müßte; da er aber keine Mutter bei ihr sah, und sie der Italiener mit Madame anredete, wußte er nicht, wie er sich herausfinden sollte, und Erstaunen behielt immer noch die Oberhand bei ihm. Er bemerkte, dass seine Blicke sie verlegen machten: eine ungewöhnliche Erscheinung bei Personen ihres Alters, die den Eindruck ihrer Reize beständig mit Vergnügen bemerken; es schien ihm sogar, dass sie triebe, fortzukommen, und wirklich entfernte sie sich ziemlich übereilt. Der Prinz beruhigte sich darüber mit dem Gedanken, dass er nun erfahren würde, wer sie wäre, aber er erstaunte nicht wenig, als ihm dies niemand sagen konnte. Er blieb von ihrer Schönheit und dem bescheidenen Glanze der Tugend, der ihr Wesen sanft belebte, so durchdrungen, dass seit diesen Augenblicken eine heftige Leidenschaft, aus Liebe und Ehrfurcht in einander verschmolzen, den Anfang in seinem Herzen nahm.

Den Abend dieses Tages war er bei Madame, der Schwester des Königs. Diese Prinzessin stand in allgemeiner Achtung des Einflusses wegen, den sie auf ihren Bruder hatte; und dieser Einfluß war so stark, dass der König beim Friedensschlusse Piemont zurückgab, um sie mit dem Herzog von Savoyen zu vermählen, für den sie bei der Zusammenkunft Franz des Ersten mit dem Papst Paul dem Dritten zu Nissa eine lebhafte Zuneigung gefaßt hatte. Da sie viel Verstand, viel Gefühl und Geschmack für das Schöne hatte, so fanden sich alle rechtliche Menschen zu ihr, und zu gewissen Zeiten war der ganze Hof bei ihr versammelt.

Der Prinz von Cleves kam wie gewöhnlich. Er war mit der Schönheit des Fräuleins von Chartres noch so tief beschäftigt, dass er von nichts anderm sprechen konnte; er erzählte sein Abenteuer öffentlich, und sprach mit Lob und Entzücken von dem schönen Mädchen, das er gesehen, aber nicht gekannt hätte. Madame sagte: Wunder, wie er sie mahlte, gäb' es nicht; wäre aber ein ähnliches vorhanden, so müßt' es allgemein gekannt sein. Die Frau von Dampiere, aus dem Gefolge der Prinzessin und Freundin der Frau von Chartres, sagte der erstern ins Ohr: es wäre höchst wahrscheinlich das Fräulein von Chartres gewesen, die der Prinz von Cleves gesehen hätte. Hierauf wandte sich Madame an ihn, und sagte, wenn er sich morgen wieder einfinden wollte, könnte sie ihm die Schönheit zeigen, die so stark auf ihn gewirkt hätte.

Den folgenden Tag erschien Fräulein von Chartres wirklich bei Hofe. Sie ward von den beiden Königinnen außerordentlich gütig und von allen übrigen mit einer Bewunderung empfangen, die auf allen Seiten in Lobsprüche ausbrach. Sie nahm diese mit einer edlen Bescheidenheit auf, und schien sie nicht zu hören, oder wenigstens keinen Stolz, darin zu setzen. Sie verfügte sich darauf zur Schwester des Königs, die ihr über ihre Schönheit viel Verbindlichkeit sagte, und ihr darauf erzählte, in welche Verwunderung sie den Prinzen von Cleves gesetzt hätte. Dieser erschien bald nachher. "Kommen Sie näher," rief ihm Madame entgegen; "und sehen Sie, ob ich nicht Wort gehalten habe. Ist sie es nicht, die Sie suchten; und danken Sie es mir wohl, wenn sie durch mich weiß, welche Bewunderung Sie für sie fühlen?"

Der Prinz von Cleves freute sich, dass das Mädchen, welches er so liebenswürdig gefunden hatte, von einem Range war, der ihrer Schönheit nicht nachstand; er näherte sich ihr, und bat sie, nicht zu vergessen, dass er der erste ihrer Bewunderer gewesen, und dass er, ohne sie zu kennen, die Ehrfurcht für sie gefühlt hätte, die ihr in jeder Rücksicht zukäme.

