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Seit Jahren sind die beiden Bergbauernfamilien der Stuffners und der Moars verfeindet. So erbittert ist die Gegnerschaft, dass die Kinder der beiden Nachbarhöfe nicht einmal miteinander sprechen dürfen. Doch das Schicksal will es, dass Markus Stuffner und Christine Moar eines Tages zusammentreffen und zueinander finden. Natürlich darf niemand von ihrer Liebe wissen.
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LESEPROBE ZU
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2004
© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
www.rosenheimer.com
Titelbild: Studio von Sarosdy, Düsseldorf
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
eISBN 978-3-475-54738-6 (epub)
Hans Ernst
Die Stuffners
Seit Jahren sind die beiden Bergbauernfamilien der Stuffners und der Moars verfeindet. So erbittert ist die Gegnerschaft, dass die Kinder der beiden Nachbarhöfe nicht einmal miteinander sprechen dürfen. Doch das Schicksal will es, dass Markus Stuffner und Christine Moar eines Tages zusammentreffen und zueinander finden. Natürlich darf niemand von ihrer Liebe wissen.
Im Gasthof »Zur Post« in Miesbach saß der Stuffnerbauer Thomas Niederegger am langen Bauerntisch. Bei ihm hockten der Viehhändler Raggl aus Elbach, der Asam von Wengberg und der Dollinger von Parsberg.
Vor den vieren lagen Schreibtafel und Kreide, in der Mitte stand ein halbgeleerter Maßkrug. Sie frönten an diesem sonnigen Maiennachmittag dem »Watten«, und auf der Rückseite der Tafel standen bereits acht Striche, von denen jeder eine Maß Bier bedeutete.
Es war drei Uhr nachmittags. Sonst war niemand in der Gaststube. Kathi, die Kellnerin, ein junges, frohgemutes Ding, putzte hinter der Schenke mit Bimsstein und Sand die Bestecke vom Mittag. Manchmal hob sie gähnend die Hand vor den Mund und schaute dann zu den Kartenspielern hinüber, ob der Krug schon leer sei, oder sie wog bedachtsam ab, wer von den vier Mannsbildern ihrem Geschmack am nächsten käme. Natürlich gar keiner, denn sie waren alle verheiratet. Aber wenn es drauf ankäme – der Stuffner, das war schon einer, bei dem es sich lohnte, länger hinzuschauen. Ein Bauernmensch voll üppiger Kraft, mit einem schmalen, braungebrannten Gesicht. Das dunkle, volle Haar war in der Mitte gescheitelt und zeigtenoch keinen grauen Schimmer, obwohl der Stuffner schon nahe am Fünfziger stand.
Soeben hob er seine dunkle, sonore Stimme und sah den Asam drohend an.
»Tu den Welle rauf, sonst werd’ ich ungemütlich!«
»Der muß mir tatsächlich ’nuntergerutscht sein«, verteidigte sich der Asam und legte den Schellensiebener gehorsam ins Spiel zurück.
»Dein ’nunterrutschen kenn’ ich schon!« antwortete der Stuffner und schaute scharf auf die Hände des Asam, der die Karten für ein neues Spiel mischte.
Der Maßkrug war wieder einmal leer, und der Dollinger lärmte:
»Sind wir vielleicht was schuldig, weil wir kein Bier mehr kriegen?«
»Ja, bis jetzt noch alles«, antwortete die Kathi und holte den Krug.
»Mir bringst eine Tasse Kaffee, Kathi«, verlangte der Stuffner.
»Ist recht, Herr Niederegger.«
So groß war die Scheu und die Ehrfurcht der Kathi vor diesem Mann, daß sie ihn mit »Herr« ansprach, obwohl in diesem Kreis alles geduzt wurde.
»Kuchen auch, Herr Niederegger?«
»Für mich nicht. Aber wenn du ein Stückl willst, das geht dann auf meine Rechnung. Mir bringst ein Salamibrot. Im übrigen – zwei Maß spiel’ ich noch mit, dann mag ich nicht mehr.«
Es blieb aber nicht bei den zwei Maß. Wenn derAsam und der Dollinger getrunken hatten, blieb für den Raggl bloß mehr ein kleiner Rest. Der Stuffner aber trank in kleinen Schlucken, ganz bedächtig, seinen Kaffee aus einer großen, bauchigen Tasse.
Und draußen blaute der schöne Maientag. Durch die geöffneten Fenster hörte man den Lärm vom Oberen Marktplatz her. Zuweilen verirrte sich ein Blütenblatt und taumelte herein.
