Die Valentines – verdammt berühmt. Perfect Girl - Holly Smale - E-Book

Die Valentines – verdammt berühmt. Perfect Girl E-Book

Holly Smale

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Beschreibung

Die Schauspielerfamilie Valentine ist reich und berühmt, und die Schwestern Hope, Faith und Mercy sind die glücklichsten Menschen auf der Welt – oder? Spot an für Faith Valentine, sechzehn Jahre alt und die schönste der drei Valentine-Schwestern. Ihr Leben ist einfach perfekt: Sie sieht umwerfend aus, hat unzählige Follower, und sie und Popstar Noah sind das absolute Traumpaar. Doch hinter der glitzernden Fassade sieht die Wirklichkeit ganz anders aus, und manchmal möchte Faith einfach nur weglaufen vor der großen Lüge ihres Lebens. Aber erst als sie entdeckt, dass Noah sie betrügt, begreift Faith, dass allein sie entscheidet, was ihr Leben perfekt macht. Der zweite Band der Trilogie über die berühmten Valentines Hope, Faith und Mercy – drei Schwestern, drei Perspektiven, aber ein gemeinsames Schicksal. Dies ist Faiths Geschichte. Alle Bände der Trilogie: Band 1: Happy Girl Band 2: Perfect Girl Band 3: Rebel Girl

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Seitenzahl: 381

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Holly Smale

Die Valentines – verdammt berühmt

Perfect Girl

Band 2

 

Aus dem Englischen von Petra Koob-Pawis

 

Über dieses Buch

 

 

Die Schauspielerfamilie Valentine ist reich und berühmt, und die Schwestern Hope, Faith und Mercy sind die glücklichsten Menschen auf der Welt – oder?

 

Spot an für Faith Valentine, sechzehn Jahre alt und die schönste der drei Valentine-Schwestern. Ihr Leben ist einfach perfekt: Sie sieht umwerfend aus, hat unzählige Follower auf Instagram, und sie und Popstar Noah sind das absolute Traumpaar. Doch hinter der glitzernden Fassade sieht die Wirklichkeit ganz anders aus, und manchmal möchte Faith einfach nur weglaufen vor der großen Lüge ihres Lebens. Aber erst als sie entdeckt, dass Noah sie betrügt, begreift Faith, dass allein sie entscheidet, was ihr Leben perfekt macht.

 

Dies ist Faiths Geschichte.

 

Alle Bänder der Trilogie Die Valentines – verdammt berühmt:

Band 1: Happy Girl

Band 2: Perfect Girl

Band 3: erscheint voraussichtlich im Herbst 2021

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

 

Holly Smale wollte schon im Alter von fünf Jahren schreiben, als sie feststellte, dass Bücher nicht wie Äpfel auf Bäumen wachsen. Ihre Leidenschaft für Geschichten führte sie zu einer Reihe von Abenteuern, darunter Modeln, Unterrichten von Kindern in Japan sowie Rucksackreisen durch Dutzende von Ländern auf der ganzen Welt. Sie studierte Literatur und Feminismus an der Universität in Bristol, England. Ihre Serie über das Geek Girl Harriet war ein riesiger Erfolg und verkaufte sich weltweit über drei Millionen Mal. Perfect Girl ist der zweite Band ihrer neuen Serie über Die Valentines – verdammt berühmt.

 

Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden Sie unter www.fischerverlage.de

Inhalt

[Widmung]

VALENTINE – ZEIT FÜR EINEN [...]

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

Danksagungen

Für Judith, die immer bei mir sein wird.

VALENTINE – ZEIT FÜR EINEN WANDEL?

 

Die langbeinige Beautyqueen Faith Valentine hat sich gestern Abend mit einem völlig neuen Hairstyle präsentiert. Als sie das Ivy alleine verließ (links), wurde sie mit glatten Haaren gesichtet. Die fehlenden Locken werfen Fragen auf: Wie steht es tatsächlich um ihre Beziehung mit Popstar Noah Anthony?

FAITH VALENTINE (16), brandheißer Neuzugang in der Topliste der FITTY FIFTY, schafft es sofort auf Rang 11. Groß, schlank, mit karamellfarbener Haut und engelsgleichen Augen ist sie der Inbegriff einer modernen Göttin. Als Online-Influencerin, aufstrebender Filmstar und JA, Teil DER Familie, ist sie der Wunschtraum für unseren nächsten Valentinstag.

»Ich bin eine Frühaufsteherin«, gesteht Faith während unseres Interviews im sonnendurchfluteten Salon der eindrucksvollen Valentine-Villa. »Ich wache in der Morgendämmerung vom Gesang der zwitschernden Vögel auf. Als Erstes trinke ich einen Schluck Wasser – das bringt die Verdauung in Schwung –, dann starte ich mit Ballettübungen in den Tag.« Kleine Grübchen erscheinen auf ihren zarten Wangen. »Ich tanze, seit ich klein war. Das Ballett bedeutet mir sehr viel, denn es erdet mich.«

WILLKOMMEN BEI GO-ZIP!

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Die Valentines haben alles: Sie sind berühmt, heiß und mega reich (lasst mal einen Fünfer für mich springen, LOL!). DIESER preisgekrönte Blogger (Link unten, und NEIN, ich hab mir das nicht ausgedacht, KEVIN, es ist alles echt) hat ein PRIVATES INTERVIEW mit FAITH VALENTINE geführt, der besten von allen. Werdet zum Insider mit GO-ZIP!

Sie sind das heißeste Paar des Jahres, doch ein Blick hinter die Kulissen offenbart: Dunkle Wolken sind über dem Paradies aufgezogen. Stimmen aus dem Umfeld berichten, dass die beiden kaum noch Zeit füreinander finden. Neben Noahs Tournee und Faiths Filmkarriere bleibt wenig Gelegenheit für gemeinsame Momente. Allerdings scheint sie eindeutig mehr darunter zu leiden als er. Experten sind sich einig: Ihre Körpersprache verrät, dass sie sich mit beiden Händen an die Beziehung klammert. Aber reicht das wirklich aus?

1

Schnarchen.

Das ist das Erste, was ich höre. Lautes Schnarchen, gefolgt von der Erkenntnis, dass außer mir niemand im Zimmer ist, was nur einen Schluss zulässt – ich bin diejenige, die schnarcht. Draußen gurren die Ringeltauben und zwitschern die Spatzen, aber ich bin allen Ernstes vom Maschinengewehrrattern meiner flatternden Nasennebenhöhlen aufgewacht.

Große Klasse, Faith Valentine.

Ohne die Augen zu öffnen, löse ich meine Zunge mit einem schnalzenden Geräusch vom Gaumen. Dann setze ich mich auf, gähne meinen nach leicht gammliger Schmutzwäsche riechenden Atem in die Welt hinaus, trinke einen Schluck von dem Glas auf meinem Nachttisch und spucke prompt zerlaufene Zahnpasta und Paprika über meine Bettdecke.

Am Boden des Glases klebt ein Zettel:

Na, hat das DEINE VERDAUUNG IN SCHWUNG GEBRACHT?

LOL. Max xxx

Ich verziehe das Gesicht – mein Bruder braucht dringend ein Hobby – und öffne den Vorhang. Sonnenlicht strömt herein. Verschlafen schwinge ich die Beine aus dem Bett, kratze mich am Knie und schalte das Radio ein. Dann tapse ich zur Matte.

