Die theologische Begründung des priesterlichen Zölibates nach dem II. Vatikanischen Konzil - Andre Zysk - E-Book

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Andre Zysk

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Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2000 im Fachbereich Theologie - Sonstiges, Note: 1,3, Ruhr-Universität Bochum, Sprache: Deutsch, Abstract: Der Zölibat der katholischen Priester ist ein Gegenstand, der gerade in der Öffentlichkeit immer wieder, oftmals mit negativer Konnotation, zur Sprache kommt. Der Grund dafür liegt wohl nur zum Teil in der existentiellen Betroffenheit der daran direkt Beteiligten. In dieser Arbeit wird der priesterliche Zölibat, wie er in der römisch-katholischen Kirche praktiziert wird, fern von jeder Polemik und Unsachlichkeit kritisch hinterfragt. Dabei wird vor allem die theologisch-dogmatische Begründung des Zölibats nach dem II. Vatikanischen Konzil aufgezeigt und untersucht. Anhand dieser soll dann geprüft werden, ob die Verknüpfung des Zölibats mit dem priesterlichen Amt als notwendig und sinnvoll angesehen werden kann. Wenn man den Gegenstand des Zölibats ganzheitlich erfassen will, kann man nicht an der Tatsache vorbei, daß dieser zwar keine direkte Grundlegung, aber dennoch Anhaltspunkte in der heiligen Schrift hat, die im Zeugnis der Aposteln vorliegt. Konsequent weitergedacht sollte dann auch die Entwicklungsgeschichte des Zölibats nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Der Hauptteil der Arbeit soll jedoch im systematischen Teil liegen. Die in der Arbeit entwickelte Argumentation geht von der Prämisse aus, daß es sich beim Zölibat um ein charismatisches Phänomen handelt. Die Frage, ob der Zölibat tatsächlich als Charisma angesehen werden kann und welche Folgen sich daraus ergeben, wird einen der Hauptgesichtspunkte dieser Arbeit darstellen. Zudem wird die Begründung der derzeit bestehenden Zölibatsvorschrift anhand der Beschlüsse des zweiten vatikanischen Konzils sowie der Enzyklika Sacerdotalis caelibatus untersucht und im Hinblick auf das Problem des für das Priesteramt notwendigen zweifachen Charismas befragt. Sodann werden die in der nachkonziliaren Zeit entwickelten Argumentationen darzustellen und zu prüfen sein. Am Schluß der Arbeit sollte dann die Frage zu beantworten sein, wie die Zölibatsverpflichtung als Weihebedingung für Priesteramtanwärter begründet wird und ob diese Begründung dogmatisch gesehen ausreichend ist.

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Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Begriff des Zölibats
II.1 Die Zwei Arten des Zölibats
II.1.1 Der charismatische Zölibat
II.1.2 Der obligatorische Zölibat
III. Biblische Grundlage des Zölibats
III.2 Frühchristliche Tradition
III.2.1 Die Apostel
III.2.2 Die Gemeindevorsteher
III.2.3 Das Verhältnis von Ehe und Ehelosigkeit
III.3 Zusammenfassung S. 21-
IV. Historischer Teil
IV.1 Die Herausbildung spezifischer Kirchenämter
IV.3 Die Zölibatsgesetzgebung im Mittelalter
IV.4 Der Priesterzölibat in der Reformationszeit
IV.5 Geltendes Zölibatsrecht nach dem CIC von 1983
IV.6 Zusammenfassung
V. Begründung des Zölibats im 20. Jahrhundert
V.1 Das II. Vatikanische Konzil
V.1.1 Zölibat in Lumen Gentium
V.1.2 Zölibat in Optatam Totius
V.1.3 Zölibat in Presbyterorum Ordinis
V.1.4 Abschluß des Konzils S

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Die theologische Begründung des priesterlichen Zölibates nach dem II. Vatikanischen Konzil

Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe I/II

dem Staatlichen Prüfungsamt Dortmund vorgelegt vonZysk, Andre

Ruhruniversität Bochum, Oktober 2000

Fachbereich: Katholische Dogmatik

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VI. Die Enzyklika „Sacerdotalis caelibatus“ S. 43-46

VII. Nachkonziliare Begründungen des Zölibats S. 46 VIII. Der Zölibat als Charisma S. 46-47

VIII.1 Begriff und Wesen des Charismas nach paulinischen Verständnis S. 47-50 VIII.2 Die Vielfalt der Charismen S. 50-52

VIII.3 Ist ein Charisma erbittbar ? S. 52-53

VIII.4 Kann der Zölibat Gesetz und Charisma zugleich sein? S. 53-55 VIII.5 Zusammenfassung S. 55-56

IX. Ist der Zölibat dem Priestertum angemessen ? S. 56

IX.1 Der Zölibat aus christologischer Sicht S. 57

IX.1.1 Zölibat und Nachfolge Christi S. 57-62

IX.1.2 Der Zölibat als Erleichterung der Beziehung zu Christus S. 63-65

IX.2 Der Zölibat aus ekklesiologischer Sicht S. 65

IX.2.1 Der Zölibat im Rahmen der Repräsentation Christi und der Kirche S. 65-70

IX.2.2 Zölibat als Ganzhingabe an die Gemeinde S. 70-74

IX.2.3 Der Zölibat als Zeugnis der Ganzhingabe S. 74-75

IX.3 Der Zölibat aus eschatologischer Sicht S. 75

IX.3.1 Der Zölibat als Vorwegnahme des engelgleichen Lebens S. 75-78 IX.4. Zusammenfassung S. 78-80

X. Die Zölibatsdiskussion nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil S. 80

X.1 Der Zölibat und die kirchliche Tradition S. 80-81

X.1.1 Der Zölibat im Zusammenhang mit kultischer Reinheit S. 81-83 X.2 Zölibat und Priestermangel S. 83-89 X.3 Zusammenfassung S. 89-90 XI. Schluß S. 90-94 XII. Literatur S. 95-102

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I. Einleitung

Der Zölibat der katholischen Priester ist ein Gegenstand, der gerade in der Öffentlichkeit immer wieder, oftmals mit negativer Konnotation, zur Sprache kommt. Auch in der Literatur finden sich zahlreiche Beispiele, die diesen Umstand dokumentieren.1Der Grund dafür liegt wohl nur zum Teil in der existentiellen Betroffenheit der daran direkt Beteiligten. Hinter dem Ausmaß und der Heftigkeit der Diskussion verbirgt sich wahrscheinlich eher eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Ausprägung der Kirche in der Gesellschaft, die ihren exponierten Kritikpunkt im Priesterzölibat findet. Aber dennoch ist und bleibt der Zölibat ein heikles Thema. In dieser Arbeit wird der priesterliche Zölibat, wie er in der römischkatholischen Kirche praktiziert wird, fern von jeder Polemik und Unsachlichkeit kritisch hinterfragt. Dabei wird vor allem die theologisch-dogmatische Begründung des Zölibats nach dem II. Vatikanischen Konzil aufgezeigt und untersucht. Anhand dieser soll dann geprüft werden, ob die Verknüpfung des Zölibats mit dem priesterlichen Amt als notwendig und sinnvoll angesehen werden kann.

Jedoch muß angemerkt werden, daß eine Begründung im strengen Sinne der theologischen Beweisführung durch die Dogmatik nicht gegeben werden kann, da die Gegenstände der Dogmatik die Dogmen im eigentlichen Sinne sind. Ein Dogma aber ist eine von Gott geoffenbarte und vom kirchlichen Lehramt als geoffenbarte anerkannte Wahrheit. Dieses Merkmal der Offenbarung bzw. der „göttlichen Anordnung“ geht dem Gegenstand des Zölibats jedoch,

1„Der Zölibat kann vor dem Hintergrund der Ethik nur ein tragischer Irrtum von Seinsangst verblendeter Menschen sein ... Der Zölibat kann deshalb nicht nur als ein tragischer menschlicher Irrtum abgetan werden, sondern er wird auch zum vorsätzlichen, gefährlichen Mittel der Machtausübung und Unterdrückung...“ Vgl. Di Bella, Antje: Die Priesterkirche, das Zölibatsgesetz und Jesu Nachfolge-Eine Provokation, Oberursel 19992,10.

