Die Spur des weißen Wolfs - Christopher Ross - E-Book

Die Spur des weißen Wolfs E-Book

Christopher Ross

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Beschreibung

Der neueste aufregende Abenteuerroman von Erfolgsautor Christopher Ross: Alaskas Natur in seiner vollsten Schönheit und Unberührtheit! Nach ihrem Biologiestudium beginnt Alice Gibson ihren Traumjob in einem Wolf Center in Alaska. Dort pflegt sie kranke Wölfe gesund. So päppelt sie auch den jungen schwerverletzen Wolf Lucky auf und sorgt dafür, dass er schnell wieder in die Freiheit entlassen werden kann. In der Zwischenzeit demonstrieren immer mehr wütende Farmer vor dem Wolf Center, da die Wölfe begonnen haben ihr Vieh zu reißen. Um ein Zeichen zu setzen, wollen sie Lucky erschießen. Alice macht sich besorgt auf die Suche, hat jedoch im Schneesturm einen schweren Unfall ... Als am nächsten Tag endlich der Suchtrupp eintrifft, bemerkt Alice Spuren im Schnee, die zeigen, dass ein junger Wolf ihr geholfen haben muss ... Lucky? Ein packendes Abenteuer, gespickt mit Momenten voll aufgewühlter Gefühle und zerbrechlicher Liebe

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Nach ihrem Biologiestudium beginnt Alice Gibson ihren Traumjob in einem Wolf Center in Alaska. Dort pflegt sie kranke Wölfe gesund. So päppelt sie auch den jungen schwerverletzen Wolf Lucky auf und sorgt dafür, dass er schnell wieder in die Freiheit entlassen werden kann. In der Zwischenzeit demonstrieren immer mehr wütende Farmer vor dem Wolf Center, da die Wölfe begonnen haben ihr Vieh zu reißen. Um ein Zeichen zu setzen, wollen sie Lucky erschießen. Alice macht sich besorgt auf die Suche, hat jedoch im Schneesturm einen schweren Unfall … Als am nächsten Tag endlich der Suchtrupp eintrifft, bemerkt Alice Spuren im Schnee, die zeigen, dass ein junger Wolf ihr geholfen haben muss … Lucky?

Überwältigend real: Alaskas Natur in seiner vollsten Schönheit und Unberührtheit!

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

1

Alice war bereits auf dem Heimweg, als sie den Hund am Straßenrand liegen sah. Erschrocken trat sie auf die Bremse. Sie fuhr rechts ran, stieg aus und rannte zu ihm. Als sie die zahlreichen Wunden an seinem Körper sah, war ihr klar, dass er schlecht behandelt worden war. Er trug kein Halsband. Unter ihrer sanften Berührung jaulte er kaum hörbar auf, schien aber selbst dazu zu erschöpft zu sein. In seinen dunklen Augen spiegelten sich Schmerzen und Hoffnungslosigkeit.

Sie zog ihr Handy aus der Jackentasche und wählte die eingespeicherte Nummer des Tierheims, für das sie arbeitete. »Alice hier«, meldete sie sich, als Doc Ward endlich abnahm. »Gut, dass Sie noch in der Praxis sind. Ich hab einen neuen Patienten für Sie, es ist dringend.« Sie berichtete von dem Hund, den sie gefunden hatte. »Ich bin in spätestens zehn Minuten bei Ihnen.«

Vorsichtig trug sie den Hund, einen Mischling, der wie ein Schnauzer aussah, zu ihrem Wagen und legte ihn auf die Rückbank. Er rührte sich kaum. »Keine Angst«, tröstete sie ihn. »Ich arbeite im Tierheim. Wir pflegen dich wieder gesund.«

Aus dem Haus, vor dem sie parkte, trat eine Frau und leerte ihren Abfall in eine der Tonnen aus. »Gehört der Hund Ihnen?«, fragte die Frau misstrauisch.

»Nein. Ich arbeite fürs Tierheim«, erwiderte Alice. Sie zeigte der Frau ihren Ausweis. »Haben Sie was gesehen? Wissen Sie, wem er gehören könnte?«

»Wer immer es ist, wollte ihn wohl loswerden. Ich wollte gerade die Tierrettung rufen. Ich hab gesehen, wie jemand den armen Hund aus einem fahrenden Auto geworfen hat. Es war ein Wagen aus Colorado, so viel konnte ich erkennen. Keine Ahnung, wer drin saß.«

»Die Polizei wird sich um die Angelegenheit kümmern. Vielen Dank.«

Alice stieg in ihren Wagen und fuhr zum Tierheim zurück. Im Innenspiegel sah sie den verletzten Hund auf der Rückbank liegen. Ein bedauernswerter Anblick, an den sie sich wohl nie gewöhnen würde. Obwohl sie erst seit ein paar Monaten für den »Animal Shelter« in Denver arbeitete, waren ihr schon zu viele misshandelte und ausgesetzte Tiere begegnet. Doch das motivierte sie nur noch mehr, dazuzulernen, um möglichst vielen Tieren helfen zu können.

Schon während sie an ihrer Masterarbeit als Wildlife-Biologin gearbeitet hatte, war sie entschlossen gewesen, ein längeres Praktikum in einem Tierheim zu absolvieren. Ihr Lebenstraum war es eigentlich, sich mit Wölfen zu beschäftigen. Sie war fasziniert von diesen Tieren, die fälschlicherweise einen besonders schlechten Ruf bei vielen Menschen hatten. Mitschuld daran hatten die zahlreichen Märchen, Comics und Horrorstorys, in denen Wölfe meist als blutrünstige Bösewichte herhalten mussten.

