Die Quellen des Bösen - Markus Heitz - E-Book
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Die Quellen des Bösen E-Book

Markus Heitz

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Beschreibung

Um Lodriks Tod zu rächen, greifen die Untertanen zu den Waffen. Niemand ahnt, dass der geachtete Herrscher das Opfer seiner machtbesessenen Kinder wurde. Der Größenwahn des jungen Govan scheint keine Grenzen zu kennen. Dann aber wird das Gerücht laut, Lodrik sei noch am Leben. Und auch der junge Lorin zieht aus, um gemeinsam mit seinen geheimnisvollen Verbündeten gegen die Horden des Bösen anzutreten. Doch Govan setzt alles daran, die Dunkle Zeit endgültig über Ulldart hereinbrechen zu lassen …

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ISBN 978-3-492-95054-1 Februar 2016

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2005

Umschlagkonzeption: semper smile, München

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München

Umschlagabbildung: Ciruelo Cabral, Barcelona

Karte: Erhard Ringer

Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck  

Nach einem schier unendlichen Strom unglaublicher Schmerzen ebbte die Qual langsam ab, verringerte sich mehr und mehr und verlief sich schließlich im Nichts. Eine nie gekannte Unschwere stellte sich ein, und Wärme und Behagen verjagten die letzten schrecklichen Erinnerungen an die Leiden, die zuvor zu erdulden waren.

Wo bin ich hier?

Vorsichtig erkundete er seine Umgebung, die in völliger Dunkelheit lag. Seine Finger tasteten sich voran, ohne auf Widerstand zu stoßen.

In völliger Blindheit taumelte er umher. Seine Füße erzeugten kein Geräusch, der Untergrund war fest, aber nicht allzu hart. Zu rufen wagte er nicht.

Endlich trafen die Hände auf ein Hindernis, fanden die Flügel eines zweitürigen Portals. Nach kurzem Zögern stemmte er sie auf.

Was soll’s?! Schlimmer kann es kaum mehr kommen.

Goldenes Licht blendete ihn, zwang ihn, die Augen zu schließen und einen Arm schützend davor zu legen, während er nach vorn wankte und schließlich vor Schwäche in die Knie ging.

Nach einer Weile gewöhnte er sich an die Helligkeit.

Er kauerte auf einem polierten Marmorfußboden. Strahlender Sonnenschein fiel durch riesige bemalte Fenster in den üppig eingerichteten Saal. Vogelgezwitscher drang an sein Ohr, irgendwo sangen Menschen ein tarpolisches Volkslied, und das Klingen von Tempelgongs rief die Gläubigen zum Gebet. Ich bin anscheinend im Palast.

Direkt vor sich erkannte er ein Paar graue Militärhosen. Seine Blicke wanderten an der dünnen, gichtverkrümmten Gestalt in der vertrauten Uniform hinauf, die sich auf einen Säbel anstelle eines Gehstocks stützte. Grüngraue Augen schauten teilnahmslos auf ihn herab.

Neben dem betagten Mann stand ein etwas jüngerer mit einem stattlichen, bis auf die Brust reichenden schwarzen Vollbart und einem ordentlichen Bauch. Dessen braune Augen ruhten freundlich auf dem Gesicht des unangemeldeten Besuchers.

»So hat Er es tatsächlich geschafft, ein unrühmliches Ende zu nehmen«, bemerkte der Ältere schneidend. »Und das, nachdem es so gut mit ihm als Kabcar angefangen hat.« Die Spitze der Säbelscheide stieß hart auf den Boden und erzeugte ein knallendes Geräusch. »Er ist einfach zu weich. Das hat Er nun davon, Er mit seinen eigentümlichen Ideen und seiner Gutgläubigkeit.«

»Vater?« Lodrik erhob sich und starrte die Gestalt an. »Er ist tot. Ich habe ihn doch verbrannt.«

»Und meine Asche auf den Kaminsims gestellt«, ergänzte Grengor Bardri¢, der ehemalige Kabcar von Tarpol, ungehalten. »Seine Ankunft hier und seinen Abgang sehe ich daher schon mit einer gewissen Genugtuung. Ich hatte wenigstens ein ordentliches Begräbnis.«

Lodrik schaute zu dem anderen. »Ihr seht aus wie Ijuscha Miklanowo«, sagte er zögerlich. »Auch Ihr seid tot. Ihr wurdet vor vielen Jahren das Opfer eines borasgotanischen Giftmischers.«

Der letzte Kabcar Tarpols entdeckte sich selbst in einem der vielen Spiegel, die an der Wand angebracht waren. Er registrierte die unbeschädigten Kleider, die er vor wenigen Lidschlägen noch im Steinbruch außerhalb der Stadt getragen hatte. Keine Wunden klafften, keine Spur von Blut zeigte sich. Hat mein Verstand etwa unter den Ereignissen gelitten?

Sein Lehrer aus der Provinz Granburg schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln und legte ihm die Hände auf die Schulter. »Nein, Lodrik. Ich sehe nicht nur so aus, ich bin es. Ich bin hierher gekommen, um dich im Reich der Toten willkommen zu heißen.«

»Und ich ebenfalls«, meinte Grengor Bardri¢ genüsslich.

Der Herrscher machte entsetzt einen Schritt zurück und schüttelte die Arme des Brojaken ab. »Nein! Das kann nicht sein. Ich war eben noch im Steinbruch vor Ulsar und habe …« Abrupt endete er. Govan hat mich umgebracht?

Miklanowo faltete die Arme vor dem Bauch. »Ich dachte mir schon, dass es dir nicht leicht fallen wird, den Tod anzunehmen. Er kam bei dir mindestens so überraschend wie bei uns beiden.« Der Großbauer deutete auf Grengor. »Uns alle verbindet eine Gemeinsamkeit: Wir wurden getötet.«

»Wenn das hier das Jenseits ist, warum sind wir dann nur so wenige?«, verlangte Lodrik zu wissen. »Und warum sieht es hier aus wie im Palast von Ulsar?«

»Oh, wir sind nicht wenige«, erklärte Miklanowo geduldig. »Die anderen sind draußen in der Stadt und gehen ihren Geschäften nach. Das heißt, sie genießen ihr Leben nach dem Tod. Sofern sie hierher gelangt sind. Kolskoi und Jukolenko sind beispielsweise nicht aufzufinden. Weiß Ulldrael der Gerechte, an welchem Ort ihre Seele gelandet ist.«

Das Ganze kann nur ein Albtraum sein. Ein Schwindel erfasste Lodrik, ein schmerzhaftes Ziehen jagte durch seinen Körper. »Und wo ist Norina?«

»Hoffentlich noch immer in der anderen Welt«, sagte der Granburger.

»Sie lebt?«, keuchte Lodrik voll freudiger Überraschung. »Wir dachten alle, das Schiff sei zusammen mit den anderen gesunken.«

Miklanowo schüttelte den Kopf und fasste den Kabcar am Arm. »Nein, sie leben alle. Komm, ich führe dich ein wenig herum.«

Lodrik blieb stehen. »Ich bin also wirklich tot?«

»Getötet von seinem eigenen Sohn«, meinte Grengor Bardri¢ ein wenig gehässig. »Mein Enkel hat Schneid, das muss man ihm lassen. Das hätte Er sich niemals getraut, um an die Macht zu gelangen, nicht wahr?!«

»Er starb zu früh, Vater. Sonst hätte Er gesehen, was ich alles unternommen hätte«, sagte Lodrik mit einem bösen Lächeln.

»Mein Tod geht übrigens nicht zu Lasten der Borasgotaner, auch wenn sie für viel Leid verantwortlich sind«, meinte der Brojake. »Dein Ratgeber, Mortva Nesreca, hat die Vergiftung arrangiert. Dieses Wesen hat so viele Schandtaten angezettelt, dass es Bücher füllen würde, müsste man sie aufnotieren.«

»Ist das gewiss?«, rutschte es Lodrik heraus.

Der Großbauer lächelte schwach. »Ich war zumindest bei dem Bankett dabei.«

Dann hatten Stoiko, Norina, Waljakov und alle anderen mahnenden Stimmen all die Zeit über Recht. Der Kabcar fasste sich an die Schläfen, als ihn ein neuerlicher Schub Benommenheit angriff. Was habe ich nur getan?

»Stelle Er sich nicht so an. Er ist tot, was muss Er da noch den Wehleidigen vortäuschen?«, wies ihn sein Vater zurecht. »Reiße Er sich zusammen. Er ist ein Bardri¢, wenn auch ein Missratener. Ich hätte mir von diesem silberhaarigen Schönredner niemals mein Reich abnehmen lassen.«

»Halte Er den Mund. Er ist nichts weiter als ein Häufchen Asche in einer Urne, die sein Enkel vermutlich schon lange ausgeleert hat«, knurrte Lodrik seinen Vater an. »Er hat mir schon lange nichts mehr zu sagen.«

»Er, werter Herr Sohn, kann sich bei den Tzulani bedanken, dass Er so früh auf den Thron kam«, keifte Grengor zurück, und wieder schabte das Ende der Säbelscheide auf dem Stein. »Sonst säße ich sicherlich immer noch als Kabcar in Amt und Würden, während Er der kleine ›Tras‹ geblieben wäre.« Die grüngrauen Augen blitzten, er richtete seine verkrümmte Gestalt auf, so weit es ging, und sein strenges Gesicht blickte wütend.

