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Studienarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Geschichte Deutschlands - Nachkriegszeit, Kalter Krieg, Note: 1,7, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (Institut für Geschichte), Veranstaltung: Geschichtskultur, Sprache: Deutsch, Abstract: „Mit dem MfS entstand ein spezielles Organ der Diktatur des Proletariats, das in der Lage ist und über alle Mittel verfügt, unter der Führung der SED gemeinsam mit den anderen staatlichen Organen und bewaffneten Kräften und in enger Verbundenheit mit den Werktätigen die Arbeiter-und-Bauern-Macht und die revolutionäre Entwicklung zuverlässig gegen jede konterrevolutionäre Tätigkeit äußerer und innerer Feinde der DDR zu schützen sowie die innere Sicherheit und Ordnung allseitig zu gewährleisten“. Diese programmatische Beschreibung des Ministeriums für Staatssicherheit durch dessen langjährigen Leiter, Erich Mielke, ist ein interessantes Zeugnis dafür, dass es in der ehemaligen DDR nur unter größten Gefahren möglich war, ein unbeschwertes Leben zu führen, in dem man frei von Zwängen seine Meinung äußern und dabei einen vielleicht kritischen Blick auf die Partei und das Land werfen konnte. Ganz besonders deutlich wird dieser Punkt wenn man sich fragt, inwiefern es für Mitarbeiter der Stasi möglich war neben der ideologischen Doktrin eine eigene Meinung zum System zu vertreten, die vielleicht nicht politisch oder ideologisch gefärbt war. Der deutsche Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck nahm sich dieser Thematik an und drehte mit ‚Das Leben der Anderen’ einen Film, der genau ein solches Schicksal zu beleuchten versucht. Seine Hauptfigur, Hauptmann Wiesler, begegnet dem Zuschauer zu Beginn des Films als starres, von der Ideologie der Staatssicherheit durchdrungenes Instrument, welches im weiteren Verlauf des Films einen Wandel durchmacht. Alle gängigen Stereotypen der Stasi als perfides und verbrecherisch wirkendes Ministerium innerhalb der DDR finden Einklang in der Darstellung des Hauptmanns, der im Film einen Auftrag seines Vorgesetzten bekommt und einen potentiellen „konterrevolutionären“ Autor überwachen soll. Diese Tätigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch den Film und man bemerkt als Zuschauer eine Entwicklung Wieslers vom linientreuen Stasi-Hauptmann hin zum nachdenklichen, emotionalen Menschen. Welches Bild zeichnet der Regisseur von der Stasi, welche Stereotypen greift er auf und wie setzt er diese im Film um? Inwiefern benutzt er filmästhetische Mittel wie Kameraeinstellungen, Licht oder Kostüme um zu betonen, zu entkräften oder den Zuschauer vielleicht zu beeinflussen?
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Leben der Anderen - eine kurze Inhaltsangabe
3. Die filmische Darstellung der Stasi
3.1 Minister Bruno Hempf
3.2 Oberstleutnant Anton Grubitz
3.3 Hauptmann Gerd Wiesler
4. Historischer Hintergrund, Geschichtsbild und öffentliche Wahrnehmung
5. Fazit
6. Literatur
7. Anlage
„Mit dem MfS entstand ein spezielles Organ der Diktatur des Proletariats, das in der Lage ist und über alle Mittel verfügt, unter der Führung der SED gemeinsam mit den anderen staatlichen Organen und bewaffneten Kräften und in enger Verbundenheit mit den Werktätigen die Arbeiter-und-Bauern-Macht und die revolutionäre Entwicklung zuverlässig gegen jede konterrevolutionäre Tätigkeit äußerer und innerer Feinde der DDR zu schützen sowie die innere Sicherheit und Ordnung allseitig zu gewährleisten“.[1]
Diese programmatische Beschreibung des Ministeriums für Staatssicherheit[2] durch dessen langjährigen Leiter, Erich Mielke, ist ein interessantes Zeugnis dafür, dass es in der ehemaligen DDR nur unter größten Gefahren möglich war, ein unbeschwertes Leben zu führen, in dem man frei von Zwängen seine Meinung äußern und dabei einen vielleicht kritischen Blick auf die Partei und das Land werfen konnte. Ganz besonders deutlich wird dieser Punkt wenn man sich fragt, inwiefern es für Mitarbeiter der Stasi möglich war neben der ideologischen Doktrin eine eigene Meinung zum System zu vertreten, die vielleicht nicht politisch oder ideologisch gefärbt war. Der deutsche Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck nahm sich dieser Thematik an und drehte mit ,Das Leben der Anderen' einen Film, der genau ein solches Schicksal zu beleuchten versucht. Seine Hauptfigur, Hauptmann Wiesler, begegnet dem Zuschauer zu Beginn des Films als starres, von der Ideologie der Staatssicherheit durchdrungenes Instrument, welches im weiteren Verlauf des Films einen Wandel durchmacht. Alle gängigen Stereotypen der Stasi als perfides und verbrecherisch wirkendes Ministerium innerhalb der DDR[3] finden Einklang in der Darstellung des Hauptmanns, der im Film einen Auftrag seines Vorgesetzten bekommt und einen potentiellen „konterrevolutionären“ Autor überwachen soll. Diese Tätigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch den Film und man bemerkt als Zuschauer eine Entwicklung Wieslers vom linientreuen Stasi-Hauptmann hin zum nachdenklichen, emotionalen Menschen. „Das Leben der Anderen“, mit unzähligen internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter u.a. der Oscar für den besten ausländischen Film sowie mehrere Bayerische Filmpreise, soll als Untersuchungsgegenstand für die Frage nach dem Leben im System fungieren. Welches Bild zeichnet der Regisseur von der Stasi, welche Stereotypen greift er auf und wie setzt er diese im Film um? Inwiefern benutzt er filmästhetische Mittel wie Kameraeinstellungen, Licht oder Kostüme um zu betonen, zu entkräften oder den Zuschauer vielleicht zu beeinflussen?