Er entfernte sich mit dem Chevalier von Guise. Beyde waren Freunde, beide lobten Anfangs das Fräulein von Chartres, ohne sich Zwang anzutun. Endlich schien es ihnen, dass sie zu stark lobten, und bald hörten sie auf, sich ihre Gedanken über sie mitzuteilen. Aber sie waren gezwungen, die folgenden Tage, wo und so oft sie sich sahen, von neuem anzufangen.

Das Fräulein von Chartres war lange der Gegenstand der Conversationen. Die Königin überhäufte sie mit Lob und Achtung; die Königin Dauphine nahm sie unter ihre Günstlinge auf, und bat ihre Mutter, sie recht oft zu ihr zu bringen; die Töchter des Königs ließen sie zu allen ihren Vergnügungen rufen: so war sie vom ganzen Hofe geliebt und bewundert, nur nicht von der Herzogin von Valentinois. Diese fürchtete nicht etwa von ihr Gefahr für sich; eine lange Erfahrung hatte sie überzeugt, dass sie bei dem Könige nichts für sich zu fürchten hatte; aber sie haßte den Vidame von Chartres, den sie durch eine Verbindung mit einer ihrer Töchter hatte an sich ziehen wollen, der sich aber an die Königin geschlossen hatte, so sehr, dass sie eine Person, die seinen Nahmen trug, und für die er viel Teilnahme zeigte, unmöglich mit günstigen Augen ansehen konnte.

Der erste überraschende Eindruck, den die Schönheit des Fräuleins von Chartres auf den Prinzen von Cleves gemacht hatte, verwandelte sich bald in eine heftige Liebe. Er wünschte, sich mit ihr zu verbinden; aber er fürchtete, dass es der Stolz der Frau von Chartres nicht zulassen würde, ihre Tochter einem Manne zu geben, der nicht der ältere Sohn seines Hauses war. Indessen war dies Haus eines der größten, und des Prinzen älterer Bruder: der Graf von Eu, hatte sich vor kurzem mit einer Dame vermählt, die dem Königlichen Hause so nahe verwandt war, dass es mehr Schüchternheit der Liebe war, als gegründete Ursache, die dem Prinzen jene Besorgnis einflößte. Er hatte eine Menge Mitbewerber, unter denen ihm der Chevalier von Guise der fürchterlichste schien, weil er hohe Geburt, persönliche Vorzüge und den Glanz der ausgezeichneten Gnade des Königs für seine Familie in sich vereinigte. Der Chevalier hatte das Fräulein von Chartres seit dem ersten Tage, da er sie sah, geliebt, und er war der Liebe des Prinzen von Cleves, wie dieser der seinigen, auf die Spur gekommen. Ob sie gleich Freunde waren, hatten sie doch gleiche Ansprüche zurückhaltend gemacht, und ihnen keine Erklärung erlaubt; ihre Freundschaft war lau geworden, ohne dass sie wechselseitig Mut genug hatten, sich zu verständigen. Jener Zufall, dass der Prinz das Fräulein von Chartres zuerst gesehen, schien ein glückliches Vorzeichen für ihn zu sein, und ihm einigen Vorteil über seinen Nebenbuhler zu geben; aber er mußte von Seiten des Herzogs von Nevers, seines Vaters, große Schwierigkeiten fürchten. Dieser stand in genauer Beziehung mit der Herzogin von Valentinois, und diese war gegen den Vidame; Ursache genug für ihn, nie in eine Verbindung seines Sohnes mit dessen Nichte zu willigen.