»Selbst als Toter ist Er unausstehlich.« Lodrik wandte sich von ihm ab. »Ijuscha, sagt mir, habe ich alle um mich herum verstoßen, die nur die Wahrheit sprachen?«

»Ja, so kann man es sagen.« Miklanowo räusperte sich. »Aber ich werde der Letzte sein, der dir deswegen Vorwürfe macht. Die Intrigen und Hinterhältigkeiten waren zu ausgeklügelt. In diesem Netz hast du dich verfangen und wurdest langsam, aber sicher an das Ufer gezogen, an dem falsche Freunde standen. Ich habe Nesreca ebenfalls nicht durchschaut.« Er breitete die Arme aus. »Das war der Preis dafür. Hier warten viele Bekannte auf dich, die er ins Verderben gestürzt hat. Wenn du mir nicht glaubst, warte ab, was sie dir erzählen. Dennoch, man fühlt sich rasch sehr wohl hier. Meine Frau ist ebenfalls hier, genau wie deine Mutter.«

Doch das bedeutete keinen wirklichen Trost für Lodrik, der noch immer nicht recht überzeugt war. Zu abstrus gestaltete sich die Szenerie. Vielleicht ist es eine Art Delirium?

Wie zum Beweis schlug eine Woge des Schmerzes über ihm zusammen und ließ ihn auf dem Fußboden zusammenbrechen.

»Was soll das werden, Schwächling?« Grengor Bardri¢ drückte ihm die Spitze der Säbelhülle in den Leib. »Stehe Er auf. Er kann nicht sterben, also stelle Er das Lamentieren und Simulieren augenblicklich ein, ehe ich mich vergesse.« Sein Vater schien zu alten Hochformen aufzulaufen, was Beschimpfungen anging.

Die folgende Tirade und die Schlichtungsversuche Miklanowos verstand der auf der Erde liegende Lodrik nur wie durch einen Schleier, der die Worte dämpfte und sie unverständlich werden ließ.

Kurze, türkisfarbene Blitze zuckten in schneller Reihenfolge vor seinem Auge auf und raubten ihm für Lidschläge die Sicht.

Groß erschien das besorgte Gesicht des Brojaken vor ihm. Dessen Mund öffnete und schloss sich, abgehackte Sätze drangen an sein Ohr, ohne dass der Kabcar ihren Sinn erfasste.

Der letzte blassblaue Blitz brachte ihm die Schmerzen zurück und riss ihn in die Dunkelheit, aus der er gekommen war. Schreiend vor Qualen und voller Angst musste er sich blind von den unbekannten Kräften leiten lassen.

Irgendwann befiel ihn das Gefühl, im Zentrum eines Unwetters zu schweben. Die Energiestrahlen entluden sich in ihn, folterten und marterten ihn.

Ist das die Strafe Ulldraels des Gerechten für meine Taten zu Lebzeiten? Komme ich an den Ort, wo Jukolenko und Kolskoi sind?

Kontinent Kalisstron, Bardhasdronda, Frühjahr 459 n. S.

Die Böe füllte das schlaffe Segel mit Wind, der Gleiter ruckte vorwärts und beschleunigte beinahe aus dem Stand heraus auf eine atemberaubende Geschwindigkeit.

Lorin, mehrere Decken als Schutz gegen die Kälte über seine Felljacke gelegt, musste mit den Händen und geistigen Kräften gleichzeitig arbeiten, um das Gefährt unter Kontrolle zu halten. Einen herkömmlichen Segler hätte es schon lange auf die Seite gelegt, doch mit ihm konnte sich keiner messen.

Die Kufen glitten mit einem knirschenden Geräusch über die Eisfläche, der Gleiter nahm weiter Fahrt auf. Lorin war diesmal als echter Milizionär unterwegs. Im Auftrag von Rantsila klapperte er alle Feuertürme ab, um die Protokollbücher der letzten Wochen einzusammeln.

Innerhalb einer neuen persönlichen Bestzeit hatte er die Wachtürme abgeklappert und befand sich bereits auf dem Weg zum letzten, der Bardhasdronda am nächsten lag. Auf diesen Turm freute er sich ganz besonders, und das nicht nur, weil er dort bei einem Glas Tee auftauen konnte. Jemand ganz Besonderes versah dort seinen Dienst.

Als die Stufen in Sicht kamen, die zum Feuerturm hinaufführten, reffte er das Segel und brachte den Gleiter am Fuß des Aufgangs zum Stehen. Vorsichtig erklomm er die behauenen Tritte. Unwillkürlich musste er dabei an sein Abenteuer denken, das er mit den Lijoki erlebt hatte. Bei diesem Türmler würde es ihnen nicht gelingen, das Gebäude in ihre Gewalt zu bringen.

Als Lorin das Plateau erreichte, sah er schon die breite Gestalt, die auf der Aussichtsplattform stand und zu dem Neuankömmling spähte. Er winkte und trabte durch den immer spärlicher werdenden Schnee.

Die Tür wurde geöffnet, und Waljakov begrüßte ihn mit einem breiten Grinsen. »Du bist ein wenig außer Atem, Knirps. Ich werde deine Unterrichtsstunden verschärfen müssen.«

»Lass mich erst mal auftauen« Vor Kälte klapperte Lorin mit den Zähnen. »Der Fahrtwind hätte mich um ein Haar zu einem lebenden Eiszapfen gemacht.«

»Es zwingt dich keiner, so schnell unterwegs zu sein.« Der glatzköpfige Hüne reichte ihm einen Becher Tee. »Gab’s was Neues?«

Lorin schüttelte den Kopf, streifte sich mit der freien Hand die Mütze ab und stellte sich an den offenen Kamin. »Nichts. Seit wir den Lijoki unsere Schwerter und Pfeile aus der Nähe gezeigt haben, lassen sie sich nicht mehr blicken.« Er nahm einen Schluck, stellte den Becher ab und schlüpfte aus der Pelzjacke. »Obwohl… So ein bisschen Gesellschaft oder ein kleiner Kampf könnten dir nichts schaden. Du musst doch umkommen vor Langeweile.« Er beugte sich grinsend nach vorn. »Du bist bestimmt vor den Frauen abgehauen, stimmt’s? Aus lauter Angst, eine könnte dir gefallen. Und das passt natürlich nicht zu dem harten Fremdländler. Manche nennen dich übrigens ›Eisblick‹.«

»Mir ist nicht langweilig.« Waljakov setzte sich und ölte sorgsam die Gelenke seiner mechanischen Hand. »Ich habe viel Zeit zum Nachdenken. Und ich wollte Rantsila eine weitere Niederlage ersparen. Einen verlorenen Aufnahmezweikampf gegen einen Greis, nachdem ihn ein Knabe besiegt hatte, würde vermutlich seinen Ruf als Soldat ins Wanken bringen.« Prüfend betrachtete er die Stahlglieder aus der Nähe; die künstlichen Finger bewegten sich wellenförmig auf und ab. »Außerdem kreuzen wir beide beinahe täglich die Klingen, das reicht einem alten Mann wie mir vollauf.«

»Ha, du und alt. Matuc ist alt.« Der Junge mit den leuchtend blauen Augen lachte. »Und er bekehrt die Menschen aus Bardhasdronda zu Ulldrael dem Gerechten, als erhielte er von seinem Gott höchstselbst eine Auszeichnung dafür.«

Waljakov senkte die Hand und betrachtete sein Gegenüber. »Seinen Gott? Ist es nicht auch dein Gott, Knirps?«

»Fang du nicht auch noch an zu predigen«, murrte Lorin. »Ich verehre Kalisstra und Ulldrael, wie es ihnen gebührt.« Er schaute sich um. »Aber bei dir kann ich kein einziges Heiligtum entdecken. Glaubst du an nichts?«

Der Leibwächter hob langsam die Achseln, ohne näher auf die Frage einzugehen. »Was machen denn die Hochzeitsvorbereitungen?«, wechselte er den Gesprächsgegenstand.

»Jarevrån ist schon ganz aus dem Häuschen«, erzählte er mit glänzenden Augen. »Ihr Vater hat der Vermählung zugestimmt und war ganz freundlich, als ich bei ihm vorsprach.«

»Na, sollte er nur versuchen, etwas anderes zu wollen, als dem Helden von Bardhasdronda die Hand seiner Tochter zu geben«, feixte Waljakov.

»In zwei Monaten findet die Feier statt, das weißt du ja. Arnarvaten und Fatja möchten zuerst noch ihre Geschichtenreise zu Ende bringen, bevor auch sie die Bindung eingehen.«

»Und habt ihr euch geeinigt, welcher Gott nun für den Segen des jungen Paares verantwortlich sein wird?«

»Ach, jetzt sind wir doch wieder bei den Religionen gelandet«, seufzte Lorin ein wenig verzweifelt. »Jarevrån ist eher traditionell eingestellt und möchte den Segen der Bleichen Göttin. Und Matuc verlangt, dass Ulldrael der Gerechte um Gnade gebeten wird.«

»Die beiden Gottheiten haben sich bei den Süßknollen geeinigt, da werden sie über euch beide schon nicht in Streit geraten«, gab der Hüne seine Einschätzung ab und langte nach dem Vorderteil des Brustharnischs, um ihn mit einem Öltuch abzureiben.

»Die Götter schon, die Städte nicht«, ergänzte der Junge und goss sich Tee nach.