Eine Wand meines Zimmers ist komplett verglast, auf die gesamte Länge von sechs Metern, und in diesem Licht sehen meine Poren aus wie tiefe Krater. Mit Kletterseil und Schutzhelm ausgerüstet, könnte man glatt in eine davon hinabsteigen. Ich versuche, nicht allzu genau hinzuschauen, und halte mich an der hölzernen Ballettstange fest. Dann gehe ich tief in die Knie.

Ich hebe die Fersen vom Boden, atme gähnend durch die Nase aus und strecke den linken Arm zur Seite: Grand Plié. Dann setze ich die eine Ferse wieder auf und strecke das andere Bein nach hinten: Arabesque. Ein Relevé mit gestrecktem Fuß. A la sec –

Ich werde meine Peeling-Routine intensivieren müssen, sonst bringt Grandma mich um.

Battement fondu, battement frappé, quatrième devant.

Vielleicht sollte ich es mal mit Spachtelmasse versuchen?

Gliss–

»Und jetzt«, kündigt eine Frauenstimme im Radio überschwänglich an, »der neueste Hit von Noah Anthony! Dieser Song ist Romantik pur und trifft mich jedes Mal voll ins Herz.«

»Ja«, antwortet eine Männerstimme ohne jede Spur Begeisterung. »Ich krieg mich kaum mehr ein.«

»Ich schmelze nur so dahin«, stimmt sie zu, ohne auf seinen Sarkasmus einzugehen. »Und hier kommt sie! Großbritanniens neueste Nummer eins, von unseren Ohren direkt in eure!«

Ich halte mitten in einer Drehung inne. Von unseren Ohren direkt in eure? Was soll das heißen?

Mit einem Satz bin ich beim Radio, als auch schon die ersten Akkorde einsetzen. Von leichten Gewissensbissen geplagt, stelle ich die Lautstärke leiser, bevor mein Freund mit seinen Mmms und Duu-duu-duus anfangen kann.

Sorry, Baby. Love you.

Obwohl meine Muskeln noch vom Vortag verspannt sind, kehre ich zu meiner Matte zurück, atme tief ein, schließe die Augen, strecke mich, atme aus, berühre dann mit den Fingerspitzen meine Zehen und harre ein paar Minuten lang friedlich aus. Anschließend trete ich mit beiden Füßen zurück, bis mein Körper ein umgedrehtes V bildet: Füße und Hände auf dem Boden, Kopf nach unten, Knie leicht gestreckt und –

»Du bist echt ein Freak, Effie. Das ist dir hoffentlich klar, oder?«

Ich öffne die Augen. Das Gesicht meiner älteren Schwestern ist dreißig Zentimeter von meinem entfernt, denn sie liegt auf dem Boden direkt unter mir. Sie muss sich in mein Zimmer geschlichen und unter mich geschoben haben, während ich mit dem Herabschauenden Hund beschäftigt war.

»Irgendwas stimmt nicht mit dir«, stellt Mercy trocken fest. »Meinst du, es ist ein medizinisches oder ein psychologisches Problem? Ist es genetisch bedingt oder doch eher ein Mangel an kulturellem Anpassungsvermögen? Ich möchte es wirklich gerne wissen.«

Mer ist so nah, dass ich die einzelnen Fasern ihrer Mascara sehen kann.

Ihr Eyeliner ist an den Augenwinkeln verlaufen und bis zum Haaransatz verschmiert, so dass es aussieht, als trüge sie eine Maske. Um die Nase herum blättert ihre Foundation ab, und von ihrem burgunderroten Lippenstift sind nur noch Reste übrig. Ihre kurze pinkfarbene Perücke ist an manchen Stellen leicht verknotet und so verrutscht, dass der Pony schief sitzt.

Meine Schwester sieht trotzig und erschöpft aus. Ihr Anblick versetzt meinem Herzen einen Stich.

»Guten Morgen.« Ich beuge mich zu ihr und hauche einen Kuss auf ihre von einem leichten Schweißfilm überzogene Stirn. »Wie war die Party? Welches arme, aber wahrscheinlich gar nicht so arglose Geschöpf hast du diesmal zum Weinen gebracht?«

Dann stehe ich auf und mache einen tiefen Ausfallschritt – über meine in schwarzen Lycrastoff gehüllte Schwester hinweg.

»O mein Gott«, blafft Mercy mich an. »Hör sofort auf, mich für deine Fitnessübungen zu missbrauchen.«

Sie rutscht über den Holzboden und zieht sich langsam an meinem Bett hoch, einen Muskel nach dem anderen anspannend, wie eine mürrische Tiefseekreatur.

»Nur über meine Leiche«, fügt sie hinzu und schlägt mit der Hand auf den Aus-Knopf meines Radios. »Ich werde mir nicht auch noch das lahme Gesülze deines langweiligen Freunds anhören. No way.«

»Mercy«, sage ich tadelnd.

»Was denn? Ich bitte dich. Seine Musik ist scheiße, und das weißt du auch.« Mit zusammengekniffenen Augen blinzelt sie ins Licht. »Und das kannst du auch gleich noch ausschalten.«

»Meinst du die Sonne?«, frage ich und drehe eine akkurate Pirouette.

»Ja.« Mer sieht mir voller Abscheu zu. »Sie tut meinem Kopf weh. Und du auch, Faith Valentine. Hör auf, dich so zu verrenken. Es ist noch nicht einmal sechs. Du bist völlig durchgeknallt.«

Nachdem sie ihre rituellen Beleidigungen losgeworden ist, legt Mer einen Arm übers Gesicht, schließt ihre dunklen Augen und macht genau da mit dem Schnarchen weiter, wo ich aufgehört habe. Sie klingt wie ein Bohrer, der sich durch eine massive Backsteinwand arbeitet.

Ich betrachte meine große Schwester, die sogar im Schlaf wütend sein kann.

Man könnte fast glauben, wir würden uns ein Gemeinschaftsbett teilen wie in einer billigen Time-Sharing-Ferienwohnung auf Mallorca. Ich darf es nachts benutzen, und meine siebzehnjährige Schwester belegt das After-Party-Zeitfenster von fünf Uhr morgens bis zwei Uhr nachmittags. Ich bin mir nicht sicher, ob Mercy überhaupt noch weiß, wo ihr eigenes Bett steht. Sie ist ein Jahr älter als ich, aber falls ich je mein Zimmer abschließen sollte, würde sie sich zum Schlafen vermutlich auf einem feuchten Handtuch vor meiner Tür einrollen wie ein Welpe.

Behutsam – na ja, so behutsam es eben geht – ziehe ich meine nach Minze und Paprika riechende Decke über sie. Dann fülle ich das Glas mit nicht-maxifiziertem frischem Wasser, stelle es zurück auf den Nachttisch und schlüpfe aus meinen weißen Seidenshorts und meinem Cami-Pyjamaoberteil. Auf einem Bein hüpfend zwänge ich mich in neongrüne Leggins und ziehe ein oranges T-Shirt an. Vorsichtig, um meine Locken nicht zu zerdrücken, binde ich meine Haare zu einem losen Knoten zusammen, dann setze ich eine Cap und eine Sonnenbrille auf.

Nachdem ich meine Turnschuhe geschnürt und meinen Fitnesstracker festgeklickt habe, schleiche ich mich zur Tür hinaus. Einen Moment lang bleibe ich im Gang stehen.

