Die Schatzinsel - Robert Louis Stevenson - E-Book + Hörbuch

Die Schatzinsel E-Book und Hörbuch

Robert Louis Stevenson

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Beschreibung

Überarbeitete Fassung mit 96 Illustrationen in bunt und schwarzweiß Die Schatzinsel ist der bekannteste Roman des schottischen Autors Robert Louis Stevenson. Er erzählt von der hindernisreichen Suche nach einem vergrabenen Piratenschatz und zählt zu den bekanntesten Jugendromanen weltweit. Der Erstdruck erfolgte in der Zeit vom 1. Oktober 1881 bis 28. Januar 1882 als Mehrteiler in der Zeitschrift »Young Folks«. Die englische Erstausgabe in Buchform erschien 1883 in London, eine deutsche Übersetzung erstmals 1897. Seine Wirkung, auch bei den Kritikern, ist derjenigen von Defoes Robinson Crusoe, Mark Twains Tom Sawyer und Lewis Carrolls Alice im Wunderland vergleichbar. Die Geschichte wurde mehrmals verfilmt, unter anderem auch von den Muppets und den Disney Studios. Die bunten Charaktere und Motive sind, nach Stevensons eigenen Angaben, unter anderen von Daniel Defoe, Edgar Allan Poe und Washington Irving beeinflusst. Begleiten Sie den jungen Jim Hawkins fernab der Heimat auf seiner abenteuerlichen Suche nach dem geheimnisvollen Schatz. Bei dieser Fassung handelt es sich um eine Neu-Überarbeitung in einem besser verständlichen Deutsch - korrigiert um verschiedene Fehler und mit erklärenden Fußnoten versehen. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 370

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Zeit:6 Std. 34 min

Sprecher:Georg Bretzel
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Robert Louis Stevenson

Die Schatzinsel

Illustrierte Fassung

Robert Louis Stevenson

Die Schatzinsel

Illustrierte Fassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]: Louis Rhead, N. C. WyethÜbersetzung: Heinrich Conrad EV: Hesse und Becker Verlag 5. Auflage, ISBN 978-3-954181-77-3

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Inhaltsverzeichnis

Au­tor & Buch

Ers­ter Teil – Der alte Frei­beu­ter

1. Ka­pi­tel – Der alte See­bär im Ad­mi­ral Ben­bow

2. Ka­pi­tel – Der Schwar­ze Hund er­scheint und ver­schwin­det

3. Ka­pi­tel – Der Schwar­ze Fleck

4. Ka­pi­tel – Die See­kis­te

5. Ka­pi­tel – Das Ende des blin­den Man­nes

6. Ka­pi­tel – Das Pa­pier des Ka­pi­täns

Zwei­ter Teil – Der Schiffs­koch

7. Ka­pi­tel – Ich fah­re nach Bris­tol

8. Ka­pi­tel – In der Schen­ke Zum Fern­rohr

9. Ka­pi­tel – Pul­ver und Waf­fen

10. Ka­pi­tel – Die Fahrt

11. Ka­pi­tel – Was ich im Ap­fel­fass hör­te

12. Ka­pi­tel – Kriegs­rat

Drit­ter Teil – Mein Lan­da­ben­teu­er

13. Ka­pi­tel – Wie mein Lan­da­ben­teu­er be­gann

14. Ka­pi­tel – Der ers­te Schlag

15. Ka­pi­tel – Der Mann von der In­sel

Vier­ter Teil – Das Block­haus

16. Ka­pi­tel – Der Dok­tor setzt die Er­zäh­lung fort: Wie das Schiff ver­las­sen wur­de

17. Ka­pi­tel – Der Dok­tor setzt den Be­richt fort: Die letz­te Fahrt der Jol­le

18. Ka­pi­tel – Der Dok­tor setzt den Be­richt fort: Ende des ers­ten Kampf­ta­ges

19. Ka­pi­tel – Jim Hawkins setzt den Be­richt fort: Die Be­sat­zung hin­ter der Pa­li­sa­de

20. Ka­pi­tel – Sil­vers Bot­schaft

21. Ka­pi­tel – Der An­griff

Fünf­ter Teil – Mein See­aben­teu­er

22. Ka­pi­tel – Wie mein See­aben­teu­er be­gann

23. Ka­pi­tel – Die Ebbe dau­ert an

24. Ka­pi­tel – Die Kreuz­fahrt des Kora­kels

25. Ka­pi­tel – Ich strei­che den Jol­ly Ro­ger

26. Ka­pi­tel – Is­rael Hands

27. Ka­pi­tel – »Pias­ter, Pias­ter«

Sechs­ter Teil – Ka­pi­tän Sil­ver

28. Ka­pi­tel – Im feind­li­chen La­ger

29. Ka­pi­tel – Aber­mals der Schwar­ze Fleck

30. Ka­pi­tel – Auf Ehren­wort

31. Ka­pi­tel – Die Su­che nach dem Schatz: Flints Weg­wei­ser

32. Ka­pi­tel – Die Su­che nach dem Schatz: Die Stim­me un­ter den Bäu­men

33. Ka­pi­tel – Der Sturz ei­nes Häupt­lings

34. Ka­pi­tel – Und nun zum Ab­schluss

Dan­ke

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Ihr Jür­gen Schul­ze

Klas­si­ker bei Null Pa­pier

Ali­ce im Wun­der­land

Anna Ka­re­ni­na

Der Graf von Mon­te Chri­sto

Die Schat­zin­sel

Ivan­hoe

Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

Meis­ter­no­vel­len

Eine Weih­nachts­ge­schich­te

und wei­te­re …

Autor & Buch

Ro­bert Louis Bal­four Ste­ven­son (✳ 13. No­vem­ber 1850 in Edin­bur­gh; † 3. De­zem­ber 1894 in Vai­li­ma, nahe Apia, Sa­moa) war ein schot­ti­scher Schrift­stel­ler des vik­to­ria­ni­schen Zeit­al­ters. Ste­ven­son, der an Tu­ber­ku­lo­se litt, wur­de nur 44 Jah­re alt; je­doch hin­ter­ließ er ein um­fang­rei­ches Werk von Rei­seer­zäh­lun­gen, Aben­teu­er­li­te­ra­tur und his­to­ri­schen Ro­ma­nen so­wie Ly­rik und Essays.

Be­kannt ge­wor­den sind vor al­lem der Ju­gend­buch­klas­si­ker »Die Schat­zin­sel« so­wie die Schau­er­no­vel­le »Der selt­sa­me Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde«. Eine Rei­he sei­ner Ro­ma­ne ist heu­te noch po­pu­lär und zum Teil ver­filmt wor­den.

Ro­bert Louis Ste­ven­son wur­de als ein­zi­ger Sohn des In­ge­nieurs und Leucht­turm­bau­ers Tho­mas Ste­ven­son und der Mar­ga­ret Isa­bel­la Ste­ven­son, ge­bo­re­ne Bal­four, in Ho­ward Place, Edin­bur­gh, ge­bo­ren.

Das schot­ti­sche Kli­ma mit küh­len Som­mern und reg­ne­ri­schen, neb­li­gen Win­tern war für Mut­ter und Sohn äu­ßerst un­güns­tig, die bei­de zeit ih­res Le­bens von ge­schwäch­ter Kon­sti­tu­ti­on wa­ren. Lang Jah­re er­hielt Ste­ven­son als Kind und Ju­gend­li­cher Pri­vat­un­ter­richt, da er zu oft krank war, um ei­nem re­gel­mä­ßi­gen Schul­be­such nach­ge­hen zu kön­nen.

Wäh­rend sei­ner Kind­heit schrieb Ste­ven­son stän­dig Essays und Ge­schich­ten. Das ers­te his­to­ri­sche Buch des jun­gen Ste­ven­son »Pent­land Ri­sing«, das er in der Tra­di­ti­on der Ro­ma­ne von Sir Wal­ter Scott ver­fass­te, er­schi­en im Jahr 1866. Der Ro­man war von ge­rin­gem li­te­ra­ri­schem Wert.

1867 im­ma­tri­ku­lier­te sich Ste­ven­son an der Uni­ver­si­tät Edin­bur­gh, stu­dier­te zu­nächst Tech­nik und wech­sel­te auf­grund sei­nes la­bi­len Ge­sund­heits­zu­stands 1871 zum Stu­di­um der Rechts­wis­sen­schaft. Der hoch­ge­wach­se­ne schmal­schult­ri­ge Louis gab sich als Bo­he­mi­en, trug eine blaue Samt­ja­cke, schul­ter­lan­ges Haar und einen Schnurr­bart und er­reg­te mit sei­nem Auf­tre­ten Auf­se­hen in sei­ner Hei­mat­stadt. Sei­ne Dis­ku­tier­freu­de, die Hin­wen­dung zum Athe­is­mus und die Auf­leh­nung ge­gen die so­zia­len Ver­hält­nis­se im vik­to­ria­ni­schen Kö­nig­reich ent­frem­de­ten ihn dem kon­ser­va­ti­ven El­tern­haus.

