Die Prinzessin von Cleves - Marie-Madeleine de La Fayette - E-Book

Die Prinzessin von Cleves E-Book

Marie-Madeleine de La Fayette

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Beschreibung

Marie-Madeleine de La Fayette's Werk 'Die Prinzessin von Cleves' ist ein bedeutendes französisches Literaturstück aus dem 17. Jahrhundert. Das Buch ist als einer der ersten Romane der Weltliteratur bekannt und schildert das Leben am königlichen Hof im 16. Jahrhundert. Die handlungsreiche Geschichte ist geprägt von Intrigen, Leidenschaft und moralischen Konflikten. De La Fayette verwendet eine präzise und elegante Sprache, die das Buch zu einem Meisterwerk der französischen Klassik macht. Die Prinzessin von Cleves hat einen tiefen Einfluss auf die Literaturgeschichte gehabt und wird bis heute als ein wichtiges Werk der Weltliteratur angesehen.

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Marie-Madeleine de La Fayette

Die Prinzessin von Cleves

Klassiker der französischen Literatur

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-2237-7

Inhaltsverzeichnis

Erstes Buch
Zweytes Buch
Drittes Buch
Viertes Buch

Erstes Buch

Inhaltsverzeichnis

In den letzten Jahren der Regierung Heinrichs des Zweyten war der Französische Hof eine Feenwelt mit Menschen bevölkert. Pracht, Galanterie, Ritterwesen und Schöngeistern liefen in einem Punct zusammen, und gewährten ein Schauspiel, dessen Glanz auch den blendete, der es wußte, daß es in dem Labyrinthe tausendfacher Cabalen gegeben wurde.

Diane von Poitiers, Herzoginn von Valentinois, hielt schon seit zwanzig Jahren die Neigung des Königs gefesselt, und die Feste und Feyerlichkeiten, die sich bey Hofe drängten, waren alle ihr zu Ehren angestellt. Ihr Nahmenzug und ihre Farben zeigten sich überall, und sie selbst konnte sich überall zeigen, weil die Gegenwart der Königinn sie berechtigte, überall zu seyn, wo diese war.

Die Königinn, Catharine von Medicis, war noch schön, obgleich nicht mehr in der ersten Jugendblüthe. Sie liebte Pracht, Aufwand und Vergnügungen, aber Begierde zu herrschen war ihre Leidenschaft. Es schien, als ob ihr die Neigung des Königs für die Herzoginn nicht schmerzlich fiele, und nie ließ sie Eifersucht laut werden; aber sie verstand die Kunst der Verstellung in hohem Grade, und es war sehr schwer, ihre Gefühle und Gedanken zu ergründen. Politik bestimmte sie, Jene in ihrer Nähe zu behalten, weil sie dadurch den König in ihrer Nähe behielt.

Der König fand großen Geschmack an dem Umgange mit Weibern, selbst mit solchen, in die er nicht verliebt war. Wenn Cirkel bey der Königinn war, fehlte er nie, weil sich da alles, was Schönes und Reitzendes von beyden Geschlechtern bey Hofe war, zusammen fand.

Nie muß ein Hof so viel schöne Männer und Weiber aufzuweisen gehabt haben. Die Natur schien hier Schönheit mit Größe vermählen zu wollen. Die Prinzessinn Elisabeth, nachmahlige Königinn von Spanien, entwickelte damahls schon einen außerordentlichen Geist und die siegende Schönheit, die nach der Zeit so traurige Folgen für sie hatte. Marie Stuart, Königinn von Schottland, mit welcher sich vor kurzem der Dauphin vermählt hatte, und die man die Königinn Dauphine nannte, war an Geist und Körper gleich vollkommen. Die Erziehung, die sie am Französischen Hofe erhalten hatte, gab ihr alle Bildung und Feinheit desselben, ein natürlicher Hang zog sie zu allem, was schön war, und schon in früher Jugend war sie Liebhaberinn und Kennerinn desselben. Die Königinn Catharine fand, wie des Königs Schwester, viel Geschmack an Versen, am Theater und an Musik, die Vorliebe Franz des Ersten zu den Musenkünsten, lebte noch in Frankreich, und da sein Sohn Vergnügen an Jagden, Turnieren und andern Ritterspielen fand, so wechselten Unterhaltungen jeder Art bey Hofe. Was ihm aber die höchste Würde und Majestät gab, war eine große Anzahl von Männern, die jeder in seiner Art die Bewunderung und der Ruhm ihres Zeitalters waren.

