3,99 €
Was hat die rote Lampe zu bedeuten, die nachts in einem der Fenster im Haus am Meer aufleuchtet? Was ist mit den Schafen, die mit durchtrennter Kehle gefunden werden? Und war der Tod des Besitzers tatsächlich nur ein Herzversagen? Viele Fragen, die Inspektor Greenough zu beantworten hat, und die ihm den Schlaf rauben. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 291
Mary Roberts Rinehart
Die rote Lampe
Kriminalroman
Aus dem Amerikanischen
FISCHER Digital
Professor für englische Literatur an der Universität B.
Vor einigen Wochen kam während einer Abendgesellschaft die Rede darauf, dass in den Tageszeitungen dem Leser so manches hochdramatische Ereignis aus dem menschlichen Leben in unvollständiger Form geboten werde.
Es war ausgerechnet Pettingill, der die Aufmerksamkeit der Tischgesellschaft auf mich lenkte.
»Nehmen wir einmal Ihren merkwürdigen Fall, Porter, der sich vor zwei Jahren bei Ihrem Sommerhaus abspielte. Was ist dort eigentlich passiert? Grace und ich haben uns damals förmlich um das Morgenblatt gerissen. Dann hörten sie plötzlich damit auf. Ließen uns einfach sitzen.« Mit gekränkter Miene blickte er sich im Kreise um.
Helena Lear blickte boshaft zu mir herüber: »Erzähl uns doch davon, Willie.« Sie ist die einzige Person in der Welt, die mich Willie nennt. »Her mit den gruseligen Einzelheiten! Weißt du, ich habe im Stillen immer geglaubt, du seist der Täter gewesen.«
Das löste ein schallendes Gelächter aus, und ich blickte zu meiner Frau hinüber. Sie saß aufrecht da, mit todernstem Gesicht, aus dem alle Farbe gewichen war, und starrte über die Blumen und Kerzen hinweg in das Halbdunkel über dem Büfett – als sähe sie etwas.
Ich merkte, wie der kleine Pettingill sie unauffällig beobachtete und ihren Blicken zu der Stelle über dem Büfett hinter mir folgte. Ich drehte mich aber nicht um. Wahrscheinlich waren es nur die durch die frivole Konversation geweckten Erinnerungen, die mich einen Augenblick lang einen kalten, wirbelnden Wind im Rücken spüren ließen …
Es kam mir dann zum Bewusstsein, dass viele Leute im ganzen Land sich stark für unser Drama in Oakville interessiert hatten und dann dasselbe irritierende Gefühl gehabt haben mussten, das eine unvollendete Geschichte hinterlässt.
Es erschien mir wie eine Pflicht, die ich mir wie auch der Universität schuldig war, die Sache zu klären, das Unvollendete zu vollenden, die ganze Geschichte mit ihrem erstaunlichen Gipfelpunkt darzustellen und meinen Kollegen und der Welt im Allgemeinen zu sagen: »So ist es geschehen. Wie Sie sehen, ist das Problem gelöst, und hier ist Ihre Antwort.«
Zu diesem Zweck habe ich den Teil meines Tagebuchs gewählt, der sich vom 16. Juni bis zum 10. September jenes Jahres erstreckt. Es sind die täglichen Aufzeichnungen über die seltsame Kette von Ereignissen, die in der Nacht vom 10. September in dem getäfelten Raum des Hauptgebäudes von Twin Hollows einen so dramatischen Höhepunkt erreichten.
Da dieses Haus eine so große Rolle in der Erzählung spielt, ist es vielleicht angebracht, einige Worte darüber zu sagen. Der Hauptteil – die Diele, die sich von der nach der See gelegenen Terrasse bis zur Rückseite des Hauses erstreckt, das getäfelte Arbeitszimmer und die große Bibliothek – ist sehr alt. An diesen Teil wurde noch Verschiedenes angebaut, und zwar jenseits der Diele und gegenüber der Bibliothek ein Esszimmer mit dem Blick zur See, Anrichte, Speisekammer, Küche, Waschküche und jenseits der Waschküche ein undefinierbarer Raum, der ursprünglich als Jagdzimmer eingerichtet war und immer noch Gewehrschränke an den Wänden enthält.
In späteren Jahren wurde dieses Jagdzimmer mehr und mehr seiner ursprünglichen würdevollen Bestimmung entzogen und diente verschiedenen Zwecken. Zu Zeiten meines Onkels Horace benutzte es der alte Gärtner Thomas gelegentlich als Umpflanzraum, und an nassen Tagen wurde Wäsche zum Trocknen darin aufgehängt. Aber es blieb immer das »Jagdzimmer« und wird auch in dieser Erzählung so genannt.
Beim Umbau hatte man einen beträchtlichen Geschmack bewiesen, und das breite weiße Gebäude mit den hohen, bis zum Dach ragenden Säulen macht einen hübschen Eindruck von der Bucht aus. Es steht auf einer kleinen Anhöhe, mit der Vorderseite nach dem Wasser, und sein Rasen erstreckt sich bis an den Rand der Salzmarsch, die das Anwesen von der See trennt.
Dies ist also Twin Hollows, ein friedliches, schönes, vornehmes Haus. Aber das Haus steht leer und wird, solange ich lebe, immer leer stehen.
