Die Rache der Zwerge - Markus Heitz - E-Book
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Die Rache der Zwerge E-Book

Markus Heitz

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Beschreibung

Markus Heitz hat den Zwergen ein unverwechselbares Gesicht gegeben. Nach mehr als einer Viertelmillion verkaufter Romane um Tungdil und seine Gefährten zieht der tapfere kleine Held erneut aus, um gegen die Feinde des Geborgenen Landes anzutreten. Diesmal machen ihm die gefährlichsten Wesen des Heitz'schen Universums zu schaffen: üble Halbkreaturen, teils Albae, teils Orks, die sich mit todbringenden Maschinen umgeben und mordend durch das Zwergenreich streifen. Als dann noch der versteinerte Magus Lot-Ionan gestohlen wird, weiß Tungdil, dass sich ein furchtbares Unheil nähert. Erneut muss er zur Doppelaxt greifen, um sein Land zu retten … Mit diesem rasanten Zwergenthriller hält Heitz seine Leser ein weiteres Mal in Atem.

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Seitenzahl: 1016

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Gewidmet ganz besonders denen, die diese Widmung lesen.Denn ohne euch wäre der dritte Band nicht möglich gewesen.

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag

erschienenen Buchausgabe 16. Auflage 2013

ISBN 978-3-492-95002-2

© Piper Verlag GmbH, München 2005

Umschlaggestaltung und -abbildung: www.buerosued.de

Karte: Markus Heitz

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

»Die überragende Länge eines Lebewesens oder eines Gliedmaßes ist nicht alles. Das sieht man an den Elben. Ich sage immer: Wer lang ist, wird einfacher getroffen!«

Boïndil »Ingrimmsch« Zweiklingeaus dem Clan der Axtschwinger vom Stamm der Zweiten

»Es sind hier und da arge Spötteleien über die Zwerge zu vernehmen. Sie seien von geringem Wuchs, widerborstig, bevorzugten eine äußerst verschrobene Art des Frohsinns, tränken nur nachtschwarzes Bier und wüssten Gesänge erst dann zu schätzen, wenn sie aus hundert Kehlen dröhnten. Zudem opferten sie eher ihr Leben, als dem Feinde zu weichen. Wahrlich, ich sage Euch: Wer einmal wie ich zu Gast in ihren majestätischen Hallen weilen durfte, der vermag zu sagen: Es stimmt alles.

Lachen wir also nicht über sie, als seien sie putzige Kinder mit langen Bärten, sondern preisen wir ihre vortreffliche Art, die uns vor dem Untergang bewahrt hat. Und das mehr als nur einmal.«

Auszüge aus dem zehnbändigen Werk»Mein Leben und meine einzigartigen Heldentaten.Erinnerungen des Unglaublichen Rodario«

»Ich frug eynen Zwerk, als was er – ausser als eyn Zwerk – uf die Welt kummen moecht’. Ich gab ihm eynen maechtigen Draken, eynen allwissenden Magus und seynen eygenen Gott Vraccas zur Wahl. Er schaut’ mich verwundert an, schuettelt’ den Kopff und sacht’: Der maechtige Drake wurd’ schon von den Zwerken besieget, da es ihn nicht mehr gibbet. Der allwissende Magus, auch er wurd’ schon von den Zwerken besieget, da es ihn nicht mehr gibbet. Und Vraccas will ich auch nicht seyn, weil ich nichts Bessres mehr schaffen koennt’ als die Zwerke, waer’ ich an seyner Stell’.«

Entnommen aus den »Aufzeychnungen über die Voelker des Geborgenen Landes, deren Eygenheyten und Sonderbarkeyten«,Großarchiv zu Viransiénsis, verfasst von Tanduweyt,gesammelt von Magister Folkloricum M.A. Hetim Jahr des 4299sten Sonnenzyklus

VORWORT

Wer hätte das gedacht: ein dritter Band mit Tungdil und seinen Freunden!

Ich gönne den Zwergen ihren Erfolg und freue mich sehr, dass die Kleinen diese große Resonanz fanden und immer noch finden. Letztlich haben sie auch meinen Traum damit wahr gemacht: Sie ermöglichten es mir, ausschließlich als Schriftsteller tätig zu ein. Kleine Wesen, große Wirkung.

Wenn es am Schönsten ist, soll man angeblich aufhören.

In diesem Fall verhält es sich tatsächlich so.

Warum?

Ich möchte dem Geborgenen Land Zeit für sich lassen, damit sich die Angelegenheiten zwischen den Völkern im Anschluss an den Roman regeln können. Ohne dass jemand zuschaut.

Mal abwarten, was in ein paar Jahren dabei herausgekommen ist. Vielleicht öffne ich das Tor zum Geborgenen Land eines Tages wieder, und wer weiß, wie es dann dort aussieht und welches Schicksal die Helden traf?

Ich bin derzeit wieder auf Ulldart unterwegs, meinem anderen Fantasy-Kontinent, stifte dort Frieden und Unruhe.

Mein Dank geht an die vielen Zwergen-Freunde, die mit Tungdil und Konsorten lachten und litten. Und natürlich an das bewährte Testleser-Team mit Nicole Schuhmacher, Sonja und Jan Rüther sowie Tanja Karmann. Nicht vergessen werden sollen für die Leistungen in der Vergangenheit Dr. Patrick Müller und Meike Sewering.

Ein dickes Lob und Dankeschön richtet sich an Lektorin Angela Kuepper, welche die Zwerge mit mir in den letzten drei Jahren betreut hat.

Markus Heitz, im Juli 2005

DRAMATIS PERSONAE

Die Zwergenstämme

DIE ERSTEN

Xamtys II. Trotzstirn aus dem Clan der Trotzstirne vom Stamm des Ersten, Borengar, auch nur »die Ersten« genannt, Königin

Balyndis Eisenfinger aus dem Clan der Eisenfinger, Schmiedin

Glaïmbar Scharfklinge aus dem Clan der Eisendrücker, Krieger und König der Fünften

Beldobin Ambosskraft aus dem Clan der Eisennagel, Bote

Ginsgar Ungewalt aus dem Clan der Nagelschmieds vom Stamm des Ersten, Borengar

Bilandal Lichthammer aus dem Clan der Hammerköpfe

Bendelbar Glühisen aus dem Clan der Glühisens

Gondagar Bitterfaust aus dem Clan der Bitterfausts

DIE ZWEITEN

Balendilín Einarm aus dem Clan der Starkfinger vom Stamm des Zweiten, Beroïn, auch nur »die Zweiten« genannt, König der Zweiten

Boïndil Zweiklinge, auch Ingrimmsch gerufen, aus dem Clan der Axtschwinger, Krieger

Fidelgar Schlagkraft

Baigar Vierhand

Gremdulin Eisenbeiß aus dem Clan der Eisenbeißer

Saphira Eisenbeiß aus dem Clan der Eisenbeißer

Bilba Metzhammer aus dem Clan der Steinschmeichler

DIE DRITTEN

Tungdil Goldhand, Krieger und Gelehrter

Balodil, sein Sohn

Goda Feuermut, Kriegerin

Manon Schwertritt aus dem Clan der Todbeils

Malbalor Weißauge aus dem Clan der Knochenbrecher vom Stamm der Dritten, König der Dritten

Diemo Todkling aus dem Clan der Todklingen, Befehlshaber der Wachen

Veltaga und Bandilor, Zwergenhasser

DIE VIERTEN

Gandogar Silberbart aus dem Clan der Silberbärte vom Stamm des Vierten, Goïmdil, auch nur »die Vierten« genannt, König der Vierten und Großkönig der Zwergenstämme

Bylanta Schmalfinger aus dem Clan der Silberbärte, Gandogars Schwester

Ingbar Onyxauge aus dem Clan der Steinwender, Hebemeister

Glaïmbli Karfunkelaug aus dem Clan der Karfunkelaugs

Tandibur Schachtstolz aus dem Clan der Schachtstolzens

Sigdal Rubinrot aus dem Clan der Schönsteins

Feldolin Schleifenstein aus dem Clan der Thystfinder

DIE FREIEN ZWERGE

Bramdal Meisterklinge, Scharfrichter

Gordislan Hammerfaust, König von Goldhort

Die Menschen

Der Unglaubliche Rodario, Mime

Furgas, Magister technicus

Nolik, reicher Mann

Tassia, seine Gattin

Gesa, eine bezaubernde Matrone

Reimar, ein Arbeiter

Lambus, Schmied aus Mifurdania

Gilspan, Wirt

Ilgar, Handlanger

Lia, Schatzräuberin

Franek, Schatzräuber

Deifrich, Händler

Kartev, Händler

Kea, Handlangerin

Tamás, Baumeister

Ove, Baumeister

Meinart, Hauptmann der urgonischen Königsgarde

Hakulana, Speerjunkerin, Anführerin des Spähtrupps in Idoslân

Torant, Späher

Alvaro, Befehlshaber von Prinz Mallens Leibgarde

Kordin, Kapitän der Wogenschwinge

Retar und Algin, Fischer aus Weyurn

Flira, Fischerkind

Ormardin, Fischerkind

Talena, Fischerfrau

Mendar, Schaluppenkapitän

Risava, Famula

Dergard, Famulus

Lomostin, Famulus

Prinz Mallen von Ido, Herrscher über das Königreich Idoslân

König Ortger, Herrscher über das Königreich Urgon

König Bruron, Herrscher über das Königreich Gauragar

Königin Umilante, Herrscherin über das Königreich Sangreîn

Königin Wey IV., Herrscherin über das Königreich Weyurn

Königin Isika, Herrscherin über das Königreich Rân Ribastur

König Nate, Herrscher über das Königreich Tabaîn

Die anderen

Liútasil, Fürst des Elbenreichs Âlandur

Rejalín, Abgesandte des Elbenreichs

Eldrur, Abgesandter des Elbenreichs

Irdosíl, Abgesandter des Elbenreichs

Antamar, Abgesandter des Elbenreichs

Vilanoîl und Tiwalún, Elben aus Âlandur

Esdalân, Baron von Jilsbon aus Âlandur

Limasar, Elbenkrieger

Itemara, Elbenkriegerin

Hui, Rüde

Gronsha, Ork

Kamdra, Ubarikriegerin

Flagur, Ubarifürst

PROLOG

Das Geborgene Land,

im Grauen Gebirge an der Grenze

des Reichs der Fünften,

6234. Sonnenzyklus, Frühling

Gronsha blieb stehen und horchte in die unsäglich dichten Nebelschwaden, die seine gelben Augen nicht durchdringen konnten, obwohl er zu den besten Kundschaftern des Heeres von Fürst Ushnotz gehörte. Nahm man es genau, gehörte er zu den letzten drei besten Kundschaftern des Heeres. Die übrigen Späher ihres Vorauskommandos lagen enthauptet am Steinernen Torweg.