Am 19. Mai 1880 hei­ra­te­te Ste­ven­son die 10 Jah­re äl­te­re und ge­schie­de­ne Fan­ny Os­bour­ne, die zwei Kin­de mit in die Ehe brach­te. Wi­der Er­war­ten ver­stan­den sich der streng kon­ser­va­ti­ve cal­vi­nis­ti­sche Va­ter Tho­mas Ste­ven­son und die ge­schie­de­ne, Zi­ga­ret­ten rau­chen­de Schwie­ger­toch­ter aus­ge­zeich­net.

1880 dia­gno­s­ti­zier­ten Ärz­te bei Ste­ven­son eine be­gin­nen­de Tu­ber­ku­lo­se.

Wäh­rend ei­ner Schlecht­wet­ter­pe­ri­ode in Brae­mar, ei­nem klei­nen Hoch­land­dorf in Schott­land, in das sich die Fa­mi­lie mitt­ler­wei­le zu­rück­ge­zo­gen hat­te, zog Ste­ven­son sich eine star­ke Er­käl­tung zu, muss­te sei­ne Wan­de­run­gen auf­ge­ben und wid­me­te sich sei­nem Stief­sohn Lloyd. Er half ihm beim Ma­len: »Bei die­ser Ge­le­gen­heit fer­tig­te ich die Land­kar­te ei­ner In­sel an … Die Ge­stalt die­ser In­sel be­fruch­te­te mei­ne Fan­ta­sie au­ßer­or­dent­lich. Da wa­ren Ha­fen­plät­ze, die mich ent­zück­ten wie So­net­te, und im Be­wußstsein ei­ner Schick­sals­be­stim­mung nann­te ich mein Er­zeug­nis ›Die Schat­zin­sel‹«. Auf die­se Wei­se ent­stand die An­re­gung zu Ste­ven­sons ers­tem Ro­man, »Tre­a­su­re Is­land« (»Die Schat­zin­sel«), der für sei­nen Stief­sohn ge­schrie­ben und ihm ge­wid­met wur­de. Der Pro­tago­nist Jim Hawkins soll­te in Lloyds Al­ter sein; Wil­liam Er­nest Hen­ley, Ste­ven­sons Mither­aus­ge­ber des Lon­don Jour­nal, war als fuß­am­pu­tier­ter trink­fes­ter Schot­te das Vor­bild für den Pi­ra­ten Long John Sil­ver.

»Die Schat­zin­sel« er­schi­en ab Ende des Jah­res 1881 in meh­re­ren Fort­set­zun­gen in der Ju­gend­zeit­schrift Young Folks, fand je­doch we­nig Be­ach­tung. Als im Jahr 1883 der Ro­man mit dem Ti­tel »Tre­a­su­re Is­land« in Buch­form bei Cas­sel & Com­pa­ny in Lon­don ver­öf­fent­licht wur­de, aus­ge­stat­tet mit zahl­rei­chen Holz­schnit­ten von Ge­or­ges Roux und der ab­ge­druck­ten Schatz­kar­te, wur­de er ein Best­sel­ler; be­reits nach we­ni­gen Jah­ren wa­ren 75.000 Exem­pla­re ver­kauft.

Im Jahr 1886 schrieb Ste­ven­son »Der selt­sa­me Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde«, eine Schau­er­no­vel­le, die auf ei­nem au­then­ti­schen Fall be­ruht.

1887 lern­te Ste­ven­son den ame­ri­ka­ni­schen Schrift­stel­ler Hen­ry Ja­mes ken­nen, der sich als ei­ner der ers­ten Kri­ti­ker ernst­haft, zu­gleich be­geis­tert, mit sei­nem Werk aus­ein­an­der­setz­te.

Der Va­ter Tho­mas Ste­ven­son verstarb am 8. Mai 1887 in Edin­bur­gh.

Wäh­rend ei­nes Be­suchs in New York im Jahr 1888 traf Ste­ven­son Mark Twain, des­sen »Huck­le­ber­ry Finn« ihn be­geis­tert hat­te; im Wa­shing­ton Squa­re Park sa­ßen bei­de lan­ge auf ei­ner Bank und dis­ku­tier­ten. Ein Brief­wech­sel schloss sich dar­auf­hin an.

Im De­zem­ber 1898 be­such­te Ste­ven­son erst­mals Sa­moa, wo er ein An­we­sen am Fuß des Mount Vaea, un­weit Apia auf der In­sel Upo­lu er­warb. Der Plan­ta­ge, die Ste­ven­son für 400 Pfund er­wor­ben hat­te, und dem Wohn­haus, das ab Ja­nu­ar 1891 in zwei­jäh­ri­ger Bau­zeit er­rich­tet wur­de, gab er den Na­men »Vai­li­ma« (»Was­ser aus der Hand«).

Zeit­wei­se leb­ten auf der Plan­ta­ge ein gan­zer Fa­mi­li­en-Clan: Groß­mut­ter, Mut­ter, Va­ter, Kin­der, An­ge­hei­ra­te­te und En­kel.

Am Abend des 3. De­zem­ber 1894 brach Ste­ven­son be­wusst­los zu­sam­men. Her­bei­ge­ru­fe­ne Ärz­te konn­ten nicht mehr hel­fen. Im Bei­sein der Fa­mi­lie, der Die­ner und Geist­li­chen starb Ste­ven­son, erst 44-jäh­rig, ohne noch ein­mal das Be­wusst­sein er­langt zu ha­ben. Als To­des­ur­sa­che wur­de eine In­tra­ze­re­bra­le Blu­tung ver­merkt. Die Ein­hei­mi­schen de­fi­lier­ten am To­ten­bett vor­bei und hiel­ten die To­ten­wa­che. Ste­ven­son wur­de am Gip­fel des Mount Vaea be­gra­ben, wie er es sich ge­wünscht hat­te.

Ro­bert Louis Ste­ven­son hat ein um­fang­rei­ches Werk von Ro­ma­nen, No­vel­len, Rei­se­be­schrei­bun­gen, Thea­ter­stücken, Ge­dich­ten, Essays und Brie­fen hin­ter­las­sen. Es ist dem häu­fi­gen Orts­wech­sel Ste­ven­sons ge­schul­det, dass sein Nach­lass weit ver­streut ar­chi­viert ist.

Zu Leb­zei­ten war Ste­ven­son sehr be­kannt, doch als die Li­te­ra­tur der klas­si­schen Mo­der­ne nach dem Ers­ten Welt­krieg auf­kam, wur­de er in Groß­bri­tan­ni­en als Au­tor zwei­ter Klas­se an­ge­se­hen, be­grenzt auf das Gen­re der Kin­der- und Hor­ror­li­te­ra­tur. Erst das spä­te 20. Jahr­hun­dert wür­dig­te Ste­ven­son wie­der als einen Au­tor ers­ten Ran­ges, als Li­te­ra­tur­theo­re­ti­ker, Essayis­ten und So­zi­al­kri­ti­ker, als Hu­ma­nis­ten und als Zeu­gen der Ge­schich­te der pa­zi­fi­schen In­seln.

Erster Teil – Der alte Freibeuter

1. Kapitel – Der alte Seebär im Admiral Benbow

Guts­herr Tre­law­ney, Dr. Li­ve­sey und die üb­ri­gen Her­ren ha­ben mich ge­be­ten, un­se­re Fahrt nach der Schat­zin­sel vom An­fang bis zum Ende zu be­schrei­ben, und da­bei nichts zu ver­schwei­gen als die ge­naue Lage der In­sel, und zwar auch dies nur des­halb, weil noch jetzt un­ge­ho­be­ne Schät­ze dort vor­han­den sind. So er­grei­fe ich die Fe­der in die­sem Jah­re des Heils 17… und ver­set­ze mich zu­rück in die Zeit, als mein Va­ter den Gast­hof zum »Ad­mi­ral Ben­bow« hielt, und als der braun­ge­brann­te alte See­mann mit der Sä­bel­nar­be im Ge­sicht zu­erst un­ter un­se­rem Da­che Woh­nung nahm.