Waljakov schaute ihn gespannt an. »Was, Knirps?«

»Hat es sich nicht zu dir herumgesprochen?« meinte Lorin verwundert. »Einige Vekhlathi müssen nachts auf eines der Felder auf Stápas Land geschlichen sein und Süßknollen gestohlen haben. Kalfaffel hat die Rückgabe der Setzlinge und die Auslieferung der Diebe gefordert. Vekhlathi hat das natürlich abgelehnt und angekündigt, ebenfalls groß in das Geschäft mit den Süßknollen einzusteigen. Kalfaffel hat ihnen ein Ultimatum gesetzt.«

»Hervorragende Aussichten«, grummelte der Hüne und setzte die Pflege des Harnischs fort. »Das passt zu Kalisstri, sich um ein paar Knollen zu streiten.«

»Es hat wohl was damit zu tun, dass sich die beiden Städte seit langem nicht wohl gesonnen sind. Da hätte es auch ausgereicht, wenn ein Vekhlathi in Bardhasdronda auf den Boden gespuckt hätte.« Lorin rutschte mehr in Richtung Feuerstelle. »Deshalb soll ich dir von Rantsila ausrichten, dass die Türmler mit besonderer Aufmerksamkeit ihre Aufgabe verrichten sollen. Jede noch so kleine Begebenheit ist aufzuzeichnen.«

Waljakov stellte das Harnischteil zur Seite und legte seinem Schützling einen dicken Stapel Blätter vor die Nase. »Bitte sehr. Keine Vorkommnisse, Knirps.«

Lorin packte die Seiten vorsichtig in Wachspapier ein und verstaute sie in seinem Tornister. Nach einem letzten, hastigen Schluck schlüpfte er wieder in seine Winterkleider.

Der Hüne drückte ihm die Mütze auf den schwarzen Schopf. »Sag der alten Gebetsmühle Matuc, dass er sich nicht übernehmen soll, wenn er Ulldrael noch lange preisen und loben will«, lachte er und warf sich selbst einen dicken Mantel über. Dann öffnete er die Tür.

Ein eisiger Wind scheuchte zarte Schneeflöckchen vor sich her und wirbelte die weißen Kristalle durcheinander.

»Holla!«, entfuhr es Lorin. »Ich dachte, der Winter sei vorüber.«

»Kiurikka wird den Schneeschauer eigens für dich herbeigebetet haben«, schätzte Waljakov.

Zusammen stapften sie bis an den Fuß der Treppe, der Junge verabschiedete sich und begann mit dem Abstieg.

Waljakov sah ihm nach, solange es ihm die Flocken erlaubten. Er sieht seiner Mutter immer ähnlicher, je älter er wird.

Die Erinnerungen an die Zeiten auf Ulldart kehrten zurück, wie sie es in den letzten Wochen und Tagen in der Einsamkeit so oft getan hatten.

Der K’Tar Tur fragte sich ständig, wann wohl der Augenblick der Rückkehr in die Heimat gekommen sei, um alles, was dort im Argen lag, einem guten Ende zuzuführen, wie es Fatja, die kleine Hexe, in ihren Visionen vorausgesehen hatte.

Wie gern würde ich diesem silberhaarigen Dämon Nesreca und seiner Brut den Kopf vom Hals reißen. Klackend schloss sich seine mechanische Hand. Lodrik wäre der beste Kabcar in der Geschichte geworden, wenn diese Giftschleuder nicht erschienen wäre. Zu Tzulan mit Arrulskhán und seinen idiotischen Herrschaftsideen!

Waljakov wandte sich um und kämpfte sich zurück in Richtung des Turmes, den er wegen des dichten Schneetreibens fast nicht mehr richtig erkannte. Der vollkommene Zeitpunkt, um einen Angriff durchzuführen, durchzuckte es ihn. Selbst die Klänge der Rufhörner würden kaum weiter als ein Pfeilflug zu hören sein.

Und so war seine Reaktion, als er eine Gestalt schemenhaft am Turm sah, kaum verwunderlich. Wollen mal sehen, was du hier vorhast, Bursche.

Beinahe lautlos pirschte er sich von hinten an den Unbekannten heran, die gepanzerte Hand zum Schlag bereit, in der anderen den Dolch.

Doch der Besucher trat in eben diesem Augenblick bis an den vordersten Rand der Klippe und umrundete den Fuß des Bauwerks. Zwischen Mauer und Abgrund blieb die Länge einer Männerhand, auf dem sich die Gestalt bewegen konnte. Ein Windstoß genügte, um den Kletterer das Gleichgewicht verlieren und ausrutschen zu lassen.

Den hat wohl der Verstand verlassen, dachte Waljakov und setzte sich in Bewegung, um den Besucher auf der anderen Seite abzufangen. Der Wind und der Schnee ließen an Heftigkeit nach.

Als der Hüne den Turm umrundete, kam ihm niemand entgegen. Fußspuren waren auch keine zu sehen.

Er muss die Steilwand hinabgestürzt sein, folgerte Waljakov. »He, Jolpo!«, rief er dem zweiten Türmler auf der Aussichtsplattform zu. »Hast du jemanden gesehen?«

»Nein, niemanden.«

»Vielleicht Fußspuren?« Waljakov ließ nicht locker.

Jolpo verschwand, um einen kurzen Rundgang zu machen und zwischen den Zinnen nach allen Seiten Ausschau zu halten. »Nein, nichts. Warum?«

Waljakov winkte ab und kehrte in das Gebäude zurück, schnallte sich seine Waffe um und begab sich selbst nach oben, um die Umgebung mit dem Fernrohr abzusuchen. Auch am Fuß der Klippen konnte er nichts entdecken, obwohl er fest damit gerechnet hatte, dort einen zerschmetterten Leichnam auszumachen.

Das gibt es doch nicht. Sollte mein Verstand mir in meiner Einsamkeit solche Scherze bereiten? Kurz erklärte er dem Kalisstronen, was er gesehen hatte.

Jolpo nickte nur. »In einem Schneesturm ist das nichts Ungewöhnliches. Das Auge lässt sich leicht einen Streich spielen.« Beruhigend klopfte er dem Hünen auf die Schulter. »Das ist die Einsamkeit. Du solltest dich mal ablösen lassen, wie wir anderen auch.«

»Meine Augen lassen sich keine Streiche spielen«, knurrte Waljakov, und seine Hand umschloss den Säbelgriff. Doch die fehlenden Spuren konnte auch er nicht erklären. Da sich keine Segel am aufgeklarten Horizont zeigten, unterließ er es, Alarm auszulösen.

Mit einem schlechten Gefühl begab er sich in seine Unterkunft. Ein ungelöstes Rätsel passte ihm nicht. Immerhin scheint die Zeit der Langeweile vorüber zu sein.

Lorin erreichte den Fuß der Klippen, drückte sich in eine Felsnische und wartete ab, bis sich die Heftigkeit des Windes legte. Ein zerfetztes Segel konnte er nicht gebrauchen.

Endlich stieg er in seinen Gleiter und glitt im Schein der untergehenden Sonnen auf Bardhasdronda zu. Ein anderes Gefährt kam ihm entgegen, dessen Farbe er nur allzu gut kannte. Byrgten und seine Kumpanen fuhren wie immer Rennen gegeneinander, wobei der Fischersohn der ungeschlagene Lenker unter ihnen war.

Der Gleiter schoss heran, umkreiste Lorin einmal und zog wieder von dannen. Grinsend setzte der Junge die Segel. Es wird Zeit, dass du lernst, wer der Schnellste am Strand ist, Byrgten.

Bald schon rauschten die Gefährte gleichauf über die verschneite Fläche, die Stadt kam näher und näher. Byrgten würdigte seinen Gegner mit keinem Blick, die Fahrt nahm ihn dafür zu sehr in Anspruch.

Lorin setzte sein ganzes Geschick ein, um sich einen Vorsprung herauszuarbeiten. Und wirklich gelang es ihm, Brygten und sein Gefährt wenige Schritte vor der Kaimauer zu überholen. Er hatte den Zweikampf gewonnen.

Lorin verzurrte das Segel, sprang aus dem Gleiter und sicherte ihn mit einer Kette. Den Fischersohn ignorierte er, so gut es ging, bis er Schritte hörte, die sich langsam von hinten näherten. In aller Ruhe beendete er seine Tätigkeit, bevor er sich umdrehte.

Auch an Byrgten war die Reifung zum Mann nicht spurlos vorübergegangen; er ließ sich schon seit geraumer Zeit einen Bart stehen, der allerdings noch nicht so kräftig wuchs, dass es gut ausgesehen hätte.

Der Fischersohn steckte mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck die rechte Hand in seine Jacke.

Ein Messer? Lorins Augen wurden schmal. So töricht kann er nicht sein. Ein kurzer Augenblick der Konzentration, und seine Kräfte waren bereit. Seine Rechte wanderte auf den Rücken, wo er den eigenen Dolch aufbewahrte.

»Ich schulde dir noch was, Seskahin«, sagte Byrgten ein wenig grimmig und nahm die Hand aus der Tasche. Er hielt ihm einen kleinen Lederbeutel hin.

Unschlüssig betrachtete Lorin das Säckchen. »Was ist da drin? Giftige Meerschlangen?«

Der Fischersohn drückte die Seiten zusammen. »Nein, es ist nichts darin, was dir schaden könnte.« Er stellte seine Gabe auf die Bordwand des Gleiters, drehte sich um und schritt zu dem kleinen Tor, das ins Innere der Hafenanlage führte.

Lorin nutzte seine Fertigkeiten, um die Schlaufe zu öffnen und den Beutel umzustülpen. Münzen fielen klingend auf das Holz seines Gleiters. Zuerst verstand Lorin nicht, was Byrgten damit bezweckte. Doch als er die geprägten Metallscheiben zählte, kam er auf eine Summe, die ihm lange sehr gut im Gedächtnis geblieben war, bis die letzten aufregenden Ereignisse einen Mantel über seine Erinnerung geworfen hatten.

