Die Überfahrt - Mats Strandberg - E-Book
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Die Überfahrt E-Book

Mats Strandberg

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Beschreibung

Die Passagiere an Bord der schwedischen Ostsee-Fähre Baltic Charisma wollen vor allem eins: sich amüsieren, und zwar um jeden Preis. Ob sie mit der besten Freundin tanzen gehen oder Junggesellenabschiede feiern, ob sie nach der Liebe ihres Lebens suchen oder vor den Dämonen des Alltags fliehen – die Nacht ist lang, und der Alkohol fließt reichlich. Fast bleiben dabei die beiden dunklen Gestalten unbemerkt, die sich übers Autodeck an Bord schleichen: eine Mutter und ihr Kind. Mit ihnen betritt ein uraltes Grauen das riesige Schiff, und es wird zur tödlichen Falle. Die Angst geht um auf der Baltic Charisma ... Hochkarätiger, suchterzeugender Thriller-Stoff aus Schweden für alle Fans von Justin Cronin, Sebastian Fitzek und Stephen King. »Mats Strandberg weiß, wie man einen Thriller schreibt. Ich werde nie wieder an Bord einer Ostsee-Fähre gehen.« Åsa Larsson

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Seitenzahl: 726

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Mats Strandberg

Die Überfahrt

Roman

Aus dem Schwedischen von Antje Rieck-Blankenburg

FISCHER E-Books

Inhalt

MarianneAlbinBaltic CharismaDanFilipAlbinDanBaltic CharismaAlbinMaddeMarianneCalleMaddeAlbinCalleTomasCalleTomasMaddeDanTomasAlbinMaddeFilipCalleTomasDanMarianneFilipCalleTomasAlbinMaddeTomasCalleMaddeMarianneBaltic CharismaMarianneMaddeBaltic CharismaCalleAlbinMaddeMarianneAlbinDanAlbinBaltic CharismaDanPiaMarianneDanMårtenDanBaltic CharismaAlbinDanCallePiaGöranDanBaltic CharismaMarianneDanBaltic CharismaPiaAlbinBaltic CharismaPiaDanPiaBaltic CharismaPiaBaltic CharismaFilipCillaFilipCalleMarianneBaltic CharismaCalleBaltic CharismaAlbinFilipAlbinMaddeMarianneMaddeMarianneAlbinMaddeCalleFilipBaltic CharismaCalleDanAlbinDanFilipAlbinMarianneDanAlbinCalleMaddeCalleDanAlbinFilipBaltic CharismaMaddeCalleMaddeMarianneBaltic CharismaAlbinMaddeMarianneBaltic CharismaMaddeFilipCalleMaddeCalleMaddeAlbinFilipDanCalleBaltic CharismaPiaCalleMårtenAlbinBaltic CharismaMaddeBaltic CharismaDank des Autors

Marianne

Noch fast eine Stunde bis zur Abfahrt. Sie könnte es sich immer noch anders überlegen. Könnte ihren Koffer nehmen und ihn den ganzen Weg zurück durchs Terminal rollen, den Kai entlang, sich auf die Rolltreppe hinunter zur U-Bahn stellen, zurück zum Hauptbahnhof und von dort den ganzen Weg nach Hause zurück nach Enköping fahren. Sie könnte versuchen, diese völlig idiotische Idee zu vergessen. Irgendwann wird sie vielleicht sogar über den gestrigen Abend lachen können, als sie zu Hause in ihrer Küche gesessen hatte und die Stimmen aus dem Radio das monotone Ticken der Wanduhr nicht übertönen konnten. Sie hatte ein Glas Rioja zu viel getrunken und beschlossen, dass es ihr jetzt reichte. Woraufhin sie ein weiteres Glas trank und sich entschied, etwas dagegen zu tun. Den Tag zu nutzen. Das Abenteuer zu suchen.

Ja, irgendwann einmal kann sie vielleicht darüber lachen. Doch Marianne bezweifelt das. Es ist schwer, über sich selbst zu lachen, wenn man niemanden hat, der mitlacht.

Wie war sie eigentlich auf diese Schnapsidee gekommen? Am frühen Abend hatte sie diese Werbung im Fernsehen gesehen – mit festlich gekleideten Menschen, die aussahen wie du und ich, nur fröhlicher –, aber das kann wohl kaum der Grund dafür sein. Das hier ist doch ganz und gar nicht ihr Ding.

Sie hatte die Fahrkarte gekauft, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Sie war so aufgeregt, dass sie trotz des Weins kaum einschlafen konnte. Das Gefühl hielt den ganzen Vormittag an, während sie sich die Haare färbte, den ganzen Nachmittag, während sie packte, und schließlich den ganzen Weg bis hierher. Als hätte das Abenteuer schon begonnen. Als hätte sie vor sich selbst fliehen können, indem sie vor ihrem Alltag floh. Doch jetzt starrt sie ihr Spiegelbild an, ihr Kopf ist schwer wie Blei, und die Reue packt sie, verstärkt noch den Kater, den sie ohnehin schon hat.

Marianne beugt sich vor und wischt etwas zerlaufene Mascara weg. Im bläulichen Schein der Neonröhren in der Damentoilette des Fährterminals sehen die Tränensäcke unter ihren Augen grotesk aus. Sie weicht zurück und fährt sich mit den Fingern durch die praktische Pagenfrisur. Kann noch immer den Duft des Haarfärbemittels riechen. Sie sucht in ihrer Handtasche nach dem Lippenstift, zieht mit geübten Bewegungen ihre Lippen nach und presst sie dann aufeinander. Schluckt die dunkle Wolke hinunter, die sich in ihrem Inneren breitmacht und sie zu verschlingen droht.

In einer der Toilettenkabinen hinter ihr betätigt jemand die Spülung, und die Tür wird geöffnet. Marianne streckt sich und streicht ihre Bluse glatt. Zusammenreißen, sie muss sich zusammenreißen. Eine dunkelhaarige junge Frau in einer ärmellosen knallrosafarbenen Bluse kommt heraus und stellt sich vor das Waschbecken neben ihr. Marianne betrachtet die weiche Haut an den Armen der jungen Frau. Die Muskeln, die sich darunter abzeichnen, als sie sich die Hände wäscht und nach einem Papierhandtuch streckt. Sie ist zu mager. Ihre Gesichtszüge sind so kantig, dass sie fast maskulin wirken. Doch Marianne nimmt an, dass viele Leute sie als attraktiv bezeichnen würden. Zumindest als sexy. Auf einem ihrer Schneidezähne glitzert ein kleiner Diamant. Rosafarbener Strass auf den Potaschen ihrer Jeans. Marianne merkt selbst, wie sie sie anstarrt, und schaut rasch weg. Doch die junge Frau verschwindet hinaus ins Terminal, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen.

Marianne ist unsichtbar. Sie fragt sich, ob sie tatsächlich selbst einmal so jung gewesen ist.

Es ist schon so lange her. In einer anderen Zeit, einer anderen Stadt. Damals war sie mit einem Mann verheiratet, der sie liebte, so gut er konnte. Die Kinder waren noch klein und lebten nach wie vor in dem Glauben, dass sie eine Art Halbgöttin wäre. Sie hatte einen Job, bei dem sie jeden Tag Bestätigung und Anerkennung erhielt. Und ihre Nachbarn boten ihr jedes Mal eine Tasse Kaffee an, wenn sie zufällig vorbeikam.

Kaum vorstellbar, dass es Tage gab, an denen Marianne davon träumte, mal allein zu sein. Nur ein paar Stunden, um ihren Gedanken nachzuhängen, was ihr damals wie ein Luxus vorkam.

Was das angeht, schwimmt sie heutzutage geradezu in Luxus. Zeit ist buchstäblich das Einzige, was sie hat.

Marianne kontrolliert, ob auch kein Lippenstift auf ihre Zähne geraten ist. Wirft einen Blick auf den kleinen Rollkoffer, der neben ihr steht, ein Geschenk des Buchklubs, dessen Mitglied sie ist.

Sie hängt sich den Daunenmantel über den Arm, umfasst entschlossen den Griff ihres Rollkoffers und verlässt die Damentoilette.

Im Terminal ist der Geräuschpegel hoch. Einige Leute haben sich schon in die Warteschlange vor der Absperrung gestellt, wo sie anstehen, um an Bord gelassen zu werden. Sie schaut sich um. Stellt fest, dass sie sich mit ihrer rosafarbenen Bluse und dem knielangen Rock viel zu förmlich gekleidet hat. Die meisten Frauen im Alter um die sechzig tragen eher wie Teenager Jeans und Kapuzenjacke oder auch körperbetonte Kleider mit tiefem Ausschnitt – oder aber genau das Gegenteil, indem sie ihre Körper in formlosen Tuniken oder zeltähnlichen Kleidern verstecken. Marianne gehört keiner dieser Gruppen an. Sie sieht aus wie eine zugeknöpfte pensionierte Arzthelferin. Was sie letztlich auch ist. Sie zwingt sich zu der Erkenntnis, dass viele der anderen Frauen älter und auch hässlicher sind als sie selbst. Sie hat ebenfalls ein Recht darauf, hier zu sein.

Marianne steuert die Bar am anderen Ende des Terminals an. Die Räder ihres Rollkoffers dröhnen so laut, als versuche sie eine Dampfwalze über den Steinfußboden zu manövrieren.