Ich er­in­ne­re mich, wie wenn es ges­tern ge­we­sen wäre, des Man­nes: wie er in die Tür un­se­res Hau­ses her­ein­kam, wäh­rend sei­ne Schif­fer­kis­te ihm auf ei­nem Schieb­kar­ren nach­ge­fah­ren wur­de – ein großer, star­ker, schwe­rer, nuss­brau­ner Mann; sein tee­ri­ger Zopf hing ihm im Na­cken über sei­nen fle­cki­gen blau­en Rock her­un­ter; sei­ne Hän­de wa­ren schwie­lig und ris­sig mit ab­ge­bro­che­nen, schwar­zen Fin­ger­nä­geln, und der Sä­bel­schmiss, der sich über die eine Wan­ge hin­zog, war von schmut­zig-wei­ßer Far­be. Er sah sich im Schenk­zim­mer um und pfiff da­bei vor sich hin, und dann stimm­te er das alte Schif­fer­lied an, das er spä­ter so oft sang:

»Fünf­zehn Mann auf des to­ten Man­nes Kis­te, Jo-ho-ho und die Pul­le voll Rum!«

in der zit­te­ri­gen, ho­hen Stim­me, die so klang, wie wenn eine An­ker­win­de ge­dreht wür­de. Dann schlug er mit ei­nem Knüp­pel, so dick wie eine Hand­spei­che, ge­gen die Tür, und als mein Va­ter er­schi­en, ver­lang­te er barsch ein Glas Rum. Als die­ses ihm ge­bracht wor­den war, trank er es lang­sam aus, wie ein Ken­ner, mit der Zun­ge den Ge­schmack nach­prü­fend, und da­bei sah er sich durch das Fens­ter die Strand­klip­pen und un­ser Wirts­schild an. Schließ­lich sag­te er:

»Das ist ’ne net­te Bucht und ’ne an­ge­nehm ge­le­ge­ne Grog­k­nei­pe. Viel Ge­sell­schaft, Maat?«

Mein Va­ter sag­te ihm, Ge­sell­schaft käme lei­der nur sehr we­nig.

»So? Na, dann ist das die rich­ti­ge Stel­le für mich. Heda, Ihr, mein Mann!« rief er dem Mann zu, der den Hand­kar­ren schob: »La­det mal mei­ne Kis­te ab und bringt sie nach oben! Hier will ich ein biss­chen blei­ben! Ich bin ein ein­fa­cher Mann – Rum und Speck und Eier, wei­ter brau­che ich nichts; und au­ßer­dem die Klip­pe da drau­ßen, um die Schif­fe zu be­ob­ach­ten. Wie Sie mich nen­nen könn­ten? Käp­t’n kön­nen Sie mich nen­nen. Ach so – ich sehe schon, wor­auf Sie hin­aus­wol­len – da!«

Und er warf drei oder vier Gold­stücke auf den Tisch. »Wenn ich das ver­zehrt habe, kön­nen Sie mir Be­scheid sa­gen!« rief er, und da­bei sah er so stolz aus wie ein Ad­mi­ral.

Und in der Tat – so schlecht sei­ne Klei­der wa­ren und so ge­mein sei­ne Sprech­wei­se, er sah durch­aus nicht wie ein Mann aus, der vor dem Mast fuhr, son­dern war of­fen­bar ein Steu­er­mann oder ein Schif­fer, der ge­wohnt war, dass man ihm ge­horch­te, oder sonst gab’s Prü­gel. Der Mann, der den Schieb­kar­ren ge­fah­ren hat­te, sag­te uns, die Post­kut­sche hät­te ihn am Tag vor­her am Roy­al Ge­or­ge ab­ge­setzt; er hät­te sich er­kun­digt, was für Gast­hö­fe an der Küs­te wä­ren, und als er ge­hört hät­te, dass man un­ser Haus lob­te, – und be­son­ders, so ver­mu­te ich we­nigs­tens, als man es ihm als ein­sam ge­le­gen be­schrieb – hät­te er be­schlos­sen, bei uns Auf­ent­halt zu neh­men. Und das war al­les, was wir über un­se­ren Gast er­fah­ren konn­ten.

Er war ein schweig­sa­mer Mann. Den gan­zen Tag lun­ger­te er an der Bucht oder auf den Klip­pen her­um und sah durch sein Mes­sing­fern­rohr über See und Strand; den gan­zen Abend aber saß er in ei­ner Ecke der Schenk­stu­be ganz dicht am Feu­er und trank Rum und Was­ser, und zwar eine sehr stei­fe Mi­schung. Wenn je­mand ihn an­re­de­te, ant­wor­te­te er für ge­wöhn­lich nicht, son­dern sah nur plötz­lich mit ei­nem wü­ten­den Blick auf und blies durch sei­ne Nase wie durch ein Ne­bel­horn; und wir und un­se­re Be­su­cher merk­ten bald, dass man ihn dann in Ruhe las­sen muss­te. Je­den Tag, wenn er von sei­nen Gän­gen zu­rück­kam, frag­te er, ob See­leu­te auf der Land­stra­ße vor­über­ge­kom­men wä­ren. An­fangs dach­ten wir, er frag­te, weil er sich nach Ge­sell­schaft von Ka­me­ra­den sehn­te; schließ­lich aber merk­ten wir, dass er im Ge­gen­teil es zu ver­mei­den wünsch­te. Wenn ein See­mann im »Ad­mi­ral Ben­bow« ein­kehr­te – wie es ab und zu ge­sch­ah, wenn Leu­te auf der Küs­ten­stra­ße nach Bris­tol gin­gen – so sah er sich ihn durch das ver­häng­te Fens­ter­chen in der Tür an, be­vor er die Schenk­stu­be be­trat; und wenn solch ein See­mann an­we­send war, ver­hielt er sich im­mer mäus­chen­stil­le. Vor mir such­te er auch kein Ge­heim­nis aus der Sa­che zu ma­chen, son­dern er be­tei­lig­te mich im Ge­gen­teil ge­wis­ser­ma­ßen an sei­ner Un­ru­he.

Er hat­te mich näm­lich ei­nes Ta­ges bei­sei­te ge­nom­men und mir ver­spro­chen: er woll­te mir am Ers­ten je­den Mo­nats ein sil­ber­nes Vier-Pen­ny-Stück ge­ben, wenn ich bloß »mein Wet­ter­au­ge of­fen hal­ten woll­te nach ei­nem See­mann mit nur ei­nem Bein«, und wenn ich ihm, so­bald der auf­tauch­te, au­gen­blick­lich Be­scheid ge­ben woll­te. Wenn nun der Mo­nats­ers­te da war und ich mei­nen Lohn von ihm ver­lang­te, dann kam es oft ge­nug vor, dass er nur durch die Nase blies und mich mit ei­nem wü­ten­den Blick an­sah; aber be­vor die Wo­che zu Ende war, hat­te er es sich je­des Mal bes­ser über­legt: er brach­te mir das Vier-Pen­ny-Stück und wie­der­hol­te sei­nen Be­fehl, »nach dem See­mann mit dem einen Bein Aus­guck zu hal­ten«.

Wie die­ser See­mann mich in mei­nen Träu­men ver­folg­te, brau­che ich kaum zu sa­gen. In stür­mi­schen Näch­ten, wenn der Wind die vier Ecken un­se­res Hau­ses schüt­tel­te und die Bran­dung in der Bucht ge­gen die Klip­pen don­ner­te, sah ich ihn in tau­send Ge­stal­ten und mit tau­send teuf­li­schen Ge­sich­tern. Bald war das Bein am Knie ab­ge­nom­men, bald dicht an der Hüf­te; dann wie­der war er ein un­ge­heu­er­li­ches Ge­schöpf, das im­mer nur ein ein­zi­ges Bein ge­habt hat­te, und zwar mit­ten un­ter dem Rumpf. Ihn zu se­hen, wie er sprang und lief und mich über Grä­ben und He­cken ver­folg­te, das war für mich der fürch­ter­lichs­te Nacht­mahr. So muss­te ich ei­gent­lich mein mo­nat­li­ches Vier-Pen­ny-Stück recht teu­er be­zah­len, denn ich be­kam da­für die­se gräss­li­chen Traum­ge­sich­te in den Kauf.

Wenn ich vor dem ein­bei­ni­gen See­mann eine schreck­li­che Angst hat­te, so hat­te ich da­für vor dem Käp­t’n sel­ber we­ni­ger Furcht als an­de­re, die ihn kann­ten. An man­chen Aben­den nahm er mehr Rum und Was­ser zu sich, als sein Kopf ver­tra­gen konn­te; dann saß er zu­wei­len, ohne sich um ir­gend­ei­nen Men­schen zu be­küm­mern, und sang sei­ne ruch­lo­sen al­ten wil­den Schif­fer­lie­der; zu­wei­len aber be­stell­te er Run­den und zwang die gan­ze zit­tern­de Ge­sell­schaft, sei­ne Ge­schich­ten an­zu­hö­ren oder als Chor in sei­ne Lie­der ein­zu­fal­len. Oft zit­ter­te das Haus von dem »Jo­ho­ho, und ’ne Bud­del, Bud­del Rum«; alle Nach­barn stimm­ten aus vol­ler Keh­le ein, mit ei­ner To­des­angst im Lei­be, und ei­ner sang noch lau­ter als der an­de­re, da­mit nur der Käp­t’n kei­ne Be­mer­kun­gen mach­te. Denn wenn er die­se An­fäl­le hat­te, war er der un­ge­müt­lichs­te Ge­sell­schaf­ter von der Welt; dann schlug er mit der Faust auf den Tisch und ge­bot Ruhe; wenn ir­gend­ei­ne Zwi­schen­fra­ge ge­stellt wur­de, reg­te er sich fürch­ter­lich auf – manch­mal aber noch mehr, wenn kei­ne Fra­ge ge­stellt wur­de, weil er dann glaub­te, die Ge­sell­schaft hör­te nicht auf sei­ne Ge­schich­te. An sol­chen Aben­den durf­te kei­ner die Schenk­stu­be ver­las­sen, bis er sel­ber vom Trin­ken schläf­rig ge­wor­den war und ins Bett tau­mel­te.