Das ist genau der Preis, den Akrar für das Beschlagen eines Pferdes verlangt! Vor etwa drei Jahren hatte ihm der Fischersohn zusammen mit seinen Freunden aufgelauert und ihm den Lohn abgeknöpft, den er dem Schmied hatte bringen wollen. Jetzt hatte er das Diebesgut freiwillig zurückgegeben.

Beinahe schämte Lorin sich dafür, von Byrgten einen Anschlag mit dem Messer erwartet zu haben. Und er hat mich Seskahin genannt, fiel es ihm ein. Soll das heißen, dass er mich als Kalisstronen angenommen hat? Gedankenverloren betrachtete er das Geld, dann lachte er auf und rannte los, um Akrar seinen verloren geglaubten Lohn zu bringen. Es wendet sich wirklich alles zum Guten. Kalisstra und Ulldrael sei Dank.

Der kräftige Schmied staunte nicht schlecht, als Lorin ihm die Münzen in die breite, schwielige Hand drückte. »Scheint, als wäre selbst dein ärgster Widersacher zur Vernunft gekommen, was?«

»Ja«, strahlte Lorin glücklich und stand schon wieder an der Tür. »Ich würde gern noch plaudern, aber ich werde erwartet.«

»Und das neue Messer, das du dir schmieden wolltest?«

Großzügig winkte Lorin ab. »Das hat Zeit. Ich habe da ein ganz anderes Eisen im Feuer.«

»Jarevrån?« feixte Akrar, während er mit dem Fußblasebalg die Esse anfachte und den Rohling eines Hufeisens in die glühenden Kohlen legte. »Ja, ja, man merkt, dass ihr beiden noch nicht verheiratet seid. Da macht das Lieben noch Spaß.« Wuchtig donnerte der Hammerkopf auf den rot leuchtenden Stahl. Funken stoben auf.

»Und das wird immer so bleiben«, lachte der junge Mann und verschwand. Wie immer lief er wie ein Wirbelwind durch die Gassen Bardhasdrondas, bis er das Stadttor erreichte, wo Jarevrån mit dem Hundeschlitten wartete.

Er gab ihr einen schnellen Kuss und deutete zur Erklärung auf die Dienstkammer Rantsilas. »Ich bin gleich bei dir.«

Nach kurzem Klopfen stürmte er in das Zimmer des Milizionärs und grüßte militärisch. Anschließend legte er ihm den Tornister mit den eingesammelten Berichten auf den Tisch.

»Ah, Seskahin«, meinte der Anführer der Bürgerwehr freudig. »Wie immer in Eile.« Er nickte in Rich tung der Tür. »Der Mann, dem du eben die Tür an den Kopf geschlagen hast, heißt Hedevare, und der, den du ignoriert hast, ist Hørmar.«

Lorin wandte sich sogleich zu den beiden Gästen um und entschuldigte sich mit rotem Kopf für seinen forschen Auftritt.

»Sie sind aus der Stadt Kandamokk, nördlich von Vekhlathi, und berichteten mir, dass unsere diebischen Nachbarn sich mit anderen zusammentun. Sie gewähren den Lijoki offenbar Unterschlupf, während diese ihre Pläne weiter verfolgen.« Die Besucher nickten, leicht verwundert darüber, dass der Milizionär so offen vor einem halben Jungen über derart brisante Neuigkeiten sprach.

Kalfaffel, der cerêlische Bürgermeister, stieß zu der kleinen Versammlung hinzu, und Lorin fühlte, wie ihn eine gewisse Aufregung ergriff … als gehörte er zu einem Kreis Auserwählter und Verschwörer. Er ließ sich von Hedevare und Hørmar ihre Beobachtungen schildern.

Kalfaffel stimmte Rantsilas Vermutungen zu. »Es scheint, als hätten wir uns zu früh gefreut, die Seeräuber los zu sein.« Er steckte sich eine Pfeife an und paffte hektisch, als wollte er die Kammer völlig einnebeln. »Unter diesen Umständen werden die Vekhlathi kaum bereit sein, unsere Frist anzuerkennen.«

»Ich ordne verstärkte Kampfübungen an«, meinte der Anführer der Bürgerwehr. »Damit alle jederzeit gewarnt und gewappnet sind. Sollten sich Spione der Nachbarstadt bei uns aufhalten, umso besser. Dann wissen sie, dass sie sich blutige Schädel holen werden.«

»Und natürlich sind wir für Verbündete mehr als dankbar«, wandte sich der Cerêler an die Männer aus Kandamokk. »Unsere Städte haben früher schon gut zusammengearbeitet.«

»Aus diesem Grund sind wir ja auch hier.« Hørmar legte ein gesiegeltes Schreiben seines Stadtobersten vor. »Wir haben die Erlaubnis, mit Euch ein Bündnis einszugehen, das im Fall eines Angriffs beiden Seiten das Recht auf Unterstützung zusichert.«

Kalfaffel las die Zeilen und reichte das Papier an Rantsila weiter, der es überflog und dann Lorin gab.

Vor Stolz über die Gleichberechtigung und das Vertrauen, musste der junge Mann mehrmals Anlauf nehmen, um den Sinn der Worte zu verstehen. »Es sieht gut aus«, beschied er mit bedeutsamer Miene und hielt Kalfaffel das Papier hin.

»Wenn unser Held das sagt«, lächelte der Cerêler und setzte seine Unterschrift sowie das Zeichen der Stadt Bardhasdronda darunter. Eine Abschrift behielt er für sich, die andere gab er Hørmar zurück. »Wir tauschen uns gegenseitig aus. Im Augenblick sollten wir nichts unternehmen, aber sobald die Vekhlathi und die Lijoki deutliche Vorbereitungen für einen Angriff treffen, schlagen wir zu.«

»Angriff ist die beste Verteidigung«, nickte Rantsila.

Die beiden Gäste wechselten einen raschen Blick. »Das sieht unser Bürgermeister genauso«, sagte Hedevare. »Zur Sicherheit werden wir Spione nach Vekhlathi senden.« Damit verabschiedeten sie sich und verließen das Zimmer.

»Ich höre schon Kiurikka«, meinte Kalfaffel ein wenig müde und ließ sich auf einen Stuhl in der Nähe des kleinen, bauchigen Ofens in der Mitte des Raumes sinken. »Sie wird den Süßknollen die Schuld geben, und somit ist einmal mehr Ulldrael der Gerechte der Übeltäter, vor dem sie unsere Stadt seit Jahren vergeblich warnt.«

»Ich weiß nicht, ob sie wirklich glücklich wäre, sollte es tatsächlich so kommen«, erwiderte Lorin.

In der Zwischenzeit hatte der Milizionär angefangen, die Protokollbücher durchzusehen. Schon stieß er einen Pfiff aus. »Da haben wir doch etwas. Feuerturm elf hat ein fremdes Segel gesichtet.«

»Elf?« Der Cerêler überlegte. »Das ist der nördlichste von allen. Es werden Palestaner gewesen sein«, meinte er, doch Rantsila schüttelte den Kopf.

»Es war ein Dreimaster mit geriffelten Segeln.«

»Was, bei allen Wundern der Bleichen Göttin, soll denn ein geriffeltes Segel sein?«, wollte der Bürgermeister wissen und zog schneller an der Pfeife. »Stehen da weitere Vermerke?«

»Nein. Nur: Dreimaster, morgens, drei Strich nach Aufgang der ersten Sonne, geriffeltes Segel, schnelle Fahrt nach Norden.«

»Könnte es sein, dass sich die Vekhlathi nicht nur die Lijoki als Verbündete genommen haben?«, warf der Jungmilizionär ein. »Sind das am Ende Rogogarder?«

»Sie haben für gewöhnlich andere, plumpere Schiffe. Und die Türmler kennen die rogogardischen Segler sehr gut, glaube mir.« Rantsila blätterte weiter. »Es hat keinen Zweck, ich muss mit größter Sorgfalt an die Sache heran. Jede Einzelheit ist wichtig, wenn wir herausfinden möchten, welche Gemeinheiten unsere Nachbarn planen.«

»Dann gehe ich wohl besser«, verabschiedete sich Lorin.

»Kein Wort über das, was du hier gehört hast, Seskahin«, mahnte ihn Kalfaffel. »Auch nicht zu Jarevrån, hast du verstanden? Die Aufregung wird noch groß genug werden.«

»Und morgen möchte ich dich hier sehen«, fügte Rantsila hinzu, ohne die Nase aus den Aufzeichnungen der Türmler zu heben. »Sobald die Sonnen aufgehen. Du wirst kleinen Gruppen Kampfunterricht geben.«

Wie angewurzelt blieb Lorin stehen. »Ich?«

Rantsila feuchtete einen Finger an und blätterte um. »Du hast mich im Zweikampf geschlagen. Wer also wäre besser geeignet, die Männer einzuweisen und tüchtig auf Vordermann zu bringen? Niemand kann es mit deiner Kondition aufnehmen, Stellvertreter.«

Nun war die Überraschung vollkommen. »Stellvertreter?«

»Wieso wiederholst du alles, was dir Rantsila sagt?«, lächelte der Cerêler. »Glaubst du ihm nicht?«

»Oh, danke!« Lorin grüßte, riss die Tür auf und rannte hinaus. Gleich darauf öffnete sich die Tür wieder, und sein glückliches Gesicht erschien. »Darf ich das denn jemandem erzählen?«

Rantsila und Kalfaffel nickten gleichzeitig.

Schon war der junge Mann mit den blauen Augen wieder weg, man hörte ausgelassenes Hundegebell und das Lachen von Jarevrån.

