Die Stählerne Flotte - Hal N. Schneider - E-Book

Die Stählerne Flotte E-Book

Hal N. Schneider

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Beschreibung

Machen wir uns nichts vor, sie sind nicht die Guten, die Deutschen im Weltraum, denn sie haben ein Imperium aufgebaut, das auf Sklaverei gründet und sie haben sich mit den stärksten und grausamsten Wesen des Universums verbündet, den Reptiloiden von Alpha Drakonis. Trotzdem sind die Kolonisten des Planetoiden Ceres Menschen wie Sie und ich. Da gibt es den Nachtjäger-Piloten Reiner Mattke, der aufgrund einer Dummheit einer Degradierung zu entgehen versucht, indem er sich für eine gefährliche Mission auf einem Wüstenplaneten verpflichtet. Kurz vorher verliebt er sich jedoch in die geheimnisvolle Lena, einer Frau von der Erde, die als Funkerin auf einem Frachtschiff der Stählernen Flotte arbeitet. Und dann sind da noch die zwei Panzer-Instruktoren Paul Klaassen und Werner Dietrichs, die erst auf Pescado Azul, einem amerikanischen Militärstützpunkt im Indischen Ozean herausfinden, für welche Art von Auftrag sie sich eigentlich gemeldet haben. Ein beispielloses Abenteuer beginnt und führt die beiden weit in die Tiefen des Weltraumes, wo sie Wesen begegnen, die sie bisher nur für Science-Fiction gehalten haben.

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Für Tony

Weil Deine Geschichte so viel grösser ist.

Hal N. Schneider

Die Stählerne Flotte

Deutsche im Weltraum

© 2020 Hal N. Schneider

1. Auflage

Autor: Hal N. Schneider

Umschlaggestaltung, Illustration: Hal N. Schneider

Umschlagfotos: Shutterstock

Lektorat, Korrektorat: Naomi Hungerbühler

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback

978-3-347-09462-8

Hardcover

978-3-347-09463-5

e-Book

978-3-347-09464-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

Schwarz und Weiß

Himmel und Erde

Panzer und Abenteurer

Tod und Spiele

Kameradschaft und Krieg

Gesang und Gefechtslärm

Liebesrausch und Todesangst

Zweifel und Geständnisse

Jäger und Gejagter

Dunkelheit und Stimmen

Space Kraut und Space Cowboy

Höhen und Tiefen

Schuld und Sühne

Rückkehr und Erinnerung

Vater und Sohn

Verhandlungen und Intrigen

Ruhm und Ehre

Berdom und Istanbul

Eis und Feuer

Alte und neue Helden

Schmerz und Verlust

Freunde und Feinde

Irdische Schönheit und irdische Gesetze

Führer und Schöpfer

Venus und Mars

Tage und Nächte

Reptilaner und Auraner

Agenten und künstliche Intelligenzen

Warum ich dieses Buch geschrieben habe

Schon seit meiner Jugend habe ich mich für mysteriöse Themen interessiert und Bücher, wie die von Erich von Däniken, haben mein Weltbild stark geprägt. Das wichtigste Werk war aber dasjenige von Jason Mason, «Mein Vater war ein Man in Black», das mir die Zusammenhänge zwischen antiken Göttern, Hochtechnologie und geheimen Weltraumprogrammen aufgezeigt hat:

Um ein darwinistisches Weltbild zu kreieren, wurden archäologische Funde, die der Lehre der Evolution widersprachen, systematisch verbannt. Es wurden zum Beispiel Knochen von Riesen gefunden, es gab Schädel mit verlängerten Köpfen, in denen ein beinahe doppelt so großes Gehirn Platz fand. Da waren Artefakte aus Metall, die man in Kohleflözen gefunden hatte, die mehrere Millionen Jahre alt sein mussten. Besonders eindrücklich ist die Fotografie einer versteinerten Dinosaurierfährte und gleich daneben die Abdrücke von menschlichen Füßen. Die Theorie einer linearen Entwicklung des Menschen vom Affen bis zum intelligenten, kulturfähigen Zweibeiner ist vielleicht eine große Lüge, aber das ist meine ganz persönliche Einschätzung.

Auf die Suche nach den wahren Ursprüngen der Menschheit gingen offenbar auch die Forscher der Gruppe Deutsches Ahnenerbe, die bereits in den 1920er Jahren Expeditionen nach Asien und in die ganze Welt unternahmen. Was sie herausfanden, ist nicht überliefert, denn dieses Wissen blieb in den geheimen Logen der Thule-, Vril-, Tempelhof- und Schwarze-Sonne-Gesellschaften. Später gab es Gerüchte, dass ihre Kontakte zu Vertretern inner- und außerirdischer Zivilisationen zu der Entwicklung von Antigravitationsantrieben geführt hätten und schließlich in bemannten Raumschiffen gipfelten, die zu interplanetaren Reisen fähig waren.

Dass diese Geschichten mehr sein könnten als bloße Hirngespinste, dafür gibt es Aussagen von Menschen wie Tony Rodrigues, der in vielen Interviews davon erzählte, dass er mehrere Jahre als Zwangsarbeiter auf einer von Deutschen geführten Kolonie außerhalb des Planeten Erde verbracht hat. Seine Behauptungen decken sich mit den Erzählungen von anderen Whistleblowern der geheimen Weltraumprogramme, die ebenfalls von der Existenz einer deutschen Weltraumarmee berichten. Man nennt sie auch The Dark Fleet – die dunkle Flotte.

Das Hauptquartier dieser hochgeheimen Streitmacht befindet sich angeblich in der Antarktis. Ihre Allianz mit einer aggressiven, aber mächtigen und einflussreichen reptiloiden Rasse macht sie zu einem gefürchteten Gegner für jede andere Weltraumnation. Sie operiert im Verborgenen und die Erde ist für sie eine Quelle für Handelsgüter.

Die Tatsache, dass sie Menschen von der Erde für niedrige Arbeiten missbrauchen und ihre kriegerischen Aktivitäten machen sie definitiv nicht zu den «Guten». Dennoch bin ich mir sicher, dass diese Weltraumkolonisten ziemlich normale Menschen sind, die genauso wie wir ihre Kinder lieben und über dieselben Scherze lachen wie wir. Deshalb ist dies keine Geschichte, die von einem Kampf von Gut gegen Böse erzählt, es ist vielmehr eine Geschichte über das Menschsein, und das schließt alle Aspekte mit ein. Das ultimative Böse ist hier in einer Form von künstlicher Intelligenz zu finden, welche die Fähigkeit besitzt, menschliche Gefühle auszuschalten. Ich spreche hier von der Thematik des Black Goo, einer schwarzen Flüssigkeit, die aus winzigen Naniten besteht.

Auch wenn es verlockend ist, Parallelen in unserer Realität zu erkennen, so ist diese Geschichte eine erfundene, ein Science-Fiction Roman, lediglich inspiriert durch Menschen, die ihre persönlichen Erfahrungen in geheimen Weltraumprogrammen öffentlich gemacht haben und denen ich für diese Informationen sehr dankbar bin.

Dieses Buch will in erster Linie unterhalten, doch es möchte auch zum Nachdenken anregen und das Bewusstsein auf eine Reise zu den Sternen schicken. Ich bin sicher, eines Tages werden wir Menschen tatsächlich eine weltraumfahrende Spezies werden und einen regen Austausch mit vielen Bewohnern des Universums pflegen.

Oder, wer weiß, vielleicht tun es einige sogar schon längst?

Schwarz und Weiß

Die Kommandobrücke des Frachtschiffs war in gedämpftes Licht getaucht. Etwa fünfzehn Leute saßen vor ihren Bildschirmen, sie arbeiteten ruhig und konzentriert, während die Piloten der Wilhelm von Humboldt gerade auf einen kleinen, kraterübersäten Planeten zusteuerten.

Carsten Strehlau, der Kapitän, sah für sein wichtiges Amt ziemlich jung aus. Er hatte ein glattrasiertes, rundliches Gesicht mit kleinen, hellblauen Augen. Seine schwarze Uniform war zweireihig geknöpft, mit vielen Abzeichen und die Schulterstücke wiesen goldene Streifen auf.

«Fräulein Preuss, warum ist das Tor noch nicht offen? Warum geht das so lange?»

Lena Preuss, die Funkerin des Frachters, war etwas nervös, denn heute war ihr erster Arbeitstag und sie wollte alles richtig machen. «Es gibt einen technischen Defekt, wir müssen noch etwa drei Minuten warten, Herr Kapitän.»

Strehlau drehte sich nach rechts zu den Piloten. «Was nützt uns ein nagelneues Schiff, wenn das Eingangstor klemmt? Na gut, drehen wir noch eine Extrarunde. Ich übernehme mal kurz, ja?» Lächelnd packte er den Steuerknüppel und brachte das 400 Meter lange Raumschiff dazu, im zick-zack über den Occator-Krater zu fliegen. Was für den Kapitän eine lustige Einlage war, brachte Lena jetzt in Verlegenheit, denn die Flugüberwachung forderte die Humboldt auf, solche Spielereien zu unterlassen und in den Warteraum zurückzukehren.

Das ist eben kein Kriegsschiff, hier geht es etwas entspannter zu. Und der Kapitän ist ein ziemlich netter Kerl, der wird es mir nicht übelnehmen, wenn ich ihn jetzt zurechtweisen muss. Beherzt stand die zierliche, braunhaarige junge Frau auf und ging die zwei Stufen hoch auf das Podest des Kapitäns. Fasziniert blickte sie Strehlau über die Schulter, durch die ovale Frontscheibe auf die schorfige Oberfläche des Zwergplaneten Ceres, der seit ein paar Tagen ihre neue Heimat war.

«Ich weiß, was Sie mir sagen wollen, Preuss. Ich höre den Funkverkehr auch, entspannen Sie sich. Nun, wie hat Ihnen der erste Tag auf der Humboldt gefallen?»