Am meis­ten Angst mach­te er den Leu­ten mit sei­nen Ge­schich­ten. Und fürch­ter­li­che Ge­schich­ten wa­ren es al­ler­dings: von Hän­gen, über die Plan­ke1 ge­hen las­sen, von Stür­men auf ho­her See, und von den Schild­krö­ten­in­seln, und von wil­den Ge­fech­ten und Ta­ten, und von Hä­fen in den west­in­di­schen Ge­wäs­sern. Nach sei­nen ei­ge­nen Be­rich­ten muss­te er un­ter den größ­ten Ver­bre­chern ge­lebt ha­ben, die Gott je­mals zur See ge­hen ließ; und die Wor­te, in de­nen er die­se Ge­schich­ten er­zähl­te, ent­setz­ten un­se­re gu­ten Land­leu­te bei­na­he eben­so­sehr wie die Ver­bre­chen, von de­nen sie han­del­ten. Mein Va­ter sag­te fort­wäh­rend: un­ser Gast­hof wer­de zu­grun­de ge­rich­tet wer­den, denn die Leu­te wür­den bald nicht mehr kom­men, um sich an­schnau­zen und nie­der­du­cken zu las­sen und dann mit zit­tern­den Ge­bei­nen zu Bett zu ge­hen. Aber ich glau­be, dass in Wirk­lich­keit sei­ne An­we­sen­heit uns Vor­teil brach­te. Die Leu­te grau­el­ten sich al­ler­dings, aber in der Rückerin­ne­rung hat­ten sie die Ge­schich­ten ei­gent­lich gern; es war eine an­ge­neh­me Auf­re­gung in ih­rem stil­len Land­le­ben. Un­ter den jün­ge­ren Leu­ten gab es so­gar eine Par­tei, die voll Be­wun­de­rung von ihm sprach. Sie nann­ten ihn »einen ech­ten See­hund« und »eine rich­ti­ge alte Teer­ja­cke« und so ähn­lich und sag­ten, das wä­ren ge­ra­de die Leu­te, die Eng­land so ge­fürch­tet zur See mach­ten.

In ei­ner Be­zie­hung rich­te­te al­ler­dings der Käp­t’n uns zu­grun­de: er blieb eine Wo­che nach der an­de­ren, so­dass die Gold­stücke, die er auf den Tisch ge­wor­fen hat­te, längst ver­rech­net wa­ren; aber mein Va­ter konn­te sich nie­mals ein Herz fas­sen und mehr Geld von ihm ver­lan­gen. So­bald er eine leich­te An­spie­lung mach­te, blies der Käp­t’n so laut durch die Nase, dass es bei­na­he ein Brül­len war, und sah mei­nen Va­ter so wü­tend an, dass die­ser die Schenk­stu­be ver­ließ. Ich habe ihn nach sol­cher Ab­wei­sung die Hän­de rin­gen se­hen, und ich bin über­zeugt, dass der Ver­druss über sei­nen Gast und die Angst, worin er leb­te, sei­nen all­zu frü­hen un­glück­li­chen Tod sehr be­schleu­nigt ha­ben.

Wäh­rend der gan­zen Zeit, dass der Käp­t’n bei uns wohn­te, trug er im­mer den­sel­ben An­zug; nie­mals än­der­te er et­was dar­an, nur ein­mal kauf­te er St­rümp­fe von ei­nem Hau­sie­rer. Als eine von den Krem­pen sei­nes Hu­tes sich los­ge­löst hat­te und her­un­ter­hing, ließ er ihn so, wie er war, ob­wohl die­se Krem­pe ihn bei star­kem Wind sehr be­läs­tig­te. Ich sehe vor mei­nen Au­gen noch sei­nen Rock, auf den er sel­ber oben in sei­nem Zim­mer einen Fli­cken setz­te, so­oft er das für nö­tig hielt; schließ­lich be­stand der gan­ze Rock nur aus Fli­cken. Nie­mals schrieb er einen Brief, nie­mals emp­fing er einen; er sprach mit kei­nem Men­schen ein Wort au­ßer mit den Nach­barn, die zu uns in die Wirt­schaft ka­men, auch mit die­sen ge­wöhn­lich nur, wenn er zu viel Rum ge­trun­ken hat­te. Sei­ne große Schif­fer­kis­te hat­te kei­ner von uns je­mals of­fen ge­se­hen.

Nur ein ein­zi­ges Mal wag­te ein Mensch, ihm über den Mund zu fah­ren, und das ge­sch­ah erst in der letz­ten Zeit, als mein ar­mer Va­ter schon sehr krank und dem Tode nahe war. Dok­tor Li­ve­sey kam ei­nes Nach­mit­tags zu spä­ter Stun­de, um noch nach dem Kran­ken zu se­hen; mei­ne Mut­ter setz­te ihm ein biss­chen zu es­sen vor, und dann ging er in die Schenk­stu­be, um eine Pfei­fe zu rau­chen, bis sein Pferd vom Dorf zu­rück­ge­bracht wür­de; denn wir hat­ten im al­ten »Ad­mi­ral Ben­bow« kei­ne Stal­lung. Ich ging mit dem Dok­tor in die Schenk­stu­be, und ich er­in­ne­re mich noch, dass mir der Un­ter­schied zwi­schen dem sau­be­ren, mun­te­ren Dok­tor mit sei­ner schnee­weiß ge­pu­der­ten Perücke, sei­nen hel­len, schwar­zen Au­gen und sei­nem lie­bens­wür­di­gen Be­neh­men und den plum­pen Land­leu­ten auf­fiel, be­son­ders aber der Ge­gen­satz zu dem schmut­zi­gen, zer­lump­ten al­ten Pi­ra­ten, der stark an­ge­trun­ken hin­ter sei­nem Ti­sche saß und die El­len­bo­gen auf­ge­stützt hat­te. Plötz­lich be­gann er, der Käp­t’n näm­lich, sein ewi­ges Lied zu brül­len:

»Fünf­zehn Mann auf des to­ten Man­nes Kis­te, Jo-ho-ho und die Pul­le voll Rum, Teu­fel und Trunk strich den Rest von der Lis­te, Jo-ho-ho und die Pul­le voll Rum!«

An­fangs hat­te ich ver­mu­tet, »des To­ten Kist’« sei die große Schif­fer­kis­te oben im Vor­der­zim­mer, und ich hat­te sie in mei­nen Träu­men mit dem ein­bei­ni­gen Schif­fer in Ver­bin­dung ge­bracht. In­zwi­schen aber hat­ten wir alle schon längst auf­ge­hört, auf sein Sin­gen zu ach­ten; an die­sem Abend war das Lied nur dem Dr. Li­ve­sey neu, und ich be­merk­te, dass es auf ihn kei­nen an­ge­neh­men Ein­druck mach­te; denn er sah einen Au­gen­blick ganz är­ger­lich aus, be­vor er in sei­nem Ge­spräch mit dem al­ten Gärt­ner Tay­lor fort­fuhr, mit dem er sich über ein neu­es Mit­tel ge­gen das Glie­der­rei­ßen un­ter­hielt. Der Ka­pi­tän wur­de bei sei­nem ei­ge­nen Lied lus­tig und schlug schließ­lich mit der Faust vor sich auf den Tisch; wir alle wuss­ten, dass er da­mit den An­we­sen­den Schwei­gen be­feh­len woll­te. Alle hör­ten so­fort auf zu spre­chen – mit Aus­nah­me des Dr. Li­ve­sey; der sprach ru­hig wei­ter, in­dem er zwi­schen je­dem zwei­ten oder drit­ten Wort einen kur­z­en Zug aus sei­ner Pfei­fe tat. Eine Wei­le starr­te der Käp­t’n ihn an, schlug wie­der mit der fla­chen Hand auf den Tisch, starr­te ihn noch grim­mi­ger an und schrie end­lich mit ei­nem ge­mei­nen Fluch:

»Stil­le da un­ter Deck!«

»Sag­ten Sie et­was zu mir, Herr?« sag­te der Dok­tor.

Und als der Kerl mit ei­nem neu­en Fluch ihm sag­te, das wäre al­ler­dings der Fall, ant­wor­te­te der Arzt:

»Ich habe Ih­nen nur eins zu sa­gen, Herr: wenn Sie mit dem Rum­trin­ken so wei­ter ma­chen, wird die Welt bald von ei­nem sehr dre­cki­gen Schuft be­freit sein!«

Die Wut des al­ten Bur­schen war schreck­lich an­zu­se­hen. Er sprang auf, zog ein Ma­tro­sen-Klapp­mes­ser, öff­ne­te es, schwang es auf der of­fe­nen Hand­flä­che und droh­te dem Dok­tor, er wer­de ihn an die Wand spie­ßen.