Über meinen Onkel Horace, der ebenfalls eine große Rolle in meinem Tagebuch spielt, muss ich auch ein paar Worte sagen. Er ist ganz plötzlich, ein Jahr bevor das Tagebuch die Erzählung aufnimmt, gestorben, vermutlich an Herzasthma, woran er seit langem gelitten hatte. Er war ein Gentleman und ein Gelehrter, aber ein ausgesprochener Einsiedler, sodass wir nicht auf sehr vertrautem Fuße miteinander standen. Hin und wieder verbrachte ich ein Wochenende bei ihm auf dem Lande, und bis zu dem Sommer, wo die Erzählung beginnt, hatte ich ihn hauptsächlich in Erinnerung als einen ziemlich kleinen, streitlustigen älteren Herrn mit dem trockenen, scharfen Husten der Herzkranken, der auf der ewigen Suche des Asthmatikers nach Luft nachts unter meinem Fenster auf der Terrasse hin und her ging und zur Erleichterung eine besonders widerliche Sorte von Kräuterzigaretten rauchte.
Bis zu dem Sommer, wo die Erzählung beginnt –
Das Semester mit all seinen Promotionsfeierlichkeiten ist, Gott sei Dank, endlich vorüber, und es ist dabei nicht mehr Unangenehmes passiert als gewöhnlich. Die üblichen Zusammenkünfte der ehemaligen Studenten haben stattgefunden, und ich muss sagen, die ganz Alten stimmen mich immer sehr wehmütig. Ich glaube, es würgte die meisten in der Kehle, als der Jahrgang von Onkel Horace am Studententag auf den Sportplatz marschierte. Nur noch acht in diesem Jahr! Onkel Horace war nicht mehr dabei. Armer Kerl!
Dabei fällt mir ein, dass Jane glaubte, ihn beim Einmarsch seiner Gruppe gesehen zu haben. Eine wunderbare Frau, meine Jane! Gewöhnlich keine Phantasie, aber ein peinlich ordentliches Gemüt und nur einen schwachen Sinn für Humor. Dennoch schleift sie den armen alten Horace aus seinem Grabe, in dem er schon ein Jahr ruht, auf den Sportplatz und wird ein wenig verdrießlich mit mir, wenn ich darüber lache!
»Ich habe dir doch gesagt, du solltest deine Brille nicht vergessen, liebes Kind«, wagte ich zu bemerken.
»Wie viel Männer sind in der Gruppe?«, fragte sie erregt.
»Acht. Und sprich um Himmels willen etwas leiser.«
»Ich sehe neun, William«, antwortete sie ruhig. Als sie aufstand, um ihre üblichen Aufnahmen von dem Studentenumzug zu machen, zitterte sie.
Eine merkwürdige Frau, meine Jane!
Gestern war mein erster freier Tag, und gestern Abend wanderte ich im Hause umher und entdeckte meine Besitztümer von Neuem.
»Du hast ja das Sofa neu beziehen lassen, Jane.«
»Schon vor Weihnachten«, erwiderte Jane und blickte mich an. Ich schaute sie aufmerksam an.
Hin und wieder kommt es einem Mann zum Bewusstsein, dass er doch sehr wenig von seiner Frau weiß. Er kennt natürlich die äußeren Eigenschaften ihres Charakters, ihren Ordnungssinn – Jane ist ordentlich – ihre Sparsamkeit – und Jane ist sparsam. Das musste sie notgedrungen sein! Aber es ging mir plötzlich ein Licht auf, dass ich doch eigentlich recht wenig von ihr wusste.
Sie war mit einer jener endlosen Handarbeiten beschäftigt, mit der sie später einen Stuhlsitz schmückt und dann von mir erwartet, dass ich mich nicht mehr auf diesen Stuhl setze.
»Woran denkst du, Jane?«, fragte ich sie.
»Ich habe, offen gestanden, überhaupt nicht gedacht.«
Dadurch verfiel ich wohl darauf, über Janes Geist nachzudenken, was durchaus keine Kritik bedeuten soll: Eher das Gegenteil; denn Jane hat einen ausgezeichneten Verstand mitbekommen. Aber ich spüre manchmal, dass sie über Eigenschaften verfügt, die ich nicht besitze. So könnte ich mir zum Beispiel unmöglich – wie Jane am Studententag – einbilden, ich sähe Onkel Horace. Sie hat eine merkwürdige Fähigkeit, die sie wie eine der sieben Todsünden verbirgt und die das Zusammenleben mit ihr manchmal etwas erschwert. So weckte sie mich einmal, wie ich das unter dem 28. Juni vorigen Jahres in mein Tagebuch eingetragen habe, morgens um sieben Uhr und erklärte, sie habe Onkel Horace tot auf dem Fußboden der Bibliothek in Twin Hollows liegen sehen.
»Träume«, erwiderte ich schlaftrunken, »sind Schäume. Geh wieder zu Bett. Dem alten Knaben fehlt nichts.«
»Ich habe nicht geschlafen«, sagte sie ruhig. »Und du wirst bald eine telefonische Nachricht bekommen, die dir das bestätigen wird.«
Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, als das Telefon läutete und Annie Cochran uns berichtete, sie habe ihn um sieben Uhr tot auf dem Fußboden in der Bibliothek gefunden.
Ist Jane eine wahre Hellseherin, was immer man sich darunter auch vorstellen mag? Oder ist Telepathie die Antwort? Sie ist eine Schottin, und die Schotten erheben ja manchmal Anspruch auf das sogenannte »Zweite Gesicht«. Ich weiß, dass Jane tief in ihrem Herzen glaubt, sie habe diese seltsame Gabe. Sie soll ein eigenartiges Kind gewesen sein, das Dinge sah und hörte, die von anderen nicht wahrgenommen wurden. Und ich weiß auch, dass sie diese Gabe fürchtet und hasst; sie erscheint ihr irgendwie irreligiös.