Dem Könige von Navarra verschafften hohe Abkunft und Hoheit der Seele allgemeine Achtung. Er glänzte im Felde, und sein Wetteifer mit dem Herzog von Guise, hatte oft bey ihm den Muth und das Auge des Generals in Tollkühnheit und Faust des gemeinen Soldaten verwandelt. Jener hatte aber auch Proben von einer glücklichen Unerschrockenheit gegeben, die des Neides der größten Generale werth waren. Sein Muth hatte noch andere Vorzüge im Gefolge. Er hatte einen umfassenden, scharfen Blick, eine große Seele, und war für kriegerische und politische Geschäfte gleich geschickt. Sein Bruder, der Cardinal von Lothringen, verband mit einem nie zu befriedigenden Ehrgeitze, einen lebhaften, feinen Geist, und die Gabe einer siegenden Beredsamkeit, während ein dritter Guise, Chevalier, nachmahls Großmeister von Guese, durch wahre, männliche Schönheit, durch Witz und feinen Verstand den Zankapfel der Weiber und durch Heldenthaten die Bewunderung von Europa wurde. Der Prinz von Conde war in Absicht des Körpers von der Natur stiefmütterlich versorgt worden, aber er hatte eine stolze Seele voller Ansprüche, und eine reichliche Gabe von Witz und Verstand, die ihn selbst in den Augen der schönsten Weiber sehr liebenswürdig machten. Der Herzog von Nevers war im Geräusche der Waffen und in dem Wirbel großer Würden und Geschäfte schon gealtert, aber immer noch war er der Abgott des Hofes. Er hatte drey Söhne, wovon der mittlere, den man den Prinzen von Cleves nannte, es werth war, seinen glänzenden Nahmen zu tragen, und zu erheben: er verband mit Muth und Liebe zur Pracht und Größe, eine kluge Vorsicht, die selten ein Vorzug der Jugend zu seyn pflegt. Der Vidame von Chartres war in der Kunst des Krieges wie der Liebe gleich geübt und berühmt. Eine männliche Schönheit, durch den Zauber eines edlen Anstandes, durch Muth, Unternehmungsgeist und Freigebigkeit gehoben, gab ihm einen Glanz, der ihn einer Vergleichung mit dem Herzog von Nemours werth gemacht hätte, wenn mit diesem Meisterwerke der Natur irgend ein Wesen hätte verglichen werden können.

Daß der Herzog von Nemours einer der schönsten Männer war, die je gelebt haben, war an ihm nur ein Vorzug vom zweyten Range: was ihn über alle übrige hinaufsetzte, war eine gewisse, alles besiegende Wendung seines Verstandes, seiner Züge, seiner Worte und seiner Handlungen, die ihm ausschließend eigen blieb. Ein Frohsinn, dessen Ergießungen Männern so sehr als Weibern gefielen, eine geschmeidige Leichtigkeit im Tanzsaale wie in den Schranken, und eine Art sich zu kleiden, die Alle nachahmten, aber keiner nachmachen konnte: dieß zusammengenommen gab seinem Wesen einen Zauber, der Auge und Ohr fesselte, wenn er erschien, und wo er erschien. Keine Dame bey Hofe, die sich durch seinen nähern Antheil nicht geschmeichelt gefunden, hätte, wenige, denen er diesen Antheil kund gab, die ihm widerstanden hätten, einige sogar, denen er denselben nie zeigte, und die ihn darum doch sehnsuchtsvoll im Herzen trugen.

Er hatte ein so gutes Herz und einen so starken Hang zur Galanterie, daß er in diesem Puncte nie etwas mit Undank aufnahm, wenn ihm auch von mehr als Einer Hand gebothen wurde, und mithin hatte er gewöhnlich mehr als Eine Liebschaft; aber es war schwer, zu bestimmen, wohin seine wahre Liebe gefallen wäre. Er kam oft zur Königinn Dauphine, und ihre Schönheit und ihr sanftes Herz, das gern jedermann gefallen und gefällig seyn wollte, verbunden mit der besondern Achtung, die sie für den Herzog blicken ließ, hatten oft der Vermuthung Raum gegeben, daß er seine Wünsche bis zu ihr hinauf flattern ließe.