»Dafür, dass er über enorme Fähigkeiten verfügt und ein echter Held ist, bleibt er erfreulich gewöhnlich«, meinte der Cerêler.

»Er ist eben noch ein halbes Kind. Und ich würde sagen, er ist von Grund auf gut.«

Der Bürgermeister schwieg und paffte lautstark. Hoffen wir es einmal.

Bis heute war es ihm nicht aus dem Kopf gegangen, was sich zugetragen hatte, als er Lorin zum ersten Mal begegnet war. Die Art, wie die grüne Magie seiner Gattin Tjalpali an dem Säugling zerstoben war und wie es sie ein halbes Jahr danach beinahe das Leben gekostet hätte, als sie versucht hatte, das kranke Kind mit Hilfe der Gabe Kalisstras zu heilen, räumten seine Zweifel an Lorins ausschließlicher Güte nie ganz aus. Etwas musste an dem Jungen sein, was ganz und gar anders war und seinem eigentlichen Wesen zuwiderlief.

Doch das Feld der Magie, um die es sich dabei zweifelsohne handelte, war zu unbestellt, zu unbekannt. So blieb Kalfaffel weiter nichts übrig, als ein wachsames Auge auf den Jungen zu haben, um die kleinste Veränderung in seinem Verhalten sofort zu bemerken. Eine Begabung, die eine Kraft zerstört, die Menschen heilt und niemandem schadet, kann nichts Gutartiges sein. Und Gnade uns Kalisstra, wenn sie sich gegen uns wenden sollte.

»Vier Augen sehen mehr als zwei«, sagte er und griff nach einem der Bücher. »Wir wollen heute ja noch fertig werden.«

Kontinent Ulldart,Königreich Barkis (ehemals Tûris),Ammtára (ehemals die Verbotene Stadt),Frühjahr 459 n. S.

Pashtak blinzelte nach oben und schaute hinauf zum Ende der riesigen Säule, die wie ein einzelner mahnender Finger in den blauen Himmel zeigte. Ansonsten befand sich an dieser Stelle nichts mehr, außer den abgelaufenen Bodenplatten und den kargen Resten von Grundmauern, die an abgebrochene Zahnstummel gemahnten.

Ich wusste, dass es nicht einfach wird, seufzte er und ließ den alten Plan sinken, den er sich aus den Beständen der Bücherei mitgenommen hatte. Genau an dieser Stelle sollte sich der allererste Palast Sinureds befunden haben. Und genau hier sollte, jedenfalls nach den Aufzeichnungen des unbekannten Schreibers, eine der beiden mächtigsten Klingen des Kontinents in einem Steinsarkophag verborgen worden sein.

Doch der Palast existierte nicht mehr; die Erbauer der Verbotenen Stadt mussten ihn im Zeitraum von mehr als vierhundert Jahren Stück für Stück abgetragen haben.

Aber einen Sarkophag bewahrt man im Allgemeinen ja in Katakomben auf, dachte Pashtak.

Schnell sah er sich um, ob er in diesem abgelegenen Teil der Stadt allein war. Dann machte er sich daran, zwischen den Resten des prächtigen Gebäudes nach einem Zugang zum Keller zu forschen. Er schnüffelte an jeder Ritze im Boden, ob sein Geruchsinn ihm vielleicht die abgestandene Luft einer Krypta oder Ähnliches zeigen würde. Aber es roch einfach nur nach gewöhnlicher Erde, gelegentlich ­ und sehr zu seiner Unfreude ­ auch nach dem Urin eines einfacheren Verwandten, der auf diese archaische Weise sein Gebietsrecht geltend machte.

Nach mehr als zwei Stunden, die er vor lauter Jagdfieber so nicht empfand, wurde seine Mühe belohnt. Nahe den letzten Ausläufern des einstigen Sumpfgebietes roch es etwas anders als nach üblicher Erde. Eilig suchte er sich ein Werkzeug in Form eines alten, abgebrochenen Schwertes, und kratzte die Fugen frei. Der Geruch verstärkte sich.

Wer sagt es denn?! Pashtak setzte die Waffe als Hebel zwischen die in Frage kommenden Platten und stemmte sich mit aller Gewalt gegen den Knauf. Die alte Klinge bog sich gefährlich und barst, als Pashtak seine letzten Kraftreserven einsetzte.

Fluchend geriet er neben der abgebrochenen Waffe ins Straucheln, das Heft in der Hand haltend. Seine Robe riss seitlich ein. Verdammt!

Ein Knirschen ertönte.

Der letzte Rest Erde zwischen den Fugen rutschte plötzlich ab, die Platten bogen sich unter dem Inquisitor plötzlich durch und verkeilten sich ineinander, ehe sie in die unbekannte Tiefe rutschten.

Pashtak wagte nicht zu atmen. Aber der stinkende Dunst, der von unten heraufströmte, kitzelte in seiner Nase. Alles Naserümpfen nutzte nichts; in einem gewaltigen Niesen entlud sich der Reiz. Fast augenblicklich tat sich die Erde auf, und er rauschte knurrend in die Schwärze.

Hart schlug er auf dem Boden auf; die nachfolgenden Platten knallten rechts und links neben ihm herab und verfehlten ihn um Haaresbreite. Keuchend rollte sich Pashtak herum und stemmte sich in die Höhe. Seine gelben Augen mit den roten Pupillen gewöhnten sich rasch an das trübe Zwielicht. Staub wirbelte umher und flirrte im Schein des einfallenden Tageslichts.

Soll das vielleicht so etwas wie eine alte Kanalisation sein?

Der halbrunde Gang war jeweils nach mehreren Schritten eingestürzt, Schuttmassen machten ein Weiterkommen unmöglich.

Der Geruch nach Moder stammte von dem kleinen, beinahe ausgetrockneten Rinnsaal stinkender Flüssigkeit, das Pashtaks überreizte Sinne als Exkremente identifizierten. Shui wird mich umbringen, wenn sie meine Robe sieht und riecht. Angeekelt lehnte sich Pashtak gegen die Backsteinwand.

Das Geräusch nachgebender Steine kannte er mittlerweile recht gut, und es verwunderte ihn an diesem Unglückstag nicht weiter, es schon wieder zu hören. Polternd fiel er zusammen mit dem Teil der Trennwand rücklings in einen weiteren Raum.

Tzulan scheint mich aus irgendeinem Grund nicht mehr zu mögen, dachte er, während er die quadratischen Steine betont langsam von sich schob und den Staub grob von seinem untersetzten Körper wischte.

Ächzend stand er auf und blickte sich um.

Dieses Mal leitete ihn die Vorsehung scheinbar richtig. Sein Durchbruch hatte ihn in ein Gewölbe geführt, das riesig zu sein schien und wahrscheinlich einen Vorratsraum des ersten Palastes darstellte.

Witternd machte er sich daran, den Raum zu durchsuchen, aus dem eine Treppe nach oben geführt hatte, die jedoch eingestürzt war. Die einst eingelagerten Kostbarkeiten und Proviantrationen bestanden nur aus Staub, und nichts, was Pashtak in irgendeiner Weise hätte hilfreich sein können, ließ sich entdecken.

Etwas enttäuscht, weil er sich schon mit dem besonderen Schwert in Händen gesehen hatte, verließ er den Raum, zwängte sich durch das Loch in der Backsteinwand und hob den Kopf.

Das sind mindestens fünf Schritt, schätzte er die Entfernung zur Oberfläche. Er würde einiges an Steinen benötigen, um sich eine so hohe Rampe zu bauen, dass er den letzten Rest mit einem beherzten Sprung überwinden könnte..

Der Inquisitor bückte sich, um mit seiner Arbeit zu beginnen, als das Sonnenlicht kurz durch einen huschenden Schatten verdunkelt wurde.

Rasch fuhr er herum und spähte zur Öffnung, wobei ihm die Helligkeit schwer zu schaffen machte. »He, hier unten ist jemand! Könntest du mich herausholen?«

»Einen Augenblick«, beruhigte ihn eine Männerstimme von oben. »Wir sind schon dabei, für Abhilfe zu sorgen.« Vielstimmiges Lachen ertönte.

Aus einem Instinkt heraus sprang Pashtak durch das Loch in der Backsteinwand.

Rumpelnd brach die Decke des kurzen Stückes vom Abwasserkanal ein, die letzte Säule folgte hinterher.

Die Gesteinsmassen und Segmente des Pfeilers verschlossen den Durchgang, eine graue Wolke aus Staub und Dreck stob auf und bedeckte Pashtak, der die Klauen schützend über den flachen, knochigen Schädel gelegt hatte und nun wartete, bis das Rumoren endete.

Schon wieder Tzulani. Hustend stemmte er sich in die Höhe. Jetzt nehme ich die Sache wirklich mehr als persönlich, ihr Nackthäute. Andererseits zeigte ihm der Anschlag, wie nah er an der Wahrheit war. Und dass Ammtára auf keinen Fall in die Fänge dieser Verrückten fallen durfte. Aber zuerst musste er einen Ausgang finden, und zwar einen Ausgang, vor dem keine Tzulani lauerten. Er durfte wohl kaum damit rechnen, dass sie sich damit begnügten, Schutt auf ihn zu werfen und dann anzunehmen, er sei tot. Er würde sehr, sehr vorsichtig sein. Wo steckt nur Lakastre, wenn man sie wirklich braucht?

In einem Anfall von Galgenhumor lehnte er sich probehalber an einer anderen Stelle des Gewölbes gegen die Wand. Doch die Mauer hielt. Das wäre auch zu schön gewesen.

Bei seinem ersten Schritt vorwärts brach der Boden unter ihm ein.