Vgl. Drewermann, Eugen: Kleriker - Psychogramm eines Ideals, Freiburg 19906, 643 f.

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wie noch im Weiteren zu zeigen sein wird, ab. Mit einem Verweis auf die anderen theologischen Disziplinen, insbesondere dem Kirchenrecht, ist es jedoch nicht getan. Da es sich beim Zölibat um eine genuin charismatische Erscheinung handelt, also um eine vom Heiligen Geist vermittelte Gnadengabe, wird inhaltlich der

dogmatische Traktat der Pneumatologie eindeutig angesprochen. Zudem wird eine innere Zuordnung des Zölibats zur Christologie, Ekklesiologie und Eschatologie im Folgenden zu zeigen sein.2Es gibt also trotz des genannten Einwandes keine Veranlassung diese dogmatische Arbeit schon an dieser frühen Stelle zu beenden. Wenn man den Gegenstand des Zölibats ganzheitlich erfassen will, kann man nicht an der Tatsache vorbei, daß dieser zwar keine direkte Grundlegung, aber dennoch Anhaltspunkte in der heiligen Schrift hat, die im Zeugnis der Aposteln vorliegt. Wollte man in der nachapostolischen Zeit einsetzen und für die Vorstufe einfach auf die Darstellungen der neutestamentlichen Theologie verweisen, so wäre damit die nicht ausgesprochene Vorentscheidung gefällt, daß die Anfänge des Zölibats erst in der post-neutestamentlichen Zeit entstanden seien. Diese Vorentscheidung hätte erhebliche Konsequenzen für das Verständnis des gesamten Verlaufs der späteren Entwicklung.3Eine Darstellung und Auslegung der biblischen Stellen, die den Anstoß zu einem Priesterzölibat gegeben haben könnten, muß also als notwendig angesehen werden. Konsequent weitergedacht sollte dann auch die Entwicklungsgeschichte des Zölibats nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Denn auch in der heutigen Diskussion erfolgt regelmäßig auf Seiten

2Hohmanns Ansicht, die Frage des Zölibats wäre keine dogmatische Angelegenheit sondern eine ausschließlich kirchlich disziplinäre muß also zumindest in ihrer Schärfe relativiert werden. Vgl. Hohmann, Joachim S.: Der Zölibat - Geschichte und Gegenwart eines umstrittenen Gesetzes, Frankfurt am Main/ Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1993, 17.

3Stickler setzt bei der Betrachtung der Entwicklungsgeschichte des Zölibats erst mit dem Konzil von Elvira im vierten Jahrhundert ein. Vgl. Stickler, Alfons Maria: Der Klerikerzölibat - Seine Entwicklungsgeschichte und seine theologischen Grundlagen, Abensberg 1993, 16.

