Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Überarbeitete Fassung mit 96 Illustrationen in bunt und schwarzweiß Die Schatzinsel ist der bekannteste Roman des schottischen Autors Robert Louis Stevenson. Er erzählt von der hindernisreichen Suche nach einem vergrabenen Piratenschatz und zählt zu den bekanntesten Jugendromanen weltweit. Der Erstdruck erfolgte in der Zeit vom 1. Oktober 1881 bis 28. Januar 1882 als Mehrteiler in der Zeitschrift »Young Folks«. Die englische Erstausgabe in Buchform erschien 1883 in London, eine deutsche Übersetzung erstmals 1897. Seine Wirkung, auch bei den Kritikern, ist derjenigen von Defoes Robinson Crusoe, Mark Twains Tom Sawyer und Lewis Carrolls Alice im Wunderland vergleichbar. Die Geschichte wurde mehrmals verfilmt, unter anderem auch von den Muppets und den Disney Studios. Die bunten Charaktere und Motive sind, nach Stevensons eigenen Angaben, unter anderen von Daniel Defoe, Edgar Allan Poe und Washington Irving beeinflusst. Begleiten Sie den jungen Jim Hawkins fernab der Heimat auf seiner abenteuerlichen Suche nach dem geheimnisvollen Schatz. Bei dieser Fassung handelt es sich um eine Neu-Überarbeitung in einem besser verständlichen Deutsch - korrigiert um verschiedene Fehler und mit erklärenden Fußnoten versehen. Null Papier Verlag
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 370
Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Robert Louis Stevenson
Die Schatzinsel
Illustrierte Fassung
Robert Louis Stevenson
Die Schatzinsel
Illustrierte Fassung
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]: Louis Rhead, N. C. WyethÜbersetzung: Heinrich Conrad EV: Hesse und Becker Verlag 5. Auflage, ISBN 978-3-954181-77-3
null-papier.de/newsletter
Inhaltsverzeichnis
Autor & Buch
Erster Teil – Der alte Freibeuter
1. Kapitel – Der alte Seebär im Admiral Benbow
2. Kapitel – Der Schwarze Hund erscheint und verschwindet
3. Kapitel – Der Schwarze Fleck
4. Kapitel – Die Seekiste
5. Kapitel – Das Ende des blinden Mannes
6. Kapitel – Das Papier des Kapitäns
Zweiter Teil – Der Schiffskoch
7. Kapitel – Ich fahre nach Bristol
8. Kapitel – In der Schenke Zum Fernrohr
9. Kapitel – Pulver und Waffen
10. Kapitel – Die Fahrt
11. Kapitel – Was ich im Apfelfass hörte
12. Kapitel – Kriegsrat
Dritter Teil – Mein Landabenteuer
13. Kapitel – Wie mein Landabenteuer begann
14. Kapitel – Der erste Schlag
15. Kapitel – Der Mann von der Insel
Vierter Teil – Das Blockhaus
16. Kapitel – Der Doktor setzt die Erzählung fort: Wie das Schiff verlassen wurde
17. Kapitel – Der Doktor setzt den Bericht fort: Die letzte Fahrt der Jolle
18. Kapitel – Der Doktor setzt den Bericht fort: Ende des ersten Kampftages
19. Kapitel – Jim Hawkins setzt den Bericht fort: Die Besatzung hinter der Palisade
20. Kapitel – Silvers Botschaft
21. Kapitel – Der Angriff
Fünfter Teil – Mein Seeabenteuer
22. Kapitel – Wie mein Seeabenteuer begann
23. Kapitel – Die Ebbe dauert an
24. Kapitel – Die Kreuzfahrt des Korakels
25. Kapitel – Ich streiche den Jolly Roger
26. Kapitel – Israel Hands
27. Kapitel – »Piaster, Piaster«
Sechster Teil – Kapitän Silver
28. Kapitel – Im feindlichen Lager
29. Kapitel – Abermals der Schwarze Fleck
30. Kapitel – Auf Ehrenwort
31. Kapitel – Die Suche nach dem Schatz: Flints Wegweiser
32. Kapitel – Die Suche nach dem Schatz: Die Stimme unter den Bäumen
33. Kapitel – Der Sturz eines Häuptlings
34. Kapitel – Und nun zum Abschluss
Danke, dass Sie sich für ein E-Book aus meinem Verlag entschieden haben.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr Jürgen Schulze
Alice im Wunderland
Anna Karenina
Der Graf von Monte Christo
Die Schatzinsel
Ivanhoe
Oliver Twist oder Der Weg eines Fürsorgezöglings
Robinson Crusoe
Das Gotteslehen
Meisternovellen
Eine Weihnachtsgeschichte
und weitere …
Robert Louis Balfour Stevenson (✳ 13. November 1850 in Edinburgh; † 3. Dezember 1894 in Vailima, nahe Apia, Samoa) war ein schottischer Schriftsteller des viktorianischen Zeitalters. Stevenson, der an Tuberkulose litt, wurde nur 44 Jahre alt; jedoch hinterließ er ein umfangreiches Werk von Reiseerzählungen, Abenteuerliteratur und historischen Romanen sowie Lyrik und Essays.
Bekannt geworden sind vor allem der Jugendbuchklassiker »Die Schatzinsel« sowie die Schauernovelle »Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde«. Eine Reihe seiner Romane ist heute noch populär und zum Teil verfilmt worden.
Robert Louis Stevenson wurde als einziger Sohn des Ingenieurs und Leuchtturmbauers Thomas Stevenson und der Margaret Isabella Stevenson, geborene Balfour, in Howard Place, Edinburgh, geboren.
Das schottische Klima mit kühlen Sommern und regnerischen, nebligen Wintern war für Mutter und Sohn äußerst ungünstig, die beide zeit ihres Lebens von geschwächter Konstitution waren. Lang Jahre erhielt Stevenson als Kind und Jugendlicher Privatunterricht, da er zu oft krank war, um einem regelmäßigen Schulbesuch nachgehen zu können.
Während seiner Kindheit schrieb Stevenson ständig Essays und Geschichten. Das erste historische Buch des jungen Stevenson »Pentland Rising«, das er in der Tradition der Romane von Sir Walter Scott verfasste, erschien im Jahr 1866. Der Roman war von geringem literarischem Wert.
1867 immatrikulierte sich Stevenson an der Universität Edinburgh, studierte zunächst Technik und wechselte aufgrund seines labilen Gesundheitszustands 1871 zum Studium der Rechtswissenschaft. Der hochgewachsene schmalschultrige Louis gab sich als Bohemien, trug eine blaue Samtjacke, schulterlanges Haar und einen Schnurrbart und erregte mit seinem Auftreten Aufsehen in seiner Heimatstadt. Seine Diskutierfreude, die Hinwendung zum Atheismus und die Auflehnung gegen die sozialen Verhältnisse im viktorianischen Königreich entfremdeten ihn dem konservativen Elternhaus.