Eine Schönheit erschien um diese Zeit bey Hofe, die außerordentlich seyn mußte, weil sie selbst hier, wo man das Schöne selbst zu sehen gewohnt war, Bewunderung erregte. Sie staunte aus gleichem Haufe mit dem Vidame von Chartres und war eine der reichsten Erbinnen im Lande. Ihr Vater war früh gestorben, und hatte sie unter der Aufsicht seiner Gattinn, der Frau von Chartres, einer Dame von außerordentlich sanftem und tugendhaftem Caracter zurückgelassen. Diese hatte nach dem Verlust ihres Gemahls mehrere Jahres vom Hofe entfernt gelebt, und während dieser Zeit ihre ganze Sorgfalt auf die Erziehung ihrer Tochter verwandt. Aber nicht bloß ihren Verstand und ihre körperlichen Vorzüge hatten sie auszubilden, auch Tugend und Liebe zur Tugend hatte sie ihr einzuflößen gesucht. Viele Mütter der großen Welt meinen, es sey genug, unter den Augen der Tochter nie von Liebe und Galanterie zu sprechen, um sie davor zu schützen. Frau von Chartres war der entgegengesetzten Meinung: sie machte ihrer Tochter oft Gemählde von Liebe, und zeigte ihr die schönen Seiten derselben, um sie desto glaubhafter vor ihren gefährlicheren warnen zu können; sie erzählte ihr von der Verstellungskunst und Flatterhaftigkeit der Männer; machte sie auf die häuslichen Zerrüttungen, die eine Liebschaft im feinen Tone im Gefolge hätte, aufmerksam, und ließ sie auf der andern Seite bemerken, wie ruhig und heiter das Leben einer gewissenhaften Gattinn dahin flösse, und welchen Glanz und welche Erhabenheit Tugend einem schönen Weibe von hoher Geburt gewährte. Aber diese Tugend, sagte sie ihr, könnte sie nur durch das strengste Mißtrauen gegen sich selbst und durch feste Anhänglichkeit an ihren Gemahl in ihrer Stärke erhalten.

Fräulein von Chartres war eine der glänzendsten Partien damahliger Zeit, und in einem sehr frühen Alter hatte man ihr schon mehr als Eine Verbindung vorgeschlagen; aber ihre Mutter, die großen Stolz in ihrer Tochter setzte, hatte sie alle ihrer unwerth gefunden. Jetzt, als sie sechszehn Jahre alt war, sollte sie bey Hofe erscheinen. Der Vidame von Chartres kam ihr und der Mutter entgegen, und war über ihre außerordentliche Schönheit erstaunt, aber mit Recht: eine Haut von ungewöhnlicher Weiße, ein blondes Haar, regelmäßige Züge, und ein gewisser Reitz in ihrem Wesen gaben ein Ganzes, das blendend ausfiel, und ihr ausschließend eigen blieb.

Den Tag nach ihrer Ankunft fuhr sie, um sich einen Schmuck auszusuchen, zu einem Italiäner, der mit dergleichen durch die ganze Welt handelte. Dieser Mann war mit der Königinn von Florenz gekommen, und hatte sich durch seine Geschäfte so bereichert, daß sein Haus mehr dem Hause eines Großen, als eines Kaufmanns glich. Fräulein von Chartres war kaum dort, als der Prinz von Cleves vorfuhr. Er ward durch ihre Schönheit so überrascht, daß er es nicht bergen konnte. Sie erröthete über den Ausbruch seiner Bewunderung, faßte sich aber, und gab auf das, was der Prinz sagte und that, nur in sofern Acht, als es die Regeln der Höflichkeit gegen einen Mann, wie er zu seyn schien, verlangten. Er war voll Verwunderung mit ihr beschäftiget und konnte nicht begreifen, wer dieß schöne Weib seyn möchte. das ihm ganz unbekannt war. An ihrem Wesen und ihrer Begleitung sah er wohl, daß sie von hohem Range seyn; ihre Jugend bewies ihm auch, daß sie noch Mädchen seyn müßte; da er aber keine Mutter bey ihr sah, und sie der Italiäner mit Madame anredete, wußte er nicht, wie er sich herausfinden sollte, und Erstaunen behielt immer noch die Oberhand bey ihm. Er bemerkte, daß seine Blicke sie verlegen machten: eine ungewöhnliche Erscheinung bey Personen ihres Alters, die den Eindruck ihrer Reitze beständig mit Vergnügen bemerken; es schien ihm sogar, daß sie triebe, fortzukommen, und wirklich entfernte sie sich ziemlich übereilt. Der Prinz beruhigte sich darüber mit dem Gedanken, daß er nun erfahren würde, wer sie wäre, aber er erstaunte nicht wenig, als ihm dieß niemand sagen konnte. Er blieb von ihrer Schönheit und dem bescheidenen Glanze der Tugend, der ihr Wesen sanft belebte, so durchdrungen, daß seit diesen Augenblicken eine heftige Leidenschaft, aus Liebe und Ehrfurcht in einander verschmolzen, den Anfang in seinem Herzen nahm.