Und zum dritten Mal an diesem Tag musste Pashtak es zulassen, dass das Schicksal seinen Weg in die Richtung lenkte, die es für richtig hielt.

Benommen richtete er sich auf und tastete sich sorgfältig ab. Außer einer kleinen Wunde über dem rechten Auge und dem schmerzenden rechten Handgelenk schien er den Sturz einigermaßen heil überstanden zu haben.

Knurrend stand er auf. Ich werde nie mehr allein irgendwo hingehen und mich nie mehr irgendwo anlehnen, schwor er sich.

Schwach erkannte er das eingebrochene Stück Decke über sich. Um ihn herum aber befanden sich zehn große, quadratische Steinbehälter.

Sarkophage! Pashtak stieß einen girrenden Laut aus, die Aufregung war zu groß. Da haben sich die vielen Stürze also doch gelohnt.

Aber bevor er nach der Klinge forschen wollte, suchte er nach einem Ausgang aus der Krypta. Zwar war die Treppe ins Stockwerk darüber auch hier eingestürzt, aber mit Hilfe eines Sarkophagdeckels würde er sich eine Rampe bauen können. Dieses Mal prüfte er vor jedem Schritt, den er tat, den Untergrund.

Voller Erwartungen gelangte er zum ersten der imposanten Steinsärge. Die Feinheiten der Reliefs konnte er nicht richtig erkennen, aber seine Finger fühlten, dass sich der Bildhauer sehr viel Mühe mit der Gestaltung gegeben haben musste. Er würde zu einer späteren Gelegenheit mit einer Fackel und den anderen zurückkehren, um sich die Pracht in aller Ruhe anzusehen.

Stück für Stück schob er den schweren Deckel zur Seite. Im Sarg lag ein mumifizierter Toter in einer Rüstung, die skelettierten Finger um den Griff eines Schwertes geschlossen. Eine Nackthaut, schätzte Pashtak anhand der Knochen, die gewiss nicht mehr schmecken würden.

Er schnupperte ins Innere der Ruhestätte, um verdächtige Gerüche zu entdecken. Aber nach so langer Zeit roch es nur nach Staub und altem Metall, das leicht korrodiert war. Ob es das ist? Würde eine besondere Klinge rosten? Er nahm das Schwert an sich und benutzte es als Hebel zur Öffnung der weiteren Sarkophage.

In allen ruhten Krieger in schweren, unbekannten Rüstungen. Doch ihre Waffen wiesen, jedenfalls nach der Einschätzung des Inquisitors, keinerlei Eigentümlichkeiten auf. Er ahnte, dass seine Suche noch lange nicht abgeschlossen war. Und vorher würde er seinen Fund niemandem zeigen.

Unzufrieden grollend, wuchtete er einen Sarkophagdeckel herum und lehnte ihn so an die Wand, dass er darauf zum Ausgang der Krypta klettern konnte. Das Schwert nahm er mit. Rostig oder nicht, es taugte, sich gegen die Tzulani zur Wehr zu setzen. Bald darauf stand er vor der schiefen Steintür, die er unter Aufbietung all seiner Kräfte aufdrückte.

In völliger Dunkelheit tappte er den steilen Gang nach oben, bis er an eine verschüttete Stelle gelangte. Hier endete sein Weg.

Pashtak zwang sich zur Ruhe, denn die aufkeimende Angst, in diesem Gang langsam, aber sicher zu verhungern und zu verdursten, drohte seinen Verstand zu lähmen.

Aufgeregt schnupperte er, achtete auf jede Feinheit in der abgestandenen Luft. Wenn ihn nicht alles täuschte, nahm er einen schwachen Hauch von Gras wahr.

Er tastete die Wände ab und stieß auf ein kleines Loch, durch das kaum merklich Luft von außen eindrang. Vermutlich hatte sich eine Maus oder ein anderes Tier bis hierher gegraben.

Mit dem Schwert aus dem Gewölbe verbreiterte er die winzige Röhre. »Wenn ich gewusst hätte, was mir alles bevorsteht, hätte ich das Amt niemals angenommen«, fluchte er und bohrte die Klinge ins Erdreich.

»Schau mal, Vater sieht aus wie ein Dreckschwein!«, johlte Pashtaks Zweitjüngster begeistert und schaffte es damit, die Aufmerksamkeit des restlichen Nachwuchses auf ihn zu lenken. Lachend umringten sie ihn und deuteten auf die zerschlissene Robe, die als solche nicht mehr erkennbar war.

»Er sieht nicht nur so aus«, tönte Shuis eiskalte Stimme aus der Küche, »er riecht auch so.«

Verdammt, ärgerte sich Pashtak, der sich in aller Heimlichkeit hatte umziehen wollen. Doch er hatte nicht mit der Wachsamkeit seiner Sprösslinge gerechnet. »Ich habe Nachforschungen angestellt«, versuchte er sich zu rechtfertigen und ließ einen Brummton erklingen, der beruhigend wirken sollte.

»Ach, du bist Kanalinquisitor geworden?«, meinte seine Gefährtin spitz und erschien in der Tür. Als sie Pashtak sah, musste sie zu allem Überfluss lachen. Seine Kleider waren voller Erde, auf dem Kopf thronten kleine Grashalme, und die Robe erinnerte mehr an zusammengenähte Fetzen als alles andere.

Shuis Blick wurde besorgt, als sie die Wunde entdeckte. »Was ist passiert?« Sie stellte das jüngste Familienmitglied auf den Boden und widmete sich seiner Verletzung. »Wir werden dich in ein Kräuterbad stecken.«

»Es ist nichts«, schwächte der Inquisitor ab, dem die ungeteilte Aufmerksamkeit unangenehm war.

»Du siehst aus, als hätten die Gefräßigen dich als Spielgerät benutzt und dich danach durch einen frisch gedüngten Acker geschleift.« Shui blieb eisern und schob ihn hinter das Haus, wo der große Holzzuber stand.

Während sich Pashtak, umringt von seinen kichernden Töchtern und Söhnen, verlegen girrend auszog, bereitete seine Gefährtin das Bad vor und goss heißes Wasser in den Zuber. Dann gab sie kaltes dazu und traf dabei den Inquisitor, sodass ihm die Luft wegblieb.

Doch sogleich lotsten ihn Shuis Hände in die Wanne und begannen eine entspannende Massage. Augenblicklich fing Pashtak an zu schnurren und gab sich mit geschlossenen Augen den wohltuenden Gefühlen hin. Die Kräuter taten ihr Übriges.

»Ich bin den Rätseln weiter auf die Spur gekommen«, sagte er leicht guttural.

»Den Rätseln?«, wiederholte Shui alarmiert. »Reichen dir die Morde nicht aus, die du zu klären hast?«

»Oh, die sind so gut wie abgehakt«, meinte er leicht schläfrig. »Aber ich gehe Dingen nach, die wesentlich größer sind als nur ein paar tote Nackthäute.«

»Sprich vor den Kindern nicht so herablassend über die Menschen«, ermahnte Shui ihn, und ihre Fingernägel bohrten sich warnend in seinen Nacken.

»So habe ich das nicht gemeint. Ich wollte damit nur sagen, dass ich …« Er öffnete die Lider und blickte auf die Schar seiner Kinder, die sich mit aufmerksamen Gesichtern um den Zuber verteilt hatten und eine spannende Geschichte erwarteten. Ich erzähle hier geheime Dinge, und morgen weiß es ganz Ammtára, wenn ich nicht aufpasse. »Los, geht spielen, ihr kleinen Plappermäuler!«, verscheuchte er sie gespielt ernst und spritzte mit Wasser.

Genau das war das Signal, auf das die Mehrzahl seiner Kleinen sehnsüchtig gehofft hatte. Bevor Pashtak sie ein weiteres Mal attackieren konnte, enterten drei seiner Sprösslinge quietschend vor Freude den Bottich, andere füllten die Eimer und gingen in den Angriff auf ihren Vater über.

Shui nahm die Robe mit dem kleinen Finger auf und betrachtete sie angewidert von allen Seiten. Sie beschloss kurzerhand, sie den Flammen des Herdfeuers zu übergeben.

Hinter ihr versank ihr Gefährte blubbernd in den Fluten. Die Kinder wurden nicht müde, ihren Vater mit kaltem Wasser zu übergießen, bis er schließlich die Flucht ergriff und den Zuber seinem Nachwuchs überließ.

Nachdem er sich in aller Eile frische Kleider angezogen hatte, vollendete er mit großer Sorgfalt seine Arbeit an der gefälschten Botschaft, die an den Vorsitzenden der Versammlung der Wahren gerichtet war. Auch die geheime Botschaft änderte er ab, packte den Brief in die Lederhülle und machte sich auf den Weg zu Leconuc.

»Ich bin zum Abendessen wieder zurück!« rief er und eilte hinaus.

Wie immer genoss er seinen Weg durch die Stadt, die von pulsierendem Leben erfüllt war.

Die Menschen aus der Umgebung wagten sich nun immer häufiger nach Ammtára, und schon allein wegen der sich verbessernden Beziehungen zu den Nackthäuten und dem aufkeimenden Vertrauen in ein nachbarschaftliches Nebeneinander beider Bevölkerungsgruppen würde er es nicht zulassen, dass von allen Geistern verlassene Tzulani die Dinge ins Gegenteil verkehrten. Die von ihm selbst abgeänderte Botschaft an Leconuc würde ihm einen Aufschluss darüber geben, wie groß die Loyalität der Verblendeten angesichts der Neuigkeiten war, die er ihnen zuspielte ­ und die Ergebenheit gegenüber dem Gebrannten Gott, für den die Tzulani diese rücksichtslosen Morde begingen.