Am 19. Mai 1880 heiratete Stevenson die 10 Jahre ältere und geschiedene Fanny Osbourne, die zwei Kinde mit in die Ehe brachte. Wider Erwarten verstanden sich der streng konservative calvinistische Vater Thomas Stevenson und die geschiedene, Zigaretten rauchende Schwiegertochter ausgezeichnet.
1880 diagnostizierten Ärzte bei Stevenson eine beginnende Tuberkulose.
Während einer Schlechtwetterperiode in Braemar, einem kleinen Hochlanddorf in Schottland, in das sich die Familie mittlerweile zurückgezogen hatte, zog Stevenson sich eine starke Erkältung zu, musste seine Wanderungen aufgeben und widmete sich seinem Stiefsohn Lloyd. Er half ihm beim Malen: »Bei dieser Gelegenheit fertigte ich die Landkarte einer Insel an … Die Gestalt dieser Insel befruchtete meine Fantasie außerordentlich. Da waren Hafenplätze, die mich entzückten wie Sonette, und im Bewußstsein einer Schicksalsbestimmung nannte ich mein Erzeugnis ›Die Schatzinsel‹«. Auf diese Weise entstand die Anregung zu Stevensons erstem Roman, »Treasure Island« (»Die Schatzinsel«), der für seinen Stiefsohn geschrieben und ihm gewidmet wurde. Der Protagonist Jim Hawkins sollte in Lloyds Alter sein; William Ernest Henley, Stevensons Mitherausgeber des London Journal, war als fußamputierter trinkfester Schotte das Vorbild für den Piraten Long John Silver.
»Die Schatzinsel« erschien ab Ende des Jahres 1881 in mehreren Fortsetzungen in der Jugendzeitschrift Young Folks, fand jedoch wenig Beachtung. Als im Jahr 1883 der Roman mit dem Titel »Treasure Island« in Buchform bei Cassel & Company in London veröffentlicht wurde, ausgestattet mit zahlreichen Holzschnitten von Georges Roux und der abgedruckten Schatzkarte, wurde er ein Bestseller; bereits nach wenigen Jahren waren 75.000 Exemplare verkauft.
Im Jahr 1886 schrieb Stevenson »Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde«, eine Schauernovelle, die auf einem authentischen Fall beruht.
1887 lernte Stevenson den amerikanischen Schriftsteller Henry James kennen, der sich als einer der ersten Kritiker ernsthaft, zugleich begeistert, mit seinem Werk auseinandersetzte.
Der Vater Thomas Stevenson verstarb am 8. Mai 1887 in Edinburgh.
Während eines Besuchs in New York im Jahr 1888 traf Stevenson Mark Twain, dessen »Huckleberry Finn« ihn begeistert hatte; im Washington Square Park saßen beide lange auf einer Bank und diskutierten. Ein Briefwechsel schloss sich daraufhin an.
Im Dezember 1898 besuchte Stevenson erstmals Samoa, wo er ein Anwesen am Fuß des Mount Vaea, unweit Apia auf der Insel Upolu erwarb. Der Plantage, die Stevenson für 400 Pfund erworben hatte, und dem Wohnhaus, das ab Januar 1891 in zweijähriger Bauzeit errichtet wurde, gab er den Namen »Vailima« (»Wasser aus der Hand«).
Zeitweise lebten auf der Plantage ein ganzer Familien-Clan: Großmutter, Mutter, Vater, Kinder, Angeheiratete und Enkel.
Am Abend des 3. Dezember 1894 brach Stevenson bewusstlos zusammen. Herbeigerufene Ärzte konnten nicht mehr helfen. Im Beisein der Familie, der Diener und Geistlichen starb Stevenson, erst 44-jährig, ohne noch einmal das Bewusstsein erlangt zu haben. Als Todesursache wurde eine Intrazerebrale Blutung vermerkt. Die Einheimischen defilierten am Totenbett vorbei und hielten die Totenwache. Stevenson wurde am Gipfel des Mount Vaea begraben, wie er es sich gewünscht hatte.
Robert Louis Stevenson hat ein umfangreiches Werk von Romanen, Novellen, Reisebeschreibungen, Theaterstücken, Gedichten, Essays und Briefen hinterlassen. Es ist dem häufigen Ortswechsel Stevensons geschuldet, dass sein Nachlass weit verstreut archiviert ist.
Zu Lebzeiten war Stevenson sehr bekannt, doch als die Literatur der klassischen Moderne nach dem Ersten Weltkrieg aufkam, wurde er in Großbritannien als Autor zweiter Klasse angesehen, begrenzt auf das Genre der Kinder- und Horrorliteratur. Erst das späte 20. Jahrhundert würdigte Stevenson wieder als einen Autor ersten Ranges, als Literaturtheoretiker, Essayisten und Sozialkritiker, als Humanisten und als Zeugen der Geschichte der pazifischen Inseln.
Gutsherr Trelawney, Dr. Livesey und die übrigen Herren haben mich gebeten, unsere Fahrt nach der Schatzinsel vom Anfang bis zum Ende zu beschreiben, und dabei nichts zu verschweigen als die genaue Lage der Insel, und zwar auch dies nur deshalb, weil noch jetzt ungehobene Schätze dort vorhanden sind. So ergreife ich die Feder in diesem Jahre des Heils 17… und versetze mich zurück in die Zeit, als mein Vater den Gasthof zum »Admiral Benbow« hielt, und als der braungebrannte alte Seemann mit der Säbelnarbe im Gesicht zuerst unter unserem Dache Wohnung nahm.
Ich erinnere mich, wie wenn es gestern gewesen wäre, des Mannes: wie er in die Tür unseres Hauses hereinkam, während seine Schifferkiste ihm auf einem Schiebkarren nachgefahren wurde – ein großer, starker, schwerer, nussbrauner Mann; sein teeriger Zopf hing ihm im Nacken über seinen fleckigen blauen Rock herunter; seine Hände waren schwielig und rissig mit abgebrochenen, schwarzen Fingernägeln, und der Säbelschmiss, der sich über die eine Wange hinzog, war von schmutzig-weißer Farbe. Er sah sich im Schenkzimmer um und pfiff dabei vor sich hin, und dann stimmte er das alte Schifferlied an, das er später so oft sang:
»Fünfzehn Mann auf des toten Mannes Kiste, Jo-ho-ho und die Pulle voll Rum!«
in der zitterigen, hohen Stimme, die so klang, wie wenn eine Ankerwinde gedreht würde. Dann schlug er mit einem Knüppel, so dick wie eine Handspeiche, gegen die Tür, und als mein Vater erschien, verlangte er barsch ein Glas Rum. Als dieses ihm gebracht worden war, trank er es langsam aus, wie ein Kenner, mit der Zunge den Geschmack nachprüfend, und dabei sah er sich durch das Fenster die Strandklippen und unser Wirtsschild an. Schließlich sagte er:
»Das ist ’ne nette Bucht und ’ne angenehm gelegene Grogkneipe. Viel Gesellschaft, Maat?«
Mein Vater sagte ihm, Gesellschaft käme leider nur sehr wenig.