«Oh, es ist… ich bin wirklich sehr froh, hier zu sein, die Humboldt ist ein ganz ausgezeichnetes Schiff, Herr Kapitän.»

«Ja, sie ist eine Wucht» erwiderte Strehlau fröhlich. «Ich habe drei Jahre auf der Erlkönig verbracht. Die meiste Zeit waren wir nur damit beschäftigt, defekte Ventile zu reparieren, weil dieses radioaktive Thorium die unangenehme Eigenschaft hat, die Leitungen zu korrodieren. Weißt du noch, Gunther, wie wir damals fast die Donau gerammt haben?» Er redete jetzt mit Mertens, dem ersten Offizier, der zu seiner Linken saß.

«Ja, Käpt’n, dieses Schiff war ein einziges Abenteuer. Es wird jetzt im Hangar verschrottet, ich werde ihm bestimmt keine Träne nachweinen.»

Dann wandte sich Strehlau wieder an Lena. «Aber Sie sind sich ja auch Abenteuer gewohnt, haben Sie doch die legendäre Schlacht von Andromeda miterlebt. Es hat mich sehr beeindruckt, wie Sie ihren Kommandanten verteidigt haben, deshalb hat man Ihnen auch das Titanium-Kreuz verliehen.» Er blickte sie anerkennend an und musterte den kreuzförmigen Orden, der unter ihrem Uniformkragen herausschaute. Lena war sehr stolz auf diese Auszeichnung, es verschaffte ihr den Respekt, der ihr bis vor kurzem verwehrt wurde.

Eichinger, der übellaunige zweite Offizier, erschien neben der Kanzel. «Herr Kapitän, soeben wird das Tor geöffnet, wir können jetzt einfliegen.» Er sah Lena missbilligend an, da sie nicht auf ihrem Posten war. Rasch kehrte sie an ihren Arbeitsplatz im hinteren Bereich der Brücke zurück und setzte die Kopfhörer auf.

Geräuschlos senkte sich das Raumschiff hinab in die Dunkelheit des Occator-Kraters. Niemand käme auf die Idee, dass sich hier der Eingang ins Innere des Kleinplaneten befindet, er wurde geschickt mit Holografien getarnt, außerdem lag er die meiste Zeit im Schatten.

Eine rechteckige Öffnung mit gigantischen Ausmaßen verschluckte den eintreffenden Frachter, der eine elegante, spitzovale Form aufwies. Er suchte sich seinen Weg zur zugewiesenen Landebucht, vorbei an anderen Schiffen. Eines davon war massiv beschädigt und wies die Spuren eines Gefechts auf: Riesige Löcher und Dellen, geknickte Antennenmasten; trotzdem war es immer noch in der Lage zu schweben.

Von der großen Haupt-Kaverne zweigten Tunnel in verschiedene Richtungen ab, es gab keine Wegweiser oder Bezeichnungen und das war so Absicht. Ohne die Hilfe der Einweiser wäre ein fremdes Raumschiff völlig orientierungslos. Die Humboldt erreichte jetzt einen hell beleuchteten Hangar, - die Landebucht. Nach dem Andocken machte sich die Brückencrew bereit zum Ausstieg.

Lena stellte sich mit den anderen in einer Reihe auf und wartete auf die Verabschiedung durch den Kommandanten. Sie war müde und hungrig und freute sich auf eine Dusche in ihrer neuen Wohnung. Die große Uhr über dem Ausgang zeigte halb neun vormittags. Das heutige Datum war Montag, der 22. September. Vor wenigen Minuten erst war die Humboldt zur Tagesmission aufgebrochen. Dank dem temporalen Antrieb waren sie in der Lage, in der Zeit zurückzureisen. So hatte die Besatzung nach einer Tagesmission von durchschnittlich 9 Stunden immer jeweils ganze 23 Stunden frei.

Es kamen noch ein paar weitere Kaderleute hinzu, die bisher auf dem riesigen Schiff verteilt auf ihren Posten waren: Personalchefs, bewaffnete Sicherheitsleute und einige weitere, deren Funktion und Dienstgrade Lena noch nicht kannte. Frauen gab es nur einige wenige, die meisten waren junge, einheimische Ceresianerinnen, die vor der Familiengründung noch etwas vom weiten Universum sehen wollten. Der Unterschied zu Lena war, dass sie dies freiwillig und aus Lust am Abenteuer machten.

Fregattenkapitän Heinrich Degendorff stolzierte herein, er war deutlich älter als alle hier, groß und schlank, mit einem hageren Gesicht und leicht hervortretenden, stahlblauen Augen. Er schritt die Parade ab und richtete einige Worte an seine Mannschaft:

«Das war gute Arbeit heute. Speziellen Dank geht an unser Portal-Team, die Bedingungen im Centauri-Quadranten waren nicht gerade einfach, ich werde nochmals die Werks-Ingenieure kommen lassen damit die Streamer neu kalibriert werden können. Kaminski,» er wandte sich an den Frachtgut-Offizier. «Bitte geben Sie mir morgen Bescheid, wie viel Frachtraum wir noch frei haben, wir erwarten in Pescado Azul eine Lieferung von 56 Containern. Hat jemand noch Fragen oder Einwände? Nein? Nun dann sind Sie hiermit entlassen, bis morgen früh um acht.» Es wurde stramm salutiert.

Langsam leerte sich die Brücke und die Besatzung ging über die geschlossene Gangway nach draußen. Gleich dahinter gab es einen Bahnsteig, wo sie auf den nächsten Zug warten mussten, der sie ins Zentrum und zu ihren Quartieren bringen würde.

Ein Mann in schwarzer Uniform, Schirmmütze und halbhohen Stiefeln gesellte sich zu ihnen und sprach mit einem Mitglied der Mannschaft.

«Hallo Jürgen, genau dich habe ich gesucht. Ich wollte fragen, ob du heute Abend Lust auf eine Runde Lasergefecht hast?»

«Hallo Thorben, wie geht’s? Meinst du fünf gegen fünf?»

«Ja, klar, so wie letztes Mal, Nachtwölfe gegen Freibeuter», antwortete Thorben.

«Tja, leider gibt’s die Freibeuter nicht mehr, weißt du. Wolters ist nicht mehr bei uns, den haben sie nach Sagitaria versetzt, wegen dieser Geschichte mit dem Kaffee-Schmuggel. Der Idiot ist dabei erwischt worden, wie er versucht hat, das Zeug an die Sirianer zu verkaufen.»

Thorben machte ein enttäuschtes Gesicht. «Aber du kannst doch sicher noch einen fünften Mann mitnehmen, Jürgen. Es sollte doch möglich sein jemanden aufzutreiben, der mit einem Lasergewehr umgehen kann.»

Mittlerweile hielt eine etwas altmodisch aussehende U-Bahn, die Türen öffneten sich und die Menschenmenge stieg ein. Eine Gruppe verdreckter und müde aussehender Bergarbeiter stand von ihren Sitzen auf und verzog sich zu den Stehplätzen.

«Ich habe ja schon versucht, jemanden zu finden», fuhr Jürgen fort, «die meisten bereiten sich jetzt auf das Oktoberfest vor, da ist nix zu machen.»

Der Zug ratterte durch den Tunnel und hielt quietschend an der nächsten Station an. «Da fällt mir ein…» Jürgen stand auf und blickte sich suchend im Zug um. «Ich könnte ja dieses Fräulein fragen, wie heißt sie nochmal…? Ich habe da einige abgefahrene Geschichten über sie gehört.» Er hatte jetzt Lena erspäht und drängte sich zu ihr hinüber, gefolgt von seinem Freund.

Inzwischen hatte die Tunnelbahn die Hauptstation «Zentrum» erreicht und die meisten Passagiere stiegen hier aus. Es gab einen großen, hellen Platz, der mit Marmorplatten ausgelegt war. In der Mitte erhob sich ein prächtiges Monument, welches Künstler in monatelanger Arbeit aus einem Stück Felsen gehauen hatten: Zwei kämpfende Hengste die majestätisch auf ihren Hinterbeinen tänzelten. Dahinter konnte man steinerne Verwaltungsgebäude mit Säulen davor erkennen. Das Ganze wurde von einem täuschend echten Himmel überspannt, auf dem langsam weiße Federwolken dahinzogen, es handelte sich dabei um eine holografische Projektion.

Lena ging gerade über den Platz, als sie von den zwei Männern eingeholt und angesprochen wurde: «Guten Tag Fräulein Preuss, mein Name ist Jürgen Thiel, ich arbeite auch auf der Humboldt, ich bin der Bordingenieur. Das hier ist Thorben von Hanisch, er ist Staffelführer bei den Nachtjägern.»

Lena hatte keine Ahnung, wer die Nachtjäger waren, es musste sich wohl um eine Spezialtruppe der Nachtwaffe handeln, denn Angehörige der Nachtwaffe waren immer mit schwarzen Uniformen bekleidet. Von Hanisch gab ihr einen kräftigen Händedruck und kam gleich zur Sache.

«Guten Tag Fräulein Preuss, können Sie mit einem Lasergewehr umgehen? Ich meine, wir machen bloß ein Spiel unter Freunden und die Truppe von Thiel braucht noch Verstärkung. Hätten Sie Lust, mitzumachen? Ach ja, die Verlierer müssen anschließend das Bier bezahlen», fügte er lachend hinzu.

«Das waren meistens wir», ergänzte Thiel. «Aber wer weiß, vielleicht schaffen wir mit Ihnen eine Trendwende?»

Lena fühlte sich geschmeichelt, als Frau und dazu noch als Auswärtige für einen sportlichen Wettstreit angefragt zu werden, deshalb sagte sie zu. Hinzu kam, dass sie erst seit drei Tagen auf Ceres wohnte und noch sehr wenige Leute kannte.