Ich möchte mich daher im Folgenden auf die filmische Umsetzung der Stasi konzentrieren und dies auch am Wandel der Hauptfigur festmachen. Dass es in den letzten Jahren ein großes Interesse an der Aufarbeitung der DDR und seiner Geschichte gegeben hat, beweisen vermehrte wissenschaftliche Studien und auch die breite Öffentlichkeit erfährt anhand von Filmen wie z.B. ,Sonnenallee', ,NVA' oder ,Das Leben der Anderen' eine Fokussierung auf diese Thematik. Daher soll in dieser Hausarbeit aufgezeigt werden, wie und mit welchen Mitteln die Stasi im Film dargestellt wurde, inwiefern ein innerer Wandel in diesem System möglich war und letztlich - ob es sich bei „Das Leben der Anderen" nur um eine Ode an die Pflicht und die Verantwortung handelt oder der Film vielleicht doch eine Sonate vom guten Menschen darstellt.
Bruno Hempf (gespielt von Thomas Thieme) taucht in mehreren Szenen des Films auf, die allesamt einen Schlüsselcharakter besitzen. Zum Einen in den ersten Szenen des Films, als er im Theater seinem Abteilungsleiter Oberstleutnant Anton Grubitz den Auftrag erteilt, etwas über den Autor Georg Dreymann herauszufinden und so die Geschichte ihren eigentlichen Lauf nimmt. Im weiteren Geschehen taucht er immer wieder als der skrupellose Minister in seiner Dienstlimousine auf, als er Christa-Maria Sieland zu den Treffen abholt und vor der Wohnung wieder absetzt. Und zu guter letzt, als sich Dreymann und Hempf nach der Wende bei der Premiere eines Stückes wiedersehen und er dem Autor erzählt, dass er abgehört und observiert wurde, woraufhin Dreymann zu recherchieren beginnt und diese Zeit in seinem Roman verarbeitet. Hempf, der vor seiner Stellung als Kulturminister im Zentralkomitee ebenfalls beim MfS tätig war, wird im gesamten Film mittels Sprache, Einstellungsgrößen und Kameraperspektiven als ein skrupelloser und machtbewusster Mensch dargestellt, dem seine eigenen Interessen über alles gehen. Er weiß alles und er kennt die Mittel und Möglichkeiten, seine Ziele zu erreichen. Auch wenn er dabei Menschen wie Marionetten aussehen lässt und damit das Instrumentarium der Erpressung bedient, so ist er sich keiner Schuld bewusst und steht auch weit nach der Wende immer noch zu seiner „kleinen Republik, welche von dieser BRD wieder eingegliedert wurde“[4] Besessen von seiner Liebe, sofern man davon sprechen kann, zu Sieland ist ihm jedes Mittel recht seinen Gegner zu kompromittieren und auch Sieland selbst stellt er wegen ihres Medikamentenkonsums bloß und lässt sie durch Grubitz im Verhör erpressen.
Bruno Hempf wird im Film durchweg als Minister mit ihm eigenen Attributen wie Limousine nebst Chauffeur, persönlichem Assistent und großer Machtfülle gezeigt. Das Perfide an seiner Person ist der Missbrauch und die Skrupellosigkeit, die er mit seinem Amt vereinigt. Er wird filmästhetisch mit verschiedenen Mitteln portraitiert, die man im Film sehr gut herausarbeiten kann. Wenn z.B. Hickethier von der Eigenschaft der Lichtgestaltung als entscheidende Rolle schreibt, weil die Beleuchtung unterschiedliche Stimmungen erzeugt und diese als Eigenschaften einer Situation oder auch eines Charakters verstanden werden[5], so kommt diesem Aspekt in „Das Leben der Anderen“ eine besondere Rolle zu. Szenen, in denen Hempf erscheint, erhalten durch die Ausleuchtung eine ganz eigene Stimmung. Exemplarisch sei hier die Szene in der Limousine genannt, in der er Christa- Maria Sieland begehrt und mit ihr intim wird. Seine Person bleibt wie im ganzen Film mysteriös und geheimnisvoll, belegt durch die nur leichte Ausleuchtung im Fahrzeug.[6]Ganz im Gegensatz dazu Christa-Maria, welche viel deutlicher und damit wahrnehmbarer ausgeleuchtet wird. Ein anderes Beispiel ist die Sachstandsmitteilung durch Grubitz im Auto des Ministers. Wieder wird er als geheimnisvoll und damit fast unnahbar dargestellt, diesmal aber durch verschlossene Gardinen und getönte Fensterscheiben, die seiner Autorität als Kulturminister und damit als „hoher Bonze“[7] gerecht werden. Bei Blick auf die Kameraperspektive fällt auf, dass der Minister immer aus leicht niederer Sicht gefilmt wird. Diese Untersicht oder auch Froschperspektive lässt ihn als bedeutend und mächtig erscheinen.[8] Im Wechselspiel zwischen Grubitz und Hempf wechseln ebenfalls die Einstellungsgrößen, je nachdem welche Figur zu sehen ist. Hempf wird grundsätzlich in Großaufnahme gezeigt, Grubitz jedoch nur in der Naheinstellung, das heißt vom Kopf bis zur Mitte des Oberkörpers. Dies zeigt deutlich welcher von beiden an der Macht steht und auf den anderen blickt, und damit einhergehend die Befehlsgewalt inne hat.