Den Abend dieses Tages war er bey Madame, der Schwester des Königs. Diese Prinzessin stand in allgemeiner Achtung des Einflusses wegen, den sie auf ihren Bruder hatte; und dieser Einfluß war so stark, daß der König beym Friedensschlusse Piemont zurückgab, um sie mit dem Herzoge von Savoyen zu vermählen, für den sie bey der Zusammenkunft Franz des Ersten mit dem Papst Paul dem Dritten zu Nissa eine lebhafte Zuneigung gefaßt hatte. Da sie viel Verstand, viel Gefühl und Geschmack für das Schöne hatte, so fanden sich alle rechtliche Menschen zu ihr, und zu gewissen Zeiten war der ganze Hof bey ihr versammelt.

Der Prinz von Cleves kam wie gewöhnlich. Er war mit der Schönheit des Fräuleins von Chartres noch so tief beschäftigt, daß er von nichts anderm sprechen konnte; er erzählte sein Abenteuer öffentlich, und sprach mit Lob und Entzücken von dem schönen Mädchen, das er gesehen, aber nicht gekannt hätte. Madame sagte: Wunder, wie er sie mahlte, gäb' es nicht; wäre aber ein ähnliches vorhanden, so müßt' es allgemein gekannt seyn. Die Frau von Dampiere, aus dem Gefolge der Prinzessinn und Freundinn der Frau von Chartres, sagte der erstern ins Ohr: es wäre höchst wahrscheinlich das Fräulein von Chartres gewesen, die der Prinz von Cleves gesehen hätte. Hierauf wandte sich Madame an ihn, und sagte, wenn er sich morgen wieder einfinden wollte, könnte sie ihm die Schönheit zeigen, die so stark auf ihn gewirkt hätte.

Den folgenden Tag erschien Fräulein von Chartres wirklich bey Hofe. Sie ward von den beyden Königinnen außerordentlich gütig und von allen übrigen mit einer Bewunderung empfangen, die auf allen Seiten in Lobsprüche ausbrach. Sie nahm diese mit einer edlen Bescheidenheit auf, und schien sie nicht zu hören, oder wenigstens keinen Stolz, darin zu setzen. Sie verfügte sich darauf zur Schwester des Königs, die ihr über ihre Schönheit viel Verbindlichkeit sagte, und ihr darauf erzählte, in welche Verwunderung sie den Prinzen von Cleves gesetzt hätte. Dieser erschien bald nachher. „Kommen Sie näher,“ rief ihm Madame entgegen; „und sehen Sie, ob ich nicht Wort gehalten habe. Ist sie es nicht, die Sie suchten; und danken Sie es mir wohl, wenn sie durch mich weiß, welche Bewunderung Sie für sie fühlen?“

Der Prinz von Cleves freute sich, daß das Mädchen, welches er so liebenswürdig gefunden hatte, von einem Range war, der ihrer Schönheit nicht nachstand; er näherte sich ihr, und bath sie, nicht zu vergessen, daß er der erste ihrer Bewunderer gewesen, und daß er, ohne sie zu kennen, die Ehrfurcht für sie gefühlt hätte, die ihr in jeder Rücksicht zukäme.

Er entfernte sich mit dem Chevalier von Guise. Beyde waren Freunde, beyde lobten Anfangs das Fräulein von Chartres, ohne sich Zwang anzuthun. Endlich schien es ihnen, daß sie zu stark lobten, und bald hörten sie auf, sich ihre Gedanken über sie mitzutheilen. Aber sie waren gezwungen, die folgenden Tage, wo und so oft sie sich sahen, von neuem anzufangen.