Wieder allein, machte sie sich auf den Weg zu ihrem Wohnquartier. Dazu musste sie einen Lift besteigen mit der Aufschrift «Freistadt.» Dieser führte tausende von Metern nach unten, tief ins Innere des Planetoiden, wo seine Bewohner gut geschützt lebten. Auf der langen Fahrt erinnerte sie sich an das Gespräch mit der Personalhelferin Frau Grünewald, die über Ceres folgendes gesagt hatte:

«Dieser Ort wurde 1959 von deutschen Kolonisten gegründet, die zuvor in der Antarktis gelebt hatten. Sobald sie in der Lage waren, mit ihren Raumschiffen interstellare Flüge durchzuführen, bekamen sie von ihren außerirdischen Verbündeten, den Drakoniern, diesen Kleinplaneten im Asteroiden-Gürtel zugewiesen. Die Kolonisten leben hier zusammen mit Sirianern und den Lyranern. Aktuell leben hier jetzt etwa 213‘000 Bürger von Ceres, 5‘000 Außerirdische und 40‘000 Arbeiter.»

Das Wort «Arbeiter» bedeutete jedoch nichts anderes als Sklave oder Zwangsarbeiter. Diese Leute kamen aus allen Ländern der Erde, sie wurden entführt, das Gedächtnis wurde ihnen gelöscht, teilweise hatte man sie mit Mitteln der Gedankenkontrolle gefügig gemacht und mit Implantaten versehen. Man legte ihnen einen metallenen Ring um den Hals und wer nicht spurte, bekam damit einen Elektroschock verpasst.

Lena wusste genau, wie sich das anfühlte. Als sie vor Jahren in die Hände der Stählernen Flotte geriet, musste sie ganz unten anfangen, als Sklavenarbeiterin, später wurde sie Soldatin. Energisch schüttelte sie diese Gedanken an ihre Vergangenheit ab.

Jetzt geht es mir gut, ich bin frei. Ich habe meine eigene Wohnung, eine interessante Arbeit und wer weiß, vielleicht werde ich hier sogar Freunde finden, sagte sie zu sich selbst.

Lena setzte sich im Fahrstuhl auf einen der freien Sitzplätze, denn die Fahrt dauerte gut 15 Minuten. Sie rief sich nochmals ihren ersten Arbeitstag in Erinnerung, doch sie wurde dabei abgelenkt. Im Hintergrund lief ein Radioprogramm mit Nachrichten von Freistadt, das war der Name der Ceres-Metropole. Es ging um Politik. Präsident General Dieckmann verkündete gerade, er wolle demnächst neue Anlagen für das Militär erstellen lassen und den Ausbau von neuen Wohnvierteln vorantreiben. Das bedeutete, dass man noch mehr «Personal» von der Erde heranschaffen musste, dachte Lena grimmig und knöpfte sich ihre dunkelblaue Uniformjacke auf. Mittlerweile hatte der Lift sein Ziel erreicht, die Türen öffneten sich und seine Passagiere strömten hinaus.

Freistadt war in natürlichen Höhlen von Ceres errichtet worden, die Siedler fanden aber viele intakte Gebäude einer früheren, außerirdischen Zivilisation vor. Diese mussten dann nur noch renoviert oder erweitert werden. Damit sich seine Bewohner hier wohl fühlten, hatte man versucht, erdähnliche Bedingungen herzustellen, angefangen mit einer stärkeren Gravitation bis hin zu einem künstlichen Himmel, der wie auf der Erde einem Tag/Nacht-Rhythmus von 24 Stunden unterworfen war. Sauerstoff, Luftfeuchtigkeit und Temperatur wurden ständig überwacht und konstant gehalten. Bäume und Blumen gab es nur in einer speziellen Parkanlage, wo es einen kleinen See mit freifliegenden Vögeln gab. Auf den Straßen fuhren Elektro-Autos zum Warentransport, in den Läden konnte man exotische Waren aus allen Teilen der Galaxie kaufen. Die Betreiber dieser Läden waren meist Außerirdische, großgewachsene, langschädlige Lyraner. Es gab aber auch Restaurants, Bibliotheken, Schulen, Spitäler, Sporthallen, Kinos, Nachtclubs, Museen und Konzertsäle. Für die Bürger von Freistadt war das Leben sehr angenehm, doch es war aufgebaut auf der Arbeit von Heerscharen von Zwangsarbeitern von der Erde.

Lena stand jetzt vor einem achtstöckigen Wohnhaus der Interplanetaren Handelsgesellschaft IHG und blickte in die Kamera neben der Eingangstüre. Ein kurzes Piepsen ertönte und sie wusste, dass sie als Bewohnerin erkannt und eingelassen wurde. Sie betrat ihre Wohnung im zweiten Stock, zog die Uniformjacke aus und drapierte sie sorgfältig auf einen Kleiderbügel. Nachdem sie die restlichen Kleider ausgezogen hatte, stellte sie sich in die Duschkabine und ließ sich mit warmem Wasser überströmen. Die Wohnung verfügte außerdem, - und das war auch ein Grund, warum sie nach Ceres gekommen war, - über eine Sonnenbank. Sie bestand aus einer gepolsterten Liege in der Form einer geöffneten Muschel, die Oberseite war mit Leuchtröhren bestückt, die genau das Spektrum des irdischen Sonnenlichts wiedergaben. Des Weiteren konnte man mit einem Regler die Stärke der Strahlung verändern und über einen Lautsprecher Geräusche von Meereswellen oder Waldvögeln abspielen.

Sie schlüpfte in einen weißen, flauschigen Bademantel und öffnete den Kühlschrank. Es gab zwar eine Kantine, in der sie als Mitarbeiterin der Handelsflotte essen konnte, sie zog es jedoch vor, nach der Arbeit selbst etwas einzukaufen und zuzubereiten. Lena schüttete den Inhalt einer Plastikbox in eine Schüssel; Reste eines Fruchtsalates, den sie gestern gemacht hatte. Während des Essens suchte sie auf ihrem Glas-Pad, - eine Art kleiner Computer aus transparentem Material, - die Sporthalle, in der sie sich am Abend zum Lasergefecht verabredet hatte.

Olympia-Halle. Spiel, Sport und Spaß für die ganze Familie, stand in der Beschreibung. Ceres verfügte über sein eigenes Datennetzwerk, das Internetz. Es gab Stadtpläne, U-Bahn-Pläne, Adressen zu öffentlichen Gebäuden und viele andere Informationen, um sich auf dem Kleinplaneten zurecht zu finden.

Nach dem Essen zog Lena den Bademantel aus, setzte die Sonnenbrille auf und legte sich auf die Sonnenbank. Nach einem langen Arbeitstag unter düsterem Kunstlicht, sehnte sich ihr Körper nach Helligkeit und Wärme. Sie wusste, dass sie dabei einschlafen würde und stellte vorsorglich den Wecker auf 17:00 Uhr.

Im Hangar der Nachtjäger herrschte unterdessen Hochbetrieb. Die Abflughalle war voller Menschen, die geschäftig zwischen den Flugmaschinen umherliefen, während Uniformierte Kommandos brüllten. Die Staffel Stahlgewitter war soeben zurückgekehrt, sie wurde von der Staffel Thors Hammer abgelöst, die sich nun bereit machte.

Reiner Mattke trug die schwarze Uniform der Nachtjäger-Piloten. Er war etwas über eins-siebzig groß, athletisch und hatte wie die meisten hier blondes Haar und helle Augen. Er stand oben hinter der Scheibe der Kommandozentrale, eine Tasse in der Hand und schaute interessiert dem Treiben zu.

Staffelführer von Hanisch trat von hinten an ihn heran, breitete die Arme aus und rief fröhlich: «Mensch, Goliath, willkommen zurück!»

Reiner drehte sich um und grinste ihn aus seinem unrasierten Gesicht an. «Hallo Thorben, ich hoffe, ihr habt mich vermisst!» Die beiden Männer gaben sich die Hand.

«Aber sicher! Sag schon, wie war es auf Kahoona? Heiße Nächte, Kühle Drinks, was?» Reiner winkte ab. «Es war total langweilig. Zöllner war entweder besoffen oder hat gepennt und die meisten Mädchen, die ich kennengelernt habe, hatten irgendeinen Knacks.»

«Ha, ha! Na, siehst du, da bist du bei uns doch viel besser aufgehoben.»

«Wie geht es Sibylle und den Kindern? wechselte Reiner das Thema. «Ich würde gerne mit Theo ins Flugmuseum gehen.»

«Gute Idee, vielleicht am Wochenende. Du, heute Abend geht es zum Lasergefecht ins Olympia, du musst unbedingt mitkommen, die Freibeuter sind da, und sie bringen eine neue Kameradin mit.»

Mattke kratzte sich am stoppeligen Kinn. «Ah, die Freibeuter, dann gibt’s also wieder Freibier für die Nachtwölfe.»

«Na, dann sieh zu, dass du nüchtern und ausgeruht punkt acht in der Halle erscheinst. Also, ich muss jetzt los, wir haben gleich einen Einsatz, bis später.» Von Hanisch klopfte dem Piloten jovial auf die Schulter und wandte sich zum Gehen, doch Mattke hielt ihn am Arm zurück.

«Thorben? Ich habe gehört, dass du meine Versetzung verhindert hast. Ich möchte dir dafür danken.»

«Du hast doch bloß einen dummen Streich gemacht. Außerdem wollte ich nicht meinen besten Mann verlieren. Man sieht sich!»