So um vier Uhr herum öffnete sich die Tür, und ein großer, weißhaariger Alter betrat die Gaststube, zog bedächtig seinen dunklen Mantel aus und hängte ihn dann an den eisernen Kleiderständer. Dann nahm er bescheiden am hintersten Ecktisch Platz und fragte die Kathi, ob es noch was Warmes zu essen gäbe.
»Um die Zeit? Höchstens warme Würstl, oder kann sein, daß noch Lüngerl und Knödel da ist.«
»Das wär’ mir recht.«
»Ich schau’ gleich nach. Was zu trinken auch?«
Der Alte griff zuerst in seine Hosentasche und brachte ein paar Münzen zum Vorschein. Dann schüttelte er den Kopf.
»Geht nicht, wird grad’ zum Lüngerl reichen.«
Der Stuffner hatte, obwohl er spielte, alles genau verfolgt und sagte zur Kathi, als sie vorbeikam:
»Stell ihm eine Maß Bier hin auf meine Rechnung.« Dann fragte er den Dollinger: »Was ist das für einer?«
»Der Hias. Kennst ihn nicht?«
»Noch nie gesehen.«
»Das wundert mich aber. Der Hias ist doch weit und breit bekannt. Der ist ein ganz hervorragender Zimmermann. Bei uns hat er auch schon g’arbeit’, letztes Jahr im Herbst.«
»So einen könnt’ ich auch einmal brauchen. – Was hört man denn? Eichelachter? Gut, sag’ ich! Raus kommst du, Raggl!«
Vom Kirchturm schlug es bereits halb fünf, als der Stuffner die Karten hinwarf.
»Kathi, zahlen! Ich hab’ jetzt zwei Spielmaß, dann mittags den Sauerbraten, eine Tasse Kaffee, deinen Kuchen, die Maß für den da hinten und nichts mehr.«
»Das Salamibrot noch.«
»Ganz richtig! Ja, wenn’s halt leicht ging’! Was macht das zusammen?«
»Dreiundzwanzig Mark siebzig.«
Der Stuffner rechnete genau nach, zweimal sogar, dann griff er in die Hosentasche, legte sechsundzwanzig Mark hin und sagte:
»Rechne dem sein Lüngerl auch noch dazu, und was übrigbleibt, das gehört dir! Und dann werd’ ich’s langsam packen! Oder halt, ich muß noch schnell in die Apotheke!«
»Kann ich mitfahren mit dir?« fragte der Raggl.
»Von mir aus gern«, antwortete der Stuffner und blieb dann beim Hinausgehen vor dem Alten in der Ecke noch stehen. »Wenn du grad’ einmal in unsere Nähe kämst – ich bin der Stuffner vorm Wald. Bei uns wär’ einmal die Tenne zu sanieren, und da bräucht’ ich einen, der etwas von der Sach’ versteht.«
Der Zimmermann hob das hagere Gesicht mit den weißen Bartstoppeln. Er hatte ganz helle Augen und buschige Brauen darüber.
»Wenn ich in die Gegend komme«, sagte er, »erfragen werde ich dich dann schon.«
»Wenn du in Feilnbach fragst, kann es dir jedes Kind sagen.«
Der Stuffner tippte mit zwei Fingern an den Hutrand und ging hinaus.
Über dem Oberen Marktplatz lag die Sonne noch warm. Vom Waitzingerbräu her wehte ein süßlicher Duft von Hopfen und Malz, und vor dem Michaelsbrunnen saßen ein paar Rentner und bliesen den Rauch ihrer Pfeifen in die Luft.
Sie fuhren auf der Straße nach Parsberg dahin. Still und feierlich standen die Bäume auf der Straße nach Wörnsmühl, und die Leitzach plätscherte munter ihr Lied daneben her. Manchmal tat der Raggl einen Rülpser und meinte dann: »Das ist gut, wenn sich ’s Bier so umdreht im Magen.«
Dann kam einmal eine kleine Lichtung, in der ganz einsam, aber reich an weißen Blüten, ein wilder Kirschbaum stand. Der Stuffner betrachtete ihn im Vorbeifahren und sagte tiefsinnig:
»Bloß einmal noch auch so in der Blüte stehen!« »Geh«, lachte der Raggl. »Seien wir froh, daß wir die Blütezeit hinter uns haben! Das ganze Leben wird ruhiger, wenn man das alles hinter sich hat.« »Ja, bei dir ist die Blühzeit schon längst vorbei,und soweit ich mich erinnern kann, den Teufel hast du auch nicht zerrissen, als du jung warst.«
Der Raggl fuchtelte mit seiner kleinen Gerte, die er immer bei sich trug, umeinander und sagte verschnupft:
»Die Chancen hab’ ich freilich nicht gehabt wie du. Dir sind ja die Weiber nachg’rennt wie dem Rattenfänger von Hameln.«
»Aber als ich geheiratet hab’, war Schluß. Außer meiner Mirl hab’ ich keine mehr angeschaut.«
»Das wär’ dir auch grad’ noch abgegangen! So eine wie deine Bäuerin findet man auch nicht leicht.«
Sie kamen jetzt aus dem Wald heraus, es war alles wieder viel heller und freundlicher. Schmeichlerisch vergoldete das Abendrot die fernen Häuser und den Kirchturm von Hundham. Überall in den Gärten standen in üppiger Pracht die blühenden Bäume.