»So? Na, dann ist das die richtige Stelle für mich. Heda, Ihr, mein Mann!« rief er dem Mann zu, der den Handkarren schob: »Ladet mal meine Kiste ab und bringt sie nach oben! Hier will ich ein bisschen bleiben! Ich bin ein einfacher Mann – Rum und Speck und Eier, weiter brauche ich nichts; und außerdem die Klippe da draußen, um die Schiffe zu beobachten. Wie Sie mich nennen könnten? Käpt’n können Sie mich nennen. Ach so – ich sehe schon, worauf Sie hinauswollen – da!«
Und er warf drei oder vier Goldstücke auf den Tisch. »Wenn ich das verzehrt habe, können Sie mir Bescheid sagen!« rief er, und dabei sah er so stolz aus wie ein Admiral.
Und in der Tat – so schlecht seine Kleider waren und so gemein seine Sprechweise, er sah durchaus nicht wie ein Mann aus, der vor dem Mast fuhr, sondern war offenbar ein Steuermann oder ein Schiffer, der gewohnt war, dass man ihm gehorchte, oder sonst gab’s Prügel. Der Mann, der den Schiebkarren gefahren hatte, sagte uns, die Postkutsche hätte ihn am Tag vorher am Royal George abgesetzt; er hätte sich erkundigt, was für Gasthöfe an der Küste wären, und als er gehört hätte, dass man unser Haus lobte, – und besonders, so vermute ich wenigstens, als man es ihm als einsam gelegen beschrieb – hätte er beschlossen, bei uns Aufenthalt zu nehmen. Und das war alles, was wir über unseren Gast erfahren konnten.
Er war ein schweigsamer Mann. Den ganzen Tag lungerte er an der Bucht oder auf den Klippen herum und sah durch sein Messingfernrohr über See und Strand; den ganzen Abend aber saß er in einer Ecke der Schenkstube ganz dicht am Feuer und trank Rum und Wasser, und zwar eine sehr steife Mischung. Wenn jemand ihn anredete, antwortete er für gewöhnlich nicht, sondern sah nur plötzlich mit einem wütenden Blick auf und blies durch seine Nase wie durch ein Nebelhorn; und wir und unsere Besucher merkten bald, dass man ihn dann in Ruhe lassen musste. Jeden Tag, wenn er von seinen Gängen zurückkam, fragte er, ob Seeleute auf der Landstraße vorübergekommen wären. Anfangs dachten wir, er fragte, weil er sich nach Gesellschaft von Kameraden sehnte; schließlich aber merkten wir, dass er im Gegenteil es zu vermeiden wünschte. Wenn ein Seemann im »Admiral Benbow« einkehrte – wie es ab und zu geschah, wenn Leute auf der Küstenstraße nach Bristol gingen – so sah er sich ihn durch das verhängte Fensterchen in der Tür an, bevor er die Schenkstube betrat; und wenn solch ein Seemann anwesend war, verhielt er sich immer mäuschenstille. Vor mir suchte er auch kein Geheimnis aus der Sache zu machen, sondern er beteiligte mich im Gegenteil gewissermaßen an seiner Unruhe.
Er hatte mich nämlich eines Tages beiseite genommen und mir versprochen: er wollte mir am Ersten jeden Monats ein silbernes Vier-Penny-Stück geben, wenn ich bloß »mein Wetterauge offen halten wollte nach einem Seemann mit nur einem Bein«, und wenn ich ihm, sobald der auftauchte, augenblicklich Bescheid geben wollte. Wenn nun der Monatserste da war und ich meinen Lohn von ihm verlangte, dann kam es oft genug vor, dass er nur durch die Nase blies und mich mit einem wütenden Blick ansah; aber bevor die Woche zu Ende war, hatte er es sich jedes Mal besser überlegt: er brachte mir das Vier-Penny-Stück und wiederholte seinen Befehl, »nach dem Seemann mit dem einen Bein Ausguck zu halten«.
Wie dieser Seemann mich in meinen Träumen verfolgte, brauche ich kaum zu sagen. In stürmischen Nächten, wenn der Wind die vier Ecken unseres Hauses schüttelte und die Brandung in der Bucht gegen die Klippen donnerte, sah ich ihn in tausend Gestalten und mit tausend teuflischen Gesichtern. Bald war das Bein am Knie abgenommen, bald dicht an der Hüfte; dann wieder war er ein ungeheuerliches Geschöpf, das immer nur ein einziges Bein gehabt hatte, und zwar mitten unter dem Rumpf. Ihn zu sehen, wie er sprang und lief und mich über Gräben und Hecken verfolgte, das war für mich der fürchterlichste Nachtmahr. So musste ich eigentlich mein monatliches Vier-Penny-Stück recht teuer bezahlen, denn ich bekam dafür diese grässlichen Traumgesichte in den Kauf.
Wenn ich vor dem einbeinigen Seemann eine schreckliche Angst hatte, so hatte ich dafür vor dem Käpt’n selber weniger Furcht als andere, die ihn kannten. An manchen Abenden nahm er mehr Rum und Wasser zu sich, als sein Kopf vertragen konnte; dann saß er zuweilen, ohne sich um irgendeinen Menschen zu bekümmern, und sang seine ruchlosen alten wilden Schifferlieder; zuweilen aber bestellte er Runden und zwang die ganze zitternde Gesellschaft, seine Geschichten anzuhören oder als Chor in seine Lieder einzufallen. Oft zitterte das Haus von dem »Johoho, und ’ne Buddel, Buddel Rum«; alle Nachbarn stimmten aus voller Kehle ein, mit einer Todesangst im Leibe, und einer sang noch lauter als der andere, damit nur der Käpt’n keine Bemerkungen machte. Denn wenn er diese Anfälle hatte, war er der ungemütlichste Gesellschafter von der Welt; dann schlug er mit der Faust auf den Tisch und gebot Ruhe; wenn irgendeine Zwischenfrage gestellt wurde, regte er sich fürchterlich auf – manchmal aber noch mehr, wenn keine Frage gestellt wurde, weil er dann glaubte, die Gesellschaft hörte nicht auf seine Geschichte. An solchen Abenden durfte keiner die Schenkstube verlassen, bis er selber vom Trinken schläfrig geworden war und ins Bett taumelte.
