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SPIEGEL-Bestsellerautor Markus Heitz führt alle Fans der Albae in fantastische Abenteuer und enthüllt die Geschichten, die in den Romanen noch nicht erzählt wurden - Geheimnisse werden gelüftet, Schicksale geklärt und von legendären, vergessenen Taten der dunklen Geschöpfe berichtet. Die dritte Vergessene Schrift kündet von Arviû und was ihm alles gelang.
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Vollständige E-Book-Ausgabe 1. Auflage 2013
ISBN 978-3-492-96243-8
© Piper Verlag GmbH 2013 © 2013 Markus Heitz vertreten durch: AVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur www.ava-international.de Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Albae-Anthologie
DIE LEGENDEN DER ALBAE
- Die Vergessenen Schriften -
III
Dies sind die Vergessenen Schriften.
Sie erzählen von den bekannten und unbekannten Helden meines Volkes.
Von den größten Geschichtenwebern, den herausragendsten Künstlern.
Aber auch von den schrecklichsten Feinden und den innigsten Freunden.
Legenden, Geschichten, Märchen, Gedichte, Lieder
- sie wurden von mir gesammelt, dem Untergang entrissen und bewahrt, damit sie nicht gänzlich verloren gehen.
Wir Albae mögen unsterblich sein, und doch können wir vergessen werden.
Du, der diese Werke liest, schließe sie in dein Herz und halte sie. Halte sie sicher, trage sie weiter.
Verkünde sie und lasse sie erklingen.
DAS ist wahre Unsterblichkeit!
aus den Vergessenen Schriften,
gesammelt und aufgezeichnet von
Carmondai
dem Meister in Bildnis und Wort
Von Arviû und was ihm alles gelang
Lasst mich von einem Alb berichten, über dessen Taten und Verdienste ich ein Werk von solchem Umfang schreiben könnte, dass es mehr als einen Winter benötigte, um sämtliche Geschichten und Einmaligkeiten zu lesen.
Doch da viele andere Persönlichkeiten und Begebenheiten darauf warten, gewürdigt zu werden, muss ich mich einschränken und es bei einigen kleinen Episoden belassen, die ich für wichtig erachte. Vielleicht schreibe ich zu ihm zu einem anderen Zeitpunkt noch mehr in jeder Einzelheit nieder.
Oh, lasst mich vorwegschicken, dass Arviû und ich uns beim ersten Zusammentreffen nicht sonderlich leiden konnten.
Das änderte sich nach jener Schlacht gegen die Elben der Goldenen Ebene, in der er sein Augenlicht verlor.
Er streifte seine Abneigungen gegen mich ab, und wir verbrachten viele Nächte damit, dass er mir seine Erlebnisse schilderte und ich seine Worte festhielt.
Selten erlebte ich einen Alb von solcher Härte gegen sich und andere, mit solchem Hass auf Elben und von solcher Güte und Einfühlungsvermögen wie Arviû.
Er verstand es, seine Helfer mit der geringsten Geste und dem einen geflüsterten Wort zu lenken. Und, wahrlich, niemals sah ich edlere Geschöpfe!
So erfahrt, welche Besonderheiten ihn ausmachten und was wir ihm zu verdanken haben. Drei Episoden aus seinem bewegten Leben seien nun berichtet.
Behaltet stets in Erinnerung, dass ein Gegner ohne Augenlicht keine leichte Beute ist, schon gar nicht, wenn im Dunkeln gekämpft wird.
Denn dann werden die Sehenden zu Blinden.
Carmondai
der Meister in Bildnis und Wort
Wie Arviû seine Helfer fand und band
Ishím Voróo (Jenseitiges Land), Dsôn Faïmon, Dsôn, 4371/72. Teil der Unendlichkeit (5199./ 200. Sonnenzyklus), Winter
Es wäre allmählich Zeit, dass sie anhalten und ich mich hinausstehlen darf. Meine Beine schlafen ein. Arviû veränderte behutsam seine Lage, doch es wurde nicht besser. Ich muss mich ordentlich bewegen, bevor das Blut sich staut.