Ich komme mir heute Abend ganz so vor wie der Mann, der einen Stier beim Schwanz gepackt hat und nicht loszulassen wagt. Und doch bin ich sicher, dass es eine vollkommen natürliche Erklärung gibt.
Es ist allerdings eine merkwürdige Angelegenheit. Erst glaubt Jane, Onkel Horace an der Spitze seiner Gruppe zu sehen. Dann macht sie eine Aufnahme, wobei ihr vor Aufregung die Hände zittern. Und nun zeigt das Bild neun alte Männer anstatt acht. Neun Männer sind auf dem Bild; das lässt sich nicht abstreiten. Es lässt sich auch nicht verheimlichen, dass die neunte Figur ein wenig anders ist; sie ist gleichsam schattenhaft; es fehlen die scharfen Umrisse. Unter Janes Vergrößerungsglas tritt sie auch nicht besser hervor. Wegen der großen Entfernung sind die Gesichtszüge undeutlich. Wenn man sich jedoch den Geist des alten Horace in seinem Brokatschlafrock vorstellen könnte, leicht vorgebeugt, um zu husten, so ist er entschieden da, im hellen Sonnenschein, mitten in der lärmenden Menschenmenge.
Ich habe Lear das Bild gezeigt, und er meint, es sei zweifellos eine Doppelaufnahme. »Wenn du mir nicht glaubst, zeige es doch Cameron. Er ist ja eine Kanone auf diesem Gebiet.«
Cameron ist Austauschprofessor der Physik an unserer Universität. Mitglied der Gesellschaft für Seelenforschung und unter den Studenten, wie ich höre, als »Spuk«-Cameron bekannt.
Aber ich habe es Cameron nicht gezeigt und habe auch nicht die Absicht. Einmal kenne ich den Mann kaum. Zum anderen hat Lear recht.
Jane weiß, dass ich das Bild gesehen habe und dass ich weiß, dass es etwas mit ihrer Weigerung, den Sommer in Twin Hollows zu verbringen, zu tun hat. Als ich heute von Larkins Büro zurückkam, nachdem die letzten Papiere unterzeichnet waren, konnte ich beobachten, wie sie sich beinahe physisch gegen den Gedanken stemmte.
»So, jetzt ist alles in Ordnung, Jane. Und wenn wir Annie Cochran dazu bewegen können, das Haus ein bisschen zu säubern –«
»Würdest du sehr enttäuscht sein«, fragte sie beinahe flehend, »wenn wir nicht dorthin gingen?«
»Aber ich dachte, es sei alles abgemacht. Edith kommt extra deswegen zurück.«
Edith ist meine Nichte, die bei uns wohnte. Damals war sie gerade abwesend. Sie ist ein reizendes und überall sehr beliebtes Mädchen.
»Es ist zu groß für uns«, behauptete Jane. »Ich brauche Ruhe im Sommer und nicht ein großes Haus, das ich in Ordnung halten muss.«
Sie sagte dies in einem gewissen endgültigen Ton, der die Unterhaltung beendete. Infolgedessen haben wir uns – wie immer bei solchen Meinungsverschiedenheiten – den ganzen Tag über in ein höfliches Schweigen geflüchtet, die bewaffnete Neutralität der Ehe.
Jane ist, immer noch höflich schweigsam, zu Bett gegangen, und ich sitze allein auf, um mit meinen beiden Problemen fertig zu werden: Wo sollen wir den Sommer verbringen, und warum ist Jane der Ansicht, dass es mit Twin Hollows eine seltsame Bewandtnis hat?
Eigentlich eine schwache Bezeichnung für das Gefühl, das Jane für das Haus hat. In Wirklichkeit hasst sie es. Hat es immer gehasst. Sie ist nicht stolz darauf, dass es uns durch die Erbschaft zugefallen ist, und hat sich sogar hartnäckig geweigert, irgendeins der frühamerikanischen Möbelstücke, womit der alte Horace es angefüllt hatte, mit nach Hause zu nehmen.
Dabei sammelt sie frühamerikanische Möbel. Wegen dieser Geschmacksrichtung schreibe ich ja heute Abend an einem äußerst unzulänglichen frühamerikanischen Schreibtisch. Aus demselben Grund hat mein Hund Jock seine nicht unbeträchtliche Länge auf dem harten Sitz eines Windsor-Stuhles zusammengerollt. Und doch will sie kein Stück aus der wirklich erlesenen Sammlung unseres Onkels Horace.
Sie ist nicht der Typ, der auf Annie Cochran hört, wenn diese davon erzählt, dass im alten Teil des Hauses der Geist eines dort getöteten Mannes herumspukt.
Vielleicht hat ihr Widerwille etwas damit zu tun, dass diese Riggs im Hause gewohnt hat, bevor Onkel Horace es kaufte. Aber selbst das erscheint mir zweifelhaft; denn Mrs. Riggs ist bei dem unverschämtesten Betrug ertappt und als Medium gänzlich in Misskredit gebracht worden.
Edith ist zurück. Sie stürmte heute Morgen herein, küsste Jock, Jane und mich, Jock zuerst, verlangte ein Riesenfrühstück und das ganze heiße Wasser im Haus und erschien nach einer halben Stunde fröhlich am Tisch, mit ihrer üblichen Atmosphäre von Badesalz, Badepuder und Sonnenschein.
»Na«, fragte sie und nahm ihre Melone in Angriff, »wann gehen wir denn in das Spukhaus?«
»Da musst du deine Tante fragen.«
Sie sah mich an und blickte dann scharf zu Jane hinüber.