Mattke sah nachdenklich seinem Freund und Kameraden nach. Bevor er suspendiert und in den Urlaub nach Kahoona geschickt wurde, gab es hier ziemliche Turbulenzen. Schuld daran waren die Weiber, wie immer, wenn ein Mann etwas sehr Dummes tat. Seine Freundin Heidrun, er nannte sie Heidi, hatte ihn hinter seinem Rücken mit einem jungen, großen und gutaussehenden Rekruten namens Falk Junkers betrogen. Der Kerl war ein unglaublicher Angeber und Reiner konnte ihn von Anfang an nicht ausstehen, jedenfalls, als die Geschichte mit Heidi aufflog, sann er auf Rache. Die Gelegenheit bot sich ihm bald darauf, als auf Ceres ein Staatsempfang für den Regenten von Aldebaran gegeben wurde. Die Nachtjäger sollten eine Flugparade abhalten und dabei mit farbigen Nebelgranaten die königliche Flagge in den Weltraum zeichnen. Nach der Hauptprobe vertauschte Reiner die Farb-Patronen an Junkers Flugscheibe und die Wirkung konnte jeder sehen, der nicht Farbenblind war. Nur leider verdächtigte man jetzt den Chef der Werkstatt, ein lieber Kerl namens Tom und ein guter Freund von Reiner. Da er seine Unschuld nicht beweisen konnte, drohte ihm die Versetzung und Degradierung zum Arbeitssklaven. Das war der Moment, in dem Mattke ins Büro des Einsatzleiters gehen musste und die Schuld an der ganzen Sache gestand. Es war ganz schön hart, doch er konnte es nicht ertragen, dass dafür ein Unbeteiligter büßen musste. Das war etwas, das viele seiner Kameraden nicht verstehen konnten. Warum willst du wegen eines Klons deine Karriere aufs Spiel setzen, bist du verrückt? Solche und ähnliche Sprüche musste er sich noch viele anhören.

Mattke seufzte, hängte sich die Tasche um und verließ die Kommando-Zentrale; es war Zeit, sich bei jemandem zu entschuldigen.

Tom verbrachte die Mittagspause meistens in seinem kleinen Büro neben der Werkstatt, er schätzte die Ruhe, denn sein Alltag war immer sehr hektisch. Der große Mann hatte einen Teller Makkaroni vor sich und schaute dabei in den Computer. Er hörte die Tür hinter seinem Rücken aufgehen und sah im Bildschirm das Spiegelbild einer eher kleinen, dunklen Gestalt.

«Reiner! Ich habe dich lange nicht mehr gesehen.» Er hatte eine tiefe Stimme und sprach Englisch mit texanischem Akzent; langsam drehte er sich mit seinem Stuhl herum.

«Hallo Tom, wie geht es dir?» Mattke, ebenfalls auf Englisch antwortend, blickte in die gutmütigen Augen des Chefmechanikers. «Ich habe dir etwas aus Kahoona mitgebracht. Hoffentlich hast du die noch nicht.» Er öffnete seine Tasche, zog ein kleines Päckchen hervor und überreichte es ihm verlegen lächelnd.

«Ein Geschenk? Aber es ist doch noch gar nicht Weihnachten, könnte es sein, dass du ein schlechtes Gewissen hast? Bitte setz dich doch.» Während er langsam redete, öffnete er die Verpackung und begutachtete den Inhalt.

«Oh, sieh mal an: Willie Nelson, Buck Owens, Ray Price und Kitty Wells, die werde ich mir heute Abend gleich anhören, vielen Dank!» Es handelte sich um Country-Musik-CDs. Auf dem Ferien-Planeten Kahoona gab es einen großen Schwarzmarkt mit begehrten Gütern von der Erde, wie Filme, Bücher, Bilder und Musik.

«Du hast Recht, ich habe ein schlechtes Gewissen. Deshalb möchte ich mich bei dir entschuldigen, Tom. Bitte verzeih mir, dass ich dir solchen Ärger bereitet habe.»

«Aber nicht doch! DU hast ja nicht gesagt, dass ich die Farben vertauscht habe, das war Junkers. Der wusste doch genau, dass er dich damit zu einem Geständnis zwingen konnte, das war ein ganz übles Spiel. Außerdem hat der Junge Beziehungen, sein Vater ist Generalstabchef und sein Onkel…, ist auch irgend so ‘n hohes Tier. Solche Leute kommen immer ungeschoren davon.»

«Ja, im Gegensatz zu mir. Eine Versetzung konnte der Staffelführer gerade noch verhindern, aber eine Strafe werde ich auf jeden Fall erhalten. Sicher haben sie sich irgendetwas ausgedacht, während ich im Urlaub war.»

«Eine Tracht Prügel hättest du verdient, Reiner. Aber so einfach werden sie es dir wohl nicht machen.»

Der Nachtjäger lächelte gequält. «Ich habe heute noch eine Besprechung mit dem Einsatzleiter. Ich vermute mal, es wird eine Straf-Mission geben. Also», er stand auf, «ich lass‘ dich jetzt weiter essen, ich möchte mir gleich noch die Goliath ansehen.» Er legte zwei Finger an die Schläfe. «Einen schönen Tag noch.»

«Ja, deinem Baby geht’s gut, schau‘s dir an. Auf Wiedersehen, Reiner, hat mich sehr gefreut.»

Der Pilot trat aus dem Büro und machte sich auf den Weg zu seinem Raumjäger. Die Goliath war seine Flugmaschine, ihr Name war Reiners Spitzname aus der Studienzeit. Weil er es immer gehasst hatte, Kleiner genannt zu werden, forderte er jeden, der ihn beleidigte, zum sportlichen Boxkampf heraus. Da er stark und flink war, gewann er meistens, was ihm den respektvollen Namen Goliath eintrug.

Im Hangar standen mehrere Maschinen des neuen Typs Grendel nebeneinander aufgereiht, Victalen-grau mit roten Streifen, und warteten auf ihren Einsatz. Es waren keine Flugscheiben, wie sie die Kolonisten früher hatten und teilweise immer noch verwenden, sondern diese hatten eine langgezogene, dreieckige Form mit kurzen Flügeln, es waren wendige Jäger mit modernsten Waffensystemen und Hologrammtarnung. Sie boten Platz für zwei Personen, den Piloten und den Bordschützen.

Reiner sprang leichtfüßig auf den Flügel seiner Maschine und stieg hinauf zum Cockpit. Er berührte mit der Hand eine bestimmte Stelle, woraufhin sich die Kanzel mit leisem Zischen öffnete. Er kletterte ins Cockpit und setzte sich auf den Pilotensitz. Aus lauter Gewohnheit fing er an die technischen Daten vom Monitor abzulesen.

Plötzlich ertönte in der Halle eine Sirene und rotes Licht blinkte auf. Vierzehn Männer in Pilotenkleidung kamen im Laufschritt heran, die Helme unter dem Arm. Jemand rief: «Los jetzt, alle Mann in die Maschinen.» Er erkannte die Stimme von Thorben, dem Staffelführer. Innerhalb von zwei Minuten waren sieben Grendels startklar gemacht und eine nach der anderen stieg lautlos hinauf, durch den Tunnel und zum geöffneten Tor. Als erste die Thors Hammer, es folgten die Calypso, die Siegfried, die Beowulf, die Titan, die Walküre und zuletzt die Pegasus.

Sehnsüchtig blickte Mattke nach oben und hörte sich im Cockpit den Funkverkehr seiner Kameraden an:

«Siegfried an Goliath: Ich habe dich gesehen. Kannst es wohl kaum erwarten wieder mitzufliegen, was? Kopf hoch, das wird schon wieder. Bis heute Abend im Olympia. Ende.»

Das war Heiko. Trotz seiner beschissenen Lage musste Reiner grinsen. Gleich darauf stellte er erschrocken fest, dass es schon fünf vor halb zwei Uhr war, fast hätte er den Termin beim Einsatzleiter verpasst. Blitzgeschwind, als wäre es ein Ernstfall, stieg er aus, verschloss die Kanzel und spurtete aus dem Hangar.

Punkt halb zwei stand er im Vorzimmer und meldete sich bei der Sekretärin an. Hauptmann Klaus Sonnenstedt, der Stabschef der Einsatzleitung, ließ ihn noch weitere zehn Minuten warten, was Reiner noch nervöser machte.

«Sie können jetzt eintreten, Herr Mattke, der Herr Sonnenstedt ist jetzt für sie da.» Die hübsche Sekretärin hielt die Tür zum Büro auf und lächelte ihn an.

«Danke schön, Fräulein», murmelte er im Vorbeigehen, nahm die Schirmmütze vom Kopf und trat ein.

«Ah, Leutnant Mattke, kommen Sie herein, setzen Sie sich. Nun, ich hoffe, Sie haben sich so weit gut erholt, sie waren in Kahoona, nicht wahr? Schöne Strände und zum Tauchen ist es da besonders gut.»

«Mein Kollege Zöllner ist tauchen gegangen, ich habe das Kite Surfen erlernt, ist auch fast wie fliegen.»

Offenbar hatte Sonnenstedt schon genug vom Smalltalk, er wurde jetzt ernster, legte den Kopf schief und blickte vor sich auf einen gläsernen Aschenbecher.

«Also, Herr Mattke, ich muss schon sagen, der Streich, den Sie ihrem Kameraden Junkers gespielt haben, ist bei der Führung nicht so gut angekommen. Da wegen dem Einwand von Staffelführer von Hanisch Ihre Versetzung vorläufig vom Tisch ist, denkt man daran, Sie auf eine Strafmission zu schicken. Ich hatte vorgestern ein Treffen mit General Asin-Arkasch von Alpha Drakonis. Er braucht noch einen fähigen Piloten für eine heikle Mission. Wir denken, dass Sie hierfür die besten Voraussetzungen mitbringen. Sie würden dazu ein etwa einwöchiges Vorbereitungs-Training auf einem drakonischen Schiff absolvieren. Was meinen Sie?» Sonnenstedt’s Bürosessel knarrte, als er sich zurücklehnte.

Heikle Mission war eine etwas nettere Bezeichnung für gefährlich. Reiner schwirrten sofort tausend Fragen im Kopf herum, die er unmöglich alle stellen konnte.

«Ähm, welche Art von Training soll das denn sein?», begann er vorsichtig. Er hatte schon einige Schauergeschichten von Elite-Soldaten gehört, die auf drakonischen Kriegsschiffen stationiert waren.