Am meisten Angst machte er den Leuten mit seinen Geschichten. Und fürchterliche Geschichten waren es allerdings: von Hängen, über die Planke1 gehen lassen, von Stürmen auf hoher See, und von den Schildkröteninseln, und von wilden Gefechten und Taten, und von Häfen in den westindischen Gewässern. Nach seinen eigenen Berichten musste er unter den größten Verbrechern gelebt haben, die Gott jemals zur See gehen ließ; und die Worte, in denen er diese Geschichten erzählte, entsetzten unsere guten Landleute beinahe ebensosehr wie die Verbrechen, von denen sie handelten. Mein Vater sagte fortwährend: unser Gasthof werde zugrunde gerichtet werden, denn die Leute würden bald nicht mehr kommen, um sich anschnauzen und niederducken zu lassen und dann mit zitternden Gebeinen zu Bett zu gehen. Aber ich glaube, dass in Wirklichkeit seine Anwesenheit uns Vorteil brachte. Die Leute grauelten sich allerdings, aber in der Rückerinnerung hatten sie die Geschichten eigentlich gern; es war eine angenehme Aufregung in ihrem stillen Landleben. Unter den jüngeren Leuten gab es sogar eine Partei, die voll Bewunderung von ihm sprach. Sie nannten ihn »einen echten Seehund« und »eine richtige alte Teerjacke« und so ähnlich und sagten, das wären gerade die Leute, die England so gefürchtet zur See machten.
In einer Beziehung richtete allerdings der Käpt’n uns zugrunde: er blieb eine Woche nach der anderen, sodass die Goldstücke, die er auf den Tisch geworfen hatte, längst verrechnet waren; aber mein Vater konnte sich niemals ein Herz fassen und mehr Geld von ihm verlangen. Sobald er eine leichte Anspielung machte, blies der Käpt’n so laut durch die Nase, dass es beinahe ein Brüllen war, und sah meinen Vater so wütend an, dass dieser die Schenkstube verließ. Ich habe ihn nach solcher Abweisung die Hände ringen sehen, und ich bin überzeugt, dass der Verdruss über seinen Gast und die Angst, worin er lebte, seinen allzu frühen unglücklichen Tod sehr beschleunigt haben.
Während der ganzen Zeit, dass der Käpt’n bei uns wohnte, trug er immer denselben Anzug; niemals änderte er etwas daran, nur einmal kaufte er Strümpfe von einem Hausierer. Als eine von den Krempen seines Hutes sich losgelöst hatte und herunterhing, ließ er ihn so, wie er war, obwohl diese Krempe ihn bei starkem Wind sehr belästigte. Ich sehe vor meinen Augen noch seinen Rock, auf den er selber oben in seinem Zimmer einen Flicken setzte, sooft er das für nötig hielt; schließlich bestand der ganze Rock nur aus Flicken. Niemals schrieb er einen Brief, niemals empfing er einen; er sprach mit keinem Menschen ein Wort außer mit den Nachbarn, die zu uns in die Wirtschaft kamen, auch mit diesen gewöhnlich nur, wenn er zu viel Rum getrunken hatte. Seine große Schifferkiste hatte keiner von uns jemals offen gesehen.
Nur ein einziges Mal wagte ein Mensch, ihm über den Mund zu fahren, und das geschah erst in der letzten Zeit, als mein armer Vater schon sehr krank und dem Tode nahe war. Doktor Livesey kam eines Nachmittags zu später Stunde, um noch nach dem Kranken zu sehen; meine Mutter setzte ihm ein bisschen zu essen vor, und dann ging er in die Schenkstube, um eine Pfeife zu rauchen, bis sein Pferd vom Dorf zurückgebracht würde; denn wir hatten im alten »Admiral Benbow« keine Stallung. Ich ging mit dem Doktor in die Schenkstube, und ich erinnere mich noch, dass mir der Unterschied zwischen dem sauberen, munteren Doktor mit seiner schneeweiß gepuderten Perücke, seinen hellen, schwarzen Augen und seinem liebenswürdigen Benehmen und den plumpen Landleuten auffiel, besonders aber der Gegensatz zu dem schmutzigen, zerlumpten alten Piraten, der stark angetrunken hinter seinem Tische saß und die Ellenbogen aufgestützt hatte. Plötzlich begann er, der Käpt’n nämlich, sein ewiges Lied zu brüllen:
»Fünfzehn Mann auf des toten Mannes Kiste, Jo-ho-ho und die Pulle voll Rum, Teufel und Trunk strich den Rest von der Liste, Jo-ho-ho und die Pulle voll Rum!«
Anfangs hatte ich vermutet, »des Toten Kist’« sei die große Schifferkiste oben im Vorderzimmer, und ich hatte sie in meinen Träumen mit dem einbeinigen Schiffer in Verbindung gebracht. Inzwischen aber hatten wir alle schon längst aufgehört, auf sein Singen zu achten; an diesem Abend war das Lied nur dem Dr. Livesey neu, und ich bemerkte, dass es auf ihn keinen angenehmen Eindruck machte; denn er sah einen Augenblick ganz ärgerlich aus, bevor er in seinem Gespräch mit dem alten Gärtner Taylor fortfuhr, mit dem er sich über ein neues Mittel gegen das Gliederreißen unterhielt. Der Kapitän wurde bei seinem eigenen Lied lustig und schlug schließlich mit der Faust vor sich auf den Tisch; wir alle wussten, dass er damit den Anwesenden Schweigen befehlen wollte. Alle hörten sofort auf zu sprechen – mit Ausnahme des Dr. Livesey; der sprach ruhig weiter, indem er zwischen jedem zweiten oder dritten Wort einen kurzen Zug aus seiner Pfeife tat. Eine Weile starrte der Käpt’n ihn an, schlug wieder mit der flachen Hand auf den Tisch, starrte ihn noch grimmiger an und schrie endlich mit einem gemeinen Fluch:
»Stille da unter Deck!«
»Sagten Sie etwas zu mir, Herr?« sagte der Doktor.
Und als der Kerl mit einem neuen Fluch ihm sagte, das wäre allerdings der Fall, antwortete der Arzt:
»Ich habe Ihnen nur eins zu sagen, Herr: wenn Sie mit dem Rumtrinken so weiter machen, wird die Welt bald von einem sehr dreckigen Schuft befreit sein!«
Die Wut des alten Burschen war schrecklich anzusehen. Er sprang auf, zog ein Matrosen-Klappmesser, öffnete es, schwang es auf der offenen Handfläche und drohte dem Doktor, er werde ihn an die Wand spießen.
Der aber rührte sich nicht einmal. Er sprach wie bisher über die Schulter weg zum Käpt’n und sagte mit der gleichen ruhigen Stimme, ziemlich laut, sodass alle im Zimmer ihn hören konnten, aber ganz gelassen:
»Wenn Ihr nicht augenblicklich das Messer in die Tasche steckt, so gebe ich Euch mein Wort darauf: nach der nächsten Gerichtssitzung hängt Ihr am Galgen!«
Dann kreuzten ihre Blicke sich; aber der Käpt’n gab bald klein bei, steckte seine Waffe ein und setzte sich wieder hin, wobei er wie ein geprügelter Hund knurrte.