Aus Hopes Zimmer kommen niedliche Quietschlaute – bei meiner kleinen Schwester gibt es keine hässlichen Bohrgeräusche –, Max ist wie immer noch unterwegs, und am anderen Ende des langen Gangs ist Mums Tür (wie auch die Tür daneben) demonstrativ geschlossen. Noah hatte gestern Abend einen Auftritt in Wembley, und Dads Flieger aus Kalifornien ist noch gar nicht gelandet, das heißt, beide sind im Augenblick nicht ansprechbar.

Mit anderen Worten – ich hole tief Luft und strecke mich: Sämtliche Menschen in meinem Leben schlafen tief und fest, und alles unter der Sonne gehört ganz allein mir. Heute ist ein wichtiger Tag. Sobald der Rest der Welt aufwacht, muss ich zu meiner Höchstform auflaufen und strahlend, glanzvoll und absolut perfekt sein.

Ich muss Faith Valentine sein. Aber bis dahin bleiben mir noch zwei Stunden.

Deshalb gehe ich jetzt erst einmal laufen.

2

Wovon träumt eine Katze nachts?

Von einem Muskelkater.

Wenn ich laufe, bin ich niemand.

Wenn ich laufe, bin ich keine Valentine und keine Freundin, keine große oder kleine Schwester; ich bin keine Tochter oder Enkelin; nicht die Nummer elf der Fitty Fifty, keine aufstrebende Schauspielerin, kein vielversprechender Nachwuchsstar und kein Mädchen an der Schwelle zur Frau (würg).

Und auch nicht die Inspiration für einen Lovesong.

Während ich die große Auffahrt entlangjogge und die elektronisch gesteuerten Tore passiere – und der Schweiß sich wie ein kleiner salziger Schnurrbart auf meiner Oberlippe sammelt –, löse ich mich langsam auf, bis nur noch das rhythmische Ein und Aus meines Atems übrig bleibt und meine Lunge zu einem stampfenden Kolbenmotor wird.

In der Morgendämmerung ist Richmond Park wunderschön. Alles ist von Tau benetzt und in ein rotgoldenes Licht getaucht. Der Weg führt um den großen See herum, vorbei an Enten, die in der frühmorgendlichen Sonne Party machen, und weißen Schwänen, die majestätisch ins Nichts gleiten.

Ich beschleunige meine Schritte und genieße das Brennen in den Beinen, das heiße Gefühl in der Brust und den Schweiß, der durch den Stoff meines T-Shirts dringt. Ich verziehe das Gesicht – sobald ich zu Hause bin, muss ich mir sofort den Rasierer schnappen, sonst bekommen meine stachligen Achseln ihre eigenen Headlines –, dann biege ich nach rechts ab und starte richtig durch. Ich schwinge die Arme vor und zurück, halte den Kopf gesenkt und –

»Faith Valentine?«

Noch nicht, noch nicht, noch –

»Faith? Faith Valentine? Du bist es doch, oder?«

Wie aus dem Nichts ist ein Junge aufgetaucht und joggt jetzt neben mir her. Seine Akne glänzt im Sonnenlicht, als er mir in den Weg springt, unter meine Mütze späht und mir dabei seinen Atem ins Gesicht bläst.

Wieso riecht er nach Chips mit Krabbencocktailgeschmack? Frühmorgens um sechs?

»Nö.« Ich ziehe meine Cap tiefer und renne noch etwas schneller. »Tut mir leid, du scheinst mich mit jemandem zu verwechseln.«

»Garantiert nicht«, erwidert er gut gelaunt und legt ebenfalls einen Zahn zu. »Du bist Effie Valentine. Ich habe gelesen, dass du jeden Morgen laufen gehst, und ich weiß, dass du in dieser Gegend wohnst. Also bin ich eine ganze Woche lang jeden Tag superfrüh aufgestanden, habe erst die Piccadilly-Linie und dann die District-Linie nach Richmond genommen, und – Ta-da, hier bist du!«

Er rennt locker neben mir her, als wären wir vertraute Joggingpartner, die über ihre alltäglichen Probleme mit dem öffentlichen Nahverkehr sprechen.

Rasch wäge ich meine Optionen ab. Ich könnte schneller rennen, obwohl ich eigentlich eher zu den Langstreckenläuferinnen gehöre, oder ich könnte stehen bleiben – aber das würde er als Einladung zu einem kleinen Plausch missverstehen. Ich könnte natürlich auch einen Haken schlagen und irgendwo zwischen den Bäumen verschwinden, was vermutlich die idiotischste Idee ist, die ich je in Erwägung gezogen habe.

Stattdessen drehe ich unauffällig ab und renne durchs Gras zurück Richtung Hauptweg. Ich will ja schließlich seine Gefühle nicht verletzen.

»Nicht zu fassen, du bist es wirklich!«, fährt er überschwänglich fort. Er ist allerhöchstens dreizehn. Warum spielt er keine Videospiele oder pinkelt an der Toilettenschüssel vorbei oder sonst was? »Das ist so toll! Wow, ich hatte recht, du bist wirklich heiß. Ich meine, auf natürliche Art heiß. Nicht der leiseste Hauch von Make-up und so. Das ist die Art von heiß, die ich am liebsten mag.«

Die Art von heiß, die er am liebsten mag? Als gäbe es für diesen vorpubertären Jungen mit einem überreifen Pickel zwischen den Augenbrauen verschiedene Arten von heiß, zwischen denen er auswählen kann?

»Danke.« Ich lächle. »Das ist so süß von dir.«

»Kommst du häufig hierher? Ist das deine feste Strecke?« Er passt sich mit schlaksigen Bewegungen meinem Tempo an. »Also, was hältst du ganz allgemein von Parks?«

»Ähm.« Anscheinend versucht er es jetzt mit einer neuen und ziemlich merkwürdigen Flirtmethode.

»Nein, das ist nicht meine übliche Strecke.« Diese Strecke ist ab heute verbotenes Terrain. »Und, hm, Parks sind … nett?«

»Nett!« Meine Antwort scheint ihn zu begeistern. Suchend lässt er den Blick schweifen. »Und was ist dein … Lieblingsbaum?«

»Eiche.« Zum Glück bin ich auf schnell abgefeuerte Fragen trainiert, daher kann ich antworten, obwohl ich noch gar nicht richtig wach bin.

»Lieblingsessen?«

Cornish Pasty. »Sushi.«

»Farbe?«

Grau. »Grün.«

»Mega!« Wir laufen immer noch sehr schnell, ein erster Schweißtropfen rinnt ihm übers Kinn. »Kriege ich ein Autogramm von dir?« Wie von Zauberhand taucht ein Filzstift vor meiner Nase auf. »Du kannst auf meinen Arm schreiben!«

Die Hand gegen die Rippen gepresst, bleibe ich stehen und wische mir über die Stirn, bevor ich den Stift in meine verschwitzte Hand nehme.

Faith Va-

»All my love«, drängt er mich. »Schreib all my love.«

All my love, Faith Valentine.

Unvermittelt legt er seinen Arm um mich, zieht mich an seine von Deo durchtränkte Seite, drückt seine feuchten Lippen auf meine Wange und hält ein Handy vor unsere verschwitzten Gesichter. Mein Magen macht einen Satz. Oben blinkt ein kleines rotes Licht: 4:36, 4:37, 4:38 –

Er hat gar nicht mit mir geflirtet. Das war ein Interview.

»Und das«, spricht der Junge in die Kamera und malt mit seiner freien Hand ein Z in die Luft, »war Go-Zip in Aktion.« Er grinst mich triumphierend an. »Danke für das Exklusivgespräch, Eff. Elf-schmelf, du bist eindeutig meine Nummer eins! Beziehungsweise Nummer zwei. Gleich hinter Lily Aldrige. Sie ist ein Victoria’s Secret Angel, und ich werde sie heiraten.«

Dann rennt er los, und im nächsten Moment ist er bereits zwischen den Bäumen verschwunden.