Der aber rühr­te sich nicht ein­mal. Er sprach wie bis­her über die Schul­ter weg zum Käp­t’n und sag­te mit der glei­chen ru­hi­gen Stim­me, ziem­lich laut, so­dass alle im Zim­mer ihn hö­ren konn­ten, aber ganz ge­las­sen:

»Wenn Ihr nicht au­gen­blick­lich das Mes­ser in die Ta­sche steckt, so gebe ich Euch mein Wort dar­auf: nach der nächs­ten Ge­richts­sit­zung hängt Ihr am Gal­gen!«

Dann kreuz­ten ihre Bli­cke sich; aber der Käp­t’n gab bald klein bei, steck­te sei­ne Waf­fe ein und setz­te sich wie­der hin, wo­bei er wie ein ge­prü­gel­ter Hund knurr­te.

»Und nun noch eins, mein Mann!« fuhr der Dok­tor fort: »Da ich jetzt weiß, dass solch ein Bur­sche in mei­nem Be­zirk ist, so könnt Ihr Euch dar­auf ver­las­sen, dass ich Tag und Nacht ein Auge auf Euch ha­ben wer­de. Ich bin nicht nur Arzt, ich bin auch Be­am­ter; und wenn ich auch nur die lei­ses­te Be­schwer­de über Euch höre – wär’s auch bloß we­gen ei­ner Un­höf­lich­keit wie heu­te Abend –, so wer­de ich da­für zu sor­gen wis­sen, dass man Euch an dem Kra­gen nimmt und ab­schiebt. Und da­mit ge­nug!«

Bald dar­auf wur­de Dr. Li­ve­seys Pferd ge­bracht, und er ritt ab; der Käp­t’n aber war an die­sem Abend still und tat noch vie­le Aben­de hin­ter­her den Mund nicht auf.

lan­ges, dickes Brett; Bau­holz für den Schiffs­bau  <<<

2. Kapitel – Der Schwarze Hund erscheint und verschwindet

Nicht lan­ge Zeit nach die­sem Auf­tritt trat das ers­te von den ge­heim­nis­vol­len Er­eig­nis­sen ein, die uns schließ­lich den Käp­t’n vom Hal­se schaff­ten, wenn auch nicht sei­ne An­ge­le­gen­hei­ten, wie der Le­ser se­hen wird.

Es war ein bit­ter­kal­ter Win­ter mit lan­gan­dau­ern­den, har­ten Frös­ten und schwe­ren Stür­men, und es war von An­fang an klar, dass mein ar­mer Va­ter we­nig Aus­sicht hat­te, den Früh­ling noch zu er­le­ben. Er wur­de mit je­dem Tag schwä­cher, und mei­ne Mut­ter und ich hat­ten den gan­zen Be­trieb der Wirt­schaft zu be­sor­gen; so hat­ten wir im­mer viel zu tun und konn­ten uns um un­se­ren un­an­ge­neh­men Gast we­nig küm­mern.

Es war an ei­nem Ja­nu­ar­mor­gen, zu sehr frü­her Stun­de. Das Wet­ter war bei­ßend kalt; die gan­ze Bucht war grau vom Rau­reif; die Son­ne stand noch nied­rig und be­rühr­te nur eben die Hü­gel­spit­zen und schi­en weit über das Meer hin­aus.

Der Käp­t’n war frü­her als ge­wöhn­lich auf­ge­stan­den und nach dem Strand hin­un­ter­ge­gan­gen; sein Stutz­sä­bel schwang un­ter den brei­ten Schö­ßen sei­nes blau­en Rockes hin und her, sein Mes­sing­fern­rohr hat­te er un­ter die Ach­sel ge­klemmt, den Hut in den Na­cken zu­rück­ge­scho­ben. Sein Atem hing wie ein Rauch­strei­fen hin­ter ihm, wie er so mit lan­gen Schrit­ten da­hin­ging, und der letz­te Ton, den ich von ihm hör­te, als er um den großen Fel­sen bog, war ein lau­tes, ent­rüs­te­tes Schnau­ben, wie wenn er im­mer noch an den Dr. Li­ve­sey däch­te.

Mut­ter war oben bei Va­ter, und ich war da­bei, den Früh­stücks­tisch zu de­cken, da­mit er bei der Rück­kehr al­les fer­tig fän­de; da ging die Tür zur Schenk­stu­be auf, und her­ein trat ein Mann, den ich nie in mei­nem Le­ben ge­se­hen hat­te. Er war ein Kerl mit blas­sem, kä­si­gem Ge­sicht; an der lin­ken Hand fehl­ten ihm zwei Fin­ger, und ob­gleich er einen Stutz­sä­bel trug, sah er nicht ge­ra­de nach ei­nem großen Fech­ter aus. Ich war im­mer auf dem Aus­guck nach See­leu­ten, ei­ner­lei ob mit ei­nem Bein oder mit zwei­en, und ich er­in­ne­re mich noch heu­te, dass der Mann mir so­fort ver­däch­tig vor­kam. Er sah nicht schif­fer­mä­ßig aus, und trotz­dem hat­te er et­was von der See an sich.

Ich frag­te ihn, was er wünsch­te, und er sag­te, er wol­le ein Glas Rum neh­men. Als ich aber hin­aus­ge­hen woll­te, um das Ge­tränk zu ho­len, setz­te er sich auf einen Tisch und wink­te mir; ich möch­te nä­her kom­men. Ich blieb aber mit mei­nem Wisch­tuch in der Hand ste­hen, wo ich war. Da sag­te er:

»Komm doch her, Jung­chen! Komm doch mal nä­her!«

Ich trat einen Schritt nä­her an ihn her­an.

»Ist der Tisch hier für mei­nen Maat Bill ge­deckt?« frag­te er und sah mich da­bei lau­ernd an.

Ich sag­te ihm, sei­nen Maat Bill ken­ne ich nicht, und der Tisch sei für je­mand ge­deckt, der in un­se­rem Hau­se woh­ne und den wir den Käp­t’n nann­ten.

»Na«, sag­te er, »mein Maat Bill wird sich wohl Käp­t’n nen­nen las­sen; das soll­te mich gar nicht wun­dern. Er hat einen Schmiss auf der einen Ba­cke, und ein mäch­tig net­ter Kerl ist er, mein Maat Bill, be­son­ders beim Trin­ken. Wir wol­len mal an­neh­men, euer Käp­t’n hat einen Schmiss auf der Ba­cke – und, was meinst du? – wir wol­len mal an­neh­men, er hat ihn auf der rech­ten Ba­cke. Aha, siehst du, ich sag­te es dir ja. Na, ist also mein Maat Bill hier im Hau­se?«

Ich sag­te ihm, er sei aus­ge­gan­gen.

»Wo­hin denn, Jung­chen? Wel­chen Weg ist er ge­gan­gen?«

Ich zeig­te ihm den Fel­sen und sag­te ihm, dass der Käp­t’n je­den­falls bald nach Hau­se kom­men wer­de, und be­ant­wor­te­te ihm noch ein paar an­de­re Fra­gen. Schließ­lich sag­te er:

»Na, da wird mein Maat Bill sich freu­en wie über ein Glas Rum.«

Der Ge­sichts­aus­druck, mit dem er die­se Wor­te sprach, war durch­aus nicht an­ge­nehm, und ich hat­te mei­ne be­son­de­ren Grün­de an­zu­neh­men, dass der Frem­de sich irr­te, selbst wenn sei­ne Wor­te auf­rich­tig ge­meint wä­ren. Aber ich dach­te, das gin­ge ja mich nichts an; au­ßer­dem war es schwie­rig zu ent­schei­den, was da zu tun sei.

Der Frem­de hielt sich fort­wäh­rend dicht bei der Haus­tür auf und guck­te alle Au­gen­bli­cke um die Ecke wie eine Kat­ze, die auf eine Maus lau­ert. Ein­mal ging ich sel­ber auf die Stra­ße hin­aus, aber er rief mich so­fort zu­rück, und als ich nicht schnell ge­nug folg­te, ver­zerr­te sich sein kä­si­ges Ge­sicht auf eine ganz fürch­ter­li­che Wei­se, und mit ei­nem Fluch, der mir Angst mach­te, be­fahl er mir, so­fort ins Haus zu ge­hen.

Als ich aber wie­der drin­nen war, be­nahm er sich wie vor­her: halb spöt­tisch, halb schmeich­le­risch; klopf­te mir auf die Schul­ter und sag­te mir, ich sei ein gu­ter Jun­ge und er möch­te mich rie­sig ger­ne lei­den.