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der Zölibat-Befürworter wie auch der Ablehnenden eine Berufung auf die Zölibatsgeschichte. Um diese Argumente auf ihre Stichhaltigkeit hin bewerten und würdigen zu können, scheint eine historische Betrachtung im oben genannten Sinne, angeraten. In Anbetracht des Umfanges eines solchen Vorhabens, sowie der vorgegebenen Thematik dieser Arbeit kann eine umfassende Analyse der Zölibatsgeschichte allerdings nicht vorgenommen werden. Demnach müssen wir uns bei der historischen Betrachtung auf entscheidende Wegpunkte im Werdegang der Zölibatsgeschichte beschränken. Diese diachron geprägte Untersuchung der Zölibatsgeschichte wird sich vom biblischen Zölibat bis hin zur heutigen Zeit erstrecken. Darin wird zu zeigen sein wie sich das Zölibatsverständnis im Laufe der Kirchengeschichte entwickelt hat und welchen externen Einflüssen es dabei unterlag. Der Hauptteil der Arbeit soll im systematischen Teil liegen. Die in der Arbeit entwickelte Argumentation geht wie schon gesagt, von der Prämisse aus, daß es sich beim Zölibat um ein charismatisches Phänomen handelt. Die Frage, ob der Zölibat tatsächlich als Charisma angesehen werden kann und welche Folgen sich daraus ergeben, wird einen der Hauptgesichtspunkte dieser Arbeit darstellen. Zudem wird die Begründung der derzeit bestehenden Zölibatsvorschrift anhand der Beschlüsse des zweiten vatikanischen Konzils sowie der EnzyklikaSacerdotalis caelibatusuntersucht und im Hinblick auf das Problem des für das Priesteramt notwendigen zweifachen Charismas befragt. Sodann werden die in der nachkonziliaren Zeit entwickelten Argumentationen darzustellen und zu prüfen sein. Am Schluß der Arbeit sollte dann die Frage zu beantworten sein, wie die Zölibatsverpflichtung als Weihebedingung für Priesteramtanwärter begründet wird und ob diese Begründung dogmatisch gesehen ausreichend ist.

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II. Begriff des Zölibats

Dem etymologischen Ansatz nach leitet sich der Begriff Zölibat vom lateinischencalelebsmit der Bedeutung ehelos ab. Der Begriff der Ehelosigkeit umfaßt seinem Wortsinn nach den Umstand, daß ein Mensch - aus welchem Grund auch immer - nicht verheiratet ist; ein solches Verständnis schließt aber nicht aus, daß diese Person auch sexuell völlig enthaltsam lebt.4

In der römisch - katholischen Kirche wird der Begriff des Zölibats jedoch weiter gefaßt; hier meint der Zölibat die geistliche Standespflicht, nicht zu heiraten und in „vollkommener“ Keuschheit zu leben.

Die Adressaten der Zölibatsvorschrift sind männliche, getaufte Christgläubige, die in eigenem und freien Willen nach der Aufnahme in das Diakonat5oder Presbyterat streben und deren Weiheempfang keine kanonischen Hindernisse im Weg stehen. Inhaltlich beschreibt der Zölibat zwei aufeinander bezogene Normenkomplexe. Als negative Norm verbietet das

Unverheiratetsein dem „höheren“ Kleriker eine kirchliche und deshalb moralisch erlaubte Ehe einzugehen. Dabei bezieht sich die moralische Erlaubtheit auf die kirchliche Definition. Positiv wird das Verhaltensmuster der Keuschheit vorgeschrieben. Keuschheit als das sittlich geordnete Verhalten gegenüber den Geschlechtgütern ist moralischer Maßstab für jeden Lebensstand. Weil aber der geschlechtliche Genuß nur innerhalb der Ehe als erlaubt gilt - aufgrund kirchlicher Definition - ,ergibt sich für den ehelosen Geistlichen die Norm der „vollkommenen“ Keuschheit, der totalen sexuellen Enthaltsamkeit. Dem Umfang nach erstreckt sich der Zölibat nach erfolgter Übernahme auf das ganze Leben. Der

4Denzler, Georg: Die Geschichte des Zölibats, Freiburg/Basel/Wien 1993, 19 f.; Kienle, Richard von: Fremdwörterlexikon, Hamburg 1982, 486.

5Ausgenommen davon sind Weihebewerber für das ständige Diakonat, die bereits vor dem Weiheempfang verheiratet waren, deren Ehe hat auch weiterhin Gültigkeit.

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Zölibat schließt die Haltung der Jungfräulichkeit ein: den festen Willensentschluß in Verbindung mit dauernder Hochschätzung, für immer geschlechtliche Enthaltsamkeit im äußeren Tun und in der Gesinnung zu üben. Die Keuschheit wird normativ abgesichert durch die Schamhaftigkei, d.h. durch die Enthaltung von Handlungen und Vorstellungen, die zum Erwecken von Geschlechtslust führen können.6

II.1 Die zwei Arten des Zölibats

Der Zölibat ist keine genuin christliche Verhaltensnorm. Schon lange vor Christus und seinen Jüngern gab es Menschen, die enthaltsam und ehelos lebten. In ihrer konkreten Lebenspraxis unterschieden sich diese nicht wesentlich von Christus und seinen Jüngern.