 

Ich werde meine tägliche Sportroutine überdenken müssen.

Vielleicht sollte ich früher aufstehen und schon um vier anfangen. Ich könnte im Kreis um den See in unserem Garten rennen. Ich könnte natürlich auch auf das Laufband in unserem Fitnessraum im Keller gehen, aber da komme ich mir immer vor wie ein riesiger Neonhamster.

Zurück im Haus, wische ich über meine Stirn, checke die Uhrzeit und nehme mein Handy vom Tisch. Es blinkt hektisch, es warten bereits Nachrichten und Google-Alerts auf mich.

Während ich meine Muskeln dehne, schicke ich Noah seine tägliche Nachricht zum Aufwachen.

Guten Morgen, mein Hübscher! Wie war die Show? Ich habe gestern Abend kurz auf YouTube reingeschaut – es sah phantastisch aus! Ich bin so stolz auf dich xxxx

Dann schreibe ich eine E-Mail an meine Agentin und lockere dabei meine Schultern.

Hi, Persephone! Danke für das Update! Ist das die finale Version des Skripts, oder kommt da noch was? x

An Mum:

Kann ich dir ein Frühstück machen? Wie wär’s mit einem gesunden, leckeren Porridge? Gib mir Bescheid! xx

An Dad:

Weißt du schon, wann du voraussichtlich ankommst? Soll ich einen Schlüssel für dich hinterlegen? Freu mich schon auf dich! xxx

An Max:

Wo steckst du? Alles okay? xx

Der Morgen bricht bereits mit aller Macht über mich herein, daher gehe ich mitten in der Empfangshalle auf den Boden und mache dreißig Liegestütze. Dreißig Hocksprünge. Dreißig Dips am nächstbesten Stuhl. Siebenundzwanzig Kniebeugen mit Gewichten (die fehlenden drei hänge ich nach dem Zähneputzen dran).

Ich nehme mein Handy und rufe die Nachrichten von Genevieve auf, der persönlichen Assistentin meiner Großmutter. Das erste Foto zeigt eine knallgrüne Smoothie-Bowl mit einem goldenen Löffel auf einer marmornen Anrichte, hübsch dekoriert mit Himbeeren und Kokosnussflocken in Herzform. Der Filter gibt dem Foto einen rosigen, nostalgischen Touch.

Jede Wette, das Zeug schmeckt wie welkes Gras.

Stirnrunzelnd kopiere ich den dazugehörigen Text und füge ihn als Bildunterschrift ein:

Starte den Tag mit einem erfüllten Herzen (und einem vollen Magen)! Guten Morgen, ihr Lieben :) ♡ ♡ xxx

Und … POSTEN.

Schnell stibitze ich ein gummiartiges Stück von Mercys kalter Takeaway-Pizza aus der Schachtel auf dem Küchentisch und schlinge sie hinunter. Sie ist so fettig, dass ich schon auf der Treppe aufstoßen muss. Oben angekommen, kritzele ich rasch meinen Katzenwitz auf einen Post-it-Zettel. Nachdenklich lege ich den Kopf zur Seite. Ein Muskel-Kater! Ist das lustig? Ich glaube schon. Wobei ich allerdings bezweifle, dass Katzen überhaupt Muskelkater kriegen können. LOL.

Leise husche ich in das leere Zimmer, drücke einen Kuss auf den Post-it-Zettel und klebe ihn an die Wand. Erledigt. Dann blicke ich auf die Uhr und atme langsam aus. 8 Uhr 23.

Jetzt habe ich nur noch eine Aufgabe vor mir.

3

Meine kleine Schwester schläft so leicht und mühelos.

Anders als Mercy, für die Dunkelheit ein Feind ist, gegen den man die Krallen ausfährt – und Max, der nachts erst so richtig auf Touren kommt –, schließt Hope einfach die Augen und ignoriert alles um sie herum.

Leise husche ich in Hopes Zimmer. Sie schläft tief und fest unter ihrer zerwühlten Decke, das Sonnenlicht fällt durch die weit geöffneten Samtvorhänge, ihre wirren schwarzen Locken sind verwuschelt, und sie hat ihren nagelneuen Camcorder an sich gedrückt. Ihr linker Fuß zuckt, und sie murmelt leise: »Cut! Cut! Cut!«

Liebe durchströmt mich, ungetrübt und hell, ohne den Hauch eines Schattens.

»Pudel.« Sanft lege ich meine Hand auf ihren Kopf. Der Wecker neben ihr piepst, ohne Erfolg. »Wach auf, Baby.« Ich habe ihr versprochen, sie nicht mehr so zu nennen, jetzt, da sie fast sechzehn ist, aber … »Heute ist dein großer Tag.«

Hope regt sich und murmelt: »Action!«, dann schlägt sie die Augen auf und strahlt mich an. Anders als der Rest der Familie ist die jüngste Valentine von einer Sekunde auf die nächste hellwach. Sie legt einfach einen Schalter um – und schon ist sie präsent, der Dreh kann beginnen.

»Mein Traum wird wahr!« Hope setzt sich auf, wackelt mit den Zehen und breitet die Arme aus wie ein Seestern. »Lass uns den Tag euphonisch begrüßen.«

Ich lächle zärtlich. »Euphorisch.«

»Sag ich doch.« Mit einem Satz hüpft sie aus dem Bett, streckt träumerisch die Arme über den Kopf und fängt an, sich im Kreis zu drehen. Heute ist Schnuppertag an ihrer neuen Schule, bevor im September der eigentliche Unterricht beginnt. Seit ihrer Rückkehr aus Kalifornien vor einer Woche hat Hope sich mit Feuereifer darauf vorbereitet.

Und wenn ich sage vorbereitet, dann meine ich damit, dass sie bereits Dankesreden geübt hat, wahlweise für ihre Ernennung zur Klassensprecherin/Beliebtesten Schülerin/Party-Queen.

Mein Handy macht Pling!

Guten Morgen, meine Schöne. Wäre so gern bei dir. Das Publikum war wie entfesselt! Sehen wir uns später? Love, N xxxx

»Faith und Noah …«, fängt Hope an zu singen, während ich lächelnd eine Antwort schreibe.

Na klar! Kann es kaum erwarten! Wann passt es dir? xxx

»… sitzen auf einem Baum und knutschen rum, man glaubt es kaum.«

Dann schwebt meine kleine Schwester durchs Zimmer und sammelt die farbenfrohen neuen Klamotten ein, die ich ihr vor ein paar Tagen gekauft habe. »Man wird mich schon von weitem sehen«, sagt sie glücklich seufzend und schwingt die Sachen über ihrem Kopf wie Flaggen. »Ich werde beliebt sein, Eff, bei meinem Sternzeichen versteht sich das von selbst. Wir Krebse sind gesellig. Alle werden mich anbeten, so viel steht fest.«

Lächelnd nehme ich ihr Schreibmäppchen vom Kaminsims. Hope ist von Natur aus fröhlich, aber seit sie aus Los Angeles zurück ist, hüpft sie buchstäblich vor Glück. Doch wenn ich sie frage, was genau dort passiert ist – war da nicht was mit einem Jungen? –, ist sie plötzlich sehr verschwiegen.