»Wenn nichts mehr darüberkommt, gibt es viel Obst heuer«, nahm der Stuffner wieder das Wort.
»Brennst du noch allweil Schnaps?« wollte der Raggl wissen.
»Seit zwei Jahren darf ich wieder. Haben mir doch die Konzession gesperrt damals, als die Moarin mich beim Zoll verdächtigt hat, ich hätte schwarz gebrannt.«
»Ja, ja, die Moarin!« kicherte der Raggl. »Die hat Haar’ auf den Zähnen! Und die Laus schindet sie um den Balg. Hab’ ich ihr kürzlich ein Stierl abgekauft – mit knapper Not, daß ich nicht draufzahlt hab’.«
»Und das will bei dir was heißen.«
Im abendlichen Frieden lag nun das Dorf Elbach vor ihnen. Auf einer Hausbank saß ein altes Mutterl mit einem Kind auf dem Schoß. Ein Hofhund schoß kläffend auf die Straße, daß der Stuffner bremsen mußte. Mit dem Brevier in den Händen stand der Pfarrer an der Kirchhofsmauer und schaute in die untergehende Sonne.
»Wo möchtest denn aussteigen?« fragte der Stuffner.
»Am besten ist’s, du hältst beim Wirt. Ich hab’ schon wieder Durst. Kauf dir halt auch noch eine Halbe.«
»Menschenskind«, überlegte der Stuffner, »ich bin schon seit früh um fünf Uhr auf dem Weg!«
»Ah geh, was versäumst denn heut’ noch! Deine Buben sind ja schon groß, und du gehst ja gar nimmer ab daheim.«
»So schaust du grad’ aus! Aber eigentlich hab’ ich auch Durst.«
Sie hielten vor dem Wirtshaus, und weil so ein warmer Abend war, blieben sie gleich im Freien sitzen.
»Daß wir nochmals darauf zurückkommen«, begann der Raggl, nachdem er getrunken hatte. »Wegen was bist du eigentlich mit deiner Nachbarin zerkriegt?«
Der Stuffner blies bedächtig den Schaum von seinem Krügel und nahm einen kleinen Schluck.
»Das wäre eine lange Geschichte. Aber so richtig losgegangen ist es erst, als ich bei ihr über die Mark gekommen bin.«
»Hat sich’s da nicht um etliche Bäum’ gedreht?«
Der Stuffner nickte.
»Sechs Stück waren es. Ich weiß es noch gut, am siebten Dezember ist es gewesen. Ich wollt’ in der Früh mit meine Knecht in den Wald ’nauf zum Holzschlagen, dann bin ich aufgehalten worden, weil eine Kuh nicht kälbern konnte. Und ich selber war auch nicht recht beieinander. Sie sollen derweil allein anfangen, hab’ ich gesagt. Und wie es der Teufel haben will, kommen sie über die Mark und schneiden beim Moar sechs Bäum’ um. Es hat auch schon alles zusammengepaßt damals. Am Nachmittag haben sie mich nach Aibling gebracht, den Blinddarm ’rausschneiden. Und wie ich nach vierzehn Tag wieder heim’kommen bin, liegt eine Anzeig’ da wegen Holzdiebstahl. Kannst dir denken, wie blöd ich geschaut hab’.«
»Hätte sich das nicht anders regeln lassen?«
»Freilich hätte man das anders abmachen können! Zunächst hätte man mich überhaupt zu der Sache einmal einvernehmen müssen. Ich hab’ ihnen dann sechs gleichwertige Bäume aus meinem Wald angeboten. Aber er, der Moar, hat ja nichts zu reden gehabt, und sie ist grad’ drauf versessen gewesen, mich zu ärgern. Ich hab’ dann den Schaden ersetzen müssen, und die Gerichtskosten haben sie mir auch noch aufgebrummt.«
»Ja, ja, wenn man einmal mit dem Gericht was zu tun hat«, sagte der Raggl und rief nach der Kellnerin, weil er schon ausgetrunken hatte. Bei der Gelegenheit fragte er auch, was es zu essen gäbe.