Bruno Hempf ist die bestimmende Figur in der gesamten Observation. Er lenkt, dirigiert, weist an und entscheidet. Dies macht ihn unbewusst zum unerbittlichen Regisseur des ganzen Dramas. Würde er nicht seinen Chauffeur und Mitarbeiter beauftragen, Christa- Maria Sieland auszuspionieren, wenn sie nicht in der gemeinsamen Wohnung ist, hätte er auch keine Handhabe bezüglich ihrer Tablettensucht und damit ein geeignetes Mittel sie zu erpressen, um so ihrer habhaft zu werden. Insgeheim zeichnet der Film hier ein Portrait eines Menschen, das so sehr mit negativen Eigenschaften wie Skrupellosigkeit, Kaltblütigkeit und Egoismus geprägt ist, dass es sich hierbei um das Paradebeispiel für einen Funktionär erster Klasse handelt. Denn Hempf wird stets als das unnahbare und machtbewusste Wesen dargestellt, das er ist. So scheut er beispielsweise auch nicht davor zurück bei der Premierenfeier von Dreymanns Stück zu Beginn des Films, während des Tanzes von Dreymann und Sieland einfach auf die Bühne zu stolpern und die Musik zu beenden, die daraufhin abrupt endet. Ihm ist es egal, dass er damit die ausgelassene, fast ungezwungene Premierenstimmung zerstört und den Geist der Partei einbringt, indem er vor allen Gästen ungezwungen der Schauspielerin huldigt, sie als „schönste Perle der Deutschen Demokratischen Republik“ bezeichnet.[9] Er behandelt die Menschen in seiner Umgebung so wie er meint, dass sie es verdienen, egal ob er einen Autor in den Suizid treibt oder sich eine Schauspielerin mittels Erpressung hörig zu machen versucht.
Oberstleutnant Anton Grubitz (gespielt von Ulrich Tukur) ist der Vorgesetzte der Hauptfigur Gerd Wiesler. Er leitet die Abteilung XX/7, die für den Staatsapparat, die Kultur und den Untergrund zuständig ist.[10] Grubitz ist eine interessante Figur und ein gutes Beispiel dafür, dass das System der DDR ohne zynische und aufstiegsorientierte Karrieristen nicht funktionieren würde. Er kennt Wiesler noch von Zeiten des Studiums, da beide zusammen studiert haben, woraus sich aber schließen lässt, dass es Grubitz schneller auf seinen Dienstposten als Oberstleutnant geschafft hat. Zwei Dienstgradstufen unterscheiden ihn zu Wiesler und trotz seiner Dienststellung als Vorgesetzter duzt er ihn und offenbart ihm immer die Möglichkeiten eines Aufstiegs innerhalb der Hierarchie des MfS. Grubitz schätzt Wieslers Fähigkeiten im Verhör und in der Observation und setzt ihn daher auch als Leiter des OV[11] „Laszlo“ ein, der das Ermittlungsverfahren gegen Dreymann beinhaltet. Die Figur Grubitz wird stets korrekt und linientreu dargestellt, so z.B. die Szene in der Kantine des Ministeriums, als ein junger Unterleutnant einen verhöhnenden Witz über Erich Honecker erzählt und Grubitz ihn auffordert, ihn zu Ende zu erzählen[12]. Nachdem alle Beteiligten (bis auf Wiesler) gelacht haben, wird Grubitz schlagartig ernst und fordert die Personalia des Unterleutnants. Dieses Verhalten lässt sehr viele Schlüsse zu, denn er sieht sich selbst als jemanden, der durchaus Spaß versteht, wenn es aber um das System und die Partei geht, erwacht in ihm sprichwörtlich die andere Seite und es tritt der Karrierist Grubitz hervor.
Er ist intelligent, aber gewissenlos. Dies zeigt sich in seinem Büro, als Wiesler zum Zwischenbericht erscheint. Er präsentiert ihm eine Doktorarbeit eines Mitarbeiters, die er mit „2“ bewertet, obwohl er die Arbeit selbst als großartig bezeichnet, nur um zu demonstrieren, dass die Promotion bei ihm nicht leicht sei.[13]
Gleiches gilt auch für einen Ausspruch seinerseits als er Wiesler beim Verlassen seines Büros den Hinweis gibt, dass es bei den Projekten nicht um gute Noten geht (in Anspielung auf die gemeinsame Studienzeit) sondern um Erfolg.[14]
Filmästhetisch wird die Figur Anton Grubitz auf mehreren Ebenen behandelt. Sind es am Anfang noch nahe, fast intime Einstellungsgrößen, z.B. Großaufnahmen wenn er mit Wiesler zusammentrifft, so ändern sich diese im Verlauf des Films immer mehr zu Halbtotalen und Totalen, welche die Figur komplett darstellen. Dies lässt viel auf die Entwicklung zwischen beiden „Freunden" blicken, da sich das Verhältnis im Film merklich verändert und sich eine sichtbare Distanz aufbaut, die von der Kamera sehr gut eingefangen wird. Exemplarisch findet sich hier die Verhörszene von Christa-Maria durch Wiesler wieder, bei welcher Wiesler im Verhörraum durch Grubitz seine Instruktionen erhält.[15]Grubitz steht in einer Halbtotalen an der Tür und die Kamera bewegt sich schnell durch den kompletten Raum an das andere Ende zu Wiesler, der in Großaufnahme erscheint. Untermauert wird diese Szene durch die Frage Grubitz' „Bist du noch auf der richtigen Seite?". Hier spricht die Distanz zwischen beiden Figuren, die durch die rasante Kamerafahrt von einer Person zur anderen untermalt wird. Nachdem der OV „Laszlo" durch den Tod Sielands beendet ist, durchschaut Grubitz das Spiel von Wiesler und stellt ihn im Wagen zur Rede und offenbart ihm, dass seine Karriere zu Ende sei und er sich bald in „irgendeinem Kellerloch beim Briefe aufdampfen wieder finden wird".[16] Auch hier wird die Beziehung zwischen beiden mittels zweier filmsprachlicher Mittel dargestellt, zum einen indem die Sprache von Grubitz einen belehrenden Ton erreicht hat und er ihm nicht mehr jovial zugetan ist, und zum anderen durch die erneute Froschperspektive, die dadurch erreicht wird, dass Wiesler im Auto sitzt und Grubitz vor seiner heruntergelassenen Fensterscheibe steht. Es ist auch hier allzu deutlich, dass sich Grubitz auf einer anderen (Hierarchie-) Ebene befindet, da ihn die Kameraperspektive aus der Froschsicht zeigt, was wieder etwas Mächtiges und zugleich Bedrohliches besitzt. Wiesler hingegen sitzt fast schüchtern hinter seinem Steuer und blickt resigniert zu seinem ehemaligen Studienfreund und nickt seinen Kommentar still ab.