»Ich habe sel­ber einen Jun­gen«, sag­te er, »der sieht dir so ähn­lich wie ein Ei dem an­de­ren und ist so recht mein Stolz. Aber die Haupt­sa­che für Jun­gens ist Ge­hor­chen – Ge­hor­sam, Jung­chen! Na, wenn du mit Bill zu­sam­men auf See ge­we­sen wä­rest, dann hät­test du nicht hier ge­stan­den und dir was zwei­mal sa­gen las­sen – glaub mir das! Das gab’s bei Bill nicht, und das gib­t’s auch bei de­nen nicht, die mit ihm ge­fah­ren sind. Und sieh mal an, da kommt ja mein Maat Bill, mit ei­nem Fern­rohr un­term Arm, der gute alte Kerl! Da wol­len wir bei­de mal man in die Schenk­stu­be ge­hen, Jung­chen, und uns hin­ter die Tür stel­len, und wol­len Bill ein biss­chen über­ra­schen – die gute alte See­le!«

Mit die­sen Wor­ten ging der Frem­de mit mir in die Schenk­stu­be zu­rück und ließ mich hin­ter ihm in die Ecke tre­ten, so­dass wir bei­de hin­ter der ge­öff­ne­ten Türe ver­bor­gen wa­ren. Ich fühl­te mich sehr un­be­hag­lich und un­ru­hig, wie man sich wohl den­ken kann, und mei­ne Angst wur­de da­durch noch grö­ßer, dass der Frem­de of­fen­bar sel­ber Furcht hat­te. Er mach­te den Griff sei­nes Stutz­sä­bels frei und lo­cker­te die Klin­ge in der Schei­de; und wäh­rend der gan­zen Zeit, dass wir da­stan­den und war­te­ten, schluck­te er fort­wäh­rend, als ob er einen Kloß in der Keh­le hät­te, wie man zu sa­gen pflegt.

End­lich trat der Käp­t’n ein, schlug die Tür hin­ter sich zu, ohne nach rechts oder nach links zu se­hen, und ging quer durch das Zim­mer an den Tisch, auf dem das Früh­stück für ihn be­reit stand.

»Bill!« sag­te der Frem­de mit ei­ner Stim­me, der ich deut­lich an­merk­te, dass er alle Kraft auf­ge­bo­ten hat­te, sie recht laut und kühn zu ma­chen.

Der Käp­t’n dreh­te sich auf dem Ab­satz her­um und sah uns an; alle brau­ne Far­be war aus sei­nem Ant­litz ge­wi­chen, und so­gar sei­ne Nase war blau; er sah aus wie ein Mensch, der ein Ge­s­penst er­blickt oder den Teu­fel oder so­gar noch et­was Schlim­me­res, wenn es das gibt, und auf mein Wort: es tat mir leid, wie ich ihn plötz­lich so alt und krank aus­se­hend fand.

»Nanu, Bill, du kennst mich doch; du kennst doch ge­wiss einen al­ten Schiffs­maat, Bill!« sag­te der Frem­de.

Der Käp­t’n riss den Mund auf, wie wenn er nach Luft schnap­pen müss­te, und rief: »Der Schwar­ze Hund!«

»Wer denn sonst?« ant­wor­te­te der an­de­re, der sich of­fen­bar et­was be­hag­li­cher zu füh­len be­gann. »Der Schwar­ze Hund, im­mer noch der alte, ist nun hier, um sei­nen al­len Schiffs­kum­pan Bill im ›Ad­mi­ral Ben­bow‹ zu be­su­chen. Oh, Bill, Bill! wir ha­ben was durch­ge­macht, wir zwei, seit­dem ich die bei­den Grei­fer ver­lor!«

Und da­bei hält er die ver­stüm­mel­te Hand in die Höhe.

»Na, denn hör mal zu!« sag­te der Käp­t’n: »Du hast mich ge­stellt; hier bin ich. Also denn man los: was willst du?«

»Das sieht dir ähn­lich, Bill!« ant­wor­te­te der Schwar­ze Hund. »Bist im­mer noch der alte Bil­ly. Ich will mir ein Glas Rum ge­ben las­sen von dem lie­ben Jung­chen hier, der so nett ist; und dann wol­len wir uns hin­set­zen, wenn’s dir recht ist, und wol­len ein ver­nünf­ti­ges Wort mit­ein­an­der schnacken, als rich­ti­ge alte Schiffs­ka­me­ra­den.«

Als ich mit dem Rum wie­der her­ein­kam, sa­ßen sie schon an des Käp­t’ns Früh­stücks­tisch ein­an­der ge­gen­über – der Schwar­ze Hund nach der Tür zu und et­was seit­lings auf sei­nem Stuhl, so­dass er, wie mir vor­kam, das eine Auge auf sei­nem al­ten Schiffs­kum­pan und das an­de­re auf sei­ner Rück­zugs­li­nie hat­te.

Er be­fahl mir hin­aus­zu­ge­hen und die Tür weit of­fen zu las­sen.

»Durchs Schlüs­sel­loch gu­cken gib­t’s bei mir nicht, Jung­chen!« sag­te er.

Ich ließ die bei­den mit­ein­an­der sit­zen und zog mich in den Zapfraum zu­rück.

Ob­gleich ich mir na­tür­lich alle Mühe gab, et­was zu hö­ren, konn­te ich lan­ge Zeit wei­ter nichts hö­ren als ein lei­ses Ge­mur­mel; schließ­lich aber be­gan­nen die Stim­men lau­ter zu wer­den, und ich konn­te ab und zu ein paar Wor­te vom Käp­t’n ver­ste­hen – meis­tens Flü­che.

»Nein, nein, nein, nein! Und da­mit bas­ta«, schrie er ein­mal. Und ein an­de­res Mal: »Wenn’s zum Bau­meln kommt, sol­len alle bau­meln – das sage ich!«

Dann aber gab es ganz plötz­lich einen furcht­ba­ren Aus­bruch von Flü­chen und an­de­ren Geräuschen – Stüh­le und Tisch fie­len um, er folg­te ein Klir­ren von Stahl und dann ein Schmer­zens­schrei. Und im nächs­ten Au­gen­blick sah ich den Schwar­zen Hund in vol­ler Flucht und den Käp­t’n scharf hin­ter ihm her, bei­de mit ge­zo­ge­nen Stutz­sä­beln; dem Schwar­zen Hund aber ström­te Blut von der lin­ken Schul­ter her­un­ter. Un­mit­tel­bar vor der Tür führ­te der Käp­t’n noch einen letz­ten furcht­ba­ren Streich nach dem Flie­hen­den; si­cher­lich hät­te der Hieb ihm den Garaus ge­macht, wenn er nicht von dem großen Gast­hofs­schild des »Ad­mi­ral Ben­bow« auf­ge­fan­gen wor­den wäre. Man kann die Spur noch bis auf den heu­ti­gen Tag an der un­te­ren Leis­te des Rah­mens se­hen.

Mit die­sem Hieb war das Ge­fecht aus. Kaum war der Schwar­ze Hund auf der Stra­ße, so ent­wi­ckel­te er trotz sei­ner Wun­de eine un­ge­heu­re Ge­schwin­dig­keit und war in ei­ner hal­b­en Mi­nu­te jen­seits der Höhe ver­schwun­den. Der Käp­t’n aber starr­te wie geis­tes­ab­we­send auf das Schild. Dann fuhr er sich ein paar­mal mit der Hand über die Au­gen, und schließ­lich ging er in das Haus zu­rück und sag­te zu mir:

»Jim, Rum!«

Und als er die­se Wor­te sprach, tau­mel­te er hin und her und muss­te sich mit der einen Hand ge­gen die Wand stüt­zen.

»Sind Sie ver­wun­det?« schrie ich.

»Rum!« sag­te er noch ein­mal. »Ich muss fort von hier. Rum! Rum!«

Ich lief schnell, wel­chen zu ho­len; aber ich war von al­len die­sen Vor­gän­gen ganz ver­stört und zer­brach ein Glas und konn­te den Zap­fen nicht rich­tig auf­dre­hen. Und wäh­rend ich mir noch da­mit zu tun mach­te, hör­te ich im Schenk­zim­mer einen schwe­ren Fall. Und als ich hin­ein­rann­te, sah ich den Käp­t’n, so lang er war, auf dem Fuß­bo­den lie­gen. In dem­sel­ben Au­gen­blick kam mei­ne Mut­ter, die das Ge­schrei und der Lärm des Kamp­fes auf­ge­schreckt hat­ten, die Trep­pe her­un­ter­ge­lau­fen, um mir zu hel­fen. Mit ver­ein­ten Kräf­ten ho­ben wir ihm den Kopf hoch. Er at­me­te sehr schwer und laut; aber sei­ne Au­gen wa­ren ge­schlos­sen und sein Ge­sicht war so blau­rot, dass es schreck­lich an­zu­se­hen war.