»Ach«, sagt sie dann grinsend, »nichts Besonderes, Eff. Wir sind nur ein bisschen rumgefahren.«

Sie hat sich angewöhnt, Türen zuzuschlagen und in den unpassendsten Momenten laut herumzuschreien – was gar nicht zu ihr passt, sie aber noch liebenswerter macht. Obwohl ich mich schon fragen muss, was Dad sich dabei gedacht hat, ein fünfzehnjähriges Mädchen ans Steuer seines Autos zu lassen.

»Vielleicht solltest du deine Aufmerksamkeit nicht nur auf das Sozialleben der Schule richten?« Ich schüttle ihr Mäppchen, aber der kleine Mausebär ist leer. »Das könnte dir Glück bringen.«

»Glück hin, Glück her.« Hope zuckt mit den Schultern. »Das Schicksal liegt in unserer Hand, Eff. Die Schule ist eine Bildungsanstalt. Eine Kathedrale des Lernens. Da wird es ja wohl Stifte geben.«

Mit einem lauten »Aaah!« reißt sie das Fenster auf.

»Ben!«, ruft sie und legt dabei ihre Hände trichterförmig an den Mund. »Benjamin! Ben-ja-mi-no! Wir sind hier oben! Kannst du à la Spiderman am Regenrohr hochklettern, oder müssen wir runterkommen und dich reinlassen?«

Sie dreht sich um, sieht mich an und wackelt mit den Augenbrauen.

Ich habe einen festen Freund, den ich wirklich sehr liebe. Aber nicht er ist es, der draußen vor der Haustür steht – ein unbedeutendes Detail, das für meine kupplerische Schwester allerdings keinen Unterschied macht.

»Geh und sag Hallo.« Hope schiebt mich Richtung Zimmertür. »Ben ist den ganzen weiten Weg von Edinburgh gekommen, Faith. Wo bleiben deine Manieren?« Sie gibt mir einen Schubs.

»Ich finde, du –«

»Außerdem«, fährt meine Schwester fröhlich fort und tätschelt meine Schultern, »sollten wir uns uno momento Zeit nehmen, um zu würdigen, wie süß er ist, Eff. Ben ist hinreißend, findest du nicht? Er ist wie …« – sie sucht nach einem passenden Vergleich –, »wie Harry Potter in einem Staffelfinale oder so.«

Ihr niedliches kleines Gesicht strahlt vor Aufregung. Meine Schwester liebt mich sehr – und sie mag auch meinen Freund Noah –, aber noch mehr liebt sie eine gute Lovestory. Benjamin hat Gänseblümchen gerupft und sie für mich auf den Küchentisch gestellt, da waren wir gerade mal sechs Jahre alt. In ihren Augen reicht das für eine solide Dreiecksbeziehung.

»Ähm«, murmle ich zögernd, während sie mich zum Treppenabsatz schiebt. »Baby, ich muss erst mal duschen, bevor ich mich unter Menschen wagen kann. Ich bin verschwitzt und müffle, außerdem bin ich beim Joggen in Entenkacke getreten, also –«

Hope beugt sich zu mir und schnuppert. »Rosen«, stellt sie sachlich fest und dreht mich Richtung Treppe. »Rosen und Tautropfen und Makronen und kleine Kätzchen. Egal, was du machst, Faith Valentine. Du bist immer perfekt.«

4

Warum hat der Bankräuber ein Bad genommen?

Damit ihm eine saubere Flucht gelingt.

»Einen Moment!«, rufe ich durchs Schlüsselloch.

Rasch reibe ich eine edle Duftkerze über meinen Hals, wische mit dem T-Shirt über mein verschwitztes Gesicht und setze einen Blick auf, der sagt: Ich-bin-nur-eine-alte-Freundin-fast-wie-eine-Schwester-und-nicht-die-romantisch-Angebetete-die-dich-plötzlich-in-einem-ganz-anderen-Licht-sieht-also-schau-mich-nicht-so-an. Ben hat nämlich eindeutig zu viele Liebeskomödien gesehen.

Dann öffne ich schwungvoll die Tür. Aus dem geplant lässigen »Oh, hallo!« wird angesichts meines Gegenübers ein verdattertes »Oh, verflixt!«.

Eine Zeitlang herrscht Stille.

»Faith«, sagt Dame Sylvia Valentine schließlich und mustert mich mit stählernem Blick von Kopf bis Fuß. »Soll das ein Scherz sein?«

Blinzelnd spähe ich zur Tür hinaus. Von Ben ist weit und breit nichts zu sehen. Beim Anblick meiner berühmten Großmutter und ihres berüchtigten Gehstocks ist er offenbar fluchtartig ins Gebüsch abgetaucht. Kluger Junge.

»Ein Scherz? Wie meinst du das?«

»Ich meine das hier.« Grandma fuchtelt mit ihrem Gehstock und schnüffelt wie ein aufgescheuchter Bluthund. »Als ich dich bat, möglichst natürlich auszusehen, dachte ich dabei nicht an einen heruntergekommenen Landstreicher, der« – sie beugt sich vor – »nach Bitterorangen und Lavendel riecht.«

Meine Nase zuckt. Grandma kann man nichts vormachen, was die Produktpalette der Liberty-Kerzen angeht.

»Hattest du nicht zehn Uhr gesagt? Es ist aber erst –«

»Du bist eine Valentine.« Sie hebt ihre blasse, mit Diamanten geschmückte Hand. »In einem derart nachlässigen Aufzug öffnen wir keine Türen, egal wie hoch die Sonne steht. Was, wenn ich ein Journalist wäre? Oder eine verrückte, x-beliebige Person? Was, wenn ich ein Video-log hätte?«

Ich halte den Kopf gesenkt, damit sie meine geblähten Nasenflügel nicht sieht. Video-log? »Tut mir leid, Grandma.«

»Wir müssen allzeit bereit sein.« Ich blicke kurz hoch. Grandma spricht jetzt mit ihrer Kammerbühnenstimme. »Für uns gibt es keine Theaterpause, Faith. Für uns ist der Vorhang immer hochgezogen.«

Mein Kopf sackt noch etwas tiefer. »Tut mir leid, Grandma.«

»Steig bitte ins Auto«, sagt sie knapp. »Von deinen Geschwistern hätte ich ein derart ungebührliches Verhalten erwartet, nicht aber von dir.«

Mit diesen Worten dreht sie sich um und stapft zu ihrer silbernen Limousine. Ihre Schultern drücken tiefste Entrüstung aus.

Plötzlich fühle ich mich schuldig. Die zwei freien Morgenstunden, in denen ich joggen war, haben gar nicht mir gehört. Ich hätte mich waschen, schrubben, rasieren und zupfen sollen, hätte meine Zeit mit Conditioner, Maske, Feuchtigkeitscreme, Gesichtspackung und Contouring verbringen müssen. Ich hätte die Löcher in mir zukleistern müssen, damit niemand sie bemerkt.

»Tut mir leid, Grandma«, sage ich zum dritten Mal. Stets zu Diensten, Grandma.

Dann befolge ich brav ihre Anweisungen.

 

»… großes Potenzial«, liest Grandma vor, während ich mich in der Limousine zurücklehne und mein Gesicht mit einem Feuchtigkeitstuch abrubble, das nach Gurke riecht. »Mit der strahlenden Schönheit einer modernen Filmlegende« – sie blickt mich vielsagend an – »und als weibliche Hälfte eines der heißesten Teenie-Pärchen dieses Jahres hat Faith Valentine alle Voraussetzungen, um im Filmgeschäft Furore zu machen. Schon jetzt erhält sie Rollenangebote aus der ganzen Welt.«

Genevieve reicht mir ein weiteres Feuchtigkeitstuch aus ihrer großen Strohtasche, in der sie anscheinend die komplette Ausrüstung für einen Wellness-Tag im Spa mitschleppt. Es würde mich nicht wundern, wenn sie irgendwann auch noch einen Whirlpool und ein Dampfbad daraus hervorkramt. Ich fange an, meinen Hals abzurubbeln.