Anton Grubitz wird im Verlauf des Films in mehreren Kostümen gezeigt, ganz im Gegensatz zu anderen Mitarbeitern des MfS, wie z.B. Wiesler, sein Stellvertreter in der Abhörzentrale oder auch die Mitarbeiter bei der Wohnungsdurchsuchung. Letztere sind meist im typischen Polyesteranorak oder in kennzeichnender Kleidung, wie grauen Trench- coats zu sehen. Grubitz hingegen gibt sich in der Oper angepasst, im normalen Dienstbetrieb anständig gekleidet und nur einmal sieht man ihn in der Uniform eines Oberstleutnants. Dies lässt ebenfalls Schlüsse auf seine Wandlungs- und damit Anpassungsfähigkeit zu, die er auf dem Weg nach oben erlernt hat. Er passt sich an und beherrscht die Klaviatur der Macht, in inhaltlicher, ideologischer wie auch optischer Hinsicht. Er ist ein beweglicher Mitarbeiter, wenn es darum geht vorgegebene Ziele zu erreichen, und das nicht nur auf intellektueller Ebene. Das macht ihn natürlich sehr wertvoll für seine Vorgesetzten, aber schließlich ist es auch gerade das, was ihn gefährlich und zugleich unberechenbar macht.
Die Figur des Hauptmanns Gerd Wiesler ist die beeindruckendste im ganzen Film, denn an ihm erfährt der Zuschauer einen Wandel in Reinkultur. Vom loyalen Dozenten für Verhörmaßnahmen, der seine Studenten aufgrund systemabweichender Aussagen gerne markiert, hin zum emotionalen und schließlich „guten“ Menschen. Er wird von seinem Vorgesetzten Anton Grubitz in der Oper auf seinen neuen OV eingeschworen, denn er wird von ihm mit der Leitung der Bespitzelung von Dreymann betraut. Dies bedeutet, dass er entsprechende Maßnahmen vor Ort im Wohnhaus Dreymanns trifft und ferner Abhörprotokolle anfertigen muss, die das Leben, privat wie künstlerisch, dokumentieren sollen. Wiesler ist alleinstehend und lebt in einer typischen AWG[17]-Wohnung. Seine Wohnung ist fast penibel ordentlich, farblich überwiegt ein Mix aus grau, braun und ähnlichen unspektakulären Farben.[18] Lediglich der rote Ketchup, den er sich in sein Abendessen rührt, scheint aus dieser Tristesse ausbrechen zu wollen. Es wird dadurch ein subtiles Bild eines Mitarbeiters der Staatssicherheit gezeichnet, dass Adjektive wie geordnet, loyal ergeben und mitlaufend beinhaltet. Er ist kein Macher oder ein geborener Karrierist wie sein Studienfreund und Vorgesetzter Grubitz, sondern er erledigt stillschweigend seinen Auftrag, was ihm im Ministerium eine gewisse Stellung (immerhin ist er Offizier im Dienstgrad eines Hauptmanns) und die Zuneigung seines Vorgesetzten eingebracht hat. Er hat Werte und Überzeugungen, für die er einsteht und auch lebt. Als er aber beispielsweise erkennt, dass seinem Observationsauftrag nicht politisch-ideologische oder staatserhaltende, sondern ausschließlich private, durch Minister Hempf in Auftrag gegebene Zwecke zugrunde liegen, beginnt in ihm eine Wandlung. Er sieht Zweifel in seiner Arbeit und scheint befangen. Dies äußert sich darin, dass er im Verlauf des OV immer mehr Abhörprotokolle fälscht, Dreymann im Verborgenen auf die Affäre von Sieland und Hempf hinweist und schließlich auch Beweisstücke, wie die vom Spiegel-Redakteur eingeschmuggelte Schreibmaschine entfernt, um Dreymann nicht zu schaden. Er wird im Rahmen seiner Observation Zeuge am Leben des Künstlerpaares und man hat den Eindruck als fühle er sich wohl als unsichtbarer Teilnehmer dieser, seiner doch so anderen Welt. Eine weitere innerliche Auseinandersetzung spiegelt sich darin, dass er sich in die Wohnung Dreymanns einschleicht und eine Brecht'sche Lektüre entwendet, die er daraufhin in seiner Wohnung liest. Auch hat er Anteil an intimsten Situationen, wenn z.B. Dreymann und Sieland nach der Geburtstagsfeier „vermutlich Geschlechtsverkehr“[19]haben und er dies anteilnahmslos protokolliert. Er selbst hingegen führt nur ein überschaubares Intimleben, indem er Prostituierte in seine Wohnung bestellt, und versucht sich für eine kleine Ewigkeit geborgen und vielleicht auch geliebt zu fühlen. Doch er ist „unerfahren und das Ganze ist recht schnell vorbei“.[20] Ebenfalls wird hier eine weitere Attitüde eines MfS-Mitarbeiters deutlich, nämlich die Einsamkeit, die mit dem Beruf einhergeht. Diese Erkenntnis lässt sich aus der Aussage der Prostituierten filtern, die plötzlich vor Wieslers Wohnung erscheint und ihm erklärt, dass sie das Haus kennt, weil hier „viele Jungs vom MfS“ wohnen.[21]