»Mir bringst auch einen weißen Preßsack in Essig und Öl«, schaffte der Stuffner an und fuhr dann in der Unterhaltung fort: »Grad’ gesucht hat sie allweil, ob sie mir nicht eins auswischen könnt. Als dann der Moar gestorben ist, vor acht Jahren, da hat sie sich’s verbeten, daß wir den Sarg hinunterfahren zum Friedhof, wie es von jeher nachbarlicher Brauch ist.«
»Ja, ja, ich kenn’ sie«, sagte der Raggl wieder. »Wie sind denn ihre Töchter?«
»Die Christa wär’ nicht unrecht und hat sich bildsauber zusammengewachsen. Aber die Monika ist ein Dotschen und genauso bissig wie die Alte.«
»Die Monika ist die ältere«, wußte auch der Raggl. »Die soll ja auch einmal den Hof kriegen, hab’ ich gehört. Und das wird gut sein, weil die sonst zu keinem Mann käm’.«
Die Kirchenglocke läutete zur Maiandacht, und auf der Straße wurde es lebendig. Kinder und größtenteils alte Leute eilten der Kirche zu.
Der Preßsack kam und auch die Milzwurst für den Raggl. Die Kellnerin stand eine Weile unter der Haustür und strich über ihren Kropf. Von einer Weide her kam sanftes Herdengeläut, und aus der geöffneten Kirchentür hörte man die Stimmen der Betenden.
Als die Kellnerin wieder verschwunden war, sagte der Stuffner:
»Und da soll man keine Feindschaft haben, heißt es allweil. Aber was willst denn machen, wenn dir die Feindschaft aufgedrängt wird!«
»Feindschaft ist ja keine Sünde«, meinte der Raggl.
»Sag das nicht! Als vor zwei Jahr in Au die Mission war, da hab’ ich bei einem Pater ’beicht’ und –«
»Bei dem Langhaxerten, der so scharf gepredigt hat?« unterbrach der Raggl.
»Nein, bei dem Kleinen mit dem Schneckerlhaar. Als ich alles gesagt hatte, fragte er mich, ob ich auch eine Feindschaft hätte. Ja, sag’ ich, mit der Moarin, meiner Nachbarin. ›Düse müssen Sü aufgeben‹, hat er gesagt, ›sonst kann ich Ihnen keine Absolution geben.‹ Wie hat er jetzt gleich gesagt? ›Feindschaft ist ein Stachel im Herzen der Menschen, und der muß heraus!‹«
»Hättest ihn gefragt, ob er die Moarin kennt.«
»Düse müssen Sü aufgeben«, wiederholte der Stuffner, und in seiner Stimme schwang schon wieder Ärger.
Der Raggl tunkte mit einer Semmel die Soße aus seinem Teller und sagte salbungsvoll:
»Weil sie ein Schtachel im Härzen der Mönschen ist.« Dann wechselte er das Thema: »Wie alt sind jetzt eigentlich deine Buben?«
»Der Markus ist jetzt vierundzwanzig, die Margret zwanzig und der Alois zweiundzwanzig.«
»Kannst stolz sein auf deine Buben.«
»No ja, ich bin soweit recht zufrieden mit ihnen. Sparsam sind sie, und in der Arbeit ist ihnen auch nichts nachzusagen.«
»Und im Raufen auch nicht.«
»Wenn es sein muß, werden sie sich schon wehren. Wär’ ja noch schöner, wenn sie nicht ein bissel mitmischen täten!«
»Ein bissel mitmischen ist gut! Ich hab’s schon gesehen voriges Jahr bei dem Trachtenfest in Bayrischzell. Der Markus, der hat sie aufgestemmt und zurückgeworfen, dem Alois in die Händ’ hinein, daß der bloß mehr zuzudreschen brauchte.«
»Und genau das Zudreschen hat mich tausend Mark Schmerzensgeld gekostet«, lachte der Stuffner. »Aber ich hab’s ihm nach und nach vom Taschengeld abgezogen, daß er das nächstemal drandenkt und weniger zuhaut. – Ruf die Kellnerin, ich möcht’ jetzt zahlen.«
Inzwischen war die Nacht gekommen. Sterne flimmerten am Himmel, und als der Stuffner den steilen Berg hinauffuhr, kam der Mond hinter den Bergen hervor und überschüttete alles Land mit seinem Silber.
So eine schöne Nacht möcht’ ich einmal beim Tag sehen, dachte er und lächelte über die Torheit dieses unmöglichen Wunsches. Nein, dachte er weiter, man soll nie das Unmögliche begehren. Das hatte er auch nie getan. Seine Wünsche waren immer in Grenzen gewesen. Aber wenn er sich einmal was vorgenommen hatte, dann hatte er stets seinen ganzen Willen dahintergesetzt, den schon so mancher zu spüren bekommen hatte. Nur der Moarin hatte er nie seinen Willen aufzwingen können. Die hatte einen genauso harten Schädel wie er. Hier prallte Eisen gegen Eisen. Das gab einen bösen Klang, aber es hinterließ nirgends eine Scharte.