Als sie die Theke erreicht, lässt sie ihren Blick über glänzende Flaschen und Bierzapfhähne schweifen. Die Preise stehen mit Kreide auf schwarze Tafeln geschrieben. Marianne bestellt einen Kaffee mit Baileys und hofft, dass er an Bord etwas günstiger sein wird. Haben die Bars Taxfree-Preise? Das hätte sie vorher nachschauen sollen. Warum hat sie das nicht getan? Sie bekommt ihr Getränk in einem hohen Duralex-Glas von einer jungen Frau mit glitzernden Piercings in Lippen und Augenbrauen gereicht. Auch sie würdigt Marianne keines Blickes, woraufhin deren schlechtes Gewissen, weil sie kein Trinkgeld gegeben hat, ein wenig nachlässt.

Ganz hinten an der Stirnseite des mittels einer Glasfront abgetrennten Bereichs ist ein Tisch frei. Marianne zwängt sich mit ihrem lauten Rollkoffer und dem Mantel, der wie eine aufgeplusterte Daunendecke über ihrem Arm hängt, vorsichtig zwischen den Tischen hindurch. Das heiße Glas brennt in ihren Fingern, und der Riemen ihrer Handtasche rutscht ihr von der Schulter und landet in der Armbeuge. Doch schließlich hat sie den Tisch erreicht. Stellt ihr Glas ab. Schiebt den Riemen ihrer Handtasche wieder über die Schulter hoch. Wie durch ein Wunder ist es ihr gelungen, sich mit dem Mantel und allem anderen durch den schmalen Spalt zwischen den Tischen hindurchzuzwängen, ohne etwas umzustoßen. Als sie auf den Stuhl sinkt, ist sie fix und fertig. Sie nimmt einen prüfenden Schluck, doch das Getränk ist keineswegs so heiß wie das Glas, und trinkt dann gieriger. Spürt, wie sich Alkohol, Zucker und Koffein allmählich in ihrem Körper ausbreiten.

Marianne schaut hinauf ins Spiegelglas an der Decke. Richtet sich ein wenig auf. Aus der Vogelperspektive sind die Falten an ihrem Hals nicht zu erkennen, und die Haut spannt sich über ihren Kieferknochen, so dass diese deutlich hervortreten. Das Spiegelglas ist rauchfarben, womöglich wirken ihre Augen deswegen so wach und ihre Gesichtshaut sonnengebräunt. Sie lässt ihre Finger über den Kieferknochen gleiten, bis ihr bewusst wird, dass sie mitten unter Leuten sitzend Nabelschau betreibt. Sie sackt auf ihrem Stuhl zusammen und nimmt einen weiteren Schluck. Fragt sich, wie weit sie noch davon entfernt ist, um als schrullig bezeichnet werden zu müssen. Eines Morgens hatte sie erst an der Bushaltestelle stehend gemerkt, dass sie immer noch ihre Schlafanzughose trug.

Die schwarze Wolke droht sich erneut in ihr auszubreiten. Marianne schließt die Augen. Hört die Leute um sich herum reden und lachen. Außerdem ein lautes Schlürfen, und als sie hinschaut, sieht sie einen kleinen asiatischen Jungen über ein Glas gebeugt sitzen, in dem sich nur noch Eiswürfel befinden. Sein Vater, der mit hochrotem Kopf ein Handy ans Ohr gepresst hält, scheint die ganze Welt zu hassen.

Marianne wünschte, sie würde noch rauchen. Dann könnte sie jetzt auf den Kai hinausgehen und sich eine Zigarette anzünden, um etwas zu tun zu haben. Aber nun ist sie zumindest hier. Inmitten all dieser Geräusche. Und trifft eine Entscheidung. Nein, das hier ist nicht ihr Ding, das ist nicht sie. Aber sie hat es so satt, immer nur sie selbst zu sein.

Sie kann doch jetzt nicht wieder heimfahren. Den ganzen Sommer lang hat sie in ihrer Wohnung gesessen, wo sie die Stimmen, das Lachen und die Musik aus den Nachbarwohnungen, auf den Balkonen, die zum Innenhof hinausgehen, und auf der Straße vor der Küche gehört hat. Das lebendige Treiben, das überall herrschte. Doch in ihrer Wohnung tickt nur die verdammte Wanduhr, während der Kalender mit den Fotos ihrer Enkel, die sie kaum je gesehen hat, die Tage bis Weihnachten zählt. Wenn sie jetzt heimführe, würde sie für immer in ihrer Einsamkeit gefangen bleiben und nie wieder so etwas wie das hier ausprobieren.

Marianne wird plötzlich bewusst, dass einer der Männer vom Nachbartisch sie freundlich anlächelt und versucht, Blickkontakt mit ihr aufzunehmen. Sie tut so, als suche sie etwas in ihrer Handtasche. Die Augen des Mannes wirken in seinem ausgezehrten, verlebten Gesicht riesengroß. Außerdem sind seine Haare für ihren Geschmack viel zu lang. Sie hätte sich ein Buch mitnehmen sollen. In Ermangelung einer besseren Alternative nimmt sie ihre Bordkarte zur Hand und macht mit ziemlicher Sicherheit zu viel Aufhebens davon, sie eingehend zu betrachten. Ganz oben in der rechten Ecke prangt das Logo der Reederei, ein undefinierbarer weißer Vogel mit einer Pfeife im Mund und einer Kapitänsmütze auf dem Kopf.

»Hej, schöne Frau, ganz allein am Tisch?«

Marianne schaut reflexmäßig auf. Begegnet dem Blick des Mannes. Zwingt sich, nicht wegzusehen.

Ja, er wirkt verlebt. Und seine helle Jeansweste sieht schmuddelig aus. Aber früher war er bestimmt einmal attraktiv. Man sieht es an seinen Gesichtszügen. Genauso wie sie hofft, dass man es ihr auch ansieht.

»Ja«, antwortet sie und räuspert sich. »Eigentlich wollte mich eine Freundin begleiten, aber sie hat sich offenbar im Tag geirrt, wie ich gerade erfahren habe. Sie glaubte, es wäre erst nächsten Donnerstag, und ich … ich dachte, wenn ich schon eine Fahrkarte habe, kann ich ja ebenso gut …«

Sie weiß nicht mehr weiter und beendet den Satz mit einem Achselzucken, von dem sie hofft, dass es nonchalant wirkt. Ihre Stimme klingt belegt, als wären ihre Stimmbänder zusammengeklebt. Sie hat schon mehrere Tage lang nicht mehr gesprochen. Und ihre Lüge, die sie für den Fall, dass eine solche Situation entstehen sollte, in der vergangenen Nacht sorgfältig vorbereitet hat, klingt plötzlich äußerst hanebüchen. Aber der Mann lächelt sie nur an.

»Komm doch zu uns rüber, dann hast du jemanden, mit dem du anstoßen kannst!«

Er wirkt schon leicht beschwipst. Ein flüchtiger Blick in die Runde an seinem Tisch reicht aus, um festzustellen, dass seine Freunde in noch schlechterer Verfassung sind. Früher hätte Marianne nicht einmal in Erwägung gezogen, ein Angebot von einem Kerl wie ihm anzunehmen.

Wenn ich ja sage, bin ich eine von ihnen, denkt sie. Aber ich kann es mir wohl kaum noch leisten, wählerisch zu sein. Und außerdem, ist »wählerisch« letztlich nicht einfach ein anderes Wort für »feige«?

Es ist ja nur für einen Tag, ruft sie sich in Erinnerung. In ziemlich genau vierundzwanzig Stunden legt die Fähre wieder in Stockholm an. Und wenn es sich als Fehler herausstellen sollte, könnte sie die Erinnerung daran genau dorthin verbannen, wo sie schon so vieles andere versteckt hat. In einer Art Schatzkästchen für wertlose Erfahrungen.

»Ja«, sagt sie. »Ja. Gerne. Das wäre nett.«

Als sie aufsteht, um an den Männertisch umzuziehen, schabt ihr Stuhl geräuschvoll über den Fußboden.

»Göran heiße ich«, stellt er sich vor.

»Marianne.«

»Marianne«, wiederholt er und schnalzt ein wenig mit der Zunge. »Ja, das passt zu dir. Du bist genauso süß wie diese Schokominzbonbons, die so heißen.«

Zum Glück braucht sie darauf nichts zu antworten. Er stellt sie den anderen am Tisch vor. Sie nickt einem nach dem anderen zu und vergisst ihre Namen wieder, sobald sie sie gehört hat. Sie ähneln einander zum Verwechseln. Alle haben das gleiche Bäuchlein, das unterm karierten Oberhemd spannt. Sie fragt sich, ob sie sich wohl schon seit ihrer Kindheit kennen. Ob Göran schon immer der Stilvollste von ihnen gewesen ist, der die Mädchen angelockt hat.

Ihr Kaffee ist inzwischen kalt geworden und schmeckt abgestanden, aber noch bevor sie den Versuch unternommen hätte, ihr Glas auszutrinken, kommt einer von Görans Freunden mit einer Runde Bier für alle an den Tisch, sie eingeschlossen. Marianne sagt nicht viel, aber es scheint den anderen nichts auszumachen. Sie trinken, und Marianne hört auf, sich in Grübeleien zu ergehen, und verspürt stattdessen aufs Neue ein erwartungsvolles Ziehen im Körper. Es wird immer stärker, bis sie sich zurückhalten muss, um nicht völlig unangebracht laut loszuprusten. Als einer von Görans Freunden einen schlechten Witz reißt, nutzt Marianne die Gelegenheit. Ihr Lachen klingt ungestüm und viel zu laut.