Das Fräulein von Chartres war lange der Gegenstand der Conversationen. Die Königinn überhäufte sie mit Lob und Achtung; die Königinn Dauphine nahm sie unter ihre Günstlinge auf, und bath ihre Mutter, sie recht oft zu ihr zu bringen; die Töchter des Königs ließen sie zu allen ihren Vergnügungen rufen: so war sie vom ganzen Hofe geliebt und bewundert, nur nicht von der Herzoginn von Valentinois. Diese fürchtete nicht etwa von ihr Gefahr für sich; eine lange Erfahrung hatte sie überzeugt, daß sie bey dem Könige nichts für sich zu fürchten hatte; aber sie haßte den Vidame von Chartres, den sie durch eine Verbindung mit einer ihrer Töchter hatte an sich ziehen wollen, der sich aber an die Königinn geschlossen hatte, so sehr, daß sie eine Person, die seinen Nahmen trug, und für die er viel Theilnehmung zeigte, unmöglich mit günstigen Augen ansehen konnte.

Der erste überraschende Eindruck, den die Schönheit des Fräuleins von Chartres auf den Prinzen von Cleves gemacht hatte, verwandelte sich bald in eine heftige Liebe. Er wünschte, sich mit ihr zu verbinden; aber er fürchtete, daß es der Stolz der Frau von Chartres nicht zulassen würde, ihre Tochter einem Manne zu geben, der nicht der ältere Sohn seines Hauses war. Indessen war dieß Haus eines der größten, und des Prinzen älterer Bruder: der Graf von Eu, hatte sich vor kurzem mit einer Dame vermählt, die dem Königlichen Hause so nahe verwandt war, daß es mehr Schüchternheit der Liebe war, als gegründete Ursache, die dem Prinzen jene Besorgniß einflößte. Er hatte eine Menge Mitbewerber, unter denen ihm der Chevalier von Guise der fürchterlichste schien, weil er hohe Geburt, persönliche Vorzüge und den Glanz der ausgezeichneten Gnade des Königs für seine Familie in sich vereinigte. Der Chevalier hatte das Fräulein von Chartres seit dem ersten Tage, da er sie sahe, geliebt, und er war der Liebe des Prinzen von Cleves, wie dieser der seinigen, auf die Spur gekommen. Ob sie gleich Freunde waren, hatten sie doch gleiche Ansprüche zurückhaltend gemacht, und ihnen keine Erklärung erlaubt; ihre Freundschaft war lau geworden, ohne daß sie wechselseitig Muth genug hatten, sich zu verständigen. Jener Zufall, daß der Prinz das Fräulein von Chartres zuerst gesehen, schien ein glückliches Vorzeichen für ihn zu seyn, und ihm einigen Vortheil über seinen Nebenbuhler zu geben; aber er mußte von Seiten des Herzogs von Nevers, seines Vaters, große Schwierigkeiten fürchten. Dieser stand in genauer Beziehung mit der Herzoginn von Valentinois, und diese war gegen den Vidame; Ursache genug für ihn, nie in eine Verbindung seines Sohnes mit dessen Nichte zu willigen.

Frau von Chartres, die ihre Tochter mit so viel Sorgfalt Tugend gelehrt hatte, fuhr mit gleicher Sorgfalt damit an einem Orte fort, wo sie höchst nöthig war, und wo verführerische Beyspiele große Gefahr droheten. Ehrsucht und Galanterie waren die Seele dieses Hofes, und beschäftigten hier die Männer und Weiber gleich stark. Ueberall Cabale und entgegengesetztes Interesse, und die Damen waren so enge darein verwickelt, daß sich den Liebschaften Politik, und Politik den Liebschaften wechselsweise beymischten. Niemand war ruhig oder gleichgültig: man wollte empor, gefallen, nützen oder schaden, man wußte nichts von langer Weile, und Vergnügen ging mit Intrigue Hand in Hand. Die Damen standen in besonderer Beziehung mit der Königinn Catharine, oder mit der Königinn Dauphine, oder mit der Königinn von Navarra, oder mit der Schwester des Königs, oder mit seiner Mätresse. Neigung, Pflichten des Wohlstandes, Familienverhältnisse, gleicher Character, hatten diese verschiedenen Verbindungen zu Unterlagen. Die über die erste Jugend hinaus waren, und strengere Grundsätze schautrugen, waren auf der Seite der Königinn; die jüngern, die Freude und Liebe schätzten, auf der Seite der Königinn Dauphine. Die Königinn von Navarra hatte ihre Günstlinge, war jung und vermochte viel über ihren Gemahl, der mit dem Connetable von Guise in Verbindung stand, und dadurch viel Einfluß bekam. Die Schwester des Königs war auch noch schön, und hatte mehrere Damen auf ihrer Seite, und die Herzoginn von Valentinois hatte Alle, die sie gnädig anblicken wollte; aber ihr gefielen nur wenige, und außer einigen, die ihr Vertrauen und ihre Zuneigung hatten, weil gleiche Gemüthsart sie an sie zog, hatte Keine Zutritt bey ihr, die Tage ausgenommen, wo es ihr gefiel, einen eben so zahlreichen Hof als die Königinn um sich zu versammeln.

