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Einsatz gegen Wolfsjäger – Erfolgsautor Christopher Ross mit einem ganz neuen Thema voller Geheimnisse und Spannung Die junge Journalistin Ella Moore bekommt den Auftrag, über den Great Bear Rainforest an der Westküste Kanadas zu berichten. Von der Aufgabe, aber auch von ihrem Begleiter, Fotograf Chris Bailey, ist sie nicht sehr angetan. Vor Ort lernen die beiden die geheimnisvollen Küstenwölfe kennen, die auch bei einigen Wolfsjägern sehr beliebt scheinen. Tierschützer und Einheimische versuchen zwar, sich ihnen in den Weg zu stellen, aber erst mit Ellas und Chris' Hilfe, gelingt es, die Jäger aufzuhalten. Denn je näher sich die beiden Reporter kommen, desto mehr bemerken sie, wie gut sie als Team funktionieren ... Eine Liebesgeschichte, so lebendig wie die felsigen Strände und dichten Wälder Kanadas!
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Seitenzahl: 283
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Die junge Journalistin Ella Moore bekommt den Auftrag, über den Great Bear Rainforest an der Westküste Kanadas zu berichten. Von der Aufgabe, aber auch von ihrem Begleiter, Fotograf Chris Bailey, ist sie nicht sehr angetan. Vor Ort lernen die beiden die geheimnisvollen Küstenwölfe kennen, die auch bei einigen Wolfsjägern sehr beliebt scheinen. Tierschützer und Einheimische versuchen zwar, sich ihnen in den Weg zu stellen, aber erst mit Ellas und Chris‘ Hilfe, gelingt es, die Jäger aufzuhalten. Denn je näher sich die beiden Reporter kommen, desto mehr bemerken sie, wie gut sie als Team funktionieren …
Eine Liebesgeschichte, so lebendig wie die felsigen Strände und dichten Wälder Kanadas!
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Der Wolf trat zwischen den Bäumen hervor und blickte in den regnerischen Dunst über der Flussmündung. Sein Fell war so schwarz wie das Gefieder des Raben, der ihn bis zum Waldrand begleitet hatte, seine gelben Augen leuchteten in der einsetzenden Dämmerung. Seine Muskeln waren angespannt, wie immer, wenn er eine neue Witterung aufnahm und auf leichte Beute hoffte.
Er war schon seit einigen Wochen allein, denn er war zur Küste gewandert, um eine Partnerin zu finden und ein Rudel zu gründen. Auf dem Land hatte er die salzhaltige Meeresluft vermisst. Der Wolf hatte lange an der Küste gelebt und sein Rudel erst verlassen, als er den Drang verspürt hatte, loszuziehen und eine eigene Familie zu gründen. Noch hatte er keine Partnerin für sich gefunden, doch er würde nicht aufgeben und weiter die gesamte Küste nach ihr absuchen. Irgendwo zwischen den rauen Felsen würde sie auf ihn warten.
Allein war es nicht einfach, genug Nahrung zum Überleben zu finden. Nur in einem Rudel war selbst ein kräftiger Wolf wie er stark genug, Rotwild oder einen jungen Elch zu reißen. Er war deshalb sehr hungrig. Während der letzten paar Tage war er gezwungen gewesen, sich von kleinen Tieren und Waldbeeren zu ernähren, nicht genug für einen großen Wolf, der ein erfolgreicher Jäger bleiben wollte. Unter seinem Fell musste sich ausreichend Fett angesammelt haben, sein grenzenloser Appetit musste gestillt sein.
Die Witterung, die ihm am Waldrand in die Nase gestiegen war, war vielversprechend. Er mochte die Nahrung, die aus dem Meer kam. Eine fette Robbe, vielleicht sogar ein Wal, der von der starken Strömung an Land gespült worden war. Er konnte die Beute noch nicht sehen, war aber sicher, dass der Wind ihren verlockenden Geruch von einer der vorgelagerten Inseln herübertrug. Nur mit dem ausgeprägten Geruchssinn eines Wolfs war es möglich, eine Beute auf diese Entfernung auszumachen. In seinem alten Rudel war er der beste Jäger gewesen.
Vorsichtig näherte er sich dem Ufer. Sein Hunger war groß, und er wollte sich am liebsten sofort auf den Weg zur Beute machen, aber etwas hielt ihn zurück, sofort loszuschwimmen. Ein Geräusch in weiter Ferne, eine fremdartige Witterung, der Wind, der aufgefrischt hatte und in heftigen Böen über das Meer trieb, ließen ihn zögern. Doch schließlich siegte der Hunger und er watete ins Wasser. Er musste seine ganze Kraft aufbringen, um sich durch Meer und Strömungen an die Küste der Insel zu kämpfen.
Die Beute lag nur ein paar Meter von ihm entfernt auf den Felsen. Eine Robbe, tödlich verletzt mit einer klaffenden Wunde auf dem Rücken, die nur darauf gewartet zu haben schien, ihm als Nahrung zu dienen. Ein Fang, den er normalerweise mit anderen Wölfen teilen musste, doch auf dieser kleinen Insel war er allein und die Robbe gehörte nur ihm.
Trotz seines Hungers trat er zaghaft an die Robbe heran. Dann stieß er gierig die Zähne ins Fleisch, genoss den blutigen Geschmack und hörte das Brummen eines Motors beinahe zu spät.