Er hatte es sich heimlich im siebten der insgesamt acht großen Gespanne so eingerichtet, wie es die Ladung erlaubte; einen Teil seiner Waffen hatte er mitgenommen und in Lücken gestopft.
Nach seinem überstürzten Aufbruch aus dem Reich der Albae lag er verborgen zwischen Möbeln, Teppichen und Kisten der Unauslöschlichen, die ihre wertvollsten Dinge aus Dsôn bringen ließen. Seine Erkenntnis lautete: Die Herrscher flohen wie er aus der seuchengeplagten Hauptstadt, und das taten sie nicht weniger heimlich, wohl aber sicherlich bequemer als Arviû.
Rumpelnd ging es voran. Peitschen knallten, und die Kutscher riefen, während sich die Ochsen durch den Matsch kämpften. Mehrfach waren die Tiere ausgetauscht worden, die erschöpften zurückgelassen oder von den Nachtmahren verspeist worden.
Unaufhaltsam rollten die Räder. Leise prasselte der Regen auf die Plane aus Segeltuch, die das Hab und Gut von Nagsor und Nagsar Inàste schützte.
Es wird kälter. Der Winter machte sich deutlicher bemerkbar, je näher sie dem Steinernen Torweg rückten. Arviû schlug den dicken Teppich um seine Schultern.
Gelegentlich hörte er den Hufschlag und das Schnauben eines Nachtmahrs, der am Wagen vorbeitrabte. Wie es den Anschein hatte, wurde genau achtgegeben, dass sich nichts und niemand anschlich.
Ihr Tross verfügte über einen beachtlichen Schutz an Kriegern, die unter dem Befehl von Benàmoi Sajùtor standen. Er hatte bereits fünfzig solcher Wagen sicher nach Tark Draan geschafft, und dieses war die letzte Fuhre.
Dass sie einen ungewollten Mitreisenden hatten, ahnte niemand.
Arviû gelang das Kunststück, gänzlich unsichtbar zu bleiben. Er kam nur nachts aus seinem Versteck und schlief tagsüber, stahl sich vom Proviant der Kutscher gerade so viel, dass es nicht auffällig wurde. Seine Blindheit machte es ihm nicht eben leichter, sich zurechtzufinden, doch die besondere Ausbildung der geblendeten Leibwächter der Unauslöschlichen hatte Früchte getragen.
Der dunkelhaarige Alb fröstelte. Seine leichte Kleidung schützte schlecht gegen die Kälte, die unter sein dünnes Dach kroch. Gewiss konnte man seine Adern durch die bleiche Haut sehen. Noch ein paar Meilen, und ich gebe mich zu erkennen, beschloss er.
Lange hielte er das Verbergen bei dieser Witterung nicht mehr durch, es zehrte seinen Körper mehr und mehr aus. Er freute sich auf eine echte Mahlzeit, die er sich nicht kärglich zusammenstehlen musste.
Sein Plan sah vor, dass er sich nachts vom Tross entfernte, um einen Bogen zu schlagen und sich den Wagen zu nähern. Dabei wollte er tun, als habe er sich bei der Jagd auf die Doron Ashónt verirrt. Sajùtor würde ihn mitnehmen, denn ein Umkehren käme aufgrund seines Auftrags nicht in Frage. Zurücklassen durfte er den blinden Helden nicht.
In Tark Draan, weit weg von den Phaiu Su und dem sicheren Tod, kann mir vieles gleich sein. Niemand würde ihn dann mehr für den Mord an seinem alten Lehrmeister zur Rechenschaft ziehen.
Wieder jagte ein Nachmahr heran, und dieses Mal zügelte der Reiter das Tier.