Noch war sie nicht sicher, welche Richtung sie einschlagen sollte. Sie könnte Angestellte in einem Wolf-Center werden, in dem verletzte Wölfe aufgezogen wurden. Oder Wildlife-Biologin der Regierung, um zu helfen, Wölfe in einem Staat zu beobachten und zu managen. Oder sie könnte an einer Universität arbeiten, die über Wölfe lehrte und Field Trips mit ihren Studentinnen und Studenten veranstaltete. Es gab eine Vielzahl an Möglichkeiten.

Alice’ Handy piepste und zeigte ihr eine neue Nachricht von Frank an. »Wo bleibst du?«, las sie. »Keine Zeit«, sagte sie zu sich selbst. Sie war mit ihrem Freund bei Applebee’s zum Essen verabredet und schon spät dran, aber der verletzte Hund ging erst mal vor. Ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, bog sie auf den Parkplatz des Tierheims und hielt so dicht wie möglich am Eingang. »Animal Shelter« stand in großen Lettern an der Hauswand, darüber begrüßte ein überdimensionaler Comic-Hund, der Scoobie-Doo nachempfunden war, die Besucher.

Der Tierarzt, ein kräftiger Mann in den Vierzigern, wartete bereits auf Alice. Er half ihr, den Hund in seine Praxis zu tragen und auf den Untersuchungstisch zu legen.

»Er scheint einigermaßen glimpflich davongekommen zu sein«, sagte er, nachdem er den Hund untersucht hatte. »Sein Besitzer muss mit einem harten Gegenstand auf ihn eingeschlagen haben, und einige Brandwunden sehe ich auch. Ich frage mich, warum sich manche Menschen einen Hund zulegen, wenn sie ihn doch nur quälen wollen.« Er beruhigte den Hund mit einem Schmerzmittel und streichelte ihn mitfühlend. »Um sicherzugehen, werde ich ihn noch röntgen. Hast du schon die Polizei angerufen?«

»Schon dabei«, sagte Alice und wählte die Notrufnummer. Sie erklärte mit wenigen Worten, was geschehen war, und bedankte sich, als man ihr versprach, einen Streifenwagen zu schicken. Nur wenige Minuten später fuhr er vor, und zwei Officers betraten die Praxis, ein junger Mann und eine junge Frau.

»Diese Tierquäler werden langsam zur Plage«, sagte die Polizistin kühl. »Letzte Woche hatten wir schon drei oder vier, stimmt’s, Dan?«

Ihr Partner nickte. »Leider sind viele von denen noch so jung, dass man sie nicht belangen kann. Die meisten gehen straffrei aus.«

»Ich weiß«, erwiderte Alice, »aber anzeigen sollten wir es doch. Vielleicht schafft das endlich ein Bewusstsein für dieses Problem. Wir klären auf, wo wir können, in der Schule, im Kindergarten, mehr geht leider nicht.«

»Das wissen wir zu schätzen, Ma’am. Irgendwelche Anhaltspunkte in diesem Fall?«

Alice berichtete, wo sie den verletzten Hund gefunden, und was die Zeugin beobachtet hatte. Mehr konnte sie nicht tun. Nachdem sie ihre Aussage unterschrieben hatte, bedankte sie sich bei den beiden Polizisten und kehrte ins Behandlungszimmer zurück. »Sie tun, was sie können«, sagte sie zu Doc Ward, »aber es gibt nur wenige Hinweise, immer das Gleiche.«

Ihr Handy meldete sich zum zweiten Mal. »Wo bleibst du???«, schrieb Frank erneut.

»Sorry, ich muss los«, antwortete sie, »Ich komme morgen wieder.«

»Ist es wieder Ihr Freund?«, fragte der Arzt. Frank hatte schon oft mit seinen Anrufen genervt oder getextet, wenn sie aufgehalten worden war, und die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen hatten es mitbekommen. Sie hatte schon überlegt, ob es besser wäre, ihr Handy im Auto zu lassen, wenn sie länger arbeiten musste.

Alice nickte seufzend. »Er kann irgendwie einfach nicht verstehen, dass man in einem Tierheim nicht nach festen Zeiten arbeiten kann. Ich hab hundert Mal versucht, ihm das zu erklären, und er behauptet steif und fest, dass ich ausgenutzt werde.« Sie versuchte zu lachen. »Ist schwierig mit uns beiden.«

Doc Ward schwieg. Er hatte den Hund inzwischen geröntgt und sah erleichtert aus. »Gute Nachrichten«, sagte er, während er sich das Röntgenbild ansah. »Unser Freund hat sich nichts gebrochen, und innere Verletzungen hat er auch nicht. Er ist ein zäher Kerl.«

»Gott sei Dank! Sie behalten ihn hier?«

»Ich reserviere ihm eine meiner Schlafstellen und verarzte seine Wunden. Und morgen früh stelle ich die üblichen Untersuchungen an.« Er stützte sich auf den Behandlungstisch. »Ich kümmere mich um alles Weitere, Sie können los, Alice.«

»Okay, dann will ich mal«, erwiderte sie zögernd. »Bis morgen, Doc.«

Sie verließ die Praxis und blieb einige Minuten in ihrem Wagen sitzen. Sie war über eine Stunde zu spät und Frank würde sicher wieder toben. Wenn er wütend war oder sich benachteiligt fühlte, konnte er schon mal aus der Rolle fallen. Sie wusste jetzt schon, was er sagen würde. Am liebsten wäre sie nach Hause gefahren und hätte sich dort auf ihre Couch verkrochen, aber was würde das bringen? Man konnte keinen Menschen ändern, den Satz hatte sie doch oft genug gehört. Entweder akzeptierte sie ihren Freund so, wie er war, oder sie musste sich von ihm trennen.