«Nun ja, soweit ich es verstanden habe, herrschen auf dem Planeten, auf den Sie geschickt werden, etwas andere Bedingungen. Niedrigerer Sauerstoffgehalt und größere Gravitation, zum Beispiel. Dazu wird man Ihren Körper modifizieren müssen. Die Drakonier haben da die fortschrittlichste Technologie, Sie müssen sich hierbei keine Sorgen machen.»

Reiner rieb sich die feuchten Handflächen an der Hose trocken. «Und worin besteht die eigentliche Mission, was muss ich dort tun?»

Sonnenstedt war aufgestanden und begann hinter seinem großen Pult langsam hin und her zu gehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. «Die Sache ist die: Die Drakonier möchten diesen Wüstenplaneten übernehmen, aber es gibt dort versteckte Pulsatoren für die Verteidigung gegen feindliche Großraumschiffe. Sie wurden schon vor langer Zeit aufgestellt aber sie funktionieren immer noch selbständig. Ihre Aufgabe ist es, diese Pulsatoren aufzuspüren und zu deaktivieren, hierfür wird man ihnen geeignete Geräte mitgeben. Erschwerend kommt hinzu, dass sich auf dem Planeten seit kurzem eine Gruppe Wissenschaftler von der Erde mit einigen Soldaten befinden, diese operieren außerhalb unseres Einflussbereiches. Sie sind durch ein Sternentor hergekommen und halten dieses besetzt. Es ist wichtig, so unauffällig wie möglich vorzugehen, darum werden wir auch nur einen Mann mit einer Grendel hinschicken. Dieses Fluggerät eignet sich dank seiner Tarnfunktion und Kompaktheit hervorragend für eine solche Mission. Sobald alle Pulsatoren deaktiviert sind, werden die Drakonier eine Invasion starten und den Planeten übernehmen.»

Reiner räusperte seinen trockenen Hals, der Stabschef stand jetzt bei einem kleinen Tischchen und fragte: «Möchten Sie ein Glas Wasser, Herr Mattke?»

Ich brauche jetzt eher einen Kognak, dachte er. «Ja bitte, Herr Hauptmann.»

Mit vorsichtigen Schlucken leerte er das halbe Glas und stellte die wichtigste Frage:

«Was geschieht, wenn ich vorher entdeckt werde, wenn die Mission aus irgendeinem Grund scheitert?»

«Solange noch ein funktionsfähiger Pulsator existiert, ist die Gefahr für Raumschiffe viel zu groß, Sie können also niemanden rufen, wenn etwas schiefgeht, es sei denn, alle Pulsatoren wurden vorher deaktiviert, dann können die Drakonier kommen.»

Reiner sprang entsetzt von seinem Sitz auf. «Heißt das, Sie würden mich dort im Stich lassen?»

«Beruhigen Sie sich, Mattke. Vergessen Sie nicht, dass es sich hierbei um eine Straf-Mission handelt. Trotzdem besteht eine große Chance, dass Sie es schaffen werden; Sie sind ein fähiger Pilot und Sie erhalten die modernste technische Unterstützung. Außerdem verleiht man Ihnen im Erfolgsfall das Titanium-Kreuz und Sie werden zum Kapitän befördert. Was sagen Sie?»

«Was ist, wenn ich ablehne?», fragte er direkt.

Sonnenstedt stellte sich ganz nah vor ihn hin und sagte leise: «Dann sind Sie bei den Nachtjägern draußen, Mattke, die Goliath geht dann an Junkers. Sie haben bis Morgen Zeit, mir Ihre Entscheidung mitzuteilen. Einen schönen Tag noch.»

Reiner setzte seine Mütze auf, grüßte militärisch und eilte aus dem Büro.

Lena stand vor dem Spiegel und kämmte sich das schulterlange, braune Haar. In einer Stunde wollte sie das Haus verlassen, um sich mit ihren Kollegen in der Sporthalle zu treffen. Sie grinste ihr Spiegelbild an, als ihr das alte, lustige Wortspiel lerne schießen, triff Freunde einfiel. Sie band das Haar zu einem Pferdeschwanz und wandte sich ihrem Kleiderschrank zu. Was sollte sie bloß anziehen? Sie besaß nicht viele Kleider, im Alltag trug sie eine Uniform, in der Freizeit meist einen weißen Sportanzug oder eine Jeanshose mit T-Shirt. Sie nahm sich vor, das Wochenende für einen Kleiderkauf zu nutzen und schlüpfte in den Sportanzug.

Als sie ihre Wohnung verließ, begegnete ihr auf dem Flur Marietta, die rassige, italienische Kabinenoffizierin der Humboldt, die ein Stockwerk über ihr wohnte. Sie trug ein enges, kurzes Kleid und hatte sich die vollen Lippen grellrot geschminkt.

«Buona sera, Lena. Gehst du auch in die Stadt?», gurrte sie mit rollendem Akzent und blickte ihre Nachbarin neugierig an.

«Ciao Marietta. Ja, ich habe eine Verabredung.»

«Mit eine junge Mann?» Sie lächelte verschwörerisch.

«Eigentlich mit VIER Männern», sagte Lena herausfordernd und sah fasziniert dem lebhaften Minenspiel in Mariettas Gesicht zu.

«Ach so, du gehst zum Sport, deswegen trägst du eine Trainingsanzug.»

Schlaues Mädchen, dachte Lena. «Ja, so ist es. Wir werden uns gegenseitig mit Lasergewehren beschießen und wer verliert, muss das Bier bezahlen.»

«Oder wer verliert ist tot!» Sie lachte über ihren eigenen Scherz. «Ich gehe mit Flavio ins Ristorante, dort haben sie echten italienischen Wein.» Sie rollte genießerisch mit ihren großen, schwarzen Augen. «Ciao Lena, viel Spaß mit deine Schiessgesellschaft, ha, ha.» Sie wandte sich um und stöckelte davon.

Ristorante, vino, amore, dachte Lena. Wie einfach doch die Freuden des Lebens sind.

Sie betrat die Halle etwas zu früh und nutzte die Zeit, sich ein wenig umzusehen. Auf mehreren großen Bildschirmen konnte man die Gefechte in Echtzeit mitverfolgen, daneben eingeblendet die aktuelle Trefferzahl. Die Regeln waren einfach: Wer dreimal getroffen wird, ist «tot» und scheidet aus dem Spiel aus. Dazu tragen die Teilnehmer spezielle Anzüge und Helme, welche die Laserstrahlen registrieren. Die Gefechtshalle war wie ein Parkour aufgebaut mit Hindernissen und Verstecken. Die Mannschaften starten auf je einer Seite der Halle und müssen diese durchqueren, dabei kreuzen sie sich mit der gegnerischen Mannschaft. Wer ausgeschossen hat, ist wehrlos, kann jedoch noch einen Punkt gut machen, wenn er die andere Seite erreicht und die gegnerische Flagge berührt, die über einer drei Meter hohen Wand hängt.

Eine digitale Anzeige über dem Bartresen zeigte die Rangliste aller Mannschaften. Die Freibeuter waren ziemlich weit unten auf Rang 14, die Nachtwölfe hoch oben auf Rang Nr. 3. Auf Platz eins standen die schwarzen Teufel. Vermutlich handelte es sich um Mitglieder einer Spezialeinheit, die schon von Berufs wegen viele Schiesstrainings absolvierten.

«Fräulein Preuss, guten Abend. Wie schön, dass Sie hergefunden haben.» Jürgen Thiel war eben hereingekommen und hatte sie zwischen Zuschauern und Barbesuchern erspäht. Der junge Mann hatte eine sehr schlanke Statur und feines, fast weißblondes Haar. «Die Kollegen werden auch gleich da sein, dann können wir uns umziehen.»

Einer nach dem anderen trudelte ein und wurde Lena vorgestellt: Holger Steinbeck, ein großer, bulliger Sicherheitsmann mit Glatze, der sie etwas abschätzig musterte; Frank Eisenhut war Mediziner und trug einen kurzen Vollbart. Als letzter streckte ihr Marcus Glaubitz, ein Maschinist, die Hand entgegen. Alle drei arbeiteten ebenfalls auf der Humboldt. Man schlug vor, sich ab jetzt zu duzen.

Nachdem sie sich in der Umkleide die engen, roten Overalls angezogen hatten, setzten sich die fünf Spieler in eine Lounge, tranken Wasser und Soda und warteten auf die Nachtwölfe.

«Pass auf, Lena», erklärte Marcus, «wenn unsere Gegner da sind, ist es üblich, sich zu triezen und zu beleidigen, das hat so Tradition, damit man sich draußen nichts schenkt; also wundere dich nicht, wenn ein paar derbe Sprüche fallen, nimm’s nicht persönlich und versuche einfach locker zu kontern.»

«Wer sind die Nachtwölfe eigentlich?», fragte Lena in die Runde.

«Ein Haufen Angeber», brummte Holger.

«Ja, schon klar», meinte Lena lachend, «aber woher kommen sie? Aus dem militärischen Umfeld? Sie scheinen jedenfalls sehr gut zu sein.»

Jürgen stellte sein leeres Glas auf den Clubtisch und begann zu erklären: «Tja, die Nachtwölfe bestehen aus Mitgliedern der Nachtjäger, einer Flugstaffel zur Verteidigung von Ceres. Es sind Piloten und Bordschützen, das erklärt auch, warum sie so gut sind. Da fällt mir gerade ein, und das geht euch alle an: Thor hat mich gebeten, Goliath etwas zu schonen, es geht ihm nicht besonders gut. Bitte erwähnt die Sache mit Junkers nicht mehr, ja?»

«Och, nein, darauf habe ich mich besonders gefreut», meinte Marcus mit gespielter Enttäuschung.

«weißt du, Lena, die Sache ist die», begann Frank zu erklären, der Lenas fragender Blick nicht entgangen war und erzählte ihr die Geschichte von Reiner Mattkes Sabotage an seinem Konkurrenten Falk Junkers. Kaum hatte er geendet, tauchten auch schon die Nachtwölfe auf, gekleidet in dunkelgraue Overalls, die Lasergewehre lässig über die Schultern gelegt und bereit, ihre Gegner fertig zu machen. Man stand auf und begrüßte sich standesgemäß, der vorderste Nachtwolf begann als erster:

«Schau mal an, wer da ist: Die Freibierer!»