Mit einigen raschen Schritten versteckte er sich in den dunklen Schatten der Zedern nicht weit vom Ufer. Ein Fischerboot näherte sich von Norden. Der Wolf erspähte die Zweibeiner an Bord. Er wusste längst, welche Gefahr von ihnen ausging, und hörte ihre Stimmen, als sie an seinem Versteck vorbeifuhren.
Erst nachdem das Motorengeräusch verklungen war, wagte sich der Wolf aus seiner Deckung. Er blieb die ganze Nacht auf der Insel und genoss sein ausgiebiges Mahl. Endlich wurde er wieder richtig satt. Doch auf seinem Weg zurück zum Festland musterten seine Augen noch schärfer die Umgebung, und ein ungutes Gefühl überkam ihn.
Ella Moore wäre lieber an die Südsee geflogen und hätte sich auf irgendeiner einsamen Insel mit tropischen Drinks verwöhnen lassen. Stattdessen gab es Kaffee, Cola oder Wasser in der neuen Economy-Class von Western Airlines, und die Triple-Seven flog nicht nach Tahiti oder Boa-Boa, sondern einmal über L. A. Sie befand sich auf einem Rundflug, der die Medien für die umgestaltete Economy-Kabine der Airline begeistern sollte. Wie geschaffen für eine ehemalige Bloggerin und angehende Journalistin, glaubte ihre Chefredakteurin.
Zwei Sitze von ihr entfernt in der spärlich besetzen Boeing saß Timmy Baldwin, einer der älteren Fotografen von Blue Horizons. Er hatte seine beste Zeit längst hinter sich und bekam schon lange keine Doppelseiten mehr in dem Reisemagazin. Er war mit Aufträgen wie diesem zufrieden. Die üblichen Reportage-Fotos, gemütliches Beisammensein mit altgedienten Kollegen und danach gleich wieder nach Hause. Reportagen, die keine sonderlich umkämpften Jobs waren.
Ella verließ sich darauf, dass er durch seine Routine wusste, was zu tun war, und kümmerte sich vor allem um ihre Aufgaben. Kurze Interviews mit dem Piloten, einer Flugbegleiterin und dem Designer, der für den neuen Look der Economy-Class verantwortlich war. Seine Ideen waren nicht revolutionär, werteten die Holzklasse aber sichtlich auf. Die Sitze und der Teppich waren in pastellblauen Farben gehalten, die Polster waren bequemer als normale, es gab an jedem Sitz die Möglichkeit, seinen Laptop oder sein Handy anzuschließen, und einen modernen Kiosk, an dem man während des Fluges kleine Snacks kaufen konnte.
Der Flug selbst war eher langweilig. Sie drehten eine große Runde über dem Pazifik, bekamen den Smog über Los Angeles im orangefarbenen Licht der sinkenden Sonne zu sehen und steuerten nach ungefähr einer Stunde wieder den Flughafen an. Ein aufregendes Erlebnis für jemanden, der noch nie geflogen war, aber so ziemlich das Gegenteil von dem, was Ella sich von ihren Aufträgen für Blue Horizons erwartete. Als Reisebloggerin hatte sie mit einem mehrteiligen Erlebnisbericht über die historische Route 66 auf sich aufmerksam gemacht und war damit sogar ins Regionalfernsehen gekommen. In einem 57 Chevy war sie der alten Route von Chicago nach Los Angeles gefolgt und hatte auf sehr humorvolle Weise von den »schrägen Vögeln entlang der Straße« berichtet. Einem 95-jährigen Oldtimer, der an der Route 66 aufgewachsen war und noch immer von den alten Zeiten träumte, einem Sammler von alten Cadillacs, der gerade seinen hundertsten Wagen ersteigert hatte, der Tochter eines Rodeoreiters, die sich als eine der wenigen Frauen auf einen wilden Bullen wagte, und vielen weiteren interessanten Charakteren.
Melanie Hall, die Chefredakteurin von Blue Horizons, hatte sie nach ihrem Fernsehauftritt im Studio angerufen und ihr einen Job angeboten. »Bei uns erreichen Sie zehnmal so viele Leser wie als Bloggerin«, sagte sie, »und Sie bekommen ein Gehalt, das sich sehen lassen kann. Aber Sie müssen ranklotzen! Auf den üblichen Hochglanz-Journalismus der anderen Reisemagazine legen wir keinen Wert. Der bleibt sowieso nicht mehr lange. Das Internet ist voll von schönen Bildern. Wir wollen die Seele einer Destination einfangen. So wie Sie es mit Ihrer Route 66-Serie getan haben, nur noch eindringlicher. Trauen Sie sich das zu, Ella? Natürlich trauen Sie sich das zu, also los!«
Ein halbes Jahr war das her. Sie hatte über Monterey am Highway One und die Chinatown von San Francisco berichtet, hatte lästige Aufträge wie diesen erledigt, aber an die wirklich interessanten Themen hatte Melanie sie noch nicht herangelassen. »Haben Sie noch ein wenig Geduld«, hatte sie gesagt. »Wir alle mussten einmal klein anfangen. Oder meinen Sie, ich durfte in meinem ersten Jahr schon über die Wüsten in Australien oder die Eisbären in der Arktis berichten? Ich sag Ihnen Bescheid, wenn es dann so weit ist. Auch mit kleinen Reportagen kann man Eindruck schinden. Grooven Sie sich ein, Ella!«
Nachdem die Triple-Seven gelandet war, verabschiedete sich Timmy Baldwin von ihr. »Ich weiß gar nicht, warum ich so einen Scheiß noch mitmache«, sagte er. »Mit Hochzeitsfotos und Porträts würde ich wahrscheinlich genauso viel verdienen und hätte weniger Stress.« Er lachte. »Schreiben Sie was Anständiges, junge Frau! Melanie kann ziemlich ungemütlich werden, wenn Sie nicht das liefern, was Sie sich vorgestellt hat. Meine Fotos gehen heute noch raus. Und die Aufnahmen von Western Airlines maile ich auch gleich mit.«
Ella verdrehte die Augen, stieg in ihren Chevy und fuhr nach Hause. Sie wohnte in einem vierstöckigen Apartmenthaus in Canoga Park, einem Vorort von Los Angeles. Wie fast jeden Tag im Spätsommer war es warm und viel zu trocken im San Fernando Valley, und sie war froh, als sie endlich den kühlen Luftstrom ihrer Klimaanlage spürte. Mit einem Cappuccino aus der Kaffeemaschine, die sie von ihren Eltern zu Weihnachten bekommen hatte, und in Jogginghose und T-Shirt setzte sie sich an den Computer. Melanie hatte keinen Ablieferungstermin genannt, und sie hätte eigentlich noch einige Tage bis zum Redaktionsschluss der nächsten Ausgabe gehabt, wollte aber kein Risiko eingehen. Ihre Chefin mochte es überhaupt nicht, wenn man sich zu viel Zeit mit der Arbeit ließ.