»Hast du übrigens schon deinen ersten Post in das World Wide Web hinausgeschickt?« Grandma zieht die Augenbrauen hoch. »Eine Botschaft mit Vorbildcharakter, die dein Image befördert, wie ich hoffe?«

Bei ihr klingt es so, als müsste man ein Formular ausfüllen und es zusammen mit dem Personalausweis und einem frankierten und adressierten Umschlag an die kleinen Roboter senden, die das Internet betreiben.

»Ja, Grandma.« Ich lächle Genevieve dankbar an, dann bohre ich geistesabwesend mit dem Finger in meinem Ohr. »Nach einer halben Stunde hatte ich schon über hundertzweiunddreißigtausend Likes.«

»Braves Mädchen.« Grandma schlägt eine Seite in meinem goldenen Album mit Zeitungsausschnitten auf (auch bekannt als Buch der Schande). »Leider konzentrieren sich die Klatschblätter auch weiterhin auf deine Probleme mit diesem Noah Anthony. Das wirft kein gutes Licht auf dich, Faith.«

Sie hält das Album hoch und zeigt mir ein Paparazzifoto, auf dem ich meinem Freund einen finsteren Blick zuwerfe, während an meinem Kinn ein großer Klumpen Mayonnaise hängt, der mich aussehen lässt, als hätte ich einen weißen Spitzbart.

»Ich war hungrig«, sage ich errötend. »Glaub mir, bei uns läuft alles bestens.«

Kann mir mal jemand verraten, wie man einen Burger isst und dabei zu verstehen gibt: Wir sind total ineinander verliebt, aber du wolltest keine Pommes, also Hände weg von meinen extradünnen Fritten!

»Valentines waschen ihre schmutzige Wäsche nicht in der Öffentlichkeit«, ermahnt Dame Sylvia mich ernst. »Wir bezahlen Leute dafür, dass sie das diskret in einer geheimen Prominentenwäscherei tun, möglichst weit weg auf der anderen Seite der Stadt. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«

Ich nicke reumütig.

Millionen von Menschen haben jetzt nur noch dieses eine Bild vor Augen: Noah, den hingebungsvollen, fürsorglichen Freund, und mich, die missmutige, gierige Kuh, die nicht einmal weiß, wo ihr Mund ist.

Du musst dich noch mehr anstrengen, Eff.

»Wo wir gerade davon sprechen«, fährt Grandma fort. »Ich habe heute Morgen die Korrekturabzüge der nächsten Variety bekommen.« Sie schlägt eine neue Albumseite auf. »Du siehst sehr hübsch aus, bist aber stumm wie ein Fisch, Faith. Versuch in Zukunft, interessante Bemerkungen einzuwerfen. Niemand will eine schweigende Statue interviewen, selbst wenn es die Statue einer Göttin ist.«

»Aber Marcy und Max haben immerzu geredet …«

»Dann musst du dir eben Gehör verschaffen.« Grandma blättert erneut eine Seite um, überfliegt sie und seufzt. »Die Daily Mail nennt dich zum wiederholten Mal unnahbar und bezeichnet dich als Eiskönigin. Schatz, wenn du ein Mann wärst, ginge das als rätselhaft durch. Bei einer Frau bedeutet das so viel wie Albtraum. Du musst versuchen, Wärme auszustrahlen. Allerdings nicht so viel Wärme, dass man sie mit Verzweiflung verwechselt.«

Genevieve und ich tauschen Blicke aus.

Die Assistentin meiner Großmutter trägt eine Samtjacke, einen mittellangen Rock und eine Rüschenbluse, obwohl sie gerade mal Anfang zwanzig ist. Sie wirkt wie eine Zwillingsversion von Dame Sylvia. So als hätte man einen Ableger von ihr in einen kleinen Topf mit Erde eingesetzt, um eine neue Pflanze zu ziehen.

Mit hochgezogenen Augenbrauen nickt sie mir zu. Zeig Wärme, Faith.

»Klar. Tut mir leid.«

Unsere Limousine kommt mitten auf der Straße zum Stehen – mit unnachahmlicher Arroganz und völlig ungerührt vom Hupkonzert der frustrierten Autofahrer hinter uns. Eine Welle der Übelkeit erfasst mich.

Wenn ich mich richtig heftig übergebe, vielleicht darf ich dann wieder nach Hause? Aber irgendetwas sagt mir, dass man mir lediglich ein Feuchtigkeitstuch in die Hand drücken, mich mit dem Tannenduft des Lufterfrischers einsprühen und losschicken würde.

Mein Handy macht Pling!

Omeingottomeingott, ich habe vergessen, dir VIEL GLÜCK zu wünschen! Du rockst das! Du bist ein Parasitenbeispiel an Femininität! H xxx

»Hm.« Ich muss unwillkürlich lächeln, während ich das weiße, fließende Kleid, das ich gereicht bekomme, über meinen feuchten orangen Sport-BH ziehe. »Grandma … können wir … meinst du … könnten wir vielleicht noch einmal kurz durchsprechen, was mich erwartet und wie –«

»Seit fast einem Jahr beschäftigen wir uns jeden Mittwoch mit der Schauspielkunst, Faith«, unterbricht meine Großmutter mich stirnrunzelnd. »Hast du denn gar nicht zugehört? Haben wir nicht alles genau besprochen?«

»Ja, ich habe Stanislawski und Tschechow und Meisner und Adler gelesen, ich kenne ihre Texte in- und auswendig. Es ist nur –«

»Wo ist dann das Problem?«

Einen Augenblick herrscht Stille.

»Schauspielen liegt dir im Blut«, bekräftigt Dame Sylvia Valentine, fünfmalige Oscar-Gewinnerin, Trägerin des Britischen Filmpreises für ihr künstlerisches Lebenswerk und längst ein nationales Kulturgut. »Eine ebenso seltene wie kostbare Gabe, die von meiner Mutter an mich weitergegeben wurde, dann an deine Mutter und schließlich an dich.«

Der Chauffeur öffnet die Tür, und Genevieve drückt mir ein ausgedrucktes Skript in die Hand.

Erneut hupen hinter uns entnervte Autofahrer.

»Du bist eine Valentine, mein Schatz«, erklärt meine Großmutter mit einem schmalen Lächeln. »Die Welt wird dir auf einem Silbertablett serviert. Jetzt darfst du es nur nicht vermasseln.«

5

FAITH VALENTINE FINDET PARKS »NETT«

 

Ja, GO-ZIPPERS, ihr habt richtig gehört! In einem EXKLUSIVINTERVIEW hat die phantastische Effie V EXKLUSIV zugegeben, dass sie Eichen, Sushi und die Farbe Grün mag! Und ich habe sie geküsst!

Klick links für das Beweisvideo, KEVIN.

Du darfst es nicht vermasseln, Faith.

Du darfst es nicht vermasseln, nicht vermasseln, nicht vermasseln, nicht vermasseln, nicht –

Als ich die Tür aufziehen will, wird sie im selben Moment von der anderen Seite aufgestoßen und knallt mir fast ins Gesicht.