Er hörte Schritte. Viele Schritte.

Schnell zog er sein schartiges Zweihänderschwert und hielt sich zum Angriff bereit. Er und seine Truppe hatten sich einfach zu sicher gefühlt, nachdem sie das Reich der Unterirdischen durch den Steinernen Torweg verlassen hatten und vor ihrer Übermacht geflüchtet waren. Jetzt hingen ihnen die Bartgesichter wie zäher Gnomenkot an den Fersen.

Nicht dass er Angst vor den Unterirdischen empfand. Das Schwarze Wasser, das Blut des Toten Landes, floss in seinen Adern und machte ihn unsterblich – falls ihm nicht der Kopf vom Hals geschlagen wurde.

Leider beherrschten die Gegner diese Kunst recht gut, und selbst ihre geringere Größe konnte sie nicht aufhalten. Reichte der Stiel einer Waffe nicht bis zum Hals, griffen sie zuerst die Schenkel an. Ein Gegner auf Knien war leicht zu köpfen.

Im vermeintlich verlassenen Nordreich der Unterirdischen waren sie auf überraschend viele Gegner getroffen. Er und zwei weitere Späher hatten angesichts der drohenden Niederlage beschlossen, einen Rückzug über die Grenze hinaus ins Jenseitige Land zu wagen. Vielleicht gab es von dort einen einfacheren Weg zurück, um Fürst Ushnotz und das Hauptheer vor den Unterirdischen zu warnen, als sich durch einen Pulk von axtschwingenden Feinden zu arbeiten.

Im Jenseitigen Land, so erzählte man sich, herrschte sein Volk, die Orks. Noch hatte er keine zu Gesicht bekommen, doch er hätte nichts gegen ein wenig Beistand einzuwenden.

»Eine Waschküche ist nichts dagegen«, hörte er einen Unterirdischen brummeln. Es war für Kundschafter unerlässlich, die Sprache des Feindes zu verstehen. »Man könnte meinen, dass der Nebel dem Schweinchen hilft.«

Gronsha ärgerte sich, von einer mickrigen Kreatur, die stehend in ein kleines Fass passte, Schweinchen genannt zu werden. Schweine schmeckten zwar nicht schlecht, doch ihr Äußeres war nicht eben anziehend. Und er war stattlich, fast doppelt so groß wie einer von den Bartgesichtern. Wütend spannte er seine immense Muskulatur an – und dabei schrammte seine Rüstung am Felsen entlang!

Der Laut wurde vernommen. »Ha!«, rief der Unterirdische. »Gleich haben wir ihn.«

Du wirst dich täuschen, Bartgesicht. Gronsha lief los, um die Verfolger abzuschütteln, aber seine scheppernde Rüstung verriet ihnen, wo er steckte. Er konnte nicht sagen, wie lange er lief und wo genau er sich befand. Oder seine Begleiter. Er nahm lediglich wahr, dass es dunkler um ihn herum wurde. Eine Höhle? Er drückte sich an die nächste Wand, hielt den Atem an und lauschte nach den Unterirdischen.

»Halt!«, befahl einer von ihnen ganz in der Nähe und blieb mit scharrenden Stiefeln stehen. »Hört ihr ihn noch?«

Niemand antwortete ihm.

Gronsha grinste boshaft. Anscheinend waren die Unterirdischen in diesem seltsam dicken Nebel nicht weniger orientierungslos. Er sog vorsichtig die Luft ein und spürte den Gegner anhand seines unverwechselbaren Geruchs auf. Dann rannte er los, den Zweihänder zum Schlag erhoben. Er würde ihn mit einem einzigen Hieb spalten.

»Boïndil?«, fragte der Unterirdische unsicher, der ihn kommen hörte. Sein kleiner Schatten tauchte aus dem grauen Nebel auf, und Gronsha schlug siegesgewiss zu.

»Schau an! Wenigstens einer, der mich hört«, rief der Unterirdische fröhlich, wich dem Angriff aus und hackte mit seiner Axt nach ihm.

Die Schneide traf Gronsha in die rechte Hinterbacke; er brüllte auf und verschwand gleich wieder im Nebel.

Nein, das war keine Art zu kämpfen, wie er es liebte. Der verdammte Nebel! Er beschloss, sich auf den Rückzug zu verlagern, anstatt im Dampf herumzustochern und auf einen glücklichen Treffer zu hoffen, bevor ein solcher noch einem der Unterirdischen gelang.

Die Wunde an seinem Gesäß schloss sich wieder. Die Schwarze Unsterblichkeit, von der er hatte kosten dürfen, heilte ihn durch ihre Macht, auch wenn sich der Schnitt an einer unangenehmen, unehrenhaften Stelle befand. Es passte zu den heimtückischen Unterirdischen. Sie gingen ja auch sonst einem ehrlichen Kampf aus dem Weg und verschanzten sich in ihren Festungen und Höhlen.

Gronsha wandte sich um und setzte den Weg vorsichtig durch den Nebel fort. Hinter ihm erklang bald das Kreischen eines sterbenden Orks, der gegen die Unterirdischen gefallen war. Es ging ihm durch Mark und Bein.

Da kam es ihm gerade recht, dass sich der kleine Schatten aus dem Dunst vor ihm schälte, der mit dem Rücken zu ihm stand.

Er überlegte nicht lange, sondern hob den Zweihänder und schlug genau von oben mitten auf den Helm des Feindes. Der Tod ereilte den Unterirdischen so rasch, dass ihm nicht einmal Zeit blieb, den Mund zu öffnen und zu schreien. Sein Blut sprühte weit.

Gronsha gab sich damit nicht zufrieden. »Du schmierige Felslaus! Ich zerfetze dich!« Er hackte auf den Leichnam ein, bis er ihn in Stücke geteilt hatte. In seinem Rausch vergaß er völlig, welch enormen Lärm er verursachte. Den bärtigen Kopf trat er sogar lachend irgendwo in den Nebel; es war seine Art der Rache. Helm und Schild des Toten nahm er mit. Sie würden ihm noch gute Dienste leisten.

Gerade, als er den Schild aufhob, sprang der nächste Zwerg mit erhobener Axt heran. »Hier!«, schrie der Unterirdische laut. »Hier ist er! Kommt her!«

»Verdammte Made«, ächzte Gronsha und ließ den Schlag gegen den Schild prallen. Die Schneide schrammte über die Schräge, glitt über die Kante und traf ihn in die Schulter. Die dicke Talgschicht auf der Rüstung, die dazu diente, dass die Waffen der Feinde am Metall abrutschten, hatte versagt.

Gronsha machte einen Satz zurück, doch die Feinde schienen ihn von allen Seiten anzugreifen. Er rannte geradeaus, bis er unversehens auf eine Wand traf. Der Granit war nicht bearbeitet; die scharfen Kanten würden üble Verletzungen verursachen, wenn man an ihm entlangrutschte.

Seine Entdeckung brachte ihm nicht viel ein. Er hatte das Gefühl, im Kreis zu laufen. Der wallende Nebel erlaubte ihm nicht zu entkommen und machte sich wohl einen Spaß daraus, ihn in der Dunkelheit gefangen zu halten. Es konnte nur eine verzweigte Höhle sein, in der er und die Unterirdischen sich befanden.

Seine Schulter klopfte und brannte. Die Schwarze Unsterblichkeit heilte, so schnell sie es vermochte, aber es schmerzte sehr. Er vollführte eine vorsichtige Bewegung mit dem Arm, der artig gehorchte. Gronsha musste sich auf ihn verlassen können, denn noch immer waren seine Feinde unterwegs.

Er roch sie, trotz des feuchten, kalten Dampfes, den er gar nicht leiden mochte. Nicht nur, dass er für die Augen undurchdringlich war. Je tiefer er hinein geriet, desto weniger hörte er; sogar seine Rüstung verursachte kaum noch Geräusche. Er war umgeben von feuchter, kalter Watte.

Die Höhlen des Orkreiches Toboribor im Südosten des Geborgenen Landes waren warm und angenehm trocken, man konnte sich sehr gut darin bewegen. Diese Kaverne bildete das genaue Gegenteil dazu. Und sie war unheimlich.

Die grauen Schleier gerieten in heftige Bewegung und gaukelten ihm vor, dass sich der nächste Unterirdische näherte und ihn attackierte, während er sich an der Wand entlangtastete und nach einem Ausgang suchte. Dreimal fiel er auf die Trugbilder herein und stach ins Leere.

Endlich waren Tion und Samusin, die Götter seines Volkes, ihm gewogen und wiesen ihm einen Weg: Ein schwarzes Loch tat sich in der Wand auf.