»Und nun noch eins, mein Mann!« fuhr der Doktor fort: »Da ich jetzt weiß, dass solch ein Bursche in meinem Bezirk ist, so könnt Ihr Euch darauf verlassen, dass ich Tag und Nacht ein Auge auf Euch haben werde. Ich bin nicht nur Arzt, ich bin auch Beamter; und wenn ich auch nur die leiseste Beschwerde über Euch höre – wär’s auch bloß wegen einer Unhöflichkeit wie heute Abend –, so werde ich dafür zu sorgen wissen, dass man Euch an dem Kragen nimmt und abschiebt. Und damit genug!«
Bald darauf wurde Dr. Liveseys Pferd gebracht, und er ritt ab; der Käpt’n aber war an diesem Abend still und tat noch viele Abende hinterher den Mund nicht auf.
langes, dickes Brett; Bauholz für den Schiffsbau <<<
Nicht lange Zeit nach diesem Auftritt trat das erste von den geheimnisvollen Ereignissen ein, die uns schließlich den Käpt’n vom Halse schafften, wenn auch nicht seine Angelegenheiten, wie der Leser sehen wird.
Es war ein bitterkalter Winter mit langandauernden, harten Frösten und schweren Stürmen, und es war von Anfang an klar, dass mein armer Vater wenig Aussicht hatte, den Frühling noch zu erleben. Er wurde mit jedem Tag schwächer, und meine Mutter und ich hatten den ganzen Betrieb der Wirtschaft zu besorgen; so hatten wir immer viel zu tun und konnten uns um unseren unangenehmen Gast wenig kümmern.
Es war an einem Januarmorgen, zu sehr früher Stunde. Das Wetter war beißend kalt; die ganze Bucht war grau vom Raureif; die Sonne stand noch niedrig und berührte nur eben die Hügelspitzen und schien weit über das Meer hinaus.
Der Käpt’n war früher als gewöhnlich aufgestanden und nach dem Strand hinuntergegangen; sein Stutzsäbel schwang unter den breiten Schößen seines blauen Rockes hin und her, sein Messingfernrohr hatte er unter die Achsel geklemmt, den Hut in den Nacken zurückgeschoben. Sein Atem hing wie ein Rauchstreifen hinter ihm, wie er so mit langen Schritten dahinging, und der letzte Ton, den ich von ihm hörte, als er um den großen Felsen bog, war ein lautes, entrüstetes Schnauben, wie wenn er immer noch an den Dr. Livesey dächte.
Mutter war oben bei Vater, und ich war dabei, den Frühstückstisch zu decken, damit er bei der Rückkehr alles fertig fände; da ging die Tür zur Schenkstube auf, und herein trat ein Mann, den ich nie in meinem Leben gesehen hatte. Er war ein Kerl mit blassem, käsigem Gesicht; an der linken Hand fehlten ihm zwei Finger, und obgleich er einen Stutzsäbel trug, sah er nicht gerade nach einem großen Fechter aus. Ich war immer auf dem Ausguck nach Seeleuten, einerlei ob mit einem Bein oder mit zweien, und ich erinnere mich noch heute, dass der Mann mir sofort verdächtig vorkam. Er sah nicht schiffermäßig aus, und trotzdem hatte er etwas von der See an sich.
Ich fragte ihn, was er wünschte, und er sagte, er wolle ein Glas Rum nehmen. Als ich aber hinausgehen wollte, um das Getränk zu holen, setzte er sich auf einen Tisch und winkte mir; ich möchte näher kommen. Ich blieb aber mit meinem Wischtuch in der Hand stehen, wo ich war. Da sagte er:
»Komm doch her, Jungchen! Komm doch mal näher!«
Ich trat einen Schritt näher an ihn heran.
»Ist der Tisch hier für meinen Maat Bill gedeckt?« fragte er und sah mich dabei lauernd an.
Ich sagte ihm, seinen Maat Bill kenne ich nicht, und der Tisch sei für jemand gedeckt, der in unserem Hause wohne und den wir den Käpt’n nannten.
»Na«, sagte er, »mein Maat Bill wird sich wohl Käpt’n nennen lassen; das sollte mich gar nicht wundern. Er hat einen Schmiss auf der einen Backe, und ein mächtig netter Kerl ist er, mein Maat Bill, besonders beim Trinken. Wir wollen mal annehmen, euer Käpt’n hat einen Schmiss auf der Backe – und, was meinst du? – wir wollen mal annehmen, er hat ihn auf der rechten Backe. Aha, siehst du, ich sagte es dir ja. Na, ist also mein Maat Bill hier im Hause?«
Ich sagte ihm, er sei ausgegangen.
»Wohin denn, Jungchen? Welchen Weg ist er gegangen?«
Ich zeigte ihm den Felsen und sagte ihm, dass der Käpt’n jedenfalls bald nach Hause kommen werde, und beantwortete ihm noch ein paar andere Fragen. Schließlich sagte er:
»Na, da wird mein Maat Bill sich freuen wie über ein Glas Rum.«
Der Gesichtsausdruck, mit dem er diese Worte sprach, war durchaus nicht angenehm, und ich hatte meine besonderen Gründe anzunehmen, dass der Fremde sich irrte, selbst wenn seine Worte aufrichtig gemeint wären. Aber ich dachte, das ginge ja mich nichts an; außerdem war es schwierig zu entscheiden, was da zu tun sei.
Der Fremde hielt sich fortwährend dicht bei der Haustür auf und guckte alle Augenblicke um die Ecke wie eine Katze, die auf eine Maus lauert. Einmal ging ich selber auf die Straße hinaus, aber er rief mich sofort zurück, und als ich nicht schnell genug folgte, verzerrte sich sein käsiges Gesicht auf eine ganz fürchterliche Weise, und mit einem Fluch, der mir Angst machte, befahl er mir, sofort ins Haus zu gehen.
Als ich aber wieder drinnen war, benahm er sich wie vorher: halb spöttisch, halb schmeichlerisch; klopfte mir auf die Schulter und sagte mir, ich sei ein guter Junge und er möchte mich riesig gerne leiden.
»Ich habe selber einen Jungen«, sagte er, »der sieht dir so ähnlich wie ein Ei dem anderen und ist so recht mein Stolz. Aber die Hauptsache für Jungens ist Gehorchen – Gehorsam, Jungchen! Na, wenn du mit Bill zusammen auf See gewesen wärest, dann hättest du nicht hier gestanden und dir was zweimal sagen lassen – glaub mir das! Das gab’s bei Bill nicht, und das gibt’s auch bei denen nicht, die mit ihm gefahren sind. Und sieh mal an, da kommt ja mein Maat Bill, mit einem Fernrohr unterm Arm, der gute alte Kerl! Da wollen wir beide mal man in die Schenkstube gehen, Jungchen, und uns hinter die Tür stellen, und wollen Bill ein bisschen überraschen – die gute alte Seele!«
Mit diesen Worten ging der Fremde mit mir in die Schenkstube zurück und ließ mich hinter ihm in die Ecke treten, sodass wir beide hinter der geöffneten Türe verborgen waren. Ich fühlte mich sehr unbehaglich und unruhig, wie man sich wohl denken kann, und meine Angst wurde dadurch noch größer, dass der Fremde offenbar selber Furcht hatte. Er machte den Griff seines Stutzsäbels frei und lockerte die Klinge in der Scheide; und während der ganzen Zeit, dass wir dastanden und warteten, schluckte er fortwährend, als ob er einen Kloß in der Kehle hätte, wie man zu sagen pflegt.