Sie hatte ihn vor knapp einem Jahr auf der Colorado State Fair in Pueblo beim Rodeo kennengelernt, und hatte sich auf Anhieb von ihm angezogen gefühlt. Er war ein attraktiver Mann mit breiten Schultern und widerspenstigen blonden Haaren, die ihm in die Stirn fielen. Er lachte viel, feuerte die Bullenreiter gern mit lauten Zurufen an, kaufte ihr Popcorn und Cola und tanzte mit ihr den Two-Step. Doch kaum kehrten sie in den Alltag zurück, zeigte er sich von seiner anderen Seite. Obwohl er ein geschickter Mechaniker war, konnte er keinen Job halten. Er eckte überall mit seinem aufbrausenden Temperament an, war oft ungerecht, auch zu ihr, und lebte weiterhin in seiner bescheidenen Bleibe, einem Trailer.

Dass sie immer noch zusammen waren, lag daran, dass sie bei ihm herrlich abschalten konnte, auf hochtrabende Gespräche verzichten und das Leben einfach genießen konnte. Auf Dauer jedoch war das zu wenig für eine Frau wie sie, die das Abenteuer liebte und große Ziele hatte. Sie wollte als Wildlife-Biologin und Wolf-Expertin auf sich aufmerksam machen. Der Meinung war auch ihre Freundin Pamela, die ebenfalls Biologie studiert hatte und für den Forest Service arbeitete.

Als ihr Handy erneut eine Nachricht von Frank anzeigte, reagierte Alice spontan und ohne lange zu überlegen. »Tut mir leid. Ist zu spät geworden. Wir sehen uns morgen. Alice.« Sie zögerte keine Sekunde, die Nachricht abzuschicken, und bog auf die Interstate nach Süden ab. Sie wohnte in einem Apartment in der Nähe des Cherry Creek Shopping-Centers, ungefähr drei Meilen von Frank entfernt. Sie würde sich wie jeden Abend einen Kaffee mit viel Milch zubereiten, sich ein Sandwich mit Schinken und Käse gönnen und sich irgendwas im Fernsehen ansehen, bevor sie sich schlafen legte. Morgen war noch Zeit genug, über ihre Zukunft mit Frank nachzudenken.

Doch als sie vor dem Haus, in dem ihr Apartment lag, aus dem Wagen stieg, entdeckte sie Franks rostigen Pick-up auf der anderen Straßenseite. Ihr wurde flau im Magen. Frank war sicher aufgebracht, weil sie ihn versetzt hatte, und würde ihr vielleicht eine Szene machen. Zögernd näherte sie sich dem Pick-up.

Der Wagen war leer, aber die Kühlerhaube war noch warm, was nur heißen konnte, dass Frank erst vor Kurzem hier geparkt hatte. Sie blickte sich nervös um. »Frank?«, rief sie mit gedämpfter Stimme, um keine anderen Hausbewohner aufzuschrecken. Ein lautstarker Streit auf der Straße und aufgebrachte Nachbarn, die bei der Polizei anriefen, waren so ziemlich das Letzte, was sie jetzt brauchen konnte. »Frank! Wo steckst du? Was soll der Unsinn?«

Niemand antwortete, lediglich ein älterer Mann, der gerade seinen Hund ausführte, drehte sich neugierig nach ihr um. Sie grüßte ihn und entschuldigte sich mit einer Geste, die bedeuten sollte, dass sie lediglich nach ihrem Freund suchte.

Nachdem der Mann ins Nachbarhaus gegangen war, verschloss sie ihren Wagen und ging auf den Eingang des Hauses zu, in dem sie wohnte. Sie kam sich ein wenig albern vor. Frank reagierte zwar unbeherrscht und hitzig, wenn ihm etwas nicht passte, aber er würde nichts Dummes tun. Vielleicht würde er sie anschreien, doch sie hatte keine Angst vor ihm. Vielleicht hatte er sogar recht, wenn er sie zu einer Aussprache drängte. Sie hatte ihn nicht zum ersten Mal versetzt, wenn auch niemals mutwillig. Wenn es geschah, immer wegen eines Notfalls im Tierheim, das wusste er eigentlich.

Ihr Apartment lag im ersten Stock, ein Zimmer, eine Miniküche und ein Bad, in dem man sich kaum umdrehen konnte. Die Mieten waren hoch in Denver, und noch verdiente sie nicht so viel, dass man herrlich und in Freuden davon leben konnte. Sie nahm die Treppe, schaltete das Flurlicht ein und beeilte sich, ihre Tür aufzuschließen. Aus einer der Nachbarwohnungen drang Musik.