Der Text war also reine Routine. Ein hübscher kleiner Kasten auf den Info-Seiten, mehr war für einen solchen Beitrag nicht drin. Keine Spur von »die Seele einer Destination einfangen«, nett verpackte Fakten, weiter nichts. Eigentlich war das ein Rückschlag, denn Monterey und Chinatown waren damals immerhin vier Seiten wert gewesen, und sie hatte dabei versucht, die begrenzten Möglichkeiten wenigstens für ihre Weiterbildung zu nutzen. Lob verteilte Melanie sehr selten, mehr als ein »Okay« oder »Passt so« waren bei ihr selten drin.
Ellas Cappuccino war noch warm, als sie den Artikel beendet hatte und noch einmal durchlas. Mit einem Seufzer hängte sie die Datei an eine E-Mail an und schickte sie Melanie. Noch so ein lahmer Auftrag und ich drehe durch, dachte sie.
Keine zehn Minuten später meldete sich ihr Handy mit diesem schrillen Klingelton, der sie selbst aus dem Tiefschlaf holte. Es war Melanie. Sie befürchtete schon, den Artikel noch mal umschreiben zu müssen, doch ihre Chefin sagte nur: »Hallo, Ella. Ich hab Ihren Artikel bekommen. Ist okay so.«
Im Hintergrund waren Stimmengewirr und das Klappern von Geschirr zu hören. »Kennen Sie das Nobu? Die Sushi-Bar am La Cienega Boulevard? Setzen Sie sich ins Auto und kommen Sie her!«
»Jetzt? Aber …«
»Nichts aber. Wir haben was Wichtiges zu besprechen.«
»Okay, ich bin schon unterwegs.«
Ella mochte Sushi, war aber erst einmal im Nobu gewesen. Sie hatte dort vor einigen Wochen ein Date gehabt, das aber gründlich in die Hose gegangen war. Der Typ hatte den ganzen Abend nur über Computerspiele und Superhelden gesprochen und sich kein bisschen für sie interessiert. Was ihn nicht daran gehindert hatte, sie vor ihrem Wagen zu bedrängen und anzuflehen, ihn zu sich nach Hause zu begleiten.
Sie steckte sicherheitshalber einen Ausdruck ihres Artikels in ihre Umhängetasche und fuhr nach West Hollywood. Über den Freeway kam sie schneller voran, als sie befürchtet hatte. So fuhr sie bereits eine halbe Stunde später auf den Parkplatz neben dem Restaurant. Ella hatte immer noch keine Ahnung, warum ihre Chefin sie in diese noble Sushi-Bar bestellt hatte, und bereits den ganzen Weg über die Gründe gegrübelt. Wenn Melanie ihr Missfallen über etwas äußern oder sie Ella kündigen wollte, hätte sie das doch eher in der Redaktion und nicht in einem solchen Restaurant getan. Und dass es etwas zu feiern gab, war für Ella kaum vorstellbar. Nicht bei einer Chefin wie Melanie, die sich zwar freundlich, aber meist auch knallhart gab. Nur ihre Top-Leute lud sie in Edellokale ein.
Melanie saß an einem Vierertisch gegenüber der Bar und hatte eine kleine Platte mit Nigiri vor sich stehen. Sie war um die Fünfzig, hatte zwei Botox-Behandlungen hinter sich, die sie etwas glatter, aber auch maskenhafter aussehen ließen, und trug beige weitgeschnittene Anzughosen und ein Top in dezentem Rosa. Ihre Jacke lag auf der Bank neben ihr.
»Ella!«, rief sie erfreut. »Setzen Sie sich und bestellen Sie! Der Toro ist heute wieder ausgezeichnet. Keine Bange, Essen und Getränke gehen auf mich! Sie sehen etwas blass aus.«
»Es geht mir gut«, murmelte Ella nicht ganz überzeugend. Was wollte Melanie bloß von ihr?
Sie bestellte ein kleines Sortiment Nigiri-Sushi und grünen Tee und blickte Melanie erwartungsvoll an. Nur mühsam unterdrückte sie ihre Aufregung. Melanie wartete, bis die Bedienung das Sushi gebracht hatte und lächelte verstohlen, als würde es ihr Spaß machen, Ella schmoren zu lassen.