»Du meine Güte!«, rief sie. »Nun erzählt mir bloß nicht, dass darüber noch Zweifel bestehen.«
»Es steht noch nicht fest«, erklärte Jane mit einigem Unbehagen. »Es ist ein großes Haus, Edith, und –«
»Umso mehr Grund, es zu nehmen.« Damit breitete Edith ihre hübschen Arme aus und sprudelte begeistert hervor: »Gras und Blumen und die See. Ich werde schwimmen. Und der alte Vater William soll fischen. Und nachts sollen die Geister umwandeln. Und alles wird herrlich sein.«
Selbst Jane wurde etwas von ihrer Fröhlichkeit angesteckt. Zum ersten Mal seit Tagen lächelte sie.
»Wenn du dir morgen das Haus ansehen willst, William, will ich mitfahren.«
Heute Nachmittag erscheint mir die Welt wieder in einem rosigen Licht. Der bloße Gedanke, nicht nach Twin Hollows zu gehen, sondern der Gnade eines Berghotels ausgeliefert oder im Wilden Westen auf ein Pferd gesetzt zu werden, hatte bei mir schon einen panischen Schrecken hervorgerufen.
Die Stadt ist heute sehr ruhig. Der jährliche Studentenauszug ist fast vorüber. Unsre Freunde, die Lears, wollen in der Stadt bleiben, und mein Kollege, der Physiker Cameron, der einer spiritistischen Gesellschaft angehört, fährt, wie ich höre, in die Adirondack-Berge, wo er den Sommer wohl ohne Geister in einem Boot verbringt.
Ich habe ihm heute das Bild geschickt und hoffe stark, dass Jane es nicht vermisst.
Man macht sich Gedanken über Männer wie Cameron, obwohl meine Bekanntschaft mit ihm ganz oberflächlich ist – in einer Menschenmenge würde ich ihn kaum wiedererkennen. Er besitzt eine gewisse schottische Strenge. Er raucht nicht, trinkt nicht und lebt spartanisch einfach und allein. Er genießt den Ruf eines Menschen, der den Dingen unerbittlich auf den Grund geht. Er glaubt an ein bewusstes Fortleben nach dem Tode, und ich vermute, dass er seine eigene kleine Gruppe hier hat, zu der auch der kleine Pettingill gehört.
Warren Halliday ist mit Edith auf der Veranda. Ich kann ihr übermütiges Lachen und seine ruhige, tiefe Stimme hören. Wir müssen uns wohl damit abfinden, dass wir sie eines Tages verlieren werden. Der Gedanke ist schmerzlich.
Der alte Thomas traf uns in Oakville mit den Schlüsseln, und wir fuhren zusammen hinaus zum Haus. Ich spürte in Jane ein gewisses Zögern beim Eintritt. Aber sie ging tapfer dagegen an. Wir prüften das Haus mit dem Gedanken daran, wie wir es bewohnen wollten. Es ist in ausgezeichneter Verfassung, wenn auch die weißen Schutzhüllen der Möbel in der Bibliothek und in dem Arbeitszimmer dahinter diesen Räumen ein ziemlich geisterhaftes Aussehen verliehen. Jane warf nur einen flüchtigen Blick in diese Räume und ging bald unter dem Vorwand, dass es drinnen zu kühl sei, in den Sonnenschein hinaus.
Edith war jedoch von allem entzückt. Sie tanzte durchs Haus, hofierte dem alten Thomas in schamlosester Weise, wählte Schlafzimmer für uns alle und guckte in die Schränke. Ich holte sie schließlich im zweiten Stock ein, von wo aus sie das Bootshaus jenseits der Marsch studierte.
»Sind oben im Bootshaus noch Zimmer?«, fragte sie.
»Als die alte Schaluppe noch in Betrieb war, schlief der Kapitän dort.«
»Wie viel Zimmer sind es?«
»Zwei, glaube ich, und eine winzige Küche.«
»Möbliert?«
Thomas, der gefragt wurde, bejahte dies, und Edith’ Gesicht nahm jene Miene geheimnisvoller Überlegung an, die ich gelernt habe, mit einer ihrer sogenannten »Ideen« in Verbindung zu bringen. Was sich hinter ihrer Stirn abspielte, behielt sie jedoch für sich. Sie suchte sich ein Schlafzimmer aus mit einer Sorgfalt, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, in ein Haus wie Twin Hollows zu kommen, das seit dem Tod des alten Horace überhaupt nicht verändert worden ist, und ihn selbst dort nicht zu finden. Es war alles noch so wie früher: sein großer Sessel am Kamin in der Bibliothek, seine Federhalter auf dem flachen Schreibtisch, dem einzigen modernen Stück im Raum, und die Bücher, in denen er gelesen hatte, noch im Bücherständer. Ich hatte heute das seltsame Gefühl, dass ich sein Hüsteln, das er so oft vorm Sprechen ausstieß, aus dem Arbeitszimmer hören würde, wenn ich meine Stimme erhöbe.
Ich schlug die Decke zurück, die die Schreibtischplatte schützte, und setzte mich an den Tisch. Hier hatte er aller Wahrscheinlichkeit nach gesessen, als er den tödlichen Anfall bekam. Er mag ihn kommen gespürt haben, aber es war niemand da, den er rufen konnte, der arme Kerl. Wir waren nicht sehr eng miteinander verbunden gewesen; aber es ging mir doch ziemlich nahe, wenn ich mir so vorstelle, wie er hier saß und schrieb oder vielleicht las und plötzlich fühlte, dass es ihm nicht gut ging – dann ein Augenblick des Verstehens und schließlich das Ende.