Eigentlich ist es natürlich traurig, wie sehr sie etwas so Simples vermisst hat, wie gemeinsam mit anderen Menschen an einem Tisch zu sitzen. Dazuzugehören. Eingeladen zu sein, und zwar nicht nur aus reinem Pflichtgefühl.

Göran beugt sich zu ihr herüber.

»Das mit deiner Freundin ist zwar Pech für dich, aber ein Riesenglück für mich«, flüstert er ihr mit heißem, feuchtem Atem ins Ohr.

Albin

Albin sitzt da, den Kopf auf die Hände gestützt, und kaut auf seinem Strohhalm herum. Saugt mit lautem Schlürfen etwas Eiswasser vom Boden seines Glases an. Es schmeckt kaum noch nach Cola. Eher, als würde man die Spucke von jemandem trinken, der vor einer Viertelstunde Cola getrunken hat. Er muss kichern. Lo würde dieser Witz gefallen. Aber Lo ist noch nicht da.

Er schaut durch die Glasfront hindurch auf all die Fremden, die sich durchs Terminal bewegen. Ein Typ in Frauenkleidern mit Lippenstift übers halbe Gesicht verteilt hat ein Pappschild um den Hals hängen, auf dem KÜSSE ZU VERGEBEN5,– Kronen steht. Seine Freunde filmen ihn mit ihren Handys, aber man hört an ihrem Lachen, dass sie nicht wirklich Spaß daran haben. Albin saugt erneut an seinem Strohhalm und gibt Schlürfgeräusche von sich.

»Abbe«, ermahnt ihn seine Mutter. »Bitte.«

Sie sieht ihn mit diesem Blick an, der andeutet, dass sein Vater schon völlig genervt ist. Und er es nicht noch schlimmer machen soll. Albin lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. Bemüht sich, still zu sitzen.

Dann hört er ein Lachen, das fast wie Hundegebell klingt. Schaut in die Richtung, aus der es kommt, und erblickt an einem etwas entfernt stehenden Tisch zwei dicke Frauen. Diejenige, die lacht, hat Zöpfe im Haar und eine rosafarbene Federboa um den Hals geschlungen. Sie neigt gerade den Kopf nach hinten und wirft sich eine Handvoll Erdnüsse in den Mund. Ein paar landen zwischen ihren Brüsten, die wohl die größten sind, die er jemals live gesehen hat. Außerdem ist ihr Rock so kurz, dass man ihn nicht mal mehr sieht, wenn sie sitzt.

»Warum hat sie überhaupt ein Handy, wenn sie es nie eingeschaltet hat?«, fragt sein Vater und knallt sein Mobiltelefon auf den Tisch. »Das ist wieder mal typisch für meine Schwester.«

»Beruhig dich doch, Mårten«, sagt seine Mutter sanft. »Wir wissen ja gar nicht, warum sie sich verspätet haben.«

»Das ist es ja gerade. Man könnte meinen, dass Linda vielleicht mal von sich hören lässt, damit wir nicht herumrätseln müssen, wo zum Teufel sie abbleiben. Das ist verdammt respektlos.« Sein Vater wendet sich an Albin. »Bist du sicher, dass du Los Nummer nicht hast?«

»Ja, hab ich doch gesagt.«

Es tut weh, das ein weiteres Mal zuzugeben. Lo hat unter ihrer neuen Nummer noch kein einziges Mal von sich hören lassen. Sie haben jetzt fast ein Jahr lang nicht mehr miteinander telefoniert. Außerdem haben sie sich kaum geschrieben, seit sie und ihre Mutter nach Eskilstuna umgezogen sind. Er befürchtet, dass Lo aus irgendeinem Grund sauer auf ihn ist, was seiner Auffassung nach eigentlich nur auf einem Missverständnis beruhen kann. Seine Mutter meint dagegen, dass Lo höchstwahrscheinlich einfach nur viel für die Schule tun muss, da ihr das Lernen nicht ganz so leichtfällt wie ihm, und es jetzt, wo sie in die Sechste gehen, zudem immer schwerer wird. Seine Mutter sagt das in demselben Tonfall, in dem sie ihm auch weiszumachen versucht, dass seine Klassenkameraden, die ihn in der Schule hänseln, nur neidisch auf ihn sind.

Doch Albin kennt die Wahrheit. Es gibt überhaupt keinen Grund, neidisch auf ihn zu sein. Vielleicht war er mal ganz süß, als er noch kleiner war, aber das ist lange her. Er ist der Kleinste in der Klasse, und seine Stimme ist noch immer hell und piepsig, und er ist weder gut in Sport noch in sonst irgendeinem Fach, in dem Jungs gut sein müssen, um beliebt zu sein. Das ist eine Tatsache. Ebenso wie es eine Tatsache ist, dass Lo nicht einfach aufgehört hätte, sich bei ihm zu melden, wenn nicht irgendetwas vorgefallen wäre.

Lo ist nicht einfach nur seine Cousine. Als sie noch in Skultuna wohnte, war sie außerdem seine beste Freundin. Aber Tante Linda hatte urplötzlich beschlossen umzuziehen. Und Lo hatte keine andere Wahl, als mitzukommen.

Lo, die ihn wie kein anderer zum Lachen bringen konnte, und zwar so heftig, dass er fast in Panik verfiel, weil er das Gefühl hatte, nie mehr aufhören zu können. Lo, die ihm die Wahrheit über den Tod ihrer Großmutter anvertraut hatte. Sie hatten gemeinsam geweint, weil Selbstmord etwas so Trauriges ist, aber insgeheim gefiel es ihm, gemeinsam mit Lo zu weinen, weil es so schön war, was ihn beschämte. Endlich gab es etwas, das sie miteinander teilen konnten. Im Unterschied zu dieser anderen Sache, über die er nicht einmal mit Lo reden kann.

»Nein, Stella«, rief eine entnervte Männerstimme irgendwo hinter Albin. »Das tut man nicht, Stella. Oder möchtest du gleich ins Bett gebracht werden, sobald wir an Bord kommen? Willst du das, Stella?«

Der Mann erhält ein wütendes Heulen zur Antwort.

»Dann hör jetzt sofort auf. Das ist wirklich nicht lustig. Stella! Nein, hab ich gesagt! Nein, Stella. Das tut man nicht. Stella, bitte.«

Stella heult erneut, und ein Glas zerbricht. Albin merkt, dass sein Vater immer gereizter und seine Mutter immer nervöser reagiert, weil er gleich eine Szene machen wird.

Albin registriert die ihm wohlbekannte Bewegung aus den Augenwinkeln. Wie sein Vater den Kopf mit einem Ruck nach hinten wirft, als er sein Bierglas leert. Und dabei noch etwas röter im Gesicht wird.

»Vielleicht stecken sie ja im Stau«, meint seine Mutter. »Es ist schließlich Hauptverkehrszeit.«

Albin fragt sich, warum sie nicht einfach den Mund hält. Wenn sein Vater schlechte Laune hat, lässt er sich einfach nicht beruhigen. Und wenn man es doch versucht, bringt man ihn nur noch mehr auf die Palme.

»Wir hätten sie abholen sollen«, entgegnet er. »Aber dann hätte Linda bestimmt dafür gesorgt, dass wir alle unpünktlich gewesen wären.«

Er dreht sein Bierglas zwischen den Händen. Seine Stimme hört sich schon etwas verwaschen und dunkler an.

»Sie wird es schon noch rechtzeitig schaffen«, sagt seine Mutter und wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Sie will Lo doch nicht enttäuschen.«

Sein Vater schnaubt nur verächtlich. Seine Mutter sagt nichts mehr, doch jetzt ist es eh zu spät. Das Schweigen zwischen ihnen wirkt erdrückend, und Albin bekommt kaum noch Luft. Wenn sie zu Hause gewesen wären, würde Albin jetzt in sein Zimmer hochgehen. Er will gerade sagen, dass er zur Toilette muss, als sein Vater seinen Stuhl nach hinten schiebt und aufsteht.

»Abbe, möchtest du noch eine Cola?«, fragt er.

Albin schüttelt den Kopf, und sein Vater verschwindet in Richtung Tresen.

Seine Mutter räuspert sich, als wolle sie etwas sagen. Höchstwahrscheinlich zur vergangenen Nacht. Dass sein Vater nur furchtbar müde war, weil er bei seiner Arbeit viel zu tun hatte. Und sie selbst oftmals seine Hilfe benötigt, so dass er nicht zur Ruhe kommt. Doch Albin will es nicht hören. Müde, er hasst das Wort müde, das Codewort seiner Eltern für alles Stressige. Sein Vater verhält sich immer so, besonders wenn sie wegfahren oder irgendwas anderes Lustiges unternehmen wollen. Er macht immer alles kaputt.

Albin holt demonstrativ sein Geschichtsbuch aus dem Rucksack, der über seiner Stuhllehne hängt. Schlägt das Kapitel auf, über das sie in der nächsten Woche einen Test schreiben werden. Runzelt die Stirn. Setzt eine konzentrierte Miene auf, während er sich in die Taktik der verbrannten Erde vertieft, obwohl er schon fast alles darüber auswendig weiß.

»Wie passend, dass ihr gerade Schwedens Großmachtzeit behandelt, wo wir doch über die Ostsee fahren«, meint seine Mutter.