Freundlich und hell blinkten da und dort von einem Einödhof die Stubenlichter. Auf der Stuffnerhöhe brannten die Lichter matt und mit rötlichem Schein. Dort hatten sie noch keinen elektrischen Strom, sondern es brannten noch Petroleumlampen, und daran war auch wieder die Moarin schuld. Die Überlandwerke hatten für ihn allein einen so gepfefferten Kostenvoranschlag geliefert, daß es Frevel gewesen wäre, den Vertrag abzuschließen, zumal anzunehmen war, daß die Moarin bloß darauf wartete, daß er es täte, damit sie später dann viel billiger anschließen könnte, wenn erst einmal die Leitung da war. Außerdem hätte man mit den Masten durch ihr Grundstück müssen. Eine wunderbare Gelegenheit, es zu verweigern und den Stuffner wieder einmal zu ärgern! Lieber nahm sie selber die Unannehmlichkeit einer Petroleumbeleuchtung auf sich, als ihrem Feind einen Gefallen zu tun.
Endlich kam der Weiler Stuffen in Sicht, ein paar freundlich erhellte Fenster und weiter droben die breiten Schattenrisse des Moarhofs, in dem kein Licht mehr brannte.
Der Stuffner hielt genau vor der Stalltür. Die Stuffnerin stand auf der Gred, groß und schlank, vom Mondlicht umflossen.
»Bist schon da, Thomas?«
Sein Schritt hallte auf den Klinkersteinen. Dann stand er vor ihr und griff in seine Joppentasche nach einer kleinen Tüte mit Minzenplätzchen, die sie so gern mochte.
»Der Raggl hat mich in Elbach noch mal aufgehalten, sonst wär’ ich schon früher gekommen.«
Die Stuffnerin hatte auf der Hausbank Platz genommen und schob eins von den Minzenplätzchen in den Mund.
»Hast schon gegessen, Thomas?«
Er nickte und setzte sich zu ihr. Die Nacht war so hell, daß man die Blüten an den Bäumen schimmern sah. Das Plätschern des Bachs war das einzige Geräusch, das die Stille brach. Der Breitenstein stand wie ein Wächter über dem dunklen Wald, und einmal hörte man von Lippertskirchen herauf eine Glocke anschlagen. Zwei Schläge nur, es mußte wohl schon halb elf Uhr sein. Der Stuffner stand auf und streckte sich.
»Gehen wir jetzt schlafen, Mirl.«
Schweigend erhob sich auch die Stuffnerin. Die leere Tüte raschelte in ihren Händen. Sie war schon fertig mit den Minzenplätzchen. Es waren ja nicht viele. Immerhin, andere Bauern dachten überhaupt nicht daran, ihren Frauen etwas mitzubringen, wenn sie einmal nach Miesbach oder Aibling mußten.
Der ganze Mai war so schön. Traurig daran war nur, daß man zusehen mußte, wie die Blüten so nach und nach abfielen, wie dieser weiß-rosa Traum zu Ende ging. Zuletzt hielt allein der alte Kastanienbaum bei der Bachbrücke seine Kerzen wie zum Trotz noch steil in die leise wehende Luftund gab sein Blühen erst auf, als das erste Gewitter über die Stuffnerhöhe niederbrauste.
Die Stuffner Margret war mit etwa vierzig Stück Vieh auf die Alm gezogen. Daheim standen nur mehr zwei Kühe für den Milchbedarf des Hauses. Beim Moar war die Monika zur Alm hinauf mit nicht viel weniger Vieh, wie sich die beiden Höfe überhaupt in nichts nachstanden. Bloß äußerlich unterschieden sie sich grundsätzlich. Der Stuffnerhof war nach einem Brand vor fünfzehn Jahren neu und solid mit Ziegelsteinen aufgebaut worden, während der Moarhof noch ganz aus Holz gefügt war und ganz breit und geduckt auf seiner Höhe lag.
Es war die stille Zeit vor der Heuernte. Die Stuffners waren in der Waitfilze und kastelten Torf um, zwanzigtausend Stück, wie jedes Jahr. Die Moarleute waren in der Willinger Filze. Manchmal begegneten sie sich, aber man sprach nicht miteinander, man fuhr aneinander vorüber und schaute auf die andere Seite. Zwei feindliche Stoßtrupps, die den Auftrag hatten, einander nicht anzugreifen.