»Sie denken sicher, ich bin unzufrieden mit Ihnen und wollte Ihnen den Kopf umdrehen, nicht wahr?«
»Nein … ich weiß nicht … wollen Sie?«
»Im Gegenteil, meine Liebe. Ich wollte Ihnen sagen, dass ich sehr zufrieden mit Ihnen bin. Die Reportagen über Monterey und Chinatown waren großartig und hatten auch online ein gutes Echo und den Kleinkram, wie heute, haben Sie ohne zu murren erledigt. Jedenfalls so, dass ich Ihr Murren nicht gehört habe.«
Und wie ich innerlich gemurrt habe, dachte Ella.
»Aber ich bin sicher, Sie haben mich während der letzten Wochen mehrmals verflucht, weil ich Ihnen keinen spannenden großen Auftrag gegeben habe. Und soll ich Ihnen was sagen, Ella? Ihre Geduld hat sich ausgezahlt. Sie haben einen guten Job gemacht und bewiesen, was in Ihnen steckt. Höchste Zeit, Ihnen mehr Verantwortung zu geben.« Sie tunkte ihren Nigiri in die Sojasoße und schien stolz auf ihre eigene Gönnerhaftigkeit zu sein. Ihr breites Lächeln war ungewohnt für Ella.
»Mögen Sie Wölfe?«, fragte Melanie zwinkernd.
Ella zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Wölfe?«
Die Frage kam unerwartet und sie musste einen Augenblick überlegen. »Ich mag Wildnis und Abenteuer, da gehören Wölfe dazu. Wölfe und Bären. Ja, ich mag Wölfe. Wenn ich ihnen nicht gerade in einem dunklen Wald begegne … wie Rotkäppchen.«
»Genau das könnte Ihnen bei Ihrem nächsten Auftrag passieren, also gewöhnen Sie sich besser an den Gedanken. Schon mal von den Küstenwölfen gehört?«
»Vage. Die fressen Robben und Muscheln, nicht wahr?«
»Eine ganz besondere Spezies, über die bisher kaum geschrieben wurde. Mystische Tiere, die in einer abgeschiedenen Welt leben und bisher relativ selten gesichtet wurden. Ich hab sechzehn Seiten eingeplant.«
Ella vergaß vor Überraschung zu essen. »Sie wollen mir die Aufmacherstory geben? Mich zu den Wölfen schicken?« Sie konnte es nicht fassen. »Das ist …«
»… ein großes Wagnis, ich weiß. Und ich bin bereit, es einzugehen. Es sei denn, Sie kriegen kalte Füße und wollen lieber hierbleiben.«
»Nein, nein!«, wandte Ella schnell ein. »Auf den Moment, einen solchen Auftrag zu bekommen, hab ich seit Jahren hingearbeitet. Die Route 66-Story war nicht übel, aber für einen Blog, das Publikum war viel kleiner. Eine Aufmacherstory für Blue Horizons ist was anderes. Ich werde Sie nicht enttäuschen, Chefin.«
»Das weiß ich, sonst hätte ich Sie nicht ein Jahr lang mit kleinen Storys und Info-Kästen gefüttert. Mein Mann ist ein großer Football-Fan. Der sagt immer, die besten Talente taugen nichts, wenn man sie nicht behutsam aufbaut und erst dann in den wichtigen Spielen einsetzt.« Sie deutete auf das Sushi. »Und jetzt will ich Sie nicht länger vom Essen abhalten. Probieren Sie endlich den Toro!«
Ella griff nach dem Nigiri, tunkte ihn mit der Fischseite in die Sojasoße und kaute genüsslich. Der Fisch war so zart, dass er auf der Zunge schmolz. »Sie haben recht, so was Gutes hab ich schon lange nicht mehr gegessen.«
»Sobald Chris hier ist, bekommen Sie alle Details«, sagte Melanie zufrieden.
»Chris Bailey?«
»Ganz recht, einer unserer Top-Fotografen. Er war gerade vier Wochen in Afrika und hat einige Erfahrung mit Wildtieren. Was er in der Massai Mara und in Südafrika und Namibia fotografiert hat, ist jedenfalls preisverdächtig.«
»Arbeitet der nicht sonst lieber allein?«
»Sicher, aber ich will keine Fotostory. Drei oder vier Doppelseiten mit Fotos, klar, aber der Text sollte ebenso gut sein, und Schreiben ist nicht seine Stärke. Ich will, dass wir auf dem Niveau von National Geographic sind, und dafür sind Sie genau die Richtige. Zeigen Sie, was Sie können, Ella! Sie haben es drauf.«
Die junge Journalistin bekam es fast ein wenig mit der Angst zu tun. Sosehr sie sich über die mangelnden Herausforderungen während der letzten Monate geärgert hatte, so verwundert war sie über das plötzliche Vertrauen ihrer Chefin. Eine Titelgeschichte war sensationell, davon hatte sie nicht einmal zu träumen gewagt. Damit konnte man eine erfolgreiche Karriere begründen … oder grandios scheitern.