»Whoa, sorry!« Ein zierliches Mädchen mit kurzen, blonden Haaren und Sommersprossen sieht mich an und verdreht ihre grünen Augen. »Da wird ja die Katze auf dem pinken Fahrrad verrückt! Bist du es wirklich? Da hätte ich mir den verdammten Vormittag sparen können. Viel Freude mit deinem unverdienten Erfolg, Valentine. Muss nett sein, wenn einem alles zufliegt.«

Dann stapft sie in ihrer Latzhose und mit den schweren Silberboots zur Tür hinaus und schafft es dabei, trotz ihrer Statur unheimlich viel Raum einzunehmen. Blinzelnd blicke ich ihr hinterher.

»Faith Valentine?«, piepst die Empfangsdame, als ich mich wieder umdrehe. »O mein Gott, du bist da! Und du bist sogar noch hübscher als auf deinen Fotos! Wie geht es deiner armen Mutter? Ich war untröstlich über Juliets« – sie senkt ihre Stimme zu einem unüberhörbaren Flüstern – »TRAGISCHEN ABSTURZ.«

Als mein Name fällt, blicken alle Kandidatinnen im Raum kurz auf, kneifen die Augen zusammen und senken sofort wieder die Köpfe.

»Sie ist –«

»Wunderbar!« Die Empfangsdame steht auf und scheucht eine Schauspielerin weg, die nervös vor dem Casting-Raum wartet. »Du da, setz dich wieder hin. Ich habe die strikte Anweisung, Faith Valentine unverzüglich reinzuschicken. Bitte, Faith, nach dir.«

Sie öffnet die Tür und macht eine kleine Verbeugung, als bräuchte ich Hilfe beim Betreten und Verlassen von Räumen. Ich schlucke verlegen, dann trete ich über die Schwelle.

Zeig Wärme, Faith, aber nicht zu viel Wärme.

Sei enthusiastisch, aber nicht verzweifelt. Ruhig, aber nicht langweilig. Lustig, aber nicht krampfhaft witzig. Schwungvoll, aber nicht überdreht. Temperamentvoll, aber nicht aggressiv. Schön, aber nahbar. Elegant, aber nicht unterkühlt. Selbstbewusst, aber nicht arrogant. Weiblich, aber nicht mädchenhaft. Nett, aber nicht fade.

Sei du selbst, aber … na ja … jemand anderes.

Meine Großmutter und ich haben jeden Mittwoch die ersten zehn Minuten meiner Unterrichtsstunde damit verbracht, die Stanislawski-Methode einzuüben. Man zieht in Gedanken einen unsichtbaren Kreis um sich und blendet alles um einen herum aus, damit man sich beschützt und sicher fühlt, ganz egal, was passiert.

Aber hier gelingt mir das nicht.

Ich stehe vor einem Raum voller Fremder, die mich von Kopf bis Fuß prüfend mustern. Sie nehmen mich regelrecht auseinander, um alle Einzelteile zu begutachten: die Augen meiner Mutter, die Nase meiner Großmutter, Mund und Größe meines Vaters … so lange, bis ich nur noch aus kleinen Stücken anderer Leute bestehe. Ein Mix aus recycelter Schönheit, die von Generation zu Generation weitergegeben wird und die man pfleglich behandeln muss wie eine alte Uhr oder eine Vintage-Handtasche.

»Die mittlere Valentine«, verkündet eine ältere Frau mit Schildpattbrille. »Die Tochter von Mike und Juliet!«

»Bemerkenswert«, sagt jemand und macht sich Notizen. »Exotisch und klassisch zugleich. Die Kamera wird sie lieben.«

Wie aufs Stichwort lege ich den Schalter um.

»Hallo!« Ich trete einen Schritt nach vorne und zeige beim Lächeln das Grübchen auf meiner linken Wange. »Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen.« Ich habe Routine darin, mir unauffällig auf die Wange zu beißen. Niemand weiß, dass das Grübchen ein Fake ist, nicht einmal Noah.

»Hi!«, sage ich nacheinander zu allen Anwesenden. Grübchen. »Hallo.« Grübchen.« »Hey.« Grübchen. Grübchen. Grübchen. Grübchen. Die Innenseite meiner Wange hat zu bluten angefangen.

»Hallo.« Inzwischen bin ich bei dem berühmten Casting-Direktor Teddy Winthrop angelangt. Er ist so alt und verschrumpelt, dass meine Großmutter im Vergleich zu ihm wie ein junges Mädchen auf einem Debütantinnenball aussieht. »Es ist mir eine Ehre.«

Unter Einsatz meines Grübchens – autsch! – gebe ich ihm die Hand.

»Nun gut.« Teddy nickt unbeeindruckt. »Ich denke, wir dürfen uns jetzt alle ausreichend gegrüßt fühlen. Können wir dann anfangen?«

Er richtet seine wässrigen blauen Augen auf den leeren Stuhl in der Mitte des Raums. Ich blicke auf meinen Text.

»Ohne Skript, wenn ich bitten darf«, sagt der Casting-Direktor in eisigem Ton.

Entsetzt starre ich ihn an. »Aber meine Agentin sagte –«

»Mag sein, aber du bist eine Valentine, wie man mir wiederholt und unermüdlich versichert hat. Da darf ich doch wohl davon ausgehen, dass du eine einzelne kleine Szene auswendig vortragen kannst?«

Mit einem Mal bin ich mir nicht mehr sicher, dass die Beziehungen meiner Familie für mich von Vorteil sind. Womöglich hat er bereits mit Mercy Bekanntschaft gemacht.

»Natürlich.« Folgsam lasse ich das Skript zu Boden fallen. »Ja, kein Problem.«

Dann setze ich mich auf den Stuhl. Sofort gehen zwei riesige Lichter an. Ich zucke zusammen. Such deinen Kreis, Eff. Jetzt komme ich mir vor wie ein Exemplar einer seltenen Echsenart in einem grell erleuchteten Terrarium.

»Wo soll ich –«

»Bäng«, sagt die Frau mit der Brille abrupt. »Knack. Uuuh-iii-uuuh. Wuu. Wuu. Wuuuuuu. Yiiiha. Yiiiha. Wuff, wuff, miau, oink, arrruuuga.«

Ich starre sie verdattert an. Was zum –

Aus dem Augenwinkel sehe ich das grüne Licht der Kamera blinken. »Haben wir schon angefangen? Wir haben angefangen. Ähm. Fred! Was war das? Ich habe etwas gehört … da draußen ist jemand!«

»Daistniemand«, liest die Frau monoton vor.

»Wir haben einen Fehler gemacht«, sage ich mit einem genau dosierten Beben in der Stimme. »Wir sollten g-gehen – wir sollten f-f-fliehen. Moment, ich glaube, die Batterie reicht noch bis –«

»EsistnureinSchafoderso.«

»Aber Schafe machen nicht solche Geräusche.«

»DanneineKuh.« Die Frau sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »OdereineZiegeoderwaseshiersonstsogibt. Wartehier,ichgehraus –«

Moment mal. Kenne ich die Frau nicht irgendwoher?

In meinem Kopf macht es Klick, und plötzlich ist die Erinnerung da. Eine Party meiner Eltern vor fast zehn Jahren. Musik, Gelächter, Blumen, ein großes weißes Gartenzelt. Wir saßen alle zusammen auf den Stufen und hörten, wie –

»… Kuss.«

Meine Eltern standen auf dem Rasen, sprachen einen Toast aus und –

»Kuss.«

Gläser klirrten, und ich sah mich um und –

»Kuss.«

War das etwa mein Stichwort?