Frau von Chartres, die ihre Tochter mit so viel Sorgfalt Tugend gelehrt hatte, fuhr mit gleicher Sorgfalt damit an einem Orte fort, wo sie höchst nötig war, und wo verführerische Beispiele große Gefahr droheten. Ehrsucht und Galanterie waren die Seele dieses Hofes, und beschäftigten hier die Männer und Weiber gleich stark. Überall Cabale und entgegengesetztes Interesse, und die Damen waren so enge darein verwickelt, dass sich den Liebschaften Politik, und Politik den Liebschaften wechselsweise beymischten. Niemand war ruhig oder gleichgültig: man wollte empor, gefallen, nützen oder schaden, man wußte nichts von langer Weile, und Vergnügen ging mit Intrigue Hand in Hand. Die Damen standen in besonderer Beziehung mit der Königin Catharine, oder mit der Königin Dauphine, oder mit der Königin von Navarra, oder mit der Schwester des Königs, oder mit seiner Mätresse. Neigung, Pflichten des Wohlstandes, Familienverhältnisse, gleicher Charakter, hatten diese verschiedenen Verbindungen zu Unterlagen. Die über die erste Jugend hinaus waren, und strengere Grundsätze schautrugen, waren auf der Seite der Königin; die jüngern, die Freude und Liebe schätzten, auf der Seite der Königin Dauphine. Die Königin von Navarra hatte ihre Günstlinge, war jung und vermochte viel über ihren Gemahl, der mit dem Connetable von Guise in Verbindung stand, und dadurch viel Einfluß bekam. Die Schwester des Königs war auch noch schön, und hatte mehrere Damen auf ihrer Seite, und die Herzogin von Valentinois hatte Alle, die sie gnädig anblicken wollte; aber ihr gefielen nur wenige, und außer einigen, die ihr Vertrauen und ihre Zuneigung hatten, weil gleiche Gemütsart sie an sie zog, hatte Keine Zutritt bei ihr, die Tage ausgenommen, wo es ihr gefiel, einen eben so zahlreichen Hof als die Königin um sich zu versammeln.

Alle diese verschiedenen Parteien regten Neid und Wetteifer gegen einander auf. Die Damen, die darein verwickelt waren, empörten Neid und Gunst oder Eifersucht und Liebhaber gegen einander, und das Interesse der Ehrsucht und Größe war oft mit dem geringfügigern der Liebe, das aber nicht weniger empfindlich und begehrlich war, genau verschmolzen. So war der Hof in einer ewigen, aber regelmäßigen Bewegung und Spannung, die ihn für junge Herzen, sehr anziehend, aber auch sehr gefährlich machten. Frau von Chartres kannte diese Gefahr und dachte auf Mittel, ihre Tochter davor zu schützen. Sie bat sie, nicht als Mutter, sondern als Freundin, sie um alles, was man ihr von Liebe sagte, wissen zu lassen, und versprach ihr Rat und Hilfe in Dingen, die einen oft in Verlegenheit setzen, wenn man jung, und unerfahren ist.

Der Chevalier von Guise hatte seine Gefühle und seine Plane in Absicht des Fräuleins von Chartres so wenig hehl, dass bald der ganze Hof darum wußte; aber er sah immer große Schwierigkeiten in seinem Wege. Er wußte wohl, dass er keine Partie für sie war, weil sein Vermögen ihrem Range nicht zusagte, und weil seine Brüder seiner Vermählung entgegen sein würden, in der Besorgnis, ihr Haus sinken zu sehen: die gewöhnliche Folge, wenn die jüngern Söhne einer Familie heiraten. Der Cardinal von Lothringen ließ ihn auch wirklich bald merken, dass es so sei; er mißbilligte seine Neigung für das Fräulein von Chartres und erklärte sich mit Heftigkeit gegen ihn darüber, doch ohne den wahren Grund kund zu geben. Dieser war ein heimlicher Hass gegen den Vidame von Chartres, der nach der Zeit heftig ausbrach. In jede andere Verbindung würde er eher gebilligt haben, und er erklärte sich gegen diese so laut, und so ohne alle Schonung, dass die Frau von Chartres sich dadurch empfindlich beleidiget fühlte. Sie unterließ nichts, dem Kardinal zu zeigen, dass er nichts zu fürchten, dass sie an diese Verbindung nie gedacht hätte. Der Vidame tat dasselbe, und fühlte das Benehmen des Cardinals noch tiefer, weil er von seinen Ursachen noch besser unterichtet war.

Der Prinz von Cleves hatte seine Neigung eben so wenig geheim gehalten, als der Chevalier von Guise. Sein Vater sah ihm mit Unwillen zu; indessen glaubte er nur Eines Worts bei seinem Sohne zu bedürfen, um ihn anderes Sinnes zu machen. Desto mehr erstaunte er, als er diesen gefaßt und entschlossen fand, dem Fräulein von Chartres seine Hand anzubieten. Er mißbilligte diesen Plan, ward warm und heftig, und barg dies so wenig, dass die Ursachen davon bald bei Hofe bekannt wurden und selbst vor die Frau von Chartres kamen. Es war ihr nicht zweifelhaft, dass diese Heirat Vorteile für seinen Sohn gehabt haben würde, und sie erstaunte, dass die Häuser Cleves und Guise sich gegen eine Verbindung erklärten, die ihnen wünschenswert sein mußte. Der Verdruss darüber drang sie, auf eine Partie für ihre Tochter zu denken, die sie über die empor hob, die sich über sie empor dünken. Ihre Wahl blieb endlich bei dem Prinzen Dauphin, dem Sohn des Herrzogs von Montpensier, stehen. Er konnte heiraten, und war ohne Zweifel die glänzendste Partie bei Hofe. Da Frau von Chartres großen Verstand besaß und von dem mächtigen Credit des Vidame unterstützt wurde, so hatte ihr feines Benehmen glücklichen Erfolg. Der Prinz Dauphin schien diese Verbindung zu wünschen, und es schienen nun weiter keine Schwierigkeiten im Wege zu sein.