Zu spät bemerkte sie, wie jemand aus einer dunklen Ecke trat und sich hinter ihr ins Apartment zwängte. Zuerst glaubte sie, es wäre ein Verbrecher und wollte schon schreien, da ging das Licht an, und sie erkannte Frank. Er warf die Tür hinter sich ins Schloss und baute sich bedrohlich vor ihr auf. »Wo ist er?«

Sie blickte ihn verständnislos an. »Wer? Was soll das, Frank?«

»Dein neuer Freund! Sag mir nicht, dass du keinen anderen hast!«

»Einen anderen? Wie kommst du denn darauf?«

Sein Gesicht war vor Aufregung gerötet. Anscheinend hatte sich während der Zeit, die er auf sie gewartet hatte, einiges in ihm aufgestaut. »Du bist kaum noch zu erreichen, versetzt mich ständig … du gehst doch fremd! Gib’s zu!«

»Unsinn! So was würde ich nie tun.« Sie legte ihre Umhängetasche auf die Kommode neben der Tür. »Wenn ich dich versetzen muss, dann nur, weil wir im Tierheim so viel zu tun haben. Das weißt du doch, da kannst du nicht um fünf abhauen wie in anderen Jobs. Heute hab ich einen verletzten Hund von der Straße aufgelesen. Sein Besitzer oder wer immer es war, hatte ihn schwer misshandelt und aus dem Auto geworfen. Sollte ich ihn etwa liegen lassen, weil ich eigentlich schon Feierabend hatte? So läuft das eben nicht, Frank.«

»Um den Hund hätte sich ein anderer kümmern können.«

»Aber ich war nun mal gerade in der Nähe«, erwiderte sie. »Es war ein Notfall. Ich musste ihn beruhigen, ihn ins Tierheim zum Doc bringen, die Polizei rufen … da bleibt meistens keine Zeit für Privatgespräche. Und auf deine Nachricht hab ich ja dann geantwortet. Ein bisschen spät, das stimmt, und es tut mir auch leid, aber früher ging es eben nicht, okay?«

»Nichts ist okay!« Einmal in Fahrt, dachte er anscheinend nicht daran, sich zu beruhigen. »Weißt du, wie ich mich gefühlt habe? Wie der letzte Blödmann, wie einer, der bei keiner Frau landen kann. Wie einer, der ein Date ausmacht und dann wie belämmert allein in einem Lokal sitzt, weil die Frau ihn nur zum Narren halten wollte. ›Ich warte auf jemanden‹, hab ich zu der Bedienung gesagt, nicht ein Mal, sondern bestimmt fünf Mal, und jedes Mal hat sie mich mitleidig angesehen und mir beim fünften Mal sogar einen Kaffee spendiert. Alles nur deinetwegen!«

»Sorry, Frank! Du hast recht, ich hätte mich früher melden sollen, aber du musst endlich verstehen, dass ich mein Leben nicht nur nach dir ausrichten kann. Ich hab einen Job, der anders ist als dein Job, und ich will vorwärtskommen, etwas Verantwortungsvolles machen, vielleicht mit Wölfen arbeiten, in einem Center oder einem Nationalpark.«

Das war eine Antwort, die ihn noch mehr um seine Fassung brachte. »Soll das heißen, du hältst dich für was Besseres, nur weil du aufs College gegangen bist?«

»Das sage ich doch nicht, Frank.«

»Kann ich vielleicht was dafür, dass meine Eltern arm waren, und ich in einem Trailer Park aufgewachsen bin? Dass ich nur die verdammte Highschool geschafft habe? Ich hab einen Job und arbeite genauso hart wie du.«

»Schon klar, Frank, aber …«

»Du hast die Nase oben und lachst über mich, stimmt’s? Ich hab gedacht, du liebst mich und wir bauen uns gemeinsam was auf. Sobald ich meine erste Single draußen habe, brauchst du sowieso nicht mehr zu arbeiten. Vielleicht stundenweise im Tierheim, als Aushilfe oder so, aber die große Kohle werde ich verdienen, und du kannst meine Managerin sein und dich um die Medien kümmern. ›Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine Frau‹, hab ich gelesen.«

»Den Spruch kenne ich. Als wären wir Frauen nur dazu da, hinter euch Männern zu stehen. Warum suchst du dir nicht einen festen Job? Diese Gelegenheitsjobs bringen doch kaum was und Spaß machen sie dir ganz bestimmt nicht. Möglichkeiten gibt’s doch genug. Du bist ein guter Schrauber und findest bestimmt was in einer großen Werkstatt. Stattdessen hängst du in deinem Trailer rum.«

»Eine Karriere fällt einem nicht in den Schoß.«

»Du träumst immer noch davon, ein Country-Star zu werden?« Sie ging ein paar Schritte und blieb kopfschüttelnd stehen. »Nichts dagegen, jeder hat seine Träume, aber selbst die großen Stars hatten einen Brotjob, bevor sie von der Musik leben konnten. Weißt du, wie hart die arbeiten?«

»Du wirst schon sehen«, erwiderte er trotzig. »So gut wie einige dieser Typen in Nashville spiel ich schon lange Gitarre, und sobald ich meinen ersten Song im Kasten hab, geht es aufwärts. Ich werde die Charts erobern! Country-Fans stehen auf Sänger, die sich von ganz unten nach ganz oben gearbeitet haben. Weißt du, wie mein erster Hit heißen wird? ›The Day My Mama Died‹. Mehr Country geht gar nicht. Mit ›Mama‹ im Titel hast du schon gewonnen.«