Ein grelles Blinken stach ihm in die lichtempfindlichen Pupillen. Knurrend hielt er die Hand vor die Augen. Die polierte Granitkugel, die oben auf der achteckigen Säulenkonstruktion zu Ehren des Gebrannten Gottes errichtet worden war, reflektierte den Schein der Sonnen gleißender, als es Spiegel imstande waren. Höchstens Diamanten oder geschliffene Kristalle konnten damit konkurrieren.

Wir werden alle erblinden, wenn der Sommer kommt, schätzte der Inquisitor und schritt weiter voran, das Versammlungsgebäude fest im Blick. Er trat ein und durchschritt rasch die untersten Räumlichkeiten, um zügig zum Vorsitzenden zu gelangen.

Leconuc schaute neugierig auf, als der unerwartete Gast in sein Arbeitszimmer stürmte.

Pashtak achtete auf die kleinste Regung im Gesicht des Tzulani, der sich jedoch über die Anwesenheit des Inquisitors zu freuen schien. »Sag nichts … Du willst mir die Ergebnisse deiner lang währenden Ermittlungen mitteilen?« Der Mann lehnte sich zurück und deutete auf den Sessel. »Es wird nämlich allmählich Zeit. Spätestens seit den Ereignissen in der Bibliothek dürfte es klar sein, in welche Gefahr dich deine Tätigkeit als Inquisitor gebracht hat.« Er nahm ein zweites Glas aus dem Schreibtisch und füllte es mit Wasser, das er seinem Besucher reichte. »Und wenn sie ­ wer auch immer ›sie‹ sein mögen ­ dich eines Tages erwischen, weiß sonst niemand, was eigentlich in Ammtára vorgeht.« Leconuc legte den Kopf ein wenig schief. »Ein neuer Inquisitor, neue Ermittlungen, neue Tote und vermutlich bald wieder ein toter Inquisitor.«

Pashtak witterte, so unauffällig es ihm möglich war, in Richtung des Vorsitzenden. Aber Aufregung und Nervosität suchte er vergebens, Leconuc machte einen entspannten Eindruck. Es schien ihn auch nicht zu überraschen, dass er, Pashtak, nach dem Anschlag einiger unbekannter Tzulani im Kanal noch lebte.

»Sagen wir, es dauert nicht mehr lange«, zog er sich diplomatisch aus der Schlinge. Um den Vorsitzenden abzulenken streckte er ihm die Hand mit der Lederrolle hin. »Das ist mir bei meinen Ermittlungen in die Hände gefallen. Ich entdeckte einen toten Botenreiter am Wegesrand, den wohl einige meiner Artgenossen tranchiert haben.« Als er den entsetzten Blick des Mannes sah, musste er grinsen, und die spitzen Zahnreihen in seinem kräftigen Kiefer wurden sichtbar. »Nein, nein, Leconuc. Meinen Untersuchungen nach sind Ross und Reiter gestürzt. Genickbruch. Meine Verwandten haben die Gelegenheit genutzt, mehr nicht.«

»Solange sie sich mit Aas begnügen«, meinte der Tzulani etwas erleichtert und stutzte, als er das erbrochene Siegel am Behälter bemerkte.

»Der Sturz«, erklärte der Inquisitor und musste sich zusammennehmen, dass er keine verräterischen Laute ausstieß, die ihn seiner Lüge überführten. »Er muss sich aus vollem Galopp überschlagen haben.«

Leconuc nahm den Brief heraus, las die Zeilen und legte das Papier auf einen Stapel weiterer Blätter. »Nichts Wichtiges«, sagte er, nachdem er den Blick des Inquisitors bemerkte. »Nur der Ausdruck der Freude eines Glaubensfreundes aus Ulsar. Die Kathedrale muss immense Fortschritte machen.«

»Aber nichts im Vergleich zu dem, was wir geleistet haben.« Pashtak erhob sich und gab sich geschäftig. »Entschuldige mich, Leconuc, aber die Pflicht ruft. Wenn alles so verläuft, erstatte ich der Versammlung schon bald Bericht.«

»Oder du bist bald tot«, meinte der Vorsitzende besorgt. »Teile dich uns mit, schon für deinen eigenen Schutz, Pashtak. Tot nutzt du den Bewohnern von Ammtára gar nichts.« Er erhob sich ebenfalls und trat zu einer zweiten Tür. »Bis bald.«

Der Inquisitor tat so, als würde er den Saal ebenfalls verlassen, verzögerte aber das Hinausgehen so lange, bis Leconuc verschwunden war.

Flugs hastete er zu einem der großen Schränke und drückte seine gedrungene Gestalt hinein. Durch einen schmalen Spalt lugte er hinaus und wartete ab, was sich ereignen würde. Unschöne Erinnerungen an den Keller in Braunfeld stiegen auf.

Eine Weile darauf kehrte der Tzulani zurück und entzündete am helllichten Tag eine Kerze.

Ha!, dachte Pashtak triumphierend und fühlte seinen vagen Verdacht bestätigt. Dennoch hätte er den seiner Ansicht nach eher gemäßigten Anhänger des Gebrannten Gottes lieber auf seiner Seite gewusst.

Der Vorsitzende nahm den Stapel mit Briefen, Aufzeichnungen und Unterlagen zur Hand und ordnete ihn säuberlich. Gelegentlich behielt er ein Papier länger in der Hand, blieb an dem Geschriebenen hängen, murmelte etwas oder grinste manchmal. Schließlich suchte er sich die Nachricht heraus, die ihm Pashtak überbracht hatte.

Doch anstelle das Blatt über die Kerze zu halten, legte er es vor sich und kramte in einer Schublade herum. Er pellte einen winzigen quadratischen Gegenstand aus einem Wachstuch, nahm ein hauchdünnes Messer und legte den Gegenstand mit einer feierlichen Geste auf die Klinge, die er über die Flamme hielt. Nach wenigen Lidschlägen stieg ein Rauchfaden von der Substanz auf, harziger Geruch verbreitete sich.

Leconuc beugte sich schnell nach vorne und inhalierte die Dämpfe ausgiebig, bis der letzte Rest der köchelnden Masse zu einem unansehnlichen schwarzen Fleck austrocknete.

Der Vorsitzende lächelte verklärt, lehnte sich mit einem zufriedenen Seufzen zurück und genoss die einsetzende Wirkung des berauschenden Mittels.

Das darf ja wohl nicht wahr sein! Pashtak fühlte Fassungslosigkeit in sich aufsteigen. Er verleiht seinem Verstand schon am Nachmittag Schwingen. Diese Nackthäute.

Die Tür schwang auf, und ein unscheinbarer Sekretär, beladen mit einer Schreibunterlage, Büchern und Folianten, trat ein, um seine Last auf Leconucs Tisch abzuladen.

Der Vorsitzende deutete müde auf die ausgebreiteten Papiere. »Einsortieren, wie immer«, befahl er. »Und danach geh nach Hause.«

Der Mann verbeugte sich und kam der Aufforderung nach. So schnell, wie er gekommen war, verschwand er wieder. Pashtak meinte aus seinem Versteck heraus gesehen zu haben, wie beim Anblick der Nachricht aus Ulsar ein erleichtertes Lächeln über das Gesicht des Sekretärs gegangen war.

Daraus ergab sich eine abgeänderte Variante seiner Verschwörungstheorie. Um sie zu bestätigen, musste er sich allerdings an die Verfolgung des Sekretärs machen.

Dem Vorsitzenden fielen die Augen zu, ein seliges Lächeln stand in seinem Antlitz, leise summte er ein Lied und raunte Frauennamen.

Pashtak atmete tief ein. So leise wie es ihm möglich war, öffnete er den Schrank, kroch über den Boden, um sich im Schutz des Tisches in Richtung des Ausgangs vorzuarbeiten, durch den der andere Tzulani verschwunden war. Beinahe hatte er sein Ziel erreicht.

»Pashtak? Wohin willst du?«

»Oh! Wer? Ich?!« Wie angewurzelt blieb der Inquisitor stehen. »Ich bin gar nicht hier. Ich bin nur eine Einbildung, Leconuc«, sagte er in beschwörendem Tonfall und schob die Klinke nach unten. »Die Ausgeburt deines Rausches.« Schnell glitt er hinaus und drückte die Tür ins Schloss, ehe Leconuc nachhakte.

»Ach so«, murmelte der Vorsitzende träge. Das ist mir schon öfter passiert. Ich sollte damit aufhören …

Der Inquisitor aber folgte der Geruchsspur des Mannes, sein Jagdinstinkt trieb ihn vorwärts. Er gelangte in das nächsthöhere Stockwerk, wo er das Gewand des Sekretärs in einem Durchgang verschwinden sah, der ins Archiv der Versammlung führte. Leise schlich er sich an. Hinter einem Regal hervor beobachtete er den Mann, der gewissenhaft den Schriftverkehr zu den Akten legte.

Nur die neueste Nachricht behielt er in der Hand. Er setzte sich an einen Tisch und fertigte eine Abschrift an, die er nach einer halben Stunde Arbeit ebenfalls in einen dicken Ordner legte, bevor er sich anschickte zu gehen.

Nun begann eine Verfolgungsjagd quer durch Ammtára, bei der Pashtak schnell begriff, dass der Tzulani keineswegs nach Hause ging. Der Inquisitor nutzte jede Gebäudeecke und jedes bisschen Schatten, um sich vor einer zufälligen Entdeckung zu schützen. Schließlich betrat der Sekretär ein kleines Häuschen.