Vielen Mitarbeitern im Dienst der Staatssicherheit stand ein „anrüchiges und angsteinflößendes Bild in weiten Teilen der Bevölkerung gegenüber. Die Stasi-Mitarbeiter spielten nach außen gerne ihren Nimbus der Allmacht aus, so dass selbst enge Kooperationspartner wie Staatsanwälte und Volkspolizisten kuschten. Ganz besonders trafen Arroganz und Willkür die unmittelbar Verfolgten, vor allem in Verhören und Untersuchungshaft.“[22] So auch Wiesler, der in der Verhörszene zu Beginn des Films jene geschilderte arrogante Art demonstriert, in der er unnachgiebig nach Informationen bohrt und diese schließlich auch bekommt. Eine andere Szene spielt im Treppenhaus, kurz nach der Verwanzung von Dreymanns Wohnung durch Wieslers Helfer. Er bemerkt beim Verlassen der Wohnung wie er durch den Spion der gegenüberliegenden Wohnung beobachtet wird.[23] Ertappt klingelt er bei der Nachbarin und setzt sie unter Druck, dass bei vielleicht gutgemeinter Information Dreymanns ihre Tochter ihren Studienplatz umgehend verlieren würde. Hier kommen die extremen Kameraperspektiven zum Einsatz, die das ganze Szenario sehr beklemmend und eindringlich erscheinen lassen. Über die Schulter Wieslers von oben filmend, wird die Nachbarin eingeschüchtert, fast winzig dargestellt und Wiesler selbst als übermenschlich, diktierend und bedrohlich. Damit erreicht der Regisseur jene Assoziation des Zuschauers mit Angst durch eine bedrohliche Instanz, die beispielsweise mit der Angst eines kleinen fußballspielenden Kindes, welches eine Scheibe zerschossen hat und nun vom älteren Nachbarn zur Rede gestellt wird. Ferner wird hier eine weitere Eigenschaft der Stasi sichtbar, nämlich das unbedingte Einhalten von Pünktlichkeit. Zu Beginn des Einsatzes erhalten die Mitarbeiter einen Zeitsansatz von exakt 20 Minuten, der auf die Sekunde genau eingehalten wird. Nicht nur hier wird das genaue Einhalten von Pünktlichkeit deutlich, sondern auch in einer Szene mit dem Oberfeldwebel Udo, der Wiesler im Abhörzentrum ablöst. Als er sich um 4 Minuten verspätet, kann er sich vor dem sichtlich erbosten Hauptmann nur mit einer „längeren Rotphase" rechtfertigen.[24] Im weiteren Verlauf der Observation wird der Zuschauer Zeuge von ganz privaten Momenten des Künstlerpaares, welche den ersten offensichtlichen Wandel innerhalb Wieslers dokumentieren. Hier sei exemplarisch auf zwei Szenen verwiesen, die stellvertretend für den Film fungieren sollen. Als sich Christa-Maria nach einem Streit mit Dreymann für ihr Treffen mit dem Minister entfernt, geht der Hauptmann, dessen Schicht gerade beendet ist, in eine in der Straße gelegene Kneipe und bestellt sich zwei Wodka. Die Einrichtung ist schäbig, grau und im gesamten Raum sitzen nur sehr wenig Gäste. Unerwartet tritt Christa-Maria herein und Wiesler ist sofort gefangen. Sie bestellt sich einen Cognac und nimmt an einem leeren Tisch Platz. Nach kurzer Zeit steht Wiesler auf und beginnt ein Gespräch mit ihr, im Laufe dessen er ihr einen verbalen Spiegel vorhält und ermuntert, sich selbst treu zu bleiben. Sie steht auf und versichert ihm, dass er ein guter Mensch sei.[25] Am darauf folgenden Tag beginnt er seinen Dienst in der Abhörzentrale und liest sich den Bericht Udos durch, der auf dem Stuhl eingeschlafen ist. Plötzlich beginnt der Film eine Parallelmontage zu zeigen. Man sieht den Bericht und in einer Überblendung die Geschichte, die beschrieben wird. Dazu liest Udo den Brief langsam vor, was dem Charakter einer Voice-Over-Narration entspricht. Das heißt, der Zuschauer wird in einer Beobachterrolle positioniert und kann sich über die Erzählerstimme zu den handelnden Figuren in Beziehung setzen.[26] Als die Szene zu Ende ist, wird Udo wach und Wiesler lobt den guten Bericht, da er ihn selber mit Genugtuung und innerer Freude gelesen hat, denn Christa-Maria und Dreymann haben sich versöhnt und verbringen eine friedliche Nacht miteinander.
Hier wird die deutliche innere Anteilnahme am Geschehen und an der Beziehung des Künstlerpaares offenbart, denn der Hauptmann bemerkt, dass seine Worte im Lokal Wirkung gezeigt haben und er so den Verlauf der Geschichte beeinflusst hat.