Der Vidame von Chartres ließ den Herrn von Unwille, der beim Könige viel, und bei dem Prinzen von Montpensier alles galt, durch die Königin Dauphine gewinnen, für welche er eine heftige Leidenschaft nährte. Er war entzückt, dass sie ihn in einer Sache, die sie lebhaft zu wünschen schien, brauchen wollte, und versprach ihr seine ganze Tätigkeit. Aber die Herzogin von Valentinois hatte schon Nachricht von dieser zu stiftenden Vermählung gehabt, hatte sorgfältig dagegen gearbeitet und den König so dawider gewonnen, dass er dem Herrn von Anville auf seinen Vortrag erklärte: er mißbillige diese Verbindung und befehle ihm, dem Prinzen von Montpensier dies zu sagen.

Man kann denken, dass Frau von Chartres unendlich litt, einen Plan gescheitert zu sehen, der sie, wenn er geglückt wäre, über alle ihre Feinde erhoben hätte, ihnen jetzt aber, da er mißglückte, so große Vorteile über sie gab.

Niemand wagte es mehr, an Fräulein von Chartres zu denken. Man fürchtete, entweder dem Könige zu mißfallen, oder von ihr abgewiesen zu werden, nachdem sie zur Hand eines Prinzen Hoffnung gehabt hätte. Aber dem Prinzen von Cleves stand keine von diesen Betrachtungen im Wege. Durch den Tod seines Vaters, ward er um diese Zeit Meister seines Willens, und sobald die Trauer nach den Regeln des Wohlstandes vorüber war, dacht' er eifrigst auf Mittel, sich die Hand des Fräuleins von Chartres zu verschaffen. Er freute sich, dass er ihr seinen Antrag gerade zu einer Zeit tun konnte, wo jener Vorfall alle übrigen Mitbewerber entfernt hatte, und wo er fast gewiß war, dass man sie ihm nicht verweigern würde; aber diese Freude ward durch die Besorgnis gestört, dass ihr Herz nicht für ihn spräche, und gern hätte er die Gewißheit, ihre Hand ohne ihr Herz zu bekommen, für das Glück ihr zu gefallen hingegeben.

Der Chevalier von Guise hatte ihm eine Art von Eifersucht erweckt; da sie aber mehr aus der Kenntnis der großen Vorzüge desselben, als aus dem Benehmen des Fräuleins von Chartres gegen ihn, entstanden war: so dacht' er einzig darauf, zu erforschen, ob er das Glück hätte, dass sie seine Absichten auf sie billigte. Er sah sie immer nur bei den Königinnen oder in den Assembleen, und es war schwer, eine besondere Unterredung mit ihr zu haben. Aber er fand doch Mittel, ihr seine Absichten und sein Herz zu entdecken. Er drang voll Ehrfurcht in sie, ihm zu sagen, was sie für ihn empfände, und beteuerte ihr: seine Gefühle für sie wären von der Art, dass sie ihn auf immer unglücklich machen würden, wenn sie nur aus Pflicht sich dem Verlangen ihrer Mutter nicht widersetzte.

Fräulein von Chartres hatte ein gutes und edles Herz. Das Benehmen des Prinzen erfüllte sie mit wahrer Erkenntlichkeit, und diese gab ihrer Antwort einen gewissen sanften, und gütigen Ton, der hinreichte, einem Manne mit so viel Liebe im Herzen sehr angenehme Hoffnungen zu erwecken. Sie teilte ihrer Mutter diesen Auftritt mit, und diese sagte ihr: sie fände so viel Glanz und große Vorzüge an dem Prinzen, und er entwickelte so viel Erfahrung und Klugheit für seine Jahre, dass sie mit Freuden einwilligen würde, wenn sie Neigung fühlte, sich mit ihm zu verbinden. Fräulein von Chartres erwiderte: dass sie dieselben Vorzüge an dem Prinzen bemerkte, und dass sie lieber ihm als jedem andern ihre Hand geben würde, dass sie aber keinen besonderen herzlichen Zug für ihn fühlte.