„Gib acht“, vernahm Arviû die Worte, die an die beiden Kutscher gerichtet waren. „Die Vorhut fand Spuren von Vena-Katzen. Es scheint ein Rudel auf Wanderschaft zu sein. Unsere Ochsen kämen denen gerade recht. Achte auf tiefhängende Äste. Darauf sitzen sie gerne.“
„Das werde ich“, erwiderte einer der Wagenlenker. „Die Nacht bricht bereits an. Wäre es nicht besser, wenn wir anhalten? Feuer hält sie auf Abstand.“
„Nein. Sajùtor will noch bis zum nächsten Gehöft, das in knapp zehn Meilen von hier liegt.“
Der Kutscher schnalzte unzufrieden mit der Zunge und ließ die Zügel knallen. „Na, der Benàmoi wird wissen, was er tut.“
„Ein Lager und ein Dach über dem Kopf werden dir besser gefallen als im Schneeregen unter deinen Bock gekauert zu frieren“, erwiderte der Krieger unwirsch und ließ seinen Rappen antraben. „Haltet die Augen offen“, rief er.
Unter diesen Umständen war Arviû froh, unter der Plane im Trockenen und sicher zu sein. Vena-Katzen. Sie waren einst auch in Dsôn Faïmon vorgekommen, aber durch rigorose Jagd ausgerottet worden. Ihre Statur ähnelte der eines Luchses, doch das Fell war bräunlich grün gemustert, und sie waren wesentlich kräftiger, größer und angriffslustiger. Und schlau. Ein Rudel fiel selbstbewusst über kleinere Siedlungen her, um Schafe und Kühe ebenso zu reißen wie die Bewohner.
„Bei den Infamen“, brummelte der gleiche Wagenlenker, der mit dem Soldaten gesprochen hatte, auf dem Bock. „Erst dieses Wetter, dann noch diese Viecher in der Nähe.“
„Du achtest auf die Ochsen, ich sichere die Umgebung“, antwortete der zweite. „Ich entfache noch ein paar Lampen und drehe die Dochte höher. Die Helligkeit wird sie abhalten.“
Arviû schloss aus dem Rumpeln, dass er sich um den Wagen hangelte und Laternen mit einer Fackel entzündete. Sein Gehör war extrem geschult, und seine aus Geräuschen gezogenen Folgerungen trafen meistens zu. Aber er musste zugeben, dass es in diesem Fall nicht schwer war zu erraten, was vor sich ging.
Dann endete das Ächzen der Seitenplanken und Klicken der Lampenklappen. Das Knistern der Fackel verharrte ganz in der Nähe des blinden Albs.
„Endôras, hast du die Seile der Abdeckung gelockert?“, rief der Kutscher nach vorne.
„Ich? Nein.“
Arviû wurde kälter. Die Knoten haben nach meinem letzten Ausflug nicht gehalten. Verflucht! Ich hätte mich vergewissern müssen. Er rutschte rückwärts und versicherte sich tastend, dass er im Teppich weitestgehend verschwand und auf den ersten Blick nicht zu erkennen war.
Es raschelte, der Strick wurde aus mehreren Ösen gezogen.
„Was tust du, Udalór?“, kam der ungehaltene Ruf von vorne.
„Nachsehen. Zur Sicherheit.“
„Unsere Sicherheit hängt davon ab, ob wir eine Vena-Katze rechtzeitig entdecken oder nicht“, befand Endôras.
Udalór schien nicht gewillt zu sein, von seinem Vorhaben abzulassen. Arviû hielt die Luft an. „Aber …“
„Was denkst du, was sich da drin versteckt? Ein Gnom? Oder ein Óarco? Und was sollten sie da tun? Die Bücher lesen?“ Endôras lachte, doch es klang angespannt. „Die Erschütterungen werden den Strick gelockert haben. Setz dich von mir aus obendrauf, damit du alles im Blick hast, und achte auf die Äste! Der Wald wird dichter. Ich will nicht von diesen Bestien gerissen werden und als Mahlzeit enden.“
Arviû hörte zu seiner großen Erleichterung, dass das Segeltuch wieder angebracht und festgezurrt wurde.