Unvermittelt sprang ein Unterirdischer vor ihm aus dem kaltfeuchten Nebel und schlug mit seiner Axt nach ihm. »Stirb, Scheusal!«

Dieses Mal war Gronsha vorbereitet. Er parierte den Hieb und trat dem Gegner ins Gesicht, sodass der Unterirdische Blut und Zähne spuckend rückwärts taumelte und wieder im Nebel verschwand. »Du zuerst, Felslaus!«

Zeit für eine List. Gronsha duckte sich und machte sich so klein wie einer der Unterirdischen, setzte sich den ramponierten Helm des Toten auf den Kopf und hob dessen Schild. Er wankte nach rechts und links, verstellte seine Stimme und gab gurgelnde Geräusche von sich. »Hilfe! Er hat mich getroffen.« Er krächzte und wimmerte. »Bei Vraccas, hilf mir …«

»Bendagar? Hat es dich erwischt?«

»Mein Bein«, jammerte Gronsha laut und beherrschte sich mühsam. Er durfte nicht lachen, noch nicht.

»Halte durch!«, hörte er den unterirdischen Kameraden besorgt rufen. »Ich bin gleich bei dir.« Die Umrisse erschienen im Nebel. »Gibt Acht und sei leise. Es ist noch eine von den Schweineschnauzen unterwegs. Er …«

Gronsha wartete nicht länger. Er stieß die Spitze des Zweihandschwertes mit Wucht nach vorn und trieb sie dem Unterirdischen durch das Kettenhemd in den Bauch. »Was du nicht sagst, Bartgesicht«, lachte er boshaft und drehte die Klinge. Aufstöhnend versuchte der Zwerg, nach ihm zu schlagen, aber Gronsha fing die Axt am Stiel ab und entwand sie dem Sterbenden. »Beiß in deine eigene Waffe«, knurrte er und schlug sie ihm mitten in das haarige Antlitz.

Der Unterirdische kippte nach hinten und versank in dem undurchdringlichen Grau. Dieses Mal für immer.

Gronsha sprang über die Stelle hinweg und eilte in den dunstverhangenen Stollen hinein, der ihn fort von den Feinden bringen sollte.

Es war ein Weg in die wahre Ungewissheit und nicht zu vergleichen mit einem üblichen Erkundungsgang, wie er ihn gewohnt war.

Unruhe befiel ihn. Ich bin im Jenseitigen Land, dachte er schaudernd, ohne sich sein Zittern erklären zu können.

In Toboribor gab es Legenden von gewaltigen Herrschaftsgebieten der Orks. Eines allein sei so groß wie das Geborgene Land als Ganzes und ernähre mehr Angehörige seines Volkes, als Sterne am Nachthimmel leuchteten.

Er hielt die Sagen für übertrieben. Dennoch, es musste Orks im Jenseitigen Land geben. Aus dem Norden war vor vielen tausend Sonnenzyklen der erste und bislang einzige erfolgreiche Angriff von außen erfolgt.

Natürlich war es seinem Volk zu verdanken gewesen, dass das Nordtor gesprengt worden war. Jeder ihrer Nachkommen kannte die Legende vom glorreichen Umlauf, der den Sieg über die Unterirdischen gebracht hatte. Nur Orks besaßen die dazu notwendige Kraft, die Ausdauer und den Mut. Zyklus um Zyklus wurde das Ereignis in Toboribor gefeiert.

Zu gern hätte Gronsha den nächsten Festtag in einem eroberten Reich der Unterirdischen begangen. Am besten mit dem abgetrennten Kopf eines Unterirdischen, mit dem man Weitwurf veranstalten konnte, wie es früher beim Fest des Sieges in Gedenken an den Einmarsch ins Geborgene Land üblich gewesen war. Dazu hatte es Unmengen von Essen gegeben, und das Wettrülpsen hätte er in diesem Zyklus sicherlich gewonnen. Stattdessen schlug er sich durch das Jenseitige Land und hoffte auf Beistand. Er selbst war in den Höhlen Toboribors zur Welt gekommen und wusste nichts von dem Ursprungsland seiner Ahnen. Wie alle Orks in Toboribor.

Aber nicht nur auf Orks hoffte Gronsha zu treffen, sondern auch auf Oger, Trolle, Albae und alle anderen Kreaturen, die den Göttern Samusin und Tion folgten.

»Das waren noch Zeiten«, murmelte er verdrossen. Seit der Niederlage des verbündeten Magus Nôd’onn war es vorbei mit der guten Zeit für ihn und Fürst Ushnotz, der ein neues Reich gründen wollte: ständig vor den Soldaten der Rotbluter auf der Flucht, keine Heimat mehr und ein Fürst, der ungerecht und schwach war.

Noch wagte er es nicht, sich gegen Ushnotz zu stellen, ihn zu töten und die Macht zu ergreifen. Andere, Erfahrenere, das spürte er, würden es vorher versuchen. Wer den Fürst besiegte, wurde zum Fürst – so lief es schon immer bei seinem Volk. Der Beste erhielt die Macht. Da wartete er lieber noch. Er wartete auf seine Gelegenheit.

Das einzig Gute an seiner Lage war seine Unsterblichkeit, die ihm das Schwarze Wasser verliehen hatte. Doch Unsterblichkeit ohne Macht war wie ein Knochen ohne Fleisch.

Gronshas Plan wandelte sich, je weiter er vorstieß und je mehr sich der Nebel lichtete. »Warum eigentlich zurückkehren und Ushnotz folgen?«, fragte er ins Ungewisse, und die Worte hallten dumpf von den Höhlenwänden wider. Schimmernde Flechten und Moose spendeten genügend Helligkeit für seine empfindlichen Augen. Er sah jetzt beinahe so gut wie an einem Sonnentag. Damit stieg seine Zuversicht. »Ich tauge ebenso zu einem Fürsten.«

Vielleicht würde es ihm gelingen, im Jenseitigen Land eine kleine Streitmacht auf die Beine zu stellen und sie dazu zu bringen, das Tor am Steinernen Torweg anzugreifen. Die gewaltigen Portale aus Granit waren von ihm und seiner Truppe kurz vor der Flucht beschädigt worden, die Unterirdischen würden sie auf die Schnelle nicht verriegeln können. Ein paar hundert Orks, und die Schlacht gegen die Hand voll Verteidiger wäre gewonnen. Er musste rasch Verbündete finden und angreifen, bevor die Unterirdischen die Schäden repariert hätten.

Gronsha feixte. Er, der unsterbliche Ork, würde sich die Festung der Unterirdischen selbst sichern! Alles, was er benötigte, waren Mitstreiter. Er durfte nicht wählerisch sein. Beinahe alles, was eine Waffe halten konnte, wäre ihm willkommen. Jetzt gab es für ihn keinen Zweifel mehr: Tion hatte gewollt, dass er ins Jenseitige Land ging.

Seine Augen entdeckten ein Zeichen in der Höhlenwand. Es war eine Rune, verschnörkelt, fremdartig und auf seltsame Weise widerlich zwergisch. Zu den Spitzohren passte die Form nicht.

»Gibt es diese bärtigen Pocken auch auf dieser Seite?«, fluchte Gronsha. Er konnte nicht erkennen, ob der Stein erst vor kurzem oder vor hundert Sonnenzyklen bearbeitet worden war. Vorsicht war angebracht.

Er lief weiter, folgte dem Gang, der sich bald gabelte, und trabte nach kurzem Zögern in die Richtung, aus der wärmere Luft strömte.

Bald darauf fächerte sich sein Weg in ein Dutzend Gänge auf. Gronsha befand sich am Anfang eines Irrgartens.

Er markierte seinen erwählten Gang mit einer großen Orkrune, zwei senkrechte Striche mit zwei Punkten dazwischen, die er in den Fels ritzte, damit er notfalls zurückfand. Nach nicht allzu langem Marsch musste er erneut entscheiden, wohin er sich wandte, und so ging es noch achtmal.

Es war totenstill.

Seine Schritte verursachten keinen einzigen Laut mehr; der Talg auf seiner Rüstung schien in die Ritzen gelaufen zu sein und schmierte die reibenden Teile der Panzerung. Nicht einmal ein kleines Steinchen fiel von der Decke oder ein Wassertropfen platschte zu Boden. Im Jenseitigen Land gab es keinen Ton, kein Leben. Nichts als ihn und die Gänge, die mal hoch und breit wie Scheunentore, dann wieder klein und schmal wie eine Menschenfrau waren.

Das Grauen kroch in ihn hinein.

Gronsha fing vor Angst an zu schwitzen. Bald sah er überall huschende Schatten, die ihn umkreisten, dann glaubte er, dass sich sein eigener Schatten ohne sein Zutun bewegte. Binnen kurzem war er so weit, dass er sich sogar über den Todessschrei eines Orks gefreut hätte. Dann hätte er wenigstens etwas vernommen.

Schließlich rannte er, ohne zu wissen, wovor oder wohin er flüchtete. Er wollte der Geräuschlosigkeit entfliehen und vergaß dabei sogar, seinen Weg zu kennzeichnen. Seine Müdigkeit, die vergangene Zeit, nichts spielte mehr eine Rolle.

Der Stollen mündete irgendwann in eine Höhle.

Gronsha blieb keuchend in dem Durchlass stehen, in seiner linken Seite stach es bei jedem Luft holen. Er schätzte die Höhle auf vierzig Schritt Länge und sicherlich mehr als einhundert Schritt Höhe. Durch Löcher in der Decke fielen baumdicke Sonnenstrahlen schräg nach unten. Fast sah es so aus, als bildeten sie Säulen aus Licht, auf denen die Decke ruhte. Die Helligkeit durchstach die Schwärze und riss kleine fahle Flecken des Bodens aus der Finsternis.

Er stutzte. Es waren Knochen … haufenweise Knochen lagen umher. Orkknochen!

Entweder hatte er eine Grabkammer gefunden, in denen die Überreste der Feiglinge ohne Zeremonie und Achtung vermodern sollten, oder es hauste etwas in den Kammern und Gängen, das sich sein Volk als Mahl auserkoren hatte.

Gronsha ging vorsichtig einige Schritte in die Höhle, ließ sich auf ein Knie herab und scharrte mit dem Schwert in einem von Licht beschienenen Haufen.