»Der Titel klingt ja gut, aber hast du schon was komponiert?«

»Gib mir ein paar Tage, Alice.«

»Tage? Du redest doch bereits seit Monaten davon, ein Country-Star zu werden. Als wir uns kennengelernt haben, dachte ich, das wäre nur so eine fixe Idee von dir, aber du meinst es wirklich ernst, was? Ohne jemals aufgetreten zu sein oder in einer Band gespielt zu haben, nicht mal auf der Highschool, ohne einen einzigen Song komponiert oder getextet zu haben … wie soll das funktionieren? Komm endlich runter, Frank!«

»Hast du etwa Angst, dass ich berühmt werde? Dass mir die jungen Mädchen nachlaufen und du nur noch die zweite Geige spielst? Bist du eifersüchtig auf mich, weil ich plötzlich im Rampenlicht stehen werde?« Er lächelte, als hätte er es bereits geschafft. »Du wirst sehen, mein Song geht in die Charts.«

»Träum weiter, Frank! Es gibt ja noch nicht mal einen Song.«

»Du gönnst mir den Erfolg nicht, das ist es!«, grollte er. »Du hältst mich für einen dummen Hinterwäldler, den du herumscheuchen kannst. Aber so einer bin ich nicht, Alice. Ich lasse mich nicht von dir an der Nase herumführen!«

»Vielleicht sind wir nur zu verschieden, Frank«, sagte sie.

»Du willst Schluss mit mir machen?«

»Das hab ich nicht gesagt. Aber …«

»Klar willst du Schluss mit mir machen!« Seine Augen glühten vor Zorn. »Die ganze Zeit war ich noch gut genug für dich. Weil du gedacht hast, mit einem Kerl wie mir könntest du Eindruck bei deinen Freundinnen schinden. Seht her, ich hab mir einen heißen Hillbilly geangelt! Und kaum klappt nicht mehr alles so, wie du dir das vorgestellt hast, jagst du mich zum Teufel!«

»Mach dich nicht lächerlich, Frank! Geh nach Hause und schlaf dich aus! Wir können morgen noch in Ruhe reden. Ich hab einen anstrengenden Tag hinter mir.«

»Verdammt!« Er griff nach der Blumenvase, die auf der Kommode stand, und schleuderte sie gegen die Wand. Sie zersprang in unzählige Scherben, die Blumen fielen zu Boden, und das Wasser spritzte nach allen Seiten. »Das kannst du mit mir nicht machen! Ich wette, du hast doch eine Affäre.«

»Lass mich in Ruhe und geh nach Hause, Frank! Bitte!«

»Du verdammte …« Immerhin schluckte er das Wort herunter.

Sie geleitete ihn zur Tür und schob ihn sanft in den Flur. Hinter ihm schloss sie sofort ab. In ihren Augen standen Tränen. So ein Drama hatte sie nicht gewollt. »Wir sprechen uns morgen, Frank!«, rief sie ihm durch die Tür nach.

2

Alice schlief unruhig in dieser Nacht. Mit der Blumenvase war auch jegliche Hoffnung zerbrochen, das mit Frank noch mal hinzukriegen und ernsthafte Gefühle für ihn zu entwickeln. Eigentlich hätte sie das schon nach ihren ersten Dates und der ersten Euphorie erkennen müssen, aber sie hatten nie über ihr zukünftiges Leben gesprochen, nur selten ernsthaft diskutiert, und ihre Beziehung war vor allem von dem Wunsch geprägt gewesen, einen Partner zu haben, mit dem man seine freien Wochenenden verbringen und gemeinsam Spaß haben konnte.

Sie hatte ihn nie wirklich geliebt, diesen Gedanken aber immer verdrängt. Und wenn sie am Abend nicht diese Auseinandersetzung gehabt hätten, wäre es vielleicht noch wochenlang so weitergegangen. Sie machte sich vor allem selbst dafür verantwortlich. Hätte sie ihre Augen nicht so lange vor der Wahrheit verschlossen, wäre es vielleicht gar nicht so weit gekommen. Viele Paare waren ein paar Wochen zusammen, bis beide Partner erkannten, dass sie nicht zusammenpassten. Aber Frank war von der besitzergreifenden Sorte, und ihr war schon früh klar, dass er eine Trennung als persönliche Beleidigung empfinden würde. Doch sie musste sich von ihm trennen, das wusste sie inzwischen.

Dass Frank auch eine romantische Ader besaß, bewies er ihr am frühen Morgen. Sie hatte gerade das Haus verlassen und ging zu ihrem Wagen, als sie ihn mit einer roten Rose aus seinem Pick-up steigen und mit einem strahlenden Lächeln auf sich zukommen sah. »Alice!«, begrüßte er sie. »Gut, dass ich dich noch erwische. Es tut mir so leid! Ich hab Mist gebaut und ein paar Dinge gesagt, die ich gar nicht sagen wollte. Und die Vase … es tut mir wirklich leid, Alice!«

»Schon gut«, erwiderte sie. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Rose anzunehmen, doch als er sie küssen wollte, wich sie zurück. Sie konnte nicht anders.

»Was hast du denn?«, fragte er. »Hab ich was Falsches gesagt?«

»Nein, Frank, aber …«

»Was aber?« Er kniff die Augen zusammen.