Eine weitere Szene, die charakteristisch für den Wandel Wieslers ist, findet sich in der Trauer Dreymanns über den plötzlichen Selbstmord von Albert Jerska, der sich nach Jahren des Berufsverbots und damit einhergehender Verzweiflung selbst suizidierte. Dreymann wird von einem Freund über den Tod Jerskas informiert und setzt sich an den Flügel und beginnt die „Sonate vom guten Menschen“ zu spielen, einem Geschenk seines verstorbenen Freundes zum Geburtstag. Zu ihm gesellt sich Christa-Maria, die sich an ihn lehnt und dem melancholischen Spiel Dreymanns lauscht. Überwältigt von der Situation und gefangen von der Kraft der Musik sitzt der Hauptmann in der Abhörzentrale auf dem Dachboden und lauscht ebenfalls ergriffen der Musik, wobei hier zum ersten Mal die Umfahrt benutzt wird. Bei der Umfahrt oder auch Kreisfahrt handelt es sich um eine Kamerabewegung, die um eine Person kreist, sie damit ins Zentrum des Geschehens stellt und somit die Aufmerksamkeit des Zuschauers besonders fokussiert.[27] Wieslers Reaktion wird also in einer 360°-Kurve portraitiert und der Zuschauer bemerkt zum ersten Mal eine wirkliche Emotion in seinem Gesicht, denn ihm läuft eine Träne die Wange hinunter.[28] Er ist nicht nur stummer Zeuge der Situation, er nimmt vielmehr Anteil und kann die Trauer Dreymanns nachvollziehen. Nachdem der letzte Ton verhallt ist, fragt Dreymann Christa- Maria ob jemand, der diese Musik gehört hat, noch ein schlechter Mensch sein kann.[29] Bei dieser Szene wurden beide Orte miteinander verschmolzen, indem wieder eine Parallelmontage erfolgte, da kurze, aber sanfte Überblendungen zwischen Dreymann und Wiesler beide Augenblicke erfassen, um dem Zuschauer so gleichzeitig zwei Perspektiven zu präsentieren.
Auch lassen sich in beiden beschriebenen Szenen weitere filmästhetische Mittel ausmachen. In Hinblick auf die Verwendung der Farben fallen wichtige Dinge auf, so z.B. dass die Abhörzentrale über Dreymanns Wohnung ausnahmslos in belanglosen, fast langweiligen Grautönen dargestellt wird, wohingegen in der Wohnung des Künstlerpaares eine bunte Weitläufigkeit dominiert, u.a. durch sanfte braun-orange-grün-Kombinationen, die eine gewisse Kreativität erahnen lassen. Hierdurch wird der Kontrast zwischen Wiesler und Dreymann einerseits und Stasi und Künstlerehepaar andererseits deutlich gemacht. Die sparsame und immer kalt wirkende Beleuchtung bei den Szenen im Abhörzentrum und die warme und intensive Beleuchtung von Dreymanns Wohnung werden ebenfalls kontrastiert und lassen sich als filmästhetisches Mittel herausarbeiten. Beide stehen für eine subtile und dadurch geschickte Beeinflussung des/r Zuschauerbildes/ -meinung durch den Regisseur.
Der komplette Wandel Wieslers in „Das Leben der Anderen" wird schließlich am Ende des Films sichtbar, als er sich in der Buchhandlung den Roman Dreymanns kauft, und auf der zweiten Seite lesen kann „HGW XX/7 - in Dankbarkeit gewidmet".[30] Zum ersten Mal im Film lächelt Wiesler und der Zuschauer realisiert, dass er seinen Frieden gefunden hat, während im Hintergrund die „Sonate vom guten Menschen" den finalen, aber musikalischfeinen Schlussakt des Films bildet.
Nachdem nun anhand drei wichtiger Figuren erläutert wurde, inwiefern die Stasi in „Das Leben der Anderen" dargestellt wurde, gilt es im Folgenden zu überprüfen, wie viel Authentizität im Film selbst vorhanden ist, inwiefern das Geschichtsbild der DDR und der Stasi bestätigt wurde und welche öffentliche Wahrnehmung der Film erfahren hat.
Der Berliner Historiker Manfred Wilke meint hierzu, dass „die Darstellung des MfSHauptmanns Wiesler in diesem Film der gängigen Debatte über die Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit der früheren DDR widerspricht."[31] War es für einen DDR- Autor wie Dreymann realisierbar im Westen zu publizieren, auf offiziellem oder vielleicht auch inoffiziellem Wege und wie wurde die DDR samt MfS von westdeutschen Medien rezipiert? Gab es vielleicht ähnliche, reale Beispiele für das Verhalten von Hauptmann Wiesler oder andere Formen des „Dissidententum"?[32] Hierzu werde ich mich zunächst auf die Verweigerung der Mitarbeit beziehen, wenn man als IM (Inoffizieller Mitarbeiter) angeworben werden sollte, um nützliche Informationen für das MfS zu erlangen. Es hab immer wieder Aussteiger, die nachdem sie angeworben wurden, sich daraufhin der „Seelenlosigkeit" ihrer Tätigkeit bewusst wurden und öffentlich enttarnten und sich somit als Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi zu erkennen gaben. Als Alternative dazu gab es auch die Möglichkeit direkt beim verantwortlichen Führungsoffizier eine Entpflichtung zu for- dern, um nicht mehr als IM tätig zu sein. Dieser aktiven Art des Ausstiegs stand die passive gegenüber, welche mit der Abgabe von ungenauen Berichten, dem Ignorieren von Terminen oder dem Spielen des Naiven ihren Ausdruck fanden.[33] Beide Formen waren aber zu jeder Zeit mit dem Wagnis von allen erdenklichen Folgen für sich selbst oder für die eigenen Angehörigen verbunden, denn die Konsequenzen, die aus einer Kündigung oder einem Ausstieg aus dem Verhältnis resultierten, waren zum jeweiligen Zeitpunkt nicht bekannt. Christa-Maria Sieland wird im Film als IM angeworben und entscheidet sich nach der Aussprache mit Dreymann ihre Tätigkeit einzustellen. Nachdem dieser passive Ausstieg in Form der Verstreichung von Treffen mit dem Minister seinen Anfang genommen hat, sieht dieser sich genötigt Druck auszuüben. Sielands Tablettensucht wird ihr hierbei zum Verhängnis und dieses Druckmittel nutzt das MfS um an die notwendigen Informationen bezüglich Dreymann zu kommen.