Unter den Büchern auf dem Tisch war eins mit einem Stück Papier als Lesezeichen und einem mit Bleistift angestrichenen Paragraphen. Dadurch lerne ich Onkel Horace eigentlich von einer neuen Seite kennen. Bisher hatte ich immer gedacht, der Kauf eines Hauses, das an Ort und Stelle schon als Spukhaus berüchtigt war – ein Ruf, der durch die Residenz dieser Mrs. Riggs noch angewachsen war –, sei von ihm eine großzügige, rein kalvinistische Geste gewesen.
Heute Abend mache ich mir jedoch andere Gedanken. Der angestrichene Paragraph steht in einem Buch mit dem Titel »Eugenia Riggs und die Erscheinungen von Oakville«, und ich habe es mit nach Hause genommen. Es ist ein gruseliges Buch, und ich ertappe mich dabei, dass ich dauernd über die Schulter hinter mich blicke, während ich diesen Paragraphen in mein Tagebuch eintrage:
»Man muss sich vor Augen halten, dass der Raum zu Beginn stets der sorgfältigsten Prüfung unterzogen wurde. Die Wände waren mit Putz verkleidet, und in der Nähe des Kabinetts befanden sich keine Fenster oder Türen (siehe Fotografie). Als besondere Vorsicht wurden Schnüre mit kleinen Glocken über alle möglichen Ausgänge und Eingänge gezogen, die außerdem abgeschlossen waren.
Man muss auch bedenken, dass das Medium selbst stets bereit war, sich untersuchen zu lassen, und dies geschah häufig durch Madame B-. Diese Untersuchung war auch an dem Abend vorgenommen worden, als alle Anwesenden deutlich sahen, wie die Hand sich ausstreckte, die Nächstsitzenden an der Schulter berührte und später den Abdruck in der Schale mit weichem Kitt hinterließ, die man im Kabinett aufgestellt hatte.
Man muss ferner daran denken, dass – außer, wenn die Kontrollgeister ihren Wunsch nach Dunkelheit bekannt gaben – stets ausreichende Beleuchtung vorhanden war, sodass wir das Medium deutlich sehen konnten. Man hatte entdeckt, dass eine kleine rote Lampe die geringste Störung verursachte, und diese Lampe wurde gewöhnlich benutzt.
Hin und wieder wurde geschwindelt, aber es waren auch echte Erscheinungen vorhanden.«
Es besteht eine Spaltung in meiner Familie. Edith hat ihren Plan enthüllt. Danach sollen wir uns im Hauptgebäude »breitmachen«, wie sie sich ausdrückt, und Warren Halliday gestatten, seine Ferien im Bootshaus zu verbringen!
»Du meinst wohl, es an ihn vermieten, wie?«, fragte ich, während ich meinen Frühstücksspeck verzehrte.
»Vermieten?«, fauchte sie mich an. »Du besitzt doch wohl nicht die Unverschämtheit, Geld für diese Bretterbude zu verlangen? Außerdem, wo nichts ist, da hat der Kaiser sein Recht verloren.«
Edith kann sich manchmal recht unverblümt äußern.
Aber Jane ist ebenso entschlossen, das Haus auf keinen Fall zu bewohnen. Zwischen beiden versuche ich, einen Mittelkurs zu steuern.
Wenn Jane sich offen aussprechen würde, wäre es leichter.
»Wenn du unbedingt nach Twin Hollows willst«, meinte sie, und ich spürte, dass sie eine schmerzliche Konzession machte, »warum können wir dann nicht im Pförtnerhaus wohnen? Es ist eigentlich ganz reizend. Und das Haupthaus könnten wir dann vermieten.«
Die Idee ist nicht schlecht. Wir könnten im Pförtnerhaus ganz behaglich hausen. Und wenn ich mich auch gelegentlich nach Abenteuern sehne, so hat dieses Verlangen doch seine Grenzen. Die Unterhaltung, die, wie Edith mir berichtet, gestern zwischen ihr und dem alten Thomas stattfand, hat mir diese Grenzen deutlich enthüllt.
»Es ist ein gutes Haus, jawohl, mein Fräulein«, gab Thomas zu. »Für die, die so etwas mögen. Ich möchte nicht einmal darin begraben sein. Es ist nichts, was man direkt beschreiben könnte. Meist nur ein Pochen und Klopfen. Aber ich kann wohl sagen, mir reicht’s.«
»Nun«, meinte Edith, »es können vielleicht auch Ratten sein.«
»Das muss ’ne recht robuste Ratte sein, die eine geschlossene Tür öffnet, und bis jetzt habe ich noch keine Ratte gesehen, die einen Sessel schieben kann. Außerdem habe ich noch nichts davon gehört, dass Ratten eine Vorliebe für rotes Licht haben.«
»Nun hören Sie mal, Thomas, entweder verraten Sie alles oder nichts. Was für eine Bewandtnis hat es mit dem roten Licht? Hoffentlich ist es nichts Skandalöses!«
Es kam dann schließlich heraus, dass vor etwa zwei Jahren eine kleine rote Lampe im Arbeitszimmer in Twin Hollows angebracht wurde und auch heute noch vorhanden ist, da Thomas aus Angst vor einer schauderhaften, geheimnisvollen Rache es abgelehnt hat, sie zu beseitigen.
»Nicht, um Licht zu haben, soweit ich es beurteilen kann, mein Fräulein«, bemerkte Thomas. »Ich habe den alten Herrn nie bei der Lampe lesen sehen. Und Annie Cochran behauptete, gleich in der ersten Nacht, als die Lampe im Haus war, sei etwas in ihr Zimmer gekommen und habe ihr die Bettdecken weggezogen.