Sie versuchte, einen selbstbewussten Eindruck zu vermitteln und genoss ihr Sushi, das so gut schmeckte, dass sie am liebsten noch etwas nachbestellt hätte. Melanie schien ihre Gedanken zu lesen und sagte: »Ich bestelle uns noch ein wenig Nachschub. Es schmeckt heute wirklich außergewöhnlich gut!«
Während Melanie bestellte, trat ein junger Mann an ihren Tisch. Er war etwas älter als Ella, drei oder vier Jahre, schätzte sie, und machte einen sehr selbstsicheren Eindruck. Er sah gut aus, das musste sie sich eingestehen. Seine Gesichtszüge waren sehr ausgeprägt, etwas zu kantig vielleicht, aber das machten seine tiefbraunen Augen wett. Hundeaugen, hätte Ellas Freundin Megan gesagt und dabei anzüglich gegrinst. Er war schlank und durchtrainiert und trug Khakihosen und ein schwarzes T-Shirt ohne Aufdruck. Melanie begrüßte er mit einem Wangenkuss, Ella nickte er zurückhaltend zu. »Chris Bailey.«
»Ella Moore«, erwiderte sie. Als sich ihre Blicke trafen, errötete sie zu ihrer Bestürzung und schob es auf den eindrucksvollen Ruf des Fotografen. »Freut mich sehr. Ich hab mir Ihre Fotostory über die Südsee angesehen. Hat mir sehr gefallen.«
»Ihre Monterey-Reportage war auch nicht übel«, gab er das Kompliment zurück. Sein Lächeln ließ nicht erkennen, ob er es ernst meinte oder nur höflich sein wollte. »Ich bin ein großer Steinbeck-Fan und war oft dort. Cannery Row … Die Straße der Ölsardinen … das Buch hab ich ein paarmal gelesen.«
»Setzen Sie sich«, forderte Melanie ihn auf. »Bestellen Sie, was Sie möchten! Heute geht alles auf die Firma. Probieren auch Sie den Toro, der ist hier am besten.«
»Hier sollten wir alle Besprechungen abhalten.« Schnell bestellte auch Chris sich eine Ladung an köstlichem Sushi.
»Zur Sache«, beendete Melanie den Small Talk. »Ich habe gerade Ella gesagt, dass Sie nach Kanada fliegen werden. Sie beide. Es geht um unsere nächste Titelgeschichte. Sechzehn Seiten über das abenteuerliche Leben der Küstenwölfe. Ich nehme an, Sie haben schon von diesen Wölfen gehört, Chris?«
Chris war interessiert. »Auf die habe ich es schon seit einiger Zeit abgesehen. Besondere Wölfe, die völlig abseits von allem anderen leben, sich auch von Robben, Muscheln und sogar Walfleisch ernähren und sich extrem gut fotografieren lassen … wenn man sie denn erwischt. Eine bessere Kulisse als den Regenwald und die Küste dort oben kann man sich kaum vorstellen.« Er trank von dem Bier, das er bestellt hatte. »Aber sollte ich das nicht besser allein machen? Nichts gegen Ella, sie ist sicher talentiert und ihre Monterey-Reportage hat mir tatsächlich gefallen, aber so ein wichtiges Thema …«
»… ist eine Nummer zu groß für mich?« Ella wäre beinahe entrüstet aufgesprungen. »Erstens bin ich keine Anfängerin mehr, zweitens glaube ich, bewiesen zu haben, dass ich schreiben und recherchieren kann, und drittens sind Sie ein superguter Fotograf, aber wir wollen National Geographic auch mit guten Texten überholen, und dafür brauchen Sie mich nun mal, Chris.«
»Wow, okay, okay!«, beschwichtigte er.
»Da hören Sie’s«, erwiderte Melanie mit ihrem amüsierten Lächeln, »sie ist bereit für diesen Auftrag, und ich bin ziemlich sicher, dass sie gut genug ist, um eine solche Geschichte rund zu machen. Ella hat recht, Sie sind einer der besten Fotografen, die ich kenne, aber ein Bestseller-Autor werden Sie nicht mehr. Sie werden ein gutes Team sein, oder zweifeln Sie etwa daran, Chris?«
»Solange sie mir nicht die Wölfe verscheucht.«
»Dünnes Eis«, funkelte Ella ihn an, »ganz dünnes Eis.«
Melanie ignorierte die aufgeheizte Stimmung zwischen den beiden. »Ich glaube, Sie werden sich gut ergänzen. Ihre Flüge habe ich für den kommenden Montag buchen lassen, Sie haben also noch ein paar Tage Zeit für die Vorbereitung. Mit dem Linienflug bis Vancouver, dann mit einer kleinen Maschine bis Bella Bella. Sie werden in Jeremy’s Beach House wohnen, einem Ferienhaus in der Nähe des Hafens. Sieht wie eine Fischerhütte aus, soll aber gemütlich sein. Den Rückflug habe ich flexibel gelassen.«
»Klingt gut.« Ella machte sich bereits Notizen. »Auf was kommt es Ihnen besonders an? Einige Tage im Leben eines Wolfsrudels, der tägliche Kampf der Wölfe ums Überleben, die Küste und ihre Bewohner, welche Rolle spielen die Wölfe im Leben der First Nations, Interviews mit Tierschützern … welche Rolle dürfen Konflikte spielen? Die gibt es doch immer, wenn es um Wölfe geht. Farmer, die um ihre jungen Tiere bangen. Wolfsgegner, die mit Feuer und Waffen gegen die Rudel vorgehen. Was denken Jäger und Fallensteller? Soweit ich weiß, ist das Töten von Wölfen in Kanada nicht strafbar. Sogar aus dem Flugzeug darf man die Wölfe dort erschießen.«
»Sie sind bereits im Thema drin, das freut mich«, sagte Melanie. »Ich bin durch Zufall auf die Küstenwölfe gestoßen und hab mich nur sehr flüchtig mit ihnen befasst, aber Sie haben so ziemlich alle interessanten Themen erwähnt. Es soll tatsächlich einigen Zoff mit illegalen Holzfällern und Wolfsjägern geben, aber diese Themen sollen auf keinen Fall im Mittelpunkt der Reportage stehen. Mir geht es vor allem darum, das Leben dieser Küstenwölfe kennenzulernen. Wie leben und jagen sie, wie unterscheiden sie sich von anderen Wölfen, was macht ihren Charakter aus.«
»Alles klar«, sagte Ella.