Die Gebeine wiesen tatsächlich Spuren von Messern auf. Jemand hatte sich die Mühe gemacht, das Fleisch abzuschaben; größere Knochen waren aufgebrochen worden, damit man an das Mark gelangte. Die Schädel waren nicht angetastet worden. Wenn er sich nicht sehr täuschte, waren die Knochen alle recht frisch.

Er atmete laut aus, stand auf und witterte nach allen Seiten. Es war möglich, dass die Unterirdischen im wahrsten Sinne des Wortes das kleinere Übel gewesen waren.

Er trabte weiter, quer durch die Höhle, und vermied es aus einem unbestimmbaren Grund heraus, durch die Lichtflecke und hellen Strahlen zu laufen. Am anderen Ende angelangt, betrat er den nächsten Stollen und folgte ihm mit knurrendem Magen. Die andauernde Rennerei hatte ihn hungrig gemacht.

Seine gute Nase warnte Gronsha.

Ein bekannter Geruch sagte ihm, dass sich vor ihm Angehörige seiner Art herumtrieben, auch wenn er sie weder hörte noch sah. Irritierend fand er, dass der Duft von ranzigem Fett auf den Rüstungen ausblieb.

Dann erspähte er den Feuerschein am Ende des Weges.

Da Gronsha keine Lust hatte, von übereifrigen Wachen mit Pfeilen gespickt zu werden, gab er sich keine Mühe, besonders leise zu sein. »Ho«, rief er den Stollen entlang, und der Fels trug seine kräftige, dunkle Stimme nun wie durch einen Trichter weiter. »Ich bin ein Ork! Aus Toboribor! Ich brauche eure Hilfe gegen die Unterirdischen, Brüder!«

Zwei große, breit gebaute Umrisse traten in den Stollen und verdunkelten die Helligkeit der Flammen. Der vage bekannte Duft verstärkte sich, ihre Schatten flogen den Gang entlang auf ihn zu. Noch erkannte er keine Einzelheiten, aber was den Wuchs anbelangte, standen die Orks aus dem Jenseitigen Land denen aus dem Süden des Geborgenen Landes in nichts nach.

Sie kamen auf ihn zu, die schlanken Speere mit den bösartigen Widerhaken am Ende gesenkt. Gronsha schätzte, dass die dünnen Metallhäkchen unter zu viel Druck einfach vom Blatt abrissen und im Körper des Opfers stecken blieben. Die Waffe flößte ihm Respekt ein.

Ein Dritter eilte mit einer Blendlaterne herbei und richtete deren Schein auf ihn.

Bald standen sie vor ihm, einer von ihnen war ein Weibchen, was Gronsha verwunderte. Nicht nur, weil sie mit den zahlreichen Ringen in den Ohrmuscheln und der ungewohnt schlanken Nase sofort seine Gier weckte, sondern weil sie sich dem Stand der Krieger angeschlossen hatte. Das kannte er aus Toboribor nicht. Weiber sollten sich um die Bälger und das Essen sorgen. Und um Krieger wie ihn, auf der Stelle.

»Lass deine Hände ruhig«, befahl sie ihm mit rauchiger Stimme. Die Lanzenspitze legte sich an seine Kehle und dirigierte ihn an die Wand. »Bleib so. Bruder.« Die beiden Orks lachten.

Gronsha wunderte sich über die Rüstungen und Helme, welche sie trugen. Sie verzichteten tatsächlich auf die rettende Schmiere auf den Panzern! So würden sie kein Gefecht gewinnen. Er fand es dumm, dem Gegner die Arbeit zu erleichtern. Überhaupt wirkten sie sauber. Zumindest viel, viel sauberer als er. Ungesund sauber.

Sein Neid erwachte. Ohne Zweifel stammten die Rüstungen aus einer orkischen Schmiede. Die Güte des Metalls und des Handwerks stand jedoch bei weitem über dem Werk des besten Schmieds von Fürst Ushnotz. Vielleicht verzichteten sie deshalb auf den Talg?

»Ich bin Gronsha. Bringt mich zu eurem Fürsten«, verlangte er gebieterisch und reckte sich. »Es kann sein, dass ich verfolgt werde. Besser, ihr seid wachsam.«

Das Weibchen schaute den Gang hinauf, aus dem er gekommen war, und sandte die beiden Krieger aus, um nachzuschauen. »Du stammst aus … woher?«

»Toboribor.«

»Toboribor?« Sie sah ihn nicht einmal an, sondern beobachtete, was sich im Stollen tat. »Was soll das sein?«

»Was das sein soll?«, grunzte Gronsha empört und verwundert zugleich. »Das ist ein mächtiges Orkreich, weit im Süden des Geborgenen Landes.«

Nun schenkte sie ihm doch einen Blick. Der Ausdruck in ihren rosafarbenen Augen schwankte zwischen Gleichgültigkeit und Spott. »Ein Orkreich? Das ist doch einmal eine frohe Kunde. Wenn es im Süden liegt, was machst du dann im Norden?« Ihr Akzent schmerzte ihn, sie sprach zu deutlich und zu betont. Überheblich war der bessere Begriff. »Hast du dich verlaufen?«

»Ich befehlige die Truppen von Fürst Ushnotz, der über Toboribor gebietet. Ich bin hier, um nach Freunden zu suchen, die uns gegen die Unterirdischen helfen …«, log er ein wenig und sah an ihren Zügen, dass sie ihn nicht verstand. »Du weißt nicht, was die Unterirdischen sind?« Es wurde immer verworrener. »Oh, dann seid ihr von Tion und Samusin gesegnet, wenn es diese Pest mit Axt bei euch nicht gibt«, schnaubte er. Er hielt die Hand in Höhe seiner Hüfte. »So groß, ohne ihren Helm. Wir nennen sie Bartgesichter und Felsläuse, und meistens …«

»Ah, sicher. Ich kenne sie«, unterbrach sie ihn. Die beiden ausgesandten Orks kehrten zurück und gaben Entwarnung. Niemand war ihm gefolgt. »Wir nennen sie anders. Es ist ungewöhnlich, dass einer unserer Brüder«, sie betonte das Wort merkwürdig amüsiert, »den Weg beschreitet und nach Fòn Gàla kommt.«

»Wohin?«, fragte Gronsha nach.

»Hierher.«

»Ah, das Jenseitige Land«, sagte er. »So heißt es bei uns.«

»Willkommen.« Sie bleckte die Zähne und zeigte ihm ihre Hauer, die kraftvoll und ebenmäßig waren.

Gronsha mochte sie. Er wollte sie. Wenn er die Festung erobert hatte, würde er sie zu seiner Frau nehmen und viele Kinder mit ihr zeugen. Sie hatte bestimmt noch keinen Mann wie ihn gehabt. Er würde sie zureiten und ihr das Benehmen beibringen, wie es sich für ein Weib gehörte.

»Du darfst mich begleiten, Gronsha. Ich bringe dich zu unserem Fürsten. Es wird ihn freuen, von Toboribor zu hören.« Endlich nahm sie die Lanze von seiner Kehle und deutete auf den beleuchteten Ausgang des Stollens. »Nach dir. Bruder.« Wieder lachten die Orks.

Sie gelangten in eine große Höhle, die teils natürlichen, teils künstlichen Ursprungs war. Einhundert Schritte in der Breite und zweihundert in der Länge, so hoch wie der höchste Turm am Steinernen Torweg. In der Mitte floss ein kleiner Bach, an dem entlang rechts und links des Ufers schwarze, fünfeckige Zelte aufgeschlagen waren. Verschiedene Gerüche lagen in der Luft: Essen wurde gebrutzelt, irgendwo wurde gebraut, Kohlefeuer brannten in eisernen Halterungen und brachten sie zum Glühen.

Es wunderte Gronsha, weshalb der ansonsten unvergleichliche Duft seines Volkes fehlte, das würzige Aroma von Größe, Stärke und Überlegenheit, zu dem die Rotbluter »Gestank« sagten. Lange konnten die Brüder und Schwestern aus dem Jenseitigen Land hier noch nicht lagern.

Er vermochte sich ein Grinsen nicht zu verkneifen. Wenn er die Zahl der Orks überschlug, die hier versammelt waren, kam er auf mindestens zweitausend. Mindestens. Mit dieser Anzahl würde er die Unterirdischen vernichten.

Seine Begleiterin deutete auf das größte der schwarzen Zelte. »Da hinein.«

Gemeinsam gingen sie über den Lagerplatz, verfolgt von den neugierigen Augen zahlreicher Orks. Gronsha gab sich Mühe, eindrucksvoll zu wirken. Er spreizte die Arme leicht vom Körper ab und bewegte sich kraftvoll, fletschte die Zähne und rollte mit den Augen.

»Ich bringe dem Fürsten einen Phottòr«, rief die Orkfrau gut gelaunt. »Er kommt aus einem Orkreich aus einem fernen Land.« Die Umstehenden steckten die Köpfe zusammen und tuschelten, dabei sahen sie immer wieder bewundernd zu dem Fremden. Jedenfalls deutete er die Blicke so.

»Was ist ein Phottòr?«, wollte er wissen, ohne sein Gehabe aufzugeben. Zwei Weibchen warfen ihm lüsterne Blicke zu, und er schnaubte so tief, wie er es vermochte, um sie noch mehr zu beeindrucken.

»So nennen wir welche wie dich. In unserer Sprache ist es eine Auszeichnung.«

Gronsha hob das breite Kinn. Auszeichnungen standen ihm gut.

Als sie vor dem Eingang zum Stehen kamen, packte die Orkfrau ihn am Arm. »Sei höflich, Gronsha. Es kann sein, dass sich unsere Umgangsformen von den euren unterscheiden.« Dann gab sie ihm einen Stoß, der ihn nach drinnen beförderte, und folgte ihm.