Alle diese verschiedenen Parteyen regten Neid und Wetteifer gegen einander auf. Die Damen, die darein verwickelt waren, empörten Neid und Gunst oder Eifersucht und Liebhaber gegen einander, und das Interesse der Ehrsucht und Größe war oft mit dem geringfügigern der Liebe, das aber nicht weniger empfindlich und begehrlich war, genau verschmolzen. So war der Hof in einer ewigen, aber regelmäßigen Bewegung und Spannung, die ihn für junge Herzen, sehr anziehend, aber auch sehr gefährlich machten. Frau von Chartres kannte diese Gefahr und dachte auf Mittel, ihre Tochter davor zu schützen. Sie bath sie, nicht als Mutter, sondern als Freundinn, sie um alles, was man ihr von Liebe sagte, wissen zu lassen, und versprach ihr Rath und Hülfe in Dingen, die einen oft in Verlegenheit setzen, wenn man jung, und unerfahren ist.

Der Chevalier von Guise hatte seine Gefühle und seine Plane in Absicht des Fräuleins von Chartres so wenig hehl, daß bald der ganze Hof darum wußte; aber er sah immer große Schwierigkeiten in seinem Wege. Er wußte wohl, daß er keine Partie für sie war, weil sein Vermögen ihrem Range nicht zusagte, und weil seine Brüder seiner Vermählung entgegen seyn würden, in der Besorgniß, ihr Haus sinken zu sehen: die gewöhnliche Folge, wenn die jüngern Söhne einer Familie heirathen. Der Cardinal von Lothringen ließ ihn auch wirklich bald merken, daß es so sey; er mißbilligte seine Neigung für das Fräulein von Chartres und erklärte sich mit Heftigkeit gegen ihn darüber, doch ohne den wahren Grund kund zu geben. Dieser war ein heimlicher Haß gegen den Vidame von Chartres, der nach der Zeit heftig ausbrach. In jede andere Verbindung würde er eher gebilligt haben, und er erklärte sich gegen diese so laut, und so ohne alle Schonung, daß die Frau von Chartres sich dadurch empfindlich beleidiget fühlte. Sie unterließ nichts, dem Kardinal zu zeigen, daß er nichts zu fürchten, daß sie an diese Verbindung nie gedacht hätte. Der Vidame that dasselbe, und fühlte das Benehmen des Cardinals noch tiefer, weil er von seinen Ursachen noch besser unterichtet war.

Der Prinz von Cleves hatte seine Neigung eben so wenig geheim gehalten, als der Chevalier von Guise. Sein Vater sah ihm mit Unwillen zu; indessen glaubte er nur Eines Worts bey seinem Sohne zu bedürfen, um ihn anderes Sinnes zu machen. Desto mehr erstaunte er, als er diesen gefaßt und entschlossen fand, dem Fräulein von Chartres seine Hand anzubiethen. Er mißbilligte diesen Plan, ward warm und heftig, und barg dieß so wenig, daß die Ursachen davon bald bey Hofe bekannt wurden und selbst vor die Frau von Chartres kamen. Es war ihr nicht zweifelhaft, daß diese Heirath Vortheile für seinen Sohn gehabt haben würde, und sie erstaunte, daß die Häuser Cleves und Guise sich gegen eine Verbindung erklärten, die ihnen wünschenswerth seyn mußte. Der Verdruß darüber drang sie, auf eine Partie für ihre Tochter zu denken, die sie über die empor hob, die sich über sie empor dünken. Ihre Wahl blieb endlich bey dem Prinzen Dauphin, dem Sohn des Herrzogs von Montpensier, stehen. Er konnte heirathen, und war ohne Zweifel die glänzendste Partie bey Hofe. Da Frau von Chartres großen Verstand besaß und von dem mächtigen Credit des Vidame unterstützt wurde, so hatte ihr feines Benehmen glücklichen Erfolg. Der Prinz Dauphin schien diese Verbindung zu wünschen, und es schienen nun weiter keine Schwierigkeiten im Wege zu seyn.