Endlich trat der Käpt’n ein, schlug die Tür hinter sich zu, ohne nach rechts oder nach links zu sehen, und ging quer durch das Zimmer an den Tisch, auf dem das Frühstück für ihn bereit stand.
»Bill!« sagte der Fremde mit einer Stimme, der ich deutlich anmerkte, dass er alle Kraft aufgeboten hatte, sie recht laut und kühn zu machen.
Der Käpt’n drehte sich auf dem Absatz herum und sah uns an; alle braune Farbe war aus seinem Antlitz gewichen, und sogar seine Nase war blau; er sah aus wie ein Mensch, der ein Gespenst erblickt oder den Teufel oder sogar noch etwas Schlimmeres, wenn es das gibt, und auf mein Wort: es tat mir leid, wie ich ihn plötzlich so alt und krank aussehend fand.
»Nanu, Bill, du kennst mich doch; du kennst doch gewiss einen alten Schiffsmaat, Bill!« sagte der Fremde.
Der Käpt’n riss den Mund auf, wie wenn er nach Luft schnappen müsste, und rief: »Der Schwarze Hund!«
»Wer denn sonst?« antwortete der andere, der sich offenbar etwas behaglicher zu fühlen begann. »Der Schwarze Hund, immer noch der alte, ist nun hier, um seinen allen Schiffskumpan Bill im ›Admiral Benbow‹ zu besuchen. Oh, Bill, Bill! wir haben was durchgemacht, wir zwei, seitdem ich die beiden Greifer verlor!«
Und dabei hält er die verstümmelte Hand in die Höhe.
»Na, denn hör mal zu!« sagte der Käpt’n: »Du hast mich gestellt; hier bin ich. Also denn man los: was willst du?«
»Das sieht dir ähnlich, Bill!« antwortete der Schwarze Hund. »Bist immer noch der alte Billy. Ich will mir ein Glas Rum geben lassen von dem lieben Jungchen hier, der so nett ist; und dann wollen wir uns hinsetzen, wenn’s dir recht ist, und wollen ein vernünftiges Wort miteinander schnacken, als richtige alte Schiffskameraden.«
Als ich mit dem Rum wieder hereinkam, saßen sie schon an des Käpt’ns Frühstückstisch einander gegenüber – der Schwarze Hund nach der Tür zu und etwas seitlings auf seinem Stuhl, sodass er, wie mir vorkam, das eine Auge auf seinem alten Schiffskumpan und das andere auf seiner Rückzugslinie hatte.
Er befahl mir hinauszugehen und die Tür weit offen zu lassen.
»Durchs Schlüsselloch gucken gibt’s bei mir nicht, Jungchen!« sagte er.
Ich ließ die beiden miteinander sitzen und zog mich in den Zapfraum zurück.
Obgleich ich mir natürlich alle Mühe gab, etwas zu hören, konnte ich lange Zeit weiter nichts hören als ein leises Gemurmel; schließlich aber begannen die Stimmen lauter zu werden, und ich konnte ab und zu ein paar Worte vom Käpt’n verstehen – meistens Flüche.
»Nein, nein, nein, nein! Und damit basta«, schrie er einmal. Und ein anderes Mal: »Wenn’s zum Baumeln kommt, sollen alle baumeln – das sage ich!«
Dann aber gab es ganz plötzlich einen furchtbaren Ausbruch von Flüchen und anderen Geräuschen – Stühle und Tisch fielen um, er folgte ein Klirren von Stahl und dann ein Schmerzensschrei. Und im nächsten Augenblick sah ich den Schwarzen Hund in voller Flucht und den Käpt’n scharf hinter ihm her, beide mit gezogenen Stutzsäbeln; dem Schwarzen Hund aber strömte Blut von der linken Schulter herunter. Unmittelbar vor der Tür führte der Käpt’n noch einen letzten furchtbaren Streich nach dem Fliehenden; sicherlich hätte der Hieb ihm den Garaus gemacht, wenn er nicht von dem großen Gasthofsschild des »Admiral Benbow« aufgefangen worden wäre. Man kann die Spur noch bis auf den heutigen Tag an der unteren Leiste des Rahmens sehen.
Mit diesem Hieb war das Gefecht aus. Kaum war der Schwarze Hund auf der Straße, so entwickelte er trotz seiner Wunde eine ungeheure Geschwindigkeit und war in einer halben Minute jenseits der Höhe verschwunden. Der Käpt’n aber starrte wie geistesabwesend auf das Schild. Dann fuhr er sich ein paarmal mit der Hand über die Augen, und schließlich ging er in das Haus zurück und sagte zu mir:
»Jim, Rum!«
Und als er diese Worte sprach, taumelte er hin und her und musste sich mit der einen Hand gegen die Wand stützen.
»Sind Sie verwundet?« schrie ich.
»Rum!« sagte er noch einmal. »Ich muss fort von hier. Rum! Rum!«
Ich lief schnell, welchen zu holen; aber ich war von allen diesen Vorgängen ganz verstört und zerbrach ein Glas und konnte den Zapfen nicht richtig aufdrehen. Und während ich mir noch damit zu tun machte, hörte ich im Schenkzimmer einen schweren Fall. Und als ich hineinrannte, sah ich den Käpt’n, so lang er war, auf dem Fußboden liegen. In demselben Augenblick kam meine Mutter, die das Geschrei und der Lärm des Kampfes aufgeschreckt hatten, die Treppe heruntergelaufen, um mir zu helfen. Mit vereinten Kräften hoben wir ihm den Kopf hoch. Er atmete sehr schwer und laut; aber seine Augen waren geschlossen und sein Gesicht war so blaurot, dass es schrecklich anzusehen war.
»Herrje, Herrjemine!« schrie meine Mutter: »Was für eine Schande für unser Haus! Und auch dein armer Vater liegt krank zu Bett!«
Wir hatten keine Ahnung, auf welche Weise wir dem Käpt’n helfen könnten; wir dachten, er wäre in dem Gefecht mit dem Fremden tödlich verwundet worden. Ich brachte allerdings den Rum und versuchte ihm etwas davon einzuflößen; aber seine Zähne waren dicht geschlossen, und seine Kinnbacken waren so hart wie Eisen. Wir fühlten uns ganz glücklich und erleichtert, als plötzlich die Tür aufging und Dr. Livesey eintrat, der seinen Besuch bei meinem Vater machen wollte.