Das war aber nicht alles«, fuhr er unerschütterlich fort. »Die Möbel wurden die ganze Nacht über im Haus hin und her geschoben, und am nächsten Morgen stand der Wasserkessel in der Anrichte, und im Teetopf war Tee aufgebrüht worden.«
Edith hat verloren, und Jane hat gewonnen. Wir werden den Sommer im Pförtnerhaus zubringen, und Warren Halliday soll das Bootshaus haben.
Wir sind heute zusammen hinausgefahren, ich, um das Pförtnerhaus genauer aufs Korn zu nehmen, und Halliday, um sein künftiges Quartier zu inspizieren. Er ist durchaus sympathisch, ein netter, anständiger junger Mann, nicht besonders hübsch. Und es trifft ihn hart, dass es ihm nicht gelungen ist, eine Beschäftigung für die Semesterferien im Sommer zu finden.
»Ich würde alles machen«, erklärte er. »Schlipse verkaufen, wenn’s Not tut! Aber selbst das gelingt mir nicht.«
Auf der Hinfahrt erzählte ich ihm etwas von der Geschichte des Hauses und ein wenig – allerdings sehr wenig – von Janes diesbezüglicher Nervosität.
Im Hinblick auf diese Unterhaltung war es ganz interessant, als der alte Thomas später am Tag im Pförtnerhaus andeutete, dass Onkel Horace nicht eines natürlichen Todes gestorben sei, sondern etwas gesehen habe, das seinen Tod verursachte.
Dabei wies er auch auf manche ziemlich seltsame Tatsachen hin, die damals übersehen oder zumindest für unwichtig gehalten worden waren.
Zum Beispiel hatte Onkel Horace am Tisch geschrieben, als er den Anfall bekam. Man fand seinen Federhalter auf dem Fußboden, aber von dem, was er geschrieben hatte, keine Spur, außer einem Abdruck auf dem frischen Löschpapier. Das Löschblatt war anscheinend verschwunden. Das Merkwürdigste aber waren die Lichter.
Als Annie Cochran ihn am folgenden Morgen neben seinem Schreibtisch am Fußboden fand, waren alle Lampen gelöscht, auch die Schreibtischlampe.
»Aber die rote Lampe im Arbeitszimmer brannte«, bemerkte der alte Thomas. »Sie gab nicht viel Licht. Daher merkte es niemand, bis der Arzt kam. Er sah sie sofort. Was hat die Tischlampe ausgeschaltet? Darauf können Sie sich Ihren eigenen Vers machen.«
Wie ich von Thomas höre, zeigt man überall großes Interesse, ob wir das Haus bewohnen werden oder nicht, und ich habe noch nie so tiefe Erleichterung aus den Zügen eines Mannes gelesen wie bei Thomas, als ich ihm meinen Entschluss verkündete. Wie Halliday bemerkt, wäre es interessant zu erfahren, ob Annie Cochran oder Thomas je davon gehört haben, dass Rot das beste Licht für sogenannte spiritistische Erscheinungen ist.
Das Pförtnerhaus ist wetterfest und in gutem Zustand. Mit ein paar Sachen aus dem Hauptgebäude ist auch das Bootshaus ganz wohnlich. Die Fliegenfenster bedürfen jedoch wegen der Moskitos einer gründlichen Überholung.
Das Bootshaus ist auf Pfählen gebaut, die es über das Niveau der Flut erheben. Das kleine Fischerboot und das Kanu, die zum Haus gehören, werden im Winter unten im Bootshaus verstaut. Die alte Schaluppe jedoch, die seit mehreren Jahren nicht mehr in Betrieb war, lag zu der Zeit, an einer Boje verankert, ungefähr hundert Meter weit draußen in der Bucht, und man sah es ihr an, wie Wind und Wellen ihr mitgespielt hatten.
Über die Salzmarsch hinweg führte vom Fuß des Rasens ein erhöhter, hölzerner Laufsteg zum Bootshaus und zum Strand. Dieser Steg setzte sich in eine wackelige Landungsbrücke fort, von der ein anderer Steg zu einem Holzfloß führte. Bei unserem Besuch sahen wir, dass dieses Floß dringend ausgebessert werden musste, da mehrere der tragenden Fässer auseinander gefallen waren.
Im Großen und Ganzen ist Janes Plan sehr praktisch, wenn auch Edith nach außen hin etwas enttäuscht ist.
»Ich hätte mich so gut auf der Terrasse gemacht«, meinte sie und schnitt mir eine scheußliche Grimasse.
Aber innerlich ist sie, glaube ich, doch ganz zufrieden. Sie sieht sich bereits in dem Häuschen in einer Tändelschürze, ein Bild lieblicher, aber bescheidener Häuslichkeit, das dem jungen Halliday imponieren und ihn zum Antrag zwingen soll. Denn wie ich Edith kenne, wird sie ihn heiraten, und wie ich Halliday kenne, wird er nicht heiraten, wenn er seine Frau nicht ernähren kann.
Es mag ein interessanter Sommer werden.
Das letzte oder fast letzte Wort, das Onkel Horace in der Sterbenacht schrieb, war das Wort Gefahr.
Was für eine Gefahr konnte ihn wohl bedroht haben?
Heute Morgen, als ich meinen Schreibtisch im Hinblick auf unseren bevorstehenden Auszug aufräumte, wandte ich einen alten Trick von mir an. Ich drehte den Löschpapierblock in meiner Schreibunterlage einfach um und präsentierte auf diese Weise der Welt eine frische, makellose Seite. Dabei kam mir der Gedanke, dass Annie Cochran womöglich auch auf diese Methode verfallen sein mochte.