»Ich bin spät dran, Frank. Wir reden nachher, okay?«

»Ich hatte recht. Du willst Schluss mit mir machen.«

»Nicht jetzt«, wehrte Alice ihn ab. »Wir haben gerade eine Menge zu tun, und ich kriege Ärger auf der Arbeit, wenn ich zu spät auftauche. Zurzeit bekommen wir viele herrenlose und verletzte Tiere rein, vor allem Hunde, da sind alle gefordert.«

»Sag doch einfach, wenn du mich loswerden willst!«

Alice sah das gefährliche Glimmen in seinen Augen und erkannte, dass er wahrscheinlich durchdrehen würde, wenn sie ihm die Wahrheit sagte. »Ich melde mich«, sagte sie daher nur, stieg in ihren Wagen und warf die Rose auf die Rückbank. Mit Tränen in den Augen fuhr sie davon. Im Rückspiegel sah sie ihn auf der Straße stehen und wütend gestikulieren, bis sie um die Ecke bog.

Sie wusste, dass es feige war, ihn unnötig hinzuhalten. Ihr Chef hätte sie bestimmt nicht sofort ermahnt, wenn sie zehn Minuten zu spät gekommen wäre. Sie blieb fast jeden Tag länger, ohne Überstunden zu berechnen, und konnte sich eine Verspätung durchaus mal erlauben. Aber anders als ihre Freundin Pam hatte sie Angst davor, Schluss zu machen. Pam sagte ihren Freunden ins Gesicht, wenn sie das Gefühl hatte, aus einer Beziehung würde nichts Langfristiges werden und meistens nahmen sie es gut auf. Anders als Pam hatte Alice seit der Highschool erst zwei ernstere Beziehungen gehabt, mit ihrem Begleiter vom Abschlussball und mit Frank, und wusste nicht, wie sie vorgehen sollte. Sie wollte die Trennung mit Anstand über die Bühne bringen, und das ging nicht bei einer flüchtigen Begegnung auf der Straße. Oder hatte sie Angst vor Frank? Vor einem weiteren Streit und einem seiner unberechenbaren Wutanfälle?

Im Tierheim führte ihr erster Weg zum Tierarzt und dem verletzten Hund, den sie von der Straße aufgelesen hatte. Er lag in einem der Körbe, die Doc Ward für seine speziellen Patienten aufgestellt hatte, und wirkte wesentlich lebhafter als am vergangenen Abend. »Hey«, begrüßte sie ihn. »Wie geht es dir? Du hast großes Glück gehabt, weißt du das? Wenn ich nicht zufällig vorbeigekommen wäre, hättest du es jetzt nicht so bequem.« Sie versuchte den Hund zu streicheln, ließ es aber, als sie sein Knurren hörte. »Schon gut, ich tu dir nichts. Bei uns bist du in Sicherheit.« Sie wandte sich an den Arzt. »Sieht ganz so aus, als würde er sich bald erholen. Wie macht er sich denn, Doc?«

»Sunny?« Er grinste. »Ich hab ihn Sunny genannt, weil ich hoffe, dass er bald die Sonnenseite des Lebens kennenlernen kann. So wie es aussieht, ist er in ein paar Tagen gesund. Natürlich nur körperlich. Was die Schläge mit seiner Seele angestellt haben, weiß ich nicht.«

»Die anderen Hunde werden ihm helfen, alles zu vergessen.«

»Das hoffe ich«, sagte er. »Da fällt mir ein, der Chef will Sie sprechen.«

Aaron Walker war um die fünfzig, ein passionierter Tierschützer, der jahrelang für den Forest Service und in mehreren Naturschutzgebieten gearbeitet hatte, bevor er eines der großen Tierheime in Denver übernommen hatte. Seine Haare und der Vollbart waren weiß und ließen ihn älter erscheinen, als er war. »Guten Morgen, Alice«, begrüßte er sie. »Sie haben gestern sehr umsichtig gehandelt. Ich hab gehört, unserem Sunny geht es schon besser.« Er forderte sie mit einer Geste auf, sich auf den Besucherstuhl zu setzen. »Aber deswegen habe ich Sie nicht rufen lassen, Alice. Sie hatten mich doch gebeten, Ihnen Bescheid zu sagen, falls sich eine Möglichkeit ergibt, in einem Wolf-Center zu arbeiten.«

»Ja?«, antwortete sie erfreut.

»Nun, ich habe gerade mit Darlene im Colorado Wolf-Center telefoniert. Sie könnte Ihnen eine Stelle als Praktikantin anbieten, vielleicht auch mehr. Wenn möglich, sollten Sie aber noch heute bei ihr vorbeikommen. Es ist noch früh am Morgen, und nach Colorado Springs fahren Sie höchstens eine Stunde.«

»Wow! Das kommt ziemlich überraschend!«

»Allerdings, und ich verliere Sie nur ungern. Aber Sie haben studiert und bereits einige Erfahrungen mit Wölfen … an Ihrer Stelle würde ich nicht lange zögern.«

Sie strahlte. »Das heißt, ich kann gleich fahren?«

»Sicher. Ich drücke Ihnen die Daumen.«

Alice lief glücklich zu ihrem Wagen und fuhr sofort los. Endlich mal eine gute Nachricht, sagte sie sich, als sie auf die Interstate 25 nach Süden fuhr. Um diese Zeit war viel Verkehr, und sie war froh, als die Skyline von Denver aus dem Rückspiegel verschwand. Erst unterwegs fiel ihr ein, dass sie nicht unbedingt wie für ein Bewerbungsgespräch gekleidet war. Sie trug Jeans, Lederjacke, Cowboystiefel und eine Baseballkappe mit dem Logo der Denver Broncos, ihr Standard-Outfit an einem Werktag. Immerhin hatte sie noch nicht ihren Overall angezogen.