Doch Albin antwortet nicht. Er hat sich unnahbar gemacht, um sie zu bestrafen. Denn eigentlich ist sie diejenige, auf die Albin am meisten sauer ist. Seine Mutter könnte sich schließlich scheiden lassen, damit sie nicht mehr mit seinem Vater zusammenwohnen müssen. Aber das will sie nicht. Und er weiß auch, warum. Sie glaubt nämlich, auf seinen Vater angewiesen zu sein.

Manchmal wünscht er sich, dass sie ihn nie adoptiert hätten. Im Kinderheim in Vietnam hätte er es viel besser gehabt. Oder sonst irgendwo auf der Welt. Bei einer ganz anderen Familie.

»Sieh mal einer an, wen ich aufgegabelt habe«, ruft sein Vater, und Albin schaut auf.

Sein Vater hält ein Bierglas in der Hand, und Albin erkennt an dem weißen Schaum, der an einer Seite nach oben steigt, dass er bereits daraus getrunken hat. Neben ihm steht Tante Linda mit ihren blonden langen Haaren, die offen über die Schulterpartie ihrer Jacke hängen. Die Jacke ist rosafarben und sieht wie ein aufgeblasenes Kaugummi aus. Sie beugt sich zu Albin hinunter und umarmt ihn. Presst ihre kalte Wange gegen seine.

Aber wo ist Lo?

Albin erblickt sie erst, als Linda um den Tisch herumgeht, um seine Mutter zu umarmen. Er hört seine Mutter den immer gleichen abgedroschenen Witz runterleiern – Sorry, dass ich nicht aufstehe –, und Linda lacht auf, als hätte sie ihn eben zum ersten Mal gehört. Doch dann verblasst die Welt um Albin herum, und nur noch Lo sticht deutlich hervor.

Es ist zwar Lo, aber sie ist es auch wieder nicht. Jedenfalls nicht die Lo, die er kennt. Er kann nicht aufhören, sie anzustarren. Sie hat Mascara aufgelegt, die ihre Augen größer und heller wirken lässt. Ihre Haare sind länger und etwas dunkler geworden und haben dieselbe Farbe wie Honig. Ihre Beine, die in Turnschuhen mit Leopardenmuster enden, wirken in der enganliegenden Jeans unglaublich lang. Sie nimmt ihr Halstuch ab und zieht ihre Lederjacke aus. Darunter trägt sie einen grauen Pulli, der an einer Seite von ihrer Schulter gerutscht ist und einen schwarzen BH-Träger entblößt.

Lo sieht aus wie all die Mädchen in seiner Schule, die ihn nie auch nur eines Blickes würdigen würden.

Das hier ist noch viel schlimmer als ein Missverständnis. Ein Missverständnis hätte man nämlich aufklären können.

»Hej«, sagt er prüfend und hört selbst bei dem kurzen Wort, wie kindlich seine Stimme klingt.

»Ist ja was völlig Neues, dass du dasitzt und lernst«, meint sie.

Sie hat ein Parfüm aufgelegt, das nach Toffee und warmer Vanille riecht, und wenn sie etwas sagt, stößt ihr Mund den süßen, nach Minze riechenden Atem ihres Kaugummis aus. Als sie Albin flüchtig umarmt, spürt er, wie ihre Brüste gegen seinen Körper gedrückt werden. Als sie sich wieder aufrichtet, traut er sich kaum, sie anzusehen. Doch Lo schaut mit ihrem neuen, erwachsenen Gesicht schon wieder woandershin. Sie streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Ihre Fingernägel sind schwarz lackiert.

»Wie groß du geworden bist«, sagt seine Mutter. »Und wie schick du aussiehst.«

»Danke, Tante«, meint Lo und umarmt sie ebenfalls, allerdings viel länger, als sie Albin umarmt hat.

Seine Mutter streckt sich in ihrem Rollstuhl so weit wie möglich vor, damit sie ihre Arme um Los Rücken legen kann.

»Du bist aber verdammt schmal geworden«, merkt sein Vater an.

»Sie wächst ja auch gerade«, wendet seine Mutter ein.

»Man kann nur hoffen, dass es damit zusammenhängt. Die Jungs wollen nämlich etwas in den Händen haben, weißt du?«

Albin wünscht sich nur noch, dass sein Vater auf der Stelle den Mund hält.

»Danke für den Tipp«, meint Lo. »Dass die Jungs auf mich abfahren, ist ja auch mein einziges Lebensziel.«

Es herrscht eine halbe Sekunde zu lange Stille, dann lacht sein Vater.

Linda beginnt einen ausführlichen Monolog über die genaue Streckenführung von Eskilstuna nach Stockholm und die jeweils vorherrschende Verkehrslage. Sein Vater steht schweigend neben ihr und trinkt sein Bier, während seine Mutter ihr Bestes tut, um von Lindas Ausführungen fasziniert zu wirken. Lo verdreht wild die Augen und holt ihr Handy hervor, während Albin den Augenblick nutzt, um sie heimlich zu beobachten. Schließlich kommt Linda auf das Problem der Parkplatzsuche in der Nähe des Terminals zu sprechen, und dann ist sie endlich fertig.

»Was für ein Glück, dass ihr es noch geschafft habt«, sagt seine Mutter und wirft seinem Vater einen vielsagenden Blick zu.

»Vielleicht sollten wir langsam losgehen und uns anstellen«, meint der und leert sein Glas.

Als er es auf den Tisch stellt, folgt Linda seinen Bewegungen mit den Augen. Albin steht auf, steckt sein Geschichtsbuch zurück in den Rucksack und setzt ihn auf.

Die Schlange auf der anderen Seite der Glasfront wächst, und Albin registriert, dass sie sich langsam vorwärtsbewegt. Er schaut auf die Uhr, die an der Wand hängt. Nur noch eine Viertelstunde bis zur Abfahrt. Die Leute an den Nachbartischen beginnen ebenfalls, ihre Sachen zusammenzusuchen und ihre Gläser zu leeren.

Seine Mutter wirft einen Blick über die Schulter und versucht, mit ihrem Rollstuhl rückwärtszufahren, während sie sich entschuldigt. Die Leute hinter ihr müssen ihren Tisch verrücken, damit sie herauskommt. Sie bewegt den kleinen Steuerknüppel auf ihrer Armlehne vor und zurück.

»Das ist fast wie beim Ausparken aus einer Miniparklücke«, sagt sie in diesem aufgekratzten Tonfall, der ihm signalisiert, dass sie gestresst ist.

»Geht’s?«, fragt Lo, und seine Mutter antwortet, Jaja, na klar, meine Süße, in demselben aufgekratzten Ton.

»Freust du dich schon auf die Fährfahrt?«, fragt Linda und wuschelt Albin mit den Fingern durchs Haar.

»Ja«, antwortet er automatisch.

»Schön, dass sich wenigstens einer freut«, meint Linda. »Ich musste Lo fast ans Auto ketten, damit sie mitkommt.«

Lo wendet sich Linda und ihm zu, und Albin bemüht sich, nicht offen zu zeigen, dass ihn ihre Aussage verletzt. Sie hat sich also überhaupt nicht danach gesehnt, ihn zu treffen.

»Willst du nicht mitfahren?«, fragt er.

»Doch, unbedingt. Fährefahren ist echt geilomat.« Sie spricht nicht einmal mehr wie sonst. Ein neuerlicher Stoß Kaugummi-Atem, als sie seufzt. »Mama hat sich geweigert, mich allein zu Hause zu lassen.«

»Nicht schon wieder diese Diskussion, Lo«, wirft Linda ein und schaut seine Mutter und seinen Vater an. »Ihr könnt froh sein, dass Jungs erst später in die Pubertät kommen. Das alles habt ihr also noch vor euch.«

Lo verdreht zwar die Augen, doch in gewisser Weise wirkt sie auch zufrieden.

»Nicht unbedingt«, antwortet sein Vater. »Kinder sind verschieden. Es hängt davon ab, wie sehr sie meinen, sich auflehnen zu müssen.«

Linda entgegnet nichts, schüttelt jedoch, nachdem er sich umgedreht hat, den Kopf.

Sie bewegen sich auf den Ausgang zu. Seine Mutter fährt vor, und Albin hört sie ein paarmal tut-tut rufen, wenn die Abstände zwischen den Tischen zu eng sind oder Reisetaschen im Weg stehen. Er schaut weg. Wirft stattdessen einen Blick durch die Glasfront auf die Fahrkartenkontrolle, wo zwei Security-Leute die Menschen in Augenschein nehmen, die die Sperren passieren.

»Zu dumm, dass sie dachte, ein Minirock würde ihr stehen«, flüstert Lo viel zu laut, als sie an der dicken Frau mit der rosa Federboa vorbeigehen.

»Lo«, mahnt Tante Linda.

»Mit ein bisschen Glück sinkt das Schiff vielleicht, wenn die beiden Fetten an Bord gehen. Dann bleibt uns dieser krasse Anblick erspart.«

Baltic Charisma

Die Baltic Charisma wurde 1989 in Split, Kroatien, gebaut. Sie ist 170 Meter lang, 28 Meter breit und bietet Platz für mehr als zweitausend Passagiere. Aber es ist schon lange her, dass die unter schwedischer Flagge fahrende Fähre einmal ausgebucht war. Heute ist Donnerstag, und knapp zwölfhundert Passagiere strömen an Bord. Nur wenige von ihnen sind Kinder. Es ist Anfang November, und die Herbstferien sind bereits vorbei. Im Sommer ist das obere Deck angefüllt mit Liegestühlen, doch jetzt ist es leer bis auf einige Passagiere, die heute Morgen in Finnland an Bord gegangen sind. Sie lassen ihre Blicke über das herbstlich kühle Stockholm schweifen, das die letzten Sonnenstrahlen nicht mehr aufzuwärmen vermögen. Manche von ihnen warten ungeduldig darauf, dass die Charisma aus dem Hafen ausläuft und die Bars wieder öffnen.