Der Charakter von Hauptmann Wiesler findet sich in der DDR-Geschichte in mehreren Personen wieder. Hier seien zwei Namen erwähnt, die aufgrund ihrer Ansichten dem System zum Opfer fielen. Major Gerd Trebeljahr und Hauptmann Werner Teske, beide Aussteiger aus dem MfS wurden während der Amtszeit Erich Mielkes hingerichtet.[34]Selbiger sprach 1981 drohend vor seinen Generälen: „Wir sind nicht davor gefeit, dass wir mal einen Schuft unter uns haben. Wenn ich das schon jetzt wüsste, würde er morgen nicht mehr leben. Kurzen Prozess! Weil ich Humanist bin deshalb vertrete ich eine solche Auffassung.“ Er führte weiter aus: „das ganze Geschwafel von wegen nicht hinrichten und nicht Todesurteile - alles Käse, Genossen. Hinrichten, wenn notwendig auch ohne Gerichtsurteil.“[35] Hierdurch wird sichtbar wie kompromisslos die DDR mit Abweichlern und Aussteigern umging. Wie viele Personen aus den Reihen des MfS dieser Praktik zum Opfer fielen, lässt sich nur schwer schätzen, da viele Unterlagen nicht mehr zugänglich sind und die Täter von einst die Schweigenden von heute sind. Hierbei handelt es sich leider noch um ein großes Forschungsdesiderat, was im Zuge des aufkommenden Interesses der Geschichtsforschung an der DDR und seiner Instrumentarien wahrscheinlich bald deutlicher beleuchtet werden wird.
Ein interessanter Punkt, den der Film ebenfalls behandelt, ist die Veröffentlichung von ostdeutschem Schriftgut in westdeutschen Medien. Dass dies nicht ganz ungefährlich war, wird im Film anhand des OV „Laszlo“ demonstriert, wo die Observation einen entscheidenden Katalysator durch die Veröffentlichung von Dreymanns Artikel über die gestiegene Suizidrate in der DDR im westdeutschen Spiegel erfährt. War es für einen DDR-Autor so einfach möglich Texte in fremden Medien zu veröffentlichen ohne dafür bestraft zu werden? Eine Beschreibung des Verhältnisses zwischen der westdeutschen Wahrnehmung und der DDR kann nicht beginnen, ohne den 1. Dezember 1963 zu erwähnen. An diesem Tag druckte der Stern ein ausführliches Interview mit Walter Ulbricht, dem 1. Vorsitzenden des Zentralkomitees unter der Überschrift „Ulbricht möchte mit Erhard sprechen“ ab. Darin erklärte er den Wunsch, „dass die Regierung in Bonn endlich den Eisernen Vorhang abbaut und den Kalten Krieg gegen die DDR und ihre Bürger einstellt.“[36] Dieses Interview markierte den Beginn einer Serie, wie man sie bis dahin im Westen nicht gekannt hatte. 7 Wochen lang reisten zwei Reporter, immer begleitet von Mitarbeitern des Presseamtes der DDR, durch das Land und sprachen mit Grenzsoldaten, Bauern, Angehörigen der kommunistischen Intelligenz. Heraus kamen oberflächliche, politisch gefärbte Gespräche, die eine DDR zeigte, „in der die Menschen sich eingerichtet hatten und die BRD mit großer Skepsis betrachteten - kein Wort über das Leiden an der Diktatur und die Sehnsucht nach Wohlstand, die zuvor so viele davongetrieben hatte“ (der Mauerbau war zwei Jahre her).[37] Was damit bezweckt werden sollte, war eine der ersten großen PR-Aktionen der DDR, die den Authentizität versprechenden Titel trug: „Die DDR von innen“.[38] An diesem Beispiel wird einmal mehr die offizielle Pressearbeit der DDR deutlich, um ein ganz bestimmtes Bild zu formen, welches das Land als offen und bürgernah darstellen sollte.
Doch auch mit kritikfreudigen westdeutschen Reportern ging die Stasi nicht gerade feinfühlig um. Neben einer umfassenden Observation der verdächtigen Personen gab es auch belegbare Beispiele, dass Journalisten unter einem Vorwand in die DDR gelockt wurden, und dort „nach monatelangen, vorwiegend nächtlichen Verhören, strenger Isolation und mehrfachem Dunkelarrest wegen angeblicher Spionage und schwerer Hetze zu mehreren Jahren Zuchthaus“ verurteilt wurden.[39] Der Fall des Berliner Reporters Hans- Joachim Helwig-Wilson, Vater zweier Kinder und nach 4 Jahren im Zuge eines Häftlingsfreikaufs durch die BRD zurückgekehrt, ist ein erschütterndes Beispiel dafür. Wollte nun aber ein Autor wie der im Film dargestellte Georg Dreymann im Westen publizieren, so standen ihm dazu mehrere Möglichkeiten offen. Definitionsgemäß war das Procedere eines Schriftstellers für Veröffentlichungen im Westen genau geregelt. Ohne die staatliche Kontrolle war es fast unmöglich, einen Artikel oder ein Werk zu publizieren. Die Texte wurden auf mehrere Punkte hin untersucht, um eine Kollision mit dem DDR- Strafgesetzbuch zu vermeiden. Im Falle von Dreymann und seinem Spiegel-Artikel wären hier allein drei Berührungspunkte mit dem Gesetz zu nennen, darunter die Paragrafen 97 (Spionage), 99 (Landesverräterische Nachrichtenübermittlung) und 219 (Ungesetzliche Verbindungsaufnahme).[40] Um dieser offiziellen Prüfung durch die Stasi zu entgehen, versuchten mehrere Autoren ihre Artikel über Dritte an westdeutsche Medien zu übermitteln, denn dort war Dissidenz, Opposition und Widerstand im sowjetischen Imperium ein gern aufgegriffenes Thema. Exemplarisch seien hier Jürgen Fuchs und Robert Havemann erwähnt, deren Berichte über ihre eigene Untersuchungshaft im Gefängnis Hohenschönhausen 1976 im Spiegel abgedruckt wurden. Ferner gab es auch eine Überwachung von westdeutschen Journalisten, die auf Pressekonferenzen fotografiert und somit systematisch erfasst wurden.[41] Dies hatte den Grund, dass die westdeutschen Medien nicht immer im Sinne der DDR-Diktatur berichteten und auch vor diskreditierenden wie diffamierenden Aktionen als Reaktion auf systemkritische Beiträge nicht zurückgeschreckt wurde. Als gutes Beispiel lässt sich hier Axel Springer anführen, der im Rahmen der berüchtigten Diskreditierungsmaßnahmen ein Opfer des MfS wurde, indem man ein gefälschtes psychiatrisches Gutachten über Mittelsmänner an Gegner Springers schickte, um ihn gezielt zu kompromittieren.[42]