Nach dem Mittagessen brach ich nach Twin Hollows auf, mit einer ganzen Ladung von zerbrechlichen Toilettengegenständen, etlichen Lampen und einer Menge Geschirr hinten im Wagen. Das Pförtnerhaus war offen und Annie Cochran eifrig dabei, es zu säubern. Nachdem ich meine zerbrechlichen Artikel dort abgeladen hatte, schlenderte ich zum Haus hinauf.
Thomas war damit beschäftigt, den Rasen zu mähen, und der Polizist von Oakville, Starr, der gleichzeitig der Tischler am Platz ist, besserte den erhöhten Laufsteg mit neuen Planken aus.
»Höre, Sie wollen im Pförtnerhaus wohnen«, sagte Starr und spuckte über das Geländer.
»Meine Frau ist der Ansicht, dass das Hauptgebäude für uns zu groß ist.«
Er musterte mich mit scharfem Blick.
»Ja«, meinte er dann. »Ziemlich großes Haus. Na, mir hat’s ’nen Dollar eingebracht.«
»Einen Dollar?«
»Habe gewettet, Sie würden niemals drin wohnen.« Und mit einem verstohlenen Lächeln in den Augen beugte er sich über eine Planke, die er zum Sägen markierte.
»Nach meiner Meinung, Starr, haben Sie alle hier das Haus durch Ihr Gerede in Verruf gebracht.«
»Mag sein«, erwiderte er gleichgültig.
»Mr. Horace Porter hat hier zwanzig Jahre gelebt.«
»Und ist hier auch gestorben«, erinnerte er mich.
»An einem chronischen Herzleiden.«
»Nach Aussage des Doktors.«
»Aber Sie glauben das nicht?«
»Ich weiß, dass er auch einen ziemlich kräftigen Schlag auf den Kopf bekommen hat.«
»Ich dachte, das sei von dem Fall gekommen.«
»Mag schon sein«, meinte er und machte sich mit seiner Säge zu schaffen, womit er andeutete, dass die Unterhaltung zu Ende sei. Als ich aber weiterging, rief er hinter mir her:
»Ich weiß nicht, ob was Wahres dran ist. Aber die Leute sagen, man könne ihn in stillen Nächten hier husten hören.«
Thomas glaubt also, dass Onkel Horace zu Tode erschreckt worden ist, und Starr deutet an, dass er ermordet wurde. Dies alles hat die Gemüter der Landbevölkerung vor einem Jahr bewegt, ohne dass es mir überhaupt zu Ohren gekommen wäre. Eine Leichenschau hatte nicht stattgefunden. Wie ich mich entsinne, hat Dr. Hayward den Leichenbeschauer einfach telefonisch benachrichtigt und organisches Herzleiden als Ursache angegeben.
Ich muss sagen, ich war zunächst ganz bestürzt, als ich mich dem Hauptgebäude zuwandte. Aber ich kannte die Tendenz dieser kleinen einheimischen Gemeinden, aus Mangel an Anregung von außen her alle Vorkommnisse zu dramatisieren, und als ich bei der Terrasse angelangt war, hatte Starrs Äußerung über den Schlag für mich ebenso wenig Bedeutung wie das nachts gehörte Husten.
Ich ging ins Haus und entdeckte, dass Annie Cochran tatsächlich den Löschpapierblock umgedreht hatte und Gefahr das letzte Wort war, das der arme alte Mann geschrieben hatte.
Wir haben uns nun im Pförtnerhaus eingerichtet. Aber was Edith auch über sein romantisches Äußeres sagen mag, das Innere ist einfach hässlich. Es ist genau das Gegenteil von dem, was man sich unter einem Landhäuschen vorstellt. Von dem alten Harmonium unten bis oben zu den Betten, die alle eine Vertiefung in der Mitte haben, ist es abscheulich. Und doch ist Jane heute Abend eine glückliche Frau.
Oder ist Jane einfach erleichtert?
Ich habe Larkins Anzeige für das Haupthaus vor mir.
»Zu vermieten für den Sommer: ein großes, gut möbliertes Haus an der Bucht, drei Meilen von Oakville. Schöne Lage. Ca. dreizehn Hektar Parkgelände. Blumen- und Küchengärten. Niedriger Mietpreis.«
Ich habe alle die Bücher mitgebracht, die ich schon das ganze Jahr lesen wollte, sodass mein kleines Zimmer fast überfließt; ein paar Notizbücher für dieses Tagebuch, die wahrscheinlich mit den Gewichten von Fischen und Temperaturangaben gefüllt werden; ich habe Jane, die mir gediegene Zuneigung schenkt, Edith, die Freude in mein Leben bringt, und Jock, der mir Gesellschaft leistet.
Letzteres möchte ich heute Abend allerdings in Frage stellen. Jock hat mich im Stich gelassen. Er will sich nicht auf den Fenstersitz in meinem Zimmer legen, obwohl ich seine Decke fein säuberlich dort ausgebreitet habe. Als ich ihm den Platz zeigte, sprang er gehorsam hinauf. Dann warf er einen Blick aus dem Fenster auf das Haupthaus, stieß ein lang gezogenes, melancholisches Geheul aus und verschanzte sich mit einer Entschlossenheit, die keinen Widerspruch duldete, unter dem Bett in Janes Schlafzimmer, das nach der Straße zu liegt. Auch konnte ich ihn später, als ich einen Mondscheinbummel am Strand machen wollte, nicht dazu bewegen, am Haupthaus vorbeizugehen.
Es herrschte große Aufregung im Haus, und erst jetzt haben wir uns beruhigt. Es liegt auf der Hand, dass auch Clara, unserem Hausmädchen, schon das hier herrschende Gerede zu Ohren gekommen war.