Melanie aß ihr letztes Sushi und blickte Chris an. »Bei den Fotos verlasse ich mich ganz auf Sie. Bringen Sie die geheimnisvolle Stimmung rüber. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass wir einen Kalender mit den Fotos veröffentlichen. Wölfe kommen beim Publikum immer gut an. Also geben Sie Ihr Bestes, Chris!«
»Das tue ich doch immer, Chefin.«
Später bedankten sich Ella und Chris bei der Chefredakteurin und verließen das Restaurant. Sie tauschten ihre Visitenkarten und Handynummern aus und versprachen, sich noch vor dem Wochenende in einem preiswerteren Restaurant zu einem Gedankenaustausch zu treffen. Vor ihren Wagen blieben sie noch einmal stehen. »Ich hoffe, Sie übernehmen sich nicht mit der Story«, sagte Chris. »Ich hab schon Schreiber erlebt, die fingen in der Wildnis an zu weinen.«
Ella lachte auf. »Darauf können Sie bei mir lange warten!«
Unterwegs nach Hause rief Ella ihre Freundin Megan an. Sie waren auf dieselbe Highschool gegangen, hatten sich während der College-Zeit aus den Augen verloren und auf einem Jahrgangstreffen ihrer Schule wiedergetroffen. Megan arbeitete in der Buchhaltung einer großen Versicherung, war seit über einem Jahr mit demselben Mann zusammen und würde ihn noch vor Weihnachten heiraten, das hatte sie Ella bereits mehrfach versichert. Bei Megan lief immer alles nach Plan, ganz im Gegensatz zu ihr.
»Hey, Ella! Wo treibst du dich rum?«
»West Hollywood«, antwortete sie, »aber nächste Woche fliege ich nach Kanada. Stell dir vor, ich darf meine erste Titelgeschichte schreiben. Sechzehn Seiten über eine seltene Wolfsart an der kanadischen Küste. Hat mir unsere Chefredakteurin gerade bei einem sündhaft teuren Sushi-Dinner im Nobu verraten.«
»Nobu? Ist das nicht dieser Sterne-Laden?«
»Ganz genau.« Sie berichtete von dem Meeting mit ihrer Chefin und dem Fotografen und geriet ins Schwärmen. »Wenn ich gut bin und die Reportage bei den Leserinnen und Lesern ankommt, hab ich’s geschafft. Dann schicken sie mich das nächste Mal vielleicht nach Europa, Afrika oder Asien. Was sagst du dazu?«
»Klingt abenteuerlich.«
»Ist es auch. Ich kann’s kaum erwarten.«
Megan klang eher zurückhaltend. »Das freut mich für dich. Ich bin sicher, irgendwann schreibst du ein Buch oder drehst eine Doku für den Travel Channel. Aber für mich wäre das nichts. Gegen einen Urlaub in Hawaii hätte ich nichts, aber dauernd auf Achse, dafür hänge ich zu sehr an meiner Heimat. Und an Steve. Hab ich dir schon gesagt, dass wir noch vor Weihnachten heiraten wollen?«
»Vier oder fünf Mal, Megan. Zu deiner Hochzeit werde ich auf jeden Fall da sein, das verspreche ich dir. Solange ich nicht den Blumenstrauß fangen muss.«
»Ich weiß, du hast es nicht so mit dem Heiraten.«
»Mit Männern ganz allgemein«, gestand Ella. »Alle meine letzten Dates waren für die Tonne und bei meinem umtriebigen Job bliebe sowieso keiner länger als ein paar Tage. Ich brauche keine Beziehung, solange ich noch an meiner Karriere arbeite. Vielleicht später mal, obwohl … ich glaube einfach, ich tauge nicht fürs Eheleben. Selbst wenn ich einen Mann erwische, der sich die Hausarbeit mit mir teilt, … nee, ich komme gut allein zurecht. Versteh mich nicht falsch, ich hab generell nichts gegen Männer und manchmal kommen sie mir ganz gelegen, aber für ein Leben, wie du es mit Steve führst, bin ich viel zu abenteuerlustig und rastlos.«
»Und wenn du dich verliebst? Ich meine, so richtig?«
»Der Mann muss erst geboren werden.«
»Wie ist denn der Fotograf so, der mit dir nach Kanada fliegt?«
»Chris?« Sie wich einer Limousine mit getönten Fenstern aus, die vor ihr auf den Sunset Boulevard abbog und wahrscheinlich nach Beverly Hills oder Bel Air unterwegs war. »Der stände ganz weit unten auf meiner Liste. Er sieht verdammt gut aus, aber wenn er von deinem Vorschlag wüsste, würde er wahrscheinlich einen Lachanfall bekommen. Der glaubt doch, ich wäre eine Anfängerin, die allein nicht zurechtkäme und ihm in Kanada nur Schwierigkeiten bereiten wird. Eine, der in der Wildnis die Puste ausgeht und die beim Anblick eines Wolfs in Ohnmacht fallen würde. Aber da hat er sich geschnitten. Ich jogge jeden Morgen und gehe ins Fitnesscenter, ich breche so schnell nicht zusammen. Angst hab ich nur vor dem kleinen bissigen Köter meiner Nachbarin.« Sie lachten beide. »Und du so? Alles okay mit Steve?«
»Sicher«, erwiderte Megan, »sonst hätte ich wohl kaum von Heirat gesprochen. Wir überlegen noch, ob wir nach der Hochzeit gleich versuchen sollen, ein Kind zu bekommen, oder ob es besser wäre, wenn ich noch ein Jahr arbeiten gehe, und wir etwas Geld auf die Seite legen. Aber Steve wird schauen, was besser ist.«
»Darfst du nicht mehr selbst entscheiden?«
»Wir entscheiden zusammen, Ella, so ist das in einer Ehe.«
»Und du bist sicher, dass der Job als Hausfrau und Mutter dich erfüllt?«
»Du wirst auch noch auf den Geschmack kommen.«
Ella wollte sich nicht über Megan lustig machen und schluckte eine spöttische Antwort herunter. Sie versprach ihr, sich aus Kanada zu melden und legte auf. Eigentlich seltsam. Megan und sie waren grundverschieden und kamen dennoch blendend miteinander aus. Sie waren sicher, jede würde auf ihre eigene Weise glücklich.