Prüfend musterte sie ihr Gesicht im Innenspiegel. Sie hatte sich kaum geschminkt und ihre honigblonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet. Das machten auch ihre klaren blauen Augen nicht wett. Was soll’s, dachte sie, ich bewerbe mich schließlich nicht für einen Schönheitswettbewerb. Ich hab genug andere Argumente für eine Anstellung in einem Wolf-Center zu bieten: mein Studium, meine Field Trips in die Rockies, meine Masterarbeit über die Ansiedlung von Wölfen im Yellowstone National Park und meine Interviews mit den Verantwortlichen.

Das Wetter meinte es gut mit ihr. Über den Rocky Mountains leuchtete die Sonne und ließ die bewaldeten Berghänge in einem saftigen Grün erscheinen. Am Himmel standen nur wenige Wolken. Die Interstate 25 war normalerweise viel befahren, vor allem von Trucks, aber der Verkehr hielt sich an diesem Morgen in Grenzen, und sie kam gut voran. Schon jetzt dachte sie darüber nach, ob sie in Denver wohnen bleiben sollte, falls sie den Job im Wolf-Center bekam. Soweit sie gehört hatte, lebten die Angestellten des Wolf-Centers in Blockhütten außerhalb des Anwesens, um jederzeit in der Nähe zu sein, falls sie gebraucht wurden. Und sie würde weit genug von Frank entfernt leben, um ihm sagen zu können, dass ihre Beziehung bei dieser Entfernung ohnehin gefährdet gewesen wäre.

Bei Colorado Springs, einer mittelgroßen Stadt in den Ausläufern der Rocky Mountains, bog sie in die Berge ab. Über einen schmalen Highway fuhr sie nach Westen, bis ein Schild auf das Wolf-Center hinwies und sie auf eine Forststraße schickte. Bis zum Center, das in einer Senke abseits einer kleinen Siedlung lag, waren es nur wenige Meilen. Sie hielt auf dem Parkplatz des zweistöckigen Blockhauses, das neben den Wolfsgehegen emporragte, musterte sich noch einmal im Rückspiegel, schnappte sich ihre Umhängetasche und stieg die Stufen zum Büro hinauf.

Darlene hatte sie anscheinend kommen sehen und empfing sie in der offenen Tür. »Alice, nehme ich an. Danke, dass Sie gleich gekommen sind.« Sie war Mitte vierzig, hatte eine sportliche Figur, kurze braune Haare und wirkte energiegeladen und unternehmungslustig. Außerdem trug sie eine dunkle Hose und ein Sweatshirt mit dem Logo des Wolf-Centers. »Kommen Sie doch rein, ich möchte Ihnen Alana Govich vorstellen. Sie leitet das Denali Wolf-Center nahe dem Denali National Park in Alaska.«

Alana war eine stämmige Frau, die sehr viel Entschlossenheit ausstrahlte und so aussah, als machte sie sich nur wenig aus Äußerlichkeiten. Ihr Alter war schwer zu schätzen, Alice vermutete sie war circa fünfzig. »Freut mich, Alice«, begrüßte Alana sie gutgelaunt, »ich hab schon eine Menge über Sie gehört.«

Sie setzten sich an den runden Besprechungstisch vor dem Fenster. Darlene ließ eine Runde Kaffee und einen Teller mit Waffeln bringen. »Alana ist eine gute Freundin«, erklärte sie Alice, »wir haben am selben College studiert und waren ein Jahr zusammen in Kanada und haben dort bei einem Forschungsprojekt mitgemacht. Das Colorado Wolf-Center haben wir ein Jahr zusammen geleitet, doch dann kam ein Angebot aus Alaska, dass Alana nicht ablehnen konnte.«

Alice nickte. »Ich hab den Artikel gelesen, den Sie darüber geschrieben haben. Sehr interessant, vor allem, wie unterschiedlich die Einstellung gegenüber Wölfen dort ist. Ähnlich wie in den USA, wo die Fronten auch verhärtet sind.«

Darlene nippte an ihrem Kaffee, der jedoch noch zu heiß zum Trinken war, und stellte den Becher schnell wieder auf den Tisch. »Zu Ihnen, Alice. Wie ich Aaron am Telefon mitgeteilt habe, ist eine Praktikumsstelle bei uns freigeworden, die ich Ihnen gerne anbiete. Der Vorteil: Es spricht alles dafür, dass im nächsten Jahr eine Vollzeitstelle daraus wird. Der Nachteil: Bei einem Praktikum bekommen Sie zwar eine monatliche Entschädigung, die aber bei Weitem nicht so hoch wie ein normaler Lohn ist und Ihren Kenntnissen nicht entspricht.«

Alice’ Euphorie war gedämpft. »Und warum haben Sie mich dann rufen lassen?«

»Weil ich einen anderen Vorschlag in der Hinterhand habe«, sagte Darlene immer noch gut gelaunt. »Und da kommt Alana ins Spiel. Sie hat Ihnen einen interessanten Vorschlag zu machen.« Sie blickte ihre Freundin an. »Alana?«

Alana trank einen Schluck von dem Kaffee, den man inzwischen gut trinken konnte, und nickte. »Ich biete Ihnen eine Vollzeitstelle im Denali Wolf-Center an.« Sie erklärte ihr Angebot und nannte ein Gehalt, das sehr viel höher war, als Alice erwartet hatte. »Außerdem mietfreies Wohnen in einer unserer Hütten, Benutzung einer unserer Pick-ups, auch für private Fahrten, die sich aber natürlich im Rahmen halten sollten, zwei freie Tage pro Woche, wenn gewünscht«, sie grinste, »und Bonuszahlungen für besondere Verdienste.«