Der Vidame von Chartres ließ den Herrn von Unwille, der beym Könige viel, und bey dem Prinzen von Montpensier alles galt, durch die Königinn Dauphine gewinnen, für welche er eine heftige Leidenschaft nährte. Er war entzückt, daß sie ihn in einer Sache, die sie lebhaft zu wünschen schien, brauchen wollte, und versprach ihr seine ganze Thätigkeit. Aber die Herzoginn von Valentinois hatte schon Nachricht von dieser zu stiftenden Vermählung gehabt, hatte sorgfältig dagegen gearbeitet und den König so dawider gewonnen, daß er dem Herrn von Anville auf seinen Vortrag erklärte: er mißbillige diese Verbindung und befehle ihm, dem Prinzen von Montpensier dieß zu sagen.

Man kann denken, daß Frau von Chartres unendlich litt, einen Plan gescheitert zu sehen, der sie, wenn er geglückt wäre, über alle ihre Feinde erhoben hätte, ihnen jetzt aber, da er mißglückte, so große Vortheile über sie gab.

Niemand wagte es mehr, an Fräulein von Chartres zu denken. Man fürchtete, entweder dem Könige zu mißfallen, oder von ihr abgewiesen zu werden, nachdem sie zur Hand eines Prinzen Hoffnung gehabt hätte. Aber dem Prinzen von Cleves stand keine von diesen Betrachtungen im Wege. Durch den Tod seines Vaters, ward er um diese Zeit Meister seines Willens, und sobald die Trauer nach den Regeln des Wohlstandes vorüber war, dacht' er eifrigst auf Mittel, sich die Hand des Fräuleins von Chartres zu verschaffen. Er freute sich, daß er ihr seinen Antrag gerade zu einer Zeit thun konnte, wo jener Vorfall alle übrigen Mitbewerber entfernt hatte, und wo er fast gewiß war, daß man sie ihm nicht verweigern würde; aber diese Freude ward durch die Besorgniß gestört, daß ihr Herz nicht für ihn spräche, und gern hätte er die Gewißheit, ihre Hand ohne ihr Herz zu bekommen, für das Glück ihr zu gefallen hingegeben.

Der Chevalier von Guise hatte ihm eine Art von Eifersucht erweckt; da sie aber mehr aus der Kenntniß der großen Vorzüge desselben, als aus dem Benehmen des Fräuleins von Chartres gegen ihn, entstanden war: so dacht' er einzig darauf, zu erforschen, ob er das Glück hätte, daß sie seine Absichten auf sie billigte. Er sah sie immer nur bey den Königinnen oder in den Assembleen, und es war schwer, eine besondere Unterredung mit ihr zu haben. Aber er fand doch Mittel, ihr seine Absichten und sein Herz zu entdecken. Er drang voll Ehrfurcht in sie, ihm zu sagen, was sie für ihn empfände, und betheuerte ihr: seine Gefühle für sie wären von der Art, daß sie ihn auf immer unglücklich machen würden, wenn sie nur aus Pflicht sich dem Verlangen ihrer Mutter nicht widersetzte.

Fräulein von Chartres hatte ein gutes und edles Herz. Das Benehmen des Prinzen erfüllte sie mit wahrer Erkenntlichkeit, und diese gab ihrer Antwort einen gewissen sanften, und gütigen Ton, der hinreichte, einem Manne mit so viel Liebe im Herzen sehr angenehme Hoffnungen zu erwecken. Sie theilte ihrer Mutter diesen Auftritt mit, und diese sagte ihr: sie fände so viel Glanz und große Vorzüge an dem Prinzen, und er entwickelte so viel Erfahrung und Klugheit für seine Jahre, daß sie mit Freuden einwilligen würde, wenn sie Neigung fühlte, sich mit ihm zu verbinden. Fräulein von Chartres erwiederte: daß sie dieselben Vorzüge an dem Prinzen bemerkte, und daß sie lieber ihm als jedem andern ihre Hand geben würde, daß sie aber keinen besondern herzlichen Zug für ihn fühlte.