Die Frau, die Marianne heißt, ist unter den Letzten in der Menschenmenge, die sich langsam über die verglaste Rampe hoch über dem Asphalt des Parkplatzes vorwärtsbewegt. Der langhaarige Mann hat einen Arm um sie gelegt. Die schräg von oben hereinfallenden goldenen Sonnenstrahlen lassen ihre Gesichtszüge weicher erscheinen. Der Plexiglastunnel macht einen scharfen Knick nach links, dann erblickt Marianne die Fähre. Sie ist angesichts ihrer Größe geschockt. Das Schiff ist höher als das Hochhaus, in dem sie wohnt. Ein Stockwerk über dem anderen aus weiß- und gelbgestrichenem Stahl. Eigentlich dürfte sie gar nicht schwimmen können. Marianne sieht, dass sich der Bug geöffnet hat, ein riesiges hungriges Maul, das mit Fahrzeugen gefüttert wird. Sie fragt sich, ob es wohl das Bugvisier ist, und unter ihren Füßen beginnt es zu schwanken, als befände sie sich bereits draußen auf dem Meer. Sie muss an die Kabine denken, die sie gebucht hat. Die billigste Variante unterhalb des Autodecks. Unter der Wasseroberfläche. Ohne Fenster. Die Fähre scheint mit jedem von Mariannes Schritten zu wachsen. BALTICCHARISMA steht in verschnörkelten Lettern darauf, die mehrere Meter hoch sind. Der riesige, Pfeife rauchende Vogel grinst sie an. Am liebsten will sie umkehren. Zurücklaufen ins Terminal. Doch dann meint sie das Ticken der Wanduhr in einer leeren Wohnung zu hören und geht weiter. Bemüht darum, das Gefühl zu ignorieren, dass sie alle Tiere sind, die durch einen Pferch zur Schlachtbank geführt werden. Andreas, der Manager der Reederei, steht am Eingang und informiert die Passagiere über den Karaoke-Abend und die Sonderangebote im Taxfree-Shop und lächelt dabei, so breit er nur kann. Eigentlich ist das der Job des Kreuzfahrtstewards, doch der hat heute Morgen angerufen und sich krankgemeldet. Es ist bereits das zweite Mal in diesem Herbst. Andreas weiß, dass er Alkoholprobleme hat, seitdem er hier arbeitet.

Auf der Kommandobrücke steht der Befehlshaber der Charisma, Kapitän Berggren, mit seinem Personal zusammen und geht die Checkliste vor der Abfahrt durch. Gleich werden sie die Fähre vom Kai aufs Meer hinausmanövrieren. Sie kennen sich bestens aus mit den Tausenden von Schären, all den Untiefen und kleinen Inseln vor Stockholm und Åbo. Nachdem die Charisma den Hafen verlassen hat, wird sie mit Autopilot fahren, und der Kapitän übergibt dem Ersten Steuermann das Kommando.

In den Personalräumen herrscht fieberhafte Aktivität. Die Angestellten, deren Zehntagedienst mit dieser Fahrt beginnt, haben sich ihre Arbeitsuniformen abgeholt und sich umgezogen. Von der Kombüse aus – dem von Dämpfen erfüllten Küchenbereich, in dem die Speisen für die Restaurants zubereitet werden – läuft das Servicepersonal mit großen Servierplatten in den Händen zu den Büfetttischen. Einige von ihnen haben nach dem nächtlichen Gelage noch immer einen Kater. Unter den Angestellten wird getratscht, wer von ihnen diesmal zum morgendlichen Pusten in die Krankenstation beordert worden ist, um seinen Promillegehalt überprüfen zu lassen, und wen sie drangekriegt haben. Im Taxfree-Shop macht Antti gerade einen Durchgang mit seinem Personal. Wenn der Shop eine halbe Stunde nach der Abfahrt wieder öffnet, wird bereits eine ungeduldige Schlange von Kunden davorstehen und warten.

Das Wasser im runden Whirlpool im Spa-Bereich bewegt sich nicht. In der glatten Oberfläche spiegeln sich die Wolken am Himmel draußen vor den Panoramafenstern. Die Massageliegen sind noch leer. Der Elektroofen der Sauna tickt leise vor sich hin.

Unten im Maschinenraum werden die Motoren ein letztes Mal gewartet. Wenn man die Kommandobrücke als Gehirn der Fähre bezeichnen möchte, ist der Maschinenraum ihr pochendes Herz. Der Erste Maschinist Wiklund hat gerade auf der Kommandobrücke angerufen und mitgeteilt, dass das Fahrzeug neu aufgetankt wurde und die Schläuche wieder entfernt worden sind. Er beobachtet seine Maschinisten durch die Glasscheibe des Kontrollraums hindurch. Leert seinen Kaffeebecher, stellt ihn ab und wirft einen Blick auf die orangefarben gestrichenen Türen des Personalaufzugs. Sobald die Charisma das Hafengebiet verlassen und ihre gewohnte Route in Richtung Åbo eingeschlagen hat, übernimmt der Erste Maschinist die Wacht, und Wiklund kann hinauf zu seiner Kabine fahren. Er braucht nicht wieder zurückzukehren, bevor sie Åland erreicht haben, und hat vor, sich ein ausgiebiges Schläfchen zu gönnen.

Die Charisma hat bereits fast alles gesehen. Im Niemandsland der Ostsee werden jegliche Hemmungen in einer Art und Weise fallengelassen, die nicht nur auf den preisgünstigen Alkohol zurückzuführen ist. Es ist, als veränderten sich auf der Fähre Zeit und Raum. Als hörten soziale Codes und Regeln auf zu existieren. All das ereignet sich unter der Aufsicht von vier Wachleuten, die sich in unterschiedlicher Weise auf den Abend vorbereiten. Vier Personen, die in dem Chaos für Ordnung sorgen sollen, das entstehen kann, wenn sich zwölfhundert Passagiere – die meisten davon betrunken – an einem Ort drängen, den man nicht verlassen kann.

Alles verläuft routinemäßig. Die Baltic Charisma fährt Tag für Tag, jahrein, jahraus dieselbe Route. Sie legt kurz vor Mitternacht auf Åland an. Erreicht gegen sieben Uhr morgens Åbo in Finnland, während die meisten schwedischen Passagiere noch im Bett liegen und schlafen. In dreiundzwanzig Stunden wird die Charisma wieder zurück am Kai in Stockholm sein. Doch auf dieser Fahrt befinden sich zwei Passagiere an Bord, die niemandem ähneln, die sie je zuvor an Bord gehabt hat.

Auf dem Autodeck, das an den Maschinenraum grenzt, erteilt das Personal Anweisungen auf Schwedisch, Finnisch und Englisch. Sie haben bereits diverse Sattelzüge, Pkw, Wohnmobile und zwei große Reisebusse hereingelotst. Alles ist genau ausgerechnet, um die Stabilität des Schiffes zu gewährleisten. Hier unten, wo kein Sonnenstrahl hinunterreicht, ist es kühl und riecht stark nach Benzin und Abgasen. Erschöpfte Lastwagenfahrer und Familien, die mit dem Auto unterwegs sind, bewegen sich auf die Aufzüge und Treppenhäuser zu. Bald wird das Autodeck für alle Passagiere geschlossen und erst kurz vor der Ankunft auf Åland wieder geöffnet werden. Die großen Sattelschlepper, die mit Ketten im Stahlboden verankert sind, harren bewegungslos wie schlafende Raubtiere im Dunkeln aus. Ein kleiner blonder Junge im Alter um die fünf Jahre und eine dunkelhaarige, stark geschminkte Frau haben gerade ihr Wohnmobil verlassen. Sie wirken müde. Werfen sehnsuchtsvolle Blicke in Richtung des hellerleuchteten Aufzugs, betreten aber stattdessen das enge Treppenhaus. Beide schauen zu Boden und begegnen nicht den Blicken der anderen Passagiere. Der Junge hat sich die Kapuze seines Pullis über den Kopf gezogen. Hält die Riemen seines Rucksacks mit einem Motiv von Pu der Bär fest umschlossen. Die dicke Schicht Schminke, die die Frau aufgelegt hat, kann nicht verbergen, dass mit ihrem zerfurchten Gesicht etwas nicht stimmt. Beide riechen nach Flieder und Menthol und noch etwas anderem, Undefinierbarem, aber dennoch Wohlbekanntem, und einige Mitreisende scheinen es wahrzunehmen, denn sie linsen verstohlen zu den beiden rüber. Die Frau befingert das ovale Medaillon aus Gold, das an einer feingliedrigen Kette um ihren Hals hängt. Außer der Kette und einem Goldring um ihren linken Ringfinger trägt sie keinen weiteren Schmuck. Ihre rechte Hand hat sie in die Tasche ihres Mantels geschoben. Sie betrachtet die kleine Gestalt neben sich. Die Sohlen seiner kleinen Schuhe prallen hart gegen das PVC, das auf den Stufen liegt. Die Treppe ist für seine kurzen Beine viel steiler. In ihrem Blick liegt Liebe und Trauer. Aber sie hat auch Angst um ihn. Angst, ihn zu verlieren. Angst, dass er kurz davor steht, eine Grenze zu überschreiten, und Angst vor dem, was passiert, wenn er es tut.