Er fand sich in einem von unzähligen Leuchtern erhellten Zelt wieder. Vier Schritte vor ihm lag ein stattlicher Ork gemütlich auf bunt gemusterten Teppichen und aß. Er trug einen Mantel aus schwarzer Seide um sich geschlungen, wie ihn ein verweichlichter Rotbluter auch tragen würde. An den Ständern aus Holz hinter ihm hing seine Waffensammlung, die ausgereicht hätte, ein kleines Heer auszustatten. Goldschmuck blinkte an dreien seiner Finger auf.

Der Fürst war sicherlich der größte Ork, den Gronsha jemals zu Gesicht bekommen hatte. Seine eigene Statur wirkte im Vergleich dazu wie die eines Heranwachsenden. Das breite Gesicht mit der hohen, fliehenden Stirn zierte ein dünner Bart unter der Nase; die schwarzen Haare waren zu einem Zopf geflochten. Neugierig geworden, hielt er mit dem Essen inne. »Kamdra, meine Liebe. Was bringst du da?«

»Erlauchter Fürst Flagur«, sagte sie und verbeugte sich vor dem Anführer, woraufhin Gronsha es ihr hastig nachtat. »Ich bringe Euch ein Geschenk, Erlaucht. Es kam den Gang entlang, den wir für tot hielten.« Sie schob ihn nach vorn. »Es heißt Gronsha und ist schwer zu verstehen. Ein Degenerierter, Erlaucht. Aber er hat etwas von einem Orkreich berichtet.«

Flagur setzte sich auf und legte eine Hand auf das Knie, während die andere dem Gast bedeutete näher zu kommen. »Fein. Gronsha«, wiederholte er nachdenklich und ließ den Namen klingen. »Ja, das passt zu ihnen.« Der Blick seiner rosafarbenen Augen war wesentlich strenger und härter als der des Weibchens.

Inzwischen hatte sich Gronsha von seiner ersten Verwunderung erholt, auch wenn ihm der Geruch von widerlich lieblichen Duftessenzen, die zwischen den Zeltwänden umherwaberten, schwer zu schaffen machte. Parfüm, Sauberkeit, eine seltsame Sprache. Diese Orks benahmen sich keinesfalls gewöhnlich, und schon gar nicht ihm gegenüber. Sein Stolz regte sich, er richtete sich auf. »Ich bin kein Ding. Und schon gar nicht deg… delg…«

»Degeneriert?«, half ihm Flagur zuvorkommend.

Gronsha machte einen Schritt vorwärts, sein Stolz braute Wut und ließ sie in ihm aufkochen. »Fürst Flagur, gib mir deinen …« Ein brennender Schmerz biss in seinen Nacken. Fauchend fuhr er herum und sah Kamdra. An ihrer Speerspitze haftete sein Blut. »Du …«

»Nein, du wirst den Fürsten mit Euch und Erlaucht ansprechen, wie es sich gehört.« Sie hielt die Waffe stoßbereit. »Ich lehre dich unsere Sitten, Phottòr.«

Er knurrte sie an, gab sich demütig. Nun würde er sie ganz sicher zum Weib nehmen, ihren Willen brechen und sie zu seiner Sklavin machen. Er wandte sich dem wartenden Flagur zu. »Gebt mir Euren Beistand!«, wiederholte er. »Wir müssen die Festung der Unterirdischen angreifen …«

»Er meint die Ubariu, Erlaucht«, übersetzte Kamdra.

»Unsere?«

»Nein, deren Ubariu, Erlaucht.« Die Orkfrau klang äußerst belustigt. »Anscheinend gibt es sie auch im Land jenseits der Berge. Sie haben mit den Phottòr aber wohl nichts zu tun.«

Flagur nickte und wirkte unvermittelt gut gelaunt. »Das werden wir bald näher erkunden.« Er nickte Gronsha zu. »Und du, berichte mir von deinem Orkreich.«

Und Gronsha berichtete. Er erzählte von Toboribor, den Höhlen, vom Heer seines Fürsten Ushnotz, dem leicht zu erobernden Bollwerk der Unterirdischen am Steinernen Torweg und von den angeschlagenen Heeren der Menschen und Elben.

Er ließ sich Papier und Kohle bringen, mit dem er eine grobe Karte umriss. Tinte und Feder ließ er, wo sie waren. Seine ungeübten Hände würden den Kiel nur zerbrechen und schwarze Flecken hinterlassen. »Das Geborgene Land ist leichte Beute, Fürst Flagur«, lockte er. »Ich kenne mich dort bestens aus. Gebt mir Eure stärksten Krieger, und ich erobere die Festung der Unterirdischen.« Wieder erhielt er einen Stich in den Nacken, und Gronsha schrie ein »Erlaucht« hinterher. Oh, wie er Kamdras Widerstand brechen würde.

»Um die Festung deinem Fürsten zu schenken?«, lachte ihn Flagur aus. »Gewiss nicht.«

Gronsha beugte sich vor; sein Blut sickerte unter die Rüstung und den Rücken hinab. »Nein. Ich dachte, dass Ihr der neue Fürst aller Orks werden könntet. Bedenkt: Mehr als zusätzliche fünftausend Krieger, die Euch zur Verfügung stünden. Erlaucht.«

Die Augen des Orks wurden schmal. »Warum sollten sie mir folgen?«

»Weil ich Euch unterstütze.«

Flagur bekam einen Lachanfall. Das verächtliche Gelächter platzte förmlich aus ihm heraus, und Kamdra stimmte mit ein. Sie vergaß sogar, Gronsha für das vergessene »Erlaucht« zu strafen. »Das ist köstlich«, grölte er. »Sag, wie willst du erreichen, dass sie einem neuen Herrn folgen? Ihren Verstand benebeln? Selbst mein bester Runenmeister vermag das nicht zu tun. Nicht bei fünftausend.«

Gronsha schwieg überrascht, blinzelte. »Runenmeister?«, fragte er.

Kamdra dachte nach. »Ein Runenmeister wirkt unsichtbare Kräfte«, half sie ihm, das Wort besser zu verstehen. »Das verstehst du nicht, Phottòr.«

Gronsha verstand sehr gut. Er hatte es mit Orks zu tun, die einen Magus in ihren eigenen Reihen besaßen. Einen Magus!

Nun stand es für ihn fest, dass er sich mit ihnen zum Herrscher des Geborgenen Landes krönen würde. Doch dazu brauchte er die Herrschaft über den Stamm.

Sein Plan war schlicht, aber wirkungsvoll: Er würde Flagur bei sich bietender Gelegenheit töten und sich gemäß dem Brauch zum neuen Fürsten ausrufen. Niemand würde mehr an seiner Überlegenheit zweifeln, wenn er diesen Giganten von Ork besiegte. »Erlaucht, bekomme ich Eure Krieger oder nicht?«, fragte er noch einmal mit Nachdruck in der Stimme.

Flagur, der sich eben beruhigt hatte, wurde von einem neuerlichen Lachanfall erfasst und sank schließlich japsend auf die Teppiche und Kissen.

Darauf hatte Gronsha gehofft. Er warf sich nach vorn und langte nach seinem Dolch; die Schneide zielte genau auf das Herz des Fürsten.

Immer noch lachend, langte Flagur blitzschnell hinter sich, griff nach seinem Kurzschwert und schlug damit nach dem Angreifer.

Der Hieb in die Brust war brutal.

Nicht nur, dass er Gronsha aus der Bahn warf, er zerteilte die Rüstung und das Fleisch darunter; sein dunkelgrünes Blut ergoss sich augenblicklich in Strömen, und er fiel neben Flagur auf die Lagerstatt.

»Ich wusste genau, dass er es versuchen würde«, grinste der Fürst, die Waffe an der Kleidung des Toten reinigend. »Es ist eine ihrer klassischen Handlungsweisen. Pure Gewalt. Mehr kennen sie nicht.«

Kamdra stach Gronsha zur Sicherheit mit der Lanze in den Rücken, hakte die Widerhaken fest und zog den Leichnam in Richtung Ausgang. »Erlaucht waren brillant wie immer«, sagte sie und verneigte sich.

Doch Gronsha war keineswegs tot. Er schlug mit dem Dolch hinter sich, durchtrennte den Stiel der Lanze und sprang auf die Beine. Die klaffende Wunde auf der Brust hatte sich geschlossen, das Blut des Toten Landes hatte seine Wirkung getan.

Er schleuderte den Dolch gegen Kamdra und traf sie in die linke Schulter. Mit drei schnellen Schritten kam er neben Flagur zum Stehen. Dann zog er eines der Schwerter aus der Halterung und reckte es gegen ihn. Der Fürst schlug mit dem Kurzschwert nach ihm, und zum Beweis der unbeschränkten Überlegenheit ließ sich Gronsha in den Unterarm treffen.

Der Schnitt war tief und schmerzhaft, sehr schmerzhaft, aber er verheilte vor den Augen Flagurs. Das hatte Gronsha gewollt.

»Sieh, was ich vermag!« Grunzend wandte er sich an Kamdra. »Na, was ist? Zieh meinen Dolch aus der Schulter und mach es mir nach, wenn du kannst.«

Flagur rollte sich über die Schulter von den Teppichen neben die Wandhalterung und wählte einen Morgenstern, den er zusätzlich zum Kurzschwert führte. »Es hat ein kleines Geheimnis«, knurrte er begeistert, und die rosafarbenen Augen blitzten. »Du bist nicht etwa unsterblich, oder?«

»Doch«, quiekte Gronsha vor Aufregung zu hoch und zu laut. Ein, zwei Streiche, und er hätte sich selbst zum Fürsten gemacht. »Im Gegensatz zu dir!«

Sein Gegner lächelte wie ein Raubtier. »Lass es uns herausfinden.«

Er griff Flagur an, der zur Seite auswich und ihn mit dem Morgenstern in den Rücken schlagen wollte. Gronsha hatte die Bewegung vermutet, tauchte darunter hinweg und rammte seinem Gegner das Schwert bis zum Heft in den Bauch. »Stirb!«, juchzte er. »Ich bin der neue Herrscher!«

Die Freude erstarb abrupt, als Flagur die Waffen fallen ließ und Kehle des Gegners mit beiden Händen umfasste. Er hob ihn langsam an den ausgestreckten Armen in die Höhe, bis unters Zeltdach. An dem Schwert in seinem Leib störte er sich nicht.