Ja, es war eine schöne, stille Zeit jetzt. Die Wiesen standen voller Dotterblumen, leuchteten rot und gelb von Ampfer und Hahnenfuß. Sie würde nicht mehr lange dauern, diese Pracht, und eines Abends sagte der Stuffner:
»Morgen früh fangen wir die Heuernt’ an.«
Morgen früh, das hieß um vier Uhr, womöglich schon um halb vier Uhr, denn es ging ja nicht, daß die Moarleut’ vielleicht schon früher dran gewesenwären. Über aller Feindschaft wucherte nämlich wie Brennesselkraut der Ehrgeiz, ein stummer, verbissener Ehrgeiz sogar. Eins wollte dem anderen nicht nachstehen.
Es war schon sonderbar mit dieser Feindschaft, die alle erfaßte, die gar keine Feinde sein wollten, aber doch erbarmungslos hineingezogen wurden in diesen Haß. Den Moartöchtern war es zum Beispiel schon in die Kinderseelen hineingeimpft worden, niemals mit denen da unten ein Wort zu reden.
Anders war es beim Stuffner. Dort wurde der Haß nicht gepredigt, dort überging man die Moarin mit Stillschweigen. Auf gar keinen Fall wurde in Anwesenheit von Dritten über die Moarin gelästert. Die Stuffnerkinder waren sogar angehalten worden, die Nachbarin zu grüßen, wenn sie ihnen begegnete. Erst, als ihnen niemals dafür gedankt wurde, gewannen sie von selber Abstand und Scheu vor der düsteren Frau, die sie noch niemals hatten lachen sehen, ja der nicht einmal ein Lächeln zuzutrauen war.
Und es war gar nicht denkbar, daß sich dies jemals ändern würde. Diese Feindschaft hing über den beiden Höfen wie ein grauer Himmel, der sich niemals zu einem kleinen Spalt öffnen konnte für einen freundlichen Sonnenstrahl.
Der Alois fuhr mit einem Fuder Heu von der Hohnerwiese heim. Er fuhr auf dem schmalen Feldsträßlein, das knapp unterhalb des Moarhofs vorbeiführte, und auf dem die Stuffners schon seit ehund je das Heu von der Hohnerwiese heimfuhren, weil sie sonst einen Umweg von fast einer dreiviertel Stunde hätten machen müssen. Es war ein recht steiniger Weg, mit vielen Wassergräben, so daß der Alois ganz langsam fahren mußte. Plötzlich sah er, daß in der Wegbiegung die Straße versperrt war. Als er vor zwei Stunden hinaufgefahren war, war diese Sperre noch nicht gewesen. Jetzt aber hatte jemand zwei dicke Pfosten eingeschlagen und eine Stange quer darübergenagelt. Für einen jungen Menschen wie den Alois mit seinen Bärenkräften war das an sich kein Hindernis, es war ihm mehr eine boshafte Andeutung, daß er hier nicht mehr durchfahren dürfte. Und so eine Maßnahme konnte der Alois zunächst nur spöttisch belächeln. Er schloff also mit dem Buckel unter die Stange, stemmte seine Hände auf die Schenkel und richtete sich langsam auf. Die Pfosten gaben bereits nach, als eine scharfe Stimme über ihm rief:
»Laß das sein!«
Alois richtete sich auf und sah die Moarin etwa drei Meter über sich auf dem Hang stehen. Er konnte sich nicht erinnern, sie jemals so nahe vor sich gesehen zu haben, und einen Augenblick zogen sich seine Brauen verwundert in die Höhe, denn was da vor ihm stand, von der Sonne umflossen, das war kein düsterer Racheengel, sondern eine hochgewachsene, schlanke Frau, im Mittag des Lebens zwar schon, aber doch noch von einer berückenden Schönheit. Das pechschwarze Haar war in der Mitte gescheitelt und dann im Nacken zu einem dickenKnoten verschlungen. Das Gesicht war ebenmäßig, nur leicht gebräunt, der Mund voll und üppig, der Hals schlank und schmal. Sie trug einen langen dunklen Faltenrock, darüber nur eine weiße Bluse mit Puffärmeln.
»Was soll denn der Blödsinn?« fragte jetzt der Alois, bereit, sich auf keinen Streit einzulassen, aber vom Trotz besessen, hier durchzufahren, auch wenn die Moarin noch so drohend vor ihm stand und eine Axt in den Händen hielt, mit der sie wahrscheinlich die Stempen eingeschlagen hatte.
»Wenn du nicht begreifst, was das bedeuten soll, dann hör zu«, sagte jetzt die Bäuerin. »Ich will nicht, daß ihr durch mein Grundstück fahrt.«
Nun schaute der Alois doch ein bißchen verblüfft drein.