Den folgenden Tag ließ der Prinz der Frau von Chartres seinen Antrag thun. Sie nahm ihn an und fürchtete nichts, daß sie ihre Tochter einem Manne gab, den sie nicht liebte. Der Ehevertrag war geschlossen, man benachrichtigte den König davon und die Vermählung ward erklärt.

Der Prinz von Cleves war glücklich, aber nicht ganz zufrieden. Er sahe mit Unruhe, daß die Empfindungen des Fräuleins für ihn, Achtung und Erkenntlichkeit blieben, und er konnte sich nicht schmeicheln, daß sie anziehendere verbärge, weil sie bey dem Verhältnisse, worin sie jetzt standen, dieselben kund geben konnte, ohne ihrer ausserordentlichen Sittsamkeit untreu zu werden. Er beklagte sich fast täglich gegen sie darüber.

„Sie fühlen für mich nur eine Art von Gefälligkeit,“ sagte er zu ihr: „die für mein Herz nicht genug ist. Sie zeigen weder Unruhe, noch Ungeduld, noch Verlangen. Meine Liebe wirkt nur so auf Sie, als eine Anhänglichkeit wirken würde, die sich nur auf Ihr Vermögen und nicht auf Ihr persönlichen Vorzüge gründete.“

Ihre Klagen sind ungerecht, erwiederte sie: Ich weiß nicht, was Sie über das, was ich thue, noch zu wünschen haben, und es scheint mir, daß der Wohlstand mir nicht erlaubt, mehr zu thun.

,,Es ist wahr,“ versetzte er: „Sie lassen mich etwas vermuthen, das mich ganz zufrieden machen könnte, wenn es wirklich da wäre. Der Wohlstand hält Sie nicht zurück, vielmehr ist er es, der Sie bestimmt, das für mich zu thun, was Sie thun. Ich habe weder Ihre Neigung noch Ihre Liebe gewonnen, und meine Gegenwart macht Ihnen weder Freude noch Unruhe.“

Sie können unmöglich zweifeln, sagte sie: daß ich mich nicht freuete, wenn ich Sie sehe, und ich werde bey Ihrem Anblicke so oft roth, daß Sie wohl eben so wenig ungewiß seyn können, ob mich Ihre Gegenwart unruhig macht oder nicht.

„Ich erkläre mir Ihr Erröthen richtig,“ erwiderte er: „es entsteht aus einer Regung Ihrer Sittsamkeit und nicht Ihres Herzens, und ich ziehe nur den Vortheil daraus, den ich daraus ziehen muß.“

Fräulein von Chartres wußte nicht, was sie hierauf antworten sollte. Diese feine Unterscheidungsart ging über ihre Kenntnisse und Erfahrung. Der Prinz sah klar genug, daß sie nicht genug zu seiner Befriedigung für ihn fühlte, da sie nicht einmahl zu begreifen schien, was diese für ihren Genuß verlangte.

Der Chevalier von Guise kam wenige Tage vor der Hochzeit von einer Reise zurück. Er hatte gegen seinen Plan zu einer Verbindung mit dem Fräulein von Chartres sich so viel Hindernisse häufen sehen, daß er dessen Ausführung nicht hoffen konnte; dennoch schmerzt' es ihn empfindlich, sie in den Armen eines Andern zu sehen, und dieser Schmerz konnte seine Liebe nicht unterdrücken. Dem Fräulein von Chartres waren seine Gefühle für sie nicht unbekannt geblieben. Er ließ es sie wissen, als er zurückkam, daß sie die Veranlassung zu der Schwermuth wäre, die sich in seinem Wesen zeigte, und er hatte so große Verdienste und gesellschaftliche Vorzüge, daß es schwer war, ihm Schmerz zu erwecken, ohne Mitleid für ihn zu fühlen. Dieß fühlte sie auch, aber zu andern Empfindungen führte es sie nicht. Sie entdeckte ihrer Mutter, wie leid ihr die Unruhe des Chevaliers thäte.