»Ah.« Blinzelnd blicke ich von der Frau, die auf der Party meiner Eltern war, zu Teddy. Ich kann mich nicht erinnern, dass im Originalskript etwas von einem Kuss stand. »Kuss? Was? Wen … wen genau soll ich denn küssen?«

Verwirrt schaue ich mich im Raum um.

»Wie wär’s mit mir?« Ein junger Typ in der hinteren Reihe springt auf. »Wenn ihr jemanden braucht, der mit Faith Valentine knutscht, dann melde ich mich freiwillig! Ich kann gerne einspringen. Zu Übungszwecken … oder so.«

Teddy starrt den armen Kerl so lange an, bis er sich wieder hinsetzt.

Ich fahre mit der Zunge über meine Lippen. Tu etwas, Faith.

Spontan schließe ich die Augen und fange an, leidenschaftlich meinen Handrücken abzuknutschen. Er schmeckt nach Schweiß und Angst und antibakteriellen Frischetüchern mit Gurkenduft.

»F-F-Fred!« Kuss. »Geh nicht!« Kuss. »Bitte! Ich liebe dich! Lass mich nicht hier allein!« Kuss. »Was, wenn – O nein, o nein. Er ist weg. Er ist weg. Er ist weg, er ist –«

»Stopp«, sagt Teddy Winthrop.

Ich halte inne.

»Was machst du da?« Der Casting-Direktor sieht mich stirnrunzelnd ab. »Willst du diese Rolle überhaupt? Oder ist es für eine berühmte Valentine unter ihrer Würde, sich mit Fernsehen abzugeben?«

»Nein!« Vor Entsetzen werde ich knallrot. »Natürlich will ich diese Rolle, Sir. Die Schauspielerei ist mein Leben.«

»Was du nicht sagst.« Mr. Winthrop blickt zu der Frau mit der Brille, dann wieder zurück zu mir. »Du bist die einzige Figur, die noch lebt. Für das Publikum verkörperst du den ganzen Film. Du bist allein und verängstigt, und dir passiert gerade etwas sehr Unschönes. Jetzt kommt es ganz auf dich an. Also zeig, dass du die Szene beherrschen kannst.«

»Würde es helfen, wenn ich … mich bewege?«

»Von mir aus kannst du Rad schlagen, Schätzchen. Hauptsache, du spielst diese Rolle nicht mit dem Charisma eines alten Holzlöffels.«

Autsch. Sei die Orange, Faith.

Ich straffe meine Schulter und stehe auf. Setze mich wieder hin. Stehe wieder auf. Ich drehe den Kopf zur Seite. Und dann wieder zurück. Mein Körper ist wie ein Fahrzeug, das von jemandem gesteuert wird, der noch keinen Führerschein hat.

Streng dich an, Faith. Du bemühst dich nicht genug. Hol mehr aus dir heraus.

Ich hole tief Luft und schreie: »NEEEIN!«

Die Faust an die Brust gepresst, fall ich auf die Knie und schließe die Augen. »Fred! FREEED!!!« Mehr. »FREEEEEED!!!!«

»Ja, ich denke, wir haben genug gesehen.«

Ich öffne die Augen. Meine Wangen brennen.

»Bitte, Mr. Winthrop.« Du darfst nicht verzweifelt wirken. Auf keinen Fall verzweifelt. »Gibt es noch etwas, das ich –«

»Nein, danke«, sagt Teddy knapp. »Schick bitte das nächste Mädchen herein.«

Ich blinzle ein paar Mal, dann räuspere ich mich und stehe wortlos auf. Streiche mein Kleid glatt, werfe meine Haare zurück und lächle. Denn der Vorhang ist immer hochgezogen, das Publikum sieht immer zu, und die Aufführung endet immer mit einer Verbeugung, auch wenn niemand klatscht.

»Danke, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben«, sage ich höflich und senke kurz den Kopf. »Ich würde mich freuen, Sie bald wiederzusehen. Einen schönen Tag noch.«

Lautlos husche ich nach draußen.

 

Die Tür ist viel zu dünn.

»Tja«, höre ich Teddy Winthrops mürrische Stimme von der anderen Seite. »Die berühmte Eiskönigin hat vielleicht das richtige Aussehen, aber selbst meine Küchenanrichte könnte die Rolle besser verkörpern.«

Ich schließe die Augen.

»Was für ein Trauerspiel«, stimmt die alte Freundin meiner Eltern ihm zu. »So ein nettes Mädchen. Hat keinen Funken Talent, aber meine Güte: Was für ein Gesicht.«

6

HOL DIR DEN VALENTINE-GLOW!

 

Du möchtest die umwerfende Ausstrahlung eines Valentine-Girls haben, nur leider fehlen dir das Star-Gen, die kostenlosen Designerklamotten und das fette Konto? Hier sind unsere besten Tipps für Luxuslooks zu bezahlbaren Preisen!

Tja, was für ein Spaß.

Der Chauffeur meiner Großmutter steigt aus dem Wagen, tippt sich an die Mütze und öffnet die Tür für mich. Sofort sprudele ich los: »Meine Güte, das ist richtig gut gelaufen! Ich bin mir zwar nicht sicher, ob ich dem Typ entspreche, den sie suchen« – Typ menschliches Wesen, das überzeugend ein anderes menschliches Wesen verkörpern kann –, »aber ich habe sofort eine Verbindung zum Direktor aufbauen können, und beim nächsten Mal werde ich sicherlich –«

Der Rücksitz neben mir ist leer.

»Sie sind zu Fortnum & Mason gegangen, um Einkäufe zu erledigen, Miss«, sagt der Fahrer, und mein aufgesetztes Lächeln löst sich in Erleichterung auf. »Ihrer Großmutter stand der Sinn plötzlich nach einer Tasse Tee im Hilton.«

Meine Großmutter ist eine lebende Karikatur. Irgendwann ist sie in die Rolle einer zeitlosen britischen Lady geschlüpft – Gehstock, majestätische Haltung, überheblicher Blick, abrupte Sinneswandel und eine Vorliebe für Tee im Hotel – und hat sie seither nie wieder abgelegt. Aus diesem Grund muss ich mir immer wieder in Erinnerung rufen, dass ich halb Amerikanerin und nur halb Downton Abbey bin.

Mein Handy macht Pling.

Baby, dieses Album kostet mich den letzten Nerv. Kommst du und munterst mich auf? :( Nx

»Wohin soll’s gehen, Miss?« Grandmas Chauffeur setzt sich wieder hinters Steuer. »Dame Sylvia lässt ausrichten, dass Sie sich gerne anschließen können.«

Aus Höflichkeit tue ich ein paar Sekunden lang so, als würde ich den Vorschlag ernsthaft in Erwägung ziehen.

Ähm, in einem überfüllten, goldüberladenen Raum Scones essen (»Haben Sie schon meine Enkelin Faith kennengelernt? Sie verkörpert die Zukunft der Valentines, müssen Sie wissen. Schatz … nicht so viel Marmelade!«) oder meinem süßen Freund dabei zusehen, wenn er aufgeregt an den Schaltern eines gigantischen Mischpults herumfummelt wie am Kontrollboard eines Raumschiffs, das er zum ersten Mal allein fliegen darf?

Mit einem Gefühl der Befreiung krame ich im Türfach nach meiner geheimen Make-up-Tasche und halte mir einen kleinen Spiegel vors Gesicht. Ich sehe müde aus. Aber