»Herr­je, Herr­je­mi­ne!« schrie mei­ne Mut­ter: »Was für eine Schan­de für un­ser Haus! Und auch dein ar­mer Va­ter liegt krank zu Bett!«

Wir hat­ten kei­ne Ah­nung, auf wel­che Wei­se wir dem Käp­t’n hel­fen könn­ten; wir dach­ten, er wäre in dem Ge­fecht mit dem Frem­den töd­lich ver­wun­det wor­den. Ich brach­te al­ler­dings den Rum und ver­such­te ihm et­was da­von ein­zu­flö­ßen; aber sei­ne Zäh­ne wa­ren dicht ge­schlos­sen, und sei­ne Kinn­ba­cken wa­ren so hart wie Ei­sen. Wir fühl­ten uns ganz glück­lich und er­leich­tert, als plötz­lich die Tür auf­ging und Dr. Li­ve­sey ein­trat, der sei­nen Be­such bei mei­nem Va­ter ma­chen woll­te.

»O Herr Dok­tor!« rie­fen wir: »Was sol­len wir tun! Wo ist er ver­wun­det?«

»Ver­wun­det? Pap­per­la­papp!« sag­te der Dok­tor. »Der ist nicht mehr ver­wun­det als ihr oder ich. Der Mann hat einen Schlag­an­fall ge­habt, wie ich es ihm vor­her­ge­sagt hat­te. Nun, Frau Hawkins, lau­fen Sie mal schnell nach oben zu Ihrem Mann, aber sa­gen Sie ihm, wenn ir­gend mög­lich, kein Wort von der Ge­schich­te. Ich muss ja lei­der mein Bes­tes tun, die­ses Kerls in je­der Be­zie­hung wert­lo­ses Le­ben zu ret­ten, und Jim wird so gut sein, mir eine Schüs­sel zu ho­len.«

Als ich mit der Schüs­sel zu­rück­kam, hat­te der Dok­tor schon dem Käp­t’n den Är­mel hoch­ge­streift und sei­nen di­cken, mus­kel­kräf­ti­gen Arm ent­blö­ßt, der an meh­re­ren Stel­len tä­to­wiert war: »Gut Glück!« – »Schö­ner Wind!« – »Bil­ly Bo­nes sein Lieb­chen!« Die­se In­schrif­ten wa­ren sau­ber und deut­lich auf dem Un­ter­arm an­ge­bracht; auf dem Obe­r­arm aber in der Nähe der Schul­ter war ein Bild von ei­nem Gal­gen, an dem ein Mensch hing – sehr hübsch und wit­zig aus­ge­führt, wie mir dünk­te.

»Pro­phe­tisch!« sag­te der Dok­tor und tipp­te auf das Bild. »Und nun, Meis­ter Bil­ly Bo­nes – wenn das Euer Name ist – wol­len wir uns mal die Far­be Eu­res Blu­tes an­se­hen. Jim«, sag­te er, »hast du Angst vor Blut?«

»Nein, Herr Dok­tor.«

»Na, dann hal­te mal die Schüs­sel!« Und mit die­sen Wor­ten nahm der Dok­tor sei­ne Lan­zet­te und öff­ne­te eine Ader.

Eine große Men­ge Blut wur­de ab­ge­zapft, be­vor der Käp­t’n die Au­gen auf­schlug und mit ei­nem blö­den Blick um sich sah. Zu­erst er­kann­te er den Dok­tor und run­zel­te die Stirn; dann fiel sein Blick auf mich, und er sah er­leich­tert aus. Plötz­lich aber wech­sel­te er die Far­be, ver­such­te sich auf­zu­rich­ten und rief:

»Wo ist der Schwar­ze Hund?«

»Hier ist kein schwar­zer Hund«, sag­te der Dok­tor, »au­ßer dem, der Euch im Na­cken sitzt.1 Ihr habt zu viel Rum ge­trun­ken; jetzt habt Ihr einen Schlag­an­fall ge­habt, ge­nau wie ich’s Euch vor­aus­ge­sagt habe; ich habe Euch aber, sehr ge­gen mei­nen ei­ge­nen Wil­len, noch ein­mal mit dem Kop­fe vor­an aus dem Gra­be her­aus­ge­zo­gen. Nun, Herr Bo­nes –«

»So hei­ße ich nicht!« un­ter­brach der Käp­t’n den Dok­tor.

»Ist mir Wurscht!« ant­wor­te­te der. »Ein al­ter See­räu­ber, den ich ken­ne, heißt so; und ich nen­ne Euch so der Kür­ze we­gen, und was ich Euch zu sa­gen habe, ist dies: Ein Glas Rum wird Euch nicht um­schmei­ßen, aber wenn Ihr eins trinkt, so wer­det Ihr noch eins neh­men und wie­der eins, und ich set­ze mei­ne Perücke zum Pfan­de: wenn Ihr das Rum­trin­ken nicht ganz und gar auf­gebt, so sterbt Ihr – ver­steht Ihr dies? – sterbt und geht da­hin, wo Ihr hin­ge­hört, wie der Mann in der Bi­bel. Na, nun ver­sucht mal auf­zu­ste­hen. Ich will Euch zu Bett brin­gen.«

Mit großer Mühe ge­lang es uns bei­den, dem Dok­tor und mir, den Käp­t’n die Trep­pe hin­auf­zu­brin­gen und ihn auf sein Bett zu le­gen, wo ihm so­fort der Kopf auf das Kis­sen sank, als ob er bei­na­he ohn­mäch­tig wäre.

»Also denkt dar­an!« sag­te der Dok­tor; »ich wa­sche mei­ne Hän­de in Un­schuld – das Wort Rum be­deu­tet für Euch Tod.«

Und da­mit ging er hin­aus, um nach mei­nem Va­ter zu se­hen.

Er fass­te mich am Arm und nahm mich mit hin­aus, und so­bald er die Tür ge­schlos­sen hat­te, sag­te er zu mir: »Das hat nichts zu be­deu­ten; ich habe ihm ge­nug Blut ab­ge­zapft, um ihn für eine Wei­le ru­hig zu hal­ten; er soll­te eine Wo­che im Bett lie­gen­blei­ben – das ist das bes­te für ihn und für euch; aber wenn er noch einen Schlag­an­fall kriegt, so ist’s aus mit ihm.«

Im Eng­li­schen sprich­wört­lich für Angst. C.  <<<

3. Kapitel – Der Schwarze Fleck

So ge­gen die Mit­tags­stun­de stand ich vor des Käp­t’ns Türe mit ei­ni­gen küh­len­den Ge­trän­ken und Me­diz­in­fla­schen. Er lag noch so ziem­lich in der­sel­ben Stel­lung, in der wir ihn ver­las­sen hat­ten; nur hat­te er sich et­was hö­her hin­auf­ge­scho­ben. Er schi­en schwach, zu­gleich aber auch auf­ge­regt zu sein.

»Jim«, sag­te er zu mir, »du bist hier im Hau­se der ein­zi­ge, der was taugt, und du weißt, ich bin im­mer gut zu dir ge­we­sen. Kein Mo­nat ist ver­gan­gen, ohne dass ich dir ein sil­ber­nes Vier-Pen­ny-Stück ge­ge­ben habe. Und nun sieh mal, Maat, mir geht es ver­dammt schlecht und ich bin von al­len ver­las­sen; und, Jim, du wirst mir ein ein­zi­ges Nö­sel­chen Rum brin­gen, nicht wahr, das tust du doch, mein Jung­chen?«

»Der Dok­tor«, fing ich an.

Aber da fluch­te er auf den Dok­tor – mit schwa­cher Stim­me, aber es kam ihm vom Her­zen.

»Dok­tors sind alle Schwät­zer«, sag­te er; »und der Dok­tor da – poh, was ver­steht der von see­be­fah­re­nen Men­schen? Ich bin an Stel­len ge­we­sen, da war’s so heiß wie in der Höl­le, und die Ka­me­ra­den fie­len rund um mich her­um wie die Flie­gen vom Gel­ben Hans1 und das Land da schwank­te von Erd­be­ben wie Mee­res­wo­gen – was weiß so ein Dok­tor von sol­chen Län­dern? Und ich blieb am Le­ben, sag’ ich dir, und das mach­te der Rum. Der war für mich Es­sen und Trin­ken, und wir wa­ren wie Mann und Frau; und wenn ich nicht mei­nen Rum ha­ben soll, dann bin ich ein arm­se­li­ges al­tes Wrack an ei­ner Lee­küs­te – und mein Blut kommt über dich, Jim, und über den Schwät­zer da, den Dok­tor!«

Jetzt kam wie­der eine Rei­he von Flü­chen, und dann fing er noch ein­mal an zu bet­teln:

»Sieh doch mal, Jim, wie mir die Fin­ger zit­tern. Ich kann sie nicht still­hal­ten – kann’s ein­fach nicht. Habe an die­sem lie­ben Tag noch kei­nen Trop­fen ge­habt. Der Dok­tor da ist ein Schafs­kopf, sag’ ich dir. Wenn ich nicht einen Schluck Rum krie­ge, dann krieg’ ich das graue Elend; hab’s schon ein paar­mal ge­habt. Ich sah den al­ten Flint in der Ecke da; da hin­ter dir; sah ihn klar und deut­lich; und wenn ich das graue Elend krie­ge – na, ich habe ein har­tes Le­ben ge­habt, und mir wird schlecht bei dem Ge­dan­ken. Der Dok­tor sag­te mir ja sel­ber: ein ein­zi­ges Glas wür­de mir nichts scha­den. Ich will dir eine gol­de­ne Gui­nee2 für ein Nö­sel­chen ge­ben!«

Er wur­de im­mer auf­ge­reg­ter, und das mach­te mich un­ru­hig mei­nes Va­ters we­gen, mit dem es an die­sem Tage sehr schlecht stand und der Ruhe nö­tig hat­te; au­ßer­dem hat­te ja der Dok­tor wirk­lich die Wor­te ge­sagt, die der Käp­t’n mir an­führ­te. Der Be­ste­chungs­ver­such är­ger­te mich al­ler­dings; aber ich sag­te:

»Ich brau­che Ihr Geld nicht; be­zah­len Sie nur, was Sie mei­nem Va­ter schul­dig sind. Ich will Ih­nen ein Glas ho­len, aber nicht mehr.«

Als ich ihm das Glas Rum brach­te, griff er gie­rig da­nach und trank es aus; dann sag­te er:

»Ah! ah! das tut wohl! mir ist ganz ge­wiss schon et­was bes­ser. Und nun höre mal, mein Jung­chen: sag­te der Dok­tor, wie lan­ge ich hier in die­ser al­ten Klap­pe lie­gen müs­se?«

»We­nigs­tens eine Wo­che.«

»Alle Don­ner!« schrie der Käp­t’n. »Eine Wo­che! Das geht nicht: in­zwi­schen wür­den sie mir den schwar­zen Fleck brin­gen. Die Schwei­ne­hun­de sind schon da­bei, mir den Wind ab­zu­fan­gen – die Schwei­ne­hun­de, die nicht spar­sam um­ge­hen konn­ten mit dem, was sie krieg­ten, und jetzt klau­en wol­len, was ei­nem an­de­ren ge­hört! Be­nimmt ein or­dent­li­cher See­mann sich so? Das möch­te ich mal hö­ren! Ich bin ein spar­sa­mer Mensch. Ich habe nie­mals gu­tes Geld ver­geu­det, was ich mir ver­dient hat­te; ich habe auch noch nie wel­ches ver­lo­ren, und ich will auch jetzt wie­der da­für sor­gen, dass sie sich den Mund wi­schen kön­nen. Vor de­nen habe ich kei­ne Angst! Ich wer­de noch ein Se­gel auf­set­zen, mein Jung­chen, und sie kön­nen mir nach­flö­ten!«

Wäh­rend er die­se Re­den hielt, war er mit großer Mühe von sei­nem Bett auf­ge­stan­den; er hielt sich mit ei­nem Griff, dass ich bei­na­he laut her­aus­ge­schri­en hät­te, an mei­ner Schul­ter fest, und ich merk­te, dass sei­ne Bei­ne so schwer wie Blei sein muss­ten, denn er konn­te sie kaum be­we­gen. Sei­ne Wor­te an sich wa­ren zwar sehr mu­tig, aber die schwa­che Stim­me, in der er sie aus­sprach, bil­de­te einen trau­ri­gen Ge­gen­satz dazu. Als es ihm ge­lun­gen war, sich auf den Bett­rand zu set­zen, schwieg er einen Au­gen­blick. Dann flüs­ter­te er:

»Der Dok­tor hat mich alle ge­macht, es saust mir in den Ohren. Lege mich auf den Rücken.«

Ich konn­te ihm nicht viel hel­fen; denn ehe ich noch zu­griff, war er schon wie­der in sei­ne frü­he­re Lage zu­rück­ge­sun­ken. Eine Wei­le lag er still da; end­lich sag­te er:

»Jim, du sahst heu­te den See­mann?«

»Den Schwar­zen Hund?«

»Ja­wohl, den Schwar­zen Hund! Der ist ein schlech­ter Kerl; aber die, die ihn an­ge­stif­tet ha­ben, sind noch schlim­mer als er. Nun, wenn ich nicht auf ir­gend­ei­ne Wei­se von hier weg­kom­men kann und wenn sie mir den schwar­zen Fleck in die Hand drücken, dann mer­ke dir, was ich dir jetzt sage: Sie sind hin­ter mei­ner al­ten Schif­fer­kis­te her. Nun nimmst du dir ein Pferd – du kannst doch rei­ten, nicht wahr? Na also – du setzt dich auf ein Pferd und rei­test zu – na, in Got­tes Na­men! – zu dem ewi­gen Schwät­zer, dem Dok­tor, und sagst ihm, er sol­le alle Mann auf Deck pfei­fen – Be­hör­den und sol­ches Zeug – und soll sich längs­seits vom ›Ad­mi­ral Ben­bow‹ le­gen, und er wer­de des al­ten Flint gan­ze Mann­schaft fan­gen, groß und klein, al­les, was noch da­von üb­rig ist. Ich war ers­ter Steu­er­mann, ja, das war ich! Dem al­ten Flint sein ers­ter Steu­er­mann, und ich bin der ein­zi­ge, der die Stel­le kennt. Er gab es mir in Sa­v­an­nah, als er im Ster­ben lag, ge­ra­de wie ich jetzt, wie du siehst. Aber du musst das nicht mel­den, be­vor sie mir den schwar­zen Fleck in die Hand ge­ben, oder be­vor du den Schwar­zen Hund wie­der­siehst, oder einen ein­bei­ni­gen See­mann, Jim – die­sen vor al­len!«

»Aber, was ist der schwar­ze Fleck, Käp­t’n?« sag­te ich.

»Das ist eine Auf­for­de­rung, Maat. Ich will dir’s er­klä­ren, wenn sie da­mit kom­men. Aber die Haupt­sa­che ist, dass du dein Wet­ter­au­ge of­fen hältst, Jim, und ver­lass dich drauf, ich will mit dir tei­len, Jim, halb und halb, auf mei­ne Ehre!«

Er fan­ta­sier­te noch eine klei­ne Wei­le, und sei­ne Stim­me wur­de im­mer schwä­cher. Dann gab ich ihm sei­ne Me­di­zin; er schluck­te sie hin­un­ter wie ein Kind und be­merk­te dazu:

»Wenn je­mals ein See­mann Me­di­zin nö­tig hat­te, dann bin ich das.« Schließ­lich ver­fiel er in einen schwe­ren, ohn­macht­ähn­li­chen Schlaf, und ich ließ ihn al­lein.

Was ich ge­tan ha­ben wür­de, wenn al­les gut ge­gan­gen wäre, das weiß ich nicht. Wahr­schein­lich wür­de ich die gan­ze Ge­schich­te dem Dok­tor er­zählt ha­ben; denn ich hat­te eine To­des­angst, es könn­te dem Käp­t’n leid tun, mir sei­ne ver­trau­li­chen Er­öff­nun­gen ge­macht zu ha­ben, und er wür­de mich tot­schla­gen. Es kam aber so, dass mein ar­mer Va­ter an die­sem sel­ben Abend ganz plötz­lich starb, und da hat­te ich kei­ne Ge­dan­ken für et­was an­de­res. Un­se­re na­tür­li­che Trau­er, die Bei­leids­be­su­che der Nach­barn, die An­ord­nun­gen für das Be­gräb­nis und da­bei die gan­ze Ar­beit in der Wirt­schaft, die ne­ben­bei be­sorgt wer­den muss­te – dies al­les gab mir so viel zu tun, dass ich kaum Zeit hat­te, an den Käp­t’n zu den­ken, ge­schwei­ge denn Angst vor ihm zu ha­ben.

Am nächs­ten Mor­gen kam er die Trep­pen her­un­ter und nahm sei­ne Mahl­zei­ten wie ge­wöhn­lich ein; er aß al­ler­dings we­nig, und ich fürch­te, er trank noch mehr Rum als für ge­wöhn­lich; denn er ging ein­fach sel­ber in den Zapfraum und be­dien­te sich da, und knurr­te da­bei und blies durch die Nase, und kei­ner von uns wag­te ihm in den Weg zu kom­men.

Am Abend vor dem Be­gräb­nis war er wie ge­wöhn­lich be­trun­ken, und es war fürch­ter­lich, ihn in un­se­rem Trau­er­hau­se sein scheuß­li­ches al­tes Schif­fer­lied brül­len zu hö­ren; aber so schwach er auch war, wir hat­ten alle eine To­des­angst vor ihm, und der Dok­tor war bei ei­nem Schwer­kran­ken, der vie­le Mei­len ent­fernt wohn­te und zu dem man ihn plötz­lich ge­ru­fen hat­te; des­halb kam er nach mei­nes Va­ters Tod nicht ins Haus.