Das wird dir auch nichts bringen. Pashtak erklomm die Außenwand, die erfreulicherweise aus groben Steinen bestand und seinen kräftigen Krallenhänden genügend Halt boten.

Vorsichtig robbte er auf dem Reetdach entlang zu dem Schornstein und presste sein Ohr an die Öffnung.Mehrere Stimmen drangen zu ihm hinauf, eine davon gehörte Leconucs Sekretär.

»Es wurde allmählich Zeit, dass sie sich melden«, ertönte eine ungehaltene Stimme. »Ich dachte schon, sie vergessen uns, nachdem die Kathedrale neu errichtet wird.«

»Dabei würde sich das Zentrum von Tzulans Gläubigen in Ammtára viel besser machen als in Ulsar, das außer der Kathedrale wenig mit dem Gebrannten Gott zu tun hat«, fügte eine Frau säuerlich hinzu. »Wir sollten endlich die Macht übernehmen und diese lächerliche Versammlung absetzen. Unsere gemäßigten Mitgläubigen rauben mir mit ihrer Anbiederung an die Ungeheuer und ihrer Kompromissbereitschaft noch den letzten Nerv.«

»Am besten gleich opfern«, verbesserte ein Dritter lachend, und die anderen stimmten mit ein.

»Ich hab’s«, verkündete der Sekretär. »Aber es wird euch nicht gefallen.«

»Lies vor«, drängte eine männliche Stimme.

»’Tzulan, der sich immer mehr am Himmel zeigt, hat uns ein Zeichen gesandt. Der Gebrannte Gott deutete uns, dass beim Gleichstand der Monde alle Niederen in unserem engeren Kreis vom Höchsten in einer nächtlichen Tempelzeremonie Tzulan selbst geopfert werden sollen. Ihr erweist dem Gebrannten damit die höchste Ehre, indem ihr euer Leben für ihn gebt. Handelt, denn davon hängt der Erfolg unserer Sache ab. Wir sind bereit.«

Es herrschte betretenes Schweigen.

Ja, da staunt ihr, was?, freute sich Pashtak auf dem Dach und lachte lautlos. Menschen umzubringen mag einfach sein, aber das eigene Leben für Tzulan zu geben, da wird es eng, ihr feigen Mörder.

»Tja«, meinte einer der Männer nachdenklich. »Ich weiß nicht … aber der Wortlaut der Nachricht klingt nicht so, wie ich ihn von anderen Botschaften her kenne.«

»Du hast Angst, dein Leben für Tzulan zu geben«, fuhr ihn die Frau hart an. »Ich jedenfalls werde ihm freudig meine Energie geben, damit er seinen Fuß in wahrhaftiger Gestalt auf Ulldart setzt und von hier aus seine Regentschaft beginnt.« Sie erntete gemurmelte Zustimmung.

Der Inquisitor bleckte die Zähne. So ist es richtig.

»Um ehrlich zu sein, nichts täte ich lieber, als mich für den Gebrannten Gott in den Tod zu stürzen«, sagte der Sekretär, »aber ich teile die Bedenken von Wulfrimm. Und wir sollten nicht vergessen, dass dieser Inquisitor viele Tage beim Schmökern alter Bücher verbracht hat. Er selbst übergab die Botschaft an Leconuc.«

»Es dauert wahrscheinlich zu lange, eine Bestätigung aus Ulsar einzuholen. Der Gleichstand ist in knapp zwei Wochen«, meinte die Frau wieder. »Können wir es uns leisten, Tzulan unsere Leben vorzuenthalten?«

»So warte …«, sagte einer der Männer überrascht. »Der Inquisitor lebt? Ich dachte, wir hätten ihn in einer Ruine begraben.«

»Das wird ja immer besser«, rief die Frau erbost. »Nun begibst du dich schon auf eigene Faust auf Unternehmungen, ohne es mit uns abzusprechen.«

»Die Gelegenheit war günstig«, hielt der Gemaßregelte dagegen. »Er muss mit Ulldrael im Bunde stehen, dass er unseren Anschlägen entkommen kann.«

»Und das bestätigt ihn nur in seinen Nachforschungen, du Narr!«, beschimpfte die Frau ihn. »Wir werden dich nicht opfern, dein Tod wäre eine Beleidigung.«

Die Runde schwieg und brütete über der Lösung des Problems.

»Wir nehmen uns diesen Pashtak einfach vor«, äußerte der Sekretär.

»Als ob wir das nicht schon versucht hätten«, lachte ein anderer freudlos. »Er muss eine Bestie im Kampf sein. Wenn ich an unsere Leute in der Bibliothek denke, kann ich nur davor warnen, ihn anzugreifen.«

Ich auch, dachte Pashtak.

»Nein, nicht so«, wehrte der Sekretär ab. »Er ist ein Familienwesen. Wenn wir ein oder zwei seiner Gören in unsere Gewalt bringen, ihn befragen und damit unter Druck setzen, bis wir die Macht in Ammtára übernommen haben, werden wir mehr erreichen als durch all unsere Mordanschläge.«

Zu spät hatte sich der Inquisitor wieder unter Kontrolle. Ein gefährliches Grollen entstieg seiner Kehle und schallte durch den Schornstein hinab.

Sofort schwiegen und lauschten die Verschwörer.

»Nur der Wind«, gab die Frau nach einer Weile Entwarnung. »Ich schlage vor, wir gehen dem Plan unseres Freundes nach. Morgen greifen wir uns eines seiner Bälger und hinterlassen eine Nachricht. Alles Weitere planen wir, nachdem wir die Antwort erhalten haben.«

»Gibt es einen Grund, warum du am Kamin lauschst?«, fragte eine sanfte Stimme in Pashtaks Rücken. »Bist du den Mördern auf der Spur?«

Erschrocken wirbelte er herum und riss dabei einen Stein aus dem Rand. Kleine Teile der Verfugung rieselten den Schlot hinab. Nun gerieten die Tzulani in helle Aufregung.

Lakastre hockte eine Armlänge hinter ihm und schaute ihn lächelnd an. »Ich wollte dich nicht erschrecken, Inquisitor.«

Pashtak fluchte leise. Unten wurde die Tür aufgerissen, die Tzulani rannten in verschiedene Richtungen davon. »Ich brauche deine Hilfe«, sagte er bittend zu der Frau. »Sie wollen meiner Familie etwas antun.«

Die Pupillen der Frau glommen grellgelb auf. »Es sind sieben. Ich nehme die fünf, die durch den Vorderausgang entkommen sind, du übernimmst die anderen.« Feucht glitzerten ihre Fangzähne. »Allmählich wird eine Profession daraus, dich zu unterstützen. Aber es ist sehr einträglich. Und du schuldest mir etwas.« Mit einem gewaltigen Satz sprang sie auf den Boden und nahm die Verfolgung der Verschwörer auf.

Gewissensbisse, den Tzulani den leibhaftigen Tod auf den Hals gehetzt zu haben, verspürte Pashtak nicht. Nun musste er sich selbst sputen, bevor die Witterung der anderen verblasste.

Pashtak erwischte sowohl den Sekretär als auch die Frau, die sich sofort ergaben, als sie bemerkten, wer ihnen an den Fersen hing. Sein Ruf als Kämpfer musste legendär sein.

Kontinent Ulldart, Großreich Tarpol,Provinz Granburg, Hauptstadt Granburg,Frühsommer 459 n. S.

Aljascha Radka Bardri¢ sprang von ihrem Stuhl auf, so schnell es ihr Zustand erlaubte, und las mit zitternden Händen die Nachricht ein weiteres Mal, die ihr soeben ein Bote aus der Hauptstadt überbracht hatte.

Er ist also tatsächlich tot. Dieser verdammte Bastard ist hinüber. Nun ist die Zeit für die Rückkehr nach Ulsar gekommen.

Sie setzte sich ans Fenster ihres Arbeitszimmers; ihre hellgrünen Augen schweiften über die Dächer und blickten in die Ferne, als könnten sie die Silhouette der Hauptstadt erkennen. Es wird ein Triumphzug sein. Und ich werde alle meine so genannten Freunde, die mich in diesem furchtbaren Ort verkommen lassen wollten, das Fürchten lehren. Zusammen mit Zvatochna und Govan werde ich das Reich regieren.

Sie zerknüllte das Blatt mit einem bösartigen Lachen und warf es ins Feuer.

An die Möglichkeit, dass die Kensustrianer einen Hinterhalt gelegt hätten, glaubte sie nicht. Aljascha ahnte sehr wohl, wem ihr Mann seinen jähen Tod zu verdanken hatte. Nur dass Mortva zu diesem Zeitpunkt das so lange Versprochene in die Tat umgesetzt hat, verwundert mich ein wenig.

Gedankenverloren strich sie sich über ihren Unterleib, der unter dem weißen, raffiniert geschnittenen Samtkleid eine kaum merkliche Wölbung aufwies.

Das neue Leben in ihr reifte allmählich heran. Diesem Umstand allein verdankte sie, dass sie überhaupt noch ihren Kopf zwischen den Schultern trug. Wie schade, dass ich dich später nicht mehr gegen deinen Vater einsetzen kann. Aber mir fällt schon noch ein, für was du mir nützen wirst.

Aljascha erhob sich und ging hinüber zu dem Sekretär, um verschiedene Briefe an die Adligen in Ulsar aufzusetzen. Sie wollte die Familien der Reichen und Mächtigen von ihrer Rückkehr in Kenntnis setzen.

Da entdeckte sie den zweiten, kleineren Umschlag, den sie in ihrer Aufregung und Freude über den Inhalt der ersten Nachricht vergessen hatte.