Um elf Uhr hörten wir ein wildes Geschrei aus ihrem Dachzimmer, und alle drei kamen wir in verschiedenen Stadien der Entkleidung oben an. Clara stand draußen vor ihrer Tür, die sie zugemacht hatte, und schrie hysterisch, dass sie ein bläuliches Licht unter ihrem Bett gesehen habe.
Ich öffnete die Tür, betrat das Zimmer, das dunkel war, und bückte mich. Tatsächlich! Da war ein blaues, geisterhaft glänzendes Licht. Ich bekam eine Gänsehaut. Wenn die Frauen nicht draußen gewesen wären, hätte ich wahrscheinlich aufgejault wie ein Hund. Und das Schlimmste war, dass es ein Auge hatte, ein großes, starres Auge, das mich mit der ganzen konzentrierten Bosheit der Welt anblickte.
Es dauerte eine Weile, bis ich meine Stimme in der Gewalt hatte und ruhig sagen konnte:
»Knips mal einer das Licht an.«
Während jemand nach dem Schalter tastete, starrten das blaue Licht und ich uns an. Ich hörte, wie Edith sich neben mir auf den Boden fallen ließ und einen kleinen Schrei ausstieß, während Clara draußen schluchzend erklärte, sie würde niemals wieder das Zimmer betreten. Niemals.
Dann drehte Jane das Licht an, und das Geisterlicht unter dem Bett entpuppte sich als ein großer, phosphoreszierender Fischkopf, den Jock vom Strand mitgebracht und dort sorgfältig versteckt hatte!
Ich habe Onkel Horaces Brief gefunden. Wie ist er bloß hinter die Schublade gekommen? Wenn der bräunliche Fleck an der Ecke Blut sein sollte, was ich beinahe annehme, so wurde der Brief in die Schublade gelegt, nachdem Onkel Horace gestorben war. Annie Cochran wie auch Thomas bestreiten, ein Papier herumliegen gesehen zu haben.
Er war zusammengeknüllt in die Schublade geworfen worden, und das spätere Öffnen der Schublade hat ihn zurückgeschoben. Aber – nachdem Onkel Horace hingeschlagen war!
Heute Morgen ging ich mit Edith ins Haupthaus hinüber. Sie wollte ein paar Kleinigkeiten für das Bootshaus aussuchen, da Halliday bald kommt, und ich wollte den Schreibtisch in der Bibliothek ausräumen, um ihn ins Pförtnerhaus hinüberschaffen zu lassen.
Edith war in lustiger Stimmung, als ich die Haustür aufschloss, und erzählte Thomas, der uns begleitete, mit todernster Miene, wir hätten in der vergangenen Nacht ein blaues Licht unter Claras Bett gesehen. Aber das schien ihn nicht zu überraschen.
»Gibt ’ne Menge davon, sagen die Leute«, entgegnete er. »Aber es ist das erste Mal, dass es im Pförtnerhaus aufgetaucht ist.«
»Oh!« Edith war etwas entmutigt. »Lichter gibt’s also auch.«
»Ja, Miss«, erwiderte er, »Annie Cochran, die hatte eins hier, das schwebte immer im Duschraum neben dem Jagdzimmer herum. Dann gab’s draußen noch viele. Leute, die in der Bucht ihre Netze spannten, haben sie oft über dem Sumpf gesehen.«
»Sumpfgas«, schlug ich vor.
»Mag sein«, meinte er in seiner gleichgültigen Art, und wir gingen ins Haus.
Dort verließen mich Edith und Thomas, und ich öffnete die Fensterläden in der Bibliothek und setzte mich an den Schreibtisch. Ich höre noch, wie Edith darauf drängte, den Duschraum beim Jagdzimmer zu sehen. Dann verhallten ihre Stimmen, und ich machte mich daran, den Schreibtisch nochmals zu untersuchen. Alle wichtigen Papiere waren bereits nach dem Tod entfernt worden, und die Schubladen enthielten nur noch den üblichen Kleinkram.
Als ich dann ins Arbeitszimmer wanderte, um einen Platz für den ausgeräumten Plunder zu finden, waren meine Gedanken intensiv mit Onkel Horace beschäftigt.
Edith kam zurück. Ich hörte, wie sie aus der Bibliothek rief:
»Ich habe Annie Cochrans blaues Licht entdeckt. Ein phosphoreszierendes Stück Holz. Kein Wunder, dass diese Gegend hier von Gespenstern heimgesucht wird!« Dann kam sie, von Thomas gefolgt, zum Türeingang und blieb plötzlich stehen.
»Du meine Güte!«, rief sie. »Was für seltsame Schatten!«
»Schatten?«, fragte ich und ging in die Bibliothek zurück. Da lachte sie und strich sich mit den Fingern über die Augen.
»Ich habe mich geirrt«, sagte sie. »Als ich hereinkam, glaubte ich, eine Wolke unter der Decke zu sehen. Jetzt ist sie verschwunden.«
Der alte Thomas stand ruhig daneben.
»Eine Menge Leute haben diese Schatten gesehen. Manche behaupten, sie sind rot, und andere sagen, sie sind braun. Vielleicht ist es auch Phosphoreszenz.« Und mit einem hämischen Grinsen zog er von dannen.
Hinter einer Schreibtischschublade fand ich dann den Brief.
An wen er gerichtet ist, geht nicht daraus hervor. Geschrieben hat ihn mein Onkel am 27. Juni vorigen Jahres, dem Tag seines Todes:
»Ich schreibe dieses in großer Seelenqual und einem nach meinem Gefühl rechtschaffenen Zorn. Es erscheint mir unfassbar, dass Sie nicht das Böse des von Ihnen vorgeschlagenen Planes sehen.