Lena erkannte Thorben von Hanisch, offenbar der Chef der Truppe.

«Und sie haben auch ihre Geheimwaffe mitgebracht, es ist ein kleines Taschenmesser!» Brüllendes Gelächter der Nachtwölfe, auch Lena stimmte mit ein, obwohl sie das Ziel des Spottes war. Schlagfertig konterte sie:

«Ja, man glaubt kaum, was man mit einem Taschenmesser so alles machen kann. Zum Beispiel Flaschen öffnen!» Dabei zog sie von Hanisch den Reißverschluss am Hals ein wenig nach unten.

«Puuh!» Die Nachtwölfe hatten einen Treffer abbekommen.

«Ha, ha, der war gut, Lena», sagte Marcus anerkennend.

Die Wortschlacht ging noch eine Weile hin und her und nachdem die Teams vor ihnen die Halle verlassen hatten, war es Zeit für ihr richtiges Gefecht. Jürgen erklärte Lena kurz seine Strategie. Sie sollte sich im Hintergrund halten und erst eingreifen, wenn jeder ihres Teams schon einige Treffer abbekommen hatte.

«Du bist tatsächlich unsere Geheimwaffe, Lena. Die Gegner werden dich unterschätzen und das ist unser Vorteil. Ich weiß, dass du’s draufhast, Kleine.»

Es herrschte nur dämmriges Licht, eine gespenstische Stille legte sich über die Szenerie. Lena kauerte sich hinter eine Wand, sie fühlte eine kribbelnde Erregung aufsteigen, der Körper schüttete Adrenalin aus. Wenige Sekunden später ertönte ein Hornsignal, die Jagd war eröffnet.

Während ihre Kameraden entschlossen vorwärtsstürmten, schlich Lena wie eine Katze von Deckung zu Deckung und hielt Ausschau nach ihren Gegnern. Sie blickte auf das Lasergewehr, jedes hatte nur dreißig Schuss «Munition» zur Verfügung, es gab dafür eine Anzeige, wie viele noch übrig waren.

Schon krachten die ersten Schüsse durch die Halle, die Spieler lieferten sich in der Mitte ein Gefecht, Lena hielt sich wie abgemacht zurück. Eine graue Gestalt kletterte nur wenige Meter entfernt über ein Hindernis und ließ sich zu Boden fallen. Blitzschnell hob Lena die Waffe, zielte mit dem Laserpunkt auf den Körper und drückte ab. Ha, der hat gesessen, dachte sie und machte sich gleich aus dem Staub. Es war nicht möglich, mehrere Schüsse aufs Mal abzugeben, es gab eine Verzögerung von zehn Sekunden bis zur nächsten Schussfreigabe. Der getroffene Gegner heftete sich nun an Lenas Fersen und verfolgte sie rachedurstig. Das war sein Verhängnis, er lief einem Freibeuter direkt vor die Flinte, er erhielt einen weiteren Treffer.

Jetzt war Lena wieder am Zug, sie drehte sich um und verpasste ihm den letzten Schuss. Der Helm des Nachtwolfs leuchtete hell auf. «Game over!», rief sie begeistert. In diesem Moment krachte es, ein elektrischer Schlag durchzuckte ihren Körper und sie wusste, dass sie getroffen war.

Scheisse, schnell weg hier, zehn Sekunden Zeit für eine Deckung. Sie hastete zu einer Säule und machte sich ganz schmal, um sich dahinter zu verbergen. Gleich darauf sah sie den Schützen, er lag bäuchlings oben auf einer Plattform. Schwierig zu treffen, dachte Lena. Sie packte einen Stein aus Kunststoff und schleuderte ihn zu dem Mann hinauf. Jetzt hatte sie zwar ihren Standort verraten, doch der Heckenschütze zuckte zusammen und zog sich ein wenig zurück. Von der anderen Seite peitschte ein Schuss und getroffen musste auch er das Spielfeld verlassen.

Da waren’s nur noch drei. Flink wie ein Eichhörnchen hüpfte sie über die Hindernisse, auf der Suche nach weiteren Gegnern. Dann stolperte sie fast über den am Boden liegenden Frank, sein Helm leuchtete hellrot und er rief ihr zu: «Ich bin draußen, mach sie alle, Lena!»

Nach weiteren acht Minuten hitzigen Gefechts hatte sie keinen einzigen Schuss Munition mehr, zwei eigene Treffer und einen letzten Gegner.

Reiner fluchte leise vor sich hin.

Dieser Tag war ohnehin schon schlecht für ihn gelaufen, jetzt drohte das endgültige Fiasko. Thorben, Zöllner, Pitt und Heiko waren alle draußen, das Team Nachtwölfe war dabei zu verlieren wegen einem kleinen Mädchen. Er blickte auf die Anzeige seiner Waffe, nur noch ein einziger Schuss übrig, bei zwei eigenen Treffern.

Wird knapp, aber es könnte gehen. Dann richtete er sich auf und suchte seine Gegnerin. Er vermutete sie hinter einer großen Röhre, doch er war nicht sicher, deshalb rief er:

«Hey, Taschenmesser, wie viel Schuss hast du noch?»

«Einen mehr als du, Tiefflieger!», kam ihre freche Antwort.

Die ausgeschiedenen Team-Mitglieder starrten währenddessen im Zuschauerraum auf die Monitore, riefen wild durcheinander und feuerten ihre Mitspieler an, die es natürlich nicht hören konnten. Die verbliebene Schusszahl der Kämpfer war oben eingeblendet, ebenso die Zeit. In weniger als zwei Minuten war das Spiel vorbei.

Lena blieb nichts anderes übrig, als sich zur gegnerischen Flagge durchzuschlagen und so noch einen Punkt zu holen. Offenbar verfügte ihr Feind noch über einige Schuss, sonst würde er dasselbe machen, denn sie waren nah an der Flagge der Freibeuter. Sie legte ihr Lasergewehr ab und versuchte unbemerkt wegzuschleichen. Als Mattke sah, was sie vorhatte, nahm er sofort die Verfolgung auf; er wusste nun, dass immer noch eine gute Chance bestand zu gewinnen.

Lena erreichte jetzt die drei Meter hohe Schrägwand, die sie zu erklimmen hatte, darüber ein Bildschirm mit dem grau-blauen Zeichen der Nachtwölfe.

Nur noch dreißig Sekunden.

Lena sprang in die Wand, krallte sich an die Vorsprünge und kletterte nach oben. Jetzt war sie ihrem Gegner schutzlos ausgeliefert, sein Laserpunkt hüpfte um ihren Körper herum und suchte sein Ziel. Im richtigen Moment ließ sie sich zu Boden fallen, ein Schuss krachte, sie spürte keinen Schock – daneben!

Hoffentlich war das der letzte! Noch einmal die Wand hoch, schnell, bis ganz nach oben, sie streckte ihren Körper durch und berührte die Flagge, kurz darauf ertönte die Sirene, das Spiel war vorbei!

Jubelnd und schreiend stürmten ihre Kameraden herein - sie hatten gewonnen! Lena wurde auf Schultern aus der Halle getragen, im Zuschauerraum wurden sie von begeisterten Gratulanten empfangen. Reiner trottete enttäuscht hinterher, sein Team klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken:

«Das war ja so knapp, Goliath, fast hätten wir es geschafft.»

«Die hatten einfach viel mehr Glück heute.»

«Mann, Mann, wir haben die Kleine wohl etwas zu wütend gemacht, ha, ha.»

Nach dem Umziehen setzten sich alle zehn an einen Tisch und bestellten das Bier, dazu wurde ein Korb mit knusprigen Bretzeln aufgetragen. Alle nahmen sie ihre grossen Glaskrüge in die Hand und grölten ihren Trinkspruch:

«EHRE! KAMERADSCHAFT! TREUE ÜBER ALLES! PROOOOOOOOST!» Die Humpen wurden krachend zusammengestoßen, dass das Bier aufspritzte.

«Ich glaube», verkündete Thorben nach dem ersten Schluck, sich erhebend, «wir haben uns noch gar nicht korrekt vorgestellt bei Lena. Das da», er wies auf einen Mann mit struppigem Blondhaar und gerötetem Gesicht, «ist Pitt, er ist mein Bordschütze. Daneben haben wir Heiko, ebenfalls ein Schütze.» -

- «Aber offenbar kein guter», lachte Heiko.

Lena schüttelte jedem die Hand.

«Und mich kennst du ja schon. Das hier ist Zöllner, unser Schützenkönig. Bitte frag ihn nicht nach seinem Vornamen, er ist da etwas empfindlich.»

«Er heißt Jo-na-than!» Marcus gab wieder mal das Kameradenschwein.

«Das ist doch ein schöner Name, was hast du dagegen?», fragte Lena amüsiert.

Zöllner wackelte ungeduldig mit dem Kopf und lenkte die Aufmerksamkeit auf seinen Nachbarn, dem er seinen Arm um die Schultern legte und sagte:

«Ja, und hier haben wir unseren Goliath, den Reiner. Spitzenpilot und gerade wieder zu haben. Komm, gib der jungen Dame die Hand, sie ist unbewaffnet.» Seine Vorstellung wurde von allgemeinem Gelächter begleitet. Reiner saß Lena genau gegenüber und streckte ihr verlegen grinsend die Hand entgegen.

«Hallo Reiner, freut mich sehr, einen Spitzenpiloten kennenzulernen.» Die Berührung seiner Hand löste etwas wie einen elektrischen Schlag im Innersten aus. Sie blickte ihn an; Strähnen seines Blondhaares hingen ihm über die hellen Augen, und zusammen mit dem Stoppelbart gab ihm das ein ziemlich verwegenes Aussehen.