Oben auf der verglasten Rampe gehen Marianne und der Mann, der Göran heißt, durch ein Portal aus Sperrholz mit einem buntgemalten Blumenmuster darauf. Eine Frau mit dunklem krausen Haar hält eine Kamera auf sie gerichtet, und Göran lächelt in die Linse. Es macht Klick, und Marianne möchte sie bitten, noch ein Foto zu machen, da sie nicht darauf vorbereitet war, aber die Frau hat ihre Kamera bereits auf Görans Freunde hinter ihnen gerichtet. Dann gehen sie an Bord. Dunkelrote Auslegware unter ihren Füßen. Die indirekte Beleuchtung lässt die Messinggeländer, die Holzpaneele, den künstlichen Marmor an den Wänden und das rauchfarbene Glas der Aufzugtüren glänzen. Eine Putzkolonne in grauen Uniformen verlässt das Schiff. Darunter kein einziges hellhäutiges Gesicht. Marianne hört kaum die Ausführungen des Reedereimanagers zu den Angeboten des Abends, und auch der Name des Promis, der das Karaoke-Singen moderiert, sagt ihr nichts. So viele Eindrücke stürmen auf sie ein, dass sich ihre Unruhe allmählich legt, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Nur die Vorfreude ist geblieben. Wie soll man denn all das mitnehmen, was einen hier an einem einzigen Tag erwartet? Jetzt ist sie hier. Und Görans Griff um ihre Schultern wird fester. Das Abenteuer kann beginnen.

Dan

Dan Appelgren läuft und läuft, aber er kommt nirgends an. Das ist eine perfekte Metapher für sein ganzes verdammtes Scheißleben. Hinzu kommt, dass er auf einer Fähre läuft, die immer hin- und wieder zurückfährt, hin und her. Er kommt sich vor wie der mythische Fährmann, der dazu verurteilt ist, bis in alle Ewigkeit über dasselbe trostlose Gewässer zu fahren.

Er hört das Signal für das Auslaufen der Baltic Charisma. Eine Warnung an alle kleineren Schiffe, sich vor dem Ungeheuer in Acht zu nehmen.

Dan erhöht die Geschwindigkeit auf dem Laufband des Fitnessstudios fürs Personal. Das jaulende Geräusch wird lauter. Seine Füße schlagen härter und schneller auf dem verschlissenen Gummi auf. Der Schweiß rinnt von seinem Körper herab und brennt ihm in den Augen. Er riecht säuerlich. Reste chemischer Substanzen, die aus seinen Poren drängen. Der Blutgeschmack in seiner Kehle nimmt zu, und der Pulsschlag dröhnt ihm in den Ohren. Wenn er jetzt einen Herzinfarkt erlitte, würden die Schlagzeilen verdammt niederträchtig lauten. Schlagerstar auf Finnlandfähre tot umgefallen.

Er legt prüfend eine Hand auf seinen Bauch unter dem durchnässten Trainingsshirt. Gar nicht so übel für einen Fünfundvierzigjährigen, aber er kann nicht umhin, sich in die dünne Schicht Unterhautfett über dem, was einmal sein Waschbrettbauch gewesen ist, zu zwicken. Er läuft noch schneller. Nur weil er ein verdammter Loser ist, gibt es noch lange keinen Grund, auch wie einer auszusehen.

Das Aufprallen seiner Schuhsohlen auf dem Laufband ist der einzige Rhythmus, nach dem er sich richtet. Er hält es schon lange nicht mehr aus, dabei Musik über Kopfhörer zu hören. Die Abende und Nächte auf der Charisma verpassen ihm immer wieder aufs Neue eine Überdosis Musik. Stunde um Stunde in der Karaoke-Bar, wo er die Besoffenen durch ihr falsches Gekrächze manövriert, sie ermuntert und so tut, als fände er ihren Auftritt gelungen, und ihnen dabei vorgaukelt, den ganzen Mist nicht schon tausendmal mit angesehen und -gehört zu haben. Immer dieselben Songs. Dieselben Menschen, nur mit anderen Gesichtern. Er muss sich jedes Mal vorher eine ganze Ladung Koks reinziehen, um das Ganze einigermaßen zu überstehen. Und um schließlich einschlafen zu können, kippt er sich hinterher in einem der Clubs einiges an Alkohol hinter die Binde. Die Musik ist überall gegenwärtig. Ein ohrenbetäubendes, dröhnendes Inferno, das die Seele abtötet. Der Vorhof zur Hölle, in dem dieselbe Band und dieselben DJs ein ums andere Mal dieselben Songs spielen. Und der Meute geben, was sie haben will.

Dieses verfluchte Schiff.

Die Charisma hat ihn fest in ihrem Griff. Es gibt nichts, was ihn an Land erwartet. Selbst die Schwulenclubs buchen ihn inzwischen nicht mehr. Er hat kein Zuhause, und die Freunde, die noch willens sind, ihm eine Bleibe anzubieten, werden immer weniger. Was soll er nur machen, wenn er nirgendwo mehr willkommen ist? Woher soll er das Geld nehmen? Er hat ja nichts anderes gelernt, und um keinen Preis will er sich irgendwann bei McDonald’s an die Kasse stellen. Hier auf der Fähre wohnt und isst er umsonst, aber das Geld, das er hier verdient, gibt er gleich wieder aus, um zu verdrängen, was aus seinem Leben geworden ist. Es ist teuer, die Dinge zu verdrängen, also wird er wohl hierbleiben müssen, bis er stirbt oder bis die Fähre verschrottet wird. Was auch immer zuerst passieren wird. Es wird eine Art Wettlauf werden. Die Charisma ist ein pathetisches altes Monster aus den späten Achtzigern, und er hat bereits diverse Gerüchte gehört, weiß um die unterschwellige Angst des Personals davor, arbeitslos zu werden.

Dan wird schwindelig, als hätte er den gesamten Sauerstoff in dem fensterlosen Studio aufgebraucht. Er schaltet die Geschwindigkeit des Laufbands herunter auf Gehen. Der Schweiß strömt ihm in Wellen aus dem Körper und tropft von seiner aufgeheizten Haut oder verdunstet. Schließlich schaltet er das Band ab und steigt hinunter auf den Fußboden. Seine Beine zittern. Erneut erfasst ihn ein Schwindelgefühl, während sein Körper zu verstehen versucht, dass sich der Boden unter seinen Füßen nicht bewegt.

Dabei steht er natürlich nie ganz still. Die Vibrationen der Motoren sind immer zu spüren. Sie bleiben im Körper gegenwärtig, selbst wenn er an freien Tagen an Land geht. Dann wacht er nachts auf und glaubt, er wäre noch immer auf dem Schiff, da er die Vibrationen wie Phantomschmerzen mit jeder Faser seines Körpers spürt.

Sein durchnässtes Shirt ist kalt geworden. Es klebt ihm an der Haut. Dan trinkt aus seiner Wasserflasche und zieht sich seinen Collegepulli über. Er geht raschen Schrittes hinaus in den Korridor und passiert den Aufenthaltsraum und die Mannschaftsmesse, in der sich das Personal aus reiner Gewohnheit in säuberlich voneinander getrennten Grüppchen zum Essen trifft. Es ist fast so wie in der Schule. Blumentöpfe mit Plastikpflanzen und karierte Decken auf verschrammten altmodischen Holztischen. Brot, Aufschnitt und Obst stehen auf einer Anrichte sowie Körbe mit Ketchuptütchen und HP Sauce. Er sieht Jenny und die Fettwanste aus ihrer lächerlichen kleinen Band dort sitzen. Sie wendet sich ab, als sie ihn erblickt. In ihm kommen unangenehme Erinnerungen an seine erste Nacht auf der Fähre hoch, und in seinem Inneren breitet sich Wut aus. Jenny hat recht. Er ist in der Tat ein Hasbeen. Aber sie ist ein Wannabe, die ihre Zeit mit Nevergonnabes verschwendet. Aber das ist noch lange kein Grund zu glauben, etwas Besseres als er zu sein. Oder so zu tun, als besäße sie Integrität, nur weil sie auf einer verdammten Finnlandfähre arbeitet. Was für ein verfluchter Unsinn! Er weiß wenigstens, was er ist.

Die Fähre ist voll von Leuten, die an Land ein Niemand wären, aber sich hier aufführen, als gehöre ihnen die Welt. Wie beispielsweise dieser Security-Fatzke Henke, der so heftig in seine Uniform verliebt ist, dass er im realen Leben ganz offenbar schikaniert wird, vermutlich von einer frigiden Ehefrau und potthässlichen Kindern. Oder der Kapitän selbst, Berggren, und sein verdammtes Pack. Sie verfügen sogar über eine eigene Offiziersmesse, damit sie nicht mit dem übrigen Personal zusammen essen müssen. Die allerdings nicht einmal hochwertiger eingerichtet und sogar noch kleiner ist. Wenn auch mit echten Grünpflanzen in den Töpfen. Alle auf der Fähre sind besessen von einer Hackordnung, davon, wie viele Streifen sie auf den Schultern ihrer Uniformen haben. Berggren ist selbstverständlich der Herr auf diesem fliegenden Teppich, und alle behandeln ihn wie einen König. Aber ein König mit einem lächerlich kleinen Königreich wie der Charisma ist keiner, vor dem Dan beabsichtigt zu buckeln.