»O Herr Doktor!« riefen wir: »Was sollen wir tun! Wo ist er verwundet?«
»Verwundet? Papperlapapp!« sagte der Doktor. »Der ist nicht mehr verwundet als ihr oder ich. Der Mann hat einen Schlaganfall gehabt, wie ich es ihm vorhergesagt hatte. Nun, Frau Hawkins, laufen Sie mal schnell nach oben zu Ihrem Mann, aber sagen Sie ihm, wenn irgend möglich, kein Wort von der Geschichte. Ich muss ja leider mein Bestes tun, dieses Kerls in jeder Beziehung wertloses Leben zu retten, und Jim wird so gut sein, mir eine Schüssel zu holen.«
Als ich mit der Schüssel zurückkam, hatte der Doktor schon dem Käpt’n den Ärmel hochgestreift und seinen dicken, muskelkräftigen Arm entblößt, der an mehreren Stellen tätowiert war: »Gut Glück!« – »Schöner Wind!« – »Billy Bones sein Liebchen!« Diese Inschriften waren sauber und deutlich auf dem Unterarm angebracht; auf dem Oberarm aber in der Nähe der Schulter war ein Bild von einem Galgen, an dem ein Mensch hing – sehr hübsch und witzig ausgeführt, wie mir dünkte.
»Prophetisch!« sagte der Doktor und tippte auf das Bild. »Und nun, Meister Billy Bones – wenn das Euer Name ist – wollen wir uns mal die Farbe Eures Blutes ansehen. Jim«, sagte er, »hast du Angst vor Blut?«
»Nein, Herr Doktor.«
»Na, dann halte mal die Schüssel!« Und mit diesen Worten nahm der Doktor seine Lanzette und öffnete eine Ader.
Eine große Menge Blut wurde abgezapft, bevor der Käpt’n die Augen aufschlug und mit einem blöden Blick um sich sah. Zuerst erkannte er den Doktor und runzelte die Stirn; dann fiel sein Blick auf mich, und er sah erleichtert aus. Plötzlich aber wechselte er die Farbe, versuchte sich aufzurichten und rief:
»Wo ist der Schwarze Hund?«
»Hier ist kein schwarzer Hund«, sagte der Doktor, »außer dem, der Euch im Nacken sitzt.1 Ihr habt zu viel Rum getrunken; jetzt habt Ihr einen Schlaganfall gehabt, genau wie ich’s Euch vorausgesagt habe; ich habe Euch aber, sehr gegen meinen eigenen Willen, noch einmal mit dem Kopfe voran aus dem Grabe herausgezogen. Nun, Herr Bones –«
»So heiße ich nicht!« unterbrach der Käpt’n den Doktor.
»Ist mir Wurscht!« antwortete der. »Ein alter Seeräuber, den ich kenne, heißt so; und ich nenne Euch so der Kürze wegen, und was ich Euch zu sagen habe, ist dies: Ein Glas Rum wird Euch nicht umschmeißen, aber wenn Ihr eins trinkt, so werdet Ihr noch eins nehmen und wieder eins, und ich setze meine Perücke zum Pfande: wenn Ihr das Rumtrinken nicht ganz und gar aufgebt, so sterbt Ihr – versteht Ihr dies? – sterbt und geht dahin, wo Ihr hingehört, wie der Mann in der Bibel. Na, nun versucht mal aufzustehen. Ich will Euch zu Bett bringen.«
Mit großer Mühe gelang es uns beiden, dem Doktor und mir, den Käpt’n die Treppe hinaufzubringen und ihn auf sein Bett zu legen, wo ihm sofort der Kopf auf das Kissen sank, als ob er beinahe ohnmächtig wäre.
»Also denkt daran!« sagte der Doktor; »ich wasche meine Hände in Unschuld – das Wort Rum bedeutet für Euch Tod.«
Und damit ging er hinaus, um nach meinem Vater zu sehen.
Er fasste mich am Arm und nahm mich mit hinaus, und sobald er die Tür geschlossen hatte, sagte er zu mir: »Das hat nichts zu bedeuten; ich habe ihm genug Blut abgezapft, um ihn für eine Weile ruhig zu halten; er sollte eine Woche im Bett liegenbleiben – das ist das beste für ihn und für euch; aber wenn er noch einen Schlaganfall kriegt, so ist’s aus mit ihm.«
Im Englischen sprichwörtlich für Angst. C. <<<
So gegen die Mittagsstunde stand ich vor des Käpt’ns Türe mit einigen kühlenden Getränken und Medizinflaschen. Er lag noch so ziemlich in derselben Stellung, in der wir ihn verlassen hatten; nur hatte er sich etwas höher hinaufgeschoben. Er schien schwach, zugleich aber auch aufgeregt zu sein.
»Jim«, sagte er zu mir, »du bist hier im Hause der einzige, der was taugt, und du weißt, ich bin immer gut zu dir gewesen. Kein Monat ist vergangen, ohne dass ich dir ein silbernes Vier-Penny-Stück gegeben habe. Und nun sieh mal, Maat, mir geht es verdammt schlecht und ich bin von allen verlassen; und, Jim, du wirst mir ein einziges Nöselchen Rum bringen, nicht wahr, das tust du doch, mein Jungchen?«
»Der Doktor«, fing ich an.
Aber da fluchte er auf den Doktor – mit schwacher Stimme, aber es kam ihm vom Herzen.