Ich hoffe, er hasst mich jetzt nicht, weil ich ihn im Gefecht geschlagen habe, dachte Lena. Sie fühlte sich auf seltsame Weise von ihm angezogen.

«Man sagte mir, du bist Trägerin des Titanium-Kreuzes. Das erklärt wohl, warum du uns alle zur Schnecke gemacht hast», meinte ihr Gegenüber anerkennend.

Jetzt war Lena verlegen. «Na, ja, so eine Auszeichnung sagt doch nicht viel aus.»

«Nur mal nicht so bescheiden, Lena», mischte sich Jürgen ein. «Du bist eine Heldin der Schlacht von Andromeda. Bitte erzähl uns doch davon.»

«Oh, nein, vielleicht ein andermal. Ich möchte diese gute Stimmung nicht verderben.»

«Sie hat Recht, Kameraden, Krieg ist kein Gesprächsthema, wenn man feiert. Prost!» Zöllner hatte es schon wieder geschafft, das Thema zu wechseln. Nach einer knappen Stunde mit weiteren, belanglosen Plaudereien stand Reiner auf.

«Leute, ich hatte heute einen harten Tag, ich melde mich ab. Hier ist noch das Geld, Jürgen, stimmt so.» Er warf ihm einen Schein zu.

Lena ergriff die Gelegenheit, um sich ebenfalls zu verabschieden, denn es war schon spät und sie wollte am nächsten Morgen ausgeruht zur Arbeit erscheinen.

«Reiner, jetzt bringst du die Dame aber bis vor ihre Haustür, ja?» Marcus nutzte die Gelegenheit für einen letzten Triezer. «Nicht, dass sie uns noch verlorengeht, wir brauchen sie morgen wieder auf der Humboldt.»

Als ob die Dame meine Begleitung nötig hätte. «Aber selbstverständlich. Komm, Lena, ich führe dich zu deinem Haus.» Artig bot er ihr den Arm zum Einhaken an, setzte die Mütze auf und grüßte zum Abschied.

Als sie draußen waren meinte Zöllner: «Seht sie euch an, die beiden wären doch ein hübsches Pärchen, nicht wahr?»

Es war Nacht geworden in Freistadt, Straßenlaternen leuchteten, der wolkenlose Kunsthimmel war mit blinkenden Sternen übersät, einige späte Heimkehrer kreuzten ihren Weg. Lena sah sich die hübschen Häuser an und meinte: «Das ist ein wunderbarer Ort zum Leben. Bist du eigentlich hier auf Ceres geboren?»

«Oh, ja. Mein Elternhaus steht aber weiter weg, gleich neben dem Park. Ich bin auch hier zur Schule gegangen, habe Antriebstechnik studiert und bin dann später als Rekrut bei den Nachtjägern gelandet.»

«Dann leben deine Eltern auch noch hier?», fragte Lena neugierig weiter.

«Leider nicht mehr, sie sind weit draußen im Okteiron-Sektor und helfen mit, eine neue Kolonie aufzubauen, sie sind im Planungs-Stab. Manchmal kommen sie her für einen Besuch, aber leider viel zu selten.»

Lena bemerkte eine gewisse Traurigkeit in seiner Stimme, sie wusste, dass er Sorgen hatte. Die Junkers-Affäre.

Reiner begann jetzt seinerseits, Lena Fragen zu stellen. «Wo warst du eigentlich stationiert, bevor du nach Ceres gekommen bist?»

«Gar nicht weit von hier, irgendwo im Kuiper-Gürtel. Ich habe ein kleines Sammelschiff geleitet. Wir hatten die Aufgabe, Metallteile, Trümmer und andere Wertstoffe aufzunehmen. Das wurde dann im Schiff sortiert und eingeschmolzen. Es war der beste Job, den ich je gemacht habe, wir hatten ein wirklich tolles Team.»

Reiner runzelte die Stirn, als denke er angestrengt nach. «Also wurdest du nicht freiwillig nach Ceres versetzt?»

«Doch, ich bin von Kapitän Strehlau angefragt worden, ob ich Funkerin auf seinem neuen Frachtschiff werden wolle.»

«Und was hat dich überzeugt es anzunehmen? Ich meine, es ist ja ein Abstieg.»

«Tja, es war schon eine schwere Entscheidung. Ich war Kapitän, ich hatte Ansehen, Freunde; eigentlich wollte ich gar nicht weg. Irgendwie hat mich dann aber das Neue gereizt, die Aussicht auf eine eigene Wohnung, ein Leben in der Stadt und eine Arbeit, bei der man zu fernen Welten fahren kann, die Erde sehen…» sie brach ab.

«Ja, ich kann dich verstehen, Lena, das sind schon eine Menge Gründe.» Irgendwie wurde ihm dieses Mädchen immer sympathischer.

Sie standen jetzt vor dem großen Personalhaus der Interplanetaren Handelsgesellschaft, wo Lena ihre Wohnung hatte.

«Da wären wir. Also, vielen Dank für deine nette Begleitung, Reiner.»

Mattke bemerkte plötzlich, dass seine Blase heftig drückte, etwas verschämt fragte er: «Ähm, dürfte ich bitte kurz deine Toilette benutzen? Weißt du, das Bier…»

Lena hatte im Laufe der Jahre ein untrügliches Gespür dafür entwickelt, ob ein Mann ihr an die Wäsche gehen wollte oder nicht. Bei diesem hier konnte sie mit gutem Gewissen sagen: «Ja klar, kein Problem, komm nur herein.»

In der Wohnung stellte Lena das Radio an und öffnete den Kühlschrank; sie hatte wieder Hunger bekommen. Als Reiner aus dem Badezimmer trat, blieb er vor Lena’s aufgehängter Uniform stehen und betrachtete nachdenklich den kreuzförmigen Orden, der wie eine zu große Halskette vom Kragen hing.

«Ich frage mich, wie du dich entscheiden würdest», sagte er leise, wie zu sich selbst. Und dann, etwas lauter: «Lena, sage mir ehrlich, was bedeutet dir diese Auszeichnung wirklich, hat sie dein Leben verändert?»

Sie trat zu ihm und folgte seinem Blick, hin zu diesem kleinen Stück Metall, dem sie so viel zu verdanken hatte.

«Sie ist der Schlüssel zu DEINER Welt, Reiner, einer Welt, in der Menschen wie ich immer nur zweitklassig sein können, weil sie von der Erde stammen und die falsche Haarfarbe haben. Dank dieser Auszeichnung bin ich endlich da angekommen, wo du schon seit Geburt an bist: Ich werde respektiert und habe eine Arbeit, die mich erfüllt. Kapitän Strehlau hat mir gesagt, ich solle das Kreuz jeden Tag tragen, damit seine Männer immer daran erinnert werden wie sich eine hervorragende Leistung auf das Leben auswirkt. Deshalb wollte er mich unbedingt dabeihaben.»

Langsam, fast schwerfällig drehte sich Reiner um, setzte sich auf das Sofa und begann zu erzählen. Davon, dass er zu einer gefährlichen Mission auf einen Wüstenplaneten geschickt werden würde, als Rehabilitierung für eine Dummheit, die er begangen hatte. Die andere Möglichkeit bestand darin, die Mission abzulehnen und fortan auf eine Karriere als Nachtjäger zu verzichten. Er legte das Gesicht in die Hände und seufzte.

Lena empfand Mitleid mit diesem jungen Mann, den sie erst seit kurzem kannte. Natürlich waren die Bürger von Ceres mit allen Privilegien ausgestattete Leute, trotzdem verlangte dieses System auch von ihnen unbedingten Gehorsam, großen Einsatz und eine gewisse Opferbereitschaft.

«Wenn du ablehnst, kannst du ja immer noch als Antriebs-Techniker arbeiten, auch da kann man Karriere machen. Oder du könntest Pilot eines großen Raumschiffes werden, dazu bräuchtest du nur eine kleine Umschulung», sagte Lena hoffnungsvoll.

«Ich hätte auch kein Problem damit, etwas anderes zu machen. Der Punkt ist, dass ich dann für alle Zeiten als Versager gelte, diesen Stempel wird man nie wieder los, weißt du.»

«Wäre das denn wirklich so schlimm? Am Anfang sicher, aber nach einer gewissen Zeit wird man es vergessen haben.»

Reiner hatte offenbar andere Ansichten, er schien jetzt sogar wütend zu werden. «Du hast gut reden, du hast ja schon eine Auszeichnung und einen angenehmen Job. Außerdem wirst du ja sowieso in ein paar Jahren wieder auf die Erde geschickt, hast ja einen zwanzig-Jahre-Vertrag. Ich kann mich nicht verkriechen, ich bleibe hier ein Leben lang und das sind noch gut 100 Jahre!»

Jetzt war auch Lena wütend geworden. «Umso mehr ein Grund, sein langes Leben nicht sinnlos aufs Spiel zu setzen!», sagte sie etwas lauter als beabsichtigt.

Reiner stand abrupt auf. «Was rede ich mit einem Mädchen? Jemand wie du versteht sowieso nicht, wie es hier läuft, in MEINER Welt! Es war ein Fehler, dich zu fragen. Ich werde jetzt besser wieder gehen.» Er wandte sich um und ging zur Wohnungstür.

Lena fühlte sich elend, so ein Ende hatte sie sich nicht gewünscht.

«Es tut mir leid, dass ich nicht die Meinung habe, die du hören willst, Reiner», sagte sie traurig und wütend zugleich.

Er öffnete die Tür und hielt kurz inne. «Gute Nacht, Lena.» Dann trat er hinaus und schloss hinter sich behutsam zu.

Himmel und Erde

Der Wecker schrillte um sieben Uhr und riss Lena aus dem Schlaf, trotzdem hatte sie das Gefühl, diese Nacht kein Auge zugetan zu haben. Mühsam stemmte sie sich vom Bett hoch und schlurfte zum Badezimmer, wo sie sich unter die Dusche stellte.

Vergiss diesen Reiner, sagte sie sich, er muss mit seiner Entscheidung selber klarkommen. Freu dich lieber auf den heutigen Tag: Es geht zur Erde!