Er steigt eine Treppe hinunter bis Deck neun und geht den Korridor entlang zu seiner Kabine. Sie ist zwar klein, aber sie hat zumindest ein Fenster. Im Unterschied zu den Personalkabinen auf Deck zehn, wie zum Beispiel Jennys.

Vor zwanzig Jahren noch hätte er die einzige Luxuskabine an Bord haben können. Damals hätte er abends umsonst in den öffentlichen Restaurants essen und sogar Gäste mit auf seine Reisen nehmen können. Und doch hätte er vermutlich abgelehnt. Wie Fieber in meinem Herzen stand damals auf Platz eins der Hitparade, und es wäre schlicht und einfach unter seiner Würde gewesen.

Dan zieht seinen Pulli aus. Reißt sich das Shirt vom Leib, das mit einem Klatschen auf dem Fußboden landet. Er streift sich die Laufschuhe ab und zieht die Socken aus. Der blaue Bodenbelag aus PVC fühlt sich unter seinen Fußsohlen kalt an. Als er seine Trainingsshorts auszieht, breitet sich in seinem Schritt der abgestandene Geruch von Sex aus. Wie hieß sie noch gleich? Alle Mädels, die er hier auf der Charisma fickt, scheinen Anna, Maria, Marie, Linda, Petra oder Åsa zu heißen. Doch das letzte Mädel war jünger als die anderen. Elsa? Sie meinte, dass sie Wie Fieber in meinem Herzen geliebt hatte, als sie noch in den Kindergarten ging. Was ihn zum einen beschämte, zum anderen aber seinen Schwanz so steif werden ließ, dass ihm im Prinzip sofort der Lusttropfen abging. Sie wusste genau, was sie mit ihm machen musste. Manche Mädels, die in den Neunzigern geboren wurden, sind regelrecht pornogestört. Verwandeln das Bett in einen ADHS-Zirkus. Keine Stellung taugt länger als für ein paar Minuten. Sie wollen festgehalten, an den Haaren gezogen und gefesselt werden. Er hat nie den Eindruck, dass sie irgendetwas anderes genießen als Aufmerksamkeit und die Hoffnung, einen bleibenden Eindruck bei ihm zu hinterlassen.

Er spült alle Spuren von Elsa in der Dusche weg. Bekommt halbwegs einen Steifen, als er sich im Intimbereich rasiert. Sein Schwanz fühlt sich groß und schwer an. Er fragt sich, was Elsa wohl den restlichen Tag über unternommen hat, nachdem er ihre Kabine verlassen hatte, die sie mit einer Freundin teilte, der er nie begegnet war. Hat sie auf der Suche nach ihm die Fähre durchstreift? Oder ihrer Freundin umgehend alle intimen Einzelheiten über ihr Sexerlebnis mit Dan Appelgren anvertraut? Vielleicht ist sie ja auch schon wieder zu Hause, wo auch immer sie wohnt. Und die Fähre hat sie längst wieder ausgespuckt. Und neue Lustobjekte an Bord in Empfang genommen. Damit in Kürze alles wieder von vorn beginnen kann.

Filip

Sein Kaffee ist kalt geworden, während er die Kasse vorbereitet hat, aber er kippt den Rest aus dem Duralex-Glas in einem einzigen großen Schluck hinunter, in der Hoffnung, dass ihm das Koffein helfen wird, den verwaschenen Nebel in seinem Kopf zu lichten. Die Motoren der Fähre lassen die Gläser, die oberhalb des Bartresens hängen, leicht gegeneinanderklirren. Er überlegt, ob er sich einen Shot Fernet genehmigen soll, nimmt jedoch stattdessen ein Tuch zur Hand und wischt den Tresen trocken.

Filip hat mittlerweile den achten Tag in Folge Dienst hinter der Bar im Club Charisma Starlight, in dem eine Liveband spielt, und ist völlig erschöpft. Er fühlt sich regelrecht ausgepowert, als hätte man seinen Körper in alle Richtungen auseinandergezogen, bis jeder einzelne Muskel gerissen ist. Vermutlich müsste er sich mehr Sorgen darüber machen, wie lange sein Körper noch in der Lage ist durchzuhalten. Während die Fähre im Hafen lag, konnte er für eine Weile schlafen. Als er sich ins Bett legte, war sein Rücken so steif und taub, dass er kaum die Matratze unter sich spürte. In einer halben Stunde öffnet die Bar wieder, und er wird bis fünf Uhr morgens hierbleiben.

In ein paar Tagen kommt er wieder nach Hause. Dann wird er endlich ausschlafen. Manchmal bleibt er mehrere Tage lang wie ein geprügelter Hund im Bett liegen. Steht nur auf, um sich aufs Sofa zu fläzen und Fernsehen zu glotzen. Im Augenblick erscheint ihm diese Vorstellung wie das Himmelreich. Und dennoch wird er die Charisma vermissen, sobald er eine Woche freigehabt hat. Rastlos die Tage zählen, bis er endlich wieder an Bord gehen kann.

Marisol erscheint hinter ihm, streckt sich nach seinem leeren Kaffeeglas und verschwindet im Personalbereich. Als Filip sich streckt, knackt es in seinem Rückgrat. Von der Decke vor dem Tresen leuchtet eine Konstellation aus gedimmten kleinen Spots, die der Charisma Starlight ihren Namen gegeben haben. Als er sich umdreht, ist Marisol wieder zurückgekommen. Sie schaut hinunter aufs Display ihres Handys. Der blasse Schein erleuchtet ihr Gesicht. Sie grinst, während sich ihre Daumen über die Tastatur bewegen.

Filip geht auf den Stapel mit Kästen zu und füllt die Kühlschränke mit Bacardi Breezer.

»Wann hörst du eigentlich endlich auf, so abartig frisch verliebt zu sein?«, fragt er und lacht. »Das macht einen ja wahnsinnig.«

Marisol lässt ihr Handy in die Tasche ihrer Schürze gleiten und rafft ihre dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Als sie das Haargummi darüberstreift, gibt es ein leises Schnalzen von sich.

»Da ich die Hälfte der Zeit nicht zu Hause bin, müsste der Zustand bei uns ja mindestens doppelt so lang andauern wie bei anderen, oder?«

Sie wohnt schon ihr Leben lang in Schweden, aber in ihrer Sprachmelodie finden sich Anklänge ihrer chilenischen Wurzeln.

»Vielleicht verzeih ich es dir, wenn du irgendwann mal mit mir feiern gehst«, meint er. »Du bist ’ne verdammte Langweilerin geworden, seit ihr zusammen seid.«

Marisol grinst zurück.

Er fragt sich, wie sie es schafft, dass es mit ihrem neuen Freund funktioniert. Während all seiner Jahre auf der Charisma ist es ihm nie gelungen, eine Beziehung zu einer Frau an Land aufzubauen. Auf lange Sicht war das immer unmöglich. Die gestressten Telefonate zwischen den verschiedenen Arbeitsschichten und der viel zu kurze Schlaf. Der Versuch, Geschichten zu sammeln, alles in Erinnerung zu behalten, was an Bord geschehen war, so dass er etwas zu erzählen hätte, wenn er nach Hause käme. Doch wenn er dann an Land ging, kamen ihm all diese Geschichten so belanglos vor. Hatten ihren Glanz verloren. Es war schwierig, die beiden Welten miteinander zu vereinbaren. Viele der Angestellten leben ein Doppelleben. Haben ein Verhältnis an Land und eines auf See.

Filip und Marisol arbeiten eine Weile lang in angenehmer Ruhe. Ihm gefällt die tägliche Routine vor dem erneuten Öffnen der Bar. Es ist ruhig, aber man hat dennoch etwas zu tun. Er schließt die Kühlschranktüren und trägt die leeren Kästen in den Lagerraum.

»Apropos Turteltäubchen«, sagt er, als er zurückkommt. »Ich frag mich, wie es bei Calle wohl läuft.«

»Hast du noch nichts gehört?«

Marisol schneidet mit mechanischen Bewegungen Zitronen in Scheiben und legt sie in eine der Plastikschalen unter dem Tresen.

»Nein, noch nicht«, antwortet er, wäscht sich die Hände und legt eine Handvoll Limetten auf sein Schneidebrett.

Die Geräusche der Messer, die die Früchte zerteilen, verdoppeln sich. Die Gläser klirren.

»Es kommt mir vor, als hätte Calle erst vor kurzem hier gearbeitet«, meint er. »Meine Güte, wie die Zeit vergeht. Nicht zu fassen.«

»Ja, das hört man öfter von alten Kerlen«, entgegnet Marisol und schenkt ihm ein charmantes Lächeln.

Es schmerzt ihn mehr, als er zugeben will.