Gronsha trat gegen den Griff. Sein Feind hätte eigentlich vor Schmerzen schreien müssen, aber dieser zuckte nicht einmal.

»Lasst uns verhandeln, Erlaucht«, röchelte er in Todesfurcht und sah davon ab, sich aus eigener Kraft aus dem Schraubstock befreien zu wollen. Er fummelte seine Trinkflasche vom Gürtel ab. »Fürst, darin steckt mein Geheimnis. Die Schwarze Unsterblichkeit!«

Die Finger pressten weiter zu, seine Wirbel knirschten aufbegehrend.

Gronsha warf die Flasche zu Boden. »Bei der Dunkelheit Tions, nehmt es! Nehmt es, aber lasst mich am Leben!«, fistelte er. »Ich möchte ein …« Seine Stimme versagte, sie bekam nicht mehr genügend Luft.

Plötzlich brach sein Genick unter dem enormen Druck. Das untote Leben von Gronsha, dem letzten Späher des Vorauskommandos von Fürst Ushnotz, verging in den starken Händen Flagurs.

Achtlos warf der Fürst den Kadaver auf den Boden. »Kamdra, hole den Heiler und den Runenmeister«, sagte er mit fester Stimme und setzte sich vorsichtig, darauf bedacht, dass das Schwert sich nicht in die Kissen hinter ihm bohrte und sich verfing. Erst jetzt erlaubte er sich, Schwäche zu zeigen, und verzog das Gesicht. Die Lust am Töten und am Kampf erlosch.

»Was ist mit ihm, Erlaucht?«, wollte Kamdra wissen und zeigte auf den Leichnam.

Flagur nahm sein Kurzschwert vorsichtig auf, schnitt sich einen Streifen Fleisch vom Unterschenkel des endgültig gestorbenen Gronsha und schwenkte es in einer Schüssel Wasser, um es vom Schmutz zu reinigen. Danach steckte er es sich in den Mund und kaute. Das Aroma war einzigartig. »Es schmeckt ausgezeichnet«, befand er und lud sie ein, sich ebenfalls vom Fleisch zu nehmen.

Kamdra kostete, und ihre Augen weiteten sich. »Das hätte ich niemals vermutet. Er stank derart, dass ich glaubte, wir müssten sein Fleisch sieben Monde wässern.« Sie eilte mit einer Verbeugung hinaus, um den Runenmeister und den Heiler zu ihrem Fürsten zu bringen.

»Warte«, rief er sie zurück. »Sende den Ubariu eine Nachricht, dass wir Neuigkeiten haben. Sie werden darauf brennen, von den Vorgängen im Geborgenen Land zu erfahren.« Sie nickte und ging.

Flagur konnte sich nicht beherrschen und aß einen weiteren Streifen von der selbst erlegten Köstlichkeit. Bei einer solchen Beute wurde das Geborgene Land für ihn und seine Gefolgschaft durchaus anziehend.

Er streckte die Hand nach der Trinkflasche aus, öffnete sie und roch daran. Es stank schrecklich, stach durch die Nase bis hinter die Augen. Angewidert leerte er den Inhalt in den Abfalleimer und warf das Behältnis gleich hinterher.

Das Schwert in seinem Bauch bereitete ihm grässliche Qualen, doch er würde es überstehen. Er vertraute auf den Beistand seines Gottes Ubar, den Schöpfer seines Volkes.

Die Welt verschwamm allmählich um ihn herum. Seine rosafarbenen Augen glitten zum Zelteingang, durch die mehrere dunkle Schemen traten und sich ihm näherten. Eine Stimme raunte in sein Ohr: »Erlaucht, wir beginnen. Seid stark, und möge Ubar Euch beistehen.«

»Er wird es«, presste Flagur halb ohnmächtig hervor und spannte die Muskeln an. »Macht schnell.«

I

Das Geborgene Land,

im Grauen Gebirge an der Südgrenze

des Reichs der Fünften,

6241. Sonnenzyklus, Frühling

Als ich das letzte Mal hier war, lag alles in Trümmern, Spitzohr. Aber das … das hätte ich niemals vermutet.« Tungdil Goldhand tätschelte das graue Pony, zu dem er gesprochen hatte. Staunend ritt er die letzte Serpentine des Weges entlang, hielt an und legte den Kopf in den Nacken, um hinauf zur Spitze des fünfeckigen Turmes zu sehen, der sich imposant und uneinnehmbar neben dem Gebirgspfad in den Himmel reckte. »Nicht nach nur fünf Sonnenzyklen.« Er nutzte die kurze Rast, um den beinahe leeren Trinkschlauch an die Lippen zu setzen und den letzten Rest Branntwein seine Kehle hinabrinnen zu lassen. Der Alkohol brannte auf seinen rissigen Lippen.

An dem Bauwerk vorbei, das selbst einen Oger hätte klein wirken lassen, gelangte er auf das Plateau vor dem Eingang in das Reich der Fünften, der Nachfahren Giselbart Eisenauges.

Es kam ihm wie gestern vor, als er zusammen mit seinem Freund Boïndil und seiner heutigen Gefährtin Balyndis an der Spitze von zwanzig Kriegern die Erkundung übernommen hatte. Damals waren sie durch ein Trümmerfeld mit alten Ruinen und bemoosten Steinen gelaufen. Das Meiste, was die Fünften einst an Befestigungen geschaffen hatten, war zerstört gewesen.

An diesem Tag bot sich ihm ein gänzlich anderer Anblick, welcher das Herz eines jeden Kinds des Schmiedes vor Stolz zum Glühen brachte.

An der Stelle, die er nun auf seinem Pony passierte, hatte sich das Loch befunden, in dem sie Teile von Ushnotzs Orkheer ersäuft hatten. Nun war es verfüllt und mit Platten aus schwarzem Marmor abgedeckt worden; Inschriften aus Gold und Vraccasium erinnerten an den glorreichen Kampf und ehrten die gefallenen Zwerge. Ein jeder von ihnen war zum Held geworden und lebte in den Liedern über diese Schlacht fort.

Es gab nicht den leisesten Hinweis auf die verwitterten Ruinen, durch die Tungdil sich einst gepirscht hatte. Jeder der alten Steine war abgeräumt und an einen neuen Platz gesetzt worden. Quader aus hellem Granit und dunklem Basalt fügten sich zu einer zwanzig Schritt hohen, fugenlosen Ringmauer, die wie ein schützender Arm gestaltet war, der sich vor den eigentlichen Durchlass legte.

Drei Türme aus schwarzem Basalt erhoben sich daraus, von deren Plattformen aus die Zwerge über den geschwungenen Steilweg und bestimmt mehr als einhundert Meilen weit in das Königreich Gauragar blickten. Das Banner der Fünften – eine geschlossene Kette aus Vraccasium als Zeichen für die Goldschmiede und die Einigkeit des Stammes – wehte an den Fahnenmasten und verkündete weithin, wer die Wacht hielt.

Tungdil spürte, dass Feuchtigkeit sein Gesicht benetzte. Er drehte den Kopf und schaute zu dem nahen Wasserfall, der toste und donnerte wie vor fünf Zyklen. Die weißen Kaskaden mit ihren Wolken aus feinem Dunst schillerten und glänzten in der Frühlingssonne, als wären sie aus Kristall. Alles zusammen ergab einen überwältigenden Eindruck.

Spitzohr schnaubte, hielt vor dem Tor der einschüchternden und zugleich prachtvollen Festung an und suchte nach Gräsern, fand auf dem blanken Fels jedoch nichts, was ihm zusagte. Sein rechter Vorderhuf scharrte ungeduldig.

»Ich weiß, du bist hungrig. Wir werden sicher gleich eingelassen.« Tungdil erhielt vorerst keine weitere Gelegenheit mehr, die prachtvollen Bauten, die von der vollendeten Steinmetzkunst des Stammes der Zweiten zeugten, ausgiebiger zu betrachten.

Die Flügel des haushohen Portals öffneten sich gemächlich. Eisenplatten auf seiner Außenseite boten noch mehr Schutz vor Rammböcken und anderen Belagerungsmaschinen.

Aus dem Eingang schritt ein Zwerg, dessen Helm diamanten funkelte und blitzte. Tungdil wusste, wer einen solchen aufwändigen Kopfschutz trug. Großkönig Gandogar Silberbart aus dem Clan der Silberbärte vom Stamm des Vierten höchstselbst empfing ihn und eilte ihm mit großen Schritten entgegen.

»Großkönig Gandogar«, grüßte ihn Tungdil. Er ließ sich auf ein Knie herab und langte nach der Axt Feuerklinge, um sie ihm entgegenzurecken und den Gruß der Zwerge zu entbieten. Es war die stumme Erneuerung des Schwurs, das eigene Leben für das Wohl der Zwerge und des Geborgenen Landes zu geben.

Gandogar verhinderte es mit einer raschen Geste. Stattdessen streckte er ihm die Hand entgegen. »Nein, Tungdil Goldhand, du sollst nicht vor mir knien. Schlag ein, und es ist gut. Du bist der größte Held unseres Volkes. Deine Verdienste sind unermesslich. Ich sollte mich …«

Tungdil erhob sich, ergriff die ihm dargebotene Hand und unterbrach so den Lobgesang des Großkönigs. Sein von Rostflecken übersätes Kettenhemd knirschte bei der Bewegung.