Schmunzelnd, aber auch ein wenig nachdenklich fuhr Ella den restlichen Weg nach Hause. Ihre Freundin hatte recht. Chris Bailey war tatsächlich ein sehr ansehnlicher Mann, schien das aber auch zu wissen und ging sicher davon aus, dass ihm alle Frauen zu Füßen lagen. Sie war für ihn nur das Mädchen, das zu früh in seiner Liga mitspielen wollte und sich dabei kräftig übernahm. Die Arroganz in seinen Augen, als er sie gemustert hatte, war nicht zu übersehen gewesen. Hatte er sie überhaupt als Autorin wahrgenommen? Oder versuchte er bereits hinter ihrem Rücken, Melanie zu überreden, eine andere Schreiberin nach Kanada zu schicken?
Sie ließ sich nicht beirren und begann schon am frühen Morgen mit ihrer Recherche. Im Internet fand sie einige kurze Berichte über die Küstenwölfe, die in zahlreichen Rudeln den Great Bear Rainforest an der kanadischen Westküste bevölkerten. Dieses Gebiet war ein gemäßigter Regenwald zwischen Vancouver Island und Alaska, der wegen seiner Abgeschiedenheit nahezu so wild und unberührt wie vor der Ankunft der Europäer geblieben war und erst während der letzten Jahrzehnte durch radikale Ausbeutung bedroht wurde. In jahrelangen Auseinandersetzungen war es den Umweltgruppen gelungen, die kanadische Regierung in einigen Bereichen zum Umdenken zu bringen und zumindest Teile des Regenwalds unter Naturschutz zu stellen. Doch wenn man vereinzelten Berichten glauben durfte, war die Gefahr nicht vorüber und Holzfäller, Fallensteller und Wolfsjäger bedrohten die Unberührtheit des Great Bear Rainforest noch immer.
Ella informierte sich über den Regenwald und die Tiere, die in dieser Wildnis lebten, und verschaffte sich einen Überblick, wo Campbell Island, eine der zahlreichen Inseln vor der zerklüfteten Westküste, und die Siedlung Bella Bella lagen. Jeremy’s Beach House, die Pension, in der sie wohnen würden, ähnelte den Fotos nach tatsächlich einer Fischerhütte, war nur etwas größer und bot vier gemütliche, aber einfach eingerichtete Zimmer. Das Bad musste man sich mit den anderen Gästen teilen. ›Der ideale Zufluchtsort, um die Zivilisation zu vergessen‹, hieß es auf der Website. Zu sehen war auch der Hafen mit seinen Fischerbooten, im Hintergrund ankerte ein blauweißes Fährschiff von B. C. Ferries, das im Sommer zahlreiche Touristen herbrachte und der schon fast vergessenen Siedlung einen neuen Aufschwung beschert hatte.
Ellas Handy klingelte. Ein unbekannter Anrufer. Das konnte nur Chris Bailey sein, der einen Termin mit ihr ausmachen wollte. Stattdessen ertönte eine andere männliche Stimme, die wesentlich zurückhaltender klang. »Ella?«
»Robin«, fragte sie verwundert zurück. Ein junger Mann, den sie vor ungefähr zwei Monaten in einem Starbucks kennengelernt und nach einem unglücklichen Date mit einer Ausrede abgespeist hatte. Sie hatte behauptet, sie wäre in nächster Zeit viel unterwegs und würde sich bei ihm melden, sobald sie wieder Zeit habe. Ziemlich feige von ihr, das wusste sie selbst. Ehrenhafter wäre es gewesen, ihm offen zu sagen, dass ein weiteres Date nichts gebracht hätte, dann wäre sie ihn los gewesen.