»Doktors sind alle Schwätzer«, sagte er; »und der Doktor da – poh, was versteht der von seebefahrenen Menschen? Ich bin an Stellen gewesen, da war’s so heiß wie in der Hölle, und die Kameraden fielen rund um mich herum wie die Fliegen vom Gelben Hans1 und das Land da schwankte von Erdbeben wie Meereswogen – was weiß so ein Doktor von solchen Ländern? Und ich blieb am Leben, sag’ ich dir, und das machte der Rum. Der war für mich Essen und Trinken, und wir waren wie Mann und Frau; und wenn ich nicht meinen Rum haben soll, dann bin ich ein armseliges altes Wrack an einer Leeküste – und mein Blut kommt über dich, Jim, und über den Schwätzer da, den Doktor!«
Jetzt kam wieder eine Reihe von Flüchen, und dann fing er noch einmal an zu betteln:
»Sieh doch mal, Jim, wie mir die Finger zittern. Ich kann sie nicht stillhalten – kann’s einfach nicht. Habe an diesem lieben Tag noch keinen Tropfen gehabt. Der Doktor da ist ein Schafskopf, sag’ ich dir. Wenn ich nicht einen Schluck Rum kriege, dann krieg’ ich das graue Elend; hab’s schon ein paarmal gehabt. Ich sah den alten Flint in der Ecke da; da hinter dir; sah ihn klar und deutlich; und wenn ich das graue Elend kriege – na, ich habe ein hartes Leben gehabt, und mir wird schlecht bei dem Gedanken. Der Doktor sagte mir ja selber: ein einziges Glas würde mir nichts schaden. Ich will dir eine goldene Guinee2 für ein Nöselchen geben!«
Er wurde immer aufgeregter, und das machte mich unruhig meines Vaters wegen, mit dem es an diesem Tage sehr schlecht stand und der Ruhe nötig hatte; außerdem hatte ja der Doktor wirklich die Worte gesagt, die der Käpt’n mir anführte. Der Bestechungsversuch ärgerte mich allerdings; aber ich sagte:
»Ich brauche Ihr Geld nicht; bezahlen Sie nur, was Sie meinem Vater schuldig sind. Ich will Ihnen ein Glas holen, aber nicht mehr.«
Als ich ihm das Glas Rum brachte, griff er gierig danach und trank es aus; dann sagte er:
»Ah! ah! das tut wohl! mir ist ganz gewiss schon etwas besser. Und nun höre mal, mein Jungchen: sagte der Doktor, wie lange ich hier in dieser alten Klappe liegen müsse?«
»Wenigstens eine Woche.«
»Alle Donner!« schrie der Käpt’n. »Eine Woche! Das geht nicht: inzwischen würden sie mir den schwarzen Fleck bringen. Die Schweinehunde sind schon dabei, mir den Wind abzufangen – die Schweinehunde, die nicht sparsam umgehen konnten mit dem, was sie kriegten, und jetzt klauen wollen, was einem anderen gehört! Benimmt ein ordentlicher Seemann sich so? Das möchte ich mal hören! Ich bin ein sparsamer Mensch. Ich habe niemals gutes Geld vergeudet, was ich mir verdient hatte; ich habe auch noch nie welches verloren, und ich will auch jetzt wieder dafür sorgen, dass sie sich den Mund wischen können. Vor denen habe ich keine Angst! Ich werde noch ein Segel aufsetzen, mein Jungchen, und sie können mir nachflöten!«
Während er diese Reden hielt, war er mit großer Mühe von seinem Bett aufgestanden; er hielt sich mit einem Griff, dass ich beinahe laut herausgeschrien hätte, an meiner Schulter fest, und ich merkte, dass seine Beine so schwer wie Blei sein mussten, denn er konnte sie kaum bewegen. Seine Worte an sich waren zwar sehr mutig, aber die schwache Stimme, in der er sie aussprach, bildete einen traurigen Gegensatz dazu. Als es ihm gelungen war, sich auf den Bettrand zu setzen, schwieg er einen Augenblick. Dann flüsterte er:
»Der Doktor hat mich alle gemacht, es saust mir in den Ohren. Lege mich auf den Rücken.«
Ich konnte ihm nicht viel helfen; denn ehe ich noch zugriff, war er schon wieder in seine frühere Lage zurückgesunken. Eine Weile lag er still da; endlich sagte er:
»Jim, du sahst heute den Seemann?«
»Den Schwarzen Hund?«
»Jawohl, den Schwarzen Hund! Der ist ein schlechter Kerl; aber die, die ihn angestiftet haben, sind noch schlimmer als er. Nun, wenn ich nicht auf irgendeine Weise von hier wegkommen kann und wenn sie mir den schwarzen Fleck in die Hand drücken, dann merke dir, was ich dir jetzt sage: Sie sind hinter meiner alten Schifferkiste her. Nun nimmst du dir ein Pferd – du kannst doch reiten, nicht wahr? Na also – du setzt dich auf ein Pferd und reitest zu – na, in Gottes Namen! – zu dem ewigen Schwätzer, dem Doktor, und sagst ihm, er solle alle Mann auf Deck pfeifen – Behörden und solches Zeug – und soll sich längsseits vom ›Admiral Benbow‹ legen, und er werde des alten Flint ganze Mannschaft fangen, groß und klein, alles, was noch davon übrig ist. Ich war erster Steuermann, ja, das war ich! Dem alten Flint sein erster Steuermann, und ich bin der einzige, der die Stelle kennt. Er gab es mir in Savannah, als er im Sterben lag, gerade wie ich jetzt, wie du siehst. Aber du musst das nicht melden, bevor sie mir den schwarzen Fleck in die Hand geben, oder bevor du den Schwarzen Hund wiedersiehst, oder einen einbeinigen Seemann, Jim – diesen vor allen!«
»Aber, was ist der schwarze Fleck, Käpt’n?« sagte ich.
»Das ist eine Aufforderung, Maat. Ich will dir’s erklären, wenn sie damit kommen. Aber die Hauptsache ist, dass du dein Wetterauge offen hältst, Jim, und verlass dich drauf, ich will mit dir teilen, Jim, halb und halb, auf meine Ehre!«
Er fantasierte noch eine kleine Weile, und seine Stimme wurde immer schwächer. Dann gab ich ihm seine Medizin; er schluckte sie hinunter wie ein Kind und bemerkte dazu:
»Wenn jemals ein Seemann Medizin nötig hatte, dann bin ich das.« Schließlich verfiel er in einen schweren, ohnmachtähnlichen Schlaf, und ich ließ ihn allein.
Was ich getan haben würde, wenn alles gut gegangen wäre, das weiß ich nicht. Wahrscheinlich würde ich die ganze Geschichte dem Doktor erzählt haben; denn ich hatte eine Todesangst, es könnte dem Käpt’n leid tun, mir seine vertraulichen Eröffnungen gemacht zu haben, und er würde mich totschlagen. Es kam aber so, dass mein armer Vater an diesem selben Abend ganz plötzlich starb, und da hatte ich keine Gedanken für etwas anderes. Unsere natürliche Trauer, die Beileidsbesuche der Nachbarn, die Anordnungen für das Begräbnis und dabei die ganze Arbeit in der Wirtschaft, die nebenbei besorgt werden musste – dies alles gab mir so viel zu tun, dass ich kaum Zeit hatte, an den Käpt’n zu denken, geschweige denn Angst vor ihm zu haben.
Am nächsten Morgen kam er die Treppen herunter und nahm seine Mahlzeiten wie gewöhnlich ein; er aß allerdings wenig, und ich fürchte, er trank noch mehr Rum als für gewöhnlich; denn er ging einfach selber in den Zapfraum und bediente sich da, und knurrte dabei und blies durch die Nase, und keiner von uns wagte ihm in den Weg zu kommen.
Am Abend vor dem Begräbnis war er wie gewöhnlich betrunken, und es war fürchterlich, ihn in unserem Trauerhause sein scheußliches altes Schifferlied brüllen zu hören; aber so schwach er auch war, wir hatten alle eine Todesangst vor ihm, und der Doktor war bei einem Schwerkranken, der viele Meilen entfernt wohnte und zu dem man ihn plötzlich gerufen hatte; deshalb kam er nach meines Vaters Tod nicht ins Haus.