Gandogar verbarg seinen Schrecken, so gut es ging. Tungdil sah alt aus, älter als er in Wirklichkeit war. Die braunen Augen schauten stumpf umher, als habe die Einfalt hinter ihnen Einzug gehalten. Sein Gesicht wirkte aufgedunsen, der braune Bart und die Haare hingen ungepflegt, teilweise verfilzt herab. Es konnte nicht ausschließlich von der langen Reise herrühren. »Ich sollte mich vor dir verbeugen«, führte er seinen Satz zu Ende.

»Lobe mich nicht zu sehr«, lächelte Tungdil. »Du machst mich verlegen.« Sie schüttelten sich die Hände. Aus den Rivalen von einst waren Vertraute geworden.

»Gehen wir hinein, damit du mit deinen eigenen Augen sehen kannst, was die Besten aus den Stämmen der Ersten, Zweiten und Vierten geleistet haben.« Gandogar hoffte, dass er sein Entsetzen nicht zu offensichtlich gezeigt hatte, und deutete einladend auf den Durchgang. »Nach dir, Tungdil.«

»Was ist mit den Dritten, Großkönig? Was ist deren Beitrag?«, fragte Tungdil, während er die Zügel seines Ponys nahm und es hinter sich her führte.

»Außer deinem, der dies alles erst ermöglichte?«, gab Gandogar zurück. Es fiel ihm nicht leicht, in dem verwahrlosten Tungdil den Zwerg von vor fünf Zyklen zu sehen. Wenn ein Kind des Schmieds sein Kettenhemd rosten ließ, war das ein übles Zeichen. Nun, es würde sich gewiss eine Gelegenheit ergeben, ihn darauf anzusprechen. Doch nicht jetzt. Er nahm den Helm ab, unter dem sein langes, dunkelbraunes Haar zum Vorschein kam. »Die Dritten tun, was sie am besten können: Sie bilden uns im Kämpfen aus. Und sie sind unglaublich gut darin.« Er lächelte. »Komm. Wir haben eine Überraschung für dich.«

Sie schritten durch das Tor.

Auf der anderen Seite erwartete Tungdil ein bewegender Empfang. Zwerginnen und Zwerge jeden Alters säumten den Weg bis zum Eingang in den Berg. Er blickte in fröhliche, lachende Gesichter. Sie freuten sich über seinen Besuch, bejubelten ihn, klatschten. Musikanten standen verteilt auf dem Pfad, auf den Türmen und Mauern. Ihm zu Ehren ertönten Krummhörner und Flöten, den Takt zu der Weise schlugen Zwerge gegen ihre Schilde. Es herrschte eine unfassbare Begeisterung, die einzig ihm galt und ihn wie flüssiges Gold umschmeichelte.

»Es hat sich schnell herumgesprochen, dass du uns besuchst«, meinte Gandogar grinsend. Er freute sich über die gelungene Überrumpelung. »Sie hatten Sehnsucht nach dem größten Helden des Zwergenvolkes.«

»Bei Vraccas!« Tungdil spürte die Rührung als Trockenheit und leichten Druck in seiner Kehle. »Man könnte meinen, ich kehrte aus einer siegreichen Schlacht zurück.« Seine Augen schweiften über die freudigen Gesichter der Männer, Frauen und Kinder, die es sich nicht hatten nehmen lassen, ihm ein herzliches Willkommen zu bereiten. Und das, obwohl er fünf Zyklen abgeschieden im Stollen seines Ziehvaters gelebt hatte. Andererseits bedeuteten fünf Zyklen für einen Zwerg nicht die Welt.

Er winkte ihnen zu, während er an der Seite des Großkönigs durch das Spalier schritt. »Danke«, rief er froh. »Danke euch allen!«

Der Beifall schwoll an, sie riefen seinen Namen.

Dabei hätte es leicht zu einem Spießrutenlauf werden können. Denn seine Gemahlin Balyndis war einst die Gattin Glaïmbar Scharfklinges aus dem Clan der Eisendrücker vom Stamm Borengars gewesen. Und dieser war nunmehr kein Geringerer als König der Fünften.

Ihm zu begegnen, stellte die größte Herausforderung seines Besuchs dar. Die Bewohner des Grauen Gebirges sahen es ihm offenkundig nach, dass er und Balyndis zusammengefunden hatten, aber mussten es gleich dermaßen viele sein? Er lächelte ihnen tapfer zu und atmete auf, als sie in den riesigen Gang eintraten, der ins Innere des Massivs führte.

Gandogar blieb am Eingang stehen; er bemerkte, dass Tungdils Freude inmitten des heiteren Trubels nicht ungetrübt war. »Wie fühlst du dich?«

Der Zwerg antwortete nicht sofort. »Seltsam. Einerseits singt mein Herz wie klingendes Eisen auf dem Amboss unter dem Hammer eines Schmieds. Andererseits …« Er brach ab, schwieg nachdenklich und räusperte sich. »Ich schätze, ich bin es nicht mehr gewohnt, so viele Zwerge um mich zu haben, Gandogar.« Er lächelte entschuldigend, hob die Hand und winkte. »Gewöhnlich ist es nur eine Zwergin.«

»Ich verstehe dich. Zum Teil«, räumte Gandogar ein. »Wie du abseits jeglicher Gemeinschaft leben kannst, ist mir ein Rätsel. Viele fremde Gesichter um sich zu haben, kann einem schon Angst machen.« Er zwinkerte. »Ich weiß, wovon ich spreche. Der Clan meiner Gemahlin ist riesig. Ich fürchte mich vor ihren Familienfeiern.«

Tungdil lachte. Währenddessen nahm einer der Zwerge die Zügel seines getreuen Ponys entgegen und versprach die sorgfältigste Pflege. Tungdil und der Großkönig gingen weiter durch die Korridore, Gänge und Kammern; die Musik und die Rufe der Zwergenmenge wurden leise und leiser.

Tungil erinnerte sich … Hier hatten er und seine Freunde damals nichts als Staub und Unrat vorgefunden. Nach der Vernichtung des Stammes der Fünften hatten die Scheusale des Gottes Tion hunderte von Sonnenzyklen in den Bergen geherrscht.

Damit war es nun vorbei. Die Abordnung aus allen Zwergenstämmen war eingetroffen und hatte nach dem Sieg neues Leben gebracht. Das Graue Gebirge pulsierte, Tungdil hörte das helle Lachen von Kinderstimmen. Der Klang schmerzte ihn.

»Wir haben uns nicht darauf beschränkt, die Schäden am Gestein und in den unzähligen Kammern auszubessern«, hörte er eine männliche Stimme aus einem Nebengang. Ein Zwerg trat samt seinem Gefolge heraus. »Wir haben neue Hallen geschaffen. Neue Hallen für den Nachwuchs, der hier das Licht der aufgehenden Sonne über der Drachenzunge, der Großen Klinge und den anderen Gipfeln erblickt.«

Tungdil wusste die eindrucksvolle Erscheinung und die Stimme sofort einzuordnen; er hatte sich gewünscht, erst später auf den Zwerg zu treffen. »Ich grüße dich, König Glaïmbar Scharfklinge«, sagte er und verbeugte sich leicht. Überrascht stellte er fest, dass hinter dem Herrscher eine Zwergin in einem bestickten braunen Gewand stand, die ein Neugeborenes auf dem Arm hielt. »Darf ich dir zu deinem Spross gratulieren?«

Glaïmbar, größer und kräftiger gewachsen als Gandogar, strich sich über den dichten schwarzen Bart. »Meinen Dank, Tungdil Goldhand, und willkommen in meinem Königreich.« Er deutete auf das Kind. »Das sind die wahren Fünften. Wir anderen achten darauf, dass ihnen niemand ihr Reich streitig macht, bis sie es selbst verteidigen können.« Er streckte die Hand aus; die Metallplättchen seiner aufwändigen Rüstung rieben aneinander. »Ich sehe die Sorge in deinem Gesicht, Tungdil. Es sei vergessen, was in der Vergangenheit geschah. Mein Herz hat eine andere gefunden, und ich hege keinen Groll. Weder gegen dich noch gegen Balyndis. Richte es ihr aus, sobald du zu ihr zurückkehrst.«

Trotz der zahlreichen Abenteuer, die er in seinem kurzen Leben bestritten hatte, und der vielen glücklichen Ausgänge aus gefährlichen Lagen hatte sich Tungdil selten so erleichtert gefühlt wie jetzt. Er umfasste die Finger des Königs mit beiden Händen und schüttelte sie wild, dass Gandogar ihn bremsen musste. »Halt, halt, mein Freund. Glaïmbar benötigt seinen Arm noch«, lachte er gutmütig. Er wusste um die Vorgeschichte der beiden.

Ein rascher Blick in Glaïmbars Gesicht zeigte Gandogar, dass der König der Fünften sich ebenfalls über den ungepflegten Tungdil wunderte. So sah kein Held aus. Auch wenn er lange zurückgezogen gelebt hatte.

»Leider brauche ich meine Arme nicht mehr zum Kämpfen«, setzte Glaïmbar nach einigen Augenblicken des Schweigens hinzu. »Es ist ruhig geworden am Nordpass.«

»Sei froh, König Glaïmbar«, sagte Tungdil. Er fühlte sich wie von tonnenschweren Bleigewichten erlöst. Nach dem mehr als freundlichen Empfang die verzeihenden Worte des einstigen Rivalen zu vernehmen, befreite ihn zumindest von zwei seiner Sorgen. Dennoch mahnte er sich, nicht zu vertrauensselig zu sein. Ohne entsprechende Taten, welche die Worte der Versöhnung belegten, würde er vorerst wachsam bleiben. »Deine Arme werden sicherlich bald müde vom Kinderschaukeln.«

»Kommt. Ich führe euch herum und zeige euch die Schönheiten eines erblühenden Zwergenreiches.« Gandogar, Glaïmbar und Tungdil schritten nebeneinander her und erkundeten die Feste.

Ein jeder Stamm hatte sich durch seine vollendete Handwerkskunst verewigt. Die Steinmetzen der Zweiten lieferten makellose Ausbesserungsarbeiten und gruben neue Unterkünfte, Säle, Säulen, Brücken und Treppen aus dem Stein, die von solcher Genauigkeit waren, dass man nur staunen konnte.