Den folgenden Tag ließ der Prinz der Frau von Chartres seinen Antrag tun. Sie nahm ihn an und fürchtete nichts, dass sie ihre Tochter einem Manne gab, den sie nicht liebte. Der Ehevertrag war geschlossen, man benachrichtigte den König davon und die Vermählung ward erklärt.

Der Prinz von Cleves war glücklich, aber nicht ganz zufrieden. Er sah mit Unruhe, dass die Empfindungen des Fräuleins für ihn, Achtung und Erkenntlichkeit blieben, und er konnte sich nicht schmeicheln, dass sie anziehendere verbärge, weil sie bei dem Verhältnisse, worin sie jetzt standen, dieselben kund geben konnte, ohne ihrer ausserordentlichen Sittsamkeit untreu zu werden. Er beklagte sich fast täglich gegen sie darüber.

"Sie fühlen für mich nur eine Art von Gefälligkeit," sagte er zu ihr: "die für mein Herz nicht genug ist. Sie zeigen weder Unruhe, noch Ungeduld, noch Verlangen. Meine Liebe wirkt nur so auf Sie, als eine Anhänglichkeit wirken würde, die sich nur auf Ihr Vermögen und nicht auf Ihr persönlichen Vorzüge gründete."

Ihre Klagen sind ungerecht, erwiderte sie: Ich weiß nicht, was Sie über das, was ich tue, noch zu wünschen haben, und es scheint mir, dass der Wohlstand mir nicht erlaubt, mehr zu tun.

,,Es ist wahr," versetzte er: "Sie lassen mich etwas vermuten, das mich ganz zufrieden machen könnte, wenn es wirklich da wäre. Der Wohlstand hält Sie nicht zurück, vielmehr ist er es, der Sie bestimmt, das für mich zu tun, was Sie tun. Ich habe weder Ihre Neigung noch Ihre Liebe gewonnen, und meine Gegenwart macht Ihnen weder Freude noch Unruhe."

Sie können unmöglich zweifeln, sagte sie: dass ich mich nicht freuete, wenn ich Sie sehe, und ich werde bei Ihrem Anblicke so oft rot, dass Sie wohl eben so wenig ungewiß sein können, ob mich Ihre Gegenwart unruhig macht oder nicht.

"Ich erkläre mir Ihr Erröten richtig," erwiderte er "Es entsteht aus einer Regung Ihrer Sittsamkeit und nicht Ihres Herzens, und ich ziehe nur den Vorteil daraus, den ich daraus ziehen muß."

Fräulein von Chartres wußte nicht, was sie hierauf antworten sollte. Diese feine Unterscheidungsart ging über ihre Kenntnisse und Erfahrung. Der Prinz sah klar genug, dass sie nicht genug zu seiner Befriedigung für ihn fühlte, da sie nicht einmal zu begreifen schien, was diese für ihren Genuß verlangte.

Der Chevalier von Guise kam wenige Tage vor der Hochzeit von einer Reise zurück. Er hatte gegen seinen Plan zu einer Verbindung mit dem Fräulein von Chartres sich so viel Hindernisse häufen sehen, dass er dessen Ausführung nicht hoffen konnte; dennoch schmerzt' es ihn empfindlich, sie in den Armen eines Andern zu sehen, und dieser Schmerz konnte seine Liebe nicht unterdrücken. Dem Fräulein von Chartres waren seine Gefühle für sie nicht unbekannt geblieben. Er ließ es sie wissen, als er zurückkam, dass sie die Veranlassung zu der Schwermut wäre, die sich in seinem Wesen zeigte, und er hatte so große Verdienste und gesellschaftliche Vorzüge, dass es schwer war, ihm Schmerz zu erwecken, ohne Mitleid für ihn zu fühlen. Dies fühlte sie auch, aber zu andern Empfindungen führte es sie nicht. Sie entdeckte ihrer Mutter, wie leid ihr die Unruhe des Chevaliers täte.