»Wart’s nur ab, in ein paar Jahren bist du ebenfalls jenseits der vierzig.«

»Willst du mich wirklich jetzt daran erinnern, wo ich ein Messer in der Hand habe?«, fragt sie. »Hast du seinen Freund eigentlich schon kennengelernt?«

»Nein, ich habe ja selbst Calle kaum getroffen, seit er hier aufgehört hat. Er ist nach Südschweden gezogen, um zu studieren. Ich hätte öfter von mir hören lassen sollen, aber … du weißt ja, wie es ist.«

Marisol nickt zustimmend, und Filip kommt der Gedanke, dass er vielleicht eines schönen Tages etwas Ähnliches über sie äußern wird. Für sie ist die Charisma nur ein Job. Aber für ihn ist die Fähre sein Leben, seine Bleibe. Der einzige Ort, an dem er sich wirklich zu Hause fühlt. Er kann sich gar nicht mehr vorstellen, wie es wäre, woanders zu arbeiten. Ein weiteres Thema, über das er sich eigentlich Sorgen machen müsste. Insbesondere jetzt, wo das Gerücht kursiert, dass die Tage der Charisma gezählt sind.

»Was ist denn eigentlich aus ihm geworden?«, fragt sie. »Ich meine, was hat er studiert?«

»Landschaftsarchitektur«, antwortet Filip. »Oder so etwas in der Art. Verdammt, ich müsste es doch eigentlich wissen, oder?«

»Vermutlich schon.«

Er hofft, dass Pia es weiß, so dass er Calle nicht selbst fragen muss.

Marisol will gerade etwas sagen, als das Stahlgitter am Eingang zu klappern beginnt. Sie wechseln einen Blick.

»Du bist dran«, sagt sie.

Doch als Filip aufs Gitter zugeht, sieht er, dass kein ungeduldiger Passagier davorsteht, der in die Bar hineingelassen werden will, sondern Pia, die eine Papiertüte in der Hand hält und auf den Sohlen ihrer Stiefel vor und zurück wippt.

»Ich habe eben eine SMS von Calle bekommen«, sagt sie. »Sie sind gerade ins Poseidon gegangen.«

»Gib mir eine Minute«, bittet er sie und geht zurück an die Bar, wo er sich die Schürze abnimmt. »Es dürfte zwar relativ schnell gehen. Aber vielleicht schaffe ich es nicht, zurück zu sein, bevor wir öffnen.«

»Ich werde schon eine Viertel- oder halbe Stunde allein zurechtkommen«, antwortet Marisol.

Es prasselt laut, als Filip einen Sektkühler aus Plexiglas mit Eiswürfeln füllt. Marisol nimmt zwei Champagnergläser aus den Halterungen überm Tresen und reicht sie ihm, nachdem er die Flasche ins Eis gebohrt hat.

Sie folgt ihm zum Gitter. Es bleibt wie gewöhnlich einen Meter über dem Boden hängen. Pia und Marisol lachen auf, als er flucht. Jeden verdammten Tag steht er hier und zerrt an dem verfluchten Gitter. Er rüttelt daran, versucht, es zu bewegen, versetzt ihm einen Stoß mit der Hüfte, während er daran zieht, und endlich lässt es sich mit einem ohrenbetäubenden Lärm bis ganz nach oben rollen.

Albin

Draußen vor dem Fenster gleitet, hinter seiner Mutter und seinem Vater, langsam der Stockholmer Schärengarten vorbei. Die letzten Sonnenstrahlen lassen die Baumwipfel erglühen. Albin betrachtet die Villen aus Holz, die zwischen den Bäumen hervorlugen, sowie die Pavillons unten am Ufer. Er fragt sich, wie es wohl sein muss, auf einem der Bootsstege zu sitzen und zu beobachten, wie die große Fähre vorbeifährt. Sein Vater hat gemeint, dass diese Häuser hier mindestens zehnmal so viel kosten wie das Reihenhaus, in dem sie wohnen.

Seine Mutter meint, dass Geld nicht glücklich macht, doch Albin kann sich nicht vorstellen, dass er in einem dieser Häuser unglücklich sein würde. Am wenigsten, wenn es auf einer Insel läge, die einem ganz allein gehört und die niemand ohne seine Erlaubnis betreten dürfte.

»Diese Idioten in der Einkaufsabteilung haben aber auch überhaupt keinen Durchblick«, flucht sein Vater. »Da weiß die eine Hand nicht, was die andere tut. Ich bin es allmählich leid, immer derjenige sein zu müssen, der es hinterher ausbaden muss.«

Er behauptet zwar, dass er seine Arbeit liebt, aber wenn er darüber redet, wirkt es keinesfalls so. Es gibt immer nur Probleme. Probleme, die die anderen verursachen. Er selbst ist immer unschuldig, und alle anderen sind dumm oder faul.

Als Albin noch klein war, glaubte er, dass sein Vater in allem der Beste war. Er hat ihm Märchen erzählt, in denen die Welt von feuerspeienden Drachen und verheerenden Erdbeben heimgesucht wurde, bis er selbst auf der Bildfläche erschien und alle rettete. Aber die besten Geschichten waren die, die davon handelten, wie er und seine Mutter Albin aus dem Kinderheim in Vietnam geholt hatten. Wie sein Vater sofort wusste, dass Albin ihr kleiner Junge war, und sie mehrere Monate lang blieben, damit Albin sie kennenlernen konnte, bevor sie ihn mit zu sich nach Schweden nahmen. Albin glaubte damals, dass sein Vater alles konnte und alles wusste. Aber mittlerweile weiß er es besser. Alles, was sein Vater von sich gibt, sind bloß Märchen.

In der vergangenen Nacht hat er wieder von Oma gesprochen. Diese Nächte sind immer die schlimmsten.

Ich sollte es wirklich so machen wie Mutter. Dann wären doch alle froh, oder?

Seine Stimme war ziemlich verwaschen und abstoßend.

Wie konnte ich nur so dumm sein zu denken, dass ich es wert bin, geliebt zu werden?

Du hättest mich schon längst verlassen sollen, wenn du der Meinung bist, dass ein anderer dich haben will. Ihr beide wollt mich doch nur loswerden, Abbe und du.

Albin lag wach und horchte den Schritten seines Vaters im Erdgeschoss nach. Er wollte gewappnet sein, wenn er sie die Treppe hochkommen hörte. Die Schritte seines Vaters auf der Treppe sind wie eine eigene Sprache. Man hört, ob er gerade wütend ist oder weinend die Treppe hinaufsteigt. Es ist, als wären es zwei völlig verschiedene Väter, auch wenn sie fast dasselbe von sich geben. Und beide Väter jagen ihm gleich viel Angst ein, da keiner von ihnen versteht oder auch nur zuhört, was man sagt. Manchmal verschwindet er mitten in der Nacht. Dann sagt er vorher, dass er es tun wird und dass er keine Kraft mehr hat.

Du musst wissen, dass es nicht dein Fehler ist, wenn ich keine Kraft mehr habe, Abbe. Das darfst du niemals denken.

Draußen vor dem Fenster fliegen einige Sturmmöwen vorbei. Ihre Schnäbel öffnen und schließen sich wieder, doch ihre Schreie sind drinnen im Selbstbedienungsrestaurant Charisma Buffet nicht zu hören. Hier hört man nur das Klappern von Besteck gegen Porzellan und lautes Stimmengewirr. Wenn Lo hier gewesen und noch die Alte wäre, hätte er ihr erzählt, dass die Leute früher glaubten, die Fischmöwen wären die Seelen verstorbener Seeleute. Er hätte ihr auch erzählt, dass es massenweise Wracks auf dem Grund der gesamten Ostsee gibt. Jede Menge toter Seeleute, die niemals gefunden worden sind.

Aber Lo ist noch nicht da. Sie haben ohne sie angefangen zu essen.

Lo, die eigentlich gar nicht mitfahren wollte.

Albin starrt auf seinen Teller. Kartoffelgratin, Köttbullar, Cocktailwürstchen, Graved Lachs, halbe Eier mit Krabben darauf. Er hat Hunger, doch in seinem Magen ist kein Platz fürs Essen. Seine Gedanken liegen darin wie ein großer Klumpen Zement. Das letzte Mal hatte er Lo vorigen Sommer getroffen. Seine Eltern und Linda hatten für eine Woche ein Ferienhaus in Grisslehamn an der Küste gemietet. In der Zeit regnete es fast jeden Tag, und Lo und er hatten im Etagenbett gelegen und gelesen. Er schlief oben und konnte manchmal nicht umhin, über die Bettkante zu linsen und in Los Gesicht zu schauen, das sich unbewusst bewegte, so dass er an ihrer Miene erkennen konnte, was gerade in ihrem Buch passierte. Jeden Abend aßen sie trotz des Regens unten im Hafen Softeis mit Zuckerstreuseln. Lo hatte bereits haufenweise Horrorfilme gesehen und erzählte ihm in den Nächten das Schrecklichste daraus. Manchmal bekamen sie beide solche Angst, dass sie zusammen in ihrem Bett schlafen mussten. Dann lagen sie nebeneinander wach und betrachteten die Schatten in den Ecken und die Bäume, die sich vor dem Fenster im Wind wiegten. Es war, als lüfteten sie eine unsichtbare Gardine, hinter der sie eine andere, ihnen unbekannte Welt sehen konnten. Eine abgrundtiefe Welt, in der sich alles Mögliche verbarg. Albin hatte so große Angst, dass diese Angst für ihn wie zu einem Magneten wurde, der genau das anzog, wovor er Angst hatte. Und dennoch waren dies die Stunden, die ihm in den gesamten Ferien am meisten gefielen. Zusammen mit Lo unter einer Decke zu liegen, während ihnen der Schreck in die Glieder fuhr und ihr hysterisches Lachen kein Ende zu nehmen schien.

»Und wie ist es so in der sechsten Klasse, Albin?«, fragt Linda und schiebt sich ein glänzendes Stück Hering in den Mund.