Die Schmiede der Ersten krönten die Arbeiten mit Verstrebungen, Schmuckgittern, Gattern und Möbelstücken, Leuchtern und anderen Dingen, die aus Metall jeglicher Art bestanden.

Die Vierten erhoben die Kunst der anderen zur Vollendung, indem sie Edelsteine und Gemmen schliffen, die allerorten für das rechte Funkeln sorgten.

Zusammen mit den meisterhaften Wandbildern aus Gold, Vraccasium und anderen Edelmetallen des vernichteten Stammes der Fünften schufen die neuen Bewohner das mit Abstand prachtvollste aller Zwergenreiche. Es vereinte das Beste von allen in sich.

Glaïmbar labte sich an dem Staunen in den großen Augen seiner hochrangigen Gäste. »Ihr seht, das ganze Graue Gebirge ist zu einem einzigen Hort geworden. Und die außergewöhnlichen Krieger vom Stamm der Dritten lehren uns neue Kampfweisen, um unseren Reichtum und das Geborgene Land zu schützen«, schloss er ihren Rundgang ab und geleitete sie in die Versammlungshalle.

Tungdil erinnerte sich sehr genau an den ungewöhnlichen Raum, der ähnlich einem Theater aufgebaut war. Er besaß eine kreisrunde Grundfläche, die zwanzig Schritt im Durchmesser maß. Die Wände stiegen einen Schritt senkrecht nach oben an und verliefen dann im rechten Winkel etwa vier Schritte nach hinten, woraus sich ein breiter Sims ergab, ehe die Wände erneut senkrecht aufragten.

Hier hatte er Glaïmbar zum König vorgeschlagen. Hier hatte er seine Ansprüche aufgegeben. Wie wäre es gekommen, wenn ich König der Fünften geworden wäre?, fragte er sich, während er die leeren Ränge betrachtete. Besser oder schlechter?

Heute gab es keine Abstimmung. Stattdessen warteten die Clananführer auf sie, um gemeinsam mit ihnen zu speisen. Sie saßen an einer langen Tafel im Mittelpunkt der untersten Ebene, auf der sich die Köstlichkeiten nach Rezepten aus allen Zwergenreichen türmten.

Als die drei eintraten, verstummten die leisen Unterhaltungen, und die Anwesenden erhoben sich alle von ihren Stühlen. Die Knie wurden gebeugt, Waffen gezogen und empor gehalten, Häupter gesenkt. Es war das stumme Versprechen, Leib und Leben für den Großkönig zu geben.

»Erhebt euch und esst«, sagte Gandogar und ging zu seinem Platz am oberen Ende der langen Tafel. »Wir werden es uns schmecken lassen. Die Wanderung hat mich hungrig und sehr durstig gemacht. Wir reden später.« Tungdil setzte sich zu seiner Linken, Glaïmbar zu seiner Rechten. Das Mahl begann, Musikanten spielten dazu auf.

Tungdil freute sich und nahm sich von den Leckereien, die seinem Gaumen entgegenkamen: würziges Wurzelgelee, Ziegenfleisch, Kimpa-Pilze, Sauerkäse mit Kräutern und dampfende Klöße aus dem Mehl von Steinknollen. Das Mahl bedeutete eine außergewöhnliche Abwechslung zu seinem Essen im Stollen, denn zum einen beherrschten weder er noch Balyndis die hohe Kochkunst; zum anderen mochte er das Menschenessen, sie dagegen liebte es traditioneller. Die Kompromisse schmeckten meistens mäßig.

Er wischte sich die Finger am dreckigen Bart ab. In seiner Begeisterung für den Schmaus bemerkte er die entsetzten Mienen der Clanführer nicht. Sein heruntergekommener Anblick traf sie schwer.

Gandogar reichte ihm einen Krug Bier. »Koste es. So etwas hast du bei dir nicht, oder?«

Es war sicher nicht unfreundlich gemeint gewesen, aber es traf die dünne Stelle in Tungdils Gemütspanzer. Seine Miene verschloss sich. »Ich bin zufrieden mit dem, was ich bekomme.« Er nahm sich vom Braten, schlug die Zähne ins Ziegenfleisch; die braunrötliche Soße rann ihm blutgleich in die langen, verfilzten Gesichtshaare. Sein unwirsches Verhalten strafte seine Worte Lügen.

»Habt ihr schon Nachwuchs?«, erkundigte sich Glaïmbar, ohne zu ahnen, dass er die nächste Kerbe traf. »Wer weiß, wann wir die nächsten Helden benötigen, und wenn es eure Kinder …«

Tungdil warf das Stück Fleisch kraftvoll zurück auf den Teller, wischte sich den Mund mit dem Ärmel des Kettenhemdes ab und stürzte sein Bier hinunter. Gleich darauf winkte er einen Zwerg herbei, damit dieser ihm nachschenkte. »Wenn es recht ist, erzähle mir, weshalb du mich hast rufen lassen, Großkönig Gandogar«, sagte er und wechselte damit den Gegenstand der Unterhaltung so nachdrücklich, dass es selbst der Begriffsstutzigste verstand.

Glaïmbar und der Großkönig wechselten rasche Blicke. »Wie ich vorhin schon erwähnte, ist es sehr ruhig hier geworden, Tungdil«, sagte der König und aß weiter. »Das macht mich stutzig.«

»Zu Recht«, fügte Gandogar an. »Wir haben im Braunen Gebirge seit einem Sonnenzyklus einen regen Ansturm von Orks, die mit aller Macht über die Pässe drängen, als sei die Macht des Guten hinter ihnen her.« Er bekam die Süßspeise gereicht. »Aber am Steinernen Torweg ist es still wie in einer Grabkammer.«

»Wir könnten die Tore seit vier Zyklen offen stehen lassen, es würde nichts geschehen«, setzte Glaïmbar hinzu.

Tungdil erkannte die Nachspeise sogleich und orderte sie für sich selbst. Es war eine süße, helle Creme, wie er sie bei den Freien in der Stadt Goldhort gegessen hatte. Im Haus der Zwergin Myr, die Verrat begangen und mit dem Leben bezahlt hatte. Die er geliebt hatte.

Die Wahl war ein Fehler gewesen. Der erste Löffel brachte die Erinnerung zurück, die bitter schmeckte und ihm den Genuss auf der Zunge verdarb. Wieder langte er nach dem Bier.

»Das ist in der Tat ungewöhnlich«, raunte er mehr, als dass er sprach. Er hüstelte und würgte die Bilder aus der Vergangenheit hinunter. Man benötigte viel Bier, um solche Bilder zu schlucken, und noch mehr, um sie am Aufsteigen zu hindern. »Habt ihr Späher ausgesandt?«

»Nein«, antwortete Glaïmbar. »Wir wollten keine schlafenden Oger wecken, solange wir die Befestigungsanlagen hier und auf der anderen Seite nicht instand gesetzt und weiter ausgebaut haben.«

»Deswegen bist du hier. Wir dachten an eine kleine Einheit und an dich, Tungdil Goldhand«, übernahm Gandogar. »Du warst schon einmal im Jenseitigen Land, wie mir berichtet wurde.« Seine Hand deutete auf die Axt des Helden, die neben dem Stuhl ruhte. »Du besitzt die Feuerklinge, die alles bezwingt, was dir begegnen könnte. Du bist der beste Anführer für ein solches Unterfangen.«

Tungdil schob die gefüllten Teller von sich und begehrte einen dritten Humpen Bier. Er war dazu übergegangen, seinen Hunger mit Gerstensaft zu stillen. Wie so oft in den vergangenen Zyklen. »Ja, Großkönig, ich war schon im Jenseitigen Land. Ungefähr einen Sonnenumlauf lang. Es war neblig, ich habe drei Krieger gegen Orks verloren, und in einer Höhle habe ich eine Rune entdeckt, die ich nicht entziffern konnte. Den Ausflug war es nicht wert.« Er stürzte das Bier hinab, setzte den Humpen ab und rülpste unterdrückt. »Du musst zugeben, meine Erfahrung ist nicht sehr groß.«

»Nichtsdestotrotz benötigen wir Gewissheit, was dort vor sich geht.« Der Großkönig klang nicht danach, als akzeptierte er eine Ablehnung, nicht einmal eine angedeutete. »Ich möchte, dass du morgen zum Steinernen Torweg aufbrichst und eine Gruppe der besten Krieger ins Jenseitige Land führst, um nach dem Rechten zu schauen.«

Tungdil hatte den vierten Humpen zum Mund geführt, senkte ihn aber wieder. »Es ist neblig, Großkönig. Du kennst Nebel. Wie viele Arten von Grau soll ich dir beschreiben, wenn ich zurückkehre?«

»Warte es ab, Tungdil Goldhand.« Glaïmbar verzehrte seine Nachspeise betont langsam. »Du wirst dich vielleicht beim Großkönig entschuldigen müssen, weil es dort vor Ungeheuern wimmelt, die sich zusammenrotten.«

Tungdil widmete sich wieder seinem Bier und betrachtete dann Glaïmbar. Er wollte ihn also ins Jenseitige Land schicken. Vielleicht war es mit der Versöhnung doch nicht so weit her, wie er vorhin getan hatte? Wegen seiner misstrauischen Gedanken schalt er sich selbst einen Gnom.

Mit einem Fluch setzte er das Bier ab. »Verzeih mir meinen ungebührlichen Ton, Großkönig Gandogar«, sagte er milder und leise. »Selbstverständlich gehe ich zum Nordpass.« An Glaïmbar gewandt: »Es würde mich sogar freuen, auf Tions Geschöpfe zu stoßen. Wenn ich im Kampf den Tod finden sollte, ist es mir auch Recht! Denn …« Er presste die Lippen aufeinander. »Entschuldigt,