„Wenn sich da irgendwelches Ungeziefer hineinverirrt und Schaden angerichtet hat, werden uns die Unauslöschlichen auf grausamste Weise hinrichten lassen“, murmelte Udalór mehr zu sich als zu seinem Begleiter. „Wir sollten …“
Ein langer Schrei erklang von vorne, wo sich die ersten Wagen des Trosses befanden.
„Vena-Katzen! Die Infamen mögen sie verbrennen“, fluchte Endôras.
Dann wieherten Nachtmahre voller Hass, und mitten hinein gellten erste albische Todesschreie. Man musste kein feines Gehör besitzen, um zu vernehmen, dass Metall gegen Metall traf, Körper von Klingen durchbohrt und Schilde in Fetzen geschlagen wurden: Am Kopf des Zuges tobte ein brachiales Gefecht!
Das hat nichts mit den Katzen zu tun! Es sei denn, jemand lehrte sie das Kriegshandwerk. Das dunkle Surren von Keulen, das laute Krachen der Einschläge und die Schreie der Getroffenen aus unterschiedlichen Richtungen kündeten deutlich davon, dass es sich weder um Barbaren noch kleinere Scheusale handelte. Arviû vermutete einen Überfall durch die Dorón Ashont.
In seinem Leben vor der von Elben herbeigeführten Blindheit wäre er aufgesprungen, hätte seinen Bogen genommen und die gewaltigen gepanzerten Krieger mit langen Pfeilen gespickt, um ihnen möglichst viele Wunden zuzufügen und sie zu schwächen oder ihnen gar Geschosse durch den Schädel zu jagen. Früher hätte er die Wandelnden Türme zu Fall gebracht.
Früher …
Doch als Blinder, der gerade einmal mit seinen neuen Waffen umzugehen verstand, taugte er rein gar nichts im Nahkampf gegen diese Übergegner. Nicht einmal mit seinen Wurfdolchen richtete er etwas gegen die dicken Harnische aus.
In Arviû bäumte sich alles auf, doch was sollte er unternehmen?
Im Weg stehen?
Von Nachtmahren niedergetrampelt werden?
Von einer klingenbesetzten Keule oder einem dreikugeligen Morgenstern ausgelöscht werden?
Er atmete tief ein und streifte sich wider besseres Wissen seine Klingen über. Samusin, du wirst entscheiden, wie es mir ergeht!
Seine Waffen bestanden aus Röhren, die um den Unterarm geschnallt wurden und aus einer besonders resistenten Legierung erschaffen waren. Virssagòn hatte sie eigens ersonnen. Eine stabile, schlanke Klinge – so lang wie ein Dolch – ragte jeweils vorne und hinten aus der Schiene heraus. So konnte er blitzschnell um sich stechen. Das Blocken eines feindlichen Angriffs war damit möglich, die dicke Polsterung auf der Innenseite dämpfte die Wucht der gegnerischen Schläge – was jedoch bei einem Hieb aus der Hand eines Dorón Ashont sinnlos sein würde. Der ganze Arm würde samt Schulter abgerissen.
Was tue ich? Arviû hörte die lauten Schreie und die aufgeregten Rufe der Kutscher, die nicht wussten, was sie unternehmen sollten; die Ochsen bäumten sich im Geschirr auf und waren kaum zu bändigen. Der Wagen ruckte hin und her.
Die Entscheidung wurde ihm abrupt abgenommen.
Ein dumpfes Grollen, das durch Mark und Bein ging, erklang neben dem Gespann. Dann fuhr der Schlag einer Gotteshand durch die Seitenbretter, hob den Wagen mitsamt der Albae an und schleuderte sie durch die Luft.
Arviû wirbelte gleich einem losen Blatt umher, entkam der einengenden Umarmung des Teppichs und wurde von verschiedenen Gegenständen getroffen, bis er schließlich auf weichem, nassen Untergrund landete und die Klingen in den Boden rammte, um Halt zu finden.
Sofort konzentrierte er sich, hörte die feinen Geräusche der fliegenden Ladung und wich den Geschossen aus, die ihn sonst getroffen hätten.
Ende der Leseprobe