Eine eindeutige Unterscheidung läßt sich jedoch in den Beweggründen, die zur Übernahme einer solchen Verhaltensweise führten, machen. Wir können also den Zölibat aufgrund seiner verschiedenen grundlegenden Motivation in zwei verschiedene Arten unterteilen: den charismatischen und den obligatorischen Zölibat.

II.1.1 Der charismatische Zölibat

Der charismatische Zölibat trägt eben diese Bezeichnung, da er als Gnadengeschenk (χαρισµα) erlebt wird. Dabei handelt es sich um von Gott selbst herkommende Gnadengaben (πνευµατικα,ενεργηµατα),die vom Heiligen Geist vermittelt

werden(χαρισµατα).7Das Verständnis des Zölibats als Geschenk gründet auf der Tatsache, daß ein Mensch sich zu einer solchen Lebensweise als von Gott befähigt erfährt. Ohne dieses Gnadengeschenk wäre er, von sich aus, dazu nicht fähig.8Medard

6Hagemann, Kurt: Der Zölibat der römisch - katholischen Kirche, Meisenheim am Glan 1971, 3.

7Hahn, Ferdinand: Charisma und Amt, in: ZThk 76 (1979),419-449, 426.

8Denzler, Georg: Die Geschichte des Zölibats, a.a.O. 19.

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Kehl definiert Charisma im Verständnis der neutestamentlichen Heilsordnung als „eine aus

freiem Wohlwollen von Gott, dem Heiligen Geist, ungeschuldet, ereignishaft, je individuell jedem Gläubigen geschenkte Befähigung zu solchem Handeln in der Gemeinde der Glaubenden, das ausgerichtet ist auf das Heil in der Kirche und Welt.“9Aus eben genannten Gründen ist der charismatische Zölibat individuell. Man kann ihn nicht Gruppen auferlegen, ja nicht einmal von Gruppen erwarten.10

II.1.2 Der obligatorische Zölibat

Der charismatische Zölibat gründet sich im Einzelnen und ist nicht vorschreibbar. Der obligatorische Zölibat dagegen ist

gesellschaftsbezogen, vorschreibbar und kann daraufhin befragt werden, in welchem Umfang und in welcher Weise er für die Gesellschaft nützlich ist. Der obligatorische Zölibat war in vielen vorchristlichen Gesellschaften bekannt. Zu nennen sind hier etwa das römische Imperium, das antike Griechenland, das alte Ägypten, aber auch außereuropäische Gesellschaften, wie z.B. die der Azteken. In all diesen Völkern gab es Menschen, die aus religiösen, wie auch profanen Gründen ehelos und enthaltsam lebten.11Diese Praxis finden wir auch heute in den großen Religionsgemeinschaften des Shintoismus, des Buddhismus.12Ob sich die Übernahme des Zölibats im Katholizismus aus obligatorischen Motiven oder aufgrund charismatischer

Legitimation ausprägt und verwirklicht, wird im Folgenden zu behandeln sein.

9Kehl, Medard: Die Kirche, Würzburg 1992, 110 f.

10Schillebeeckx, Edward: Zölibat und kirchliches Amt, in: Böckle, Franz (Hrsg.): Der Zölibat, Mainz 1968, 115-132, 119 .

11Pflegler, Michael: Der Zölibat, Einsiedeln 1965, 11-14.

12Antweiler, Anton: Zölibat - Ursprung und Geltung, München 1969, 56-59.