»Was heißt dein Grundstück? Solang ich denken kann, sind wir hier gefahren.«
»Das wäre noch gar nicht lange, denn ich bezweifle, ob du schon ganz trocken hinter den Ohren bist. Aber sei es, wie es will – ihr seid die ganzen Jahre widerrechtlich hier gefahren. Die Straße gehört zum Moarhof, und es paßt mir einfach nicht mehr, daß hier durchgefahren wird.«
»Das fällt dir aber spät ein«, meinte der Alois.
»Es ist gleich, wann einem etwas einfällt, Hauptsache, es fällt einem ein.«
»Was Gescheites ist dir da zwar nicht eingefallen, und daß du es weißt, das Zeugs da werde ich jetzt wegräumen und durchfahren, ob es dir paßt oder nicht.«
Einen Augenblick sah es so aus, als zucke die Moarin zusammen vor dieser scharfen Stimme. Aber dann hob sie langsam den Arm im weißen Puffärmel, die Axt gleißte im Sonnenlicht.
»Ich hab’ dir gesagt, du sollst das sein lassen!«
Der Alois fuhr herum, schüttelte den Kopf, als begriffe er nicht, daß die erhobene Axt als Drohung gedacht sein sollte. Aber er hatte keine Angst und auch keine Wahl, denn umkehren konnte er auf dem engen, steilen Weg nicht. Blitzschnell machte er einen Sprung auf die Frau zu, entriß ihr die Axt und schleuderte sie den Hang hinunter. Dann riß er die Sperre vollends heraus und fuhr wieder an.
Das Heufuder rumpelte zum Stuffnerhof hinunter und polterte über die Tennbrücke zum Tor hinein.
Die Moarbäuerin Therese Hellmayer aber stand wie ein Steindenkmal immer noch da oben und sah mit schmalen Augen in die flimmernde Luft. Sie stand noch da, als der Alois mit dem leeren Wagen wieder herauffuhr. Dann erst ging sie, holte die Axt und schlug die Sperre von neuem ein.
Wahrscheinlich würde dieser ungestüme Bursche sie wieder wegreißen, aber an diesem Abend noch sollte sie so massiv gebaut werden, daß seine Kraft nicht mehr ausreichte, sie nochmals zu entfernen.
In der großen Bauernstube versammelten sich die Stuffnerleute zur Abendsuppe. Die Schüssel mit der dampfenden Milch stand bereits auf dem Tisch. Daneben lag der Brotlaib, von dem in die Milch geschnitzelt werden sollte. Aber niemand wußte so recht, was los war, sie standen so bedrückt umeinander.
»Bet«, sagte endlich der Stuffner, und das Hannerl, eine entfernte Verwandte, die auf dem Hof wohnte, sprach ein Tischgebet. Dann schoben sie sich hinter den Tisch. Wurde schon sonst nicht viel gesprochen während der Mahlzeiten, heute lag es wie ein Hexenbann über allen. Der Stuffner schwieg mit dünnem Mund, langte kaum einmal in die Schüssel, stand dann plötzlich auf und ging hinaus.
Als die Bäuerin ihn hernach suchte, fand sie ihn in der kleinen Stube neben der Küche, tiefe Falten auf der Stirn und einen Stoß von Katasterpapieren vor sich. Die Stuffnerin setzte sich neben ihn und legte ihre Hand auf seinen Arm.
»Ärgere dich doch nicht, Thomas.«
»Soll man sich da vielleicht nicht ärgern? Schau doch ’naus zum Fenster!«
»Ja, ich hab’s schon gesehen.«
Droben auf dem Sträßlein hatten die Moarknechte ein tiefes Loch gegraben, in das sie gerade ein dickes Vierkantholz eingelassen hatten. Nun stampften sie den Boden ringsum zu.
»Und so was soll ich mir bieten lassen!« stöhnte der Stuffner und begann wieder in den Papieren zu lesen.
»Was suchst denn, Thomas?«
»Es muß doch irgendwo geschrieben stehen, daß wir das Fahrrecht auf dem Weg haben.«
»Und wenn nichts geschrieben steht?«
»Das glaub’ ich nicht. Dann hätte mein Vater mir das sicher gesagt.«
»Es kann ja auch bloß eine mündliche Vereinbarung bestanden haben?«
»Nein, da muß schon was Geschriebenes vorhanden sein. Stell dir bloß vor, wenn sie ihren Schädel durchsetzt und wir müßten jedesmal einen stundenweiten Umweg machen, wenn wir zu unseren Grundstücken hinauf wollen!«
»Ja mei, was kann man denn machen? Gar nichts.«
»Das werde ich dir sagen, wenn ich zurückkomme.« Der Stuffner stand auf und griff nach seinem Hut, band den blauen Schaber ab und knöpfte seine Weste zu.