Lena kam im Morgenmantel aus dem Bad und betrachtete das Poster an der Wand über dem Wohnzimmer. Es zeigte einen kleinen See, gesäumt von gelben Lärchen und dahinter einen spitzen, schneebedeckten Berg vor einem blauen Himmel, - Eine Fotografie von der Erde.

Lena wusste zwar, dass sie von dort stammte, besaß jedoch keinerlei Erinnerungen daran; diese wurden gelöscht, kurz nachdem man sie entführt hatte. Man sagte ihr mehrmals, man werde sie nach zwanzig Jahren wieder zurückbringen, den Körper verjüngen, und es sei für sie, als ob sie niemals weg gewesen wäre.

Damals war sie noch ein Kind, neun Jahre alt, ein Kind mit einer seltenen Begabung. Sie konnte in Gedanken zu verschiedenen Orten reisen und sehen, was dort vor sich ging. Diese Fähigkeit wurde von ihren Entführern gefördert und genutzt zum Zweck der Spionage. Viele Jahre verbrachte sie in einer geheimen, unterirdischen Anlage, isoliert von der Außenwelt, zum Nutzen des Systems. Bis zu dem Tag, an dem etwas gründlich schief ging. Sie hatte den Auftrag, ins Innere eines bestimmten Planeten zu sehen und nach einem Artefakt zu suchen. Als sie in ihrem Geist eine steinerne Kammer betrat, sah sie einen grellen Lichtblitz und fühlte einen so heftigen Schmerz im Kopf, dass sie bewusstlos zu Boden sank. Von da an war ihre Fernwahrnehmung für immer zerstört worden.

Man hatte jetzt keine Verwendung mehr für sie und verkaufte die jugendliche Frau an die Kolonisten. In einer Fabrik auf dem Mars musste sie zehn Stunden täglich als Zwangsarbeiterin schuften. Der Vorarbeiter, ein junger Mann, hatte es auf sie abgesehen. Als sie sich wehrte kam es zu einem heftigen Kampf und einem Sturz, bei dem der Vorarbeiter sein Leben einbüßte. Als man sah, was Lena getan hatte, stellte man sie vor die Wahl: Entweder ein schneller Tod oder eine Ausbildung zur Soldatin. Sie wählte das letztere.

Auch ich musste folgenschwere Entscheidungen treffen, dachte Lena, und ich habe in meinem Leben schon viel mehr durchgemacht als dieser kleine Nachtwaffenschnösel. Es machte sie wütend, dass Reiner in ihr nur ein junges Mädchen sah, das von Pflicht und Ehre nichts verstand.

Sie bereitete sich Toast mit Butter und Honig und dazu eine Tasse Tee. Kurz nach halb acht machte sie sich fertig, bereit für einen neuen Tag auf dem Frachtschiff.

Im Treppenhaus traf sie auf ihre Kollegin Marietta, die ebenfalls zur Humboldt aufbrechen wollte. Sie war glänzender Laune und fragte Lena nach ihrem gestrigen Abend. Während sie redeten, marschierten sie gemeinsam durch Freistadt, zum Lift, der sie nach oben bringen sollte.

«Und?», fragte Marietta neugierig, «hast du eine nette Mann kennen gelernt?»

«Oh, sie waren alle ganz nett, wir haben zusammen einen lustigen Abend verbracht, ich habe schon lange nicht mehr so viel gelacht wie gestern.» Sie verspürte immer noch ein wärmendes Gefühl, wenn sie sich daran erinnerte, wie sie nach dem Sieg auf den Schultern ihrer Kameraden aus der Halle getragen wurde, oder an die witzigen Gespräche beim Biertrinken.

Die beiden jungen Frauen betraten den geräumigen Aufzug und setzten sich. Um diese Zeit waren immer besonders viele Leute unterwegs zur Arbeit.

Lena wollte ihre Kollegin etwas fragen, über das sie heute Morgen nachgedacht hatte. «Marietta, warum arbeiten du und Luigi bei der Stählernen Flotte, seid ihr freiwillig hergekommen oder hat man euch entführt?»

«Ha, ha, entführt, cara mia! Nein, wir stammen aus spezielle Familien in Italien, wir haben schon immer gewusst, wie es auf der Welt läuft, wir kennen Geheimnisse, weißt du.» Marietta fing jetzt an, leiser zu sprechen. «Unsere Väter sind Mitglieder in geheimen Zirkeln. Dort wird man in die wahre Geschichte von Erde eingeweiht und die Kinder haben die Möglichkeit im Weltraum zu arbeiten. Ich habe Vertrag unterschrieben für zehn Jahre Dienst. Dann komme ich wieder auf Erde zurück, genau zu der Zeit, wo ich weg bin. Ich werde verjüngt, aber leider ohne die Erinnerung, das ist Teil von Vertrag, aus Sicherheit.» Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. «Aber du kommst ja auch wieder zurück, nicht wahr?»

«Ich hoffe es», entgegnete Lena. Sie war sich da gar nicht so sicher, ob das auch für Entführte galt. Jedenfalls hatte auch sie einen Vertrag, aber für zwanzig Jahre.

«Bestimmt, Lena», machte sie ihr Mut. «Du wirst dich an gar nichts mehr erinnern, du wachst als Kind in deine Bett auf und denkst: Was für eine seltsame Traum.»

Lena lächelte ihre Kollegin an, sie war wirklich goldig. Für sie war das hier das Abenteuer ihres Lebens; für andere, die nicht das Glück hatten, in einer speziellen Familie geboren zu werden, ein einziger Albtraum. Sie dachte da an die vielen Zwangsarbeiter, die auf den unzähligen Baustellen arbeiten mussten, oder an junge Frauen, die man als Prostituierte in den Nachtclubs einsetzte. Ja, auf Ceres gab es offenbar auch solche Einrichtungen, sie hatte die Offiziere im Schiff darüber reden gehört.

Nachdem sie vom Lift ausgestiegen waren und den Zentral-Platz überquerten, fiel Lena eine absonderliche Gestalt auf: Ein über zwei Meter großer Drakonier, der von sechs bewaffneten und vermummten Männern der berüchtigten KK-Abteilung (Kampf-Kommando) eskortiert wurde. Sie hatte auch schon Drakonier gesehen, doch der Anblick war jedes Mal einschüchternd. Sie gehörten zu einer reptilienartigen Rasse von Außerirdischen, hatten eine schuppige Haut, eine längliche Schnauze mit spitzen Zähnen und große, gelbe Augen. Sie waren die stärksten Verbündeten der Stählernen Flotte, doch es waren grausame, gefühlskalte Wesen, die sich manchmal sogar das Recht herausnahmen, Menschen zu verschlingen. Doch darüber redeten die Kolonisten sehr ungern und nur hinter vorgehaltener Hand.

Nach einer weiteren, kurzen Tunnelbahnfahrt erreichten sie den Hangar mit der Wilhelm von Humboldt. Sie betraten das Schiff durch einen rundum geschlossenen Verbindungsgang und wenig später versammelte Kommandant Degendorff die wichtigsten Leute der Mannschaft zur Einsatzbesprechung im Raum hinter der Brücke. Dabei wurde eine strenge Ordnung eingehalten: Kapitän und Offiziere standen ganz vorne, dahinter die rangniederen wie Lena und Marietta und ganz hinten schließlich die Vorarbeiter der Laderäume. Wer wenig oder kein Deutsch verstand, klemmte sich den Universalübersetzer ins Ohr.

«Guten Morgen allerseits! Da wir gestern noch technische Probleme mit den Portal-Streamern hatten, werden wir heute umdisponieren und deshalb haben wir ausschließlich Ziele im Sonnensystem. Wir werden die Marsbasis Rotenstein und Pescado Azul auf der Erde anfliegen. Macht das Schiff startklar, wir werden in genau zehn Minuten den Hangar verlassen.»

Ein Jeder ging an seinen Arbeitsplatz und der Tag konnte starten. Die Piloten übernahmen die Steuerung, sie folgten dabei den Anweisungen von Kapitän Strehlau, dem die technische Leitung des Schiffes oblag. Er hatte an seinem Arbeitsplatz nicht nur große Bildschirme, sein wichtigstes Instrument war die Uhr, denn sobald man Portaltechnologie benutzte, war der exakte Zeitpunkt von Start und Rückkehr das wichtigste überhaupt.

«Disziplin und Pünktlichkeit waren schon immer unsere Stärken, Fräulein Preuss», hatte ihr der Kapitän gestern während der Heimfahrt stolz verkündet. «Wir sind ganz besonders dazu prädestiniert, eine wichtige Rolle in der Raumfahrt zu übernehmen, denn nur wer die Zeit im Griff hat, kann ein Raumschiff durch Raum und Zeit lenken. Merken Sie sich das, Fräulein Preuss: Pünktlichkeit ist alles.»

Der Grund für diese Zeit Fixiertheit war das Reisen mittels Portaltechnologie. Als hochmodernes Raumschiff war auch die Wilhelm von Humboldt in der Lage, ein starkes Energiefeld zu erzeugen, das sich schließlich zu einem Wurmloch öffnete, durch welches man in andere Galaxien reisen konnte. Damit war es nicht nur möglich den Raum zu überwinden, auch die Zeit konnte so beeinflusst werden. Doch es gab universelle Regeln, an die sich alle zu halten hatten, wollten sie nicht empfindliche Strafen riskieren. Es war niemandem gestattet die Vergangenheit zu verändern und wieder in die Zukunft zu reisen. Aber es existierte diese sogenannte fünf-Minuten-Regel. Sie besagte, dass man nicht mehr als fünf Minuten früher zurückkehren durfte, als man gestartet war. Für diese kurze Zeitspanne war die Humboldt gleich zweimal vorhanden, sie befand sich in einem sogenannten Zeit-Paradoxon. Sie konnten sie aber nicht sehen, denn wenn das Schiff zurückkehrte, befand es sich stets auf der