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III. Biblische Grundlage des Zölibats

Wenn wir im Folgenden versuchen, Anhaltspunkte für den heutigen priesterlichen Zölibat im Neuen Testament zu finden, so gilt es vorab einige hermeneutische Vorüberlegungen zu machen. Wenn im Weiteren von dem Lebensweg Jesu und seiner Botschaft die Rede sein wird, so geschieht dies primär im Rückbezug auf die Evangelien, im zweiten dann auf die Pastoralbriefe. Diese Quellen sind jedoch keine biographischen Texte, sondern Glaubenszeugnisse ihrer Verfasser.13Mit anderen Worten, der Ausgangspunkt unseres Wissens über Jesu Leben und Wirken ist also „nur“ eine Widerspiegelung dessen, was Jesu selbst war, sagte und tat. Was uns über Jesu hinterlassen wurde, ist somit kein exakter Bericht dessen, was er geschichtlich genau getan hat, auch nicht eine Anzahl von Richtlinien und weisen Worten. Die Texte des neuen Testamentes können nur dann richtig verstanden werden, wenn sie als normative Erfahrung der Aposteln mit Jesus und der Entfaltung dieser Kenntnis in den ersten christlichen Gemeinden gesehen werden.14So geschieht alles Reden über Jesus nicht direkt historisch, sondern in Glaubenssprache und bietet dennoch den unmittelbarsten und am meisten begründeten Zugang zum ursprünglichen Geschehen.15In Anbetracht dieser Vorüberlegung müssen alle Ansätze, die den Zölibat als eine „klare Weisung Jesu“ sehen, ohne diesen Umstand tiefergehend biblisch zu hinterfragen, in Zweifel gezogen werden.16Das Gleiche gilt selbstverständlich auch in den Fällen, in denen ein Autor bei gleichen unzureichenden Überlegungen zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt.

13Jeremias, Joachim: Das Problem des historischen Jesus, Stuttgart 19696,10.

14Vgl. Johannes Paul II.: Die Interpretation der Bibel in der Kirche (23.4.1993), Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 115, Bonn 19962, II/2.

15Schillebeeckx, Edward: Jesus - Die Geschichte von einem Lebenden, Freiburg/ Basel/Wien 1975, 38-41.

16Ein Beispiel dafür findet sich bei Cebulj, Angela: Brücke zum Sinn - Eine Stimme für den Zölibat, Bad Wörishofen 1997, 12.

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III.1 Die Enthaltsamkeit des Jesus von Nazareth und seiner Jünger

Jesu Lebensstil ist Ausdruck seiner göttlichen Sendung. Den Kreis seiner Familie und Verwandten ließ er zurück, um ein Leben der Wanderschaft zu führen. Er lebte ehelos, was als auffälliges, nicht nur biographisch bedingtes Verhalten bemerkt werden muß.17Diese Ehelosigkeit wird in der Jesus-Überlieferung vorausgesetzt, wird aber als gelebte Praxis scheinbar so selbstverständlich eingeschätzt, daß sie nirgendwo näher thematisiert wird. Dieses Verhalten scheint für die Jünger als Vorbild gegolten zu haben, denn sie kamen entweder als Unverheiratete zu Jesus, oder verließen ihre Frau und Familie, um ihm nachzufolgen.18Diese sehr konsequente Weise der Nachfolge wird eindrucksvoll an folgender Stelle deutlich:Es aber sagte Petrus: Siehe, wir haben unser Eigentum verlassen und sind dir nachgefolgt. Er aber sagte ihnen: Amen, ich sage euch: Es gibt niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder wegen des Gottesreiches verlassen hat, der nicht Vielfältiges empfängt in dieser Zeit und in dem kommenden Aion ewiges Leben.(Lk 18,28-30)19

In diesem kurzen Absatz wird eindrucksvoll dokumentiert, was die Jünger alles verlassen und aufgegeben haben: ihre Heimat, ihre Ehefrau sowie ihre leiblichen Verwandten.20Die Jesusnachfolge, wie sie sich hier ganz konkret äußert, ist das oberste Gut, hinter dem

17Gnilka, Joachim: Jesus von Nazareth - Botschaft und Geschichte (Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament), Freiburg/Basel/Wien 1990, 175-180.