»Aber … aber wie kommt es, dass Sie mir so etwas anbieten wollen, Sie kennen mich doch kaum …«

»Irrtum, ich kenne Sie sehr gut, Alice. Nachdem Darlene mir von Ihnen erzählt hatte, hab ich sogar Ihre Masterarbeit gelesen. Sehr beeindruckend, das muss ich sagen. Ich habe selbst einige Wochen in Yellowstone verbracht und kann Ihnen nur zustimmen, was die Ansiedlungen der Wölfe im Nationalpark betrifft. Dazu die Lehrgänge und Field Trips und Ihre Leistungen auf dem College … heutzutage bleibt einem nichts verborgen. Ich habe Sie gegoogelt.«

»Ach du meine Güte, ich hoffe, Sie haben nicht die Fotos von unserem Abschlussball auf der Highschool gefunden?«

Alana lachte. »Auch die … Sie sollten meine sehen.«

»Alaska«, sagte Alice. Sie war nachdenklich geworden.

»Ich weiß, was Sie meinen. Mir ging es damals ähnlich. Ich musste erst mal überlegen, als das Angebot aus Alaska kam. Meine Eltern leben in Colorado Springs. Sie haben dort einen Laden, und die Trennung fiel mir und vor allem ihnen schwer. Dennoch habe ich meinen Entschluss nicht bereut. Ich besuche meine Eltern am 4. Juli, an Thanksgiving und an Weihnachten, auch wenn die Fluglinien zu dieser Zeit die Preise besonders hochtreiben. In Alaska hab ich mich inzwischen eingelebt. Es ist so eindrucksvoll wie Colorado, nur alles viel größer.«

»Ich war mal in Alaska«, erwiderte Alice, »in den Sommerferien. Wandern im Denali National Park und Bären beobachten auf der Kenai-Halbinsel. Mein Vater ist Park Ranger im Teton National Park und ich war dort oft mit ihm wandern, aber Alaska war schon was anderes. Den Denali im Sonnenlicht und Grizzlys mit ihren Jungen zu sehen, war sehr eindrucksvoll.« In ihren Gedanken tauchten die Bilder des schneebedeckten Bergriesen auf. »Ihr Angebot kommt unerwartet, aber ich denke, mir könnte es genauso wie Ihnen gehen.«

»Dann nehmen Sie mein Angebot an?«

»Ich wäre schön dumm, wenn ich Nein sagen würde«, erwiderte Alice. »Natürlich nehme ich das Angebot an. So einen Job bekommt man nicht alle Tage. Sieht so aus, als wäre heute mein Glückstag. Wann soll ich denn anfangen?«

»So bald wie möglich. Wie ist Ihre Kündigungsfrist?«

»Ich könnte sofort kündigen.«

»Und Ihre Wohnung?«

»Kleine Wohnungen sind heiß begehrt in Denver, die kriegt eine Maklerin im Nullkommanichts los. Die Möbel gehören meinem Vermieter. Meinen Wagen würde ich verkaufen. Aber ein paar Tage werde ich schon brauchen, um alles zu regeln. Wäre eine Woche okay?«

»Klar doch. Alana reichte ihr eine Visitenkarte. »Rufen Sie mich an, sobald Sie wissen, mit welchem Flug Sie nach Fairbanks kommen. Wir holen Sie natürlich ab.« Sie freute sich anscheinend auch über den Deal. »Ungefähr in einer Woche?«

»Genau. Ich freue mich, Alana.«

»Dann willkommen im Team des Denali Wolf-Center. Den Vertrag schicke ich Ihnen bis morgen Nachmittag per E-Mail.«

»Wir wär’s, wenn wir noch irgendwo einen Happen essen gehen?«, fragte Darlene. »In der Stadt unten gibt’s einen Italiener, der bäckt erstklassige Pizzas.«

»Pizza klingt gut«, sagte Alice.

Die Pizza schmeckte hervorragend und dazu gab es einen leichten Weißwein. Doch sie blieben nicht lange. Darlene und Alana hatten noch zu arbeiten und Alice wollte Aaron im Tierheim nicht zu lange warten lassen. Sie nahm sich jedoch die Zeit, die Wölfe in ihren Gehegen zu besuchen, darunter auch eine weiße Wölfin, die erst seit ein paar Wochen im Center war und sich so anmutig und elegant wie keines der anderen Tiere bewegte.

»Das ist Angel«, stellte Darlene sie Alice vor, »leider hat sie einen Tumor und wird nicht mehr lange leben.«

»Wie traurig! Sie ist so … so anmutig.«

»Ich hatte mal einen Pfleger, einen Cheyenne, der im Reservat der Northern Cheyenne aufgewachsen und als Geschichtenerzähler bekannt war. Er sagt, dass weiße Wölfe von seinem Volk genauso verehrt wurden wie weiße Büffel. Sie seien vom Großen Geist auf die Erde geschickt worden, um Frieden zu stiften. Einem seiner Söhne soll ein solcher Wolf das Leben gerettet haben.«

»Angel … sie ist sicher beliebt bei den Besuchern«, sagte Alice.

»Kein Wolf wird so oft fotografiert wie sie.«

»Ich hoffe, sie lebt noch sehr lange.«

»Leider höchstens ein halbes Jahr, meint der Arzt«, sagte Darlene.