»Du bist schon zurück?« Er klang ein wenig beleidigt, denn er hatte anscheinend nicht kapiert, dass sie längst mit ihm abgeschlossen hatte. »Ich hab oft an dich gedacht, als du weg warst, Ella, und … na ja, ich dachte, wir gehen mal wieder zusammen essen. Am Sunset hat ein neues Diner aufgemacht, so ein Retro-Schuppen und da …«
»Robin!«, unterbrach sie ihn schnell. »Robin! Ich kann nicht!«
»Aber du hast doch gesagt, dass wir uns treffen könnten, wenn du wieder zurück bist. Musst du schon wieder weg? Bist du denn nur unterwegs?«
»Ich arbeite für eine Reisezeitschrift«, antwortete sie, »ist doch logisch, dass ich da viel auf Achse bin. Aber das ist es nicht.« Sie holte tief Luft. »Sei mir nicht böse, Robin, aber ich glaube nicht, dass aus uns beiden etwas werden könnte. Am besten vergisst du mich wieder, sobald du aufgelegt hast, okay?«
»Hab ich irgendwas falsch gemacht?«
»Nein, natürlich nicht, aber ich hätte dir gleich sagen sollen, dass ich dich nicht weiter treffen möchte. Du bist nett und siehst gut aus, aber ich will dir keine falschen Hoffnungen machen, der Funke ist nicht übergesprungen. Außerdem hab ich zurzeit so viel um die Ohren, dass es mit einem Date sowieso nicht klappen würde … und mit Beziehungen schon gar nicht. Wenn ich was in meinem Job erreichen will, muss ich gerade mächtig Gas geben. Da bleibt kaum Zeit für was anderes.«
»Du bist wohl eine dieser Karrierefrauen?« Es klang beinahe vorwurfsvoll.
»Ich liebe meinen Job«, sagte sie, »er ist ein großer Teil meines Lebens und es gibt Zeiten, da muss man auf anderes verzichten, wenn man vorankommen will.«
Ella wünschte ihm alles Gute und legte auf. Wie hatte sie sich jemals mit Robin verabreden können, dachte sie, während sie sich einen Cappuccino machte. Sie löffelte etwas Milchschaum von dem Kaffee und hing ihren Gedanken nach. Unter ›Karrierefrau‹ verstand sie etwas anderes, das war eher eine Frau, die nur um der Macht oder des Geldes willen in der Politik oder einem Konzern tätig war. Sie liebte ihren Beruf und das Schreiben einfach und wünschte sich deshalb nichts sehnlicher, als eine erfolgreiche Journalistin zu werden.
Auch die nächsten beiden Tage verbrachte sie mit Recherchen und Vorbereitungen. Sie durchforstete das Internet, checkte Bücher und Artikel über den Great Bear Rainforest und Wölfe und informierte sich über die Heiltsuk, in deren Reservat sie sich aufhalten würden. Sie bestellte sich Pizza, Sandwiches und Cappuccino, notierte sich schon mal einige Namen, die ihr wichtig erschienen, und überprüfte ihre Kleidung und Ausrüstung. Ihren blauen Anorak hatte sie sich vor einigen Monaten für einen Ausflug zum Lake Tahoe gekauft, die Wanderstiefel waren wasserfest und passten noch wie angegossen und Rucksack, Thermosflasche, Verbandskasten, Taschenlampe, alles Wichtige war da. Falls doch etwas fehlte, würde sie es in Bella Bella kaufen, dort gab es einen großen Supermarkt, wie sie ebenfalls herausgefunden hatte.
Umso mehr sie über den Great Bear Rainforest, die First Nations der kanadischen Küste und Wölfe las und erfuhr, desto interessierter und faszinierter war sie. Sie stieß auf den Namen einer Wolfsexpertin, die auf Denny Island lebte, keine halbe Stunde von Bella Bella entfernt, und rief sie an. Sie hieß Darlene Gill, war gerade siebzig geworden und kümmerte sich in ihrem »Wolf Center« um verletzte Wölfe, die allein nicht mehr in der Wildnis überlebten. Nur zu gern war sie zu einem Interview bereit. Ella versprach, sie anzurufen, sobald sie in Bella Bella war und sie in ihrem Wolf Center zu besuchen. »Ein Artikel über Küstenwölfe?«, sagte Darlene erfreut. »Endlich schreibt mal jemand über sie. Viele wollen heute noch nicht wahrhaben, dass es sie wirklich gibt.«
Auch bei Randy Humchitt, dem Vorsitzenden des Stammesrates der Heiltsuk, kündigte sie sich an. Er war etwas misstrauisch und wollte genau wissen, wie ihr Artikel aussehen würde, bevor er sich auf ein Treffen einließ. Ella erklärte es ihm und klang anscheinend so überzeugend, dass er sich schließlich einverstanden erklärte. Er würde sogar einen Guide für sie organisieren, der wusste, wo die Küstenwölfe zu finden waren und sie zu ihnen führen konnte. »Travis Cannon«, nannte er den Namen, »einer meiner Enkel. Er ist achtzehn und kennt sich besser in den Küstengewässern aus als die meisten Fischer. Zahlen Sie ihm eine Kleinigkeit dafür?«
»Sicher«, versprach sie, »für so was haben wir ein Spesenkonto.«
Am Freitag vor ihrer Abreise ließ sie sich in der Redaktion blicken und sprach noch einmal mit ihrer Chefin. »Ich hab Ihnen einen hoffentlich ausreichenden Betrag für die Spesen überwiesen«, sagte Melanie. »Ich weiß, wie teuer Lebensmittel und Dienstleistungen in den nördlichen Gefilden sind, aber versuchen Sie trotzdem, den Betrag im erträglichen Rahmen zu halten. Sind Sie gut vorbereitet?«
»Meinetwegen kann es sofort losgehen.«
»Mit Chris kommen Sie gut aus?«
»Mit ihm hab ich keine Probleme.«