An diesen Beispielen ist zu erkennen, dass zwischen westdeutschen Medien und der DDR- Führung eine durchaus spannungsvolle Atmosphäre herrschte, die aber DDR-Autoren nicht davon abhielt, auf Umwegen im Westen zu veröffentlichen. Auch anhand von den dargestellten Schicksalen der beiden MfS-Offiziere Trebeljähr und Teske wird deutlich, dass die DDR-Diktatur kompromisslos und unnachgiebig agierte um Andersdenkende (oder im DDR-Jargon - Dissidenten) zu bekämpfen und an ihnen ein Exempel zu statuieren, auch wenn es damals und heutzutage nicht mehr viele oder der Forschung vielleicht noch unbekannte Zeugnisse dieser Aussteiger gibt. „Unmenschlich“, „unerbittlich“ und „kaltblütig“ sind hierbei Adjektive, die bei der Beschreibung von MfSAussteigern und der Behandlung von Andersdenkenden durch die MfS Verwendung finden.
Wenn man heutzutage über das Leben in der DDR nachdenkt, so kommen schnell gängige Bilder von grauen, grimmig dreinblickenden MfS-Mitarbeitern zu Tage. Leider kann man (noch) keine empirischen Befunde zum Geschichtsbild über DDR und Stasi anführen, d.h. es ist noch nicht erforscht, was für Geschichtsbilder in den Köpfen der Menschen vorhanden sind, aber man vermutet, dass das gängige stereotypenbehaftete Bild der DDR im ersten Teil des Films dargestellt wird (das Bild des „linientreuen Mitarbeiters“). „Das Leben der Anderen“ nimmt, und hierbei sei ganz besonders auf Hauptmann Wiesler verwiesen, eine ungeahnte Wendung und begeht damit einen Bruch mit der Stereotype vom linientreuen, ausführenden Parteisoldaten. So eine filmische Umsetzung, wie im zweiten Teil des Films erkennbar, hat es vorher noch nicht gegeben. Das bedeutet, dass mit vielen gängigen Klischees, die wohl nicht nur in Deutschland verbreitet sind, gebrochen wurde und die filmische Umsetzung der Thematik auch die Chance zur Revision des allgemeinen Stasi- und DDR-Bildes bietet. Der benannte Bruch mit den Konventionen kann die Anregung neuer Debatten, damit einhergehend neuer Auseinandersetzungen und die Reflexion des eigenen individuellen Geschichtsbildes fördern.
Das augenscheinliche Bedürfnis nach Debatten und Auseinandersetzung scheint generell vorhanden zu sein, wofür aktuelle Debatten dieses Jahres ein Beleg sind. Jene kamen im Frühjahr dieses Jahres auf, als Unionspolitiker vor einer Verklärung der DDR-Diktatur warnten, weil der Politiker Gregor Gysi meinte, die DDR sei zwar eine Diktatur gewesen, jedoch kein Unrechtsstaat. Daneben führt der Begriff „Wende“ in den letzten Jahren in Historikerkreisen ebenfalls zu starken Diskursen, da der Begriff von Egon Krenz in seiner Antrittsrede im Amt des Generalssekretärs des Zentralkomittees der SED verwendet wurde und so eine zeitgemäße Verwendung des Begriffes fragwürdig erscheint.[43] Neben diesen aktuellen Debatten belegen seit dem Erscheinen des Films auch unzählige Buchveröffentlichungen das gestiegene Interesse an der Thematik. Mittels auf Jugendliche abgestimmter Literatur, wie z.B. „Macht ihr eure Wende - Ich bin verliebt“ von Markus Burkhard (2007) oder „Die Mauer - Wie es war, hinter dem Eisernen Vorhang aufzuwachsen" von Peter S^s (2007) wird das Thema DDR neu aufgerollt, zeitgemäß bearbeitet und so auch in den Fokus der jüngeren Generation gerückt.[44] Auch die gestiegene Anzahl von audio-visuellen Publikationen deuten einen Trend zur Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte an, indem nicht nur Filme wie „Das Leben der Anderen" oder „NVA" erschienen, sondern auch vermehrt Dokumentationen, welche das Leben innerhalb der Diktatur oder die Flucht der DDR-Bürger in den Westen (so z.B. der Zeitzeugenbericht „Über Ungarn abgehauen - DDR-Massenflucht 1989 in Zeitzeugeninterviews") thematisieren.
Mehr und mehr Bürger der ehemaligen DDR entschlossen sich darüber hinaus seit dem Erscheinen des Films, denselben Weg wie Georg Dreymann zu gehen und eine Einsicht in ihre Akten in der Birthler-Behörde zu beantragen, um Gewissheit und damit ein Stück inneren Frieden zu erlangen. Ob damit der Wunsch nach Frieden damit auch erreicht wird, bleibt zu hinterfragen, denn mit der Einsicht kommen auch Tatsachen hervor, die vielleicht vorher undenkbar und irreal waren, weil nun plötzlich (vielleicht auch bekannte) Menschen in einem ganz anderen Licht dargestellt werden.