»Du wirst doch nicht –«
»Doch, ich werde!« unterbrach er sie. »Ich werde ’naufgehen und ihr einmal anständig die Leviten lesen. So kann das nicht mehr weitergehen. Gebe ich diesmal wieder nach, läßt sie sich in einem halben Jahr eine andere Schikane einfallen. Nein, jetzt mag ich nicht mehr!«
Die Stuffnerin, immer auf Stille und Ausgleich bedacht, versuchte auch jetzt wieder einzulenken.
»Thomas, schlaf doch einmal über die Angelegenheit. Morgen siehst du dann alles mit anderen Augen.«
»Vielleicht steht dann morgen da droben ein Betonklotz und sperrt mir die Fahrt! Nein, Mirl, das mach’ ich nicht mehr mit!«
»Also gut«, gab sie nach, weil sie ihren Mann kannte. Wenn er einmal einen Entschluß gefaßt hatte, war er nicht mehr davon abzubringen. »Aber bitte, Thomas, laß dich zu nichts hinreißen, versuch es im guten.«
»Das tät’ der grad’ so passen, wenn ich mich hinreißen ließe! Man wird doch einmal vernünftig mit ihr reden können!«
»Das hoffe ich auch. Und mußt immer denken, Thomas, wie man in den Wald hineinruft, so hallt es daraus zurück.«
»Bis jetzt war immer sie Schrei und Echo zugleich. Jetzt will ich grad’ einmal sehen, ob die gar nicht mit sich reden läßt.«
»Ziehst keine Joppe an?«
»Nein, bei der Hitz’ brauch’ ich keine.«
»Mein Gott, mein Gott, ich hab’ Angst!«
Begütigend strich er ihr übers Haar.
»Brauchst keine Angst zu haben, Mirl. Aber schau, ich würde ja zum Gespött bei den Dienstboten und unseren Kindern, wenn ich mir das stillschweigend gefallen ließe.« Er schob die Papiere wieder in das große Kuvert, verschloß es im Wandschränkchen, dann ging er.
Der Abend stand still über den Hügeln. Im Westen hatte der Himmel noch dunkelroten Glanz. Herbsüß lag der Geruch des frisch gemähten Heus in der Luft. Es war so still ringsum, daß man den Bach plätschern hörte. Auf der Brücke blieb er einen Augenblick stehen. Hier war noch sein Grund und Boden. Der Bach bildete die Grenze.Drohend stand das dicke Vierkantholz mitten im Weg. Der Stuffner rüttelte daran, es rührte sich nicht, es war wie einzementiert.
Das wird nicht so einfach werden, dachte er und wußte zugleich, daß er es morgen unweigerlich versuchen würde. Der Pflock mußte wieder heraus. Wäre ja noch schöner!
Als er sich dem Pflanzgarten näherte, sah er die Moarleute auf der Hausbank sitzen. Nur die Bäuerin war nicht dabei. Als er aber dann näher kam, stand eins nach dem anderen auf und verschwand im Haus.
Der Stuffner lächelte nur über soviel Unverstand. Er lächelte auch, als der struppige Wolfshund aus der Haustür schoß und kläffend auf ihn zusprang. Ohne Zweifel hatte man den Hund auf ihn gehetzt. Er fürchtete sich aber nicht, trat vielmehr dicht vor das Tier und sah ihm mit scharfem Blick in die Augen, worauf sich der Hund heftig zitternd und geifernd auf den Boden legte.
»Na also«, sagte der Stuffner und trat auf die Haustür zu. In diesem Augenblick kam die Christa heraus, jung und frisch, von hohem Wuchs, eine auffallende Schönheit. Der helle, geblümte Spenzer saß wie angegossen, der Faltenrock, knapp über die Knie gehend, schlug bei der raschen Wendung ein Rad um die nackten Waden. Barfuß stand sie da, eine steile Falte zwischen den schöngeschwungenen Brauen. Ihr Mund war hart geschlossen, das ganze Mädel war eisige Abwehr. So stand sie da, schwankend zwischen Hilflosigkeit und mühsam unterdrückter Feindseligkeit, denn es war noch niemalspassiert, daß dieser Mann hier heraufgekommen war. Und Christine wußte auch, warum er kam. Sie war ihm entgegengeschickt worden, um ihn abzuweisen. Aber der Stuffner ließ sich nicht abweisen, sondern fragte scharf:
»Wo ist deine Mutter?«
Christa gab keine Antwort, stellte sich nur jetzt so breit unter die Tür, daß er nicht hinein konnte.
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